Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Sept. 2018 - V ZB 135/18
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
beschlossen:
Der Beteiligten zu 1 wird Wiedereinsetzung in den vorigenStand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt (§ 233 ZPO).
Das durch Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 25. Juni 2007 (61 K 117/07) angeordnete und aufgrund der Beschlüsse des Amtsgerichts Darmstadt vom 9. Februar 2017 und vom 24. März 2017 (jeweils 61 K 117/07) und der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 27. April 2018 (5 T 246/17) fortzusetzende Teilungsversteigerungsverfahren wird einstweilen bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde eingestellt.
Gründe:
- 1
- Die Anträge der Beteiligten zu 1 haben Erfolg.
- 2
- 1. Ihr ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren , weil sie ohne Verschulden verhindert war, diese Fristen zu wahren, und die versäumten Verfahrenshandlungen fristgerecht nachgeholt hat (§§ 233, 234 ZPO).
- 3
- 2. a) Gemäß § 575 Abs. 5 i.V.m. § 570 Abs. 3 ZPO kann das Rechtsbeschwerdegericht ein Teilungsversteigerungsverfahren nach der Zurückweisung der Beschwerde des nicht antragstellenden Miteigentümers gegen die Zurückweisung seines Einstellungsantrags nach § 765a ZPO einstweilen einstellen, wenn dem Rechtsbeschwerdeführer durch die Fortsetzung des Verfahrens größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Falle der einstweiligen Einstellung, die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist und die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint (Senat, Beschlüsse vom 3. April 2009 - V ZB 46/09, juris und vom 17. Januar 2017 - V ZB 150/16, WuM 2017, 163 Rn. 1).
- 4
- b) So verhält es sich hier. Im Hinblick auf die von dem Beschwerdegericht festgestellte akute Suizidgefahr der Beteiligten zu 1 bei einem Verlust des Miteigentums an dem versteigerten Grundstück im Rahmen einer Zuschlagserteilung ist ein Erfolg der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde nicht ausgeschlossen. Zudem sind angesichts dieser Gefahr und der naheliegenden Möglichkeit , dass sie sich bei Versteigerung des Grundstücks realisiert, die der Beteiligten zu 1 bei einer Fortsetzung des Teilungsversteigerungsverfahrens dro- henden Nachteile trotz der langen Verfahrensdauer schwerwiegender als die Nachteile, die für den Ersteher mit der einstweiligen Einstellung des Verfahrens bis zum Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens verbunden sind.
Haberkamp Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Darmstadt, Entscheidung vom 24.03.2017 - 61 K 117/07 -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 27.04.2018 - 5 T 246/17 -
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.
(2) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann die Vollziehung der Entscheidung aussetzen.
(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.
(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.
(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.
(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.
(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.
(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beteiligte zu 1 betreibt die Zwangsversteigerung des Miteigentumsanteils der Schuldnerin an dem im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundstück.
- 2
- In einem ersten Versteigerungstermin wurde der Zuschlag nach § 85a Abs. 1 ZVG versagt. Im Termin vom 19. Mai 2008 blieb der Beteiligte zu 2 mit einem unter der Hälfte des Grundstückswerts liegenden Gebot Meistbietender. Mit Beschluss vom 29. Mai 2008 erteilte ihm das Vollstreckungsgericht den Zuschlag.
- 3
- Die Zuschlagsbeschwerde der Schuldnerin, mit der sie unter anderem geltend macht, die Wertgrenze des § 85a ZVG habe im zweiten Termin fortgegolten, weil das im ersten Termin abgegebene Gebot rechtsmissbräuchlich gewesen sei, hat das Landgericht - Einzelrichterin - zurückgewiesen.
- 4
- Mit der von der Einzelrichterin zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Schuldnerin weiterhin die Versagung des Zuschlags. Ferner beantragt sie, die Zwangsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde auszusetzen.
II.
- 5
- Der Aussetzungsantrag hat Erfolg.
- 6
- Gemäß § 575 Abs. 5 i.V.m. § 570 Abs. 3 ZPO kann das Rechtsbeschwerdegericht die Vollziehung eines mit der Beschwerde erfolglos angefochtenen Beschlusses aussetzen, wenn dem Rechtsbeschwerdeführer durch die Vollziehung größere Nachteile drohen, als den anderen Beteiligten im Falle der Aussetzung, die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist und die Rechtbeschwerde zulässig erscheint (BGH, Beschl. v. 21. März 2002, IX ZB 48/02, NJW 2002, 1658 f.; Beschl. v. 6. August 2003, VIII ZB 77/03, WuM 2003, 509 f.; Beschl. v. 10. Oktober 2003, IXa ZB 247/03, ZfIR 2004, 445). So verhält es sich hier.
- 7
- Die Entscheidung des Beschwerdegerichts wird voraussichtlich schon deshalb aufzuheben sein, weil die Einzelrichterin einerseits keinen Anlass gesehen hat, die Sache gemäß § 568 Satz 2 ZPO der Kammer zu übertragen, andererseits aber die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 11. September 2003, XII ZB 188/02, NJW 2003, 3712). Der Beschluss begegnet aber auch in der Sache erheblichen Bedenken. Die Annahme des Beschwerdegerichts, eine möglicherweise rechtsmissbräuchliche Gebotsabgabe im ersten Versteigerungstermin sei unbeachtlich, weil der Zuschlagsversagungsbeschluss von der Schuldnerin nicht angefochten worden sei, widerspricht nämlich der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 172, 218, 236).
- 8
- Bereits aus diesem Grund erscheinen die der Schuldnerin bei einer Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss, insbesondere bei einer Zwangsräumung, drohenden Nachteile deutlich schwerwiegender, als die Nachteile, die für den Ersteher mit der einstweiligen Aussetzung der Vollstreckung verbunden sind. Krüger Klein Schmidt-Räntsch Stresemann Roth
AG Darmstadt, Entscheidung vom 29.05.2008 - 61 K 155/05 -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 05.03.2009 - 23 T 132/08 -