Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07

bei uns veröffentlicht am14.05.2008
vorgehend
Amtsgericht Aachen, 23 F 89/06, 21.12.2006
Oberlandesgericht Köln, 10 UF 15/07, 20.02.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 34/07
vom
14. Mai 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender
Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach
einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob
die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Dabei
ist ein Vergleich der Anzahl der zu übermittelnden Seiten mit den laut Sendeprotokoll
versandten Seiten besonders nachdrücklich anzuordnen, wenn die
Vorgaben eines in der Anwaltskanzlei verwendeten Qualitätshandbuchs in diesem
Punkt lückenhaft sind (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. Juli
2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722 ff.).
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - OLG Köln
AG Aachen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Mai 2008 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Sprick, die Richterinnen
Weber-Monecke und Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Februar 2007 wird auf Kosten der Klägerin verworfen. Beschwerdewert: 4.524 €.

Gründe:

I.

1
Durch das am 3. Januar 2007 zugestellte Urteil hat das Amtsgericht die Abänderungsklage der Klägerin teilweise abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin mit am 8. Februar 2007 bei dem Oberlandesgericht - im Original - eingegangenem Schriftsatz vom 5. Februar 2007 (Montag) Berufung eingelegt. Bereits am 5. Februar 2007 waren die erste Seite der zweiseitigen Berufungsschrift sowie das sechs Seiten umfassende erstinstanzliche Urteil per Telefax beim Berufungsgericht eingegangen. Die bei der Faxübermittlung fehlende Seite 2 der Berufungsschrift enthält neben der Angabe der gegnerischen Prozessbevollmächtigten erster Instanz die Mitteilung, dass und gegen welches Urteil Berufung eingelegt werden soll, sowie die Unterschrift des Prozessbevollmächtig- ten der Klägerin. Die mit "Berufungsschrift" überschriebene Seite 1 nennt demgegenüber die Parteien und die Prozessbevollmächtigten der Klägerin.
2
Auf telefonischen gerichtlichen Hinweis vom 7. Februar 2007, dass die Seite 2 der Berufungsschrift fehle, hat die Klägerin am selben Tag erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie ausgeführt:
3
Die unterbliebene Übermittlung der zweiten Seite der Berufungsschrift per Telefax sei auf ein Versäumnis der Rechtsanwaltsfachangestellten M. zurückzuführen , die den Auftrag gehabt habe, die Berufungsschrift zusammen mit dem angefochtenen Urteil per Telefax an das Berufungsgericht zu senden. Zu den Aufgaben von Frau M. gehöre die Notierung von Fristen und deren Überwachung. Die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten sei nach ISO 9001 zertifiziert , was es mit sich bringe, dass nahezu sämtliche Arbeitsvorgänge, insbesondere die der Rechtsanwaltsfachangestellten, in einem Qualitätshandbuch verzeichnet seien. Die Einhaltung der so vorgegebenen Vorgänge werde regelmäßig überprüft. Frau M. sei mit dem Inhalt des Qualitätshandbuchs gut vertraut. Sie sei angewiesen, den Zugang der Fristpost durch Telefax besonders zu überprüfen. Diese Überprüfung sei durch den Ausdruck eines Sendeberichts erfolgt, den Frau M. auf die Richtigkeit des Adressaten sowie der Fax-Nummer und selbstverständlich auch auf die Anzahl der übermittelten Seiten habe überprüfen müssen. Sie habe an dem betreffenden Tag erstmals versäumt, die Vollständigkeit einer Faxübermittlung zu kontrollieren. Nach Beendigung des Sendevorgangs habe Frau M. den Sendebericht sowie den Fristenzettel mit dem Vermerk "SB (Sendebericht) in Akte, Frist streichen?" dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt, damit dieser die Frist streichen könne. Der Anwalt habe den Sendebericht in Bezug auf die korrekte Faxnummer sowie den Erfolg der Über- tragung kontrolliert, allerdings ebenfalls versäumt, die Anzahl der versendeten Seiten zu überprüfen.
4
Dieser Vortrag ist von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin anwaltlich und von M. an Eides statt versichert worden. Außerdem ist neben einer Kopie des Fristenzettels ein Auszug aus dem Qualitätshandbuch vorgelegt worden.
5
Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

6
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil der von der Rechtsbeschwerde allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht vorliegt (§ 574 Abs. 2 ZPO).
7
1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen , weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Dabei könne offen bleiben, ob das Versehen der Rechtsanwaltsfachangestellten M. auf einem Büroorganisationsverschulden des Anwalts beruhe. Denn dieser hätte bei der der Absendung per Telefax folgenden eigenen Kontrolle des Sendeberichts jedenfalls noch rechtzeitig erkennen können, dass eine Seite, bei der es sich um einen Teil der Berufungsschrift habe handeln können, nicht übermittelt worden sei. Übernehme der Anwalt die Ausgangskontrolle im konkreten Fall mit, komme er der damit verbundenen Verpflichtung nur nach, wenn er sich selbst davon überzeuge, dass alle abzusendenden Seiten des Schriftsatzes ordnungsgemäß gesendet worden seien.
8
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
9
2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die am 5. Februar 2007 abgelaufene Berufungsfrist nicht gewahrt ist. Zwar könnte sich die Erklärung der Berufungseinlegung (§ 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) möglicherweise aus der Überschrift der ersten Seite des Schriftsatzes vom 5. Februar 2007 (Berufungsschrift ) entnehmen lassen; die angefochtene Entscheidung (§ 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) könnte aus dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil zu ersehen sein. In jedem Fall mangelt es dem per Telefax am letzten Tag der Berufungsschrift eingegangenen Schriftsatz aber an der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten. Diese war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil sich nicht aus anderen, eine Beweisaufnahme nicht erfordernden Umständen eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr dafür ergab, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen und diesen willentlich in den Rechtsverkehr gebracht hat (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 120/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
10
3. Der Klägerin ist die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt worden, weil nach ihrem Vortrag ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden nicht ausgeräumt ist.
11
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermitt- lung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723; vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f. und vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - FamRZ 2006, 1104, 1105 f.).
12
Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben. Fehlt es an einer allgemeinen Kanzleianweisung, muss sich die Einzelanweisung, einen Schriftsatz sogleich per Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden, in gleicher Weise auf die Ausgangskontrolle erstrecken. Die Kanzleiangestellte ist dann zusätzlich anzuweisen , die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723).
13
b) Eine diesen Anforderungen genügende Ausgangskontrolle im Büro des Klägervertreters ist nicht dargetan worden.
14
aa) Dass durch allgemeine Kanzleianweisungen vorgeschrieben ist, bei der Übermittlung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift per Telefax nicht nur die Versendung an den richtigen Empfänger zu prüfen, sondern auch die Vollständigkeit der Übermittlung einer Kontrolle zu unterziehen, ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht. Danach sind zwar nahezu sämtliche Arbeitsvorgänge, insbesondere die der Rechtsanwaltsfachangestellten , in einem Qualitätshandbuch niedergeschrieben; die Einhaltung der so vorgegebenen Vorgänge wird auch regelmäßig überprüft. Der in Kopie vorgelegte Auszug aus dem Qualitätshandbuch sieht für die Ausgangskontrolle der Fristpost durch Telefax allerdings nur vor, dass die Fachsekretärin einen Sendebe- richt ausdrucken lässt und diesen auf die Richtigkeit des Adressaten und der Faxnummer überprüft. Der weitere Vortrag, Frau M. sei angewiesen, die Übermittlung der Fristpost durch Fax besonders zu überprüfen, lässt nicht erkennen, welche konkreten, allgemeingültigen Vorgaben insofern gemacht worden sind, insbesondere dass und in welcher Weise diese über die Anweisungen des Qualitätshandbuchs hinausgehen. Solche waren hinsichtlich der Überprüfung der Übermittlung auf Vollständigkeit in besonderer Weise erforderlich, weil die Vorgaben des Qualitätshandbuchs in diesem Punkt lückenhaft waren, andererseits die Fachangestellten mit diesen Vorgaben aber gut vertraut gewesen sein sollen. Gerade unter diesen Umständen hätte ausdrücklich darauf hingewiesen werden müssen, dass die Vorgaben des Qualitätshandbuchs nicht ausreichen, sondern in jedem Fall zusätzlich die Vollständigkeit des Übermittlungsvorgangs zu überprüfen ist. Soweit ausgeführt wird, die besondere Überprüfung sei durch den Ausdruck eines Sendeberichts erfolgt, diesen habe Frau M. auf die Richtigkeit des Adressaten sowie der Faxnummer und selbstverständlich auch auf die Anzahl der übermittelten Seiten überprüfen müssen, wird hieraus, ebenso wenig wie aus dem weiteren Vorbringen, erkennbar, dass diesen Anforderungen eine allgemeine Kanzleianweisung zugrunde lag. Das Vorbringen lässt sich ebenso dahin verstehen, dass es sich auf die stillschweigend erwartete Behandlung der konkreten Sache bezieht.
15
bb) Eine den genannten Anforderungen genügende konkrete Einzelanweisung ist ebenfalls nicht dargetan. Es ist nämlich nicht im Einzelnen vorgetragen , dass Frau M. im vorliegenden Fall der Auftrag erteilt worden sei, die Berufungsschrift nebst dem angefochtenen Urteil per Telefax an das Oberlandesgericht zu übermitteln, anschließend einen Sendebericht ausdrucken zu lassen und diesen sodann auch auf die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen.
16
c) Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob den Klägervertreter auch deshalb ein Verschulden an der Fristversäumung trifft, weil die einzelnen Schritte der Fristenkontrolle in seiner Kanzlei nicht eindeutig zugewiesen waren. Nach dem Vortrag zum Wiedereinsetzungsantrag ist nämlich davon auszugehen, dass der Anwalt selbst die Streichung einer Frist verfügt und es hier bei der zu diesem Zweck erfolgten Vorlage des Fristenzettels versehentlich unterlassen hat, die Vollständigkeit der Übermittlung zu kontrollieren. Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass sowohl der Anwalt selbst als auch Frau M. für die Fristenkontrolle zuständig waren. Die dadurch bedingte Überschneidung von Kompetenzen eröffnet aber Fehlerquellen, weil die Gefahr besteht, dass sich im Einzelfall einer auf den anderen verlässt (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 1992 - XII ZB 55/92 - FamRZ 1993, 45). Ob auch insofern ein für die Fristversäumnis ursächliches Organisationsverschulden vorliegt, kann aber dahinstehen. Hahne Weber-Monecke Sprick Vézina Dose
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 21.12.2006 - 23 F 89/06 -
OLG Köln, Entscheidung vom 20.02.2007 - 10 UF 15/07 -

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 120/06
vom
2. April 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 130 Nr. 6; 519 Abs. 4
Der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten
Schriftsatz kann durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses
Schriftsatzes behoben werden, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem
Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (im Anschluss an
BGHZ 24, 179, 180).
BGH, Beschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 120/06 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. April 2008 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 1. Juni 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten der Rechtsbeschwerde hat die Klägerin zu tragen. Beschwerdewert: 4.000 €

Gründe:


I.

1
Die Beklagte ist durch das Amtsgericht verurteilt worden, Unterlagen aus einem Betreuungsverhältnis an die Klägerin herauszugeben. Das Urteil ist ihr zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 7. Oktober 2005 zugestellt worden. Die am selben Tag gefertigte Berufungsschrift, die am 8. Oktober 2005 beim Landgericht einging, war nicht unterschrieben. Dem Original der Beru- fungsschrift war ein Scheck über 8 € angeheftet, der von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnet war und mit dem die Auslagen für die zugleich erbetene Übersendung der Gerichtsakten beglichen werden sollten. Nach Eingang der Berufungsbegründung innerhalb der bis zum 7. Februar 2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist wurde die Beklagte mit Verfügung des Vorsitzenden vom 22. Februar 2006 auf die fehlende Unterzeichnung der Berufungsschrift aufmerksam gemacht. Mit Schriftsatz vom 7. März 2006 wies sie auf den der Berufungsschrift angehefteten Scheck sowie darauf hin, dass der Berufungsschrift eine beglaubigte Abschrift beigefügt gewesen sei. Gleichzeitig übersandte sie eine Kopie der beglaubigten Abschrift der Berufungsschrift, die ihr von der Klägervertreterin per Telefax übermittelt worden war. Aus der Kopie ist - ebenso wie aus der Berufungsschrift - der Eingangsstempel des Landgerichts vom 8. Oktober 2005 ersichtlich. Ferner enthält sie den Vermerk, dass der Schriftsatz - wie in dem Empfangsbekenntnis von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin angegeben - am 19. Oktober 2005 bei dieser eingegangen war.
2
Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses begehrt. Soweit sie darüber hinaus beantragt, der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren, handelt es sich ersichtlich um ein Versehen, da zu dem betreffenden Antrag keine Begründung gegeben, sondern die Auffassung vertreten wird, die Berufungsfrist sei nicht versäumt worden.

II.

3
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts , denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Beklagte in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit zugleich auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
4
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
5
a) Das Berufungsgericht hat die Berufung für unzulässig gehalten, weil die eingereichte Berufungsschrift entgegen § 519 ZPO nicht von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterschrieben sei. Zwar sei die Unterschrift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich aus anderen Gesichtspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in Verkehr zu bringen , ergeben könne. Solche Umstände habe die Beklagte aber nicht bewiesen. Eine bloße Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung reiche nicht aus. Im Übrigen habe die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausdrücklich bestritten, eine beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift erhalten zu haben.
6
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
7
aa) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen , dass die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz die Unterschrift des für sie verantwortlich Zeichnenden tragen muss. Die Unterschrift ist grundsätzlich Wirksamkeitserfordernis. Sie soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Das letztgenannte Erfordernis soll sicherstellen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst , aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (BGH Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086, 2088 m.w.N. - für einen Fall der fehlenden Unterzeichnung der Berufungsbegründung -).
8
bb) Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Denn das Erfordernis der Schriftlichkeit ist - wie ausgeführt - kein Selbstzweck. Wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, kann das Fehlen einer Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein. Diese Beurteilung trägt dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie ihren Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung, die es verbieten, den Zugang zur jeweiligen nächsten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228, 234). An die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens dürfen deshalb keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BGH Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086, 2088).
9
cc) Mit Rücksicht darauf ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden kann, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (BGHZ 24, 179, 180 = NJW 1957, 990). Die Auffassung des Berufungsgerichts, diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor bzw. seien nicht unter Beweis gestellt, wird dem Vorbringen der Beklagten nicht gerecht.
10
dd) Sie hat geltend gemacht, zusammen mit der Berufungsschrift eine von ihrer Prozessbevollmächtigten beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes eingereicht zu haben. Zur Bestätigung ihres Vorbringens hat sie eine Kopie der beglaubigten Abschrift vorgelegt, die ihr ausweislich des Faxabsendervermerks von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Verfügung gestellt worden war. Die Kopie weist - ebenso wie die Berufungsschrift - den Eingangsstempel des Landgerichts vom 8. Oktober 2005 auf sowie als Datum des Eingangs bei dem weiteren Empfänger den 19. Oktober 2005, unter dem die Klägervertreterin laut dem in den Gerichtsakten befindlichen Empfangsbekenntnis die Berufungsschrift erhalten hat. Auf Seite 2 der Kopie befindet sich der von der Beklagtenvertreterin handschriftlich vollzogene Beglaubigungsvermerk.
11
Damit war zunächst der Nachweis erbracht, dass am 8. Oktober 2005 auch eine beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift beim Landgericht eingegangen war, die an die Gegenseite zugestellt worden sein muss, weil diese andernfalls keine Kopie der Abschrift hätte zur Verfügung stellen können. Soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bestritten habe, eine beglaubigte Abschrift erhalten zu haben, hätte es sich mit dem Widerspruch, in dem dieses Vorbringen zu dem Überlassen der Kopie steht, auseinandersetzen und der Beklagten Gelegenheit zu dem für er- forderlich gehaltenen ergänzenden Vortrag geben müssen. Die Beklagte hätte dann, wie nach der Zustellung des angefochtenen Beschlusses geschehen, das Schreiben der Klägervertreterin vom 8. März 2006 vorgelegt, mit dem diese ihr die Kopie der beglaubigten Abschrift übermittelt hat. Darin heißt es u.a., "anliegend übersende ich Ihnen wunschgemäß noch einmal eine beglaubigte Abschrift ihrer Berufungseinlegungsschrift vom 7. Oktober 2005, hier eingegangen am 19. Oktober 2005". Wenn selbst dann noch Zweifel daran verblieben wären, dass zugleich mit der Berufungsschrift eine beglaubigte Abschrift eingereicht worden war, hätte das Berufungsgericht diesen Zweifeln durch eine Anfrage bei der Klägervertreterin nachgehen müssen. In dem Fall wäre von dieser die im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens von der Klägerin beigebrachte Erklärung abgegeben worden, nicht behauptet zu haben, dass die Schriftstücke nicht zugegangen seien, sondern nur, dass diese sich nicht in ihren Akten befänden.
12
ee) Danach muss der Nachweis des gleichzeitigen Eingangs von (nicht unterzeichneter) Berufungsschrift und handschriftlich beglaubigter Abschrift dieses Schriftsatzes und damit von Umständen, bei denen das Fehlen der Unterschrift ausnahmsweise unschädlich ist, als geführt angesehen werden. Die Frage , ob solche Umstände auch deshalb vorliegen, weil der Berufungsschrift ein von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten persönlich unterzeichneter Scheck beigefügt worden war, bedarf mithin keiner Entscheidung.
13
3. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.09.2005 - 41 C 263/05 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 01.06.2006 - 21 S 413/05 -

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 32/07
vom
18. Juli 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 B, E, Fd, 520 Abs. 2

a) Der Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle
fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist,
nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen
, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt
ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (im Anschluss
an die Senatsbeschlüsse vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ
2005, 1534 und vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - FamRZ 2006, 1104).

b) Eine diesen Anforderungen genügende Ausgangskontrolle kann sich entweder
aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder aus einer konkreten Einzelanweisung
ergeben. Fehlt es an einer entsprechenden allgemeinen Kanzleianweisung
, muss sich die Einzelanweisung, einen Schriftsatz sogleich per
Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden, in gleicher Weise auf die
Ausgangskontrolle erstrecken.

c) Ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten
schließt die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit
durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes
Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität).

d) Dem Rechtsmittelführer dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung oder
Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet
werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten
werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt
werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück
so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen
und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den
Empfänger fristgerecht erreichen kann (im Anschluss an BGH Beschluss
vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f.
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - OLG Köln
AG Aachen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2007 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick und Prof. Dr. Wagenitz, die
Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Februar 2007 aufgehoben. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Beschwerdewert: 4.226 €.

Gründe:


I.

1
Auf Antrag der Klägerin verurteilte das Amtsgericht den Beklagten zur Zahlung von Trennungsunterhalt. Gegen das am 15. September 2006 zugestellte Urteil legte der Beklagte rechtzeitig Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde auf seinen Antrag bis zum 15. Dezember 2006 (Freitag ) verlängert. Erst am 18. Dezember 2006 (Montag) gingen beim Berufungsgericht ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die Berufungsbegründung und ein weiterer Schriftsatz ein, in dem beantragt wurde, zunächst über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden, "bevor das Berufungsverfahren seinen Fortgang nimmt". Auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 11. Januar 2007, dass die Berufungsbegründung und der Prozesskostenhilfeantrag verspätet eingegangen seien, beantragte der Beklagte mit einem am 29. Januar 2007 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Berufung erneut.
2
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und dem Beklagten die begehrte Prozesskostenhilfe versagt, weil die Fristversäumung auf ein - dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe weder durch eine allgemeine Kanzleianweisung noch durch seine Einzelanweisung eine ausreichende Postausgangs- und Fristwahrungskontrolle sichergestellt. Deswegen sei es zur Löschung der Frist gekommen, noch bevor sich die Kanzleiangestellte anhand des Sendeprotokolls von der ordnungsgemäßen Übermittlung der Berufungsbegründung überzeugt habe. Der Prozessbevollmächtigte habe den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung oder des Prozesskostenhilfeantrags auch nicht durch andere organisatorische Maßnahmen sichergestellt. Zwar habe die Kanzleiangestellte in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt, sie habe am 13. Dezember 2006 (Mittwoch) auf dem Heimweg mit der übrigen Post auch diese Schriftsätze vom gleichen Tage in den Briefkasten geworfen. Dabei sei allerdings offen geblieben, wann dies geschehen sein soll, um welchen Briefkasten es sich gehandelt habe und vor allem , zu welchem Zeitpunkt die nächste Leerung erfolgen sollte. Diese Unklarheit spreche dafür, dass die erst am folgenden Montag beim Berufungsgericht eingegangene Berufungsbegründung zu spät zur Post gegeben worden sei. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 533 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
4
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N.) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
5
1. Allerdings kann es den Beklagten nicht entlasten, dass die Berufungsbegründung und der Prozesskostenhilfeantrag ursprünglich schon am 13. Dezember per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt werden sollten. Denn insoweit geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass die unterlassene Übermittlung per Telefax auf ein dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen ist.
6
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermitt- lung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senatsbeschlüsse vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f. und vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - FamRZ 2006, 1104, 1005 f.; BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 27/05 - NJW 2007, 601 f.). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben. Fehlt es an einer allgemeinen Kanzleianweisung, muss sich die Einzelanweisung , einen Schriftsatz sogleich per Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden , in gleicher Weise auf die Ausgangskontrolle erstrecken. Die Kanzleiangestellte ist dann zusätzlich anzuweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen. Eine diesen Anforderungen genügende Anordnung der Ausgangskontrolle hat weder der Prozessbevollmächtigte des Beklagten noch dessen Kanzleiangestellte vorgetragen oder glaubhaft gemacht. Denn eine Anweisung, die Frist im Kalender erst nach einer Überprüfung des Sendeberichts zu löschen, ergibt sich hier nach dem Vortrag des Beklagten weder aus einer allgemeinen Kanzleianweisung noch aus einer konkreten Anweisung seines Prozessbevollmächtigten.
7
b) Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sich auf eine ausdrücklich erteilte Einzelanweisung beruft, hätte er außerdem dafür sorgen müssen , dass diese nicht vergessen wird.
8
Zwar erstreckte sich die Einzelanweisung des Prozessbevollmächtigten darauf, den Berufungsschriftsatz und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorab per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt auch darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte , die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Die Anweisung sollte aber nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Beklagten nicht unverzüglich, sondern lediglich im Laufe desselben Tages ausgeführt werden. In solchen Fällen kann die Einzelanweisung auch wegen der Gefahr des Vergessens eine wirksame Ausgangskontrolle nicht ersetzen.
9
Denn wenn eine Einzelanweisung - wie hier - einen solch wichtigen Vorgang wie die Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist betrifft, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel (BGH Beschlüsse vom 4. April 2007 - III ZB 85/06 - FamRZ 2007, 1007, vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04 - FamRZ 2004, 1711, 1362 und vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688, 689; vgl. auch Senatsbeschluss vom 13. September 2006 - XII ZB 103/06 - FamRZ 2006, 1663).
10
2. Dem Beklagten ist allerdings gleichwohl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil das Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden ist. Denn nach dem an Eides statt versicherten Vortrag des Beklagten erstreckte sich die konkrete Einzelanweisung seines Prozessbevollmächtigten auch darauf, die Berufungsbegründung und den Prozesskostenhilfeantrag nebst den entsprechenden Unterlagen noch am 13. Dezember 2006 auf den Postweg zu bringen. Entsprechend hat die Kanzleiangestellte die Schriftsätze nach dem Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung noch am Abend des 13. Dezember 2006 kuvertiert , frankiert und in einen Postbriefkasten eingeworfen.
11
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt dieser glaubhaft gemachte Sachverhalt, um ein für die Verspätung ursächliches Verschul- den des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auszuschließen. Denn ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten schließt die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität). So liegt der Fall auch hier.
12
b) Die Berufungsbegründung ist durch die Kanzleiangestellte des Prozessbevollmächtigten des Beklagten noch am 13. November 2006 zur Post gegeben worden. Damit scheidet ein Verschulden aus, auch wenn die Schriftsätze erst verspätet beim Berufungsgericht eingegangen sind. Der Beklagte und sein Prozessbevollmächtigter waren nicht verpflichtet, die Berufungsschrift zu einem früheren Zeitpunkt zur Post zu geben, sondern berechtigt, die Frist bis zum letzten möglichen Zeitpunkt auszunutzen. Sie mussten lediglich dafür Sorge tragen, dass die Berufungsbegründung so rechtzeitig zur Post gegeben wurde, dass sie bei einer normalen Bearbeitung der Postsendungen noch fristgerecht beim Berufungsgericht einging (BGH Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f.). Weil das hier geschehen ist, kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Frist bis zum letzten möglichen Moment ausgenutzt wurde.
13
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Beklagten oder seines Prozessbevollmächtigten auch nicht darin, dass die Berufungsbegründung erst am Abend des 13. November 2006 zur Post gegeben wurde. Denn nach ständiger Rechtsprechung dürfen dem Rechtsmittelführer Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Dabei darf eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass werktags im Bundesgebiet aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden. Anders liegt es nur, wenn konkrete Umstände vorliegen, welche die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH Beschlüsse vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f. und vom 15. April 1999 - IX ZB 57/98 - NJW 1999, 2118). Weil die Berufungsbegründung und der Prozesskostenhilfeantrag hier schon am Abend des 13. Dezember 2006 eingeworfen wurden, war die Versendung spätestens mit Leerung des Briefkastens am 14. Dezember 2006 sichergestellt. Dann durften der Beklagte und sein Prozessbevollmächtigter darauf vertrauen, dass die Schriftsätze am Folgetag, dem 15. Dezember 2006, bei dem nahe gelegenen Oberlandesgericht eingehen werden.
14
bb) Selbst wenn dem Berufungsgericht weitere Unklarheiten oder Zweifel zum konkreten Ablauf verblieben wären, hätte es die Berufung nicht verwerfen dürfen, sondern den Beklagten nach § 139 ZPO zur Konkretisierung seines Vortrags auffordern müssen. Die weitere Konkretisierung des im Wiedereinsetzungsverfahren rechtzeitig eingegangenen Vortrags des Beklagten, wie er jetzt im Rechtsbeschwerdeverfahren nachgeholt ist, hätte das Berufungsgericht dann bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. Das gilt insbesondere für die Tatsache, dass die Kanzleiangestellte am 13. Dezember 2006 bis 18.35 Uhr arbeitete und die Schriftsätze sodann in der etwa drei Gehminuten von der Kanzlei entfernten Hauptpost eingeworfen habe, wo die Briefkästen stündlich bis 19.00 Uhr geleert werden.
15
c) Wegen der überholenden Kausalität bei der Versendung der Schriftsätze im Postweg entfällt somit ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Auf den rechtzeitig eingegangenen Antrag ist ihm deswegen die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen. Über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird das Berufungsgericht erneut unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten und der Erfolgsaussicht der Berufung zu befinden haben.
Hahne Sprick Wagenitz Vézina Dose

Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 25.08.2006 - 28 F 27/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 13.02.2007 - 10 UF 168/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 68/05
vom
20. Juli 2005
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2005 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs
und Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 8. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. April 2005 aufgehoben. Dem Antragsteller wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Beschwerdewert: 1.812 €

Gründe:

I.

Durch Verbundurteil des Amtsgerichts wurde der Antragsteller verurteilt, ab Rechtskraft der Scheidung monatlich nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 151 € an die Antragsgegnerin zu zahlen. Gegen dieses ihm am 24. Dezember 2004 zugestellte Urteil legte der Antragsteller am 11. Januar 2005 Berufung ein. Auf seinen Antrag wurde die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 24. März 2005 verlängert. Eine Telekopie der Berufungsbegründung vom 24. März 2005 ging am gleichen Tage beim Verwaltungsgericht Magdeburg ein. Das (unterschriebene) Original der Berufungsbegründung ging am 29. März 2005 per Post beim Oberlandesgericht ein. Am gleichen Tage erfuhr der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers durch einen Anruf des Verwaltungsgerichts Magdeburg, daß die Telekopie dort eingegangen war, und beantragte noch am gleichen Tage per Fax unter Beifügung einer (nicht unter-
schriebenen) Kopie der Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

II.

Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 S. 4 ZPO i. V. m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Folge, daß die Verwerfung der Berufung gegenstandslos ist. 1. Wie der Antragsteller durch eidesstattliche Versicherung der in der Kanzlei seines zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten langjährig als Bürovorsteherin tätigen und zuverlässigen Angestellten glaubhaft gemacht hat, wurde dieser die Berufungsbegründung am 14. März 2005 mit der Weisung übergeben , sie vorab per Fax an das Oberlandesgericht zu übermitteln. Da der auf dem Schriftsatz zutreffend angegebene Faxanschluß besetzt war, übermittelte die Angestellte ihn wenige Minuten später unter Betätigung der Wahlwiederholungstaste. Weil zwischenzeitlich offenbar in anderer Sache ein weiterer Schriftsatz an das Verwaltungsgericht Magdeburg übermittelt worden war, wur-
de versehentlich auch die Berufungsbegründung in der vorliegenden Sache dorthin übermittelt. In der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers besteht die Arbeitsanweisung, bei per Fax übermittelten fristwahrenden Schriftsätzen ein Sendeprotokoll ausdrucken zu lassen, an Hand dessen die Vollständigkeit der Übermittlung an den jeweiligen Empfänger zu prüfen ist, bevor die Frist als erledigt notiert wird. Versehentlich kontrollierte die Angestellte jedoch nur den OK-Vermerk und die Zahl der zu faxenden Seiten, nicht jedoch die Übereinstimmung der Faxnummer auf dem Sendeprotokoll mit jener, die auf dem Schriftsatz angegeben war, und teilte dem Prozeßbevollmächtigten auf Nachfrage mit, den Auftrag ordnungsgemäß erledigt zu haben. 2. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung im wesentlichen damit, eine wirksame Ausgangskontrolle bei Fristsachen sei in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers nicht sichergestellt. So hätte der Prozeßbevollmächtigte seine Büroangestellten bei der Bedienung des von ihnen gemeinsam genutzten Fax-Geräts konkret anweisen müssen, vor der Betätigung der Wahlwiederholungstaste die zuletzt gewählte Rufnummer auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Auch habe der Antragsteller eine konkrete Arbeitsanweisung , bei der Verwendung des Faxgeräts die Übermittlung an den richtigen Empfänger selbständig zu überprüfen, nicht dargelegt. Damit hat das Berufungsgericht zum einen die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Anwalts in Bezug auf eine wirksame Ausgangskontrolle überspannt und zum anderen den Vortrag zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs nicht hinreichend gewürdigt.

a) Der geforderten Anweisung, bei Benutzung der Wahlwiederholungstaste die zuletzt angewählte Rufnummer zu überprüfen, bedarf es nicht, wenn die Übermittlung an den richtigen Empfänger durch die allgemeine Weisung sichergestellt ist, dies an Hand des Sendeprotokolls zu überprüfen. Der Anwalt darf es seinen Angestellten überlassen, ob sie die zur Übermittlung erforderliche Faxnummer manuell eingeben oder sich hierzu der Wahlwiederholungstaste bedienen. Bei deren Benutzung ist zwar nicht auszuschließen, daß ungewollt ein anderer Anschluß angewählt wird, so daß diese Alternative weniger sicher ist und sich als unzweckmäßig erweisen kann. Aufgabe der Fristenkontrolle ist es aber nicht, für optimale Arbeitsabläufe zu sorgen, sondern nur sicherzustellen , daß Fristen nicht versäumt werden. Hierfür genügt die nachträgliche Überprüfung an Hand des Sendeprotokolls, die gewährleistet, daß eine Übermittlung an den falschen Empfänger rechtzeitig entdeckt wird.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Antragsteller auch hinreichend glaubhaft gemacht, daß seine Weisung, die Übermittlung an Hand des Sendeprotokolls zu überprüfen, sich auch auf die Überprüfung der richtigen Faxnummer erstreckt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Weisung, ein Einzelsendeprotokoll ausdrucken zu lassen, auf dessen Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung "an den jeweiligen Empfänger" zu prüfen ist. Denn bei einer Weisung, die sich auf die Prüfung der Vollständigkeit der Übermittlung beschränkt, wäre der Zusatz "an den jeweiligen Empfänger" überflüssig und sinnlos. Dieser Zusatz kann jedenfalls nicht dahin verstanden werden, es solle nur die Vollständigkeit der Übermittlung an den tatsächlich angewählten (und nicht an den anzuwählenden) Empfänger geprüft werden. Dieses Verständnis der erteilten Weisung ergibt sich zweifelsfrei aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages, in der es heißt, insoweit habe die Bürovorsteherin offensichtlich verabsäumt, einen nochmaligen Abgleich der auf
dem Schriftsatz angebrachten Faxnummer mit der in dem Sendebericht ausgedruckten Faxnummer vorzunehmen. Dieser Vortrag ist zweifelsfrei dahin zu verstehen, daß auch Letzteres Inhalt der Weisung war. Somit beruhte die Fristversäumung auf einem einmaligen Verschulden der Büroangestellten, das dem Antragsteller nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist und deshalb der beantragten Wiedereinsetzung nicht entgegensteht , § 233 ZPO. 3. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Soweit das Berufungsgericht es hat dahinstehen lassen, ob die per Fax übermittelte Berufungsbegründung unterschrieben war oder nicht und der beantragten Wiedereinsetzung im Falle fehlender Unterschrift ein weiteres Organisationsverschulden entgegenstünde, ist bereits aus Rechtsgründen im Rechtsbeschwerdeverfahren von dem Vortrag des Antragstellers auszugehen, daß der seinerzeit irrtümlich an das Verwaltungsgericht übermittelte Schriftsatz unterschrieben war. Insoweit bedarf es aber nicht der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, damit dieses entsprechende Feststellungen nachholt und auf deren Grundlage über das Wiedereinsetzungsgesuch erneut entscheidet. Der Senat kann insoweit selbst entscheiden. Denn der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers hat nach Hinweis des Berufungsgerichts, es zweifle an der Unterzeichnung des per Fax übermittelten Schriftsatzes, das Wiedereinsetzungsgesuch unter anwaltlicher Versicherung dahin ergänzt, daß der per Fax übermittelte Schriftsatz bereits zu diesem Zeitpunkt unterschrieben war und es sich
dabei um jenes Original handelte, das dem Berufungsgericht am 29. März 2005 auf dem Postwege zuging.
Hahne Sprick Wagenitz Fuchs Dose

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 267/04
vom
10. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wird ein fristgebundener Schriftsatz per Telefax übermittelt, muss sich die im
Rahmen der Ausgangskontrolle gebotene Überprüfung des Sendeberichts auch
darauf erstrecken, ob die zutreffende Faxnummer des Empfangsgerichts angewählt
wurde (st. Rspr., vgl. BGH Beschluss vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 -
FamRZ 2004, 1275 f. m.N.).
Ergab sich die Faxnummer des Gerichts nicht aus in der Handakte befindlichen
Schreiben dieses Gerichts und hatte der Rechtsanwalt es zulässigerweise einer
ausreichend ausgebildeten und zuverlässigen Kanzleiangestellten überlassen,
die Faxnummer des Gerichts (hier: anhand einer Internet-Telefonbuchseite der
Telekom) zu ermitteln und in den Schriftsatz einzufügen, darf sich die Kontrolle
des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die darin ausgedruckte Faxnummer
mit der zuvor in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen.
Der Abgleich hat vielmehr anhand des zuvor verwendeten oder eines anderen,
ebenso zuverlässigen Verzeichnisses zu erfolgen, um nicht nur Fehler bei der
Eingabe, sondern auch schon bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer
Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (Fortführung von Senatsbeschluss
vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f.).
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - OLG Karlsruhe
LG Konstanz
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2006 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und die
Richterin Dr. Vézina

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 19. Zivilsenat in Freiburg - vom 16. Dezember 2004 wird auf Kosten der Klägerin verworfen. Beschwerdewert: 93.982 €

Gründe:

I.

1
Am 30. September 2004 legte die Klägerin durch ihre zunächst beauftragten zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Berufung gegen das ihr am 31. August 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts ein, mit dem ihre Klage auf Feststellung des Fortbestehens eines Mietvertrages abgewiesen worden war. Auf ihren am 29. Oktober 2004 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antrag wurde die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30. November 2004 verlängert.
2
Mit Schriftsatz vom 30. November 2004 zeigten die jetzigen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin an, diese nunmehr zu vertreten, und begründeten die Berufung. Dieser Schriftsatz ging am selben Tag per Fax beim Landgericht Freiburg und nach Weiterleitung am Mittwoch, dem 1. Dezember 2004, bei den Freiburger Zivilsenaten des Oberlandesgerichts ein.
3
Auf gerichtlichen Hinweis vom 1. Dezember 2004 beantragte die Klägerin , ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine Angestellte der Kanzlei ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten W. habe im Anschluss an die ihr erteilte Weisung, die Faxnummer der Zivilsenate in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe zu ermitteln und in den Schriftsatz einzufügen, versehentlich die Faxnummer des Landgerichts eingesetzt und den Schriftsatz dorthin übermittelt , wie sich aus den anwaltlich versicherten Angaben des Rechtsanwalts W. im Wiedereinsetzungsgesuch und der ihm beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Angestellten L. ergebe. Die Verwechslung beruhe darauf, dass sie eine Internet-Seite der Telekom aufgerufen und dabei versehentlich die eine Zeile über dem Oberlandesgericht aufgeführte Nummer des Landgerichts abgelesen habe.
4
Das Oberlandesgericht wies das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin durch Beschluss zurück und verwarf die Berufung zugleich als unzulässig. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

5
1. Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
6
2. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und infolge dessen die Berufung verworfen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser dürfe die Telefax-Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes zwar im Rahmen einer die nötige Sicherheit gewährleistenden Büroorganisation einer ausreichend ausgebildeten, zuverlässigen und - wenn nötig - hinreichend überwachten Anwaltsgehilfin überlassen und brauche die von ihr ermittelte Faxnummer auch dann, wenn sie vor der Unterzeichnung des Schriftsatzes in diesen eingefügt wurde, nicht selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die Klägerin habe jedoch nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Büroanweisung zur Ausgangskontrolle von per Fax zu übermittelnden fristwahrenden Schriftsätzen bestehe, die auch - wie erforderlich - gewährleiste, dass die Übermittlung an die richtige Faxnummer des Empfängers erfolgt sei.
7
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen und entspricht auch im zuletzt genannten Punkt der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, derzufolge ein Anwalt grundsätzlich verpflichtet ist, für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleistet, und zwar dergestalt, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und entsprechend - d.h. auch auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer - überprüft werden muss (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1275 f. m.N.).
8
a) Hier hat die Klägerin zwar glaubhaft gemacht, dass die Büroangestellte L. nach der Übermittlung der Berufungsbegründung einen Sendebericht ausgedruckt und Rechtsanwalt W. vorgelegt hat, der ihn kontrollierte.
9
Dem ist aber bereits nicht zu entnehmen, dass Rechtsanwalt W. auch überprüft hat, ob es sich bei der aus dem Sendebericht ersichtlichen Faxnummer um diejenige des Oberlandesgerichts handelte. Nach seiner eigenen Darstellung hat er sich (nur) den Sendebericht vorlegen lassen und sich von der "störungsfreien Übermittlung" überzeugt. Dies lässt es möglich erscheinen, dass er sich nur vergewissert hat, ob der Sendebericht den Vermerk "OK" aufwies. Nach Darstellung der Büroangestellten L. wurde ihm das Sendeprotokoll hingegen zusammen mit der Berufungsbegründungsschrift vorgelegt, und seine Kontrolle bezog sich auf deren "vollständigen Versand", so dass angesichts dieser detaillierteren Darstellung davon ausgegangen werden kann, dass Rechtsanwalt W. auch die Seitenzahl überprüft hat. War dies der Fall, mag auch die Vermutung nahe liegen, dass Rechtsanwalt W. zugleich auch die Faxnummer des Sendeberichts mit der auf dem Schriftsatz angegebenen Faxnummer verglichen hat.
10
Auch die Rechtsbeschwerde lässt dies dahinstehen und weist - insoweit zutreffend - darauf hin, dass ein etwaiges Unterlassen der vorstehend genannten Überprüfung für die Versäumung der Frist jedenfalls nicht ursächlich gewesen wäre, weil die Faxnummern auf dem Sendebericht und dem Schriftsatz tatsächlich übereinstimmten und ein Vergleich nicht zur Aufdeckung des Fehlers hätte führen können.
11
Mit dieser Begründung lässt sich ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden aber nicht ausräumen:
12
b) Ob in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin überhaupt allgemeine Büroanweisungen zur Ausgangskontrolle existierten, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht zu entnehmen. Hatte er selbst es übernommen, das Sendeprotokoll im Rahmen der Ausgangskontrolle zu prüfen, durfte er sich dabei nicht auf den Vergleich der Faxnummern im Sendebericht und im Schriftsatz beschränken. Denn die Ausgangskontrolle muss sich auch darauf erstrecken , dass die Übermittlung an den richtigen Empfänger erfolgt ist (Senatsbeschluss vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f.). Der Vergleich dieser beiden Faxnummern ist aber nur geeignet, einen Fehler bei der Eingabe der Nummer in das Faxgerät aufzudecken, nicht aber sicherzustellen, dass die im Schriftsatz angegebene Faxnummer zutreffend ermittelt wurde. Insoweit kommt es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - auch nicht darauf an, wie hoch die Verwechslungsgefahr bei dem zur Ermittlung herangezogenen Verzeichnis war, und welche Vorkehrungen gegebenenfalls zu treffen sind, wenn die Ermittlung der Empfängernummer dem Büropersonal überlassen wird.
13
Denn die Ausgangskontrolle setzt, wie bereits dem Begriff Kontrolle zu entnehmen ist, eine nochmalige, selbständige Prüfung voraus (vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. März 2004 - IX ZR 20/03 - BGHReport 2004, 978 f.). Die bloße, auf Nachfrage des Anwalts abgegebene Versicherung der Angestellten, die zutreffende Empfängernummer ermittelt und in den Schriftsatz eingesetzt zu haben, vermag die anschließende Überprüfung dieses Vorgangs nicht zu ersetzen. Hierzu hätte es zumindest der weiteren Versicherung der Angestellten bedurft , die von ihr in den Schriftsatz eingesetzte Faxnummer anschließend noch einmal mit dem verwendeten Verzeichnis abgeglichen zu haben.
14
Aber selbst wenn der Auffassung der Rechtsbeschwerde zu folgen wäre, dass eine nochmalige Überprüfung anhand des zur "Erstermittlung" benutzten Verzeichnisses nur dann unabdingbar sei, wenn das Risiko eines Versehens bei der Ermittlung besonders hoch ist, ergäbe sich hier nichts anderes. In seinem Beschluss vom 22. Juni 2004 (- VI ZB 14/04 - NJW 2004, 3491 f.), auf den sich die Rechtsbeschwerde insoweit beruft, hat der Bundesgerichtshof als Beispiel für ein besonders hohes Verwechslungsrisiko den Fall genannt, dass die Empfängernummer im Einzelfall aus elektronischen Dateien herausgesucht wird und an einem und demselben Ort mehrere Empfänger in Betracht kommen. Das war auch hier der Fall (Internetseite der Deutschen Telekom mit der Auflistung der Justizbehörden in Freiburg; darunter Amts-, Land- und Oberlandesgericht

).

15
Im Übrigen betraf diese Entscheidung einen Fall, in dem die abgelesene Faxnummer offenbar unmittelbar handschriftlich in einen bereits ausgedruckten Schriftsatz eingefügt wurde. Im vorliegenden Fall hat die Büroangestellte L. die am Bildschirm (falsch) abgelesene Faxnummer hingegen zunächst "notiert", d.h. handschriftlich festgehalten und sodann in den am Computer vorgefertigten Schriftsatz eingesetzt. Das mit dieser zweifachen Übertragung verbundene höhere Risiko eines Übertragungsfehlers hat sich im vorliegenden Fall zwar nicht verwirklicht, gehört aber ebenfalls zu den Umständen, die nach der zitierten Entscheidung Anlass zur nochmaligen Überprüfung geben.
16
c) Bestand hingegen eine allgemeine Anweisung, durch die die Ausgangskontrolle einer geschulten Fachkraft übertragen war, lässt das Wiedereinsetzungsgesuch sowohl eine Darstellung dieser Anweisung als auch Angaben dazu vermissen, wer für die Streichung der Frist im Fristenkalender zuständig war. Zudem hat Rechtsanwalt W. dadurch, dass er selbst den Sendebericht kontrollierte, in die Büroorganisation eingegriffen und - mangels einer klaren Anweisung auch für diesen Fall - eine Situation geschaffen, in der für seine Angestellten ungewiss war, ob sie damit ihrer gegebenenfalls bestehenden eige- nen Prüfungspflichten im vorliegenden Einzelfall enthoben waren oder nicht. Auch darin ist ein Organisationsverschulden zu sehen, da nicht vorgetragen ist, dass für einen solchen Fall eindeutige Anweisungen bestanden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Angestellte L. oder gegebenenfalls eine andere, mit der Führung des Fristenbuchs betraute Angestellte den erforderlichen nochmaligen Abgleich des Sendeberichts mit dem bei der Erstermittlung der Faxnummer verwendeten Verzeichnis oder einem anderen Verzeichnis vorgenommen hätten, wenn Rechtsanwalt W. nicht den Eindruck vermittelt hätte, diese Ausgangskontrolle selbst zu übernehmen.
Hahne Sprick Fuchs Ahlt Vézina

Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 26.08.2004 - 2 O 230/04 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 16.12.2004 - 19 U 184/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 32/07
vom
18. Juli 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 B, E, Fd, 520 Abs. 2

a) Der Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle
fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist,
nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen
, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt
ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (im Anschluss
an die Senatsbeschlüsse vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ
2005, 1534 und vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - FamRZ 2006, 1104).

b) Eine diesen Anforderungen genügende Ausgangskontrolle kann sich entweder
aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder aus einer konkreten Einzelanweisung
ergeben. Fehlt es an einer entsprechenden allgemeinen Kanzleianweisung
, muss sich die Einzelanweisung, einen Schriftsatz sogleich per
Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden, in gleicher Weise auf die
Ausgangskontrolle erstrecken.

c) Ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten
schließt die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit
durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes
Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität).

d) Dem Rechtsmittelführer dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung oder
Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet
werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten
werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt
werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück
so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen
und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den
Empfänger fristgerecht erreichen kann (im Anschluss an BGH Beschluss
vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f.
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - OLG Köln
AG Aachen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2007 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick und Prof. Dr. Wagenitz, die
Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Februar 2007 aufgehoben. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Beschwerdewert: 4.226 €.

Gründe:


I.

1
Auf Antrag der Klägerin verurteilte das Amtsgericht den Beklagten zur Zahlung von Trennungsunterhalt. Gegen das am 15. September 2006 zugestellte Urteil legte der Beklagte rechtzeitig Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde auf seinen Antrag bis zum 15. Dezember 2006 (Freitag ) verlängert. Erst am 18. Dezember 2006 (Montag) gingen beim Berufungsgericht ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die Berufungsbegründung und ein weiterer Schriftsatz ein, in dem beantragt wurde, zunächst über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden, "bevor das Berufungsverfahren seinen Fortgang nimmt". Auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 11. Januar 2007, dass die Berufungsbegründung und der Prozesskostenhilfeantrag verspätet eingegangen seien, beantragte der Beklagte mit einem am 29. Januar 2007 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Berufung erneut.
2
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und dem Beklagten die begehrte Prozesskostenhilfe versagt, weil die Fristversäumung auf ein - dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe weder durch eine allgemeine Kanzleianweisung noch durch seine Einzelanweisung eine ausreichende Postausgangs- und Fristwahrungskontrolle sichergestellt. Deswegen sei es zur Löschung der Frist gekommen, noch bevor sich die Kanzleiangestellte anhand des Sendeprotokolls von der ordnungsgemäßen Übermittlung der Berufungsbegründung überzeugt habe. Der Prozessbevollmächtigte habe den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung oder des Prozesskostenhilfeantrags auch nicht durch andere organisatorische Maßnahmen sichergestellt. Zwar habe die Kanzleiangestellte in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt, sie habe am 13. Dezember 2006 (Mittwoch) auf dem Heimweg mit der übrigen Post auch diese Schriftsätze vom gleichen Tage in den Briefkasten geworfen. Dabei sei allerdings offen geblieben, wann dies geschehen sein soll, um welchen Briefkasten es sich gehandelt habe und vor allem , zu welchem Zeitpunkt die nächste Leerung erfolgen sollte. Diese Unklarheit spreche dafür, dass die erst am folgenden Montag beim Berufungsgericht eingegangene Berufungsbegründung zu spät zur Post gegeben worden sei. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 533 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
4
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N.) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
5
1. Allerdings kann es den Beklagten nicht entlasten, dass die Berufungsbegründung und der Prozesskostenhilfeantrag ursprünglich schon am 13. Dezember per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt werden sollten. Denn insoweit geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass die unterlassene Übermittlung per Telefax auf ein dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen ist.
6
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermitt- lung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senatsbeschlüsse vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f. und vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - FamRZ 2006, 1104, 1005 f.; BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 27/05 - NJW 2007, 601 f.). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben. Fehlt es an einer allgemeinen Kanzleianweisung, muss sich die Einzelanweisung , einen Schriftsatz sogleich per Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden , in gleicher Weise auf die Ausgangskontrolle erstrecken. Die Kanzleiangestellte ist dann zusätzlich anzuweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen. Eine diesen Anforderungen genügende Anordnung der Ausgangskontrolle hat weder der Prozessbevollmächtigte des Beklagten noch dessen Kanzleiangestellte vorgetragen oder glaubhaft gemacht. Denn eine Anweisung, die Frist im Kalender erst nach einer Überprüfung des Sendeberichts zu löschen, ergibt sich hier nach dem Vortrag des Beklagten weder aus einer allgemeinen Kanzleianweisung noch aus einer konkreten Anweisung seines Prozessbevollmächtigten.
7
b) Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sich auf eine ausdrücklich erteilte Einzelanweisung beruft, hätte er außerdem dafür sorgen müssen , dass diese nicht vergessen wird.
8
Zwar erstreckte sich die Einzelanweisung des Prozessbevollmächtigten darauf, den Berufungsschriftsatz und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorab per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt auch darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte , die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Die Anweisung sollte aber nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Beklagten nicht unverzüglich, sondern lediglich im Laufe desselben Tages ausgeführt werden. In solchen Fällen kann die Einzelanweisung auch wegen der Gefahr des Vergessens eine wirksame Ausgangskontrolle nicht ersetzen.
9
Denn wenn eine Einzelanweisung - wie hier - einen solch wichtigen Vorgang wie die Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist betrifft, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel (BGH Beschlüsse vom 4. April 2007 - III ZB 85/06 - FamRZ 2007, 1007, vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04 - FamRZ 2004, 1711, 1362 und vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688, 689; vgl. auch Senatsbeschluss vom 13. September 2006 - XII ZB 103/06 - FamRZ 2006, 1663).
10
2. Dem Beklagten ist allerdings gleichwohl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil das Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden ist. Denn nach dem an Eides statt versicherten Vortrag des Beklagten erstreckte sich die konkrete Einzelanweisung seines Prozessbevollmächtigten auch darauf, die Berufungsbegründung und den Prozesskostenhilfeantrag nebst den entsprechenden Unterlagen noch am 13. Dezember 2006 auf den Postweg zu bringen. Entsprechend hat die Kanzleiangestellte die Schriftsätze nach dem Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung noch am Abend des 13. Dezember 2006 kuvertiert , frankiert und in einen Postbriefkasten eingeworfen.
11
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt dieser glaubhaft gemachte Sachverhalt, um ein für die Verspätung ursächliches Verschul- den des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auszuschließen. Denn ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten schließt die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität). So liegt der Fall auch hier.
12
b) Die Berufungsbegründung ist durch die Kanzleiangestellte des Prozessbevollmächtigten des Beklagten noch am 13. November 2006 zur Post gegeben worden. Damit scheidet ein Verschulden aus, auch wenn die Schriftsätze erst verspätet beim Berufungsgericht eingegangen sind. Der Beklagte und sein Prozessbevollmächtigter waren nicht verpflichtet, die Berufungsschrift zu einem früheren Zeitpunkt zur Post zu geben, sondern berechtigt, die Frist bis zum letzten möglichen Zeitpunkt auszunutzen. Sie mussten lediglich dafür Sorge tragen, dass die Berufungsbegründung so rechtzeitig zur Post gegeben wurde, dass sie bei einer normalen Bearbeitung der Postsendungen noch fristgerecht beim Berufungsgericht einging (BGH Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f.). Weil das hier geschehen ist, kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Frist bis zum letzten möglichen Moment ausgenutzt wurde.
13
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Beklagten oder seines Prozessbevollmächtigten auch nicht darin, dass die Berufungsbegründung erst am Abend des 13. November 2006 zur Post gegeben wurde. Denn nach ständiger Rechtsprechung dürfen dem Rechtsmittelführer Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Dabei darf eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass werktags im Bundesgebiet aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden. Anders liegt es nur, wenn konkrete Umstände vorliegen, welche die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH Beschlüsse vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f. und vom 15. April 1999 - IX ZB 57/98 - NJW 1999, 2118). Weil die Berufungsbegründung und der Prozesskostenhilfeantrag hier schon am Abend des 13. Dezember 2006 eingeworfen wurden, war die Versendung spätestens mit Leerung des Briefkastens am 14. Dezember 2006 sichergestellt. Dann durften der Beklagte und sein Prozessbevollmächtigter darauf vertrauen, dass die Schriftsätze am Folgetag, dem 15. Dezember 2006, bei dem nahe gelegenen Oberlandesgericht eingehen werden.
14
bb) Selbst wenn dem Berufungsgericht weitere Unklarheiten oder Zweifel zum konkreten Ablauf verblieben wären, hätte es die Berufung nicht verwerfen dürfen, sondern den Beklagten nach § 139 ZPO zur Konkretisierung seines Vortrags auffordern müssen. Die weitere Konkretisierung des im Wiedereinsetzungsverfahren rechtzeitig eingegangenen Vortrags des Beklagten, wie er jetzt im Rechtsbeschwerdeverfahren nachgeholt ist, hätte das Berufungsgericht dann bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. Das gilt insbesondere für die Tatsache, dass die Kanzleiangestellte am 13. Dezember 2006 bis 18.35 Uhr arbeitete und die Schriftsätze sodann in der etwa drei Gehminuten von der Kanzlei entfernten Hauptpost eingeworfen habe, wo die Briefkästen stündlich bis 19.00 Uhr geleert werden.
15
c) Wegen der überholenden Kausalität bei der Versendung der Schriftsätze im Postweg entfällt somit ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Auf den rechtzeitig eingegangenen Antrag ist ihm deswegen die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen. Über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird das Berufungsgericht erneut unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten und der Erfolgsaussicht der Berufung zu befinden haben.
Hahne Sprick Wagenitz Vézina Dose

Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 25.08.2006 - 28 F 27/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 13.02.2007 - 10 UF 168/06 -