Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2018 - 1 StR 78/18

bei uns veröffentlicht am28.06.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 78/18
vom
28. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:280618U1STR78.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
die Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26. Oktober 2017, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
2
Die Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts buchte die Angeklagte per Internet am 10. Januar 2017 für ihren Ehemann ein Hotelzimmer in Barcelona, weil er nicht über eine Kreditkarte verfügte und daher keine Internetbuchung vornehmen konnte. Sie hatte in den Monaten zuvor mit ihm regelmäßig Kokain konsumiert und wusste spätestens seit Ende des Jahres 2016, dass die Fahrten ihres Ehemanns nach Spanien jeweils der Beschaffung erheblicher Mengen von Kokain für den gewinnbringenden Weiterverkauf in Deutschland und dem gemeinsamen Konsum dienten und auch die anstehende Reise denselben Zweck verfolgte. Tatsächlich war mit dem spanischen Lieferanten der Erwerb von einem Kilogramm Kokain für 41.000 € vereinbart worden. Am 13. Januar 2017 führte ihr Ehemann in seinem PKW 482,42 g Kokain (Kokainhydrochlorid 448,5 g) nach Deutschland ein.
4
Im Rahmen einer in der Hauptverhandlung getroffenen Verständigung räumten sämtliche Angeklagte die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift in vollem Umfang ein, wenngleich die Angeklagte stets betonen ließ, von einem nicht strafbaren Verhalten ihrerseits ausgegangen zu sein (UA S. 4). Sie gab hierbei an, sie habe bei Buchung des Hotelzimmers billigend in Kauf genommen, dass der Aufenthalt ihres Ehemanns in Barcelona der Beschaffung von Betäubungsmitteln dienen könnte, da sie zu jener Zeit gemeinsam mit ihm Kokain konsumiert habe und somit jeder Aufenthalt ihres Ehemanns außerhalb des gemeinsamen ehelichen Haushalts aus ihrer Sicht der Beschaffung von Betäubungsmitteln habe dienen können. Positive Kenntnis vom Zweck der Fahrt nach Barcelona habe sie jedoch erst wenige Stunden nach der Hotelbuchung erlangt (UA S. 15).
5
Die Strafkammer hat einen minder schweren Fall des § 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BtMG verneint. Bei dessen Prüfung hat sie zu Gunsten der Angeklagten – neben anderen Aspekten – gewertet, dass sie ein Geständnis, „in subjektiver Hinsicht aber nur ein Teilgeständnis“, abgelegt hat, dass ihr Tatbeitrag nur ge- ringe kriminelle Energie erfordert habe und am unteren Rand des strafwürdigen Verhaltens anzusiedeln sei, und die Haupttat mit großer Wahrscheinlichkeit auch ohne ihren Tatbeitrag mit gleichem Erfolg begangen worden wäre (UA S. 24). Die Beihilfe als vertypten Strafmilderungsgrund hat sie nicht erwähnt.
6
Bei der Festsetzung der Einzelstrafe hat die Strafkammer die bei der Strafrahmenwahl genannten Strafzumessungsgesichtspunkte erneut abgewogen und eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

II.


7
Die Nachprüfung des Urteils auf die Revision der Angeklagten hat lediglich im Strafausspruch einen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Hinsichtlich der Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 8. Februar 2018 Bezug genommen.
8
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer ist aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte bei der Buchung des Hotelzimmers billigend in Kauf genommen hat, dass die Fahrt ihres Ehemanns nach Barcelona der Beschaffung einer nicht unerheblichen Menge Kokain diente, sie deshalb mit der tatsächlich eingeführten Menge rechnete und diese Menge billigend in Kauf nahm. Die Wertung dieses Tatbeitrags als Beihilfe (§ 27 StGB), also einer Hilfeleistung , die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert, ohne dass sie für den Eintritt des Erfolges in irgendeiner Weise kausal werden muss (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410 mwN), ist ohne Rechtsfehler.
9
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
10
Die Strafkammer hat nicht bedacht, dass nach ständiger Rechtsprechung in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (BGH, Beschlüsse vom 16. November 2017 – 2 StR 404/17 mwN und vom 17. März 2016 – 1 StR 47/16). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen (BGH aaO). Das Landgericht hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet und nicht erkennbar erwogen, ob das Vorliegen des vertypten Milderungsgrunds der Beihilfe allein oder in Verbindung mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falls des § 30 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann.
11
Da die Strafkammer ihrer Strafzumessung den nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG (sechs Monate bis elf Jahre und drei Monate) zugrunde gelegt, sich bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe an dem unteren Bereich des eröffneten Strafrahmens orien- tiert und eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt hat, die Strafrahmenuntergrenze des § 30 Abs. 2 BtMG demgegenüber aber bei drei Monaten liegt, kann der Senat – anders als der Antrag des Generalbundesanwalts – nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei zutreffender Prüfungsreihenfolge zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.
12
Der Senat kann offenlassen, ob die im Vorspann des Urteils getroffene Feststellung, die Angeklagte habe die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift „vollumfänglich“ eingeräumt, wenngleichsie stets habe betonen lassen, von einem nicht strafbaren Verhalten ihrerseits ausgegangen zu sein (UA S. 4), in einem unauflösbaren Widerspruch mit der Feststellung in der Strafzumessung steht, die Angeklagte habe „in subjektiver Hinsicht nur ein Teilgeständnis“(UA S. 24) abgelegt, die Strafzumessung also darüber hinausgehend auch deshalb fehlerhaft ist, weil die Strafkammer das Geständnis der Angeklagten nicht uneingeschränkt als Strafmilderungsgrund eingestellt hat. Der Senat hat aber deshalb die dem Strafausspruch zugehörigen Feststellungen insgesamt aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Jäger Bellay
Fischer Bär

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Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 30 Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung s

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(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,
3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder
4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 404/17
vom
16. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:161117B2STR404.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. November 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 9. Mai 2017 aufgehoben
a) im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten B. ,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet; außerdem hatte es eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Nach Aufhebung dieses Urteils hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe sowie der Maßregel, jeweils mit den Feststellungen, hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Generalbundesanwalt hat, was die Strafzumessung hinsichtlich des versuchten Totschlags anbelangt, ausgeführt: „Der Ausspruch über die Einzelstrafe in Höhe von neun Jahren Frei- heitsstrafe hat hingegen keinen Bestand. Das Landgericht hat unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes des § 23 Abs. 2 StGB einen minder schweren Fall gemäß § 213 2. Alt. StGB verneint, von einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgesehen und die Strafe sodann aus dem nach § 21 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB entnommen (UA S. 63/64 ff.). Die Strafkammer hat dabei ersichtlich nicht bedacht, dass nach ständiger Rechtsprechung in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 2 StR 494/13, StV 2015, 549). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen , sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen (BGH aaO). Das Landgericht hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet, indem es den vertypten Milderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB neben den allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten in die Prüfung des minder schweren Falls des § 213 2. Alt. StGB zwar einbezogen, den gleichfalls vorliegenden vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB bei der Prüfung offensichtlich aber unberücksichtigt gelassen hat. So geht das Landgericht von vornherein von dem falschen Ansatz aus, indem es die Prüfung auf die Frage beschränkt hat, ob von einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB oder nach § 213 2. Alt. StGB auszugehen war (UA S. 63/65). Selbst wenn das Landgericht die dissoziale Persönlichkeitsstruktur und alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten zur Tatzeit zugunsten des Angeklagten in die Prüfung des minder schweren Falls miteinbezieht (UA S. 64), ergibt sich aus der Gesamtschau der Urteilsgründe, insbesondere aus der nachfolgenden Begründung für eine Verschiebung des Strafrahmens über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB, gleichwohl, dass das Landgericht das Vorliegen des weiteren vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB bei der Prüfung des minder schweren Falls gemäß § 213 2. Alt. StGB nicht im Blick gehabt hat. Zwar hat das Landgericht den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB (zwei Jahre bis 11 Jahre und drei Monate) zu Grunde gelegt (UA S. 65); doch der gemilderte Strafrahmen des § 213 2. Alt. StGB (1 Jahr bis 10 Jahre) wäre für den Angeklagten günstiger. Da sich das Landgericht mit der Verhängung einer Einzelstrafe von neun Jahren an dem oberen Bereich des eröffneten Strafrahmens orientieren wollte (UA S. 67), kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter unter Zugrundelegung des Strafrahmens des § 213 StGB zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.
Die dem Strafausspruch zu Grunde liegenden Feststellungen sind im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffen, weshalb sie aufrechterhalten bleiben können. Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wäre nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Die Aufhebung im Ausspruch über die Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.“
3
Dem tritt der Senat bei.
Appl Eschelbach Bartel Grube Schmidt

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 47/16
vom
17. März 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:170316B1STR47.16.1

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. September 2015, soweit es ihn betrifft , im Ausspruch über die Einzelstrafe in Fall B II 3b der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall B II 3a) sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall B II 3b) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt.
2
Sein auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestütztes Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Während die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
4
Die Strafrahmenwahl ist nicht frei von Rechtsfehlern.
5
a) Das Landgericht hat die Strafe in Fall B II 3b der Urteilsgründe dem nach § 27 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen und die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG abgelehnt.
6
Dabei hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht, dass das Vorliegen eines gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrunds allein oder in Verbindung mit den sonstigen Strafmilderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falls nahelegen kann (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 50 Rn. 3 f., mwN).
7
Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weiteren Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrunds gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen. Diese Prüfungsreihenfolge hat das Landgericht nicht beachtet und nicht erkennbar erwogen, ob das Vorliegen des vertypten Milderungs- grunds der Beihilfe allein oder in Verbindung mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falls rechtfertigen kann.
8
Zwar hat die Strafkammer ihrer Strafzumessung den nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG (sechs Monate bis elf Jahre und drei Monate) zugrunde gelegt und eine Einzelstrafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt. Der Senat vermag jedoch in Ansehung des Umstands, dass der Sonderstrafrahmen des § 30 Abs. 2 BtMG von drei Monaten bis zu fünf Jahren reicht, nicht sicher auszuschließen, dass der Tatrichter bei rechtsfehlerfreier Strafrahmenwahl gegebenenfalls zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.
9
b) Die Strafzumessungserwägungen in Fall B II 3a der Urteilsgründe enthalten hinsichtlich des Einfuhrdelikts denselben Rechtsfehler. Dieser wirkt sich jedoch nicht aus, da dem Angeklagten hier tateinheitlich auch täterschaftliches Handeltreiben in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zur Last liegt, der gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB als das schwerere Delikt den Strafrahmen bestimmt.
10
2. Durch die Aufhebung der Einzelstrafe in Fall B II 3b hat der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe seine Grundlage verloren. Eine Aufhebung der zugehörigen Feststellungen war nicht angezeigt, weil es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen , die zu den bislang getroffenen nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.
11
3. Die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe gibt dem Landgericht Gelegenheit , die in den Urteilsgründen erörterte Anrechnung der in Frankreich erlittenen Haft im Maßstab von 1:1 auch im Tenor auszusprechen. Dies war bei der Tenorierung versehentlich unterblieben.
Graf Jäger Radtke
Fischer Bär

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,
3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder
4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,
3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder
4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.