Bundesgerichtshof Urteil, 19. Feb. 2013 - 1 StR 275/12

bei uns veröffentlicht am19.02.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 275/12
vom
19. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung am
19. Februar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener
und der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und Rechtsreferendarin
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin M. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen B. ,
Herr G.
als Vertreter des Landratsamts ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. August 2011
a) mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
b) im Tenor dahin klargestellt, dass die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen (Taten zu B. I., B. II. 1. a. und b., B. II. 2. a. und b., B. II. 3. a.) unter Einbeziehung der Einzelfreiheitsstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 5. Dezember 2007 und die weitere Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Miss- brauch von Kindern in sieben Fällen (Taten zu B. II. 1. c. und d., B. II. 2. c., B. II. 3. b.), verhängt ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in zehn Fällen, davon in drei Fällen in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es den Angeklagten zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt.
2
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Erfolg.

I.

3
1. Zu den Taten hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
a) Ab November 2003 lebte der Angeklagte vorübergehend im Haushalt seines Bruders in R. , wo auch seine am 19. Oktober 1994 geborene Nichte St. , die Geschädigte, zu Hause war. An einem Abend zwischen dem 9. Mai 2004 und dem 31. Juli 2004 betrat er unbekleidet das Zimmer der Geschädigten, die bereits im Bett lag. Der Angeklagte legte sich zu ihr, schob ihr das Nachthemd nach oben und den Schlüpfer aus oder nach unten. Sodann drückte er ihre Beine auseinander und legte sich auf sie. Die Geschädigte versuchte, die Beine wieder zusammen zu nehmen, der Angeklagte verhinderte dies, indem er sie erneut auseinander schob. Nun drang er mit seinem Glied schmerzhaft in die Scheide der Geschädigten ein (Tat zu B. I.).
5
b) Der Angeklagte war über gemeinsamen Alkoholkonsum mit B. bekannt. B. hatte mit seiner Frau drei Kinder, darunter die beiden am 31. März 1999 und 21. August 2000 geborenen Mädchen D. und S. . Diese wuchsen körperlich und seelisch vernachlässigt in desolaten Verhältnissen auf. Zwischen dem 13. März 2007 und März 2010 verabredete der Angeklagte mit den Eltern der Mädchen in mindestens zwölf Fällen , dass eines oder beide Mädchen ihn am Wochenende besuchen und für eine Nacht bei ihm in seinen jeweiligen Wohnungen bleiben. Anlässlich dieser Besuche der Mädchen kam es zu folgenden sexuellen Übergriffen:
6
Zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 forderte der Angeklagte D. in seiner Wohnung in F. auf, sich auszuziehen. Er selbst kleidete sich auch aus. Sodann führte er sein Glied an ihre Scheide und versuchte, mittels geschlechtsverkehrstypischer Bewegungen einzudringen, was ihm jedoch nicht gelang. Um die Scheide zu weiten, führte er zwei Finger in diese ein (Tat zu B. II. 1. a.).
7
Bei einem erneuten Besuch von D. in dieser Wohnung zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 versuchte der Angeklagte erneut, erfolglos in die Scheide der unbekleideten Geschädigten einzudringen. Sodann führte er sein Glied an den After der Geschädigten und versuchte, hier einzudringen , was ebenso misslang (Tat zu B. II. 1. b.).
8
Bei zwei weiteren Besuchen von D. , die nach dem Umzug des Angeklagten innerhalb von F. zwischen dem 7. Dezember 2007 und dem 9. Dezember 2008 stattfanden, legte er sich nackt auf die ebenfalls unbekleidete D. . Er führte sein Glied an ihre Scheide, ein Eindringen gelang ihm aber in beiden Fällen nicht (Taten zu B. II. 1. c.).
9
Nach dem Umzug des Angeklagten nach R. übernachtete D. zwischen dem 13. November 2009 und März 2010 in zwei weiteren Fällen bei ihm. Auch bei diesen Gelegenheiten versuchte der Angeklagte erfolglos, mit seinem Glied in die Scheide der unbekleideten Geschädigten einzudringen (Taten zu B. II. 1. d.).
10
Zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 waren beide Mädchen zusammen bei dem Angeklagten in seiner Wohnung in F. . Nachdem er beide veranlasst hatte, sich auszuziehen, legte er sich nacheinander auf sie, spreizte dabei jeweils ihre Beine und versuchte, den vaginalen Geschlechtsverkehr durchzuführen, was ihm nicht gelang. Nachdem die ältere D. ein solches Ansinnen abgelehnt hatte, wies er die jüngere S. an, sein Glied in den Mund zu nehmen und ihn durch Bewegungen zu stimulieren. D. musste derweil mit der Hand an seinem Penis manipulieren (Tat zu B. II. 2. a.).
11
Bei einem weiteren Aufenthalt beider Mädchen in diesem Zeitraum legte der Angeklagte sich nacheinander auf die unbekleideten Geschädigten und versuchte sodann erfolglos, mit seinem Glied in deren Scheide einzudringen (Tat zu B. II. 2. b.).
12
Dieses Geschehen wiederholte sich zwischen dem 7. Dezember 2007 und dem 4. Februar 2008 noch zweimal, ohne dass es dem Angeklagten gelang , mit seinem Glied in die Scheide der Geschädigten einzudringen (Taten zu B. II. 2. c.).
13
Zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 versuchte der Angeklagte bei S. , die ohne ihre Schwester bei ihm in F. war, den vaginalen Geschlechtsverkehr auszuführen, was ihm nicht gelang (Tat zu B. II. 3. a.).
14
S. war nochmals zwischen dem 13. November 2009 und März 2010 bei dem Angeklagten, der zwischenzeitlich nach R. umgezogen war. Auch hier legte sich der Angeklagte auf das unbekleidete Mädchen und versuchte erfolglos, mit seinem Glied in ihre Scheide einzudringen (Tat zu B. II. 3. b.).
15
Das Eindringen scheiterte jeweils daran, dass der Angeklagte jedenfalls aufgrund der anatomischen Besonderheiten bei den noch jungen Mädchen nicht die hierfür erforderliche Erektion aufwies. In der Hauptverhandlung ist das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO auf die ausgeurteilten Delikte und Taten beschränkt worden.
16
2. Das Landgericht hat die Taten zu B. I. und B. II. 1. a. jeweils als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, die Tat zu B. II. 2. a. als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, die übrigen zehn Taten (B. II. 1. b. bis d., B. II. 2. b. und c., B. II. 3. a. und b.) als sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gewertet, davon in drei Fällen in zwei tateinheitlichen Fällen (B. II. 2. a. bis c.). Es hat auf Einzelfreiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und drei Jahren neun Monaten erkannt.
17
Von der Anordnung des § 64 StGB hat es wegen Fehlens eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der festgestellten Alkoholabhängigkeit des Angeklagten und den Taten abgesehen.
18
Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen zur Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF als erfüllt angesehen und einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF angenommen. Ob der Angeklagte im Sinne dieser Vorschrift gefährlich ist, hat es nicht abschließend beurteilt. Es hat trotz der als erheblich eingeordneten Anlasstaten die Anordnung der Maßregel nicht für geboten erachtet, da sich die Gefährlichkeit des Angeklagten durch verschiedene Umstände relativiere.

II.

19
Während der Strafausspruch und das Absehen von der Maßregel nach § 64 StGB sachlich-rechtlicher Prüfung standhalten, erweist sich die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als rechtsfehlerhaft.
20
1. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelstrafen, die sich nicht am unteren Rand des von der Strafkammer in einigen Fällen nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens des § 176a Abs. 2 StGB bewegen, ist nicht zu besorgen, dass das Landgericht die Vollendungsnähe unberücksichtigt gelassen haben könnte. Auch im Übrigen zeigen die Strafzumessungserwägungen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
21
2. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist jedoch mit rechtsfehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden und kann daher keinen Bestand haben.
22
a) Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen der Maßregel nach § 66 Abs. 2 StGB aF sowie § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF unter Anwendung des zur Tatzeit geltenden Rechts (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB) festgestellt.
23
b) Rechtsfehlerfrei belegt ist auch ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF. Sachverständig beraten hat das Landgericht hierzu festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine auf Mädchen bezogene Pädophilie vorliege. Diese pädophile Devianz sei aber nicht ausschließlich, vielmehr könne der Angeklagte auch im sexuellen Kontakt mit erwachsenen Frauen Befriedigung finden. Zudem weise er ausgeprägte dissoziale Verhaltensmuster auf, die die Kriterien einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erfüllen, jedoch nicht den Schweregrad einer schweren an- deren seelischen Abartigkeit erreichen. Die begangenen Missbrauchstaten, wobei es sich um solche erheblicher Art handele, seien auf die pädophilen Neigungen in Verbindung mit den dissozialen Verhaltenszügen zurückzuführen. Denn bei sich bietenden Gelegenheiten und Verfügbarkeit entsprechender Opfer versuche der Angeklagte, seine devianten sexuellen Bedürfnisse auszuleben. Angesichts des Tatzeitraums sei auch von einem dauerhaft stabilen Verhaltensmuster auszugehen.
24
c) Jedoch halten die Beurteilung der Gefährlichkeit und die Ausübung des nach § 66 Abs. 2 StGB aF sowie § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF eingeräumten Ermessens auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
25
aa) Zunächst sind die Befunde des Sachverständigen hierzu dargestellt, der eine deutlich erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit für mit den Anlasstaten vergleichbare Taten des Angeklagten diagnostiziert und als besonders ungünstig und risikoerhöhend die dissoziale Persönlichkeitsstruktur gewertet hat. Auf dieser Grundlage stellt das Landgericht seinen Ausführungen den zutreffenden Obersatz voran, dass es zur Beurteilung der Gefährlichkeit einer rechtlichen Gesamtbewertung unter Berücksichtigung der individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die Delinquenz bedürfe.
26
Im Folgenden führt es nun mehrere Aspekte an, die die Gefährlichkeit des Angeklagten relativierten. So gelte dies für den Umstand, dass der Angeklagte nicht ausschließlich auf sexuelle Kontakte mit Kindern festgelegt sei, weswegen er nicht zwangsweise gehalten sei, seine sexuellen Bedürfnisse durch den Missbrauch von Kindern auszuleben. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Begehung der Taten zu Lasten der Geschädigten B. durch deren desolate häusliche Verhältnisse mitbegünstigt worden seien. Wären die Eltern nach Andeutungen der Kinder zu sexuellen Übergriffen ihrer Fürsorge- pflicht nachgekommen, hätte dies „einen Beitrag zumindest zur Verhinderung weiterer Taten leisten können“. Der Angeklagte suche sich seine Opfer aus dem bestehenden persönlichen Umfeld; Neigungen, sich gezielt unbekannte Mädchen zu suchen, seien nicht feststellbar.
27
Ohne ein abschließendes Ergebnis der Gefährlichkeitsprüfung mitzuteilen , wechselt das Landgericht zu der Ermessensausübung, indem es darlegt, dass „jedenfalls“ an diesem Prüfungspunkt die voraussichtlichen Wirkungen des langjährigen Freiheitsentzuges und des Fortschreitens des Lebensalters zu beachten seien. Beim Angeklagten sei eine gefahrvermindernde Haltungsänderung nicht von vornherein auszuschließen, ob eine solche eintreten werde, sei offen und hänge von seinem weiteren Verhalten im Vollzug ab. Schließlich könne der Gefährlichkeit auch durch eine risikoangepasst straffe Kontrolle im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden.
28
bb) Die Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose begegnen schon für sich genommen Bedenken, da sie lückenhaft sind und einen unzutreffenden Maßstab zugrunde legen.
29
Soweit das Landgericht die nicht auf pädophile Handlungen beschränkte Sexualität des Angeklagten gefahrreduzierend wertet, lässt es eine Auseinandersetzung damit vermissen, wieso dieser Umstand in Zukunft - anders als noch in der Vergangenheit - dazu führen sollte, dass der Angeklagte keine erheblichen Straftaten mehr begehen werde. Dies ist aber von Bedeutung, denn bei der Gefährlichkeitsprognose ist die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Der aufgrund einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung festgestellte gegenwärtige Hang ist hierbei wesentliches Kriterium (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011, NStZ-RR 2011, 272; Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Wenn aber die Nichtbeschränkung auf pädophile Sexualität der Annahme eines Hangs nicht entgegengestanden hat, wäre zu erörtern gewesen, inwieweit dieser Umstand zukünftig protektive Wirkung entfalten kann. Dies gilt zumal, da der Sachverständige trotz Berücksichtigung der nicht ausschließlichen Pädophilie ein deutlich erhöhtes Rückfallrisiko ermittelt hat, das Landgericht dies zugrunde legt und wie der Sachverständige die Dissozialität als gefahrsteigernden Faktor wertet.
30
Die Erwägungen zum Mitverschulden der Eltern der Geschädigten B. und zur Opferauswahl lassen erkennen, dass das Landgericht einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Dass es dem Angeklagten zukünftig deutlich erschwert werden könnte, vergleichbare - gerade im Hinblick auf das Fehlen schutzbereiter Fürsorgeverpflichteter besonders schutzbedürftige - Opfer zu finden, ist weder ausgeführt noch sind Anhaltspunkte hierfür ersichtlich. Der Annahme der Gefährlichkeit steht auch nicht entgegen, dass sich die Taten gegen aus dem persönlichen Umfeld des Täters stammende Opfer richteten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11, 272; Urteil vom 4. November 2009 - 2 StR 347/09, NStZ-RR 2010, 77).
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Eine positive Gefährlichkeitsprognose scheidet auch nicht bereits unter Berücksichtigung der noch wenige Monate Wirksamkeit beanspruchenden Weitergeltungsanordnung für das Recht der Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht und die danach gebotene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09, NJW 2011, 1931; vgl. hierzu nur BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012 - 1 StR 57/12) aus. Bei den vom Angeklagten zu erwartenden Taten des schweren sexuellen Miss- brauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 StGB handelt es sich um schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts (BGH, Beschlüsse vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11, 272; vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; auf Umstände des Einzelfalls abstellend, BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9), was das Landgericht auch nicht verkannt hat. Dies gilt auch für nur versuchte Deliktsformen nach dem hier vorliegenden Muster, denn auch damit ist typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11; BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; Renzikowski in Münchener Kommentar, StGB, 2012, § 176 Rn. 3 und 10 mwN). Dass der Angeklagte darüber hinaus - außer dem Auseinanderdrücken der Beine bei St. - keine Gewalt gegen seine Opfer angewandt hat und dies mithin auch zukünftig nicht hinreichend konkret zu erwarten steht, ist für die Einordnung der Delikte als schwere Sexualstraftaten unerheblich (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; zum Aspekt der Gewalt, vgl. aber auch Urteil vom 8.Februar 2012 - 2 StR 346/11). Denn schon ohne Gewaltanwendung ist die durch die Vorschrift geschützte sexuelle Entwicklung verletzt (vgl. BT-Drucks. 6/3521, S. 35; BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09, BGHSt 53, 283, 285). Hinzu tritt, dass es häufig für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von kindlichen Opfern aufgrund deren unzureichender Verstandes- und Widerstandskräfte des Einsatzes von Gewalt nicht bedarf (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11).
32
cc) Das Landgericht hätte zudem das Ergebnis der Gefährlichkeitsprognose nicht offen lassen dürfen. Dies lässt besorgen, dass es das Ermessen auf unzureichender Grundlage ausgeübt hat. Denn die Gefährlichkeit ist maßgebliches Kriterium bei der gebotenen Abwägung der Schutzinteressen der Allge- meinheit gegenüber dem Freiheitsrecht des Angeklagten. Bleibt das Maß der Gefährlichkeit ungeklärt, fehlt es an der erforderlichen Tatsachengrundlage für die Ermessensentscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass unter Anwendung zutreffender Maßstäbe die Schutzinteressen der Allgemeinheit stärker gewichtet und das Ermessen abweichend ausgeübt worden wäre.
33
dd) Darüber hinaus begegnen auch die Ausführungen zur Ermessensausübung durchgreifenden Bedenken.
34
Die Regelungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF haben Ausnahmecharakter , weil sie - anders als die Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB - eine frühere Verurteilung und Strafverbüßung nicht voraussetzen. Deshalb soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Hierfür sind die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen wichtige Kriterien , die deshalb im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 272).
35
Das Landgericht ist zwar von diesen Obersätzen ausgegangen, hat dann aber einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, indem es nur auf die nicht ausschließbare Möglichkeit einer Haltungsänderung abstellt. Konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe für die erforderliche Erwartung einer solchen Haltungsänderung - die das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe auch selbst nicht hegt - sind nicht belegt. Allein die Dauer des Strafvollzugs von zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch acht Jahren und sechs Monaten und das vom Angeklagten dann erreichte Lebensalter von 57 Jahren genügen hierzu nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08, NStZ 2010, 387, 389). Vielmehr hätte für die Erwartung einer zukünftig günstigen Prognose auch erörtert werden müssen, wie sich die Persönlichkeitsstörung zu den Erfolgsaussichten einer denkbaren Therapie verhält.

III.

36
Der Senat schließt aus, dass die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen niedriger ausgefallen wären, wenn das Tatgericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet hätte (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 24. November 2011 - 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156; vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 23. Februar 1994 - 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281).

IV.

37
Da sich nur aus den Gründen, nicht aber aus dem Tenor des landgerichtlichen Urteils ergibt, für welche Taten der Angeklagte zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und für welche er zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist, hat der Senat den Urteilsausspruch entsprechend klar gestellt.
Nack Rothfuß Graf Cirener Radtke

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 331/11 vom 24. November 2011 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2011, an der

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Feb. 2011 - 3 StR 466/10

bei uns veröffentlicht am 03.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 466/10 vom 3. Februar 2011 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar 2011, an der teilgenommen habe

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2013 - 1 StR 93/11

bei uns veröffentlicht am 10.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 93/11 vom 10. Januar 2013 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. hier: Verfahren gemäß § 275a StPO Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2013 beschloss

Bundesgerichtshof Urteil, 28. März 2012 - 2 StR 592/11

bei uns veröffentlicht am 28.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 592/11 alt: 2 StR 347/09 vom 28. März 2012 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28.
6 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 19. Feb. 2013 - 1 StR 275/12.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Apr. 2013 - 2 StR 1/13

bei uns veröffentlicht am 10.04.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 1/13 vom 10. April 2013 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April 2013, an der teilgenommen

Bundesgerichtshof Urteil, 23. Apr. 2013 - 5 StR 617/12

bei uns veröffentlicht am 23.04.2013

5 StR 617/12 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 23. April 2013 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. April 2013, an der teil

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2019 - 1 StR 612/18

bei uns veröffentlicht am 27.06.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 612/18 vom 27. Juni 2019 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2019:270619B1STR612.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbu

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Feb. 2013 - 1 StR 465/12

bei uns veröffentlicht am 19.02.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 465/12 vom 19. Februar 2013 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Februar 2013, an der

Referenzen

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.

(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 300/09
vom
4. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. August 2009 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 29. Januar 2009 im Ausspruch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung in den Fällen III. 1., III. 2. und III. 8. entfällt und der Angeklagte im Komplex III. 7. wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in fünf Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung , in einem Fall in Tateinheit mit schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Unterschlagung, sowie wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Zudem wurden die Sicherungsverwahrung angeordnet, ein Pkw eingezogen, die Fahrerlaubnis entzogen - unter Bestimmung einer Sperrfrist von fünf Jahren für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis - und der Führerschein eingezogen. Gegen diese Verurteilung wendet sich die Revision des Angeklagten unter Erhebung einer Formal- und der Sachrüge. Entscheidenden Erfolg hat die Revision allein hinsichtlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung.

I.


2
Der nicht vorbestrafte Angeklagte hatte regelmäßig Kontakt zu Prostituierten auf dem Straßenstrich in der tschechischen Republik. Ab dem Jahre 2000 entschloss er sich, sexuelle Handlungen gewaltsam zu erzwingen. Mit zehn Prostituierten schloss er in der Zeit von Mai 2000 bis April 2007 zum Schein Vereinbarungen über entgeltliche Dienstleistungen, um die Prostituierten dann an geeigneter Stelle mit Gewalt und mit entsprechenden Drohungen zur Duldung oder zur Vornahme von sexuellen Handlungen zu zwingen ohne zu bezahlen, meist - ebenfalls gegen deren Willen - ohne Benutzung eines Kondoms. Um die Prostituierten gefügig zu machen, drohte er mit Messern, schlug die Prostituierten meist mit den Fäusten und würgte einmal. In manchen Fällen nahm er zudem - unter Ausnutzung der Gewalt - Gegenstände an sich, wie eine Handtasche und Kleidungsstücke. Die Geschädigten erlitten Verletzungen, ein Faustschlag führte zu einem Kieferbruch. Zur Tarnung verwendete er verschiedene entstempelte Autokennzeichen.
3
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung im Wesentlichen bestritten. Kontakte zu Prostituierten in Tschechien hat er zwar bestätigt. Er habe Nähe, Wärme und Zärtlichkeit gesucht, wie etwa in dem Film „Pretty Woman“. Hinsichtlich der einzelnen Tatvorwürfe hat er in drei Fällen entsprechende Begegnungen überhaupt in Abrede gestellt („hat es nicht gegeben“). Zu vier Prostituierten gab er an, sich an ein Zusammentreffen erinnern zu können. Von seiner Seite aus sei aber nichts Strafbares geschehen. In zwei weiteren Fällen hat er das Vorzeigen eines Messers zugegeben. Nur in einem Fall hat er einen Schlag ins Gesicht, allerdings nur mit der flachen Hand (tatsächlich Würgen und mehrere Faustschläge mit Kieferbruch) und die Wegnahme - lediglich - einer Hose (tatsächlich auch die Handtasche) eingeräumt. Bei dieser Geschädigten entschuldigte er sich in der Hauptverhandlung - was diese allerdings nicht annahm - und überwies ihr 5.000,-- € als Schadensersatz. Messer und verschiedene Kennzeichen habe er nur zum Selbstschutz gegen Überfälle und unberechtigte Anzeigen bei sich geführt. Er sei mit Anzeigen bedroht worden - einmal habe er ein Bußgeld bezahlen müssen, nachdem er von einem Polizeibeamten im Auto mit einer Prostituierten erwischt worden sei. Prostituierte seien mehrfach nach Entgegennahme der Vorkasse einfach weggelaufen. Einmal sei er unter Bedrohung mit Stock und Messer zur Doppelzahlung gezwungen worden. Er habe den Straßenstrich als rechtsfreien Raum angesehen und dies entsprechend ausgenutzt.

II.


4
1. a) Wegen Verjährung entfallen in den Fällen III. 1. und III. 2. die jeweiligen tateinheitlichen Verurteilungen wegen Körperverletzung.
5
b) Bei den Taten zum Nachteil von C. (III. 7.) hat sich der Angeklagte nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen und der zutreffenden rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und (tatmehrheitlich) des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht. Die Strafkammer hat hierfür Einzelstrafen in Höhe von vier Jahren acht Monaten und von sechs Jahren (Einsatzstrafe) festgesetzt. Im Schuldspruch der Urteilsformel hat sich dies jedoch als „besonders schwere Vergewaltigung mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung“, also als tateinheitlicher Vorgang, niedergeschlagen. Der Senat hat dieses Versehen korrigiert.
6
c) Im Fall III. 8. entfällt nach den Feststellungen und der rechtlichen Würdigung des Landgerichts die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung. Damit wird lediglich ein Fassungsversehen bei der Formulierung des Urteilstenors korrigiert. Die Einzelstrafe bleibt hiervon unberührt. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung ausdrücklich gewürdigt, dass die Geschädigte dieser schweren Vergewaltigung durch den Angeklagten weder gewürgt worden sei noch hierdurch Verletzungen oder Beeinträchtigungen erlitten habe.
7
d) Im Übrigen sind der Schuld- und der Strafausspruch, die Einziehung des Pkw Citroen und die Entziehung der Fahrerlaubnis mit ihren Begleitent- scheidungen frei von Rechtsfehlern. Insoweit verweist der Senat zur Begründung auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 18. Juni 2009.
8
e) Im Hinblick auf die Gegenerklärung des Beschwerdeführers vom 13. Juli 2009 bemerkt der Senat ergänzend:
9
Die Informationen über die vergeblichen Bemühungen des Strafkammervorsitzenden außerhalb der Hauptverhandlung, im Ausland lebende Zeuginnen zu laden, beziehungsweise, deren Wohn- oder Aufenthaltsort zu ermitteln, stellen keine für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten im Sinne der §§ 273, 274 StPO dar. Dies bedarf daher nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift. Dass die Darstellung des Sachverhalts seitens des Strafkammervorsitzenden in seiner dienstlichen Erklärung zutrifft, wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt.
10
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist dagegen nicht rechtsfehlerfrei.
11
Als Grundlage für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kam nach der zutreffenden Auffassung des Landgerichts nur § 66 Abs. 2 StGB in Betracht. Gegen den Angeklagten wurden im angefochtenen Urteil neun Mal Freiheitsstrafen über drei Jahre (vier Jahre bis sechs Jahre) ausgesprochen, so dass die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB zweifelsfrei gegeben sind. Des Weiteren bedarf es der Feststellung eines Hanges (mit der Gefährlichkeitsprognose ) im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB und tragfähiger Ausführungen zur Ausübung des in § 66 Abs.2 StGB eingeräumten Ermessens zur Anordnung der Sicherungsverwahrung. Während die Darlegungen zum ersten der beiden genannten Punkte in den Gründen des angefochtenen Urteils tragen (a), werden die knappen Ausführungen, in denen die Ermessensausübung gesehen werden kann, im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB im Vergleich zur Anordnung nach § 66 Abs. 1 StGB den hieran zu stellenden Anforderungen nicht hinreichend gerecht (b).
12
a) Zur Feststellung des Hangs:
13
aa) Bei der Feststellung eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB referiert die Strafkammer zunächst die Darlegungen der Sachverständigen.
14
Diplom-Psychologin L. prognostiziert im Ergebnis ein „mittelgradiges Rückfallrisiko für weitere Sexualstraftaten“ beziehungsweise eine „mäßige bis mittelgradige Rückfallgeschwindigkeit für einschlägige Delikte“. Die Sachverständige verweist auch auf „Bagatellisierung und Leugnen“ seitens des Angeklagten.
15
Nach den Ausführungen des Leitenden Medizinaldirektors Dr. H. „sei aus psychiatrischer Sicht ein Hang im Sinne von § 66 StGB möglich, könne aber nicht mit hoher Beurteilungswahrscheinlichkeit bestätigt werden“. Eine Entlassung zum derzeitigen Zeitpunkt sei nicht zu verantworten; „die begonnene psychiatrische Behandlung weise auch den falschen Ansatz auf, da sie in den Mittelpunkt die ich-zentrierte Haltung des Angeklagten setze und eine Auseinandersetzung mit den dem Angeklagten vorgeworfenen Taten vermissen lasse. Auch seien in der Hauptverhandlung weiter Rechtfertigungsstrategien des Angeklagten vorgebracht worden, wie etwa das eigene Ausgenutztwerden von Prostituierten, selbst nach Zahlung von Vorkasse betrogen worden zu sein und die aufrechterhaltene Behauptung, Messer und Kennzeichen nur zum Selbstschutz mitgeführt zu haben, sowie die Bagatellisierung seiner Körperverletzungshandlungen dahingehend, er habe gar nicht so fest beziehungsweise auch nicht mit der Faust zugeschlagen.“
16
bb) Aufgrund eigener Bewertung kommt die Strafkammer dann zu einem eindeutigen Ergebnis: „Die Kammer ist aus rechtlicher Sicht unter Berücksichtigung der Hauptverhandlung und der Ausführungen der Sachverständigen davon überzeugt, dass ein Hang i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB beim Angeklagten vorliegt.“
17
cc) Teile der Ausführungen der Sachverständigen begegnen - für sich betrachtet - erheblichen Bedenken.
18
Wenn der Angeklagte die Taten „leugnet oder bagatellisiert“ ist dies zulässiges Verteidigungsverhalten. Wobei unter Bagatellisierung hier ersichtlich nicht die Verharmlosung oder Geringschätzung gestandener Maßen zugefügten Leides, insbesondere eingeräumter schwerer Verletzungen, oder gar die Verhöhnung der Opfer zu verstehen ist - dies dürfte dem Angeklagten angelastet werden -, sondern allein der Versuch des Angeklagten, das ihm vorgeworfene Verhalten anders darzustellen oder in einem milderen Licht erscheinen zu lassen , wie das Bestreiten von Fausthieben und der Behauptung, er habe stattdessen nur mit der flachen Hand zugeschlagen. Auch mögen seine „Rechtfertigungsstrategien“ , wie die Behauptung, er sei selbst zuvor Betrugsopfer von Prostituierten in Tschechien gewesen und er habe in diesem Bereich einen „rechtsfreien Raum“ gesehen, nicht allzu überzeugend sein. Eine verbotene oder auch nur die Belange der Geschädigten grob missachtende Verteidigungsstrategie stellt dies aber nicht dar. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf jedoch nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urt. vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07 m.w.N.).
19
Zu Lasten eines Angeklagten darf auch nicht herangezogen werden, dass die Therapie vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gegen den weitgehend bestreitenden Angeklagten eine Auseinandersetzung mit den ihm vorgeworfenen Taten vermissen lasse. Die berührt das Schweigerecht des Angeklagten (vgl. BGH, Beschl. vom 15. Januar 2008 - 4 StR 452/07 Rdn. 9) und - bei entsprechender Ausrichtung der Therapie - den Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare.
20
dd) Die Strafkammer hat zwar allgemein auf die Ausführungen der Sachverständigen Bezug genommen, deren Darlegungen zur Therapie und zur Bagatellisierung aber nicht ihrer eigenständigen Feststellung eines Hangs des Angeklagten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB und seiner aktuellen Gefährlichkeit zugrunde gelegt. Das Landgericht hat die entsprechenden sachverständigen Äußerungen ersichtlich nur als Hinweis darauf verstanden, dass dem - unabhängig davon festgestellten Hang und der Gefährlichkeit des Angeklagten - derzeit in seiner Person liegenden Gründen nicht ausreichend begegnet werden kann, und die Sachverständigen insoweit auch nur deshalb zitiert.
21
b) Zur Ermessensausübung:
22
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dies unterliegt zwar nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war; sie müssen auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (BGH, Beschl. vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02 m.w.N.). Die revisionsrechtliche Überprüfung erstreckt sich dann vor allem darauf, ob der Tatrichter bei der Ermessensausübung von einem zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Ansatz ausgegangen ist.
23
Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB beim Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen nicht als zwingend angesehen wurde, wenn auch von einer Ermessensausübung nicht ausdrücklich gesprochen wird. Bei seiner Entscheidung hat das Landgericht - ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe - allerdings einen verkürzten rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es entscheidend auf die aktuelle Gefährlichkeit des Angeklagten abgestellt hat und gemeint hat, es könne offen bleiben, „ob und in wieweit durch die Inhaftierung und des nach Haftverbüßung fortgeschrittenen Lebensalters und des nach Angaben des Sachverständigen damit regelmäßig verbundenen abnehmenden Sexualtriebs eine Verhaltensänderung herbeigeführt werden kann, aufgrund derer die Gefährlichkeit des Angeklagten künftig zu verneinen sein wird, zumal das Tatbild nicht primär von einem übersteigerten Sexualtrieb geprägt ist, den der Angeklagte angesichts seiner finanziellen Mittel auch in sonstiger Weise hätte befriedigen können, sondern von dem Ansporn, Macht über die sich in einem ‚rechtsfreien Raum’ betätigenden Prostituierten auszuüben. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine solche Entwicklung beim Angeklagten alleine aufgrund des anstehenden Strafvollzugs nicht absehbar. Die weiteren Entscheidungen werden dem Strafvollzug vorbehalten bleiben müssen“, so die Strafkammer.
24
Dies wird den Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes (§ 66 Abs. 2 StGB) nicht gerecht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass Absatz 2 - im Gegensatz zu Absatz 1 - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (vgl. BGH, Urt. vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07 Rdn. 8 und Beschl. vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 66 Rdn. 232 unter Hinweis auf die Berichte des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BTDrucks. V/40941 S. 21). Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Es besteht zwar keine Vermutung dahingehend, dass langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird. Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherige Erfahrung des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug ist, desto mehr muss sich der Tatrichter aber mit diesen Umständen auseinandersetzen (BGH aaO). Von vorneherein offen lassen kann er dies jedenfalls nicht. Der Hinweis auf das Motiv der Taten des Angeklagten besagt zur voraussichtlichen Wirkung des Strafvollzugs nichts. Der verbleibende lapidare Satz, wonach eine solche (positive) Entwicklung derzeit nicht absehbar sei, und der bloße Verweis auf die weiteren Entscheidungen während der Strafvollstreckung werden dem Ausnahmecharakter der Regelung des § 66 Abs. 2 StGB nicht gerecht.
25
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei vertiefter Auseinandersetzung mit der Kriminalprognose des Angeklagten zu einem für diesen positiveren Ergebnis gekommen wäre und dann von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hätte. Dies bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Nack Wahl Kolz RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Hebenstreit Nack

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 57/12
vom
24. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2012 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 15. November 2011 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO). Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
2
Während der 1989 geborene Angeklagte an "Familienplanung" dachte, wollte seine Freundin eher eine "Wochenendbeziehung". Er schied bei der Bundeswehr aus, um mehr Zeit für sie zu haben. Die Freundin hatte ihm im Vorfeld dieser Entscheidung weder zu- noch abgeraten. Er verübelte ihr letztlich den Verlust seines "Traumjobs" und fühlte sich nicht ernst genommen. Der Stand der Beziehung wurde unklar. Einerseits "endete" sie, andererseits hatten seine "Annäherungsversuche" noch "teilweise" Erfolg. Sie sprach von "Nachdenken" , er hoffte. Insgesamt war er sehr unzufrieden, er projizierte "Hass und Wut" immer mehr auf "die Frauen im Allgemeinen".
3
Er wollte sich an jungen, äußerlich seiner Freundin ähnlichen Frauen rächen und sie physisch und psychisch verletzen. Daher fuhr er zwischen Ende Oktober 2010 und Ende März 2011 in insgesamt acht Fällen nachts mit dem Pkw herum, bis er ihm geeignet erscheinende Opfer, die zwischen 14 und 21 Jahre alt waren und z.B. aus der Diskothek kamen, traf. Er griff sie von hinten an, schlug und boxte sie, riss sie zu Boden und trat auf sie ein oder kniete sich auf sie und schlug. Sein Gesicht war dabei durch eine schwarze Sturmhaube mit zwei Sehschlitzen verborgen. Am Ende, oder wenn ein Opfer zu schreien begann, rannte er weg. Ein Zusammenhang mit sexuellen Empfindungen beim Angeklagten war bei alledem nicht feststellbar. Die meist länger anhaltenden psychischen Folgen der unerwarteten nächtlichen Attacken durch einen "Maskenmann" bei den Opfern überwogen deren körperliche Schmerzen (z.B. durch Boxhiebe in den Bauch oder Hämatome) bei weitem.
4
2. Nach Maßgabe der in Details abweichenden Geschehensabläufe (manchmal waren es zwei Opfer gleichzeitig, manchmal hatte er sich gezielt - z.B. im Gebüsch - versteckt; im letzten Fall flüchtete er, als die Frau zu schreien anfing und auf ihn einschlug, als er ihr in das Haus folgen wollte) wurde der Angeklagte wegen
5
- vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen;
6
- gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen (hinterlistiger Überfall wegen Versteckens, vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1968 - 2 StR 54/68, GA 1969, 61, 62), davon zweimal zum Nachteil von zwei Opfern;
7
- versuchter vorsätzlicher Körperverletzung (letzter Fall)
8
verurteilt.
9
Gegen den nicht vorbestraften Angeklagten, bei dem nach sachverständiger Beratung keine Anhaltspunkte für ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB feststellbar waren, wurden differenziert nach dem jeweiligen Tatgeschehen folgende Einzelstrafen verhängt:
10
- einmal ein Jahr und neun Monate (Einsatzstrafe);
11
- zweimal ein Jahr und sechs Monate;
12
- einmal ein Jahr;
13
- dreimal neun Monate;
14
- einmal sechs Monate (Versuch).
15
Hieraus wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gebildet.
16
3. Zugleich hat die Strafkammer Sicherungsverwahrung angeordnet.
17
a) Formal wurden die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht, weil aus den Einzelstrafen von über einem Jahr - insoweit wäre auch die Einzelstrafe von einem Jahr zu berücksichtigen gewesen - (fiktiv) eine Gesamtstrafe von drei Jahren zu bilden gewesen wäre (vgl. schon BGH, Urteil vom 31. August 1995 - 4 StR 295/95, NJW 1995, 3263).
18
b) Hang und Gefährlichkeit als materielle Voraussetzungen von Sicherungsverwahrung lägen vor, was, so die Strafkammer, die Anhörung von zwei Sachverständigen überzeugend ergeben habe. Auch wenn der Angeklagte noch jung und unvorbestraft sei und sozial bisher unauffällig gelebt habe, müsse ihm eine ungünstige Kriminalprognose gestellt werden. Dies ergebe sich, ohne dass hier die Urteilsausführungen in allen Einzelheiten nachzuzeichnen wären, im Wesentlichen aus Folgendem: Die Taten seien persönlichkeitsbe- gründet, er nehme eigene Schwächen oder Insuffizienzen kaum wahr. Negative Emotionen seien für ihn nicht spürbar. Soziale Interaktionen mit negativen Emotionen überforderten ihn. In Krisen könne er nur schwer sein inneres Gleichgewicht halten und er entwickle bei Trauer, Enttäuschung und Wut keine adäquaten Bewältigungsstrategien. Er sei der Meinung, an seiner Lage trügen "die Frauen an sich" die Schuld. Insbesondere könne er nicht über Gefühle reden, sodass damit zu rechnen sei, dass sich ein Gefühlsstau in Gewalttaten kanalisiere. Es fiele auch ins Gewicht, dass die Taten in immer kürzeren zeitlichen Abständen begangen worden seien; zu den ersten vier Taten war es zwischen Oktober 2010 und Januar 2011 gekommen, zu den letzten vier im März 2011. Auch zeige die - als Versuch freilich mit sechs Monaten am niedrigsten von allen Taten geahndete - letzte Tat eine zunehmende Steigerung der Gefährlichkeit , weil der Angeklagte dem Opfer bis zur Haustür gefolgt sei. Insoweit zusammenfassend führt die Strafkammer aus, insgesamt bestehe "eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte in Zukunft erneut gewaltsame Überfälle auf Frauen begehen wird. Es besteht auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in Zukunft zu einer weiteren Progredienz ... bis ... zu ... Tötungsdelikten kommen wird. Diese Überzeugung hat sich die Kammer aus dem unmittelbaren Eindruck von dem Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie den Ausführungen des Sachverständigen ... gebildet, der eine sehr hohe Rückfallwahrscheinlichkeit annimmt."
19
4. Die Revision des Angeklagten ist auf die Sachrüge gestützt. Sie ist näher ausgeführt hinsichtlich eines Rücktritts vom Versuch und hinsichtlich der Sicherungsverwahrung. Die Revision bleibt zum Schuldspruch und zum Strafausspruch erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO); die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben (§ 349 Abs. 4 StPO).

20
a) Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Die Ausführungen der Revision können die nach ihrer Auffassung übersehene Möglichkeit eines freiwilligen Rücktritts im letzten Fall, als der Angeklagte flüchtete, nachdem die von ihm verfolgte Frau schrie und auf ihn einschlug, nicht nachvollziehbar verdeutlichen. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
21
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann dagegen keinen Bestand haben.
22
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sämtliche die Anordnung von Sicherungsverwahrung betreffenden Bestimmungen als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Zugleich hat es angeordnet, dass diese Bestimmungen nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung noch bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens aber bis zum 31. Mai 2013 - unter Beachtung eines strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzuwenden sind. Dieser Grundsatz wird dabei in der Regel nur gewahrt sein, wenn die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG aaO, zusammenfassend BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1048/11).
23
(2) Es ist nicht hinreichend deutlich zu erkennen, dass sich die Strafkammer , die die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht erwähnt, in dem gebotenen Umfang damit befasst hat, dass Sicherungsverwahrung nur noch nach einem gegenüber der früheren Rechtslage strengeren Maßstab angeordnet werden kann. Dieser strengere Maßstab betrifft beide Elemente der Gefährlichkeit, also sowohl die Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten, als auch die Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 5 StR 535/11 mwN).
24
(a) Freilich wären zu erwartende vorsätzliche Tötungsdelikte unabhängig vom anzulegenden Maßstab auf jeden Fall schwerste Straftaten.
25
(b) Die erforderlichen "konkreten Umstände", die diese Taten künftig erwarten lassen, sind jedoch nicht tragfähig festgestellt. Die Erwägungen hierzu knüpfen im Wesentlichen an die Einschätzung innerpsychischer Vorgänge beim Angeklagten an und kaum an nach außen erkennbar gewordenes Geschehen. Daraus, dass - dies ist nach außen erkennbar geworden - zwischen den Taten zuletzt ein Abstand von ein bis zwei Wochen lag, während er zuvor etwas länger war, lässt sich tragfähig ebenso wenig die Gefahr von künftigem Mord oder Totschlag ableiten wie daraus, dass sich der Angeklagte (erneut) durch Schreien und (hier auch) Schläge in die Flucht schlagen ließ, nachdem er einer jungen Frau ins Haus folgen wollte.
26
(3) Unabhängig davon erscheint der in einer Hauptverhandlung gewonnene persönliche Eindruck schwerlich eine tragfähige Grundlage für die Annahme , von einem Täter seien, anders als bisher, künftig Tötungsdelikte zu erwarten. Bei einer derart ungewöhnlichen Prognose hätte es näherer und konkretisierender Darlegung bedurft, worauf sich dieser Eindruck stützt. Soweit schließlich auf die vom Sachverständigen gesehene hohe "Rückfallwahrscheinlichkeit" verwiesen ist, ist dies insoweit unklar, als es nicht um einen Rückfall in früher aufgetretene Verhaltensweisen geht, sondern um eine Steigerung des bisherigen, von der Strafkammer als "mittlere" Kriminalität bewerteten strafbaren Verhaltens hin zur Schwerstkriminalität.
27
Über die Anordnung von Sicherungsverwahrung ist daher neu zu befinden.
Nack Wahl Graf Sander Cirener

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 592/11
alt: 2 StR 347/09 vom
28. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 24. August 2011 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Trier vom 19. März 2009 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 20 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, weil die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten hatte (Urteil vom 4. November 2009 - 2 StR 347/09, NStZ-RR 2010, 77). Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil hat der Senat mit Beschluss vom selben Tag als unbegründet verworfen. Mit nunmehr angefochtenem Urteil hat das Landgericht auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2
Nach den insoweit bindenden Feststellungen zum Schuldspruch im Urteil des Landgerichts vom 19. März 2009 nahm der Angeklagte zwischen Juni 2007 und Mai 2008 in 20 Fällen sexuelle Handlungen an dem damals 12 bzw.
13 Jahre alten Enkelsohn seiner ehemaligen Lebensgefährtin vor, wobei er in allen Fällen u.a. den Analverkehr vollzog. Diese Taten beging der Angeklagte, der mit Urteil vom 20. Juli 2005 (8007 Js 22851/03.Ls) durch das Amtsgericht Trier bereits wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war, innerhalb laufender Bewährungszeit.
3
Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist nicht begründet.
4
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).
5
2. Die Überprüfung aufgrund der Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
6
a) Das Landgericht hat zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hinreichende eigene Feststellungen getroffen und diese dem Straf- und Maßregelausspruch rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Zwar hat es in den Urteilsgründen ausgeführt, dass "infolge der auf den Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen beschränkten Teilaufhebung (...) die Feststellungen zur Person des Angeklagten und zur Sache in Rechtskraft erwachsen" seien (UA S. 3) und im Anschluss daran die insoweit aufgehobenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem Urteil vom 19. März 2009 wörtlich und in An- und Abführungszeichen gesetzt übernommen. Diese für sich genommen rechtsfehlerhaften Ausführungen nötigen aber entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht zur (erneuten) Aufhebung des Urteils.
7
Nach Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen durch das Revisionsgericht ist der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter gehalten, eigene Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen und diese im Urteil mitzuteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2003 - 4 StR 467/03, StraFo 2004, 211; Senat, Beschluss vom 28. März 2007 - 2 StR 62/07, NJW 2007, 1540, 1541; vgl. auch Appl, FS Rissing-van Saan, S. 35, 42). Hat der Angeklagte in dem neuen Verfahren dieselben Angaben gemacht, wie sie in dem früheren, jedoch insoweit aufgehobenen Urteil enthalten sind, kann zwar auf die aufgehobenen Feststellungen aus dem früheren Urteil nicht Bezug genommen werden; sie können jedoch - auch im Wortlaut - in das neue Urteil übernommen werden, sofern kein Zweifel daran verbleibt, dass es sich um neue, eigenständig getroffene Feststellungen handelt (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 24/00, BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Bezugnahme 3; Beschlüsse vom 14. Oktober 2008 - 4 StR 167/08, NStZ-RR 2009, 148, 149 sowie 4 StR 172/08, NStZ-RR 2009, 91, 92; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 354 Rn. 46). Diesen Anforderungen hat das Landgericht entsprochen, indem es im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt hat, dass zum Lebensweg des Angeklagten "die Beweisaufnahme keine weitergehenden Feststellungen erbracht", der Angeklagte "die in dem angefochtenen Urteil zu seiner Person getroffenen Feststellungen ausdrücklich als zutreffend bezeichnet und diese vor der Kammer im Einzelnen wiederholt" habe und keine Veranlassung bestanden habe, die Angaben in Zweifel zu ziehen (UA S. 7). Diese Ausführungen belegen, dass sich das Landgericht - anders als in den Ausführungen auf UA S. 3 zum Ausdruck gebracht - nicht an die vom Senat aufgehobenen Feststellungen aus dem Urteil vom 19. März 2009 gebunden gesehen und zutreffend eigenständig inhaltsgleiche Feststellungen getroffen hat.
8
b) Auch im Übrigen ist die Strafzumessung rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht im Hinblick auf die konkreten Tatumstände und das Bewährungsversagen des Angeklagten eine Milderung des Strafrahmens nach § 176a Abs. 4 StGB abgelehnt hat.
9
c) Die Maßregelanordnung ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.
10
aa) Die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung sind, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 4. November 2009 festgestellt hat, erfüllt. Das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2300) enthält keine dem Angeklagten günstige Änderung.
11
bb) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - mit tragfähiger Begründung festgestellt, dass der Angeklagte, bei dem eine homophile Alterspädophilie vorliegt, infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Entgegen den Ausführungen der Revision steht dieser Annahme nicht entgegen, dass sich die Anlasstaten wie schon die früher abgeurteilten Taten gegen ein aus dem sozialen Umfeld des Täters stammendes Opfer richteten (vgl. hierzu bereits die Ausführungen im Senatsurteil vom 4. November 2009, NStZ-RR 2010, 77 mwN). Das Landgericht hat zudem ausdrücklich in den Blick genommen, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) die hier maßgeblichen Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung verfassungswidrig sind und diese bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nur nach Maßgabe der Gründe jener Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach unterliegt die Anordnung der Maßregel einer "strikten Verhält- nismäßigkeitsprüfung". Gemessen daran ist die Verhältnismäßigkeit in der Regel nur gewahrt, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11, NStZ 2012, 32; Urteil vom 19. Oktober 2011 - 2 StR 305/11, StV 2012, 213, 214; Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 2 StR 288/11). Rechtlich zutreffend hat das Landgericht Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, deren Begehung durch den Angeklagten auch künftig zu erwarten ist, im konkreten Fall als solchermaßen "schwere Sexualstraftaten" im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts eingeordnet (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11, StV 2012, 212, 213, Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1, vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11 und vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9).
12
Das Landgericht hat sich sowohl im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als auch bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung erschöpfend mit der Frage auseinandergesetzt, ob andere geeignete Maßnahmen gegeben sind, um der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit zu begegnen oder diese zumindest erheblich abzuschwächen. Dies hat es mit tragfähiger Begründung verneint. Entgegen dem Revisionsvorbringen musste sich das Landgericht dabei nicht ausdrücklich mit dem Umstand befassen, dass der Angeklagte erstmals zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und bislang "praktisch nicht" therapiert wurde. Die Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können zwar im Einzelfall wesentliche gegen die Anordnung der Maßregel sprechende Gesichtspunkte darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - 5 StR 421/10, StV 2011, 276). Ein Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens aber nur dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen. Vielmehr bedarf es - worauf der Senat bereits in seinem Urteil vom 4. November 2009 hingewiesen hat (vgl. NStZ-RR 2010, 77, 78) - zumindest konkreter Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg (vgl. auch BGH, Urteile vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337, 338 und vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 sowie Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66 Rn. 233). Solche sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Das Verhalten des Angeklagten im Strafvollzug und zukünftig möglicherweise eintretende Haltungsänderungen werden demnach im Rahmen der obligatorischen Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteile vom 4. Februar 2004 - 1 StR 474/03, NStZ-RR 2004, 202, 203, und vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337; Fischer StGB 59. Aufl. § 66 Rn. 36). Ernemann Appl Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 328/11
vom
26. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. März 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen des vom Landgericht angewendeten § 66 Abs. 2 StGB aF vor, dessen Änderung durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 zu keiner abweichenden Beurteilung zugunsten des Angeklagten führt (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB). Hingegen bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Annahme der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB insbesondere bei Beachtung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 ua - Rn. 172, NJW 2011, 1931, 1946) erlassenen Weitergeltungsanordnung, welche die Strafkammer bei Erlass der angefochtenen Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte.
3
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwah- rung nur nach Maßgabe einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ ange- wandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11).
4
Jedenfalls nach diesem Maßstab hat das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine daran anknüpfende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet. Das Landgericht hat nicht näher dargelegt, auf welche konkreten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern“(UA S. 52, 55) sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Straftaten von ihm mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die Entscheidungsgründe nicht den Darstellungsanforderungen, die von der Rechtsprechung an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose gestellt werden, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, NStZ 1995, 178; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Beschluss vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11).
5
Soweit die Strafkammer vor dem Hintergrund der Anlasstaten auf die fest verwurzelte pädophile Neigung des Angeklagten und auf eine verharmlosende Haltung zur Kinderpornografie abgestellt hat, deren Konsum ihn eigenen Angaben zufolge von sexuellen Übergriffen auf Kinder abgehalten habe, mag dies einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach der Art und mit dem Gewicht der Anlasstaten gemäß § 184b Abs. 1 und 2 StGB belegen. Derartige Delikte des Umgangs mit Kinderpornografie, dessen Strafbarkeit nach dem gesetzlichen Regelungszweck des § 184b StGB darauf abzielt, der mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern entgegenzuwirken (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl., § 184b Rn. 2), sind allerdings nicht als ausreichend schwere (Sexual-)Straftaten anzusehen, auf die sich nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts der kriminelle Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF beziehen muss.
6
Für einen Hang des Angeklagten auch zu erheblichen Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ließen sich zwar die vom Landgericht gewürdigten Vortaten anführen, zu denen auch Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB zählten, die grundsätzlich „schwere Sexualstraftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bun- desverfassungsgerichts darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11). Die letzten dieser Taten lagen jedoch über zwölf Jahre zurück. Das darin vom Landgericht erkannte, aber ohne Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose erachtete „Abschwächen der Deliktsintensität“ (UA S. 55, 59) hätte bereits bei der für das Vorliegen eines Hangs vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten maßgebend sind.
7
Bei einer sorgfältigen Gesamtwürdigung hätte es auch der Erörterung jener Gesichtspunkte bedurft, welche die sachverständig beratene Strafkammer insoweit rechtsfehlerfrei zur Begründung ihrer Überzeugung angeführt hat, dass die bei dem Angeklagten festgestellte Pädophilie keine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit bewirkt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 Rn. 6). Hierzu hat das Landgericht etwa die Fähigkeit des Angeklagten gezählt, sich über einen längeren Zeitraum weitgehend normgemäß zu verhalten und sich - in Bezug auf eine früher langjährig bestehende Alkoholproblematik und Nikotinsucht - auch einem starken inneren Verlangen zu widersetzen (UA S. 46 f.). Überdies hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Angeklagte sexuell nicht völlig auf Kinder fixiert sei, sondern sexuelle Kontakte in der Vergangenheit auch mit Erwachsenen gelebt habe. Zudem gehe es dem Angeklagten bei seinen Kontakten zu Kindern nicht ausschließlich um sexuelle Kontakte, vielmehr habe die nichtsexuelle Beschäftigung mit Kindern einen „Eigenwert“ vor dem Hintergrund seiner schwerenkörperlichen Behinde- rung und der damit seit seiner Jugend einhergehenden Schwierigkeiten, Kontakte zu gleichaltrigen Personen herzustellen (UA S. 48). Die Erwähnung dieses Umstands steht allerdings in einem Kontrast zu dem nachfolgend im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose mehrfach als ungünstig angeführten Gesichtspunkt , dass der Angeklagte gegen die früher von ihm selbst erwogene Rückfallvermeidungsstrategie , den Kontakt zu Kindern überhaupt zu meiden, wiederholt verstoßen habe (UA S. 56 f.).
8
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht hinreichend deutlich erkennen , inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige, dessen Ausführungen auch nur vereinzelt gestreift werden, in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten abgewichen und zu einer geänderten Gefährlichkeitsprognose gelangt ist (UA S. 55).
9
Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neue tatrichterliche Verhandlung noch zur Feststellung von Umständen führt, die bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden.
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 221/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und zu 2. auf dessen Antrag -
am 11. August 2011 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 1. Dezember 2010 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.
C) Tat 9 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte - des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in einem Falle in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, - des sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, - des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und - des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen - schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in einem Falle in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, - sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und - sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren im Falle II. C) Tat 9 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO ein, denn die Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF). Danach ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung aufgrund zuvor genossenen Alkohols "in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit noch erheblich vermindert war". Ist indes die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen , erheblich vermindert, so kommt es für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit entscheidend darauf an, ob ihm deswegen diese Einsicht fehlt oder ob er gleichwohl über sie verfügt. Hat der Täter nicht die Einsicht in das Unerlaubte seines Handelns und kann ihm dies auch nicht vorgeworfen werden, so handelt er nach § 17 Satz 1 StGB ohne Schuld (BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 21 Rn. 3 mwN). Das Landgericht stellt aber weder fest, dass der Angeklagte das Unerlaubte seines Handelns ungeachtet der erheblichen Beeinträchtigung seiner Einsichtsfähigkeit erkannte , noch, dass ihm diese Einsicht aus vorwerfbaren Gründen fehlte.
3
Die Einstellung führt zu der in der Entscheidungsformel enthaltenen Änderung des Schuldspruchs. Die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren hat gleichwohl Bestand. Angesichts der verbleibenden zwölf Einzelfreiheitsstrafen - unter anderem sechs Jahre und sechs Monate, sechs Jahre, dreimal vier Jahre sowie drei Jahre - kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht die Gesamtstrafe bei Wegfall der für diese Tat verhängten Freiheitsstrafe von acht Monaten milder bemessen hätte.
4
2. Auch im Falle II. B) Tat 7 der Urteilsgründe hat der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF) keinen Bestand. Dazu, ob der hier Geschädigte auf Grund altersbedingter Unreife außerstande war, eine verantwortliche Entscheidung über die Duldung der sexuellen Handlungen des Angeklagten zu treffen (vgl. Fischer aaO § 182 Rn. 12), verhält sich das Urteil nicht. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte sein Glied vielmehr unter Ausnutzung des Umstands in den After des Geschädigten ein, dass dieser nach Alkoholgenuss eingeschlafen war.
5
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen insoweit jedoch eine Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte, der diesen Tatvorwurf eingeräumt hat, bei dessen zutreffender rechtlicher Bewertung nicht anders hätte verteidigen können. Mit Blick auf den im Vergleich zu § 182 Abs. 2 StGB aF höheren Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB ist auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf eine geringere Einzel- und Gesamtstrafe erkannt hätte.
6
3. Die weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
7
a) Insbesondere ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) nicht zu beanstanden. Ohne Rechtsfehler geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte eine ausgeprägte , tief verwurzelte Neigung zum Geschlechtsverkehr mit Kindern und Jugendlichen hat, der er nun über mehrere Jahre hinweg mit sich steigernder Intensität und Gewaltbereitschaft nachgegangen ist. Sachverständig beraten kommt es zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin sexuelle Praktiken wie Oral- und Analverkehr mit männlichen Kindern und Jugendlichen ausüben und diese dadurch seelisch und auch körperlich schädigen wird. Danach begründen konkrete, aus Person und Verhalten des Angeklagten abzuleitende Umstände die Gefahr, dass er weitere, auch schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB begehen wird. Nach Ansicht des Senats ist sexueller Missbrauch eines Kindes nach § 176a Abs. 2 StGB wegen der dafür an- gedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen erheblichen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftat" im vorbezeichneten Sinne anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11 zu Taten nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB).
8
b) Ebenso wenig ist die vom Landgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung (§ 66 Abs. 2 und 3 StGB) angestellte Erwägung zu beanstanden, auch der - überhaupt erstmalige - Vollzug einer Freiheitsstrafe von elf Jahren lasse beim Angeklagten keine durchgreifende, die Sicherungsverwahrung entbehrlich machende Haltungsänderung erwarten. Ohne Rechtsfehler schließt das Landgericht aus der Entwicklung der Einlassungen des Angeklagten, dass sein (Teil-)Geständnis und die Bekundung von Therapiebereitschaft bislang eher prozesstaktischer Motivation entsprangen. Sind zum Zeitpunkt der Aburteilung positive Veränderungen durch den nachfolgenden Strafvollzug zwar denkbar, aber nicht sicher zu erwarten, so muss die Prüfung, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung (noch) erfordert, dem späteren Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB vorbehalten bleiben (Fischer aaO § 66 Rn. 36).
Schäfer Pfister von Lienen Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 208/11
vom
2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
2. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 10. Februar 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen, sexuellen Missbrauch eines Kindes in zwei Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, Tatwerkzeuge eingezogen und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge sowie eine Einzelbeanstan- dung gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während der Schuld- und Strafausspruch rechtsfehlerfrei sind, hält die Maßregelanordnung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, die Anordnung verstoße gegen das Verbot der doppelten Bestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (NStZ 2010, 263) die Sicherungsverwahrung als Strafe eingeordnet habe; eine solche dürfe neben der erkannten Freiheitsstrafe nicht mehr verhängt werden.
4
Diese Einordnung der Sicherungsverwahrung hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Erörterung getroffen, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB, § 7 Abs. 2 JGG) sowie die nachträgliche Entfristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB) gegen das Verbot rückwirkender Straferhöhung (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK) verstoßen. Sie hat keine Bedeutung für die gleichzeitige Verhängung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010 - Nr. 24478/03 G. ./. Deutschland - sowie Urteile vom 9. Juni 2011 - Nr. 30493/04 S. ./. Deutschland - und 31047/04 und 43386/08 M. ./. Deutschland; vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 27. September 1995 - 2 BvR 1734/90, NStZ-RR 1996, 122).
5
2. Hingegen bestehen gegen die Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durchgreifende Bedenken. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09). Das Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wenn sich der Täter über längere Zeiträume straflos verhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204).
6
An dieser sorgfältigen Gesamtwürdigung fehlt es vorliegend. Es hätte der Würdigung auch all der Umstände bedurft, die das Landgericht (ausschließlich ) zur Begründung seiner Überzeugung angeführt hat, warum die bei dem Angeklagten festgestellte "homosexuelle Hauptströmung" mit einer "Präferenz auf vorpubertierende Jungen" nicht zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Die Strafkammer hat dabei darauf abgestellt, dass der Angeklagte zwar in den Jahren 1978, 1981, 1983, 1986 und 1994 immer wieder bestraft wurde, indes nach seiner letzten Entlassung aus dem Strafvollzug im Frühjahr 1997 beruflich einen Abschluss erlangte, wieder über längere Phasen hinweg arbeitete sowie mehrere Jahre eine auch sexuell erfüllte Beziehung zu einer erwachsenen Frau hatte. Auch nach deren Beendigung im Jahr 2003 habe er sich weitere sechs Jahre straffrei verhalten. Dies belege, dass der Angeklagte grundsätzlich zu normgerechtem Verhalten fähig sei. Diese Umstände, die das Landgericht - insoweit rechtsfehlerfrei - bei der Entscheidung über die Schuldfähigkeit des Angeklagten erwogen hat, hätten auch bei der über einen Hang nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Erörterung bedurft.
7
3. Zudem lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich das Landgericht bei der auf § 66 Abs. 2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung des ihm dabei eingeräumten Ermessens bewusst war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438). Dass das Landgericht eine Ermessensentscheidung getroffen hat, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Der Senat kann dies - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht sicher entnehmen. Die Erwägungen des Landgerichts zur möglicherweise eintretenden Haltungsänderung des Angeklagten während des Strafvollzugs befinden sich in dem Abschnitt der Urteilsgründe, der sich mit der Gefährlichkeit des Angeklagten befasst. Sie schließen auch sprachlogisch ("Dabei ist …") an die Darlegung der Gefahrenprognose an. Die dabei neben anderen zitierte Entscheidung (BGH, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337) betrifft die Frage, unter welchen (außergewöhnlichen) Umständen bei der Prognose ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Entlassung abgestellt werden kann.
8
Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten (BGH, Beschluss vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12).
9
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
10
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Be- stimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
11
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
12
a) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstrafta- ten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
13
Nach Ansicht des Senats sind Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
14
b) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Der neue Tatrichter wird, sofern er erneut zur Feststellung eines Hangs gelangt, die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere auch damit auseinandersetzen müssen, dass sich der Angeklagte über einen langen Zeitraum straffrei verhalten hat. VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister Mayer Menges
5 StR 267/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 21 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 77 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Jugendlicher in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs Jugendlicher in 33 Fällen und wegen Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte in der Zeit von Mitte Juni 2002 bis Oktober 2007 an 16 Jungen im Alter zwischen elf und 15 Jahren – oftmals gegen Entgelt – sexuelle Handlungen unterschiedlichen Ausmaßes bis hin zum wechselseitigen Oralverkehr vor.
3
Das Landgericht hat Einzelstrafen zwischen sechs Monaten und vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verhängt. Das Vorliegen minder schwerer Fälle hat es in allen in Betracht kommenden Fällen verneint. Ferner hat es die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen.
4
2. Die Einwendungen gegen den Schuldspruch sind unbegründet. Auch die Zumessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe hält sachlichrechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere besorgt der Senat trotz wiederholter uneingeschränkter Erwähnung noch nicht, dass das Landgericht im Rahmen der Einzel- und Gesamtstrafbildung im Nachhinein erkennbar gewordene schwere psychische Schäden von Tatopfern sowie den besonderen Aufwand und das systematische Vorgehen, durch das der Angeklagte die Jungen an sich gebunden hatte, zu weitgehend zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, ferner die Strafen nicht ausreichend differenziert und unter teilweise zu weitreichender Anlastung krimineller Energie gebildet hätte (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 661).
5
3. Indes hält die Begründung des Maßregelausspruchs – ungeachtet der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF, welche die Strafkammer noch nicht berücksichtigen konnte – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Strafkammer begründet ihre Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB aF maßgebend auch damit, dass der Angeklagte seine Taten „bagatellisiere und aufgrund seiner histrionischen Persönlichkeit sein eigenes Verhalten schönfärbe, so dass eine ech- te Einsicht in sein Fehlverhalten nicht zu erkennen“ sei. Diese und weitere Erwägungen zur Einlassung des Angeklagten (UA S. 240 f.) lassen besorgen , dass die Strafkammer bei der Prüfung des Hangs und im Rahmen der Gefahrenprognose sowie der Ermessensentscheidung zulässiges Verteidigungsverhalten zu dessen Nachteil verwertet hat. Bei der Verwendung der Begriffe der Bagatellisierung oder der mangelnden Einsicht hat es nämlich nicht etwa auf eine Geringschätzung eingestandenen Unrechts abgestellt, sondern im Wesentlichen das Bestreiten von die Strafbarkeit begründenden und das Behaupten von schuldmindernden tatsächlichen Umständen herangezogen. Der Versuch eines Angeklagten, das ihm vorgeworfene Verhalten sachlich anders darzustellen oder wegen tatsächlicher Umstände in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, stellt indessen zulässiges Verteidigungsverhalten dar (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270), das ihm im Zuge der Maßregelanordnung nicht angelastet werden darf (BGH, Beschlüsse vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11; vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482; vom 13. November 2007 – 3 StR 341/07, StV 2008, 301; vom 25. Februar2000 – 2 StR 555/99, StV 2002, 19; Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, NJW 1992, 3247). Andernfalls wäre der Angeklagte ge- zwungen, seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2000 aaO).
7
4. Das neue Tatgericht wird bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und für verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung bis zum 31. Mai 2013 fort; die Regelungen dürfen aber nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden (BVerfG aaO). In der Regel wird die Verhältnismäßigkeit nur dann gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG aaO Rn. 172; BGH, Urteile vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11, und vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11). Ein entsprechend strenger Maßstab ist demnach sowohl hinsichtlich der Erheblichkeit der Taten als auch bei der Prüfung der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung anzulegen (BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11; Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11).
8
Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB können im Hinblick auf die hohe Strafdrohung und die für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen grundsätzlich – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – als schwere Sexualstraftaten im vorgenannten Sinn bewertet werden (vgl. zur Vergewaltigung BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11). Ob die Gefahr künftiger Begehung gerade solcher Taten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Angeklagten abzuleiten ist, wird das neue Tatgericht namentlich unter Berücksichtigung der langen Dauer der Untersuchungshaft sowie der erstmaligen Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe sorgsam zu prüfen haben.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 93/11
vom
10. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
hier: Verfahren gemäß § 275a StPO
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2013 beschlossen
:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts
Deggendorf vom 18. November 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
I. Der Entscheidung liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
2
1. Die Jugendkammer verurteilte den Angeklagten am 22. Februar 2008 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, versuchter Vergewaltigung in drei Fällen und Verstoßes gegen ein Berufsverbot in drei Fällen zu sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung blieb vorbehalten. Seine Revision hat der Senat am 9. September 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen (1 StR 449/08). Durch Urteil vom 18. November 2010 hat die Jugendkammer die (ursprünglich vorbehaltene) Sicherungsverwahrung des Verurteilten angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Revision hat der Senat am 29. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen (1 StR 93/11).
3
2. Auf die Verfassungsbeschwerde des Verurteilten hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. Juni 2012 festgestellt, die Entscheidungen des Landgerichts vom 18. November 2010 und des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2011 verletzten ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (2 BvR 1048/11). Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wurde aufgehoben; die Sache wurde an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
4
a) Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, § 66a StGB i.d.F. des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) verletze nur aus den Gründen seines Urteils vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 ff.) das Grundgesetz. (Auch) § 66a StGB sei daher nach Maßgabe des genannten Urteils bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - weiterhin anwendbar, jedoch nur unter Beachtung eines strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dieser sei, wie bereits im Urteil vom 4. Mai 2011 ausgeführt, regelmäßig nur gewahrt, wenn aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen die Gefahr „schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte“ abzuleiten sei. Diese nur noch eingeschränkte Anwendbarkeit von § 66a StGB berücksichtigten die Entscheidungen vom 18. November 2010 und 29. März 2011 nicht. Es sei unerheblich, dass sie vor dem Urteil vom 4. Mai 2011 ergangen seien.
5
b) Das Urteil des Landgerichts vom 18. November 2010 hat das Bundesverfassungsgericht nicht aufgehoben. Der Bundesgerichtshof habe in einer erneuten Revisionsentscheidung zu prüfen, ob die Feststellungen des Landgerichts unter Anwendung der Maßgaben des Urteils vom 4. Mai 2011 (Nr. III 1 des Tenors i.V.m. den Urteilsgründen) eine abschließende Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsverwahrung ermöglichen oder ob ergänzende Feststellungen erforderlich seien.
6
II. Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
7
1. Nach der Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2011 war nicht nur über die Sachrüge - also über die Anordnung der Sicherungsverwahrung - neu zu befinden, sondern auch über die ursprünglich angebrachten Verfahrensrügen. Gründe, aus denen jetzt, anders als bei der Entscheidung vom 29. März 2011, eine Verfahrensrüge Erfolg hätte, sind aber nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die Rüge, die Jugendkammer hätte hier nicht in reduzierter Besetzung (§ 33b Abs. 2 JGG, in der zum Zeitpunkt des Urteils geltenden Fassung) entscheiden dürfen. Die Auffassung, durch die Mitwirkung von nur zwei Berufsrichtern sei das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt worden, hat das Bundesverfassungsgericht (B III der Gründe des Beschlusses vom 20. Juni 2012) zurückgewiesen. Allerdings sollen nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I 2011 S. 2554) diese (unter anderem) dann „zwingend mit drei Berufsrichtern besetzt sein, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Siche- rungsverwahrung … zu erwarten ist“ (so zusammenfassend BT-Drucks. 17/6905 S. 9), jedoch gilt für vor dem 1. Januar 2012 beim Landgericht anhängig gewordene Verfahren die frühere Rechtslage fort (§ 121 Abs. 2 JGG für große Jugendkammern, ebenso § 41 Abs. 1 EGGVG für große Strafkammern). Diese sah auch bei möglicher Sicherungsverwahrung nicht zwingend drei Berufsrichter vor.
8
2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos.
9
Die Maßstäbe, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ergeben, betreffen die Erheblichkeit der künftig zu erwarten- den Straftaten und die Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2012 - 1 StR 160/12; Beschluss vom 24. Juli 2012 - 1 StR 57/12; Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11 jew. mwN).
10
a) Im Ausgangsverfahren wurden schwere Sexualstraftaten abgeurteilt. Ihnen liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
11
(1) In drei Fällen hat der Angeklagte versucht, gewaltsam mit seinem erigierten Penis in den After eines 16 Jahre alten Jungen einzudringen.
12
(2) In zwei Fällen waren der Angeklagte und ein Mittäter gemeinsam mit einem Mädchen, das mindestens neun und keinesfalls älter als zwölf Jahre alt war und deren etwa drei Jahre jüngeren Bruder in der Kapelle eines Schlosses. Auf Aufforderung entkleideten sich die Kinder völlig, der Angeklagte und sein Mittäter waren am Unterleib entblößt. Während das Mädchen an dem Mittäter unter anderem Oralverkehr vornahm, musste der Junge mit seiner Hand am Glied des Angeklagten manipulieren. Einmal manipulierte auch das Mädchen auf Aufforderung mit der Hand am Glied des Angeklagten bis zum Samenerguss.
13
Die zusätzliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen ein Berufsverbot (der Angeklagte hatte sich wiederholt über das im Rahmen eines Urteils wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen rechtskräftig ausgesprochene Verbot der Ausbildung, Betreuung und Beaufsichtigung von Jugendlichen unter 15 Jahren hinweggesetzt) kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.
14
b) Bei den hier abgeurteilten Sexualstraftaten handelt es sich um schwerwiegende Sexualstraftaten.
15
(1) Ob Gewalttaten schwerwiegend sind, wird sich - unbeschadet der letztlich stets entscheidenden Umstände des Einzelfalls - regelmäßig aus einer Gesamtschau ergeben, die insbesondere das Motiv der Gewaltanwendung, ihre Art und ihr Maß sowie die durch sie verursachten oder zumindest konkret drohenden physischen und/oder psychischen Folgen beim Opfer umfasst. Wendet der Täter Gewalt an, um den sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen des Opfers zu brechen, insbesondere auch, um in dessen Körper einzudringen (Vergewaltigung), wird in aller Regel eine Tat vorliegen, die so schwer wiegt, dass sie nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 Grundlage einer Sicherungsverwahrung sein kann (BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Für die hier abgeurteilten wiederholten Versuche, einen Jugendlichen zu vergewaltigen, gilt nichts anderes.
16
(2) Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern lassen regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung von deren sexueller Entwicklung besorgen. Auch wenn sie - wie häufig - statt mit Gewalt durch den Missbrauch von - etwa erzieherischen - Einwirkungsmöglichkeiten (zu Sexualstraftaten zum Nachteil von Jugendlichen vgl. insoweit § 174 StGB), letztlich meist unter Ausnutzung altersbedingt noch unzureichender Verstandes- bzw. Widerstandskräfte begangen werden, weisen sie einen erheblichen Schuld- und Unrechtsgehalt auf (BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 mwN). Dementsprechend wäre es rechtsfehlerhaft, von Sicherungsverwahrung trotz eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern maßgeblich deswegen abzusehen, weil gewaltsamer Missbrauch nicht zu befürchten sei (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10; Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 jew. mwN). Dieser Ansatz gilt trotz der nur noch eingeschränkten Anwendbarkeit der Bestimmungen über Sicherungsverwahrung unverändert fort. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 können Grundlage von Sicherungsverwahrung schwerwiegende Gewalt- o d e r Sexualdelikte sein, nicht nur (etwa als beispielhafte Erläuterung schwerwiegender Gewaltdelikte) gewaltsam begangene Sexualdelikte.
17
Seelische Schäden bei kindlichen Opfern sexuellen Missbrauchs liegen zwar meist nahe, sie sind aber nicht immer ohne weiteres leicht festzustellen. Überhaupt nicht möglich ist eine prognostisch zuverlässige Bestimmung des Maßes seelischer Schäden bei nicht individualisierbaren Opfern zu erwartender Sexualstraftaten (BGH aaO). Ob eine Sexualstraftat zum Nachteil eines Kindes im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 schwer wiegt, ist daher jedenfalls regelmäßig im Wesentlichen nach dem Tatbild zu beurteilen.
18
Daran, dass es sich danach bei den hier festgestellten, gleichzeitig von mehreren Tätern zum Nachteil mehrerer Kinder begangenen Taten um schwerwiegende Sexualstraftaten handelt, können insgesamt keine Zweifel bestehen, auch wenn der Angeklagte weder Gewalt anwendete, noch in den Körper der Kinder eindrang. Diese Bewertung ist vom Alter der Kinder unabhängig , sie wird aber noch weiter dadurch verstärkt, dass der vom Angeklagten selbst öfter noch als das Mädchen missbrauchte Junge noch keine zehn Jahre alt war.
19
c) Entsprechende, jedenfalls in ihrem kriminellen Gewicht mit den abgeurteilten Taten vergleichbare Taten sind im Ergebnis ausweislich der Feststellungen der Jugendkammer aus konkreten, in der Person des Angeklagten und seinem Verhalten liegenden Gründen mit dem für eine solche Prognoseentscheidung erforderlichen Maß an hochgradiger Wahrscheinlichkeit (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2012 - 1 StR 160/12 mwN) zu erwarten.
20
(1) Die hierfür erforderlichen konkreten Umstände aus dem Verhalten des Verurteilten ergeben sich - von dem hier nicht einschlägigen Fall des erstmals bestraften Mehrfachtäters abgesehen - regelmäßig aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 5 StR 535/11). Hierzu ist von der Jugendkammer detailliert und rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte seit Jahrzehnten im In- und Ausland wegen immer wieder gleichartiger oder ähnlicher Taten in Erscheinung getreten und mehrfach bestraft worden ist. So wurde er etwa vom Appellationsgericht Trient zu über fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er, wiederholt gemeinsam mit Mittätern, männliche Kinder und Jugendliche immer wieder sexuell missbraucht und diese dabei häufig zum Oralverkehr veranlasst hatte; zumindest ein Teil der Taten hing mit seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer zusammen ; damit vergleichbar war er sowohl zuvor als auch danach in Deutschland wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verurteilt worden, die ihm in einem Internat oder in Jugendgruppen anvertraut waren.
21
(2) Ebenfalls rechtsfehlerfrei geht die Jugendkammer davon aus, dass mit derartigem Verhalten des Verurteilten, wie es sich seit langer Zeit verfestigt hat, auch künftig mit höchster Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. Dies schließt sie, ebenfalls rechtsfehlerfrei, aus der von ihr eingeholten sachverstän- digen Beratung, die auf der Grundlage sämtlicher Erkenntnisse erfolgte, die über den Angeklagten vorhanden waren, wobei dieser - wozu er berechtigt war - ebenso wie schon im Verfahren, das zur Anlassverurteilung führte, keinerlei Angaben gegenüber dem Sachverständigen machte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2008 - 1 StR 449/08). Sie hat dabei festgestellt, dass beim Angeklagten eine Präferenzstörung im Sinne einer Pädophilie vom ausschließlichen Typus (Kern-Pädophilie: ICD-10: F65.4) vorliegt, die auch den Bereich der Ephebophilie (sexuelle Reizbarkeit nicht nur durch vorpubertäre Kinder, sondern auch durch pubertierende Jugendliche) umfasst. Freilich könnte eine Prognose höchster Wahrscheinlichkeit gleichartiger Taten nicht allein auf nur abstrakte, (wenngleich hier hohe) statistische Wahrscheinlichkeiten gestützt werden, die sich aus diesen Feststellungen ergeben (vgl. BVerfGE 109, 190, 242; BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05). Die Strafkammer hat der genannten Prognose vielmehr zutreffend sämtliche Erkenntnisse über den Lebensweg des Verurteilten zu Grunde gelegt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Verurteilte schon seit sehr langer Zeit systematisch die Nähe von dann häufig missbrauchten Kindern und Jugendlichen sucht.
22
d) Ebenso hat sie sämtliche hierbei zu beachtende Gesichtspunkte (z.B. das inzwischen fortgeschrittene Alter des [1944 geborenen] Verurteilten, seine familiären Verhältnisse, die im Rahmen bisherigen Strafvollzugs angefallenen Erkenntnisse und die von künftigem Strafvollzug zu erwartenden Auswirkungen ) rechtsfehlerfrei sowohl bei der Bewertung der Gefährlichkeit des Verurteilten als auch innerhalb des von ihr gemäß § 66a StGB auszuübenden Ermessens gegeneinander abgewogen.
23
e) Nach alledem ist nicht erkennbar, dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung von zusätzlichen Feststellungen abhinge, die erst nach der Klärung bisher nicht behandelter Fragen getroffen werden könnten. Die Entscheidung der Jugendkammer entspricht (auch) den Maßstäben, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 für die Anordnung von Sicherungsverwahrung ergeben. Nack Wahl Jäger Cirener Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 105/09
vom
21. April 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Der Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ist auch dann erfüllt, wenn das
Opfer die über das Internet übermittelten sexuellen Handlungen des Täters
zeitgleich am Bildschirm mitverfolgt.
BGH, Beschl. vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2008 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fünf tateinheitlich begangener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in weiterer Tateinheit mit der Verbreitung pornographischer Darbietungen durch Teledienste zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten , mit der er eine Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen trat der mehrfach wegen Sexualdelikten vorbestrafte Angeklagte am Mittag des 18. Mai 2007 über das Internet in Kontakt mit den Kindern R. , M. und S. D. sowie C.
Ma. und X. P. , die zur Tatzeit zwischen fünf und 13 Jahre alt waren und an einem Computer im Wohnhaus der Familie D. /Co. in E. (Belgien) im Internet surften. Während dieser Verbindung wurden LiveBilder des Angeklagten und der Kinder mittels Webcam übertragen. Der Angeklagte , dessen Steuerungsfähigkeit wegen einer bei ihm diagnostizierten schweren Persönlichkeitsstörung und seiner exhibitionistischen Neigungen, die schon zu früheren Verurteilungen führten, erheblich im Sinne des § 21 StGB beeinträchtigt war, äußerte zunächst gegenüber S. D. , dass er sie „ficken“ wolle; außerdem fragte er sie, ob sie sich nicht ausziehen wolle. S. D. drehte daraufhin die Webcam weg und teilte dem Angeklagten mit, dass sie erst zwölf Jahre alt sei. Daraufhin schrieb der Angeklagte den Kindern zurück : „Ist egal wie alt ihr seid, willst du dich ausziehen? Ich will dich ficken“. Anschließend richtete der Angeklagte seine Webcam auf sein entblößtes Glied und führte Onanierbewegungen durch, um sich sexuell zu erregen, wobei es ihm darauf ankam, dass die Kinder seine Handlungen am Bildschirm wahrnahmen.
3
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
a) Insbesondere hat das Landgericht die Tat zu Recht als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB („sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt“) gewürdigt. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts waren die sexuellen Handlungen des Angeklagten von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184f Nr. 1 StGB aF (jetzt § 184g Nr. 1 StGB), indem er mit entblößtem Glied vor den Augen der Kinder onanierte. Außerdem kam es ihm bei seinen Handlungen gerade darauf an, die Kinder in das sexuelle Geschehen mit einzubeziehen. Sie sollten seine sexuel- len Handlungen wahrnehmen (vgl. BGH NJW 2005, 1133, 1135). Dies wird zum einen dadurch deutlich, dass der Angeklagte mit den Kindern über das Internet - sexualbezogen - kommunizierte. So fragte er S. D. zweimal, ob sie sich ausziehen wolle, und er äußerte ihr gegenüber wiederholt, dass er sie „ficken“ wolle. Zum anderen veränderte er die Position der Webcam vor Beginn seiner Onanierbewegungen, so dass diese direkt auf sein entblößtes Glied gerichtet war.
5
b) Dass sich der Angeklagte und die fünf Kinder bei der Tatbegehung nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befunden haben, sondern durch eine Live-Übertragung miteinander über das Internet verbunden waren, steht der Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB im vorliegenden Fall nicht entgegen. Der Tatbestand ist nämlich auch dann erfüllt, wenn eine räumliche Distanz zwischen dem Täter und seinem konkreten Opfer im Wege einer simultanen Bildübertragung überwunden wird, so dass das Opfer die übermittelten sexuellen Handlungen des Täters zeitgleich am Bildschirm mitverfolgen kann (vgl. Hörnle in MK-StGB § 184f Rdn. 16).
6
aa) Nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB sollen Kinder unter 14 Jahren vor einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung durch das Erleben von exhibitionistischen Handlungen geschützt werden, die vor ihnen vorgenommen werden (BTDrucks. VI/1552 S. 17). Um dem erheblichen Schuld- und Unrechtsgehalt eines sexuellen Missbrauchs von Kindern gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber die Strafandrohung im Laufe der Jahre kontinuierlich heraufgesetzt. Waren exhibitionistische Handlungen vor Kindern in der bis 31. März 1998 geltenden Fassung noch mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, wurde diese Strafobergrenze durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 164) auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe erhöht. In der heute geltenden Fassung wurde, zurückgehend auf das SexualdelÄndG vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 1607), die Mindeststrafandrohung auf drei Monate Freiheitsstrafe heraufgesetzt. Die vom Gesetzgeber vorgenommenen Veränderungen, die zu einer deutlichen Erhöhung des Strafniveaus geführt haben , belegen somit, dass eine effektive und umfassende Regelung zum Schutz der ungestörten Entwicklung von Kindern getroffen werden sollte.
7
bb) Der darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille macht deutlich, dass es nach dem Schutzzweck des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht auf eine unmittelbare Nähe zwischen Täter und Opfer ankommen kann. Zwar ist die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen „vor“ einem anderen gemäß § 184f Nr. 2 StGB aF (jetzt § 184g Nr. 2 StGB) auf solche Handlungen beschränkt, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Täter und Opfer bei der Tatbegehung zwangsläufig in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befinden müssen, was bei typischen exhibitionistischen Handlungen, die in der Regel durch eine gewisse Distanz zwischen Täter und Betrachter gekennzeichnet sind, ohnehin selten vorkommen dürfte. Durch die in § 184f Nr. 2 StGB aF verwendete Formulierung soll vielmehr klargestellt werden, dass für die Verwirklichung des Straftatbestandes nicht die räumliche Gegenwart des Opfers bei Vornahme der sexuellen Handlungen ausschlaggebend ist, sondern die unmittelbare Wahrnehmung des Opfers von dem äußeren Vorgang der sexuellen Handlung (BTDrucks. VI/3521 S. 37). Ohne diese Wahrnehmung, die nicht notwendig auf das Visuelle beschränkt sein muss, fehlt es an einer intellektuellen Einbeziehung des Kindes in die sexuelle Handlung und damit an einer vom Strafzweck erfassten Einwirkung auf das Kind (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 25 zu § 174 Abs. 2 StGB).
8
Dass es bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB maßgeblich auf die Wahrnehmung des Kindes ankommt und nicht auf eine unmittelbare räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer, wird auch bei einem Vergleich mit den übrigen in § 176 Abs. 4 StGB enthaltenen Tatbestandsvarianten deutlich. Keine der in § 176 Abs. 4 Nr. 2 bis 4 StGB genannten sexualbezogenen Einwirkungen auf ein Kind erfordert eine unmittelbare räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer. Selbst Tathandlungen, die wie in § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB von wesentlich geringerer Intensität sind, als die von § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfassten, und dennoch die selbe Strafandrohung aufweisen, setzen eine unmittelbare räumliche Beziehung nicht voraus. Vielmehr stellen auch diese Varianten, die für die Tatbestandsverwirklichung ein Einwirken auf ein Kind mittels bloßer Gedankenäußerung, etwa durch Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) oder durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch Reden mit entsprechendem Inhalt (§ 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB), ausreichen lassen, wesentlich auf die Wahrnehmung solcher Gedankenäußerungen durch das Kind ab. Nichts anderes kann deshalb für die von § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfassten sexuellen Handlungen gelten, zumal der Gesetzgeber bei der Schaffung des Tatbestands durch das 4. StrRG vom 23. November 1973 (BGBl I 1725) noch nicht mit der Möglichkeit der Live-Übertragung sexueller Handlungen mittels Webcam und Internet rechnen konnte (vgl. Hörnle in MKStGB § 184f Rdn. 15).
9
Dem steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1995 (BGHSt 41, 285) entgegen. In dieser verneinte der Bundesgerichtshof eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB („ein Kind dazu bestimmt , dass es sexuelle Handlungen vor ihm oder einem Dritten vornimmt“) in der bis zum 31. März 1998 geltenden Fassung in einem Fall, in dem der Täter nur über eine Telefonverbindung ein Kind zu sexuellen Handlungen „vor ihm“ bestimmen wollte, weil es an einer räumlichen Nähe zwischen Täter und Opfer fehlte. Danach - ersichtlich auch mit Blick auf diese Entscheidung - änderte der Gesetzgeber die Fassung der Vorschrift dahin, dass das Kind sexuelle Handlungen „an sich“ vornimmt (§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Kraft seit dem 1. April 1998). Mit dieser erweiterten Fassung wollte der Gesetzgeber gerade auch den Fall erfassen, „dass sog. Verbalerotiker Kinder durch Telefonanrufe“ zu sexuellen Manipulationen veranlassen (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Erfasst werden damit auch durch den Täter veranlasste akustische oder optische Aufzeichnungen der sexuellen Handlungen des Opfers, bei denen der Täter sich nicht in räumlicher Nähe zu dem Kind befindet (Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 176 Rdn. 13).
10
cc) Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass das Landgericht zu Recht von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausgegangen ist. Auch wenn sich der Angeklagte und die fünf Kinder nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befunden haben, so konnten die Opfer das entblößte Glied und die Onanierbewegungen des Angeklagten aufgrund der simultanen Bildübertragung mittels Webcam und Internet am Bildschirm ihres Computers unmittelbar wahrnehmen und verfolgen. Bei dieser Fallgestaltung kann es keinen Unterschied machen, ob sich der Täter mit seinen Opfern im selben Raum befindet und sich entblößt oder ob er die mittlerweile bestehenden technischen Möglichkeiten zur Überwindung der räumlichen Distanz nutzt, um seine sexuellen Triebe auf diese Weise auszuleben. Gerade die Möglichkeiten , die das Internet und der Einsatz einer Webcam für einen Täter bieten , nämlich dass er, wie im vorliegenden Fall, in eine Interaktion mit seinen Opfern tritt bzw. die Webcam zu Nahaufnahmen seines Gliedes einsetzt, führen zu einem intensiveren Erleben des Tatgeschehens durch das Opfer als dies bei einem Exhibitionisten in der Regel der Fall ist, der sich von seinen Opfern entfernt entblößt (vgl. Sander, Zur Beurteilung exhibitionistischer Handlungen S. 51). Im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers besteht kein Zweifel daran, dass Kinder zum Schutz ihrer ungestörten Gesamtentwicklung vor solchen Wahrnehmungen umfassend bewahrt werden sollen.
11
c) Der Rechtsfolgenausspruch ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 2. März 2009 dargelegt hat - ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere bestehen gegen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB im Hinblick auf seine zahlreichen und erheblichen einschlägigen Vorstrafen keinerlei Bedenken (vgl. zu den Anordnungsvoraussetzungen bei exhibitionistischen Handlungen BGH NStZ-RR 1999, 298).
Nack Elf Graf
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 93/11
vom
10. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
hier: Verfahren gemäß § 275a StPO
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2013 beschlossen
:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts
Deggendorf vom 18. November 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
I. Der Entscheidung liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
2
1. Die Jugendkammer verurteilte den Angeklagten am 22. Februar 2008 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, versuchter Vergewaltigung in drei Fällen und Verstoßes gegen ein Berufsverbot in drei Fällen zu sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung blieb vorbehalten. Seine Revision hat der Senat am 9. September 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen (1 StR 449/08). Durch Urteil vom 18. November 2010 hat die Jugendkammer die (ursprünglich vorbehaltene) Sicherungsverwahrung des Verurteilten angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Revision hat der Senat am 29. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen (1 StR 93/11).
3
2. Auf die Verfassungsbeschwerde des Verurteilten hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. Juni 2012 festgestellt, die Entscheidungen des Landgerichts vom 18. November 2010 und des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2011 verletzten ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (2 BvR 1048/11). Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wurde aufgehoben; die Sache wurde an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
4
a) Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, § 66a StGB i.d.F. des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) verletze nur aus den Gründen seines Urteils vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 ff.) das Grundgesetz. (Auch) § 66a StGB sei daher nach Maßgabe des genannten Urteils bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - weiterhin anwendbar, jedoch nur unter Beachtung eines strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dieser sei, wie bereits im Urteil vom 4. Mai 2011 ausgeführt, regelmäßig nur gewahrt, wenn aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen die Gefahr „schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte“ abzuleiten sei. Diese nur noch eingeschränkte Anwendbarkeit von § 66a StGB berücksichtigten die Entscheidungen vom 18. November 2010 und 29. März 2011 nicht. Es sei unerheblich, dass sie vor dem Urteil vom 4. Mai 2011 ergangen seien.
5
b) Das Urteil des Landgerichts vom 18. November 2010 hat das Bundesverfassungsgericht nicht aufgehoben. Der Bundesgerichtshof habe in einer erneuten Revisionsentscheidung zu prüfen, ob die Feststellungen des Landgerichts unter Anwendung der Maßgaben des Urteils vom 4. Mai 2011 (Nr. III 1 des Tenors i.V.m. den Urteilsgründen) eine abschließende Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsverwahrung ermöglichen oder ob ergänzende Feststellungen erforderlich seien.
6
II. Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
7
1. Nach der Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2011 war nicht nur über die Sachrüge - also über die Anordnung der Sicherungsverwahrung - neu zu befinden, sondern auch über die ursprünglich angebrachten Verfahrensrügen. Gründe, aus denen jetzt, anders als bei der Entscheidung vom 29. März 2011, eine Verfahrensrüge Erfolg hätte, sind aber nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die Rüge, die Jugendkammer hätte hier nicht in reduzierter Besetzung (§ 33b Abs. 2 JGG, in der zum Zeitpunkt des Urteils geltenden Fassung) entscheiden dürfen. Die Auffassung, durch die Mitwirkung von nur zwei Berufsrichtern sei das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt worden, hat das Bundesverfassungsgericht (B III der Gründe des Beschlusses vom 20. Juni 2012) zurückgewiesen. Allerdings sollen nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I 2011 S. 2554) diese (unter anderem) dann „zwingend mit drei Berufsrichtern besetzt sein, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Siche- rungsverwahrung … zu erwarten ist“ (so zusammenfassend BT-Drucks. 17/6905 S. 9), jedoch gilt für vor dem 1. Januar 2012 beim Landgericht anhängig gewordene Verfahren die frühere Rechtslage fort (§ 121 Abs. 2 JGG für große Jugendkammern, ebenso § 41 Abs. 1 EGGVG für große Strafkammern). Diese sah auch bei möglicher Sicherungsverwahrung nicht zwingend drei Berufsrichter vor.
8
2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos.
9
Die Maßstäbe, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ergeben, betreffen die Erheblichkeit der künftig zu erwarten- den Straftaten und die Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2012 - 1 StR 160/12; Beschluss vom 24. Juli 2012 - 1 StR 57/12; Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11 jew. mwN).
10
a) Im Ausgangsverfahren wurden schwere Sexualstraftaten abgeurteilt. Ihnen liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
11
(1) In drei Fällen hat der Angeklagte versucht, gewaltsam mit seinem erigierten Penis in den After eines 16 Jahre alten Jungen einzudringen.
12
(2) In zwei Fällen waren der Angeklagte und ein Mittäter gemeinsam mit einem Mädchen, das mindestens neun und keinesfalls älter als zwölf Jahre alt war und deren etwa drei Jahre jüngeren Bruder in der Kapelle eines Schlosses. Auf Aufforderung entkleideten sich die Kinder völlig, der Angeklagte und sein Mittäter waren am Unterleib entblößt. Während das Mädchen an dem Mittäter unter anderem Oralverkehr vornahm, musste der Junge mit seiner Hand am Glied des Angeklagten manipulieren. Einmal manipulierte auch das Mädchen auf Aufforderung mit der Hand am Glied des Angeklagten bis zum Samenerguss.
13
Die zusätzliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen ein Berufsverbot (der Angeklagte hatte sich wiederholt über das im Rahmen eines Urteils wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen rechtskräftig ausgesprochene Verbot der Ausbildung, Betreuung und Beaufsichtigung von Jugendlichen unter 15 Jahren hinweggesetzt) kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.
14
b) Bei den hier abgeurteilten Sexualstraftaten handelt es sich um schwerwiegende Sexualstraftaten.
15
(1) Ob Gewalttaten schwerwiegend sind, wird sich - unbeschadet der letztlich stets entscheidenden Umstände des Einzelfalls - regelmäßig aus einer Gesamtschau ergeben, die insbesondere das Motiv der Gewaltanwendung, ihre Art und ihr Maß sowie die durch sie verursachten oder zumindest konkret drohenden physischen und/oder psychischen Folgen beim Opfer umfasst. Wendet der Täter Gewalt an, um den sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen des Opfers zu brechen, insbesondere auch, um in dessen Körper einzudringen (Vergewaltigung), wird in aller Regel eine Tat vorliegen, die so schwer wiegt, dass sie nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 Grundlage einer Sicherungsverwahrung sein kann (BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Für die hier abgeurteilten wiederholten Versuche, einen Jugendlichen zu vergewaltigen, gilt nichts anderes.
16
(2) Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern lassen regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung von deren sexueller Entwicklung besorgen. Auch wenn sie - wie häufig - statt mit Gewalt durch den Missbrauch von - etwa erzieherischen - Einwirkungsmöglichkeiten (zu Sexualstraftaten zum Nachteil von Jugendlichen vgl. insoweit § 174 StGB), letztlich meist unter Ausnutzung altersbedingt noch unzureichender Verstandes- bzw. Widerstandskräfte begangen werden, weisen sie einen erheblichen Schuld- und Unrechtsgehalt auf (BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 mwN). Dementsprechend wäre es rechtsfehlerhaft, von Sicherungsverwahrung trotz eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern maßgeblich deswegen abzusehen, weil gewaltsamer Missbrauch nicht zu befürchten sei (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10; Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 jew. mwN). Dieser Ansatz gilt trotz der nur noch eingeschränkten Anwendbarkeit der Bestimmungen über Sicherungsverwahrung unverändert fort. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 können Grundlage von Sicherungsverwahrung schwerwiegende Gewalt- o d e r Sexualdelikte sein, nicht nur (etwa als beispielhafte Erläuterung schwerwiegender Gewaltdelikte) gewaltsam begangene Sexualdelikte.
17
Seelische Schäden bei kindlichen Opfern sexuellen Missbrauchs liegen zwar meist nahe, sie sind aber nicht immer ohne weiteres leicht festzustellen. Überhaupt nicht möglich ist eine prognostisch zuverlässige Bestimmung des Maßes seelischer Schäden bei nicht individualisierbaren Opfern zu erwartender Sexualstraftaten (BGH aaO). Ob eine Sexualstraftat zum Nachteil eines Kindes im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 schwer wiegt, ist daher jedenfalls regelmäßig im Wesentlichen nach dem Tatbild zu beurteilen.
18
Daran, dass es sich danach bei den hier festgestellten, gleichzeitig von mehreren Tätern zum Nachteil mehrerer Kinder begangenen Taten um schwerwiegende Sexualstraftaten handelt, können insgesamt keine Zweifel bestehen, auch wenn der Angeklagte weder Gewalt anwendete, noch in den Körper der Kinder eindrang. Diese Bewertung ist vom Alter der Kinder unabhängig , sie wird aber noch weiter dadurch verstärkt, dass der vom Angeklagten selbst öfter noch als das Mädchen missbrauchte Junge noch keine zehn Jahre alt war.
19
c) Entsprechende, jedenfalls in ihrem kriminellen Gewicht mit den abgeurteilten Taten vergleichbare Taten sind im Ergebnis ausweislich der Feststellungen der Jugendkammer aus konkreten, in der Person des Angeklagten und seinem Verhalten liegenden Gründen mit dem für eine solche Prognoseentscheidung erforderlichen Maß an hochgradiger Wahrscheinlichkeit (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2012 - 1 StR 160/12 mwN) zu erwarten.
20
(1) Die hierfür erforderlichen konkreten Umstände aus dem Verhalten des Verurteilten ergeben sich - von dem hier nicht einschlägigen Fall des erstmals bestraften Mehrfachtäters abgesehen - regelmäßig aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 5 StR 535/11). Hierzu ist von der Jugendkammer detailliert und rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte seit Jahrzehnten im In- und Ausland wegen immer wieder gleichartiger oder ähnlicher Taten in Erscheinung getreten und mehrfach bestraft worden ist. So wurde er etwa vom Appellationsgericht Trient zu über fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er, wiederholt gemeinsam mit Mittätern, männliche Kinder und Jugendliche immer wieder sexuell missbraucht und diese dabei häufig zum Oralverkehr veranlasst hatte; zumindest ein Teil der Taten hing mit seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer zusammen ; damit vergleichbar war er sowohl zuvor als auch danach in Deutschland wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verurteilt worden, die ihm in einem Internat oder in Jugendgruppen anvertraut waren.
21
(2) Ebenfalls rechtsfehlerfrei geht die Jugendkammer davon aus, dass mit derartigem Verhalten des Verurteilten, wie es sich seit langer Zeit verfestigt hat, auch künftig mit höchster Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. Dies schließt sie, ebenfalls rechtsfehlerfrei, aus der von ihr eingeholten sachverstän- digen Beratung, die auf der Grundlage sämtlicher Erkenntnisse erfolgte, die über den Angeklagten vorhanden waren, wobei dieser - wozu er berechtigt war - ebenso wie schon im Verfahren, das zur Anlassverurteilung führte, keinerlei Angaben gegenüber dem Sachverständigen machte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2008 - 1 StR 449/08). Sie hat dabei festgestellt, dass beim Angeklagten eine Präferenzstörung im Sinne einer Pädophilie vom ausschließlichen Typus (Kern-Pädophilie: ICD-10: F65.4) vorliegt, die auch den Bereich der Ephebophilie (sexuelle Reizbarkeit nicht nur durch vorpubertäre Kinder, sondern auch durch pubertierende Jugendliche) umfasst. Freilich könnte eine Prognose höchster Wahrscheinlichkeit gleichartiger Taten nicht allein auf nur abstrakte, (wenngleich hier hohe) statistische Wahrscheinlichkeiten gestützt werden, die sich aus diesen Feststellungen ergeben (vgl. BVerfGE 109, 190, 242; BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05). Die Strafkammer hat der genannten Prognose vielmehr zutreffend sämtliche Erkenntnisse über den Lebensweg des Verurteilten zu Grunde gelegt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Verurteilte schon seit sehr langer Zeit systematisch die Nähe von dann häufig missbrauchten Kindern und Jugendlichen sucht.
22
d) Ebenso hat sie sämtliche hierbei zu beachtende Gesichtspunkte (z.B. das inzwischen fortgeschrittene Alter des [1944 geborenen] Verurteilten, seine familiären Verhältnisse, die im Rahmen bisherigen Strafvollzugs angefallenen Erkenntnisse und die von künftigem Strafvollzug zu erwartenden Auswirkungen ) rechtsfehlerfrei sowohl bei der Bewertung der Gefährlichkeit des Verurteilten als auch innerhalb des von ihr gemäß § 66a StGB auszuübenden Ermessens gegeneinander abgewogen.
23
e) Nach alledem ist nicht erkennbar, dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung von zusätzlichen Feststellungen abhinge, die erst nach der Klärung bisher nicht behandelter Fragen getroffen werden könnten. Die Entscheidung der Jugendkammer entspricht (auch) den Maßstäben, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 für die Anordnung von Sicherungsverwahrung ergeben. Nack Wahl Jäger Cirener Sander

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 300/09
vom
4. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. August 2009 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 29. Januar 2009 im Ausspruch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung in den Fällen III. 1., III. 2. und III. 8. entfällt und der Angeklagte im Komplex III. 7. wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in fünf Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung , in einem Fall in Tateinheit mit schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Unterschlagung, sowie wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Zudem wurden die Sicherungsverwahrung angeordnet, ein Pkw eingezogen, die Fahrerlaubnis entzogen - unter Bestimmung einer Sperrfrist von fünf Jahren für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis - und der Führerschein eingezogen. Gegen diese Verurteilung wendet sich die Revision des Angeklagten unter Erhebung einer Formal- und der Sachrüge. Entscheidenden Erfolg hat die Revision allein hinsichtlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung.

I.


2
Der nicht vorbestrafte Angeklagte hatte regelmäßig Kontakt zu Prostituierten auf dem Straßenstrich in der tschechischen Republik. Ab dem Jahre 2000 entschloss er sich, sexuelle Handlungen gewaltsam zu erzwingen. Mit zehn Prostituierten schloss er in der Zeit von Mai 2000 bis April 2007 zum Schein Vereinbarungen über entgeltliche Dienstleistungen, um die Prostituierten dann an geeigneter Stelle mit Gewalt und mit entsprechenden Drohungen zur Duldung oder zur Vornahme von sexuellen Handlungen zu zwingen ohne zu bezahlen, meist - ebenfalls gegen deren Willen - ohne Benutzung eines Kondoms. Um die Prostituierten gefügig zu machen, drohte er mit Messern, schlug die Prostituierten meist mit den Fäusten und würgte einmal. In manchen Fällen nahm er zudem - unter Ausnutzung der Gewalt - Gegenstände an sich, wie eine Handtasche und Kleidungsstücke. Die Geschädigten erlitten Verletzungen, ein Faustschlag führte zu einem Kieferbruch. Zur Tarnung verwendete er verschiedene entstempelte Autokennzeichen.
3
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung im Wesentlichen bestritten. Kontakte zu Prostituierten in Tschechien hat er zwar bestätigt. Er habe Nähe, Wärme und Zärtlichkeit gesucht, wie etwa in dem Film „Pretty Woman“. Hinsichtlich der einzelnen Tatvorwürfe hat er in drei Fällen entsprechende Begegnungen überhaupt in Abrede gestellt („hat es nicht gegeben“). Zu vier Prostituierten gab er an, sich an ein Zusammentreffen erinnern zu können. Von seiner Seite aus sei aber nichts Strafbares geschehen. In zwei weiteren Fällen hat er das Vorzeigen eines Messers zugegeben. Nur in einem Fall hat er einen Schlag ins Gesicht, allerdings nur mit der flachen Hand (tatsächlich Würgen und mehrere Faustschläge mit Kieferbruch) und die Wegnahme - lediglich - einer Hose (tatsächlich auch die Handtasche) eingeräumt. Bei dieser Geschädigten entschuldigte er sich in der Hauptverhandlung - was diese allerdings nicht annahm - und überwies ihr 5.000,-- € als Schadensersatz. Messer und verschiedene Kennzeichen habe er nur zum Selbstschutz gegen Überfälle und unberechtigte Anzeigen bei sich geführt. Er sei mit Anzeigen bedroht worden - einmal habe er ein Bußgeld bezahlen müssen, nachdem er von einem Polizeibeamten im Auto mit einer Prostituierten erwischt worden sei. Prostituierte seien mehrfach nach Entgegennahme der Vorkasse einfach weggelaufen. Einmal sei er unter Bedrohung mit Stock und Messer zur Doppelzahlung gezwungen worden. Er habe den Straßenstrich als rechtsfreien Raum angesehen und dies entsprechend ausgenutzt.

II.


4
1. a) Wegen Verjährung entfallen in den Fällen III. 1. und III. 2. die jeweiligen tateinheitlichen Verurteilungen wegen Körperverletzung.
5
b) Bei den Taten zum Nachteil von C. (III. 7.) hat sich der Angeklagte nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen und der zutreffenden rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und (tatmehrheitlich) des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht. Die Strafkammer hat hierfür Einzelstrafen in Höhe von vier Jahren acht Monaten und von sechs Jahren (Einsatzstrafe) festgesetzt. Im Schuldspruch der Urteilsformel hat sich dies jedoch als „besonders schwere Vergewaltigung mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung“, also als tateinheitlicher Vorgang, niedergeschlagen. Der Senat hat dieses Versehen korrigiert.
6
c) Im Fall III. 8. entfällt nach den Feststellungen und der rechtlichen Würdigung des Landgerichts die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung. Damit wird lediglich ein Fassungsversehen bei der Formulierung des Urteilstenors korrigiert. Die Einzelstrafe bleibt hiervon unberührt. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung ausdrücklich gewürdigt, dass die Geschädigte dieser schweren Vergewaltigung durch den Angeklagten weder gewürgt worden sei noch hierdurch Verletzungen oder Beeinträchtigungen erlitten habe.
7
d) Im Übrigen sind der Schuld- und der Strafausspruch, die Einziehung des Pkw Citroen und die Entziehung der Fahrerlaubnis mit ihren Begleitent- scheidungen frei von Rechtsfehlern. Insoweit verweist der Senat zur Begründung auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 18. Juni 2009.
8
e) Im Hinblick auf die Gegenerklärung des Beschwerdeführers vom 13. Juli 2009 bemerkt der Senat ergänzend:
9
Die Informationen über die vergeblichen Bemühungen des Strafkammervorsitzenden außerhalb der Hauptverhandlung, im Ausland lebende Zeuginnen zu laden, beziehungsweise, deren Wohn- oder Aufenthaltsort zu ermitteln, stellen keine für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten im Sinne der §§ 273, 274 StPO dar. Dies bedarf daher nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift. Dass die Darstellung des Sachverhalts seitens des Strafkammervorsitzenden in seiner dienstlichen Erklärung zutrifft, wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt.
10
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist dagegen nicht rechtsfehlerfrei.
11
Als Grundlage für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kam nach der zutreffenden Auffassung des Landgerichts nur § 66 Abs. 2 StGB in Betracht. Gegen den Angeklagten wurden im angefochtenen Urteil neun Mal Freiheitsstrafen über drei Jahre (vier Jahre bis sechs Jahre) ausgesprochen, so dass die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB zweifelsfrei gegeben sind. Des Weiteren bedarf es der Feststellung eines Hanges (mit der Gefährlichkeitsprognose ) im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB und tragfähiger Ausführungen zur Ausübung des in § 66 Abs.2 StGB eingeräumten Ermessens zur Anordnung der Sicherungsverwahrung. Während die Darlegungen zum ersten der beiden genannten Punkte in den Gründen des angefochtenen Urteils tragen (a), werden die knappen Ausführungen, in denen die Ermessensausübung gesehen werden kann, im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB im Vergleich zur Anordnung nach § 66 Abs. 1 StGB den hieran zu stellenden Anforderungen nicht hinreichend gerecht (b).
12
a) Zur Feststellung des Hangs:
13
aa) Bei der Feststellung eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB referiert die Strafkammer zunächst die Darlegungen der Sachverständigen.
14
Diplom-Psychologin L. prognostiziert im Ergebnis ein „mittelgradiges Rückfallrisiko für weitere Sexualstraftaten“ beziehungsweise eine „mäßige bis mittelgradige Rückfallgeschwindigkeit für einschlägige Delikte“. Die Sachverständige verweist auch auf „Bagatellisierung und Leugnen“ seitens des Angeklagten.
15
Nach den Ausführungen des Leitenden Medizinaldirektors Dr. H. „sei aus psychiatrischer Sicht ein Hang im Sinne von § 66 StGB möglich, könne aber nicht mit hoher Beurteilungswahrscheinlichkeit bestätigt werden“. Eine Entlassung zum derzeitigen Zeitpunkt sei nicht zu verantworten; „die begonnene psychiatrische Behandlung weise auch den falschen Ansatz auf, da sie in den Mittelpunkt die ich-zentrierte Haltung des Angeklagten setze und eine Auseinandersetzung mit den dem Angeklagten vorgeworfenen Taten vermissen lasse. Auch seien in der Hauptverhandlung weiter Rechtfertigungsstrategien des Angeklagten vorgebracht worden, wie etwa das eigene Ausgenutztwerden von Prostituierten, selbst nach Zahlung von Vorkasse betrogen worden zu sein und die aufrechterhaltene Behauptung, Messer und Kennzeichen nur zum Selbstschutz mitgeführt zu haben, sowie die Bagatellisierung seiner Körperverletzungshandlungen dahingehend, er habe gar nicht so fest beziehungsweise auch nicht mit der Faust zugeschlagen.“
16
bb) Aufgrund eigener Bewertung kommt die Strafkammer dann zu einem eindeutigen Ergebnis: „Die Kammer ist aus rechtlicher Sicht unter Berücksichtigung der Hauptverhandlung und der Ausführungen der Sachverständigen davon überzeugt, dass ein Hang i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB beim Angeklagten vorliegt.“
17
cc) Teile der Ausführungen der Sachverständigen begegnen - für sich betrachtet - erheblichen Bedenken.
18
Wenn der Angeklagte die Taten „leugnet oder bagatellisiert“ ist dies zulässiges Verteidigungsverhalten. Wobei unter Bagatellisierung hier ersichtlich nicht die Verharmlosung oder Geringschätzung gestandener Maßen zugefügten Leides, insbesondere eingeräumter schwerer Verletzungen, oder gar die Verhöhnung der Opfer zu verstehen ist - dies dürfte dem Angeklagten angelastet werden -, sondern allein der Versuch des Angeklagten, das ihm vorgeworfene Verhalten anders darzustellen oder in einem milderen Licht erscheinen zu lassen , wie das Bestreiten von Fausthieben und der Behauptung, er habe stattdessen nur mit der flachen Hand zugeschlagen. Auch mögen seine „Rechtfertigungsstrategien“ , wie die Behauptung, er sei selbst zuvor Betrugsopfer von Prostituierten in Tschechien gewesen und er habe in diesem Bereich einen „rechtsfreien Raum“ gesehen, nicht allzu überzeugend sein. Eine verbotene oder auch nur die Belange der Geschädigten grob missachtende Verteidigungsstrategie stellt dies aber nicht dar. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf jedoch nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urt. vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07 m.w.N.).
19
Zu Lasten eines Angeklagten darf auch nicht herangezogen werden, dass die Therapie vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gegen den weitgehend bestreitenden Angeklagten eine Auseinandersetzung mit den ihm vorgeworfenen Taten vermissen lasse. Die berührt das Schweigerecht des Angeklagten (vgl. BGH, Beschl. vom 15. Januar 2008 - 4 StR 452/07 Rdn. 9) und - bei entsprechender Ausrichtung der Therapie - den Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare.
20
dd) Die Strafkammer hat zwar allgemein auf die Ausführungen der Sachverständigen Bezug genommen, deren Darlegungen zur Therapie und zur Bagatellisierung aber nicht ihrer eigenständigen Feststellung eines Hangs des Angeklagten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB und seiner aktuellen Gefährlichkeit zugrunde gelegt. Das Landgericht hat die entsprechenden sachverständigen Äußerungen ersichtlich nur als Hinweis darauf verstanden, dass dem - unabhängig davon festgestellten Hang und der Gefährlichkeit des Angeklagten - derzeit in seiner Person liegenden Gründen nicht ausreichend begegnet werden kann, und die Sachverständigen insoweit auch nur deshalb zitiert.
21
b) Zur Ermessensausübung:
22
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dies unterliegt zwar nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war; sie müssen auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (BGH, Beschl. vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02 m.w.N.). Die revisionsrechtliche Überprüfung erstreckt sich dann vor allem darauf, ob der Tatrichter bei der Ermessensausübung von einem zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Ansatz ausgegangen ist.
23
Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB beim Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen nicht als zwingend angesehen wurde, wenn auch von einer Ermessensausübung nicht ausdrücklich gesprochen wird. Bei seiner Entscheidung hat das Landgericht - ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe - allerdings einen verkürzten rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es entscheidend auf die aktuelle Gefährlichkeit des Angeklagten abgestellt hat und gemeint hat, es könne offen bleiben, „ob und in wieweit durch die Inhaftierung und des nach Haftverbüßung fortgeschrittenen Lebensalters und des nach Angaben des Sachverständigen damit regelmäßig verbundenen abnehmenden Sexualtriebs eine Verhaltensänderung herbeigeführt werden kann, aufgrund derer die Gefährlichkeit des Angeklagten künftig zu verneinen sein wird, zumal das Tatbild nicht primär von einem übersteigerten Sexualtrieb geprägt ist, den der Angeklagte angesichts seiner finanziellen Mittel auch in sonstiger Weise hätte befriedigen können, sondern von dem Ansporn, Macht über die sich in einem ‚rechtsfreien Raum’ betätigenden Prostituierten auszuüben. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine solche Entwicklung beim Angeklagten alleine aufgrund des anstehenden Strafvollzugs nicht absehbar. Die weiteren Entscheidungen werden dem Strafvollzug vorbehalten bleiben müssen“, so die Strafkammer.
24
Dies wird den Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes (§ 66 Abs. 2 StGB) nicht gerecht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass Absatz 2 - im Gegensatz zu Absatz 1 - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (vgl. BGH, Urt. vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07 Rdn. 8 und Beschl. vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 66 Rdn. 232 unter Hinweis auf die Berichte des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BTDrucks. V/40941 S. 21). Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Es besteht zwar keine Vermutung dahingehend, dass langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird. Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherige Erfahrung des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug ist, desto mehr muss sich der Tatrichter aber mit diesen Umständen auseinandersetzen (BGH aaO). Von vorneherein offen lassen kann er dies jedenfalls nicht. Der Hinweis auf das Motiv der Taten des Angeklagten besagt zur voraussichtlichen Wirkung des Strafvollzugs nichts. Der verbleibende lapidare Satz, wonach eine solche (positive) Entwicklung derzeit nicht absehbar sei, und der bloße Verweis auf die weiteren Entscheidungen während der Strafvollstreckung werden dem Ausnahmecharakter der Regelung des § 66 Abs. 2 StGB nicht gerecht.
25
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei vertiefter Auseinandersetzung mit der Kriminalprognose des Angeklagten zu einem für diesen positiveren Ergebnis gekommen wäre und dann von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hätte. Dies bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Nack Wahl Kolz RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Hebenstreit Nack

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 331/11
vom
24. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 19. Januar 2011 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die sie auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkt hat.
2
Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


3
Nach den Feststellungen sprach das Amtsgericht Ueckermünde den Angeklagten mit Urteil vom 12. Mai 2004 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig und setzte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung aus. Der Angeklagte hatte im Dezember 2002 ein ihm unbekanntes sechsjähriges Mädchen dazu veranlasst, sich auszuziehen und nackt mit dem Rücken auf ein Sofa zu legen. Anschließend hatte sich der bis auf einen Pullover entkleidete Angeklagte mit dem Bauch auf den Körper des Kindes gelegt. Als das Mädchen begonnen hatte zu weinen, hatte der Angeklagte ihm zunächst den Mund mit einer Hand zugehalten, dann aber aus Mitleid von ihm abgelassen. Am 20. Juli 2006 verurteilte das Amtsgericht Pasewalk den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Ueckermünde vom 12. Mai 2004 zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte Ende 2005/Anfang 2006 einem zwölf Jahre alten Jungen die Hosen heruntergezogen und ihn durch Festhalten mit den Händen dazu gezwungen hatte zu erdulden, dass der Angeklagte an dem Geschlechtsteil des Jungen manipuliert, und es schließlich auch in den Mund genommen hatte. Die Jugendstrafe verbüßte der Angeklagte vollständig bis zum 1. August 2008. Anschließend unterlag er der Führungsaufsicht , in deren Rahmen ihm u.a. die Weisung erteilt wurde, keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen.
4
Bei der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten, am 16. August 2010 begangenen Tat sprach der Angeklagte einen ihm unbekannten neunjährigen Jungen auf der Straße an, lockte ihn unter einem Vorwand in seine Wohnung und veranlasste ihn, sich zu entkleiden. Dem nackt auf einer Couch liegenden Kind führte der Angeklagte, der sich selbst Hose und Unterhose ausgezogen hatte, einen Plastikschlauch in den Anus bis zum Rektum ein und ließ anschließend Wasser über den Schlauch in den Darm des Kindes laufen. Das Einführen des Plastikschlauchs führte - vom Angeklagten billigend in Kauf genommen - zu Einrissen im Anus sowie zu Verletzungen der Anal- und Rektumschleimhaut.
5
Eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht abgelehnt, weil es die formellen Voraussetzungen für die Anordnung dieser Maßregel als nicht erfüllt angesehen hat.

II.


6
Die wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkte Revision ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. zu Recht verneint.
7
1. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel wirksam auf die Frage der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213). Ein Ausnahmefall, in welchem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor.
8
2. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach der Bestimmung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F., die bei vor dem 1. Januar 2011 begangenen Anlasstaten nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 316e Abs. 1 und 2 EGStGB sowie der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 (NJW 2011, 1931, Rn. 172) getroffenen Fortgeltungsanordnung weiterhin Anwendung findet, setzt in formeller Hinsicht voraus, dass der Täter zwei Katalogtaten im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F. begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat, und er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Verwirkt ist bei einer bereits abgeurteilten Tat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, aaO) die tatsächlich verhängte Strafe (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in LK, 12. Aufl., § 66 Rn. 85, und Fischer, StGB, 58. Aufl., § 66 Rn. 12, jew. zu § 66 Abs. 2 StGB). Bei einer einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 JGG gelten die gleichen Grundsätze, wie sie die Rechtsprechung für den Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 StGB entwickelt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2010 – 5 StR 104/10, NStZ-RR 2011, 170; vom 28. Februar 2007 – 2 StR 28/07, NStZ-RR 2007, 171; vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Urteil vom 27. Mai 1975 – 5 StR 115/75, BGHSt 26, 152). Danach erfüllt eine Einheitsjugendstrafe die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. nur dann, wenn zu erkennen ist, dass gegen den Täter wenigstens bei einer ihr zugrunde liegenden Katalogtat eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist eine im Wesentlichen tatrichterliche Aufgabe , die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Davon, dass im Falle gesonderter Aburteilung der Katalogtat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre, darf nur ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber treffen kann, wie der Rich- ter des Vorverfahrens die einzelnen der Vorverurteilung zu Grunde liegenden Taten bewertet hat. Er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, aaO). Als Grundlage für die erforderlichen Feststellungen zu der Bewertung der Katalogtat im früheren Verfahren kommen in erster Linie die jugendgerichtlichen Strafzumessungserwägungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 1996 – 2 StR 337/96, StV 1998, 343; vom 29. Oktober 1990 – 5 StR 251/90, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 6), daneben aber auch die Höhe der Einheitsjugendstrafen in der Vorverurteilung und möglicherweise einbezogenen Urteilen sowie Zahl und Art der abgeurteilten Taten in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1999 – 3 StR 209/99, NJW 1999, 3723, 3724; vom 13. Juni 1978 – 1 StR 167/78; vom 27. Mai 1975 – 5 StR 115/75, aaO 155).
9
Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht beachtet. Es hat die Strafzumessungserwägungen aus dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk und die zu den beiden abgeurteilten Katalogtaten jeweils getroffenen Sachverhaltsfeststellungen im Einzelnen mitgeteilt und sich auf dieser Grundlage außer Stande gesehen festzustellen, dass für die Ende 2005/Anfang 2006 begangene Tat bei gesonderter Aburteilung eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts Pasewalk befassen sich maßgeblich mit erzieherischen Gesichtspunkten und enthalten keine Ausführungen zur Bewertung der einzelnen Taten oder zu deren Gewichtung im Verhältnis zueinander. Auch die jeweiligen Tatgeschehen und ihre rechtliche Würdigung lassen keinen tragfähigen Schluss dahin zu, dass allein für die zuletzt begangene Tat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre. Auf die weiteren Erwägungen der Strafkammer zu den vom damaligen Tatrichter mit der Anwendung von Jugendstrafrecht verfolgten Intentionen kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Da es maßgeblich auf die tatsächlich verhängte Strafe ankommt, ist es schließlich auch ohne Bedeutung, dass die Ahndung der dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk zugrunde liegenden Tat zu Unrecht nach Jugendstrafrecht erfolgte und der Tatrichter bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht von der Strafandrohung des § 176a Abs. 2 und 4 StGB hätte ausgehen müssen.
10
Da aus den dargelegten Gründen auch nicht festgestellt werden kann, dass für beide Vortaten bei isolierter Aburteilung jeweils Jugendstrafen von mindestens einem Jahr verhängt worden wären, liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB a.F. ebenfalls nicht vor.

III.


11
Bleibt die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos, hat der Nebenkläger seine im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2004 – 2 StR 149/04, bei Becker, NStZ-RR 2006, 65, 67; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 90).
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin