Bundesgerichtshof Beschluss, 19. März 2019 - VI ZB 50/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. März 2019 durch den Richter Wellner als Vorsitzenden, die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller sowie den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis zu 1 Mio. €.
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin macht einen Versicherungsanspruch gegen die Beklagte zu 1 (Betriebshaftpflichtversicherer der Klägerin) und Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 2 und zu 3 (Kfz-Haftpflichtversicherer und Halterin /Vermieterin eines verunfallten Autokrans) geltend. Mit Urteil vom 18. Januar 2017 hat das Landgericht die Klage gegen alle Beklagten abgewiesen.
- 2
- Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2017 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift - sie ging in fünf Exemplaren ein - lautet wie folgt: "In Sachen H… GmbH [Klägerin] gegen H… Versicherung AG [Beklagte zu 1] wird gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Az. 6 O 365/13, verkündet am 18.01.2017, zugestellt am 23.01.2017 Berufung erhoben."
- 3
- Auf den Hinweis der Eingangsgeschäftsstelle des Berufungsgerichts, gegen Urteile des Landgerichts Hamburg müsse beim Oberlandesgericht in Hamburg Berufung eingelegt werden, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. Februar 2017 erklärt, es handele sich um einen Schreibfehler, die Berufung richte sich gegen ein Urteil des Landgerichts Hannover. Als Beleg hat die Klägerin eine Kopie der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils beigefügt, das im Rubrum die Klägerin sowie die Beklagten zu 1, zu 2 und zu 3 aufführt.
- 4
- Das Oberlandesgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Berufung gegenüber den Beklagten zu 2 und zu 3 nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 5
- 1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt , die Berufungsschrift der Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 519 ZPO. Zwar seien an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nicht dieselben strengen Anforderungen zu stellen wie an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers. Auch richte sich das Rechtsmittel bei mehreren Streitgenossen auf der Gegenseite im Zweifel gegen alle Streitgenossen, selbst wenn nur einer oder wenige in der Berufungsschrift bezeichnet würden. Vorliegend ergebe sich aber eine Beschränkung der Anfechtung auf die Beklagte zu 1. Die Berufungsschrift selbst lasse nicht erkennen, dass neben der Beklagten zu 1 auch die übrigen Beklagten Rechtsmittelgegner sein sollten. Überdies habe die Klägerin nach dem Hinweis der Eingangsgeschäftsstelle Anlass gehabt, ihre Berufungsschrift nochmals zu überprüfen und Fehler sowie Unvollständigkeiten zu korrigieren. Sie habe es aber bei der Benennung der Beklagten zu 1 belassen. Durch die Übersendung der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils sei für das Berufungsgericht erstmals erkennbar gewesen, dass die Klägerin erstinstanzlich zwei weitere Parteien in Anspruch genommen habe. Der Urteilstenor sei aber nicht übersandt worden, so dass nicht erkennbar gewesen sei, ob es im Hinblick auf die Beklagten zu 2 und zu 3 überhaupt zu einer Beschwer der Klägerin gekommen sei. Das vollständige landgerichtliche Urteil sei erst am 2. Mai 2017 eingegangen. Aus diesem ergebe sich zudem, dass eine eingeschränkte Berufung durchaus sinnvoll gewesen sei, denn gegen die Beklagte zu 1 habe die Klägerin einen rein versicherungsvertraglichen Anspruch geltend gemacht, gegen die anwaltlich gesondert vertretenen Beklagten zu 2 und zu 3 aber einen Anspruch aus Vermietung und Kfz-Pflichtversicherung.
- 6
- 2. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 19 Abs. 4 GG).
- 7
- a) Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 1991, 3140; BVerfGK 9, 225, 228; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2004 - VI ZB 68/03, VersR 2004, 1623, juris Rn.14; BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 7; vom 5. April 2011 - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rn. 5; vom 5. März 2014 - XII ZB 736/12, VersR 2015, 1047 Rn. 6).
- 8
- b) Dies ist vorliegend der Fall. Das Berufungsgericht hat die in § 519 ZPO enthaltenen Anforderungen an eine Berufungsschrift überspannt.
- 9
- aa) Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört auch die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Dabei sind allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weniger strenge Anforderungen zu stellen. Jedenfalls in denjenigen Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen (Senatsurteil vom 23. Juni 1983 - VI ZR 245/81, VersR 1983, 984, 985, juris Rn. 25; Senatsbeschluss vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5; BGH, Urteile vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 12; vom 14. Februar 2008 - III ZR 73/07, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 9, 11). Eine solche Beschränkung kann sich, wenn auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stehen, zwar auch daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige von ihnen angegeben werden (Senatsbeschluss vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5). Der Bundesgerichtshof hat aber eine unbeschränkte Beru- fungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde (BGH, Urteile vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 12; vom 8. November 2001 - VII ZR 65/01, NJW 2002, 831, 832, juris Rn. 9; vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, NJW 1994, 512, 514, juris Rn. 34; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 12).
- 10
- bb) Ein solcher Fall liegt hier vor. In der Berufungsschrift der Klägerin ist als Berufungsgegnerin diejenige von mehreren Streitgenossen auf Beklagtenseite genannt, die in dem Urteilsrubrum, welches dem Berufungsgericht innerhalb der Berufungsfrist zur Kenntnis gebracht wurde, an erster Stelle steht. Eine Beschränkung der Anfechtung des klageabweisenden Urteils auf nur diese Beklagte ist der Berufungsschrift, deren Auslegung der uneingeschränkten Nachprüfung durch den Senat unterliegt (BGH, Urteil vom 20. Januar 1988 - VIII ZR 296/86, NJW 1988, 1204, 1205, juris Rn. 21), nicht, jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, zu entnehmen. Sie ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts weder aus der wechselnden Anzahl der Abschriften, die die Klägerin ihren jeweiligen Schriftsätzen beigefügt hat, noch aus dem Umstand , dass sich die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 7. Februar 2017 auf eine Korrektur der Bezeichnung des Landgerichts beschränkt hat, noch daraus, dass das Berufungsgericht erst mit Vorliegen des vollständigen Urteils des Landgerichts erken- nen konnte, dass auch die Beklagten zu 2 und 3 obsiegt hatten. Eine Beschränkung der Anfechtung lässt sich schließlich nicht daraus herleiten, dass dem Berufungsgericht eine solche im Hinblick auf die Begründung des landgerichtlichen Urteils "durchaus sinnvoll" erschienen wäre. Wellner Oehler Roloff Müller Klein
LG Hannover, Entscheidung vom 18.01.2017 - 6 O 365/13 -
OLG Celle, Entscheidung vom 25.09.2017 - 8 U 105/17 -
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.