Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - V ZB 220/10

bei uns veröffentlicht am21.07.2011
vorgehend
Amtsgericht Wiesbaden, 710 XIV 24/10, 12.01.2010
Landgericht Wiesbaden, 4 T 14/10, 14.07.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 220/10
vom
21. Juli 2011
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2011 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W. bewilligt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 14. Juli 2010 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Wiesbaden vom 12. Januar 2010 und der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 25. Januar 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen werden der Stadt W. auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 1. Dezember 2009 von Österreich kommend ohne gültige Papiere nach Deutschland ein. Gegenüber Beamten der Bundespolizei gab er an, zum Schutz vor Verfolgung in seinem Heimatland in Deutschland bleiben zu wollen. Er wurde daraufhin angewiesen, sich spätestens am 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt ) in München zu melden. Dies geschah nicht.
2
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 19. Dezember 2009 suchte der Betroffene bei der Außenstelle des Bundesamtes in Gießen um Asyl nach. Als er dort am 22. Dezember 2009 persönlich vorsprach, erhielt er eine Bescheinigung , wonach für ihn die Erstaufnahmeinrichtung in Dortmund zuständig sei.
3
Am 11. Januar 2010 wurde der Betroffene anlässlich einer Vorsprache bei dem Jugendamt in Wiesbaden festgenommen. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. Januar 2010 die Sicherungshaft bis zum 11. April 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Auf dessen Rechtsbeschwerde hat der Senat die Entscheidung aufgehoben (Beschluss vom 8. April 2010 - V ZB 51/10, juris) und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Hierfür war maßgeblich , dass der am Tag der Beschlussfassung eingegangene Schriftsatz des Betroffenen vom 22. Januar 2010 keine Berücksichtigung gefunden hatte.
4
Das Landgericht hat die Beschwerde, mit der der Betroffene nach seiner Haftentlassung Ende März 2010 die Feststellung erstrebt, dass die Haftanord- nung des Amtsgerichts und der sie bestätigende Beschluss des Landgerichts ihn in seinem Rechten verletzt haben, erneut zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

5
Das Beschwerdegericht sieht sich an die Auffassung des Senats, der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 22. Januar 2010 habe eine persönliche Anhörung des Betroffenen erfordert, nicht gebunden. Auf den darin enthaltenen Vortrag, der Betroffene habe die Belehrung der Bundespolizei vom 3. Dezember 2009 aufgrund einer Stresssituation nicht verstanden, weshalb der Pflichtverstoß nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt und sein Asylantrag vom 19. Dezember 2009 entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kein Folgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gewesen sei, komme es nicht an. Richtigerweise habe es sich bei dem Gesuch vom 19. Dezember 2009 nicht um einen Asylantrag gehandelt, da ein solcher von dem Ausländer persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts gestellt werden müsse, die der für dessen Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet sei. Ein formgerechter Asylantrag sei erstmals aus der Haft heraus gestellt worden. Auch im Übrigen sei die Haftanordnung rechtmäßig gewesen.

III.

6
Die auch mit dem Feststellungsantrag statthafte (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, Rn. 10 f., juris) Rechtsbeschwerde ist begründet.
7
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Beschwerdegerichts , es sei infolge des Senatsbeschlusses vom 8. April 2010 nicht gehindert gewesen festzustellen, dass das Gesuch des Betroffenen vom 19. Dezem- ber 2009 den Anforderungen an ein Asylgesuch nicht entsprochen habe und daher weder ein der Haftanordnung entgegenstehender Aslyantrag noch ein Asylfolgeantrag im Sinne von § 71 AsylVfG gewesen sei.
8
2. Der Feststellungsantrag ist dennoch begründet. Die Haft hätte nicht angeordnet werden dürfen, weil das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht vorgelegen hat. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und die sie bestätigende Entscheidung des Landgerichts haben den Betroffenen deshalb in seinen Rechten verletzt.
9
Das Fehlen des Einvernehmens hat die Unzulässigkeit des Haftantrags zur Folge, wenn sich aus dem Antrag der beteiligten Behörde oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 9, juris; Beschluss vom 24. Februar 2010 - V ZB 202/10 Rn. 7, juris). Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft darf die Sicherungshaft auch nicht angeordnet werden; dass das Einvernehmen später hergestellt werden könnte, ist unerheblich (vgl. näher Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 - V ZB 49/10, Rn. 7 ff., juris).
10
Danach fehlte es hier bereits an einem zulässigen Haftantrag, bei dem es sich um eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, FGPrax 2010, 316, 317; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, Rn. 6, juris). Aus den dem Haftantrag beigefügten Unterlagen (Strafanzeige , Beschuldigtenvernehmung) ergab sich hier zweifelsfrei, dass im damaligen Zeitpunkt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig war. Angaben zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung enthielt der Antrag dagegen nicht.

IV.

11
Die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe folgt aus § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO, § 78 Abs. 1 FamFG. Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 430 FamFG; unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen , die Stadt W. als derjenigen Körperschaft, der die Beteiligte zu 2 angehört, zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, FGPrax 2010, 316, 317). Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO. Krüger Stresemann Czub Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 12.01.2010 - 710 XIV 24/10 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 14.07.2010 - 4 T 14/10 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - V ZB 220/10

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - V ZB 220/10

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - V ZB 220/10 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 81 Grundsatz der Kostenpflicht


(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 76 Voraussetzungen


(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist. (2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskosten

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 72 Beteiligungserfordernisse


(1) Eine Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8) darf nur mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Die Behörde, die den Ausländer ausgewiesen, abgeschoben oder zurückgeschoben hat, ist in der Rege

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 83 Kostenpflicht bei Vergleich, Erledigung und Rücknahme


(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst. (

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 430 Auslagenersatz


Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zu

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 78 Beiordnung eines Rechtsanwalts


(1) Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben, wird dem Beteiligten ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet. (2) Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, wird dem Beteiligten au

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - V ZB 220/10 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - V ZB 220/10 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Okt. 2010 - V ZB 96/10

bei uns veröffentlicht am 21.10.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 96/10 vom 21. Oktober 2010 in der Abschiebungshaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke, Dr. SchmidtRäntsch und

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2011 - V ZB 226/10

bei uns veröffentlicht am 20.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 226/10 vom 20. Januar 2011 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja AufenthG § 72 Abs. 4 Satz 1; FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 a) Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Feb. 2011 - V ZB 49/10

bei uns veröffentlicht am 10.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 49/10 vom 10. Februar 2011 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja AufenthG § 72 Abs. 4 Satz 1 Abschiebungshaft darf ohne das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthGerforderliche

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Apr. 2010 - V ZB 51/10

bei uns veröffentlicht am 08.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 51/10 vom 8. April 2010 in der Abschiebehaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Klein und Dr. Lemke, die Richterin Dr.

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2010 - V ZB 218/09

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 218/09 vom 29. April 2010 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG § 417 In Abschiebungshaftsachen muss aus den Verfahrensakten zu ersehen sein, dass der Haftanordnun

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Dez. 2010 - V ZB 136/10

bei uns veröffentlicht am 09.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 136/10 vom 9. Dezember 2010 in der Freiheitsentziehungssache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke, Dr. SchmidtRäntsch

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2010 - V ZB 28/10

bei uns veröffentlicht am 22.07.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 28/10 vom 22. Juli 2010 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 Werden in der Begründung des Haftantrags die Tatsachen, auf denen die Ausr

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 51/10
vom
8. April 2010
in der Abschiebehaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. April 2010 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Klein und Dr. Lemke, die
Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Roth

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 25. Januar 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Dezember 2009 von Österreich kommend nach Deutschland ohne Reisepass oder Visum ein. Bei seiner Kontrolle durch Beamte der Bundespolizei in Mittenwald gab er an, mit Hilfe eines Schleusers über die Türkei und Griechenland nach Österreich gelangt zu sein. Zum Schutz vor Verfolgung in seinem Heimatland wolle er in Deutschland bleiben. Der Betroffene wurde angewiesen, sich spätestens am 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in München zu melden. Ihm wurde nach einer von einem Dolmetscher übersetzten mündlichen Belehrung über die Folgen der Nichtvorstellung bei dem Bundesamt eine schriftliche Belehrung hierüber aus- gehändigt. Der Betroffene bestätigte schriftlich den Empfang der Belehrung. In München meldete er sich nicht.
2
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. Dezember 2009 stellte er bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Gießen einen Asylantrag. Daraufhin wurde er der Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund zugewiesen, bei der er sich am 29. Dezember 2009 einfand, nachdem er am 27. Dezember 2009 einen Antrag auf Umverteilung nach Wiesbaden gestellt hatte, wo Verwandte des Betroffenen leben und er sich in ärztlicher Behandlung befindet.
3
Am 11. Januar 2010 erschien der Betroffene beim Jugendamt in Wiesbaden und stellte dort einen Antrag auf Bestellung eines Vormunds, um als Minderjähriger einen Asylantrag stellen zu können. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen und Einsichtnahme in die Ausländerakte gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 11. April 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zurückgewiesen.
4
Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, den Beschluss des Landgerichts aufzuheben und seine Freilassung anzuordnen.

II.

5
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Er sei ohne einen Aufenthaltstitel nach Deutschland eingereist. Seine illegale Einreise mit der Hilfe eines Schleusers, sein Untertauchen nach seinem ersten Aufgreifen und seine Versuche, die Behörden über seine Identität zu täuschen, begründeten die Annahme, er werde sich der Abschiebung entzie- hen. Bei dem Asylantrag vom 18. Dezember 2009 handele es sich um einen Folgeantrag, der der Haftanordnung nicht entgegenstehe. Einer neuerlichen Anhörung des Betroffenen bedürfe es nicht, weil weiteres Vorbringen des Betroffenen nicht erfolgt sei.

III.

6
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 415 FamFG, § 62 AufenthG statthaft und zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
7
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens und damit auch durch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschl. v. 18. März 2010, V ZB 194/09, zur Veröffentlichung bestimmt; Senat, Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, zur Veröffentlichung bestimmt). Die Prüfung führt zur Bejahung der Zuständigkeit der Beteiligten zu 2.
8
a) In Abschiebehaftsachen ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus den jeweiligen Landesregelungen, weil das Aufenthaltsgesetz keine eigenständige allgemeine Regelung der örtlichen Zuständigkeit enthält (OVG Münster NVwZRR 1998, 201; Hamm InfAuslR 2007, 455, 456). § 71 AufenthG bedeutet eine Regelung der sachlichen, nicht aber der örtlichen Zuständigkeit (OLG Celle FGPrax 2008, 227, 228).
9
Sind keine länderspezifischen Sondervorschriften über die örtliche Zuständigkeit gegeben, sind die jeweiligen Verwaltungsverfahrensvorschriften anzuwenden (OVG Münster NVwZ-RR 1998, 201). Durch § 1 Nr. 1 HessSOGDVO werden die Aufgaben des Ausländerwesens in Hessen rechtssystema- tisch der Gefahrenabwehr und organisatorisch den allgemeinen Ordnungsbehörden zugewiesen. Damit hat sich der hessische Gesetzgeber dafür entschieden , das gesamte Ausländerrecht dem Recht der Gefahrenabwehr zuzuordnen (VGH Kassel BeckRS 1997, 21064). § 100 HessSOG regelt abschließend die örtliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörden. Die Vorschrift bedeutet eine § 3 Abs. 1 HessVwVfG verdrängende Regelung (VGH Kassel BeckRS 1997, 21064). Örtlich zuständig ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser befindet sich nach der Definition von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I dort, wo der Betroffene sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (BVerwG NVwZ-RR 1997, 751). Der innere Wille des Betroffenen ist insoweit ohne Bedeutung. Entscheidend ist die nach den tatsächlichen Verhältnissen zu treffende Prognose (BVerwG NVwZ-RR 1997, 751).
10
Hiernach hat der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wiesbaden. Dort leben nach dem Antrag des Betroffenen auf Umverteilung vom 27. Dezember 2009 seine Verwandten. In Wiesbaden ist er in ärztlicher Behandlung. Seine Ärztin führt in dem von dem Betroffenen vorgelegten Attest vom 18. Dezember 2009 aus, sie empfehle dringend, dass der Betroffene weiterhin bei seinen Verwandten in Wiesbaden wohnen könne. Durch diese Erklärung wird deutlich, dass der Betroffene auch vor dem 18. Dezember 2009 bei seinen Verwandten in Wiesbaden gelebt hat. Nach der gebotenen Gesamtschau hat der Betroffene mithin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wiesbaden. Das führt zur Zuständigkeit der Beteiligten zu 2.
11
b) Die Zuteilung des Betroffenen auf die Erstaufnahmeeinrichtung Dortmund ändert hieran nichts. Hierdurch wurde die dortige Ausländerbehörde allenfalls zusätzlich örtlich zuständig (OVG Münster NVwZ-RR 1998, 201, 202).
Auch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung vom 14. Januar 2010 lassen keinen Schluss auf einen alleinigen anderen gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen zu. Dass der Betroffene unabhängig von seiner Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund dort gelebt hat, ist weder ausgeführt noch ersichtlich.
12
2. Das Verfahren des Beschwerdegerichts hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedoch nicht stand. Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerhaft den Vortrag des Betroffenen im Schriftsatz vom 22. Januar 2010 bei der Entscheidung nicht berücksichtigt und diesen entgegen § 420 Abs. 1 Satz 2 FamFG nicht angehört. Darin liegt zugleich ein Verstoß gegen den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG. Zudem beruht die Entscheidung auf einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts, § 26 FamFG.
13
a) Ergibt sich die vollziehbare Ausreisepflicht weder aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung noch aus einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, muss der Haftrichter die erforderliche Prüfung selbst vornehmen (Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, FGPRax 2010, 50; Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, zur Veröffentlichung bestimmt). Ein Betroffener ist in Sicherungshaft zu nehmen, wenn er aufgrund unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet vollziehbar ausreisepflichtig ist (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und die Ausländerbehörde beabsichtigt, die Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) zwangsweise durchzusetzen. So verhält es sich grundsätzlich auch im vorliegenden Fall.
14
aa) Das Beschwerdegericht geht insoweit zwar zutreffend davon aus, dass ein Asylantrag, der als Asylfolgeantrag nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu werten ist, nach § 71 Abs. 8 AsylVfG unabhängig davon, ob der Asylfolgeantrag eine Aufenthaltsgestattung zur Folge hat (vgl. zum Streitstand Senat, Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, zur Veröffentlichung bestimmt), einer Haftanordnung nicht entgegensteht. Als Asylfolgeantrag ist nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ein Asylantrag zu behandeln, der unter Verstoß gegen § 20 Abs. 1 AsylVfG gestellt wird. Das ist hier der Fall, soweit dem Betroffenen auferlegt worden war, sich bis zum 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in München zu melden, § 19 Abs. 1 AsylVfG, und der Betroffene diese Verpflichtung nicht erfüllt hat.
15
Der Verstoß gegen die Verpflichtung führt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG jedoch nur dann dazu, einen Asylantrag als Folgeantrag werten zu können, wenn der Pflichtverstoß des Betroffenen vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt ist. Hierzu hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 22. Januar 2010 geltend gemacht, er habe seine Belehrung durch die Bundespolizei aufgrund einer Stresssituation nicht verstanden und alles unterschrieben, was ihm vorgelegt worden sei. Trifft dieses Vorbringen zu, kann es sein, dass der Verstoß des Betroffenen gegen die Verpflichtung, sich bis zum 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in München zu melden, nicht als vorsätzlich oder grob fahrlässig zu beurteilen ist und der Betroffene daher nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist.
16
bb) Das Vorbringen des Betroffenen war von dem Beschwerdegericht zu berücksichtigen. Neues Vorbringen kann im Beschwerdeverfahren bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung erfolgen (Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 65 Rdn. 12). Entscheidend ist die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme. Hierzu genügt es, dass schriftsätzliches Vorbringen, in welchem neue Tatsachen behauptet werden, in den Bereich des Gerichts gelangt ist (Keidel/Sternal, FamFG, aaO., § 65 Rdn. 7).
17
Für den Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung kommt es nach § 38 Abs. 3 FamFG auf den Zeitpunkt an, in dem die Übergabe der vollständig abgefassten unterschriebenen Entscheidung an die Geschäftsstelle erfolgt ist (BTDrs. 16/6308 S. 195). Insoweit ist von dem 26. Januar 2010 auszugehen. An diesem Tag erfolgte die Beglaubigung der bei den Akten befindlichen Abschrift des Beschlusses durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Die Versendung des Beschlusses an die beteilige Behörde geschah um 14.00 Uhr, an den Betroffenen geschah sie um 14.02 Uhr. Der Schriftsatz des Betroffnen vom 22. Januar 2010 ist bei der Briefannahmestelle der Justizbehörden in Wiesbaden am 25. Januar 2010 eingegangen. Die Geschäftsstelle der Kammer hat er am 26. Januar 2010 erreicht. Die Verzögerung im internen Geschäftsablauf der Postverteilung wirkt nicht zu Lasten des Betroffenen.
18
cc) Der Schriftsatz durfte auch nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil der Berichterstatter dem Betroffenen eine Vortragsfrist bis zum 25. Januar 2010 11.00 Uhr gesetzt hatte. Eine Ausschlussfrist für Vorbringen kommt in den von dem Untersuchungsgrundsatz des § 26 FamFG bestimmten Verfahren, zu denen Freiheitsentziehungssachen gehören, nicht in Betracht. Zudem ist ein Berichterstatter nicht in der Lage, anstelle der Kammer eine solche Frist zu setzen. Schließlich erlaubt der Eingangsstempel auf dem Schriftsatz die Feststellung nicht, dass der Schriftsatz vom 22. Januar 2010 nicht fristgerecht eingegangen ist.
19
b) Bei Berücksichtigung des Vorbringens des Betroffenen im Schriftsatz vom 22. Januar 2010 war das Beschwerdegericht zur Anhörung des Betroffenen verpflichtet. Eine solche ist auch im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich erforderlich (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, zur Veröffentlichung bestimmt). Hiervon kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nur abgesehen werden , wenn eine persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz erfolgt ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschl. v. 28. Januar 2010, V ZB 2/10, zur Veröffentlichung bestimmt ; Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, zur Veröffentlichung bestimmt). So verhält es sich hier nicht, weil nach dem Vortrag im Schriftsatz vom 22. Januar 2010 neue Erkenntnisse durch die Anhörung des Betroffenen zu erwarten sind und es auf den persönlichen Eindruck des Betroffenen ankommt, weil über die Glaubwürdigkeit seines neuen Vorbringens zu entscheiden ist. Krüger Klein Lemke Stresemann Roth
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 12.01.2010 - 710 XIV 24/10 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 25.01.2010 - 4 T 14/10 -
10
1. Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360) Rechtsbeschwerde ist gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegt.

(1) Eine Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8) darf nur mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Die Behörde, die den Ausländer ausgewiesen, abgeschoben oder zurückgeschoben hat, ist in der Regel zu beteiligen.

(2) Über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 5 oder 7 und das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach § 25 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1 bis 4 entscheidet die Ausländerbehörde nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

(3) Räumliche Beschränkungen, Auflagen und Bedingungen, Befristungen nach § 11 Absatz 2 Satz 1, Anordnungen nach § 47 und sonstige Maßnahmen gegen einen Ausländer, der nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dürfen von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Aufenthalt des Ausländers nach den Vorschriften des Asylgesetzes auf den Bezirk der anderen Ausländerbehörde beschränkt ist.

(3a) Die Aufhebung einer Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Absatz 5 darf nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde des geplanten Zuzugsorts erfolgen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 12a Absatz 5 vorliegen; eine Ablehnung ist zu begründen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn die Ausländerbehörde am Zuzugsort nicht innerhalb von vier Wochen ab Zugang des Ersuchens widerspricht. Die Erfüllung melderechtlicher Verpflichtungen begründet keine Zuständigkeit einer Ausländerbehörde.

(4) Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Ein Ausländer, der zu schützende Person im Sinne des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes ist, darf nur im Einvernehmen mit der Zeugenschutzdienststelle ausgewiesen oder abgeschoben werden. Des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht. Dies ist der Fall, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat nach § 95 dieses Gesetzes oder nach § 9 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern oder Straftaten nach dem Strafgesetzbuch mit geringem Unrechtsgehalt erfolgt ist. Insoweit sind Straftaten mit geringem Unrechtsgehalt Straftaten nach § 113 Absatz 1, § 115 des Strafgesetzbuches, soweit er die entsprechende Geltung des § 113 Absatz 1 des Strafgesetzbuches vorsieht, den §§ 123, 166, 167, 169, 185, 223, 240 Absatz 1, den §§ 242, 246, 248b, 263 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 265a, 267 Absatz 1 und 2, § 271 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 273, 274, 276 Absatz 1, den §§ 279, 281, 303 des Strafgesetzbuches, dem § 21 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 430) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, und dem § 6 des Pflichtversicherungsgesetzes vom 5. April 1965 (BGBl. I S. 213), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. Februar 2017 (BGBl. I S. 147) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, es sei denn, diese Strafgesetze werden durch verschiedene Handlungen mehrmals verletzt oder es wird ein Strafantrag gestellt.

(5) § 45 des Achten Buches Sozialgesetzbuch gilt nicht für Ausreiseeinrichtungen und Einrichtungen, die der vorübergehenden Unterbringung von Ausländern dienen, denen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder bei denen die Abschiebung ausgesetzt wird.

(6) Vor einer Entscheidung über die Erteilung, die Verlängerung oder den Widerruf eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a oder 4b und die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 ist die für das in § 25 Abs. 4a oder 4b in Bezug genommene Strafverfahren zuständige Staatsanwaltschaft oder das mit ihm befasste Strafgericht zu beteiligen, es sei denn, es liegt ein Fall des § 87 Abs. 5 Nr. 1 vor. Sofern der Ausländerbehörde die zuständige Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt ist, beteiligt sie vor einer Entscheidung über die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 die für den Aufenthaltsort zuständige Polizeibehörde.

(7) Zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 16a, 16d, 16e, 18a, 18b, 18c Absatz 3 und der §§ 19 bis 19c können die Ausländerbehörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Auslandsvertretung zur Erfüllung ihrer Aufgaben die Bundesagentur für Arbeit auch dann beteiligen, wenn sie ihrer Zustimmung nicht bedürfen.

9
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Antrag nicht dazu verhält, ob das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorlag. Ausführungen dazu gehören zu der Darlegung der Voraussetzungen der Abschiebung, die ein Antrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG unbedingt enthalten muss, wenn sich aus ihm selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Das Fehlen entsprechender Ausführungen ist dann schon ein Begründungsmangel, der zur Unzulässigkeit des Antrags führt (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 10, 14 f.). So liegt es hier indessen nicht. Der Antrag lässt nicht ohne weiteres erkennen, dass wegen des Ladendiebstahls bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet oder das auf dem Stammblatt des Beteiligten zu 2 am Ende angeführte Strafverfahren noch anhängig war.
7
b) Der Senat hält daran fest, dass Abschiebungshaft ohne das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen nicht angeordnet werden darf (dazu Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574 f.; Beschluss vom 18. August 2010, V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440; Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 22; krit. LG Hamburg, Beschluss vom 20. August 2010 - 329 T 71/10 u. 75/10). Die Gegenauffassung, wonach die Haft zur Sicherung der Abschiebung schon dann angeordnet werden darf, wenn die Prognose gerechtfertigt ist, das Einvernehmen werde innerhalb der DreiMonats -Frist nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG erteilt (so etwa OLG Frankfurt, StV 2000, 377; OLG Düsseldorf, FGPrax 2001, 130; OLG Hamburg, InfAuslR 2006, 27, 28; OLG Saarbrücken, OLGR 2008, 63, 64; Hailbronner, Ausländerrecht , Stand 61. Aktual. Dezember 2008, § 62 AufenthG Rn. 110; aA wohl HKAusländerrecht /Hofmann [2008], § 72 AufenthG Rn. 34), wird dem hohen Rang des Freiheitsrechtes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht gerecht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 218/09
vom
29. April 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In Abschiebungshaftsachen muss aus den Verfahrensakten zu ersehen sein, dass
der Haftanordnung ein vollständiger Antrag der zuständigen Behörde zugrunde liegt.
BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09 - LG Berlin
AG Tiergarten
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 durch die Richter
Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann
und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 16. November 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Oktober 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Im Übrigen findet keine Auslagenerstattung statt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland ohne Pass und Visum mit Hilfe einer Schleuserorganisation in das Bundesgebiet ein. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 wies er sich mit einem gefälschten französischen Identitätspapier aus und wurde festgenommen. Der Betroffene äußerte in seiner polizeilichen Vernehmung, dass er einen Asylantrag stellen wolle. Die Beteiligte zu 2 verfügte die Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland.
2
Bei dem Amtsgericht gingen nach dem Inhalt der Verfahrensakten per Telefax die ersten beiden Seiten des Formularantrags der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung ein; die dritte Seite mit der Darstellung des Sachverhalts, der Antragsbegründung und der Unterschrift fehlte. Das Amtsgericht ordnete am 19. Oktober 2009 nach Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 18. Dezember 2009 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem ein am 19. Oktober 2009 gestellter Asylantrag registriert ist, richtete ein Übernahmeersuchen an die griechischen Behörden.
3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der Betroffene die fehlende Vorlage der "Ausländerakten" gerügt, auf seinen zwischenzeitlich gestellten Asylantrag hingewiesen, eine inhaltlich unzureichende Anhörung durch den Haftrichter und ferner geltend gemacht hat, dass die Zurückschiebung nach Griechenland vor dem Hintergrund der verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht innerhalb des angeordneten Haftzeitraums durchgeführt werden könne, hat das Beschwerdegericht ohne erneute Anhörung des Betroffenen nach Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 16. November 2009 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung erreichen will, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, der Asylantrag stehe nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG der Anordnung der Sicherungshaft nicht entgegen. Der im Rahmen der Vernehmung formlos gestellte Antrag des aus einem sicheren Drittstaat eingereisten Betroffenen habe noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG zur Folge. Der förmliche Asylantrag sei erst aus der Haft heraus gestellt worden.
5
Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen Festnahme und Anhörung des Betroffenen habe das Amtsgericht nicht auf den Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 zurückgreifen müssen. Ausländerakten seien im Übrigen noch nicht angelegt gewesen. Zudem sei ein etwaiger Verfahrensfehler durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
6
Zwar lägen wegen des Asylantrags die Voraussetzungen des in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannten Haftgrundes nicht mehr vor. Die Sicherungshaft könne jedoch auf den begründeten Verdacht gestützt werden, der Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Die Haftfristen seien gewahrt, die Inhaftierung sei nicht unverhältnismäßig. Da die Personalien des Betroffenen feststünden, sei nicht ersichtlich, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG durchgeführt werden könne. Der Haftrichter sei an die Entscheidung der Beteiligten zu 2, den Betroffenen nach Griechenland zurückzuschieben, gebunden.
7
Schließlich sei der Betroffene nicht nach Ablauf von vier Wochen seit Stellung des Asylantrags aus der Haft zu entlassen. Denn diese Frist gelte nach § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 AsylVfG nicht, weil das BAMF ein Übernahmeersuchen an einen zur Übernahme verpflichteten Staat gestellt habe.
8
Von der mündlichen Anhörung habe abgesehen werden können, weil hiervon neue Erkenntnisse nicht zu erwarten gewesen seien und die wesentlichen Feststellungen anhand des Verwaltungsvorgangs hätten getroffen werden können.

III.

9
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). An der Statthaftigkeit des Rechtsmittels ändert die zwischenzeitliche Erledigung der Hauptsache nichts. Die Regelung in § 62 FamFG, nach der das Beschwerdegericht auf Antrag ausspricht, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn er an der Feststellung - wie hier - ein berechtigtes Interesse hat, gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 9). Denn unter dem Blickwinkel effektiven Rechtsschutzes ist es unerheblich, in welchem Stadium des Verfahrens sich die angegriffene Entscheidung in der Hauptsache erledigt (vgl. BVerfGK 6, 303, 311).
10
Mit dem auf Feststellung gerichteten Antrag greift der Betroffene einen Beschluss an, der eine freiheitsentziehende Maßnahme anordnet; damit bleibt die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG zulassungsfrei (Senat, aaO, Rdn. 10).
11
2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet. Sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts, die ebenfalls Gegenstand rechtlicher Nachprüfung durch den Senat ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 14), als auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist fehlerhaft und hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
12
a) Im Zeitpunkt der Haftanordnung lag nach dem Inhalt der Verfahrensakten ein rechtswirksamer Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) nicht vor. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist jedoch Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat , Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, juris, Rdn. 7).
13
aa) Ob es im Hinblick auf die Sollvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG zwingend eines unterschriebenen Antrags auf Freiheitsentziehung bedarf , kann allerdings ebenso offen bleiben wie die Frage, ob der von dem Vertreter der Beteiligten zu 2 bei der Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht mündlich gestellte Haftantrag rechtswirksam war (vgl. hierzu BKBahrenfuss /Rüntz, FamFG, § 25 Rdn. 9; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 25 Rdn. 19; Prütting/Helms/Ahn-Roth, FamFG [2009], § 23 Rdn. 10, § 25 Rdn. 13; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann, aaO, § 25 Rdn. 30 f.). Denn der Antrag war jedenfalls mangels vollständiger Begründung unzulässig.
14
bb) Die Begründung des Haftantrags ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwingend; ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Bassenge/Roth/Gottwald, FamFG, 12. Aufl., § 417 Rdn. 5; BK-Bahrenfuss/Grotkopp, aaO, § 417 Rdn. 4, 6; Keidel/Budde, aaO, § 417 Rdn. 3; Prütting/Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 6). Für Abschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht , zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG). Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und ggf. für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23. Juni 2008, BT-Drs. 16/9733 S. 299).
15
cc) Danach war der dem Amtsgericht nach dem Inhalt der Verfahrensakten vorliegende schriftliche Antrag der Beteiligten zu 2 unzureichend begründet.
16
(1) Aus dem per Telefax übersandten Antragsfragment und den zusätzlich überreichten Unterlagen ergaben sich die Identität des Betroffenen, die unerlaubte Einreise über den Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 und das Fehlen eines festen Wohnsitzes im Bundesgebiet. Hieraus konnte der Haftrichter zu den Voraussetzungen der Haft, zu ihrer Verhältnismäßigkeit sowie zu der Erforderlichkeit der Haftdauer keine Anhaltspunkte für eine Überprüfung und weitere Aufklärung des Sachverhalts entnehmen. Über die fehlende Antragsbegründung können die Angaben des Betroffenen in seiner Anhörung nicht hinweghelfen.
17
(2) Daran ändert das Vorbringen der Beteiligten zu 2 nichts, dass anhand des in ihrem Verwaltungsvorgang enthaltenen Telefax-Sendeberichts und auf Grund der Angaben des Betroffenen von einem vollständigen Zugang des Haftantrags auszugehen sei. Sinn und Zweck der Antragsbegründung (s. dazu die Ausführungen unter 2. a) bb) a.E.) erfordern es, dass ihr Vorliegen bei der Anhörung des Betroffenen aus den Verfahrensakten ersichtlich ist. Diese müssen entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung ergeben. Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich. Das wirkt zu Lasten der antragstellenden Behörde.
18
(3) Da hier aus den Verfahrensakten, die der Senat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen hat (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092; Jansen /Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 27 Rdn. 90; Keidel/Meyer-Holz, aaO, § 74 Rdn. 27), nicht ersichtlich ist, dass ein vollständiger Haftantrag vorlag oder gestellt wurde, ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass er fehlte.
19
dd) Durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit dem vollständigen Haftantrag in der Beschwerdeinstanz konnte der Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG nicht geheilt werden (vgl. hierzu KG InfAuslR 2009, 356, 357; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 23). Denn bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine Verfahrensgarantie , deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 24; Prütting/ Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 10).
20
ee) Wegen des Verstoßes gegen diese Verfahrensgarantie hat die Entscheidung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
21
b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt ebenfalls nicht stand.
22
aa) Da ihm der Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 vorlag, fehlte es allerdings nicht mehr an dem Antrag der zuständigen Behörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG).
23
(1) Die Beteiligte zu 2 war für die Stellung des Haftantrags sachlich und örtlich zuständig. Sie ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde. Ihr sind nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 13).
24
(2) Im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lag der Haftantrag der Beteiligten zu 2 dem Beschwerdegericht im Original vor. Aus der Seite 3 des Antrags ergeben sich die für die Haftanordnung nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG erforderlichen Darlegungen. Darauf hat die Beteiligte zu 2 in ihrer Beschwerdeerwiderung Bezug genommen.
25
bb) Mit Erfolg macht der Betroffene jedoch geltend, das Beschwerdegericht habe ihn nach Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG anhören müssen. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Anhörung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG) lagen nicht vor. Der Betroffene hatte nämlich zuvor keine Gelegenheit, zu einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Haft und damit zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten Freiheitsentziehung zu äußern und persönlich zu den Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, auf die es für die Entscheidung über die Freiheitsentzie- hung ankommt, insbesondere zu den von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG geforderten Grundlagen. Nach dem Protokoll der Anhörung am 19. Oktober 2010 ist nämlich davon auszugehen, dass dem Betroffenen bei dem Amtsgericht lediglich der fragmentarisch vorhandene Haftantrag übersetzt worden ist.
26
cc) Wegen dieses Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs hat auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 12 m.w.N.).

IV.

27
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffen zu verpflichten.

28
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Klein Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Tiergarten, Entscheidung vom 19.10.2009 - 381 XIV 198/09 B -
LG Berlin, Entscheidung vom 16.11.2009 - 84 T 441/09 B -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/10
vom
22. Juli 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Werden in der Begründung des Haftantrags die Tatsachen, auf denen die
Ausreisepflicht des Betroffenen beruht, nicht oder falsch vorgetragen, leidet die
richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel,
der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt.
BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Lemke, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Rinkler Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 bewilligt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 30. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Niedersachsen auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene reiste erstmalig Anfang 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein von ihm am 6. Februar 2008 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 5. März 2008 als unzulässig zurückgewiesen und die Überstellung des Betroffenen nach Art. 18 Dublin II-Verordnung in die Slowakische Republik angeordnet, in der der Betroffene zuvor ebenfalls Asyl beantragt hatte. Die Überstellung scheiterte, weil der Betroffene die Aufnahmeein-richtung, in der er untergebracht war, verließ und danach sein Aufenthalt für die Behörden unbekannt war.
2
Nach Ankündigung einer Rücküberstellung des Betroffenen aus dem Königreich der Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland hob das Bundesamt am 5. Oktober 2009 den Bescheid vom 5. März 2008 auf und kündigte eine neue Entscheidung über den Asylantrag an, weil eine Überstellung des Betroffenen in die Slowakische Republik infolge Zeitablaufs nicht mehr zulässig war. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 wurde der Asylantrag vom 6. Februar 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Betroffene zum Verlassen des Bundesgebietes binnen einer Woche aufgefordert und eine Abschiebung nach Georgien angedroht. Dieser Bescheid wurde der Aufnahmeeinrichtung, in der der Betroffene im Jahr 2008 untergebracht war, mit der Bitte um Aushändigung übersandt und ging dort am 9. Oktober 2009 ein. In der Rückantwort teilte die Aufnahmeeinrichtung dem Bundesamt mit, dass der Betroffene die Einrichtung am 21. Januar 2009 verlassen habe und sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei.
3
Nach Überstellung des Betroffenen aus den Niederlanden ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens zum 28. Februar 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 20. Februar 2010 wurde der Betroffene abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Landgerichts und der Haftanordnung des Amtsgerichts festzustellen.

II.

4
Das Beschwerdegericht hat den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG bejaht und ein Abschiebungshindernis auf Grund des Asylantrags des Betroffenen vom 6. Februar 2008 verneint. Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG sei mit dem Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 erloschen, der nach § 10 Abs. 2 AsylVfG als am 12. Oktober 2009 zu-gestellt gelte, so dass der Betroffene seit dem 20. Oktober 2009 vollziehbar ausreisepflichtig sei.

III.

5
Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (dazu: Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727) und gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG ist begründet.
6
1. Die Abschiebungshaft durfte von dem Amtsgericht schon deshalb nicht angeordnet und von dem Beschwerdegericht nicht bestätigt werden, weil es an einem wirksamen Antrag der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung fehlt.
7
a) Das Vorliegen eines zulässigen Antrages der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 417 FamFG ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat, Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rn. 7; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 12, juris).
8
Der Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 14, juris). Für die Abschiebungs - und Zurückschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG).
9
b) Die Begründung des Haftantrags der Beteiligten zu 2 vom 25. November 2010 genügt diesen Anforderungen nicht.
10
aa) In dem Antrag fehlt die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG erforderliche Angabe der Tatsachen, aus denen sich die Ausreisepflicht des Betroffenen ergab. Die den Antrag stellende Behörde muss dazu aufzeigen, dass dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht zusteht. Hierfür ist der Grund der Ausreisepflicht zu bezeichnen, zu dessen Sicherung die Abschiebungshaft angeordnet werden soll. Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem vollziehbaren Bescheid, muss die Behörde in dem Haftantrag auf diesen Bescheid Bezug nehmen (vgl. Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 4; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 417 Rn. 8).
11
Dem entspricht der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht, weil in diesem nur der bereits aufgehobene Bescheid des Bundesamtes vom 5. März 2008, jedoch nicht der Bescheid vom 7. Oktober 2009 erwähnt ist, aus dem allein sich die Ausreisepflicht des Betroffenen im Zeitpunkt der Beantragung der Abschiebungshaft ergeben konnte.
12
bb) Den Anforderungen an die Begründung des Haftantrags wird auch nicht dadurch genügt, dass nach der Akte der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 dem Haftantrag beilag. Die Behörde muss nämlich in dem Antrag selbst die die Verlassenspflicht begründenden Tatsachen bezeichnen. Nur dann ist gewährleistet, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge, FamFG, § 417 Rn. 14).
13
cc) Eine mögliche Heilung eines unvollständigen schriftlichen Haftantrags durch eine zu Protokoll des Haftrichters erklärte Ergänzung der Begründung (dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 17, juris) ist hier nicht erfolgt, weil nach dem Protokoll der Anhörung vom 30. November 2009 von der Beteiligten zu 2 niemand zugegen war, dem Betroffenen allein der Haftantrag bekannt gegeben wurde und er sich dazu äußern konnte.
14
dd) Auf einen unvollständigen Antrag darf keine Haft angeordnet werden; vielmehr ist der Antrag - wenn keine Nachbesserung erfolgt - als unzulässig zu verwerfen (Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 6; Bassenge/Roth/Gottwald , FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 418 FamFG Rn. 5).
15
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand, weil es auch in der Beschwerdeinstanz an einem ordnungsgemäßen Haftantrag gefehlt hat (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 24). Die Beteiligte zu 2 hat nur den Haftantrag vom 25. November 2010 gestellt.
16
Die Mängel in jenem Haftantrag sind auch nicht durch die davon abweichenden Ausführungen in den Schriftsätzen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz behoben worden, in denen die Beteiligte zu 2 zur Begründung der Ausreisepflicht des Betroffenen sich auf den Bescheid des Bundesamtes vom 5. Oktober 2009 gestützt, und auf dessen Einwand, ihm sei dieser Bescheid unbekannt gewesen, sich auf die Zustellungsfiktionen in § 10 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 4 Satz 4 AsylVfG berufen hat. Bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine unverzichtbare Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 19, juris).
17
3. Da ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 417 FamFG nicht mit der Argumentation für unbeachtlich erklärt werden kann, dass die Freiheitsentziehung materiell zu Recht angeordnet worden sei (BVerfG NVwZRR 2009, 304, 305), kommt es auf alle weiteren Ausführungen der Beteiligten nicht an.

IV.

18
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Niedersachen, als derjenigen Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG) zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
19
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Krüger Lemke RinBGH Dr. Stresemann ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Krüger Czub Roth Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 30.11.2009 - 44 XIV 144/09 -
LG Hannover, Entscheidung vom 19.01.2010 - 28 T 62/09 -
6
2. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag hat auch in der Sache Erfolg. Die Betroffene wird durch die angegriffenen Beschlüsse schon deshalb in ihren Rechten verletzt, weil nach dem maßgeblichen Inhalt der Verfahrensakten im Zeitpunkt der Haftanordnung kein rechtswirksamer Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) vorgelegen hat. Das Vorliegen dieser Verfahrensvoraussetzung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 12; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158, Rdn. 7). Da der Antrag und dessen Begründung die Grundlage für die Anhörung des Betroffenen bilden, muss sowohl die Antragstellung als auch die Antragsbegründung aus den Verfahrensakten selbst ersichtlich sein. Diese müssen daher entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung ergeben. Fehlt es hieran, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich. Das wirkt zu Lasten der antragstellenden Behörde, weil es sich bei der Antragstellung um eine von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geforderte Verfahrensgarantie handelt, deren Verletzung auch nicht durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der antragstellenden Behörde geheilt werden kann (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, juris, Rn. 17 ff. mwN; vgl. auch BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305). So liegt es hier, weil zwar der Umstand der Antragstellung, nicht aber die dazu gegebene Begründung aus den Verfahrensakten ersichtlich ist.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben, wird dem Beteiligten ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet.

(2) Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, wird dem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

(3) Ein nicht in dem Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn hierdurch besondere Kosten nicht entstehen.

(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann dem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Verfahrensbevollmächtigten beigeordnet werden.

(5) Findet der Beteiligte keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihm auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/10
vom
22. Juli 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Werden in der Begründung des Haftantrags die Tatsachen, auf denen die
Ausreisepflicht des Betroffenen beruht, nicht oder falsch vorgetragen, leidet die
richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel,
der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt.
BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Lemke, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Rinkler Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 bewilligt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 30. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Niedersachsen auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene reiste erstmalig Anfang 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein von ihm am 6. Februar 2008 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 5. März 2008 als unzulässig zurückgewiesen und die Überstellung des Betroffenen nach Art. 18 Dublin II-Verordnung in die Slowakische Republik angeordnet, in der der Betroffene zuvor ebenfalls Asyl beantragt hatte. Die Überstellung scheiterte, weil der Betroffene die Aufnahmeein-richtung, in der er untergebracht war, verließ und danach sein Aufenthalt für die Behörden unbekannt war.
2
Nach Ankündigung einer Rücküberstellung des Betroffenen aus dem Königreich der Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland hob das Bundesamt am 5. Oktober 2009 den Bescheid vom 5. März 2008 auf und kündigte eine neue Entscheidung über den Asylantrag an, weil eine Überstellung des Betroffenen in die Slowakische Republik infolge Zeitablaufs nicht mehr zulässig war. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 wurde der Asylantrag vom 6. Februar 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Betroffene zum Verlassen des Bundesgebietes binnen einer Woche aufgefordert und eine Abschiebung nach Georgien angedroht. Dieser Bescheid wurde der Aufnahmeeinrichtung, in der der Betroffene im Jahr 2008 untergebracht war, mit der Bitte um Aushändigung übersandt und ging dort am 9. Oktober 2009 ein. In der Rückantwort teilte die Aufnahmeeinrichtung dem Bundesamt mit, dass der Betroffene die Einrichtung am 21. Januar 2009 verlassen habe und sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei.
3
Nach Überstellung des Betroffenen aus den Niederlanden ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens zum 28. Februar 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 20. Februar 2010 wurde der Betroffene abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Landgerichts und der Haftanordnung des Amtsgerichts festzustellen.

II.

4
Das Beschwerdegericht hat den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG bejaht und ein Abschiebungshindernis auf Grund des Asylantrags des Betroffenen vom 6. Februar 2008 verneint. Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG sei mit dem Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 erloschen, der nach § 10 Abs. 2 AsylVfG als am 12. Oktober 2009 zu-gestellt gelte, so dass der Betroffene seit dem 20. Oktober 2009 vollziehbar ausreisepflichtig sei.

III.

5
Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (dazu: Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727) und gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG ist begründet.
6
1. Die Abschiebungshaft durfte von dem Amtsgericht schon deshalb nicht angeordnet und von dem Beschwerdegericht nicht bestätigt werden, weil es an einem wirksamen Antrag der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung fehlt.
7
a) Das Vorliegen eines zulässigen Antrages der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 417 FamFG ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat, Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rn. 7; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 12, juris).
8
Der Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 14, juris). Für die Abschiebungs - und Zurückschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG).
9
b) Die Begründung des Haftantrags der Beteiligten zu 2 vom 25. November 2010 genügt diesen Anforderungen nicht.
10
aa) In dem Antrag fehlt die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG erforderliche Angabe der Tatsachen, aus denen sich die Ausreisepflicht des Betroffenen ergab. Die den Antrag stellende Behörde muss dazu aufzeigen, dass dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht zusteht. Hierfür ist der Grund der Ausreisepflicht zu bezeichnen, zu dessen Sicherung die Abschiebungshaft angeordnet werden soll. Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem vollziehbaren Bescheid, muss die Behörde in dem Haftantrag auf diesen Bescheid Bezug nehmen (vgl. Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 4; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 417 Rn. 8).
11
Dem entspricht der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht, weil in diesem nur der bereits aufgehobene Bescheid des Bundesamtes vom 5. März 2008, jedoch nicht der Bescheid vom 7. Oktober 2009 erwähnt ist, aus dem allein sich die Ausreisepflicht des Betroffenen im Zeitpunkt der Beantragung der Abschiebungshaft ergeben konnte.
12
bb) Den Anforderungen an die Begründung des Haftantrags wird auch nicht dadurch genügt, dass nach der Akte der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 dem Haftantrag beilag. Die Behörde muss nämlich in dem Antrag selbst die die Verlassenspflicht begründenden Tatsachen bezeichnen. Nur dann ist gewährleistet, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge, FamFG, § 417 Rn. 14).
13
cc) Eine mögliche Heilung eines unvollständigen schriftlichen Haftantrags durch eine zu Protokoll des Haftrichters erklärte Ergänzung der Begründung (dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 17, juris) ist hier nicht erfolgt, weil nach dem Protokoll der Anhörung vom 30. November 2009 von der Beteiligten zu 2 niemand zugegen war, dem Betroffenen allein der Haftantrag bekannt gegeben wurde und er sich dazu äußern konnte.
14
dd) Auf einen unvollständigen Antrag darf keine Haft angeordnet werden; vielmehr ist der Antrag - wenn keine Nachbesserung erfolgt - als unzulässig zu verwerfen (Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 6; Bassenge/Roth/Gottwald , FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 418 FamFG Rn. 5).
15
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand, weil es auch in der Beschwerdeinstanz an einem ordnungsgemäßen Haftantrag gefehlt hat (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 24). Die Beteiligte zu 2 hat nur den Haftantrag vom 25. November 2010 gestellt.
16
Die Mängel in jenem Haftantrag sind auch nicht durch die davon abweichenden Ausführungen in den Schriftsätzen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz behoben worden, in denen die Beteiligte zu 2 zur Begründung der Ausreisepflicht des Betroffenen sich auf den Bescheid des Bundesamtes vom 5. Oktober 2009 gestützt, und auf dessen Einwand, ihm sei dieser Bescheid unbekannt gewesen, sich auf die Zustellungsfiktionen in § 10 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 4 Satz 4 AsylVfG berufen hat. Bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine unverzichtbare Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 19, juris).
17
3. Da ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 417 FamFG nicht mit der Argumentation für unbeachtlich erklärt werden kann, dass die Freiheitsentziehung materiell zu Recht angeordnet worden sei (BVerfG NVwZRR 2009, 304, 305), kommt es auf alle weiteren Ausführungen der Beteiligten nicht an.

IV.

18
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Niedersachen, als derjenigen Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG) zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
19
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Krüger Lemke RinBGH Dr. Stresemann ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Krüger Czub Roth Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 30.11.2009 - 44 XIV 144/09 -
LG Hannover, Entscheidung vom 19.01.2010 - 28 T 62/09 -