Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Sept. 2011 - V ZR 37/11

bei uns veröffentlicht am29.09.2011
vorgehend
Landgericht Passau, 3 O 968/08, 17.06.2010
Oberlandesgericht München, 8 U 3618/10, 02.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 37/11
vom
29. September 2011
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. September 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den
Richter Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. Dezember 2010 wird zurückgewiesen. Die Drittwiderbeklagte ist des Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde verlustig. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 2.181.240,40 €.

Gründe:


I.


1
Der Kläger und seine Ehefrau sind Landwirte, die Beklagte betreibt eine Tonwarenfabrik und eine Ziegelei. Mit notariellem Vertrag vom 24. März 2005 verkauften der Kläger und seine Ehefrau als Miteigentümer landwirtschaftlich genutzte Grundstücke an die Beklagte zum Preis von 500.000 €. Diese Grund- stücke liegen außerhalb des örtlichen Vorzugsgebiets für Lehmabbau. Mit notariellem Vertrag vom 21. Juli 2005 verkauften die Eheleute eine weitere kleine Fläche an die Beklagte. Unmittelbar nach Abschluss des ersten Kaufvertrags ließ die Beklagte Probeentnahmen durchführen, die abbauwürdigen Ton ergaben , und stellte daraufhin beim Bergamt Südbayern Antrag auf Zulassung zum Betriebsplan. Das Zulassungsverfahren ist noch nicht beendet. Nach einem von dem Kläger eingeholten Privatgutachten soll sich der tatsächliche Wert der Flächen auf 2,66 Mio € belaufen.
2
Der Kläger hat auch aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau die Anpas- sung des Kaufpreises in Form einer Erhöhung um 2,165 Mio € verlangt, hilfs- weise die Feststellung, dass er Anspruch auf eine solche Erhöhung habe, wenn der Beklagten eine bestandskräftige Abbaugenehmigung erteilt werde. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Die Revision hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Die Drittwiderbeklagte hat die zunächst ebenfalls eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen.

II.


3
Das Berufungsgericht meint, der Kläger habe den Wegfall der Ge- schäftsgrundlage „nicht schlüssig und substantiiert dargetan“. Nach seinem Vortrag, den er in der Anhörung im Berufungsrechtszug präzisiert habe, habe er die Beklagte ausdrücklich gefragt, ob sie Lehm abbauen wolle, was diese mit dem Hinweis verneint habe, sie wolle die Fläche verpachten und eventuell später als Tauschgrund verwenden. Daraus ergebe sich nicht, dass der Kläger für die Beklagte erkennbar die Verwendung der Flächen zur Geschäftsgrund- lage gemacht habe und ebenso wenig, dass er seine Preisforderung von der Verwendung abhängig gemacht habe. Es liege auch keine Äquivalenzstörung vor, weil das Tonvorkommen wegen des wenige Kilometer entfernten Abbaugebiets nicht unvorhergesehen gewesen sei.

III.


4
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig; insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 20.000 € (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil kein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) besteht.
5
1. Allerdings rügt die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör des Klägers nicht gewahrt hat. Es hat die Zurückweisung der Berufung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf die Überlegung gestützt, gemessen an den Angaben aus der präzisierenden persönlichen Anhörung des Klägers sei die Klage im Hinblick auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage „nicht schlüssig und substantiiert“. Der Kläger hatjedoch in der Klageschrift unter Beweisantritt vorgetragen, er habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Nutzung der Grundstücke zentraler preisbildender Faktor sei. Weil die Beklagte einen beabsichtigten Lehmabbau von sich gewiesen habe, sei sie nur dazu bereit gewesen, den Preis für landwirtschaftliche Nutzflächen zu zahlen. Unter Einbeziehung dieses Vortrags, der zu den persönlichen Angaben des Klägers nicht im Widerspruch steht, ist die Annahme des Berufungsgerichts nicht nachvollziehbar, die Beklagte habe die während der Vertragsverhandlungen gestellte Frage des Klägers lediglich als Interesse an der künftigen Verwendung verstehen können. Weil nicht dokumentiert worden ist, ob das Berufungsgericht auf diese Einschätzung gemäß § 139 Abs. 2 ZPO hingewiesen hat, ist das rechtliche Gehör des Klägers bei der Zurückweisung der Berufung nicht gewahrt worden. Ein solcher Hinweis war erforderlich , nachdem das Landgericht umfänglich Beweis zu dem Gesprächsverlauf erhoben und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass die Substantiierung gegeben sei. Wäre der Hinweis erfolgt, hätte der Kläger klargestellt, dass er sein schriftsätzliches Vorbringen aufrechterhält, und das Berufungsgericht hätte die Zurückweisung nicht auf fehlende Schlüssigkeit und Substantiierung hinsichtlich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage stützen dürfen.
6
2. Es fehlt aber an der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers. Aus dem Wegfall der Geschäftsgrundlage kann der Kläger die begehrte Rechtsfolge nicht herleiten. Er verlangt nach erfolglosen Verhandlungen über eine Anpassung des Kaufpreises dessen Anhebung um das Fünffache. Eine derartige Anhebung ist - anders als die Beschwerde meint - für die Beklagte nicht zumutbar im Sinne von § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB. In diesem Fall erlaubte die fehlende Geschäftsgrundlage dem Kläger als dem benachteiligten Teil zwar den Rücktritt vom Vertrag, nicht aber eine Anpassung. Die Zumutbarkeit ist in beide Richtungen zu prüfen, und bei Äquivalenzstörungen darf nur dann nicht auf den Rücktritt verwiesen werden, wenn insgesamt die Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung die bessere Lösung ist (MünchKomm-BGB/Roth, 5. Aufl., § 313 Rn. 70, 105). Daran fehlt es schon deshalb, weil der Beklagten eine wirtschaftliche Entscheidung aufgedrängt würde, die sie in dieser Form nicht getroffen hat. Die Anpassung würde den Vertrag grundlegend umgestalten und wäre aus diesem Grund ein erheblicher Eingriff in die Vertragsfreiheit. Dagegen ist der Kläger durch die Möglichkeit des Rücktritts hinreichend geschützt , selbst wenn das Verhalten der Beklagten - wie die Beschwerde meint - als arglistige Täuschung zu werten wäre.
7
3. Im Übrigen wirft die Rechtssache keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Eine Entscheidung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).
8
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 565, 516 Abs. 3 ZPO.
Krüger Stresemann Roth
Brückner Weinland

Vorinstanzen:
LG Passau, Entscheidung vom 17.06.2010 - 3 O 968/08 -
OLG München, Entscheidung vom 02.12.2010 - 8 U 3618/10 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 313 Störung der Geschäftsgrundlage


(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kan

Zivilprozessordnung - ZPO | § 565 Anzuwendende Vorschriften des Berufungsverfahrens


Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Z

Zivilprozessordnung - ZPO | § 516 Zurücknahme der Berufung


(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. (2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung

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(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Zurücksendung der Prozessakten sind auf die Revision entsprechend anzuwenden. Die Revision kann ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.

(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.

(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.

(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.