Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juni 2010 - XII ZB 118/10

bei uns veröffentlicht am23.06.2010
vorgehend
Amtsgericht Schwerin, 81 XVII 221/09, 18.02.2010
Landgericht Schwerin, 5 T 63/10, 03.03.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 118/10
vom
23. Juni 2010
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Zu den Anforderungen an eine zulässige Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1
und 2 BGB (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 1. Februar 2006
- XII ZB 236/05 - FamRZ 2006, 615, 616 und vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 -
FamRZ 2010, 365 Tz. 14).
BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 118/10 - LG Schwerin
AG Schwerin
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2010 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne und die Richter Prof. Dr. Wagenitz, Dose,
Dr. Klinkhammer und Dr. Günter

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 5 des Landgerichts Schwerin vom 3. März 2010 wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene leidet an Schizophrenie; er befindet sich in einem akuten psychotischen Zustand. Seit 2007 war der Betroffene wiederholt untergebracht - zuletzt aufgrund von Beschlüssen des Amtsgerichts vom 30. Juni 2009 (Beschwerdeentscheidung des Landgerichts vom 16. Juli 2009; Unterbringung bis 27. Juli 2009), vom 12. August 2009 (Beschwerdeentscheidung des Landgerichts vom 1. September 2009; Unterbringung bis 23. September 2009), vom 2. Oktober 2009 (Unterbringung bis 5. November 2009) und vom 12. Januar 2010 (Beschwerdeentscheidung des Landgerichts vom 26. Januar 2010; Unterbringung bis 22. Februar 2010). Den die Unterbringung genehmigenden Beschlüssen lagen jeweils Gutachten (vom 29. Juni 2009 - Stationsärztin H.
und Dr. P. , vom 12. August 2009 - Dr. P. , vom 1. Oktober 2009 und 6. Januar 2010 - beide Dipl.-Med. M. ) zugrunde, die u. a. von einer Selbsttötungsgefahr bzw. der Gefahr erheblicher Eigengefährdung für den Betroffenen ausgehen, ferner eine ärztliche Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung am 26. Januar 2010 (Stationsärztin H. ).
2
Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht (mit Beschluss vom 18. Februar 2010) erneut die Unterbringung des Betroffenen - nunmehr bis zum 19. August 2010 - genehmigt. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3
Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
4
1. Nach Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB vor. Aufgrund der Schizophrenie bestehe die Gefahr, dass der Betroffene sich und anderen Personen erheblichen Schaden zufügen könne. Dies sei bedingt durch die bei dem Betroffenen bestehende psychotische Symptomatik mit erheblichen Änderungen im Affekt. In erster Linie liege eine Eigen- und Fremdgefährdung vor, die dazu führen könne, dass der Betroffene sich in für ihn schwierige Situationen hineinbegibt und sich sein Zustand durch die ausgesetzte Medikation weiter verschlechtere. Das Landgericht stützt seine Beurteilung auf ein weiteres von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten des Dipl.-Med. M. (vom 9. Februar 2010), auf die ärztliche Stellungnahme des den Betroffenen behandelnden Oberarztes Dr. P. vom 1. März 2010 sowie auf den persönlichen Eindruck, den das Gericht von dem Betroffenen bei dessen persönlicher Anhörung am 1. März 2010 gewonnen hat. Der Betroffene habe dabei erklärt, dass er aus politischen Gründen verfolgt werde, keine Medikamente benötige und sie nach seiner Entlassung aus der Klinik auch nicht mehr einnehmen werde. Der Betroffene verfüge nach Überzeugung der Kammer über keine Einsicht in seine Krankheit und sei in seiner verfestigten Überzeugung, ohne Medikamente gleich gut leben zu können und keiner Heilbehandlung zu bedürfen, nicht zu beeinflussen.
5
2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
6
a) Zwar ist richtig, dass - wie die Rechtsbeschwerde rügt - die Feststellungen des Landgerichts eine Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB allein nicht zu tragen vermögen.
7
Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer zulässig, wenn eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Da eine Unterbringung nach dieser Vorschrift gerade nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Suizidgefahr, erhebliche Gesundheitsbeschädigung) gebunden ist, kommt - wie der Senat dargelegt hat - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Anwendung dieser Regelung als notwendigem Korrektiv für Eingriffe in das Freiheitsrecht besondere Bedeutung zu. Für eine die Unterbringung rechtfertigende Heilbehandlung muss deshalb im Einzelfall eine medizinische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne die Behandlung entstehen würden (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2006 - XII ZB 236/05 - FamRZ 2006, 615, 616).
8
Dem landgerichtlichen Beschluss sind Erörterungen zur Verhältnismäßigkeit nach diesen Maßstäben nicht zu entnehmen; insbesondere werden - von der Rechtsbeschwerde beanstandet - die konkret beabsichtigte Therapie und die Aussichten, die der Krankheitsverlauf mit und ohne diese Therapie nehmen würde, dort nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, benannt. Zwar durfte das Landgericht davon ausgehen, dass sich Behandlungsbedürftigkeit, Therapie und Unterbringungsnotwendigkeit aus den mehreren umfänglichen Gutachten, die im Laufe der aufeinander folgenden Unterbringungsverfahren erstellt worden sind, mit hinreichender Verlässlichkeit und Aktualität erschließen lassen - so zuletzt aus dem vom Landgericht ausdrücklich in Bezug genommenen Gutachten des Dipl.-Med. M. vom 9. Februar 2010. Auch finden sich bereits in den vorangegangenen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts vom 1. September 2009 (Seite 2) und vom 26. Januar 2010 (Seite 2) hierzu nähere Hinweise, deren stete Wiederholung grundsätzlich als unnötige Förmelei erachtet werden könnte. Indes unterscheidet sich die angefochtene Entscheidung von den vorangegangenen Beschlüssen durch die nunmehr vorgesehene Unterbringungsdauer von einem halben Jahr nicht unerheblich; angesichts dieses Unterschiedes bedurfte es einer Darlegung, inwieweit auch die jetzt genehmigte längerfristige Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit von den bisherigen Befunden gedeckt und durch das therapeutische Konzept gerechtfertigt wird. An einer solchen - zumindest summarischen - Darlegung fehlt es in dem angefochtenen Beschluss.
9
b) Indes erweist sich die angefochtene Entscheidung gleichwohl im Ergebnis als richtig. Denn das Landgericht hat seine Entscheidung auch auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt. Diese Begründung rechtfertigt das gefundene Ergebnis.
10
Wie der Senat ebenfalls dargelegt hat, verlangt diese Vorschrift - im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung - keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Tz. 14), wobei die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung jedoch nicht überspannt werden dürfen. Die Prognose ist im Wesentlichen Sache des Tatrichters (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Tz. 14).
11
Das Landgericht ist insoweit dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Med. M. vom 9. Februar 2010 gefolgt, nach dem "weiterhin die Gefahr [besteht], dass der Betroffene sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt". Es hat sich außerdem auf die gutachtliche Stellungnahme des den Betroffenen behandelnden Oberarztes Dr. P. gestützt, der anlässlich seiner Anhörung vor dem Landgericht die Ergebnisse der Begutachtung durch Dipl.-Med. M. ausdrücklich bestätigt hat. Beiden sachverständigen Äußerungen ist zu entnehmen, dass ohne die Fortsetzung der bisherigen Medikation die Gefahr einer erheblichen Eigenschädigung des Betreuten besteht, der Betreute in der Vergangenheit die Einnahme der Medikamente stets abgesetzt hat und deshalb die Unterbringung zur kontinuierlichen Fortführung der Medikation erforderlich ist. Weiterer Erkundungen bedurfte es - auch im Hinblick auf die in den vorangehenden Genehmigungsverfahren eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen , die für den Fall einer Unterbrechung der Therapie einhellig von der Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung des Betroffenen ausgehen - nicht. Insbesondere bedurfte es danach keiner Ermittlung be- sonderer tatsächlicher Vorkommnisse aus der jüngeren Vergangenheit, die sichere Rückschlüsse auf die Gefahr der Eigenschädigung ermöglichen könnten; ebenso war es - angesichts der auch in den Gutachten geschilderten Lebenssituation des Betroffenen - verzichtbar, weil fernliegend, ausdrücklich auch der Frage nach möglichen Alternativen zur Unterbringung nachzugehen.
12
Aus der von der Rechtsbeschwerde angeführten Stellungnahme der Stationsärztin H. , die diese am 26. Januar 2010 - anlässlich einer Anhörung im vorangehenden Genehmigungsverfahren - abgegeben hat, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Danach hält die Stationsärztin zum damaligen Zeitpunkt einen Suizid "grundsätzlich für möglich"; die Suizidgefahr sei "jedoch nicht mehr das vordergründige Thema". Früher habe es Suizidhandlungen gegeben. "Durch seine Verweigerungshaltung" sei der Betroffene "in eine perspektivlose Situation geraten". Es sei daher "in der Tat die schlimmste Befürchtung, dass derartiges passieren könne". Es ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht diesen Ausführungen keine Bedeutung zugemessen hat, die den zuvor wiedergegebenen Darlegungen des Dipl.-Med. M. und des Oberarztes Dr. P. widerstreiten. Hahne Wagenitz Dose Klinkhammer Günter
Vorinstanzen:
AG Schwerin, Entscheidung vom 18.02.2010 - 81 XVII 221/09 -
LG Schwerin, Entscheidung vom 03.03.2010 - 5 T 63/10 -

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 248/09
vom
13. Januar 2010
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1
BGB setzt keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr voraus; notwendig ist
allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten.
Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten
voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann,
wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung
verbunden ist.
BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - LG Zweibrücken
AG Zweibrücken
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Januar 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dose,
Dr. Klinkhammer und Schilling

beschlossen:
Den Beteiligten zu 3 und 4 wird gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 7. Oktober 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 und 4 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 7. Oktober 2009 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten und Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

1
Die Beteiligten zu 3 und 4 wenden sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung ihrer volljährigen Tochter.
2
Für die Betreute wurde mit Beschluss vom 1. August 2006 eine Betreuung unter anderem mit den Aufgabenkreisen der Sorge für die Gesundheit und der Aufenthaltsbestimmung sowie der Entscheidung über eine Unterbringung der Betreuten und unterbringungsähnliche Maßnahmen eingerichtet. Mit Be- schluss vom 30. Januar 2009 wurde die Betreuung bis zum 25. Januar 2011 verlängert.
3
Seit Juli 2006 wurde die Betreute wiederholt wegen ihrer Erkrankung in geschlossenen Abteilungen untergebracht. Nach dem Inhalt der Sachverständigengutachten des Chefarztes der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Städtischen Krankenhaus P. Dr. med. R. vom 5. August 2008, 7. Januar 2009 und 17. August 2009 leidet die Betreute an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie einem schizophrenen Residuum.
4
Mit Beschluss vom 22. September 2009 hat das Amtsgericht die Unterbringung der Betreuten in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens zum 22. September 2011 vormundschaftsgerichtlich genehmigt und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde der Eltern der Betreuten mit Beschluss vom 7. Oktober 2009 zurückgewiesen. Der am 24. Oktober 2009 den Eltern zugestellte Beschluss enthielt keine Rechtsmittelbelehrung. Diese ist den Eltern erst nachträglich am 17. Dezember 2009 zugestellt worden.
5
Gegen den Beschluss richtet sich die am 30. Dezember 2009 eingegangene Rechtsbeschwerde der Eltern der Betreuten, mit der sie zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt haben.

II.

6
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft; einer Zulassung durch das Beschwerdegericht bedarf es gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG nicht. Die am 30. Dezember 2009 eingegangene Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig.
7
a) Die Eltern der Betreuten sind nach § 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG beschwerdebefugt. Wie in § 303 FamFG in Betreuungssachen lässt auch diese Vorschrift in Unterbringungssachen Rechtsmittel durch die Eltern eines Betreuten als privilegierte Verwandte zu. Voraussetzung des Beschwerderechts ist lediglich, dass der Angehörige des Betreuten in erster Instanz beteiligt wurde. Dadurch sollen altruistische Beschwerden solcher Angehöriger vermieden werden , die am Verfahren erster Instanz kein Interesse gezeigt haben (BT-Drucks. 16/6308 S. 271, 276). Die Eltern der Betreuten haben sich an dem Verfahren hier allerdings fortlaufend beteiligt.
8
b) Den Eltern der Betreuten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist zu bewilligen. Der am 24. Oktober 2009 zugestellte Beschluss des Landgerichts enthielt entgegen § 39 FamFG keine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung hat zwar keinen Einfluss auf den Beginn der einmonatigen Rechtsbeschwerdefrist nach § 71 Abs. 1 FamFG (BT-Drucks. 16/6308 S. 183; Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 39 Rdn. 14; a.A. Prütting/Helms/ Abramenko FamFG § 39 Rdn. 16). Den Eltern ist auf ihren Antrag aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil nach § 17 Abs. 2 FamFG wegen der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung eine schuldlose Versäumung der Beschwerdefrist vermutet wird.
9
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.
10
a) Das Landgericht hat die weitere Unterbringung der Betreuung wegen Eigengefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB genehmigt, weil aufgrund ihrer psychischen Krankheit die Gefahr bestehe, dass die Betreute sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Nach dem fachärztlichen Gutachten stehe fest, dass die Betreute an einer paranoiden Psychose aus dem schizo- phrenen Formenkreis mit schizophrenem Residuum erkrankt sei. Der Sachverständige habe keine wesentlichen Änderungen zu seinen Vorbefunden feststellen können. Führend sei weiterhin die psychische Erkrankung der Betreuten. Die Störungen der Affektivität, des formalen und inhaltlichen Gedankengangs, in der Folge auch mit kognitiv-mnestischen Einschränkungen und Zeitgitterstörungen , bestünden fort. Die Betreute sei nicht in der Lage, eigenständig eine ausreichende Tagesstruktur aufrecht zu erhalten. Sie verhalte sich desorganisiert , es bestehe keinerlei Krankheitseinsicht und ihre Kritikfähigkeit sei deutlich reduziert. Zwar sei im Rahmen ihrer Anhörung ein geordnetes Gespräch über ihren Tagesablauf in dem Heim und in der Tagesförderstätte möglich gewesen. Die Betreute habe allerdings immer noch keine Problemeinsicht. Die Situation hinsichtlich der teilweise tumultartigen Auseinandersetzungen mit ihren Eltern in ihrem Elternhaus und bezüglich der mangelnden Versorgung mit Medikamenten werde zwar vordergründig eingeräumt, inhaltlich jedoch nicht in ihrer Bedeutung für den Gesundheitszustand erfasst. Um den gegenwärtigen Zustand zu erhalten , sei dringend die weitere geschlossene Unterbringung der Betreuten auch gegen deren Willen erforderlich. Wenn sie in ihr Elternhaus zurückkehren würde , was sie anstrebe, trete mit Sicherheit binnen kürzester Zeit der frühere Zustand mit ganz gravierenden Exazerbationen des seit vielen Jahren festgestellten Krankheitsbildes ein. Die Eltern der Betreuten seien dem schwierigen Krankheitsbild in keiner Hinsicht gewachsen, zumal die Mutter selbst unter Betreuung stehe.
11
Im Hinblick auf die Erkrankung der Betreuten und die problematische Familiensituation sei eine Fortdauer der Unterbringung für zwei Jahre dringend notwendig, um die notwendige Stabilisierung zu erreichen. Die Rückkehr der Betreuten in die Wohnung der Eltern sei keinesfalls möglich und auch eine langfristige Perspektive gebe insoweit wenig Grund zur Hoffnung.
12
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
13
aa) Nach § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, grundsätzlich der Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Die Genehmigung kann nur erteilt oder aufrechterhalten werden, wenn und solange die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB zulässig ist. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Unterbringung unter anderem zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Für beide Tatbestände der Selbstgefährdung muss die Ursache in einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung liegen, aufgrund derer der Betreute seinen Willen nicht frei bestimmen kann (MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 17; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 23; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 Rdn. 90).
14
Im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung verlangt die zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten (BT-Drucks. 11/4528 S. 146; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 23; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 BGB Rdn. 13). Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 Rdn. 91). Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (BT-Drucks. 11/4528 S. 146; BayObLG FamRZ 1993, 998; OLG München BtPrax 2006, 105; MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 16; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 23). Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus (Bamberger/Roth/ Müller BGB 2. Aufl. § 1906 Rdn. 9). Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866, 867). Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 18; Staudinger/ Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 25).
15
Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden baut auf dem Ergebnis der Anhörung des Betreuten und der weiteren Beteiligten nach §§ 319 f. FamFG und dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf, ist im Wesentlichen aber Sache des Tatrichters (BayObLG FamRZ 1994, 1617; Palandt/Diederichsen BGB 69. Aufl. § 1906 Rdn. 15).
16
bb) Diese Voraussetzungen einer Unterbringungsgenehmigung wegen Eigengefährdung in Folge einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellt.
17
(1) Danach leidet die Betreute an einer chronifizierten paranoiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Auf der Grundlage der desaströsen und tumultartigen Situationen in der Vergangenheit hat das Landgericht weiter festgestellt, dass die Betreute wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage ist, auch nur die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens selbst zu regeln.
18
Nach den Feststellungen des Landgerichts verkennt die Betreute Infolge ihrer fehlenden Krankheitseinsicht, dass ihre über 80 Jahre alten Eltern altersund gesundheitsbedingt nicht in der Lage sind, die notwendigen Dinge des täglichen Lebens verlässlich für sie zu regeln. Insoweit führt das Landgericht zu Recht aus, dass die Mutter inzwischen selbst unter Betreuung steht, weil sie krankheitsbedingt auch ihre eigenen Dinge nicht mehr selbst regeln kann, und das Verhältnis der Betreuten zu ihrem Vater schon in der Vergangenheit sehr belastet war und auch schon zu gewalttätigen Ausbrüchen der Betreuten geführt hat. Die Eltern waren auch in der Vergangenheit nicht in der Lage, die notwendige Medikation der Betreuten nach ihrer Entlassung aus stationären Unterbringungen zuverlässig sicherzustellen.
19
(2) Nach den Feststellungen des Landgerichts wäre mit einer Entlassung der Betreuten aus der geschlossenen Unterbringung die ernste und konkrete Gefahr verbunden, dass sie sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Wie in der Vergangenheit wäre mit einer unmittelbaren gesundheitsgefährdenden Verwahrlosung zu rechnen, weil die Betreute keinerlei Krankheitseinsicht hat und nicht in der Lage ist, die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens selbst zu regeln. Auch eine Hilfe durch andere Personen oder Institutionen außerhalb der geschlossenen Einrichtung hat sich nach den Feststellungen des Landgerichts in der Vergangenheit als aussichtslos erwiesen, weil die Betreute ihre Hilflosigkeit wegen der fehlenden Krankheitseinsicht nicht erkennt. Weil die Betreute gleichwohl in die Wohnung der Eltern zurückkehren möchte, in der ihre Versorgung nicht gewährleistet ist, ist ihre weitere Unterbringung zum Schutz vor erheblichen Gesundheitsschäden erforderlich. Andere Maßnahmen hat das Landgericht unter Hinweis auf die Vorkommnisse in der Vergangenheit zu Recht als nicht geeignet angesehen, die Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB dauerhaft abzuwenden.
20
(3) Auch gegen die Dauer der angeordneten Unterbringung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Zwar ist eine Unterbringung durch den Betreuer nach § 1906 BGB nur zulässig, solange sie zum Wohl der Betreuten erforderlich ist. Der Begriff der Erforderlichkeit ist dabei mit Hilfe des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen (vgl. EGMR NJW 1986, 765). Ist die Unterbringung wegen der krankheitsbedingten Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens zwingend erforderlich und ist die lange Unterbringungsbedürftigkeit - wie hier vom Landgericht festgestellt - auf der Grundlage des vorliegenden Sachverständigengutachtens absehbar, bestehen gegen eine Unterbringung für die Dauer von zwei Jahren nach § 329 Abs. 1 FamFG keine Bedenken.
21
Unabhängig davon ist die Unterbringung nach § 330 FamFG aufzuheben , wenn deren Voraussetzungen entfallen sind. Die Betreuerin ist aufgrund der Unterbringungsgenehmigung zwar grundsätzlich zur Unterbringung zum Wohl der Betreuten gehalten (Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 19 f.); ist eine Fortdauer der Unterbringung aber nicht mehr notwendig, hat sie das Betreuungsgericht davon in Kenntnis zu setzen und auf eine unverzügliche Aufhebung der geschlossenen Unterbringung hinzuwirken (vgl. MünchKomm/ Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 6).
Hahne Vézina Dose Klinkhammer Schilling

Vorinstanzen:
AG Zweibrücken, Entscheidung vom 22.09.2009 - XVII 173/06 -
LG Zweibrücken, Entscheidung vom 07.10.2009 - 4 T 130/09 -