Bundesgerichtshof Beschluss, 5. Juni 2024 - XII ZB 493/22

published on 27/07/2024 19:48
Bundesgerichtshof Beschluss, 5. Juni 2024 - XII ZB 493/22
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

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Amtliche Leitsätze

1.    Nur wesentliche Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter Ausfertigung führen zur Unwirksamkeit der Zustellung. Wesentlich sind Abweichungen, die die Entschließung über die Einlegung eines Rechtsmittels beeinflussen können (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 6. März 2024 - XII ZB 408/23, MDR 2024, 731 und vom 29. November 2006 - XII ZB 194/05, FamRZ 2007, 372; BGH Beschluss vom 24. Mai 2006 - IV ZB 47/05, NJW-RR 2006, 1570).

2.    Zum (hier verneinten) Verschulden eines Rechtsanwalts, der darauf vertraut, dass für den Beginn der Beschwerdefrist erst eine zweite Beschlusszustellung maßgebend ist.

3.    Urteilsersetzende Beschlüsse in Ehe- und Familienstreitsachen sind gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 311 Abs. 2 ZPO zu verkünden. Der Nachweis für die erfolgte Verkündung kann nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 165 Satz 1, 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO nur durch das Protokoll geführt werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11, FamRZ 2012, 1287).

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 5. Juni 2024

Az.: XII ZB 493/22

 

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 14. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Wert: 83.249 €

 

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich in einem güterrechtlichen Verfahren gegen die Verwerfung seiner Beschwerde.

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit einem am 7. März 2022 zugestellten Beschluss, der einen auf den 24. Februar 2022 lautenden Verkündungsvermerk trägt, zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs in Höhe von 83.248,50 € nebst Zinsen an die Antragstellerin verpflichtet. Auf Beanstandungen der Beteiligten über Unvollständigkeiten des Beschlusses hat das Amtsgericht am 8. März 2022 darauf hingewiesen, dass den Beteiligten „versehentlich Ausfertigungen des am 24. Februar 2022 verkündeten Beschlusses übersandt“ worden seien, die - wahrscheinlich aufgrund von Formatierungsfehlern bei der Textverarbeitung - nicht mit dem Originalbeschluss in der Gerichtsakte übereinstimmten. Zugleich hat es die Beteiligten gebeten, die „übersandten Beschlüsse zurückzureichen“, damit die „Entscheidung (…) erneut zugestellt werden“ könne.

Gegen den ihm am 24. März 2022 erneut zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 20. April 2022 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der vom Oberlandesgericht antragsgemäß bis zum 24. Juni 2022 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet. Das Oberlandesgericht hat nach entsprechendem Hinweis auf die Nichtwahrung der Rechtsmittelfrist die Beschwerde verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde.

 

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 112 Nr. 2, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat, welche ausgehend von seinen Feststellungen von Amts wegen hätte bewilligt werden müssen.

1. Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Die in § 63 Abs. 1, 3 Satz 1 FamFG bestimmte Monatsfrist begann nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 317 Abs. 1 Satz 1, 166 Abs. 2 ZPO ohne Rücksicht auf die Mängel der Beschlussausfertigung bereits mit der am 7. März 2022 erfolgten Zustellung zu laufen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es bei Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter beglaubigter Abschrift für die Wirksamkeit der Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist entscheidend darauf an, ob die zugestellte beglaubigte Abschrift formell und inhaltlich geeignet war, den Beteiligten die Entschließung über die Notwendigkeit der Einlegung eines Rechtsmittels zu ermöglichen. Der Zustellungsempfänger muss aus der beglaubigten Abschrift wenigstens den Inhalt der Urschrift und vor allem den Umfang seiner Beschwer und die tragenden Entscheidungsgründe erkennen können (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. März 2024 - XII ZB 408/23 - MDR 2024, 731 Rn. 6 mwN und vom 29. November 2006 - XII ZB 194/05 - FamRZ 2007, 372; BGH Beschluss vom 24. Mai 2006 - IV ZB 47/05 - FamRZ 2006, 1114, 1115 mwN).

b) Dies war hinsichtlich der am 7. März 2022 zugestellten beglaubigten Abschrift der Fall. Sowohl aus dem Tenor als auch aus den Gründen der Abschrift ergab sich seine Verpflichtung zur Zahlung eines Zugewinnausgleichsbetrags in Höhe von 83.248,50 € nebst Zinsen. Auch wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe unvollständig waren, ließen diese allein noch keine Zweifel am Umfang der Zahlungsverpflichtung aufkommen. Etwas anderes konnte sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht aufgrund des erst nachfolgenden Hinweises vom 8. März 2022 ergeben, zumal auch der Zustellungswille des Amtsgerichts (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2021 - XII ZB 314/21 - FamRZ 2022, 226 Rn. 6 mwN) unzweifelhaft gegeben war und die wesentlichen Förmlichkeiten erfüllt waren.

 
c) Da die Zustellung am 7. März 2022 wirksam war, konnte die nochmalige Zustellung den Lauf der Frist nicht mehr beeinflussen. Denn das Beschwerdegericht konnte durch die Veranlassung der erneuten Zustellung die Rechtswirkungen der bereits erfolgten Zustellung nicht mehr rückgängig machen (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09 - NJW 2011, 522 Rn. 20, 26 mwN). Auch wurde hierdurch keine neue Frist in Lauf gesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 6. März 2024 - XII ZB 408/23 - MDR 2024, 731 Rn. 8; BGH Beschluss vom 13. April 2000 - V ZB 48/99 - NJW-RR 2000, 1665, 1666).

2. Die Rechtsbeschwerde macht dagegen mit Recht geltend, dass das Beschwerdegericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdeeinlegungs- und -begründungsfrist hätte bewilligen müssen. Denn der Antragsgegner hat diese Fristen unverschuldet versäumt (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO). Ein Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, welches er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste, ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls nicht gegeben.

a) Zwar ist die verspätete Einlegung des Rechtsmittels auf den Irrtum des Rechtsanwalts über die den Fristlauf auslösende Zustellung zurückzuführen. Dass dieser Irrtum auf der Mitteilung des Gerichts beruhte, entlastet den Rechtsanwalt noch nicht ohne Weiteres. Denn auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts darf er sich nicht ohne Weiteres verlassen, sondern ist verpflichtet, die sich bei der Verfahrensführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09 - FamRZ 2011, 362 Rn. 30 mwN).


Anderes gilt indessen, wenn dem Rechtsanwalt vom Gericht gegebene Informationen sich auf gerichtsinterne Vorgänge beziehen und die Unrichtigkeit der Informationen mithin nicht ohne Weiteres zu erkennen ist. Erklärt etwa das Gericht die bereits erfolgte Zustellung für unwirksam und ist die Unrichtigkeit dieser Information für den Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres erkennbar, so trifft den Rechtsanwalt kein Verschulden, wenn er davon ausgeht, dass erst die wiederholte Zustellung wirksam ist und den Lauf einer Frist auslöst (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09 - FamRZ 2011, 362 Rn. 32 mwN). So liegt es auch im vorliegenden Fall. Die Aufforderung, die zugestellte Ausfertigung zurückzusenden, erfolgte durch die zuständige Richterin. Zwar waren den Beteiligten Unvollständigkeiten aufgefallen, jedoch war damit dem Rechtsanwalt das konkrete Ausmaß der Abweichungen von der erlassenen Entscheidung nicht erkennbar. Aus diesem Grund konnte er auch nicht aus eigener Kenntnis von der Wirksamkeit der ersten Zustellung ausgehen. Zumal er die erhaltene Ausfertigung auf die Aufforderung des Gerichts zurückgegeben hatte, ist ihm nicht vorzuwerfen, dass er hinsichtlich des Laufs der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist die zweite Zustellung für maßgeblich gehalten hat.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 2005 (IX ZB 147/01 - NJW-RR 2006, 563 f.) steht dem nicht entgegen. Der zugrunde liegende Fall ist insofern anders gelagert, als dort keine Informationen seitens des Gerichts erteilt worden waren, die die Annahme des Rechtsanwalts, die fehlerhaft erfolgte zweite Zustellung sei maßgeblich, hervorgerufen haben könnte. Deshalb fehlte es im Unterschied zum vorliegenden Fall an einem vom Gericht ausgelösten Vertrauenstatbestand.

b) Ob der Antragsgegner konkludent einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, kann hier offenbleiben. Denn bei der gegebenen Sachlage hätte das Beschwerdegericht ihm nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 2. August 2023 - XII ZB 96/23 - FamRZ 2023, 1735 Rn. 12 mwN). Die Wiedereinsetzung ist sowohl hinsichtlich der Beschwerdefrist als auch der Beschwerdebegründungsfrist auszusprechen. Letztere war bereits vor der Bewilligung der Fristverlängerung durch das Beschwerdegericht abgelaufen. Die absolute Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO steht nicht entgegen, weil die Fristversäumung allein dem Gericht zuzurechnen ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09 - FamRZ 2011, 362 Rn. 37 mwN).

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die nach § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 329 Abs. 1, 310 f. ZPO erforderliche Verkündung des erstinstanzlichen Beschlusses (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juni 2021 - XII ZB 51/21 - FamRZ 2021, 1556 Rn. 13 mwN) in der Akte nicht in der gebotenen Form nachgewiesen ist. Der Nachweis für die erfolgte Verkündung kann gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 165 Satz 1, 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO nur durch das Protokoll geführt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. April 2020 - XII ZB 131/19 - NJW 2020, 2272 Rn. 11 mwN und vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 15). Dieses ist grundsätzlich spätestens innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung zu erstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 11. März 2015 - XII ZB 571/13 - FamRZ 2015, 839 Rn. 15, 19 f.; BGH Beschluss vom 23. Juni 2022 - VII ZB 5/21 - NJW-RR 2022, 1363 Rn. 25 f. mwN).

An einem Protokoll über die Verkündung der Entscheidung am 24. Februar 2022 fehlt es hier indes. Der auf den 24. Februar 2022 lautende Vermerk der Geschäftsstelle über die Verkündung einer Entscheidung hat keine dem Protokoll vergleichbare Beweiskraft und kann deshalb die erforderliche Feststellung der Verkündung in einem Protokoll nicht ersetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 16 mwN; BAG NJW 2021, 1833 Rn. 23). Auch die richterliche Verfügung vom 2. März 2022 über die Zustellung des Beschlusses genügt hier als Nachweis für die Verkündung einer Entscheidung am 24. Februar 2022 nicht. Zwar kann eine verfahrensfehlerhafte, aber wirksame Verlautbarung vorliegen, wenn der Vorsitzende der Kammer bzw. der Einzelrichter die Übersendung einer dem Verkündungserfordernis unterfallenden Entscheidung an die Beteiligten selbst verfügt hat, weil dann der Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage steht (vgl. BGH Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03 - NJW 2004, 2019, 2020 mwN; BAG NJW 2021, 1833 Rn. 27 mwN). Das kann hier allerdings schon in Anbetracht des aufgebrachten Verkündungsvermerks nicht gelten, woraus sich ergibt, dass die Entscheidung durch Verkündung und nicht etwa durch Zustellung verlautbart werden sollte.

Das Beschwerdegericht wird diese Frage, die bislang noch nicht erörtert worden ist, zunächst aufzuklären haben. Sollte sich dabei eine wirksame Verkündung ergeben, wäre dem Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Für den Fall, dass es an einer Verkündung fehlt, wäre die Sache mangels wirksamen Entscheidungserlasses (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - Rn. 18 f.; vgl. auch BAG NJW 2021,1833 Rn. 33) an das Amtsgericht zurückzugeben.

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