Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2013 - StB 19/12

bei uns veröffentlicht am24.01.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
__________
StB 19/12
vom
24. Januar 2013
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verschleppung u.a.
hier: Beschwerde des Angeklagten gegen den Eröffnungsbeschluss des
Kammergerichts vom 5. Dezember 2012
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschwerdeführers und seines Verteidigers am
24. Januar 2013 gemäß § 210 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Eröffnungsbeschluss des Kammergerichts vom 5. Dezember 2012 wird als unzulässig verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe als Mitarbeiter des mongolischen Geheimdienstes am 14. Mai 2003 in Le Havre/Frankreich zusammen mit weiteren Personen den Exilmongolen D. in seine Gewalt gebracht, ihn in gefesseltem und zeitweise durch Spritzen betäubtem Zustand im Pkw über Brüssel nach Berlin geschafft und ihn dort am 18. Mai 2003, wiederum betäubt, in ein Flugzeug nach Ulan Bator/Mongolei verbracht. Dies habe dem Zweck gedient, gegen D. in der Mongolei ein Strafverfahren wegen Beteiligung an der Ermordung des damaligen mongolischen Innenministers S. am 2. Oktober 1998 in Ulan Bator durchzuführen. Bei seiner Ankunft in der Mongolei am 19. Mai 2003 sei D. , wie von den Tätern bezweckt , in Untersuchungshaft genommen worden; in der Folge habe man ihn mehrfach gefoltert, um von ihm ein Geständnis zu erzwingen. Dieses Vorgehen habe lediglich dem Machterhalt der damaligen mongolischen Regierungspartei MRVP gedient. Sie habe ohne Einlösung ihres Wahlversprechens, den Mord an S. aufzuklären, um ihre Wiederwahl gefürchtet, weshalb sich ihre Funktionäre entschlossen hätten, D. ungeachtet fehlender Hinweise auf seine Täterschaft zu einem Geständnis zu zwingen. Dessen sei sich der Angeklagte bei seinem Handeln bewusst gewesen.
2
Der Generalbundesanwalt hat gegen den Angeklagten wegen dieses Tatgeschehens, das er rechtlich als Verschleppung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 234a Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4, § 52 StGB) bewertet, am 1. August 2011 Anklage zum Staatsschutzsenat des Kammergerichts Berlin erhoben. Das Kammergericht hat das Hauptverfahren mit Beschluss vom 5. Dezember 2012 eröffnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.
3
1. Das Rechtsmittel ist unzulässig, denn der Beschluss, das Hauptverfahren zu eröffnen, ist nach § 210 Abs. 1 StPO der Anfechtung durch den Angeklagten grundsätzlich entzogen. Die Vorschrift verweist den Angeklagten wegen der Klärung der Beschwerdepunkte, die er gegen diese - nach § 203 StPO nur auf vorläufiger Bewertung beruhende - Zwischenentscheidung vorzubringen hat, auf das zur endgültigen Entscheidung führende Hauptverfahren. Hiergegen bestehen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. August 1994 - 2 BvR 1547/94, NJW 1995, 316).
4
2. Die Auffassung des Beschwerdeführers, die Würdigung des Beweisstoffs durch das Kammergericht verstoße gegen das Willkürverbot und das Gebot eines fairen Verfahrens, trifft nicht zu. Zur Begründung bezieht sich der Beschwerdeführer allein darauf, dass der Senat im Beschluss vom 16. September 2011 (StB 11/11) keine hinreichenden Belege für eine Verfol- gung des Geschädigten trotz fehlender Verdachtsmomente für seine Täterschaft und allein aus politischen Gründen gesehen, deshalb den dringenden Verdacht einer Verschleppung verneint und demzufolge den vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gegen den Beschwerdeführer erlassenen Haftbefehl mangels Strafgerichtsbarkeit des Bundes aufgehoben hatte. Dieser Beschluss entfaltet indes für die Bewertung der Tat in der Eröffnungsentscheidung des Kammergerichts keine rechtliche Bindung.
5
Unter diesen Umständen kann der Senat offenlassen, ob es bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten von Verfassungs wegen zulässig oder gar allgemein geboten ist, dem Angeklagten in Durchbrechung des § 210 Abs. 1 StPO - und entgegen dem Gebot der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395) - die Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses zu ermöglichen (vgl. zur Unstatthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde wegen "greifbarer Gesetzesverletzung" BGH, Beschlüsse vom 19. März 1999 - 2 ARs 109/99, BGHSt 45, 37; vom 21. April 2004 - XII ZB 279/03, BGHZ 159, 14). Soweit wegen der Ausstrahlungswirkung des Art. 103 Abs. 3 GG, der Schutz nicht nur vor Doppelbestrafung, sondern auch vor doppelter Strafverfolgung gewährleistet, die - einfache - Beschwerde des Angeklagten gegen einen Eröffnungsbeschluss ausnahmsweise dann als statthaft anzusehen ist, wenn sie sich gegen eine erneute, nach bereits rechtskräftiger Ablehnung der Eröffnung ergangene Entscheidung richtet und geltend macht, diese beruhe entgegen § 211 StPO nicht auf neuen Tatsachen oder Beweismitteln (BVerfG, Beschluss vom 3. September 2004 - 2 BvR 2001/02, StV 2005, 196), kann der Beschwerdeführer einen Sachverhalt, der damit auch nur vergleichbar wäre, nicht vortragen.
Tolksdorf Hubert Mayer

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 52 Tateinheit


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Strafprozeßordnung - StPO | § 203 Eröffnungsbeschluss


Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

Strafprozeßordnung - StPO | § 210 Rechtsmittel gegen den Eröffnungs- oder Ablehnungsbeschluss


(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden. (2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltsc

Strafprozeßordnung - StPO | § 211 Wiederaufnahme nach Ablehnungsbeschluss


Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß abgelehnt, so kann die Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 234a Verschleppung


(1) Wer einen anderen durch List, Drohung oder Gewalt in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbringt oder veranlaßt, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren, und dadurch der Gefahr ausset

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Sept. 2011 - StB 11/11

bei uns veröffentlicht am 16.09.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS ___________ StB 11/11 vom 16. September 2011 in dem Strafverfahren gegen wegen Verschleppung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Beschwerdeführers und seiner Ver

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2004 - XII ZB 279/03

bei uns veröffentlicht am 21.04.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 279/03 vom 21. April 2004 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja ZPO §§ 574 Abs. 1 und 2, 707 Abs. 2 Satz 2, 769 Abs. 1, 793 Gegen eine einstweilige Anordnung nach § 769 Abs. 1 ZPO

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(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.

(1) Wer einen anderen durch List, Drohung oder Gewalt in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbringt oder veranlaßt, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren, und dadurch der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt- oder Willkürmaßnahmen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, der Freiheit beraubt oder in seiner beruflichen oder wirtschaftlichen Stellung empfindlich beeinträchtigt zu werden, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(3) Wer eine solche Tat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.

Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
___________
StB 11/11
vom
16. September 2011
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verschleppung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschwerdeführers und seiner Verteidiger am 16. September
2011 gemäß § 304 Abs. 5 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2006 (1 BGs 12/2006) aufgehoben. Der Angeschuldigte ist in dieser Sache freizulassen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

1
Auf der Grundlage des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2006 (1 BGs 12/2006) und des hierauf am 9. Februar 2006 vom Generalbundesanwalt ausgestellten Europäischen Haftbefehls (Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten 2002/584/JI [AblEG L 190 vom 18. Juli 2002], geändert durch Rahmenbeschluss des Rates 2009/299/JI vom 26. Februar 2009 [AblEG L 81/24 vom 27. März 2009]; im Folgenden: Rahmenbeschluss) wurde der Angeschuldigte am 17. September 2010 in Großbritannien festgenommen und von dort am 19. August 2011 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Seitdem befindet er sich ununterbrochen in deutscher Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am 14. Mai 2003 als Mitarbeiter des mongolischen Geheimdienstes zusammen mit weiteren Personen in Le Havre/Frankreich den Exilmongolen D. in seine Gewalt gebracht , ihn in gefesseltem und zeitweise durch Spritzen betäubtem Zustand im Pkw über Brüssel nach Berlin geschafft und ihn dort schließlich am 18. Mai 2003, wiederum betäubt, in ein Flugzeug nach Ulan Bator/Mongolei verbracht. Dies habe dem Zweck gedient, gegen D. in der Mongolei ein Strafverfahren wegen Beteiligung an der Ermordung des damaligen mongolischen Innenministers Zorig Sanjasuuren am 2. Oktober 1998 in Ulan Bator zu eröffnen und durchzuführen. Bei seiner Ankunft in der Mongolei am 19. Mai 2003 sei D. , wie von den Tätern bezweckt, in Untersuchungshaft genommen worden; in der Folge habe man ihn auch mehrfach (vergeblich) gefoltert, um von ihm ein Geständnis zu erzwingen. Die Strafverfolgungsbehörden hätten das Verfahren in der Folge zwar eingestellt, aber D. trotz seines schlechten Gesundheitszustands zur Verbüßung noch nicht erledigter Restfreiheitsstrafen in Haft behalten.
3
Der Generalbundesanwalt hat wegen dieses Tatgeschehens, das er - wie der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs - rechtlich als Verschleppung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 234a Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 StGB) bewertet, am 1. August 2011 Anklage gegen den Angeschuldigten zum Kammergericht Berlin erhoben. Nach seiner Ansicht - der Haftbefehl verhält sich hierzu nicht - dienten die Verbringung des Angeschuldigten in die Mongolei und die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn lediglich dem Machterhalt der damaligen mongolischen Regierungspartei MRVP. Sie habe ohne Einlösung ihres Wahlversprechens, den Mord an Sanjasuuren aufzuklären , um ihre Wiederwahl zu fürchten gehabt, weshalb sich ihre Funktionäre entschlossen hätten, D. ungeachtet fehlender Hinweise auf seine Täterschaft zu einem Geständnis zu zwingen. Dieser Hintergründe sei sich auch der Angeschuldigte bewusst gewesen.
4
1. Die gegen den Haftbefehl gerichtete Beschwerde des Angeschuldigten ist zulässig. Der Beschwerdeführer hat jedenfalls in seinem Schreiben an den Senat vom 12. September 2011 klargestellt, dass er die Aufhebung des Haftbefehls und nicht lediglich die abweichende rechtliche Würdigung des ihm zu Grunde liegenden Sachverhalts erstrebt.
5
2. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.
6
Der angefochtene Haftbefehl ist aufzuheben, denn der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs war für dessen Erlass nicht zuständig. Das dem Verfolgten vorgeworfene Tatgeschehen unterliegt nicht der Strafgerichtsbarkeit des Bundes nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG. Nach dem gegenwärtigem Stand der Untersuchung ist es entgegen der Annahme des Ermittlungsrichters und des Generalbundesanwalts rechtlich nicht (auch) als Verschleppung im Sinne von § 234a Abs. 1 StGB, § 74a Abs. 1 Nr. 5 GVG zu bewerten.
7
a) Allerdings geht die Auffassung des Beschwerdeführers fehl, die Verfolgung des Angeschuldigten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verschleppung treffe bereits auf ein Verfahrenshindernis unter dem Gesichtspunkt des auslieferungsrechtlichen Grundsatzes der Spezialität. Zur Begründung be- zieht sich der Senat auf die Ausführungen in der Nichtabhilfeentscheidung des Kammergerichts vom 25. August 2011 und macht sich diese zu eigen. Zwar trifft es zu, dass (auch) die Sachverhaltsdarstellung im Europäischen Haftbefehl des Generalbundesanwalts vom 9. Februar 2006 nicht erkennen lässt, dass das Opfer, wie es § 234a Abs. 1 StGB verlangt, der Gefahr einer Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt wurde. Indes dient die von Art. 8 Abs. 1 Buchst. e des Rahmenbeschlusses geforderte Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, schon nach ihrem Wortlaut nicht dazu , dem ersuchten Staat die Subsumtion eines Sachverhalts unter einen bestimmten , im ersuchenden Staat geltenden Straftatbestand zu ermöglichen. Vielmehr grenzt sie den dem Ersuchen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt von anderen ab (Art. 27 Abs. 2 Rahmenbeschluss) und schafft die Grundlage für die Prüfung des ersuchenden Staates, ob die Tat auch nach den seinen Rechtsvorschriften strafbar ist (Art. 4 Nr. 1 Rahmenbeschluss).
8
Nach den allgemeinen Regeln des (vertraglosen) Auslieferungsverkehrs könnte der ersuchte Staat die Auslieferung eines Verfolgten allerdings ohne weiteres mit der Bedingung verknüpfen, dass der ersuchende Staat die Tat nur unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt verfolgt (vgl. Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., § 72 IRG Rn. 5). Darauf, ob im Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Art. 4 des Rahmenbeschlusses einer solchen Bedingung entgegenstünde, kommt es indes nicht an, denn entsprechende Vorbehalte werden weder aus den die Auslieferung bewilligenden Entscheidungen des City of Westminster Magistrates´ Court vom 18. Februar 2011 und des High Court of Justice vom 29. Juli 2011 ersichtlich noch aus sonstigen, von den britischen Behörden im Zusammenhang mit der Überstellung des Angeschuldigten abgegebenen Erklärungen.
9
b) Jedoch ist der Angeschuldigte einer Verschleppung nicht dringend verdächtig. Der Senat hält (nur) seine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 239 Abs. 3 Nr. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB) für wahrscheinlich.
10
aa) Der Tatbestand der Verschleppung (§ 234a Abs. 1 StGB) setzt voraus , dass der Täter das Opfer - mit zumindest bedingtem Vorsatz - der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt- und Willkürmaßnahmen die näher bezeichneten Nachteile zu erleiden. Danach müssen dem Opfer Nachteile also deshalb drohen, weil die Gefahr besteht, dass es vom fremden Staat aus politischen Gründen mit Maßnahmen überzogen wird, mag der fremde Staat neben politischen auch andere Gründe für eine Verfolgung des Opfers haben (MünchKommStGB/Wieck-Noodt, § 234a Rn. 27, 32; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 234a Rn. 8 f.). Die Verbringung des Opfers in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des deutschen Strafgesetzbuchs zum Zwecke der Strafverfolgung erfüllt den Tatbestand daher grundsätzlich auch dann nicht, wenn ohne das Vorliegen derartiger politischer Gründe die Gefahr besteht, der fremde Staat werde dabei zu Mitteln greifen, die aus rechtsstaatlicher Sicht zu missbilligen sind und das Opfer an Leib oder Leben gefährden.
11
Politische Verfolgungsmaßnahmen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 2. Februar 1960 - 3 StR 53/59, BGHSt 14, 104, 106 f.) solche, die entweder gesetzlich nicht erlaubt sind oder deren Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht. Entsprechendes gilt für Maßnahmen, die unter dem Deckmantel geschehen, kriminelles Unrecht nach Strafgesetzen, wie sie auch in einem Rechtsstaat gelten, sühnen zu wollen, in Wahrheit aber, jedenfalls vornehmlich, auf anderen Grün- den beruhen (etwa wegen der Rasse, der Religion, der Weltanschauung, der politischen Überzeugung oder der systemkritischen Haltung des Opfers). Weiter erfasst der Tatbestand Akte, die dem Zweck dienen, den Bestand und die Sicherheit eines totalitären Regimes zu erhalten und seine Entwicklung durch Zwangsmaßnahmen gegen die Einwohner zu fördern, auch wenn sie formell im Rahmen des positiven Rechts vorgenommen werden. Nicht auf politischen Gründen beruht demgegenüber eine mit rechtsstaatlichen Grundsätzen übereinstimmende Ordnungsmaßnahme zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes.
12
bb) Nach diesen Maßstäben, an denen der Senat festhält, hat der Beschuldigte den Geschädigten nicht der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt. In den dem Senat vorliegenden Ermittlungsakten finden sich keine hinreichenden Belege dafür, dass die mongolischen Behörden den Beschuldigten willkürlich und ohne das Bestehen tatsächlicher Verdachtsmomente mit einem Strafverfahren wegen der Beteiligung an dem Tötungsdelikt überzogen haben, weil die von der MRVP getragene Regierung unter öffentlichem Druck stand, für den Mord an Sanjasuuren einen Täter zu "präsentieren".
13
Der Senat hält es bereits für zweifelhaft, ob der Nachweis gelingt, die Frage der Aufklärung der Mordtat habe im Vorfeld der mongolischen Parlamentswahlen am 27. Juni 2004 eine entscheidende Rolle gespielt und der MRVP schließlich erhebliche Verluste zugefügt. Die beigebrachte Abhandlung aus "Wikipedia" über die Entwicklung der MRVP geht jedenfalls davon aus, dass es der Partei vor dieser Wahl insgesamt nicht gelungen ist, den Bürgern ihre Leistungen und ihre künftige Rolle verständlich genug darzulegen; der Mord an Sanjasuuren findet keine Erwähnung. Den Urheber des Presseberichts "Seit dem 2. Oktober 1998 sind bereits fünf Jahre vergangen …" vermag der Senat ebenso wenig zu überprüfen wie die Tragfähigkeit der darin getroffe- nen Aussagen. Er gibt nach der gewählten Formulierung die Meinung des Verfassers wieder, der Mord werde absichtlich verschleiert ("man bekommt langsam den Eindruck"); eine sachliche Berichterstattung über die Stimmung in der Wählerschaft enthält er nicht. Die Veröffentlichung des Internationalen Bundes der Parlamentarier bedauert lediglich, dass sich das mongolische Parlament unter Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz der Sache nicht annimmt. Eine politikwissenschaftlichen Anforderungen genügende Analyse der Stimmung in der mongolischen Bevölkerung vor den Parlamentswahlen und des Wählerverhaltens am 27. Juni 2004, die allein Grundlage einer Verurteilung sein könnte, ist nicht vorhanden.
14
Auch die Annahme, die mongolischen Behörden hätten den Geschädigten willkürlich der Beteiligung an der Ermordung von Sanjasuuren beschuldigt, erscheint dem Senat nicht mit hinreichender Sicherheit erweislich. Die gewaltsame Verbringung des Geschädigten in die Mongolei durch Kräfte des Geheimdienstes mag hierfür ein gewichtiges Indiz sein. Letztlich spricht hiergegen indes schon der tatsächliche Geschehensablauf; denn, wie die Anklage nunmehr mitteilt, wurde das Strafverfahren gegen den Geschädigten wegen Mordes an Sanjasuuren bereits im November 2003, also noch vor den anstehenden Wahlen, mangels hinreichender Verdachtsmomente eingestellt. Zudem hätten die mongolischen Behörden eine Auslieferung von D. aus einem EU-Mitgliedstaat auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe wegen der für Mord nach mongolischem Recht angedrohten Todesstrafe schwerlich erreichen können; eine Zusicherung, diese Strafe nicht zu verhängen, betrachtet die Mongolei als Eingriff in die Unabhängigkeit ihrer Gerichte.
15
Soweit der Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in seinem Bericht vom 20. Dezember 2005 über einen Be- such in der Mongolei ausführt, die Vorwürfe gegen D. seien offensichtlich konstruiert gewesen, bleibt offen, auf welcher tatsächlichen Grundlage er zu dieser Überzeugung kam. Zwar konnten die Ermittlungen keine konkreten Umstände zu Tage fördern, die dafür sprechen, dass der Geschädigte an der Tat beteiligt war. Versuche, den Gang des mongolischen Verfahrens aufzuklären, wurden (zu Recht, da kaum erfolgversprechend) nicht unternommen; die Unaufklärbarkeit kann indes nicht zu Lasten des Angeschuldigten gehen.
16
Im Übrigen hat der Senat keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der Erklärung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Mongolei vom 26. Januar 2004 zu zweifeln, wonach dort gegen den Geschädigten noch erhebliche Restfreiheitsstrafen aus früheren Verurteilungen zu vollstrecken waren. Dies ist, wie die vorliegenden Vermerke über Gespräche mit dem mongolischen Botschafter ergeben, auch die Sicht des Auswärtigen Amtes. Dassder Geschädigte eine vorzeitige Entlassung durch Vorlage gefälschter Gesundheitszeugnisse erreicht und sich danach ins Ausland abgesetzt hatte, hat er in dem aus der Haft geschmuggelten Video-Interview eingeräumt. Ob die mongolischen Behörden angesichts des Gesundheitszustands des Geschädigten Ende 2003 von seiner Überführung in die Strafhaft hätten absehen müssen, bleibt offen für Spekulationen.
Becker Pfister Mayer

(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 279/03
vom
21. April 2004
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Gegen eine einstweilige Anordnung nach § 769 Abs. 1 ZPO ist weder die sofortige
Beschwerde noch eine außerordentliche Beschwerde statthaft.
BGH, Beschluß vom 21. April 2004 - XII ZB 279/03 - OLG Stuttgart
AG Ulm
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des 16. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. November 2003 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: bis 150 €

Gründe:


I.

Die Parteien streiten um Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt. Mit gerichtlichem Vergleich vom 1. Dezember 1998 verpflichtete sich der Kläger , an den Beklagten, seinen Sohn aus geschiedener Ehe, Unterhalt in Höhe von 170 % des Regelbetrages abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu zahlen. Mit der vorliegenden Klage begehrt er Herabsetzung des Kindesunterhalts auf 114 % des Regelbetrages abzüglich des hälftigen Kindergeldes. Auf den Antrag des Klägers hat das Amtsgericht die Zwangsvollstrekkung aus dem Vergleich einstweilen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des sonst vollstreckbaren Betrages eingestellt, soweit der Titel 150 % des Regelbe-
trages abzüglich des hälftigen Kindergeldes übersteigt. Das Oberlandesgericht hat die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und wegen der Frage "der Anfechtungsmöglichkeiten gegen einen Beschluß nach § 769 ZPO" die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig. 1. Nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozeßreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, 1902) kann der Bundesgerichtshof gegen Beschlüsse des Beschwerdegerichts, des Berufungsgerichts oder des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug ausschließlich in den Fällen des § 574 Abs. 1 ZPO angerufen werden. Danach ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder das Berufungsgericht sie in dem angefochtenen Beschluß zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Gegen Beschlüsse, mit denen eine Beschwerde als unzulässig verworfen wurde, ist die Rechtsbeschwerde nicht generell statthaft. Insoweit unterscheidet sich das Beschwerderecht (§ 572 Abs. 2 ZPO) von der ausdrücklichen Regelung im Berufungsrecht (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Der Senat ist auch nicht an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht gebunden. Durch die Zulassung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich statthaft ist. Sie wird aber nicht in den Fällen eröffnet, in denen
die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist (BGH Beschlüsse vom 12. September 2002 - III ZB 43/02 - NJW 2002, 3554 zur Prozeßkostenhilfe; vom 8. Oktober 2002 - VI ZB 27/02 - NJW 2003, 211 zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vom 10. Dezember 2003 - IV ZB 35/03 - FamRZ 2004, 437 zur Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung des Beschwerdegerichts kann nicht durch dessen Ausspruch der Anfechtung unterworfen werden. Das gilt erst recht, wenn schon das Rechtsmittel zum Beschwerdegericht nicht zulässig war (vgl. BGH Beschluß vom 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02 - NJW 2004, 1112 m.w.N.). 2. Wie das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat, ist gegen einstweilige Anordnungen nach § 769 Abs. 1 ZPO kein Rechtsmittel gegeben.
a) Gegen Entscheidungen des Prozeßgerichts nach § 769 Abs. 1 ZPO, in denen die Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise eingestellt wird, ist eine sofortige Beschwerde nicht statthaft. Das folgt aus einer Auslegung des § 769 Abs. 1 ZPO im Kontext der allgemeinen Vorschriften zur Zwangsvollstreckung, insbesondere der §§ 707 Abs. 2 Satz 2, 793 ZPO. Während eine Anfechtungsmöglichkeit in § 769 Abs. 1 ZPO nicht ausdrücklich geregelt ist, schließt § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Anfechtung einer Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder Wiederaufnahme des Verfahrens ausdrücklich aus; § 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO verweist für die Fälle des Einspruchs oder der Berufung gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil auf diese Regelung. Im übrigen folgt aus § 793 ZPO, daß gegen Entscheidungen , die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, die sofortige Beschwerde stattfindet. Ob gegen eine Ent-
scheidung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 Abs. 1 ZPO die allgemeine Beschwerdemöglichkeit nach § 793 ZPO eröffnet oder ob wegen der Vergleichbarkeit zu den abweichend geregelten Einzelfällen und einer planwidrigen Regelungslücke eine Analogie zu § 707 Abs. 2 ZPO geboten ist, muss deswegen eine Auslegung des § 769 Abs. 1 ZPO ergeben. Gegen die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 793 ZPO spricht schon der Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Sie ermöglicht ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts, während im 1. Abschnitt des 8. Buches der Zivilprozeßordnung (§§ 704 ff. ZPO) nicht nur die Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts, sondern auch das Verfahren des Prozeßgerichts geregelt ist. Gerade § 769 Abs. 1 ZPO ermöglicht es dem mit Einwendungen gegen das Urteil befaßten Prozeßgericht, die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einzustellen (vgl. Künkel MDR 1989, 309, 310). Insoweit ist das Verfahren mit den Verfahren nach § 707 ZPO vergleichbar , in denen ebenfalls ein schon vollstreckbarer Titel abgeändert werden soll. Wie in jenen Verfahren ist es auch hier geboten, die Entscheidung in der Hauptsache nicht durch Rechtsmittel gegen die Nebenentscheidung über die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu verzögern. Entsprechend sind auch sonst die in einem Hauptsacheverfahren ergangenen einstweiligen Anordnungen regelmäßig nicht anfechtbar, wie sich aus § 620 c ZPO ergibt. Auch wegen der gleichen Interessenlage bei der Einstellungsmöglichkeit nach § 769 Abs. 1 ZPO zu jener nach § 707 ZPO ist es geboten, die Vorschrift des § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO analog anzuwenden. Nach der gesetzgeberischen Wertung kann das mit der Hauptsache befasste erstinstanzliche Gericht am besten beurteilen, ob und gegebenenfalls welche einstweilige Regelung erforderlich ist (vgl. BT-Drucks. 10/3054 S. 14). Seine Entscheidung in der
Hauptsache soll nicht durch eine vorläufige Entscheidung des Beschwerdegerichts beeinflußt werden (Stein/Jonas/Münzberg ZPO 22. Aufl. § 769 Rdn. 18). Dadurch wird der Rechtsschutz nicht entscheidend beeinträchtigt, denn die Anordnungen sind in jeder Instanz frei abänderbar, um der jeweiligen Prozeßlage gerecht zu werden (Stein/Jonas/Münzberg aaO.; Zöller/Herget ZPO 24. Aufl. § 707 Rdn. 18, 22). Zudem endet die einstweilige Maßnahme mit der Entscheidung in der Hauptsache. Deswegen spricht sich auch der überwiegende Teil der Rechtsprechung für eine analoge Anwendung des § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf § 769 Abs. 1 ZPO aus (aus der neueren Rechtsprechung vgl. z.B. neben dem hier angefochtenen Beschluß des OLG Stuttgart noch OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 140; OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, 1676; OLG Koblenz OLGR 2003, 332; LG Magdeburg Beschluß vom 6. Oktober 2003 - 3 T 714/03 - veröffentlicht bei JURIS). Einer entsprechenden Anwendung des § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber die Frage trotz der in Rechtsprechung (vgl. insoweit die Aufstellung von Lemke, MDR 2000, 13, 18) und Literatur umstrittenen Rechtsfrage ungeregelt gelassen hat. Denn entgegen der Auffassung des LArbG Frankfurt (Beschluß vom 8. Mai 2003 - 16 Ta 172/03 - veröffentlicht bei JURIS) folgt daraus nicht, daß die Rechtsfrage im Sinne einer Anwendbarkeit der sofortigen Beschwerde nach § 793 ZPO geregelt sein sollte. Der Gesetzgeber hat die zunächst aufgetretene unbewußte Regelungslücke vielmehr in Kenntnis der überwiegenden Auffassung zur Unanfechtbarkeit des Beschlusses nach § 769 Abs. 1 ZPO unverändert gelassen. Schon im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung vom 18. März 19 85 war eine Änderung des § 769 Abs. 3 ZPO vorgesehen, wonach auch gegen solche Beschlüsse keine Rechtsmittel zulässig sein sollten, um nicht das Verfahren der Hauptsache entgegen dem rechtsstaatlichen Gebot zur Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes unangemessen zu verzögern (BT-Drucks. 10/3054
S. 14). Zwar ist diese Regelung letztlich nicht in das Gesetz übernommen worden. Das war bei gleich gebliebener gesetzgeberischer Intention, nämlich das Verfahren der Hauptsache nicht durch Rechtsmittel gegen Zwischen- und Nebenentscheidungen unvertretbar zu verzögern, allein auf die Auffassung zurückzuführen , die grundsätzliche Unanfechtbarkeit dieser Anordnungen und Maßnahmen sei "in der Rechtsprechung hinreichend anerkannt" (BTDrucks. 11/3621 S. 25, 26). Letztlich wollte der Gesetzgeber die Rechtsfrage also im Sinne einer Unanfechtbarkeit dieser Entscheidungen beantwortet lassen. Daran hat sich auch durch die späteren Reformen nichts geändert, weil diese Frage bei gleich gebliebener Motivation des Gesetzgebers ungeregelt geblieben ist (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 68, 122; so auch Musielak/Lackmann ZPO 3. Aufl. § 707 Rdn. 12; MünchKomm/Schmidt ZPO 2. Aufl. § 769 Rdn. 33; OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 140).
b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht auch eine außerordentliche Beschwerde nicht für zulässig erachtet. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozeßreformgesetz Beschlüsse der Beschwerdegerichte ausschließlich in den Fällen des § 574 Abs. 1 ZPO angefochten werden können. Ein außerordentliches Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof ist auch dann nicht statthaft, wenn die Entscheidung ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder aus sonstigen Gründen greifbar gesetzwidrig ist. In einem solchen Fall ist die angefochtene Entscheidung durch das Gericht, das sie erlassen hat, auf (fristgebundene ) Gegenvorstellung zu korrigieren. Wird ein Verfassungsverstoß nicht beseitigt, kommt allein eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht in Betracht (BGHZ 150, 133). Entsprechend ist durch das Zivilprozeßreformgesetz die Vorschrift des § 321 a ZPO eingeführt worden, die es dem Gericht erster Instanz ermöglicht, auf fristgebundene Rüge sein noch nicht rechtskräftiges Urteil abzuändern. So hat auch das Bundesverfassungsgericht
durch Plenarbeschluß vom 30. April 2003 (FamRZ 2003, 995) dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2004 eine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall zu schaffen, daß ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Für den Fall, daß der Gesetzgeber keine rechtzeitige Neuregelung trifft, hat es angeordnet, daß das Verfahren auf Antrag einer beschwerten Partei von dem Gericht fortzusetzen ist, dessen Entscheidung wegen der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angegriffen wird. Auch das spricht dafür, selbst in Fällen fehlerhafter Ermessensausübung (vgl. insoweit noch OLG Celle WM 2002, 2453; OLG Schleswig Beschluß vom 18. August 2003 - 16 W 110/03 - veröffentlicht bei Juris; OLG Köln FF 2002, 175; OLG Frankfurt InVo 2003, 479) eine außerordentliche Beschwerde nicht mehr zuzulassen, zumal dem Ausgangsgericht die Möglichkeit eröffnet wird, greifbaren Verfahrensverstößen selbst abzuhelfen. Im übrigen darf das Gericht den Beschluß nach § 769 Abs. 1 ZPO schon nach der gegenwärtigen Rechtslage jederzeit ändern und die Zwangsvollstreckung
gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstellen oder aufheben und die Einstellung rückgängig machen (vgl. Zöller/Herget ZPO 24. Aufl. § 769 Rdn. 10).
Hahne Sprick Weber-Monecke Bundesrichter Prof. Dr. Wagenitz Dose kann urlaubsbedingt nicht unterzeichnen. Hahne

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß abgelehnt, so kann die Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden.