Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08

bei uns veröffentlicht am09.10.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 238/08
vom
9. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 5. November 2007 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die - im Übrigen freigesprochene - Angeklagte wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch und die zugehörigen Feststellungen - soweit es die Angeklagte betrifft - beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Revision beanstandet insbesondere die von der Kammer angenommene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sowie das Maß der darauf beruhenden Kompensation. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

I.


2
Die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vorgenommene Kompensation begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
1. Die Strafkammer hat an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als verwirkt angesehen. Sie hat sodann zum Ausgleich für eine von ihr bejahte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von vier Monaten von der eigentlich als schuldangemessen erachteten Freiheitsstrafe einen bezifferten Strafabschlag von sechs Monaten vorgenommen und gegen die zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierte Angeklagte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt.
4
2. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat. Der Senat kann offenlassen, ob ein sachlich-rechtlicher Fehler schon allein darin liegt, dass das Landgericht bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. Dezember 2006 verwiesen hat, der eine Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. zum Gegenstand hat. Jedenfalls genügt diese bloße Bezugnahme hier nicht, weil das Landgericht bei der Beurteilung des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte als das Oberlandesgericht. http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=30&S=225 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=30&S=225&I=227 - 5 -
5
a) Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung sind als Grundlage der Kompensation Art, Ausmaß und Ursachen der Verfahrensverzögerung zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Insofern hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Festsetzung der Strafe mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Strafzumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen, § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (st. Rspr.; vgl. nur BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 71/08; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08). Dabei muss grundsätzlich jedes Strafurteil aus sich heraus verständlich sein (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 30, 225, 227; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 1; BGH NStZ-RR 2007, 22). Gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen deshalb in der Regel nicht durch Bezugnahmen ersetzt werden, da es ansonsten sachlichrechtlich an der Möglichkeit einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (BGH NStZ-RR 2007, 22 m.w.N.).
6
b) Gemessen an diesen Maßstäben erscheinen die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils nicht unbedenklich. Die Kammer führt lediglich pauschal aus, ohne nähere Einzelheiten zu den jeweiligen Verfahrensschritten festzustellen , die Tat liege vier Jahre zurück, die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft und die Anklage datierten vom 20. Oktober 2005. Am 2. März 2006 habe die Kammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, die Hauptverhandlung habe am 4. Oktober 2006 begonnen und über ein Jahr gedauert. Weiter legt sie dar, dass „nach den Feststellungen des OLG Bamberg im Beschluss vom 19.12.2006“ (in dem wiederum auf den hinsichtlich des frü- heren Mitangeklagten K. W. ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 2006, StV 2007, 254, verwiesen wird) „es zu einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung von 4 Monaten gekommen“ sei, „da der ursprünglich bestimmte Hauptverhandlungstermin vom 17.05.2006 aufgehoben“ worden sei (UA S. 82/83).
7
aa) Damit beschränkt sich das Landgericht auf die bloße Aneinanderreihung der zeitlichen Abläufe und die Wiedergabe einer wertenden Beurteilung eines anderen Gerichts in einer Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. . Die gebotenen konkreten Feststellungen zum Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in Bezug auf die Angeklagte H. W. hat es damit jedoch nicht getroffen.
8
(1) Insbesondere hat die Strafkammer weder die Gründe für die Neuterminierung mitgeteilt, noch die zur Vorbereitung und Terminierung des neuen, zudem nach einem Wechsel des Kammervorsitzes und des Berichterstatters in neuer Gerichtsbesetzung stattfindenden Hauptverhandlungstermins erforderlichen Zeitspannen erkennbar berücksichtigt (vgl. BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 514/07). Es wäre aber festzustellen gewesen, welcher Zeitraum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen in der vorliegenden umfangreichen Wirtschaftstrafsache, die wegen mehrerer Tatkomplexe gegen zwei Angeklagte geführt wurde, beansprucht werden durfte. Denn dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08; zur Vorbereitung und Terminierung in Wirtschaftsstrafsachen vgl. BGH NJW 2008, 2451, 2453 f.).
9
(2) Außerdem hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der Umstand, dass das Strafverfahren während eines einzelnen Verfahrensabschnitts verzögert betrieben wurde, für sich allein keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründet, wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit abgeschlossen wurde (BGH NStZ 2004, 504; NStZ-RR 2007, 150, 151; vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. Juli 2005 - 57019/00). Bei der Prüfung, ob eine Strafsache insgesamt in angemessener Frist (im verbindlichen englischen Originaltext „…within a reasonable time…“) i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhandelt worden ist, sind neben der gesamten Dauer von dem Zeitpunkt an, in dem die Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wurde, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die Art und die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhalten der Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem andauernden Verfahren verbundenen Belastungen für die Beschuldigte als maßgebende Kriterien festzustellen und zu berücksichtigen (BGH NStZ 2004, 504).
10
bb) Der Senat lässt - wie oben dargelegt - offen, ob für die Beurteilung dieser an sich notwendigen eigenen Darlegungen im Urteil der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg, auf den das landgerichtliche Urteil verweist, und der dort enthaltene Hinweis auf die veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG StV 2007, 254) ergänzend herangezogen werden können. Die bloße Bezugnahme auf diese Entscheidungen verbietet sich vorliegend jedenfalls deshalb, weil das Tatgericht bei der Bewertung des Bestehens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte, als dies im Rahmen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Oberlandes- gerichts betreffend die Haftfortdauer des früheren Mitangeklagten K. W. der Fall war.
11
(1) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG garantieren das Recht eines jeden Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Dauer des Strafverfahrens vom Zeitpunkt der Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (BGH StV 2002, 598; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 80 ff. m.w.N.). Unabhängig davon besteht der Anspruch des aus Gründen der Prozesssicherheit inhaftierten Angeklagten „auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung“ aus der Haft, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Der für die Beurteilung der insoweit angemessenen Dauer maßgebende Fristbeginn ist hierbei zunächst der tatsächliche Beginn der Freiheitsentziehung, das maßgebliche Fristende der Erlass des erstinstanzlichen Urteils (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 116, 117).
12
(2) Die „angemessene Frist“ für die Untersuchungshaft ist dabei wesentlich kürzer bemessen und unterliegt strengeren Anforderungen als die Frist, binnen der das Strafverfahren durchgeführt sein muss. Während für die Unangemessenheit der Verfahrensdauer als Maßstab der Zeitraum gilt, der für die sachgerechte Erledigung des jeweiligen Verfahrens bei ordnungsgemäßer Bearbeitung im normalen Verfahrensbetrieb notwendig ist, ist bei der Frage der weiteren Haftfortdauer regelmäßig nur die bei größtmöglicher Beschleunigung erreichbare Minimaldauer hinnehmbar (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 114; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. Rdn. 828). Damit können die Fristen für die Verfahrenserledigung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG länger sein als die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gesetzten , in denen über eine Freiheitsentziehung zu entscheiden ist.
13
(3) Hinzukommt, dass - anders als bei der Frage der Angemessenheit der Dauer des gesamten Strafverfahrens - die Angemessenheit der Dauer der Haft nicht rückblickend zu beurteilen ist, sondern ex ante von der jeweils gegebenen , aktuellen Verfahrenslage aus (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 115).
14
(4) Eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist demnach nicht zwangsweise zugleich auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (so bereits EGMR, Matznetter/Österreich, Urt. vom 10. November 1969 - 2178/64; vgl. auch Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 76; Paeffgen in SK-StPO 57. Lfg. Art. 5 MRK Rdn. 61). Dies gilt erst recht in einem Verfahren , das - wie gegenständlich - gegen mehrere Angeklagte geführt wird: Während ein bestimmter Verfahrensablauf für einen, noch dazu inhaftierten Mitangeklagten einen Verstoß gegen das in Haftsachen gebotene Beschleunigungsgebot darstellen kann, muss dies für die andere, nicht in Haft befindliche Angeklagte keineswegs zwangsläufig eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründen. Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt ist vielmehr nach den individuellen Umständen des Einzelfalles - insbesondere unter Berücksichtigung der persönlichen Auswirkungen der Verfahrensdauer für den jeweiligen Betroffenen - für jeden Angeklagten eigenständig zu beurteilen (vgl. BGH, Beschl. vom 21. Juli 2005 - 1 StR 78/05). Dies hat die Strafkammer verkannt.
15
3. Die verhängte Freiheitsstrafe kann aber auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht für die von ihm angenommene Verfahrensverzögerung von vier Monaten einen Strafabschlag von sechs Monaten gewährt hat. Dies überschreitet die Grenzen des dem Tatrichter insoweit zuzubilligenden Beurteilungsspielraums und erweist sich daher als rechtsfehlerhaft.
16
a) Allgemeine Kriterien für die Festlegung der für erforderlich erachteten Kompensation lassen sich zwar nicht aufstellen. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Jedoch ist im Auge zu behalten, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die damit verbundenen Belastungen der Angeklagten - wie auch vorliegend - bereits strafmildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind. In diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung geht es daher nur mehr um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Verzögerung. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen. Vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben (BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 50/07; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08).
17
b) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegt die vom Landgericht vorgenommene Reduzierung der ohne die angenommene Verfahrensverzögerung von vier Monaten als verwirkt erachteten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten um sechs Monate nicht mehr im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens. Das Landgericht hat damit nicht nur eine Anrechnung entsprechend dem Maßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorgenommen, sondern eine solche in Höhe des eineinhalbfachen der von ihm bejahten Verzögerung und somit einen Abschlag von einem Drittel der eigentlich als tat- und schuld- angemessen angesehenen Freiheitsstrafe gewährt. Damit hat das Landgericht der Angeklagten eine Strafreduzierung zugebilligt, die zu einer Verkürzung der gegebenenfalls noch zu vollstreckenden Strafe in einem Umfang führt, der nicht einmal durch eine viermonatige inländische Untersuchungshaft hätte erreicht werden können (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH StV 2008, 299). Ein derart hohes Maß an Kompensation könnte nur ausnahmsweise durch deutlich gravierendere individuelle Belastungen der zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierten Angeklagten infolge der Verfahrensverzögerung als der hier festgestellten gerechtfertigt sein (vgl. BGH StV 2007, 461, 462).
18
4. Schließlich entspricht das vom Landgericht angewandte Kompensationsverfahren („Strafabschlagslösung“) nicht der - nach dem angefochtenen Urteil - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK („Vollstreckungsmodell“; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860 ff.).

II.


19
Der Strafausspruch sowie die zugehörigen Feststellungen waren deshalb - soweit es die Angeklagte betrifft - aufzuheben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Damit entfällt auch die Grundlage der Entscheidung des Landgerichts über die Strafaussetzung zur Bewährung.

III.


20
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
21
1. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird die für eine mögliche Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung maßgeblichen Umstände als gerichtskundige Tatsachen zu behandeln haben und sich diese Kundigkeit im Freibeweisverfahren verschaffen können (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 11).
22
2. Es wird zu bedenken haben, dass nicht jede geringfügige Verzögerung - zumal in einer komplexen Wirtschaftsstrafsache mit nicht nur einer Angeklagten - bereits unangemessen und rechtsstaatswidrig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Juli 2008 - 2 StR 283/08). Insbesondere führt ein lediglich vorübergehender Engpass in der Arbeits- und Verhandlungskapazität der Strafverfolgungsbehörden nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGH StraFo 2005, 24).
23
3. Für den Fall, dass auch das neue Tatgericht nach den neu zu treffenden Feststellungen zu der Überzeugung gelangt, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, so erscheint eine durch die Neuterminierung eingetretene Verfahrensverzögerung von - wie bisher festgestellt - vier Monaten jedoch denkbar gering. Insofern wird auch der Umstand Bedeutung erlangen, dass nach dem Vortrag der Revision als (Mit-)Ursache für die lange Dauer der Hauptverhandlung das Prozessverhalten der Angeklagten (vgl. RB S. 11) ebenfalls in Betracht kommt. Bei diesen Gegebenheiten ist zu berücksichtigen, dass zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung die bloße ausdrückliche Feststellung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausreichen kann und ein darüber hinaus gehender Ausgleich nach der „Vollstreckungslösung“ nicht in jedem Fall geboten ist (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 21. Februar 2008 - 4 StR 666/07). Dies gilt umso mehr, als dem Abstand zwischen Tat und Aburteilung sowie dem wegen der Verfah- rensdauer vom Landgericht angenommenen - an sich aber fern liegenden und jedenfalls konkret nicht belegten - psychischen Druck auf die nicht inhaftierte Angeklagte bereits im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen ist.
Nack Wahl Elf Graf Sander

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08 zitiert 7 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafgesetzbuch - StGB | § 51 Anrechnung


(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08 zitiert oder wird zitiert von 17 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2008 - 4 StR 666/07

bei uns veröffentlicht am 21.02.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 666/07 vom 21. Februar 2008 in der Strafsache gegen wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Gener

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2005 - 1 StR 78/05

bei uns veröffentlicht am 21.07.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 78/05 vom 21. Juli 2005 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Betrugs Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2005 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts L

Bundesgerichtshof Urteil, 06. März 2008 - 3 StR 50/07

bei uns veröffentlicht am 06.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 3 StR 50/07 vom 6. März 2008 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März 2008, an der teilgenommen habe

Bundesgerichtshof Urteil, 06. März 2008 - 3 StR 514/07

bei uns veröffentlicht am 06.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 514/07 vom 6. März 2008 in der Strafsache gegen wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März 20

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2008 - 3 StR 54/08

bei uns veröffentlicht am 11.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 54/08 vom 11. März 2008 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen zu 1.: Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu 2. und 3.: bandenmäßiger Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht g

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Apr. 2008 - 3 StR 71/08

bei uns veröffentlicht am 09.04.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 71/08 vom 9. April 2008 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Betrug u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. April

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08

bei uns veröffentlicht am 27.05.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 157/08 vom 27. Mai 2008 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Mai 2008 g
10 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08.

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2011 - 1 StR 153/11

bei uns veröffentlicht am 23.08.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 153/11 vom 23. August 2011 BGHSt: ja zu A II. 3. a BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34 Nach Übernahme eines Ermittlungsver

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Sept. 2009 - 4 StR 292/09

bei uns veröffentlicht am 22.09.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 292/09 vom 22. September 2009 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Septe

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - 4 StR 514/09

bei uns veröffentlicht am 02.02.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 514/09 vom 2. Februar 2010 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Betrug u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. Februar 2010 ge

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Feb. 2012 - 1 StR 525/11

bei uns veröffentlicht am 07.02.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 525/11 vom 7. Februar 2012 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ______________________ AO § 370 Abs. 1 und 3; StGB § 46 Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehun

Referenzen

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 71/08
vom
9. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Betrug u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. April 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 6. November 2007 im Strafausspruch mit den Feststellungen zur Verfahrensverzögerung aufgehoben ; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "zweifacher Beihilfe zum Betrug, dieser in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangen, sowie wegen versuchten Betrugs" unter Einbeziehung von Vorstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat - ohne Einzelheiten zu dem Verfahrensverlauf festzustellen - eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angenommen, weil zwischen dem Eingang der Anklageschrift bei Gericht im Juli 2006 und dem Beginn der Hauptverhandlung im Oktober 2007 ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe. Es hat diese Verzögerung dadurch kompensiert, dass es zunächst die an sich verwirkten Einzelstrafen benannt und hieraus eine fiktive Gesamtstrafe gebildet, sodann niedrigere Einzelstrafen festgesetzt und aus diesen eine verminderte Gesamtstrafe gebildet hat. Dabei hat es jeweils die Einzelstrafen aus zwei Vorverurteilungen in die Gesamtstrafenbildung einbezogen (§ 55 StGB).
3
Diese Verfahrensweise ("Strafabschlagslösung") steht, soweit das Landgericht den gesamten Zeitraum zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewertet hat, bereits mit den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung nicht in Einklang. Danach waren als Grundlage der Kompensation Art und Ausmaß der rechtsstaatswidrigen Verzögerung sowie ihre Ursache konkret zu ermitteln und im Urteil festzustellen (vgl. BGH NJW 2007, 3294, 3295). Sie entspricht im Übrigen nicht der - nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860). Dadurch ist der Angeklagte beschwert, weil sich durch das Vollstreckungsmodell der Zeitpunkt, zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nach vorne verlagert. Der Angeklagte könnte deshalb - bei Vorliegen der übrigen, hier nicht von vornherein ausgeschlossenen Voraussetzungen des § 57 StGB - früher als nach dem Strafabschlagsmodell aus dem Strafvollzug entlassen werden.
4
2. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells wird der neue Tatrichter Folgendes zu beachten haben (s. im Einzelnen BGH aaO S. 866 f.):
5
a) Auch bei der jetzt gebotenen Anwendung des Vollstreckungsmodells sind Art und Ausmaß der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung konkret zu ermitteln und im Urteil darzustellen. Es wird deshalb festzustellen sein, welcher Zeitraum zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung als bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung erforderlich anzusehen ist. Dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen.
6
b) Der neue Tatrichter wird sodann zunächst nach den Kriterien des § 46 StGB schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafen festzusetzen und aus diesen sowie den einzubeziehenden Vorstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden haben. Dabei wird zu prüfen sein, inwieweit der zeitliche Abstand zwischen den begangenen Taten und dem Urteil sowie die Verfahrensdauer als solche bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.
7
c) Für den Fall, dass allein die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als Kompensation nicht ausreichen wird (vgl. dazu BGH aaO S. 864, 866), ist daran anschließend im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Entscheidend für diese Festlegung sind die Umstände des Einzelfalls wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Dabei muss im Auge behalten werden, dass die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Der neue Tatrichter ist durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert, höhere Einzelstrafen als die bisher erkannten zu verhängen und auch eine höhere Gesamtstrafe auszusprechen. Indes dürfen die neuen Einzelstrafen die im angefochtenen Urteil als an sich verwirkt und - ohne Kompensationsabschlag - als schuldangemessen ausgewiesenen Strafen nicht übersteigen. Außerdem darf die im Falle vollständiger Vollstreckung zu verbüßende Strafe (schuldangemessene Gesamtfreiheitsstrafe abzüglich des als vollstreckt geltenden Teils) nicht höher sein, als die im angefochtenen Urteil ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Damit wird sichergestellt, dass der Angeklagte, auch wenn der neue Tatrichter auf eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe erkennt, durch die Kompensation in Form der Vollstreckungslösung im Ergebnis nicht schlechter steht; denn die höchst mögliche Gesamtverbüßung kann im Vergleich zum bisherigen Straferkenntnis auch dann nicht länger dauern.
8
3. Die ungenügenden Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung waren aufzuheben, um dem neuen Tatrichter die Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Die übrigen Strafzumessungstatsachen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben; der neue Tatrichter ist nicht gehindert, diesbezüglich ergänzende Feststellungen zu treffen, die indes zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.
RiBGH Dr. Miebach befindet RiBGH von Lienen ist erkrankt sich im Urlaub und ist daher und daher gehindert zu untergehindert zu unterschreiben. schreiben. Becker Becker Becker Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 54/08
vom
11. März 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
zu 2. und 3.: bandenmäßiger Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringerMenge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 11. März 2008 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2007 in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten L. und A. B. wegen bandenmäßiger unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und den Angeklagten K. wegen bandenmäßiger Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Nachprüfung der Schuldsprüche aufgrund der Revisionsrecht- fertigungen hat keinen Fehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen haben die Revisionen zu den Strafaussprüchen Erfolg.
2
Das Landgericht hat für die 15 festgestellten Taten Einzelstrafen zwischen drei Jahren zehn Monaten und sechs Jahren (Angeklagte L. und A. B. ) und zwischen vier Jahren zwei Monaten und sechs Jahren vier Monaten (Angeklagter K. ) als eigentlich verwirkt angesehen. Es hat bei allen Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung pauschal die lange Verfahrensdauer strafmildernd berücksichtigt. Sodann hat es als "Verzögerungen im Verfahrensgang , die dem Beschleunigungsgebot widersprechen", Zeiträume zwischen einzelnen Verfahrensabschnitten (zwischen der ersten polizeilichen Vernehmung und dem Urteil insgesamt knapp mehr als zwei Jahre) aufgezählt, ohne kenntlich zu machen, welcher konkrete Zeitabschnitt davon jeweils unter Anrechnung einer sachgerechten Verfahrensbehandlung einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK darstellt. Schließlich hat es auf dieser Grundlage bei allen Angeklagten jede Einzelstrafe um ein Jahr reduziert und daraus die genannten Gesamtfreiheitsstrafen gebildet.
3
Dies hält rechtlicher Überprüfung schon deswegen nicht stand, weil das Landgericht die Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung in einer der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht werdenden Weise kompensiert hat. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 17. Januar 2008 (GSSt 1/07 = BGH NJW 2008, 860; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) entschieden, dass in derartigen Fällen die Kompensation nicht mehr durch einen bezifferten Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen ist; vielmehr ist diese in der Urteilsformel auszusprechen und gleichzeitig zu bestimmen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil dieser Strafe als vollstreckt gilt. Diese Änderung der Rechtsprechung führt hier zur Aufhebung der Strafaussprüche; denn bei den bisher unbestraften bzw. nur geringfügig vorbestraften Angeklagten liegt es nahe, dass sie in Anwendung des Vollstre- ckungsmodells früher in den Genuss einer Aussetzung der Vollstreckung einer Reststrafe zur Bewährung kommen können, als dies bei der vom Landgericht noch angewendeten Strafabschlagslösung der Fall wäre (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866).
4
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird Folgendes zu beachten haben:
5
1. Bereits nach der früheren Rechtsprechung waren als Grundlage der Kompensation Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil festzustellen. Hieran hat sich auch nach dem Vollstreckungsmodell nichts geändert (BGH aaO). Die entsprechenden Feststellungen sind neu zu treffen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht jeweils die gesamten Zeiten zwischen verschiedenen verfahrensfördernden Maßnahmen als rechtsstaatswidrige Verzögerungen angesehen werden können; vielmehr durfte auch bei zügiger Verfahrensgestaltung die Erledigung dieser Maßnahmen jeweils eine angemessene Zeitdauer in Anspruch nehmen.
6
Die so getroffenen Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden , ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagten wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt waren, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht. Hierauf aufbauend sind die schuldangemessenen Einzel- und Gesamtstrafen festzustellen; letztere sind im Urteilstenor auszusprechen.
7
2. Da allein die Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hier als Kompensation nicht ausreichen wird (vgl. dazu BGH aaO S. 864, 866), ist daran anschließend im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafen zur Kompensation der Verzögerung jeweils als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen ; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
8
3. Der neue Tatrichter wird bei der Begründung der Strafzumessung Wendungen zu vermeiden haben, die die Besorgnis nahe legen, dass ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB vorliegen könnte. Denn es ist rechtlich bedenklich , wenn - bei bandenmäßigem Betäubungsmittelhandel der Erhalt recht hoher Einnahmen und Vergütungen - beim Gehilfen das Erbringen einer Unterstützungsleistung zugunsten des Haupttäters oder die helfende Beteiligung an den Taten der Mitangeklagten - die Entscheidung, strafbare Handlungen zu begehen, obwohl die Angeklagten nicht oder nur sehr geringfügig vorbestraft waren und keine Berührung zur Drogenszene hatten strafschärfend berücksichtigt werden. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 514/07
vom
6. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März 2008, an
der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 18. Juni 2007 im Strafausspruch mit den Feststellungen zu Art, Grund und Ausmaß einer Verfahrensverzögerung aufgehoben; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen" unter Einbeziehung von Vorstrafen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revision des Angeklagten und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte und im Ergebnis vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachbeschwerde.
2
I. Revision der Staatsanwaltschaft
3
Das Rechtsmittel hat vollen Erfolg.
4
1. Zwar zeigt die Staatsanwaltschaft keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf, soweit sie beanstandet, das Landgericht habe einzelne Strafzumessungsgesichtspunkte nicht berücksichtigt oder in die Straffindung einbezogene Aspekte nicht in hinreichendem Maße strafschärfend gewichtet; denn es ist weder ersichtlich, dass das Landgericht einen bestimmenden und daher im Urteil notwendig zu erörternden (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) Zumessungsgrund außer Betracht gelassen hätte, noch wird erkennbar, dass es einen von ihm zur Bestimmung der Strafe herangezogenen Aspekt in rechtlich relevanter Weise fehlbewertet hätte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin haben sich auch weder die Einzelstrafen noch die Gesamtstrafe, die das Landgericht - ohne Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung - für schuldangemessen erachtet hat, nach unten von ihrer Bestimmung gelöst, gerechter Schuldausgleich zu sein.
5
2. Jedoch begegnet die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) vorgenommene Kompensation durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
Die Strafkammer hat an sich Einzelstrafen von zweimal drei Jahre, einmal zwei Jahre und neun Monate, zweimal zwei Jahre und sechs Monate, zweimal ein Jahr und sechs Monate sowie - unter Einbeziehung von zwei Vorstrafen (drei Monate Freiheitsstrafe und 40 Tagessätze zu je 20 € Geldstrafe) - eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten als verwirkt angesehen. Es hat sodann zum Aus- gleich der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von insgesamt 24 Monaten von allen eigentlich als schuldangemessen erachteten Einzelstrafen einen bezifferten Strafabschlag von jeweils sechs Monaten vorgenommen und unter Einbeziehung der beiden Vorstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verhängt.
7
Dies hält sachlichrechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat. Es hat die gesamte Verfahrensdauer vom Abschluss der Vernehmungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren (April 2005) bis zum Beginn der - nach Aussetzung neu terminierten - Hauptverhandlung (4. Mai 2007) uneingeschränkt und pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesehen. Die gebotenen konkreten Feststellungen zu Art, Ausmaß und Ursachen der in verschiedenen Verfahrensabschnitten aufgetretenen Verzögerungen hat es damit nicht getroffen. Es hat insbesondere auch nicht berücksichtigt, dass in dem herangezogenen Gesamtzeitraum notwendige, den Fortgang des Verfahrens fördernde Tätigkeiten vorgenommen wurden, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen und dauern durften, ohne dass darin eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesehen werden könnte. Dies gilt etwa für die Bearbeitung der Ermittlungsakte nach Übersendung durch die Polizei an die Staatsanwaltschaft sowie die sich anschließende Abfassung der Anklageschrift, deren gerichtlichen Prüfung und Zustellung sowie die Durchführung des Zwischenverfahrens einschließlich der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Zu berücksichtigen waren ferner die zur Vorbereitung und Terminierung der ersten sowie für die Neuterminierung der zweiten Hauptverhandlung erforderlichen Zeitspannen.

8
Zudem entspricht das vom Landgericht angewandte Kompensationsverfahren ("Strafabschlagslösung") nicht der - nach dem angefochtenen Urteil - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860). All dies führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruches.
9
II. Revision des Angeklagten
10
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Insbesondere die vom Beschwerdeführer im Einzelnen beanstandete Verurteilung wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
11
Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sind noch ausreichende Feststellungen zum Vorliegen einer Bandenabrede zwischen dem Angeklagten, seinem Cousin und dem weiteren Beteiligten K. für die letzten drei Drogenlieferungen nach V. zu entnehmen. Die Bandenabrede muss nicht ausdrücklich getroffen werden; vielmehr genügt jede Form auch stillschweigender Vereinbarung (vgl. BGH NStZ 2001, 35, 37). Eine solche hat das Landgericht ersichtlich aus dem - konkret festgestellten - wiederholten deliktischen Zusammenwirken des Angeklagten mit den beiden anderen Personen hergeleitet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH NStZ 2002, 318 f.).
12
Für das Vorliegen einer Bande wäre es - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - im Übrigen rechtlich ohne Belang, wenn die Mitwirkung des als Transporteur des Rauschgifts tätigen Bandenmitglieds K. an den unter die Bandenabrede fallenden drei Taten - was das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt hat - jeweils als Beihilfe und nicht als Täterschaft anzusehen wäre (vgl. BGH aaO).

13
2. Die Anwendung der Strafabschlagslösung zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (s. o. Ziffer I. 2.) führt hier indessen auch auf die Revision des Angeklagten zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
14
III. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells hat der neue Tatrichter Folgendes zu beachten:
15
1. In der neuen Hauptverhandlung sind zunächst Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. In deren Rahmen ist in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer gegebenenfalls ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.
16
2. Hieran anschließend ist zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Reicht sie - was hier nahe liegen dürfte - dagegen als Entschädigung nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe - hier der aus mehreren Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe - zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es etwa aus, den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
17
Danach war der - gemessen an der fiktiven Gesamtfreiheitsstrafe vom Landgericht vorgenommene - Strafabschlag bei der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr - selbst bei Zugrundelegung der rechtsfehlerhaft festgestellten Verzögerung von zwei Jahren - zumindest rechtlich bedenklich. Ein solch erheblicher Abschlag hätte - auch im Hinblick darauf, dass keine durch die Verfahrensdauer bedingten individuellen Belastungen des Angeklagten festgestellt oder sonst ersichtlich sind, er lebt - nach rund drei Monaten Untersuchungshaft - seit der Haftverschonung im Februar 2005 wieder in geordneten Verhältnissen - ein erheblich gewichtigeres Ausmaß des Verstoßes gegen das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgestellte Gebot erfordert (vgl. BGH wistra 2006, 428). Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 157/08
vom
27. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Mai 2008 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. November 2007 im Strafausspruch mit den Feststellungen zur Verfahrensverzögerung aufgehoben; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf verfahrensund sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) vorgenommene Kompensation begegnet hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Die Strafkammer hat an sich Einzelstrafen von dreimal einem Jahr und sechs Monaten, zweimal einem Jahr, zweimal neun Monaten, einmal drei Jahre und zehn Monaten und eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten als verwirkt angesehen. Es hat sodann zum Ausgleich der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von knapp 16 Monaten von allen eigentlich als schuldangemessen erachteten Einzelstrafen einen bezifferten Strafabschlag von jeweils drei Monaten vorgenommen und eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verhängt.
4
Die vom Landgericht bei der Kompensation gewählte Verfahrensweise ("Strafabschlagslösung") entspricht nicht der nach Verkündung des angefochtenen Urteils geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860). Dadurch ist der Angeklagte beschwert, weil sich durch das Vollstreckungsmodell der Zeitpunkt, zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nach vorne verlagert. Der nicht vorbestrafte Angeklagte könnte deshalb - bei Vorliegen der übrigen, nicht von vornherein ausgeschlossenen Voraussetzungen des § 57 StGB - früher als nach dem Strafabschlagsmodell aus dem Strafvollzug entlassen werden.
5
2. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells wird der neue Tatrichter Folgendes zu beachten haben (s. im Einzelnen BGH NJW 2008, 866 f.):
6
a) Auch bei der jetzt gebotenen Anwendung des Vollstreckungsmodells sind Art und Ausmaß der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung konkret zu ermitteln und im Urteil darzustellen. Hierbei wird zu beachten sein, dass nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung angenommen - die gesamte Verfahrensdauer von der Anklageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung uneingeschränkt und pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesehen werden kann. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass in diesem Zeitraum auch notwendige, den Fortgang des Verfahrens fördernde Tätigkeiten vorgenommen wurden, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen und dauern durfte, ohne dass darin eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesehen werden könnte (vgl. Senat, Urt. vom 6. März 2008 - 3 StR 541/07). Es wird deshalb festzustellen sein, welcher Zeitraum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen beansprucht werden durfte. Dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen.
7
b) Der neue Tatrichter wird sodann zunächst nach den Kriterien des § 46 StGB schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafen festzusetzen und aus diesen eine Gesamtstrafe zu bilden haben. Dabei wird zu prüfen sein, inwieweit der zeitliche Abstand zwischen den begangenen Taten und dem Urteil sowie die Verfahrensdauer als solche bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht (zu den hierbei durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO gezogenen Grenzen vgl. etwa Senat, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 71/08).
8
c) Daran anschließend ist im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Entscheidend für diese Festlegung sind die Umstände des Einzelfalls wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Dabei muss im Auge behalten werden, dass die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
9
3. Die ungenügenden Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung waren aufzuheben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Die übrigen Strafzumessungstatsachen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, diesbezüglich ergänzende Feststellungen zu treffen, die indes zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen. Becker Miebach von Lienen RiinBGH Sost-Scheible befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 78/05
vom
21. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betrugs
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2005 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Oktober 2004 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Die Angeklagten haben bis Anfang 2001 zahlreiche Anlag ebetrügereien mit einem Gesamtschaden von über einer halben Million DM begangen. Deshalb wurde der Angeklagte G. unter Einbeziehung der Strafen aus mehreren, zum Teil einschlägigen Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten und die Angeklagte Z. einer zu Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die unausgeführte Sachrüge und eine identische Verfahrensrüge gestützten Revisionen sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Auszuführen ist dies nur hinsichtlich der Verfahrensrüge, mit der eine nicht in der gebotenen Weise kompensierte Verfahrensverzögerung i. S. d. Art. 6 MRK geltend gemacht wird.
1. Die den Angeklagten im Sommer 2001 bekannt geword enen polizeilichen Ermittlungen, die über 100 Geschädigte einzubeziehen hatten, waren, so auch die Revision, "zügig und konzentriert". Mit der Vorlage des polizeilichen Schlussberichts bei der Staatsanwaltschaft im Juni 2002 sei das Verfahren zwar anklagereif gewesen, jedoch bis zur Anklageerhebung im Februar 2004 "schlicht unbearbeitet" geblieben. Die Annahme, mit Eingang eines polizeilichen Schlussberichts könne schon Anklagereife vorliegen, verkennt die Funktion der Staatsanwaltschaft. Sie ist Herrin des Ermittlungsverfahrens (vgl. hierzu zusammenfassend Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 163 Rdn. 3 m. w. N.) und hat nicht nur einen Polizeibericht in eine Anklage umzuformulieren, sondern jedenfalls die Ermittlungsergebnisse umfassend in tatsächlicher Hinsicht auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen, wo nötig, ergänzende Ermittlungen zu veranlassen und das Ermittlungsergebnis rechtlich zu bewerten. Bei einer, wie hier, umfangreichen und komplexen Wirtschaftsstrafsache (planmäßige Verschleierung des kriminellen Vorgehens, viele Geschädigte, nicht geständige Beschuldigte) hat all dies besonderes Gewicht (vgl. zusammenfassend Laue, Jura 2005, 89, 93 m. w. N.). Auch wenn sich ein Prüfungsergebnis, wonach die polizeilichen Ermittlungen nicht ergänzungsbedürftig sind, meist nicht in den Akten niederschlägt, ist gleichwohl auch in der Rückschau nicht Anklagereife schon mit Vorlage des polizeilichen Schlussberichts anzunehmen. 2. Anklage hätte zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin nich t erhoben werden können, da die Beschuldigten melderechtlichen Pflichten nicht nachgekommen und daher unbekannten Aufenthalts waren. Die Staatsanwaltschaft erwirkte Haftbefehle; erst im November 2002 (Z. ) bzw. Dezember 2002 (G. konnte ) der jeweilige Aufenthaltsort ermittelt werden, so dass die Haftbefehle letztlich nicht vollzogen (Z. ) bzw. außer Vollzug gesetzt (G. ) wurden. Bis dahin lag also nicht Anklagereife vor, sondern Einstellungsreife ent-
entsprechend § 205 StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 205 Rdn. 4 m. w. N.). Ein Verfahren, in dem Haftbefehle erwirkt und die zuvor unbekannten Aufenthaltsorte der Beschuldigten ermittelt werden, bleibt nicht "schlicht unbearbeitet", sondern wird sachgerecht betrieben. 3. Da es zu den Tatvorwürfen keiner weiteren Ermittlun gen bedurfte, wäre aber, so die Revision, jedenfalls im Januar 2003 "ohne weiteres" anzuklagen gewesen. Statt dessen hat die Staatsanwaltschaft zunächst Akteneinsichtsgesuche erfüllt, erst das eines Rechtsanwalts aus Essen, der mehrere Geschädigte vertrat und sich zuvor intensiv um die Akten bemüht hatte, dann das eines Verteidigers der Angeklagten Z. aus München. Es ist keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, sonde rn Erfüllung rechtsstaatlicher Gebote, wenn die Staatsanwaltschaft nicht "ohne weiteres" anklagt, sondern zunächst solchen Informationsbegehren nachkommt. Die Beachtung der Opferbelange ist Teil der zentralen rechtsstaatlichen Aufgaben des Strafverfahrens (vgl. BGH NJW 2005, 1519, 1520 m. w. N.). Hierzu gehört auch Akteneinsicht für einen Geschädigtenanwalt (§ 406e Abs. 1 StPO). Auch der Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (ABlEG Nr. L 82/1 ff.; zu dessen Bedeutung für das nationale Recht vgl. EuGH Urteil vom 16. Juni 2005 - C - 105/03) hebt den Informationsanspruch des Opfers hervor, vgl. vor Art. 1 Abs. 8 und Art. 4 Abs. 1 Satz 1. Akteneinsicht für einen Verteidiger (§ 147 StPO) ist e ine Konkretisierung des gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfG NJW 1994, 3219, 3220; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren 3. Aufl. Rdn. 108 jew. m. w N.).
4. Auch die von der Revision ebenfalls hervorgehobene kon krete Dauer der Akteneinsicht führt letztlich zu keinem anderen Ergebnis.
a) Die Akten wurden dem Geschädigtenvertreter am 3. Fe bruar 2003 für drei Tage übersandt, die interne Wiedervorlagefrist der Staatsanwaltschaft betrug einen Monat; nachdem die Akten nicht eingingen, wurde diese interne Frist wiederholt verlängert. Erstmals im April rief der Staatsanwalt bei dem Rechtsanwalt an, nachdem dieser am 7. April bei der Staatsanwaltschaft angefragt hatte, wo der Angeklagte einsitze, obwohl der Haftbefehl ausweislich der dem Rechtsanwalt vorliegenden Akten außer Vollzug gesetzt war (vgl. oben 2). Zwischen Mai und Juli 2003 mahnte die Staatsanwaltschaft die Aktenrückgabe mehrfach an, bis ihr die Akten Mitte Juli schließlich wieder vorlagen.
b) Es ist schon zweifelhaft, inwieweit es statthaft ist, d ie genannte Verfahrensrüge auch auf dieses Geschehen zu stützen. Aus § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO folgt, dass dem Verletzten im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Engelhardt in KK 5. Aufl. § 406e Rdn. 5; Burhoff aaO Rdn. 106) auch dann Akteneinsicht gewährt werden kann, wenn dies voraussehbar zu erheblicher Verfahrensverzögerung führt (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 406e Rdn. 14). Entscheidet der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts, ist dies unanfechtbar, § 406e Abs. 4 Sätze 1 und 3 StPO. Entscheidet der Staatsanwalt, kann eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden - dies ist offenbar nicht geschehen -, die ebenfalls unanfechtbar ist, § 406e Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO i. V. m. § 161a Abs. 3 Satz 4 StPO. Für unanfechtbar erklärte Entscheidungen unterliegen nicht der Kontrolle des Revisionsgerichts, § 336 Satz 2 StPO (vgl. auch BGH NJW 2005, 1519, 1520 m. w. N). Angesichts dessen ist fraglich, ob das Vorbringen, die Verfahrensverzögerung durch Akteinsicht für den Geschädigtenvertreter sei wegen
ihrer Erheblichkeit rechtsstaatswidrig, zu einer Überprüfung sämtlicher Details im Zusammenhang mit der Akteneinsicht durch das Revisionsgericht führen kann.
c) Letztlich kann dies aber offen bleiben, da sich aus den in Rede stehenden Umständen ohnehin kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ergibt. Die Revision hebt hervor, dass dem Geschädigtenvertreter die Akten nur für drei Tage übersandt worden seien. Hätte die Staatsanwaltschaft nur "nachdrücklich" agiert, hätte diese Akteneinsicht "innerhalb zwei Wochen durchgeführt werden können". Der Senat kann alledem nicht folgen. (1) Mit der ursprünglichen Frist von drei Tagen für di e Akteneinsicht hat die Staatsanwaltschaft diese Frist nicht im Wesentlichen unabänderbar verbindlich festgelegt, so dass ihre Überschreitung ohne weiteres dem Beschleunigungsgebot zuwiderliefe. Es gibt keine ausdrücklichen Regelungen über den einem Geschädigtenvertreter (oder Verteidiger) zuzubilligenden Zeitraum für Akteneinsicht (vgl. Burhoff aaO Rdn. 107). Es ist daher ein an der grundsätzlichen Bedeutung der Akteneinsicht (vgl. oben 3.) ebenso wie an den Umständen des Einzelfalls orientierter angemessener Zeitraum zuzubilligen, wobei insbesondere auch der - hier von der Revision nicht konkret mitgeteilte, ersichtlich aber nicht geringe - Aktenumfang von Bedeutung ist (vgl. BGH b. Herlan MDR 1955, 530; Burhoff aaO Rdn. 108). Hieran gemessen erscheint es fraglich, ob die dem Geschädigtenvertreter für die Akteneinsicht nur zugebilligten drei Tage noch als hinlänglich gewertet werden könnten. Jedenfalls ist die durch die internen Verfügungen vorgenommene Fristverlängerung im Ansatz keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, sondern eher die Korrektur eines zu knapp bemessenen Zeitraums.
(2) Der Senat braucht, zumal angesichts des fehlenden Vo rtrags zum damaligen Aktenumfang, nicht darüber zu befinden, welcher konkrete Zeitraum hier für die Akteneinsicht angemessen gewesen wäre. Dies ändert jedoch nichts daran , dass der Geschädigtenvertreter, wie seine Anfrage vom April 2003 (vgl. oben 4a) belegt, die Akten längere Zeit jedenfalls nicht intensiv bearbeitet hat. Er hat auch nicht um Verlängerung der Einsichtsfrist nachgesucht (vgl. Burhoff aaO m. w. N.), sondern sie sich unter Nichtbeachtung wiederholter Mahnungen eigenmächtig verlängert. So wenig ausreichend der ursprüngliche Zeitraum von drei Tagen erscheint, so wenig erscheint ein Zeitraum von fast einem halben Jahr noch vertretbar. Insgesamt liegt die Annahme einer Verletzung der in § 19 Abs. 1 Satz 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) statuierten Berufspflicht zu unverzüglicher Aktenrückgabe (eine "Selbstverständlichkeit", vgl. Hartung /Holl, Anwaltliche Berufsordnung 2. Aufl. § 19 BORA Rdn. 29) hier nahe. (3) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot setzt jedo ch (unter anderem ) eine Verzögerung voraus, die durch ein (im Sinne objektiver Pflichtwidrigkeit ) schuldhaftes Verhalten eines mit der Strafverfolgung befassten Justizorgans verursacht worden ist (vgl. zuletzt Kammerbeschluss des BVerfG vom 22. Februar 2005 - 2 BvR 109/05 m. N.). Verursachung bedeutet, dass das Verfahren bei anderem Vorgehen des Justizorgans sicher oder zumindest wahrscheinlich zügiger verlaufen wäre. So wäre es gewesen, wenn der Geschädigtenvertreter die Akten früher zurückgeschickt hätte. Er ist jedoch kein Justizorgan im aufgezeigten Sinne. Hiervon geht auch die Revision nicht aus. Sie meint aber, die Staatsanwaltschaft habe schuldhaft nicht intensiv genug auf die Rückleitung der Akten gedrängt und so das Verfahren verzögert. Dies kann hier nicht ohne weiteres bejaht werden: Von ihr anwendbare Zwangsmittel, mit denen die Rückgabe der Akten unmittelbar hätte durchgesetzt
werden können, stehen der Staatsanwaltschaft nicht zur Verfügung, ebenso wenig Sanktionsmöglichkeiten wie etwa gegenüber einem säumigen Sachverständigen (vgl. z. B. § 77 Abs. 2 StPO). Bei Nichteinhaltung von Fristen zur Aktenrückgabe bestehen demgegenüber, hierauf weist auch die Revision hin, vor allem standesrechtliche Möglichkeiten, also eine Rüge durch den Vorstand der zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 74 Abs. 1 Satz 1 BRAO), oder in schwerwiegenderen Fällen ein Verfahren vor dem Anwaltsgericht (§ 113 Abs. 1, § 114 BRAO; vgl. zu alledem Hartung/Holl aaO § 19 Rdn. 27; Berufsrechts- und Werbe -ABC Stichwort "Akteneinsicht"). Die entsprechenden Verfahren hätte die Staatsanwaltschaft Landshut jedoch allenfalls bei den für Essen zuständigen Stellen (Rechtsanwaltskammer oder Generalstaatsanwalt, vgl. § 120 BRAO) anregen können. Ein derartiges, nur sehr selten notwendiges und daher ungebräuchliches Vorgehen wäre ersichtlich zeitaufwändig und hätte schon deshalb den Aktenrücklauf schwerlich beschleunigt. Es kann auch davon ausgegangen werden - anderes behauptet auch die Revision nicht -, dass dem Rechtsanwalt sowohl die generelle Eilbedürftigkeit von Strafsachen als auch seine berufsspezifischen Pflichten als auch die Möglichkeiten standesrechtlicher Ahndung bekannt waren. Trotzdem hat er die Akten monatelang nicht zurückgegeben und eine Reihe von Mahnungen unbeachtet gelassen. Angesichts dieses hartnäckigen und nicht leicht verständlichen Verhaltens, erscheint es nicht wahrscheinlich , dass eine Rückforderung mit Zusätzen wie "dringend" oder "eilige Strafsache" , oder mit der Androhung, es werde auf die Erteilung einer Rüge hingewirkt werden, den Rücklauf der Akten tatsächlich beschleunigt hätte. Auch Erwägungen , wonach die Akten vielleicht im Mai zurückgekommen wären, wenn die Mahnungen im März eingesetzt hätten, da sie im Juli zurückkamen, nachdem die Mahnungen im Mai begannen, erscheinen hier nicht tragfähig.

d) Hinsichtlich des anschließenden Ablaufs der Akteneinsicht für den Verteidiger der Angeklagten Z. - Übersendung der Akten am 5. September für drei Tage; Mahnung am 6. Oktober, Rücklauf bei der Staatsanwaltschaft am 27. Oktober - ist im Ergebnis keine gewichtige Überschreitung der angemessenen Zeitdauer zu erkennen. Im Übrigen würden die Ausführungen bezüglich der Akteneinsicht für den Geschädigtenvertreter im Wesentlichen entsprechend gelten. 5. Der weitere Verfahrensgang ist durch insgesamt zügige s, keinesfalls aber unsachgemäß verzögertes Vorgehen gekennzeichnet.
a) Nachdem Ende Oktober 2003 die Akten der Staatsanwal tschaft wieder vorlagen, war die Anklage Anfang Februar 2004 fertig gestellt. Die Revision hebt demgegenüber hervor, dass die Staatsanwaltschaft schon früher, insbesondere gegenüber auswärtigen Gerichten, eine wesentlich schnellere Anklageerhebung angekündigt hatte; so hatte sie z. B. dem Landgericht Chemnitz im September 2002 mitgeteilt, die Anklageerhebung erfolge in acht bis zehn Wochen; hieran und an weiteren ähnlichen Ankündigungen im Laufe des Verfahrens müsse sie sich messen lassen. Dies geht schon im Ansatz fehl. Die genannten Erklärungen basieren nämlich erkennbar auf der Grundlage der Annahme, dass die Beschuldigten greifbar sind und die Akten wieder vorliegen. Eine Anklageerhebung gegen Beschuldigte, deren Aufenthalt unbekannt ist, wäre mit § 205 StPO unvereinbar , eine Anklageerhebung ohne Akten mit § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO. Davon unberührt ist die Frage nach der Zweckmäßigkeit solcher scheinbar einschränkungsloser und daher missverständlicher Ankündigungen. Ausgehend von Anklagereife ab Eingang der Akten Ende O ktober 2003 hat sich aber auch die Prognose einer notwendigen Bearbeitungszeit von etwa zehn Wochen, zumal angesichts des in den Wochen um die Jahreswende erfah-
rungsgemäß eingeschränkten Dienstbetriebes im Wesentlichen als richtig erwiesen. Im Übrigen richtet sich die Angemessenheit des Zeitraums für die Fertigung einer Anklage nach objektiven Kriterien, nicht nach einer Prognose des Staatsanwalts. Objektive Kriterien, die darauf hindeuten könnten, dass die Fertigung der Anklage ab Oktober 2003 unangemessen lang gedauert hätte, sind schon angesichts des Umfangs der Anklagevorwürfe, zu deren Beweis mehr als hundert Zeugen aufzuführen waren, nicht zu erkennen.
b) Das gerichtliche Verfahren verlief äußerst zügig. Ber eits Anfang Mai 2004 wurde das Hauptverfahren eröffnet, schon im Juni 2004 begann die Hauptverhandlung , die angesichts von Schwierigkeit und Umfang des Falles nach zahlreichen Verhandlungstagen im Oktober 2004 mit einem Urteil endete. 6. Nach alledem sind Anhaltspunkte für eine Verfahrensve rzögerung i. S. d. Art. 6 MRK nicht zu erkennen. Polizeiliche Ermittlungen und gerichtliches Verfahren wurden sehr zügig durchgeführt. Im Bereich der Staatsanwaltschaft hat der Zeitraum, in dem die Beschuldigten unbekannten Aufenthalts waren, außer Betracht zu bleiben, da insoweit die dem Verfahrensfortgang entgegenstehenden Gründe in der Person der Beschuldigten lagen (vgl. Laue aaO m. w .N.). Im Übrigen war der Zeitraum, in dem sich die Akten zur Einsicht bei dem Geschädigtenvertreter befanden, allerdings nicht unerheblich länger, als dies aus sachlichen Gründen geboten war. Dies war für die Staatsanwaltschaft jedoch weder voraussehbar noch verfügte sie über rechtliche Mittel, die es ihr bei der konkret gegebenen ungewöhnlichen Fallgestaltung mit Wahrscheinlichkeit ermöglicht hätten, Abhilfe zu schaffen. Unabhängig von alledem ist dadurch aber jedenfalls deshalb keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten, weil im Hinblick auf die sonstige Intensität und Dauer der Bearbeitung der Sache durch die jeweils zuständige Stelle die Verfahrensdauer angesichts des Verfahrensge-
genstands, seines Umfangs und seiner Schwierigkeit (vgl. insgesamt zusammenfassend Meyer-Goßner aaO Art 6 MRK Rdn. 7a m. w. N.) insgesamt keinesfalls unangemessen lang gedauert hat. Dies gilt umso mehr, als eine besondere Eilbedürftigkeit wegen des Vollzugs von Untersuchungshaft nicht vorlag (vgl. Meyer-Goßner aaO Art. 5 MRK Rdn. 9, BVerfG Kammerbeschluss vom 26. Januar 2005 - 2 BvR 62/05). 7. Der Senat bemerkt:
a) Der Generalbundesanwalt trägt vor, der Revisionsvortr ag zum Verfahrensumfang entspräche nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision (des Angeklagten G. ) hält dies im Ansatz für entbehrlich; da die Sache, wie sie meint, bei der Staatsanwaltschaft pflichtwidrig überhaupt nicht bearbeitet worden sei. Selbst wenn dies - was nicht der Fall ist - zuträfe, wäre Vortrag zum Verfahrensumfang nicht von vorneherein entbehrlich. Eine (etwaige ) Verzögerung in einem Verfahrensabschnitt könnte durch besonders zügige Bearbeitung in anderen Verfahrensabschnitten im Ergebnis bedeutungslos bleiben. Ob eine Bearbeitung besonders zügig ist, kann jedoch ohne Kenntnis des Verfahrensumfangs nicht beantwortet werden Ordnungsgemäßer Vortrag i. S. d. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verlangt, dass sich der Beschwerdeführer auch mit Umständen befasst, die seinem Vorbringen den Boden entziehen könnten (BGHSt 40, 218, 240; BGH NStZ-RR 1999, 26, 27; vgl. auch BVerfG NJW 2005, 1999, 2001 m. w. N.).
b) Eine von der Justiz verschuldete lange Verfahrensdauer führt um so eher zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäß Art. 6 MRK, je schwerwiegender die Auswirkungen der Verfahrensdauer für den Betroffenen sind (vgl. zusammenfassend BGH NStZ 2004, 504, 505 m. w. N.). So kann etwa die Ungewissheit darüber, ob eine - insbesondere möglicherweise hohe - Strafe
verhängt werden wird, für den Betroffenen zugleich Ungewissheit über sein weiteres Schicksal bedeuten; verstärkt sein kann dies, wenn neben den strafrechtlichen noch weitere, etwa schwerwiegende wirtschaftliche, soziale oder familiäre Konsequenzen drohen (vgl. Laue aaO m. w. N.). All dies könnte gegebenenfalls nur nach den individuellen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Die forensische Erfahrung eines Angeklagten, die Beweislage, soweit sie ihm bekannt ist und die Art seiner Verteidigung kann für die Beurteilung der Frage bedeutsam sein, ob eine solche Unsicherheit im konkreten Fall anzunehmen ist. Ebenso wenig sind die sozialen, wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse und daraus etwa resultierende Belastungen bei jedermann gleich, wie auch die hier getroffenen Urteilsfeststellungen verdeutlichen: Der Angeklagte G. hat, wie die nachträgliche Gesamtstrafenbildung und die Feststellungen zu seinen übrigen Vorstrafen zeigen, vielfältige gerichtliche Erfahrungen. Die Taten beging er unter Bewährungsbruch; er war vom Landgericht Chemnitz wegen zahlreicher Betrügereien und anderer Delikte zu zwei Jahren mit Bewährung verurteilt worden. Verteidigt hat er sich mit dem Vorbringen, er habe durch Geschäfte mit nicht zu nennenden Partnern die versprochenen Renditen (z. B. 1.400 %) erwirtschaft. Dafür dass keinerlei Zahlungen erfolgt seien, seien - nicht genannte - Andere mit verantwortlich. Von seiner Familie hat er sich 1985 getrennt; Unterhaltsverpflichtungen bestehen insoweit nicht. Der Angeklagte hat mit der Angeklagten Z. zwei noch jüngere Kinder, hat sich von ihr aber zwischenzeitlich ebenfalls getrennt. Nachdem es die Finanzberatungsgesellschaft, in deren Rahmen er die abgeurteilten Taten begangen hat, nicht mehr gibt, war er dann bis zur Hauptverhandlung "leitender Angestellter bei einer österreichischen Finanzberatungsgesellschaft". Die Angeklagte Z. , wesentlich seltener und nur mit Geldstrafen vorgeahndet, hat sich damit verteidigt, sie habe dem Angeklagten G. vertraut. Sie hat insgesamt vier Kinder, von denen drei noch minderjährig
sind und bei ihr leben. Sie lebt nicht zuletzt von Sozialhilfe und Kindergeld. Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser vielfältigen Unterschiede die genannten Voraussetzungen einer besonderen Belastung wegen Verfahrensverzögerung nicht ohne weiteres in gleicher Weise angenommen werden können. Insbesondere hinsichtlich des Angeklagten G. erschiene die Annahme nicht so nahe liegend, als dass auf entsprechenden Revisionsvortrag verzichtet werden könnte (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2004, 356).
c) Wie dargelegt, stand der Angeklagte G. wege n der Verurteilung durch das Landgericht Chemnitz unter Bewährung (vgl. oben 7b). Das hier zu Grunde liegende Ermittlungsverfahren war dem Landgericht Chemnitz bekannt, es stand deshalb in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Landshut (vgl. oben 5b). Nachdem eine Anklageerhebung aus den dargelegten Gründen zunächst nicht möglich war, wurde die Strafe jedoch im Februar 2004 erlassen. Der Generalbundesanwalt meint, selbst wenn eine kompensationsbedürftige rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorläge, sei diese hinsichtlich des Angeklagten G. durch den Straferlass kompensiert. Die Revision meint dagegen, die Verfahren in Landshut und Chemnitz seien getrennt zu sehen. Auch wenn dies mangels kompensationsbedürftiger Verfahrensverzögerung hier keiner Entscheidung bedarf, neigt der Senat zur Auffassung des Generalbundesanwalts. Die Annahme, dass getrennt geführte Verfahren keine Wechselwirkung haben, widerspricht den Grundsätzen des sog. Härteausgleichs bei Unmöglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung der sonst einbeziehungsfähigen Strafe (vgl. hierzu G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 683 m w. N.). Bei dieser Fallgestaltung geht es ebenso wie hier um die Folgen, die sich in einem anderen Verfahren daraus ergeben,
dass eine Tat nicht früher angeklagt bzw. abgeurteilt wurde. Warum dabei zwar Nachteile auszugleichen, Vorteile aber nicht zu berücksichtigen seien, ist nicht erkennbar. Nack Wahl Kolz Elf Graf

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 50/07
vom
6. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März
2008, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 9. August 2006 im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) und versuchten Betruges zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren (Einzelstrafen von drei Jahren und zehn Monaten sowie sechs Monaten ) verurteilt. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet vor allem die Einzelstrafe für das Brandstiftungsdelikt; sie führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
2
Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung eine - beide Einzeltaten betreffende - rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt. Ohne deren Berücksichtigung hätte es für die besonders schwere Brandstiftung - aus dem Straf- rahmen des § 306 b Abs. 2 StGB - die Mindeststrafe von fünf Jahren als an sich verwirkt und schuldangemessenen angesehen. Da deshalb der für die eingetretene Verfahrensverzögerung zwingend vorgeschriebene Strafabschlag innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens nicht vorgenommen werden könne, § 306 b StGB insbesondere einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle nicht vorsehe, hat es § 49 Abs. 1 StGB analog angewandt und den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB entsprechend herabgesetzt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die verfassungsrechtlich gebotene Kompensation hier einen ungeschriebenen gesetzlichen Milderungsgrund darstelle. Es hat zum Ausgleich für die Verzögerung hinsichtlich der besonders schweren Brandstiftung einen Strafabschlag von einem Jahr und zwei Monaten vorgenommen und statt der an sich verwirkten Einzelstrafe von fünf Jahren eine solche von drei Jahren und zehn Monaten verhängt. Für die Betrugstat hat es eine Freiheitsstrafe von einem Jahr als an sich verwirkt ausgewiesen und im Hinblick auf die gebotene Kompensation eine solche von sechs Monaten festgesetzt. Aus diesen beiden reduzierten Einzelstrafen hat es sodann die Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht Stand.
3
1. Allerdings ist die Zumessung der beiden fiktiven Einzelstrafen, die das Landgericht als an sich verwirkt angesehen und ausgewiesen hat, für sich rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit es für die besonders schwere Brandstiftung lediglich die - angesichts der gegebenen Umstände relativ milde - Mindeststrafe von fünf Jahren ausgewiesen hat. Insoweit hat die Beschwerdeführerin die Strafzumessung des Landgerichts auch nicht beanstandet.
4
Als rechtsfehlerhaft erweist es sich dagegen, dass das Landgericht den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB analog § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, um auf diesem Wege die Möglichkeit zu eröffnen, dem Angeklagten die für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gebotene Kompensation zu gewähren. Die Gründe hierfür hat der Senat in seinem Beschluss in dieser Sache vom 23. August 2007 (BGH NJW 2007, 3294) im Einzelnen dargelegt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht hinreichend gewährt werden könne, die gebotene Entschädigung des Angeklagten nicht durch einen Abschlag auf die an sich verwirkte Strafe, sondern durch eine im Urteil auszusprechende Vergünstigung des Angeklagten bei der Strafvollstreckung vorzunehmen sei. Er hat darüber hinaus den hier zu beurteilenden Sonderfall zum Anlass genommen , zur Fortbildung des Rechts dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung generell nach diesem Vollstreckungsmodell zu leisten sei. Der Große Senat hat die ihm vorgelegte Rechtsfrage wie folgt beantwortet (BGH - GS - NJW 2008, 860):
5
"Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist an Stelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der Strafe als vollstreckt gilt."
6
Danach kann hier der gesamte Strafausspruch keinen Bestand haben. Jedoch sind die Feststellungen des Landgerichts zu den Strafzumessungstatsachen sowie zu Art und Ausmaß der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung durch die fehlerhafte Form der Kompensation nicht berührt. Sie können daher aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.
7
2. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells ist Folgendes zu beachten:
8
Die bisherigen Feststellungen zu Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihren Ursachen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Insofern ist in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Festsetzung der Einzelstrafen in den Grenzen der gesetzlich eröffneten Strafrahmen und bei der Bildung der Gesamtstrafe mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine Bezifferung des Maßes der Strafmilderung ist nicht vorzunehmen.
9
Da allein die Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 864, 866) hier als Kompensation nicht ausreichen wird, ist daran anschließend festzulegen und im Urteilstenor auszusprechen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Entschädigung für die Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten.

Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen (so der Sache nach annähernd indessen das Landgericht im angefochtenen Urteil, wo für eine Verzögerung von einem Jahr und sechs Monaten ein Abschlag von einem Jahr und zwei Monaten auf die an sich für das Brandstiftungsdelikt verwirkte Strafe vorgenommen wurde); vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben. Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 54/08
vom
11. März 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
zu 2. und 3.: bandenmäßiger Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringerMenge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 11. März 2008 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2007 in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten L. und A. B. wegen bandenmäßiger unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und den Angeklagten K. wegen bandenmäßiger Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Nachprüfung der Schuldsprüche aufgrund der Revisionsrecht- fertigungen hat keinen Fehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen haben die Revisionen zu den Strafaussprüchen Erfolg.
2
Das Landgericht hat für die 15 festgestellten Taten Einzelstrafen zwischen drei Jahren zehn Monaten und sechs Jahren (Angeklagte L. und A. B. ) und zwischen vier Jahren zwei Monaten und sechs Jahren vier Monaten (Angeklagter K. ) als eigentlich verwirkt angesehen. Es hat bei allen Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung pauschal die lange Verfahrensdauer strafmildernd berücksichtigt. Sodann hat es als "Verzögerungen im Verfahrensgang , die dem Beschleunigungsgebot widersprechen", Zeiträume zwischen einzelnen Verfahrensabschnitten (zwischen der ersten polizeilichen Vernehmung und dem Urteil insgesamt knapp mehr als zwei Jahre) aufgezählt, ohne kenntlich zu machen, welcher konkrete Zeitabschnitt davon jeweils unter Anrechnung einer sachgerechten Verfahrensbehandlung einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK darstellt. Schließlich hat es auf dieser Grundlage bei allen Angeklagten jede Einzelstrafe um ein Jahr reduziert und daraus die genannten Gesamtfreiheitsstrafen gebildet.
3
Dies hält rechtlicher Überprüfung schon deswegen nicht stand, weil das Landgericht die Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung in einer der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht werdenden Weise kompensiert hat. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 17. Januar 2008 (GSSt 1/07 = BGH NJW 2008, 860; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) entschieden, dass in derartigen Fällen die Kompensation nicht mehr durch einen bezifferten Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen ist; vielmehr ist diese in der Urteilsformel auszusprechen und gleichzeitig zu bestimmen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil dieser Strafe als vollstreckt gilt. Diese Änderung der Rechtsprechung führt hier zur Aufhebung der Strafaussprüche; denn bei den bisher unbestraften bzw. nur geringfügig vorbestraften Angeklagten liegt es nahe, dass sie in Anwendung des Vollstre- ckungsmodells früher in den Genuss einer Aussetzung der Vollstreckung einer Reststrafe zur Bewährung kommen können, als dies bei der vom Landgericht noch angewendeten Strafabschlagslösung der Fall wäre (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866).
4
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird Folgendes zu beachten haben:
5
1. Bereits nach der früheren Rechtsprechung waren als Grundlage der Kompensation Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil festzustellen. Hieran hat sich auch nach dem Vollstreckungsmodell nichts geändert (BGH aaO). Die entsprechenden Feststellungen sind neu zu treffen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht jeweils die gesamten Zeiten zwischen verschiedenen verfahrensfördernden Maßnahmen als rechtsstaatswidrige Verzögerungen angesehen werden können; vielmehr durfte auch bei zügiger Verfahrensgestaltung die Erledigung dieser Maßnahmen jeweils eine angemessene Zeitdauer in Anspruch nehmen.
6
Die so getroffenen Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden , ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagten wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt waren, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht. Hierauf aufbauend sind die schuldangemessenen Einzel- und Gesamtstrafen festzustellen; letztere sind im Urteilstenor auszusprechen.
7
2. Da allein die Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hier als Kompensation nicht ausreichen wird (vgl. dazu BGH aaO S. 864, 866), ist daran anschließend im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafen zur Kompensation der Verzögerung jeweils als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen ; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
8
3. Der neue Tatrichter wird bei der Begründung der Strafzumessung Wendungen zu vermeiden haben, die die Besorgnis nahe legen, dass ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB vorliegen könnte. Denn es ist rechtlich bedenklich , wenn - bei bandenmäßigem Betäubungsmittelhandel der Erhalt recht hoher Einnahmen und Vergütungen - beim Gehilfen das Erbringen einer Unterstützungsleistung zugunsten des Haupttäters oder die helfende Beteiligung an den Taten der Mitangeklagten - die Entscheidung, strafbare Handlungen zu begehen, obwohl die Angeklagten nicht oder nur sehr geringfügig vorbestraft waren und keine Berührung zur Drogenszene hatten strafschärfend berücksichtigt werden. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 666/07
vom
21. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. Februar 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. August 2007 wird als unbegründet verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwölf Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge "unter Beisichführung eines Schlagringes" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Es hat ferner in der Urteilsformel ausgesprochen, von einer "Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 9.11.2005" abzusehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Revisionsrechtfertigung zeigt auch zum Strafausspruch keinen durchgreifenden Rechtsmangel auf.
3
1. Zwar hat das Landgericht der Verurteilung durch das Amtsgericht Bielefeld vom 9. November 2005 zu der noch nicht vollständig erledigten Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 8 Euro rechtsfehlerhaft keine Zäsurwirkung beigemessen. Die Möglichkeit, nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert auf eine Geldstrafe zu erkennen, wovon das Landgericht Gebrauch gemacht hat, führt nicht dazu, dass die Zäsurwirkung der auf Geldstrafe lautenden Vorverurteilung entfällt (vgl. BGHSt 32, 190, 194; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9). Dies hat das Landgericht verkannt.
4
Der Senat schließt jedoch aus, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Bei Berücksichtigung der Zäsurwirkung des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld wären zwei Gesamtfreiheitsstrafen zu bilden gewesen, nämlich eine solche aus den Einzelstrafen für die zwölf Taten des Tatkomplexes II 1 (je ein Jahr Freiheitsstrafe) und für die zwei Taten des Tatkomplexes II 2 (je ein Jahr sechs Monate Freiheitsstrafe) sowie eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe aus den für die Taten II 3 und 4 verhängten Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und einem Jahr neun Monaten. Die Ausführungen des Urteils (UA 17) belegen, dass das Landgericht diese Gesamtfreiheitsstrafen in ihrer Gesamtheit keinesfalls niedriger bemessen hätte, als die im angefochtenen Urteil festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren.
5
Nicht gänzlich auszuschließen ist zwar, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Gesamtstrafenbildung und unter Berücksichtigung eines insgesamt angemessenen Gesamtstrafenübels auf zwei Gesamtfreiheitsstrafen erkannt hätte, die jeweils zwei Jahre Freiheitsstrafe nicht überschritten hätten. In Anbetracht der Darlegungen des Landgerichts auf UA 17 und angesichts des Gewichts der Taten kann der Senat jedoch ausschließen, dass das Landgericht in diesem Falle von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, die Vollstreckung der beiden Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zur Bewährung auszusetzen.
6
2. Der Angeklagte ist auch nicht dadurch beschwert, dass das Verfahren zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens am 14. September 2006 und der eintägigen Hauptverhandlung am 10. August 2007 aus Gründen, die allein im Verantwortungsbereich der Justiz liegen, nicht angemessen gefördert und dieser Umstand im Urteil nicht ausdrücklich erörtert worden ist.
7
Die beanstandete Verfahrensverzögerung begründet unter den hier gegebenen Umständen zwar einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK. Der Angeklagte, der bezüglich der abgeurteilten Taten bereits im Ermittlungsverfahren geständig war, war - nach Vollzug einer dreimonatigen Untersuchungshaft - wegen des seit dem 14. Februar 2006 bis zur Hauptverhandlung unter Meldeauflagen außer Vollzug gesetzten Haftbefehls durch die lange Verfahrensdauer besonderen Belastungen ausgesetzt. Das Verfahren musste deshalb mit besonderer Beschleunigung betrieben werden (vgl. BVerfG StV 2003, 30 und 2006, 87, 88). Dies ist nicht in der gebotenen Weise geschehen. Soweit sich die Strafkammer wegen der Bearbeitung von aus ihrer Sicht vordringlicheren Strafsachen an einer früheren Terminierung gehindert sah, vermag dieser ersichtlich nicht nur vorübergehend bestehende Engpass in der Verhandlungskapazität die eingetretene Verfahrensverzögerung nicht zu rechtfertigen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar 2006 - 4 StR 456/05 = wistra 2006, 226).
8
Die durch die späte Terminsanberaumung eingetretene Verfahrensverzögerung ist jedoch denkbar gering. Wäre die Hauptverhandlung nur wenige Monate früher als geschehen durchgeführt worden, hätte dies dem sich aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ergebenden Gebot der Verfahrensbeschleunigung genügt. Der Senat kann unter diesen Umständen und insbesondere mit Blick auf die insgesamt milde Gesamtstrafe deshalb ausschließen, dass die Strafkammer dem Angeklagten zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung über die bloße Feststellung des Rechtsverstoßes hinaus eine weitergehende Entschädigung zugebilligt hätte, indem sie - der Rechtslage bei Urteilserlass entsprechend - von den an sich verwirkten Strafen einen bezifferten Abschlag vorgenommen hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - Rdn. 56; BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 4 StR 623/07 - Rdn. 23). Die hier zur Kompensation ausreichende Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann der Senat nachholen. Dass durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 17. Januar 2008 ein Systemwechsel bei der Vornahme der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung herbeigeführt worden ist, vermag an dem vorstehenden Ergebnis nichts zu ändern.
Maatz Athing Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible