Bundesgerichtshof Beschluss, 30. März 2006 - V ZB 195/05
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.000 €.
Gründe:
I.
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- Die Kläger sind Eigentümer, die Beklagten Besitzer des im Grundbuch von R. Blatt Nr. 2 eingetragenen Grundstücks. Das 58 qm große Grundstück grenzt an das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück der Beklagten. Diese nutzen das Grundstück der Kläger als Zugang zu dem hinter ihrem Wohnhaus auf ihrem Grundstück gelegenen Hof.
- 2
- Die Kläger verlangen die Herausgabe ihres Grundstücks. Die Beklagten haben im Wege der Hilfswiderklage beantragt, die Kläger zu verurteilen, die Eintragung einer Dienstbarkeit an dem herausverlangten Grundstück zu bewilligen , aufgrund deren die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks der Beklagten berechtigt seien, das Grundstück der Kläger nach näherer Maßgabe zu begehen und zu befahren.
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- Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage und hilfsweise die Verurteilung der Kläger gemäß der Widerklage erstreben, als unzulässig verworfen, weil der Wert des geltend gemachten Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteige. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erreichen und ihre Berufung weiter verfolgen möchten.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
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- 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Durch das Verfahren des Berufungsgerichts wird der Anspruch der Beklagten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (Senat BGHZ 151, 221, 226; 154, 288, 296 f). Hierauf beruht die angefochtene Entscheidung (BGHZ 151, 221, 227).
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- a) Das Berufungsgericht bemisst das Interesse der Beklagten an der Abweisung der Klage entsprechend dem Wert des Grundstücks der Kläger mit 464 € (8 €/qm). Es meint, im Hinblick auf die Widerklage sei dieser Betrag um 96 € auf 560 € zu erhöhen. Das ergebe sich daraus, dass die Beklagten mit der hilfsweise erhobenen Widerklage erstrebten, auf Dauer von dem Grundstück der Kläger aus den 12 qm großen Hof hinter ihrem Wohnhaus auf ihrem Grundstück zu erreichen. Pro Quadratmeter gehe der Wert der Hoffläche nicht über den Wert des Grundstücks der Kläger hinaus.
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- b) Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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- Die Beschwer der Beklagten wird von der Summe der Werte der Anträge bestimmt, über die zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist (BGH, Beschl. v. 22. Sept. 1988, III ZR 103/88, BGHR ZPO § 546 Abs. 2 Satz 2 "Klage und Widerklage 1"; Urt. v. 28. September 1994, XII ZR 50/94, NJW 1994, 3292; OLG Köln JurBüro 1990, 246 mit Anm. Mümmler; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 511 Rdn. 30; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 511 Rdn. 22). Die Beschwer der Beklagten durch die Verurteilung zur Herausgabe des Grundstücks der Kläger hat das Berufungsgericht gemäß § 6 ZPO zutreffend nach dem Wert des herauszugebenden Grundstücks mit 464 € angenommen. Hiergegen erhebt die Beschwerde keine Einwendungen. Rechtsfehler sind auch nicht ersichtlich.
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- Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Bemessung des mit der Widerklage verfolgten Anspruchs nach dem Wert der Hoffläche des Grundstücks der Beklagten. Der Wert des Beschwerdegegenstands ist insoweit nach § 7 ZPO zu bestimmen. Hierbei kommt es nicht nur auf die Zugänglichkeit der Hoffläche an, sondern auf den Wert, den der Zugang zu dieser Fläche über das Grundstück der Kläger für das Grundstück der Beklagten unter Einbeziehung des auf diesem errichteten Gebäudes hat. Hierzu haben die Beklagten vorgetragen, sie seien zur Versorgung ihres Wohnhauses mit Heizmaterial und zur Entsorgung des Mülls auf den Zugang zu dem Hof über das Grundstück der Kläger angewiesen , andernfalls sie Holz, Briketts und Müll durch ihre Wohnung auf den Hof bzw. wieder zurück tragen müssten. Zu diesem Vorbringen der Beklagten enthält die Entscheidung des Berufungsgerichts keine Ausführungen. Das rechtfertigt im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der Vortrag der Beklagten in dem kurzen letzten Absatz des Schriftsatzes ihres Prozessbevollmächtigten vom 21. Oktober 2005 erfolgt und nicht weiter ausgeführt ist, den Schluss, dass dieses Vorbringen von dem Berufungsgericht übersehen und damit der Anspruch der Beklagten auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt worden ist.
- 10
- 2. Berücksichtigt man den Wert des Zugangs zu dem Hof über das Grundstück der Kläger auch bei der Bestimmung des Wohnwertes des Hauses der Beklagten, wird der zur Zulässigkeit der Berufung notwendige Wert des Beschwerdegegenstands im Sinne von § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO überschritten. Der Senat schätzt diesen Wert auf insgesamt 1.000 €.
Czub Roth
Vorinstanzen:
AG Sangerhausen, Entscheidung vom 17.08.2005 - 1 C 157/03 (II) -
LG Halle, Entscheidung vom 25.10.2005 - 1 S 153/05 -
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Referenzen - Gesetze
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
Der Wert wird bestimmt: durch den Wert einer Sache, wenn es auf deren Besitz, und durch den Betrag einer Forderung, wenn es auf deren Sicherstellung oder ein Pfandrecht ankommt. Hat der Gegenstand des Pfandrechts einen geringeren Wert, so ist dieser maßgebend.
Der Wert einer Grunddienstbarkeit wird durch den Wert, den sie für das herrschende Grundstück hat, und wenn der Betrag, um den sich der Wert des dienenden Grundstücks durch die Dienstbarkeit mindert, größer ist, durch diesen Betrag bestimmt.
(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.
(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder - 2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.
(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.