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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 1/20
vom
23. Januar 2020
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2020:230120BSTB1.20.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 23. Januar 2020 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Dezember 2019 wird verworfen. 2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
Die Angeklagte ist am 29. Juni 2018 festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2018 (2 BGs 507/18) in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeklagte habe sich von Sommer 2014 bis Herbst 2015 in F. und M. (Irak) als Mitglied an der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1).
2
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 13. Dezember 2018 Anklage erhoben wegen des dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwurfs und zweier weiterer Taten der mitgliedschaftlichen Beteiligung an derselben terroristischen Vereinigung im Ausland, zum einen in Tateinheit mit dem Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe ohne Genehmigung (§ 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG), zum anderen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und Mord (§ 211 StGB).
3
Der Senat hat mit Beschluss vom 30. Januar 2019 (AK 61/18) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Oberlandesgericht München hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Anordnung der Haftfortdauer am 18. Februar 2019 mit der Hauptverhandlung am 9. April 2019 begonnen.
4
Es hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 einen Antrag der Verteidiger abgelehnt, den Haftbefehl aufzuheben oder hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Hiergegen richtet sich die am selben Tag eingelegte Beschwerde, mit der insbesondere gerügt wird, die Dauer und Frequenz der Hauptverhandlung seien nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.


5
Die gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Aufhebung , hilfsweise Außervollzugsetzung, des Haftbefehls zu Recht abgelehnt.
6
1. In Bezug auf den im Haftbefehl genannten Tatvorwurf besteht weiterhin dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO.
7
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
8
Die Angeklagte reiste Ende August 2014 über I. zunächst nach Syrien und weiter in den Irak, um sich dem IS anzuschließen. Ab September 2014 gliederte sie sich in F. und M. als Mitglied in den IS unddessen Entscheidungs- sowie Befehlsstruktur ein und steigerte dadurch die Präsenz und Aktivität der Vereinigung. Sie war sodann in beiden Städten als Mitglied der "Sittenpolizei" des IS (Hisba) tätig. Ihre Aufgabe bestand darin, abends durch Parks zu patrouillieren und bei den Frauen auf die Einhaltung der von der Vereinigung vorgegebenen Verhaltens- und Kleidungsvorschriften zu achten. Für ihre Tätigkeit erhielt sie vom IS eine monatliche Vergütung in Höhe von etwa 70 bis 100 Dollar. Anfang Februar 2016 kehrte sie nach Deutschland zurück.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten, namentlich zum IS, wird auf den Haftbefehl Bezug genommen.
10
b) Das Oberlandesgericht hält den dringenden Tatverdacht nach der bislang durchgeführten Beweisaufnahme weiterhin für gegeben. Diese Beurteilung , die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt , unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 - StB 13/19, juris Rn. 27 mwN). Das Oberlandesgericht hat in seinem angefochtenen Beschluss die Grundlagen seiner Bewertung ausreichend dargetan und dabei auf Chatkommunikation der Angeklagten sowie ergänzend auf ein überwachtes Gespräch abgestellt. Dies genügt hier, zumal die Annahme des dringenden Tatverdachts in der Beschwerdebegründung nicht beanstandet wird.
11
c) Demnach hat sich die Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht (vgl. bereits Beschluss vom 30. Januar 2019 - AK 61/18, Rn. 14 ff.).
12
2. Die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StPO) bestehen fort. Weder aus der Beschwerdebegründung noch sonst ergeben sich Anhaltspunkte, welche die im Haftbefehl und im Beschluss des Senats vom 30. Januar 2019 näher dargelegte Besorgnis entkräften , dass sich die Angeklagte im Falle ihrer Haftentlassung dem Strafverfahren entziehen werde. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) und ergänzende Maßnahmen erreicht werden.
13
3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
14
a) Der Entzug der Freiheit eines einer Straftat lediglich Verdächtigen aufgrund der Unschuldsvermutung ist nur ausnahmsweise zulässig. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss - unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - der Freiheitsanspruch der nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt in diesem Zusammenhang auch, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen, aber auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zunehmen (s. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 f.).
15
Das damit ausgesprochene Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordert , dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn deren Fortdauer auf vermeidbarer Verfahrensverzögerung beruht. Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs durchzuführen. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18, juris Rn. 59; BGH, aaO).
16
b) Nach diesen Maßstäben sind das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung bisher noch mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Zur Verfahrensförderung bis zum Jahresbeginn 2019 wird auf den Beschluss des Senats vom 30. Januar 2019 verwiesen. Mit Blick auf den Umfang der - bei Anklageerhebung aus 28 Ordnern bestehenden - Sachakten und die Komplexität des Verfahrens ist das Zwischenverfahren mit der gebotenen Zügigkeit geführt worden. Dem Hauptverfahren ist schließlich ebenfalls mit der erforderlichen Beschleunigung Fortgang gegeben worden. Zwar hat die Hauptverhandlung in den seit ihrem Beginn im Jahr 2019 zur Verfügung stehenden 38 Wochen lediglich an 27 Tagen stattgefunden. Allerdings ergibt sich nach dem konkreten Verfahrensgang hier noch kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot.
17
aa) Das Oberlandesgericht hat zunächst mit dem Eröffnungsbeschluss 23 Verhandlungstage im Zeitraum vom 9. April 2019 bis zum 30. September 2019 bestimmt. Bei Berücksichtigung von drei Wochen Sommerferien, die bei der Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Verhandlungstage außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 - StB 45/18, juris Rn. 11 mwN), ergibt sich nach der anfänglichen Planung eine rechnerische Verhandlungsdichte von mehr als einem Verhandlungstag pro Woche.
18
bb) Eine bei der Terminierung nicht vorhersehbare Änderung hat sich dadurch ergeben, dass die Zeugin B. im März 2019 gegenüber dem Oberlandesgericht angegeben hat, die Mutter des Mädchens zu sein, des- sen Tötung der Angeklagten zur Last gelegt wird, und für eine förmliche Vernehmung zur Verfügung zu stehen. Der Generalbundesanwalt hat im Folgenden die Niederschrift der staatsanwaltlichen Vernehmung der Zeugin vom 20. bis 22. März 2019 und weitere Unterlagen zu den Akten gereicht. Daraufhin hat der Verteidiger angekündigt, eine Unterbrechung bis zum 29. April 2019 zu beantragen, und der Vorsitzende des zuständigen Strafsenats den Hauptverhandlungstermin am 10. April 2019 aufgehoben. Die Aufhebung dieses Termins ist ersichtlich der besonderen Verfahrenssituation geschuldet gewesen und verletzt daher nicht das Beschleunigungsgebot.
19
cc) Der Vorsitzende hat im Folgenden die - zudem als Nebenklägerin zugelassene - Zeugin für vier bereits bestimmte Hauptverhandlungstermine im Juli 2019 geladen. Ferner hat er der Angeklagten am 8. April 2019 eine zweite Verteidigerin mit der Begründung beigeordnet, dass "nicht mehr auszuschließen" sei, "dass die bisher veranschlagte Hauptverhandlungsdauer bis 30.9.2019 nicht mehr ausreicht und weitere Fortsetzungstermine erforderlich werden". Am 8. Juli 2019 hat er fünf weitere Termine im Oktober sowie November 2019 mit dem Verteidiger abgesprochen und diese mit Verfügung vom 10. Juli 2019 bestimmt. Zusätzlichen Terminen in diesem Zeitraum haben Verhinderungen der Verteidiger entgegengestanden.
20
Anders als in der Beschwerdebegründung angenommen, ist ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht darin zu sehen, dass der Vorsitzende nicht bereits im April 2019 weitere Termine festgesetzt hat und so einer Verhinderung der Verteidiger wegen anderweitiger Verfahren zuvorgekommen ist. Auch wenn seinerzeit schon die grundsätzliche Möglichkeit abzusehen gewesen ist, zusätzliche Termine bestimmen zu müssen, so hat sich das konkrete Erfordernis und insbesondere das Ausmaß weiterer Termine erst nach Beginn der Vernehmung der Zeugin B. ergeben. Wie dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen ist, hat sich bei der Vernehmung gezeigt, dass sich wegen eines Sprachfehlers der Zeugin der zeitliche Aufwand für die Übertragung der Aussage erheblich ausgeweitet hat und daher mit einer längeren als der bislang vorgesehenen Vernehmungsdauer zu rechnen gewesen ist. Obschon die Beschwerdeführerin die vom Oberlandesgericht hieraus gezogenen Schlussfolgerungen beanstandet, zieht sie den Lebenssachverhalt - die in der Vernehmung zum Ausdruck kommenden Sprachschwierigkeiten - nicht in Zweifel.
21
Vor diesem Hintergrund hat es trotz des Untersuchungshaftvollzugs noch im Ermessen des Vorsitzenden gelegen (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06, NStZ 2007, 163, 164), nicht schon zu Beginn der Hauptverhandlung weitere Termine zu bestimmen, sondern den Gang der Beweisaufnahme zunächst abzuwarten. Insofern ist zu beachten, dass Termine immerhin bis Ende September 2019 bestimmt gewesen sind und die zur Verfahrenssicherung bestellte weitere Verteidigerin nicht über etwaige bevorstehende Terminkollisionen informiert hat. Demnach handelt es sich durchaus um eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung , wenn sich der Vorsitzende bereits zwölf Wochen vor dem letzten der bestimmten Verhandlungstermine um die Abstimmung weiterer Termine bemüht.
22
dd) Die kurze Dauer der Hauptverhandlung am 8. und 14. November 2019 ergibt sich daraus, dass die an diesen Tagen geplante Beweisaufnahme nicht wie geplant hat stattfinden können. Der beabsichtigten Fortführung der Vernehmung des medizinischen Sachverständigen . P. am 8. November 2019 hat entgegengestanden, dass die Angeklagte diesen im vorangegangenen Termin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte und sodann dessen sofortige Entbindung am Verhandlungstag beantragt hat. Der für den 14. November 2019 geladene Zeuge A. hat unter Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht zur Sache ausgesagt, obschon er zuvor seine Aussagebereitschaft zu erkennen gegeben hatte. Daher ist der Vorsitzende nicht gehalten gewesen, jeweils eine alternative tagesfüllende Beweisaufnahme vorzubereiten.
23
ee) Die verhandlungsfreie Zeit zwischen dem 19. Dezember 2019 und dem 9. Januar 2020 beruht ersichtlich auf den Weihnachtsfeiertagen.
24
ff) Im Übrigen wird die geringere Terminierungsdichte dadurch relativiert, dass ein Selbstleseverfahren (§ 249 StPO) durchgeführt worden ist. Dieses hat zu einer Entlastung der Hauptverhandlungstermine und damit einer Verfahrensbeschleunigung geführt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 - StB 18/19, juris Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06, juris Rn. 6).
25
gg) Angesichts des Beschleunigungsgrundsatzes sowie der steigenden Untersuchungshaftdauer wird das Oberlandesgericht - entsprechend seiner Verfügung vom 19. Dezember 2019 - für das weitere Verfahren in besonderer Weise in den Blick zu nehmen haben, zusätzliche Verhandlungstage zu bestimmen. Gegebenenfalls könnten sogar künftige Termine ungeachtet von den Verteidigern mitgeteilter Verhinderungen in Betracht kommen und die Verteidiger möglicherweise zur Verschiebung anderweitiger - weniger dringlicher Termine - verpflichtet sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06, juris Rn. 9; vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198, 199 f.).
26
c) Insgesamt ist die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Abwägung des Freiheitsgrundrechts der Angeklagten (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) einerseits und des Strafverfolgungsinteresses der Allgemeinheit andererseits bislang insgesamt noch nicht unverhältnismäßig.
27
Zwar kommt dem Freiheitsanspruch bei fortschreitender Dauer der Untersuchungshaft zunehmendes Gewicht zu. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagte inzwischen annähernd ein Jahr und sieben Monate in Untersuchungshaft ist. Damit geht eine besondere Belastung dadurch einher, dass sie sich erstmals im Freiheitsentzug befindet und von ihrer dreijährigen Tochter getrennt ist.
28
Demgegenüber handelt es sich aber bei dem Tatvorwurf um ein Verbrechen , das sich nach den Tatumständen unter anderem durch die besondere Gefährlichkeit des IS und dessen ausnehmend grausames Vorgehen gegen seine Gegner auszeichnet. Die Angeklagte gehörte der Vereinigung mutmaßlich mehr als ein Jahr an und setzte deren Vorgaben als Mitglied der "Sittenpolizei" (Hisba) durch. Eine Strafe an der Untergrenze des nach § 129a Abs. 1 StGB eröffneten Rahmens ist danach nicht zu erwarten. Dies gilt unabhängig von den weiteren Anklagevorwürfen, die nicht Gegenstand des Haftbefehls sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. November 1985 - 1 StR 516/85, StV 1986, 65; BVerfG, Beschluss vom 13. September 2001 - 2 BvR 1286/01 u.a., juris Rn. 21 aE) und zu denen das Oberlandesgericht keine weiteren Ausführungen gemacht hat. Hinsichtlich der Verfahrenssituation ist schließlich die besondere Komplexität der Beweisaufnahme einzubeziehen, die sich insbesondere aus der elf Verhandlungstage dauernden Vernehmung der Zeugin B. sowie damit in Zusammenhang stehender Zeugen ergibt. Die entsprechende Sachaufklä- rung ist auch in Bezug auf den im Haftbefehl aufgeführten Vorwurf von Bedeutung.
29
Mit stetig zunehmender Untersuchungshaftdauer wird das Oberlandesgericht ebenfalls eine - vom Generalbundesanwalt bereits beantragte - mögliche Erweiterung des Haftbefehls in Bedacht zu nehmen haben. Dem Senat ist die sich nach dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung ergebende Verdachtslage in Bezug auf diejenigen Tatvorwürfe nicht bekannt, die zwar Gegenstand der Anklage, nicht aber des vollzogenen Haftbefehls sind.
Schäfer Spaniol Anstötz

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
einen Angriff gegen Personen, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge richtet, die an einer humanitären Hilfsmission oder an einer friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie Anspruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird, oder
2.
einen Angriff gegen Personen, Gebäude, Material, Sanitätseinheiten oder Sanitätstransportmittel richtet, die in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. In minder schweren Fällen, insbesondere wenn der Angriff nicht mit militärischen Mitteln erfolgt, ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt die Schutzzeichen der Genfer Abkommen, die Parlamentärflagge oder die Flagge, die militärischen Abzeichen oder die Uniform des Feindes oder der Vereinten Nationen missbraucht und dadurch den Tod oder die schwere Verletzung eines Menschen (§ 226 des Strafgesetzbuches) verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen,
2.
mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten,
3.
mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Schutzschild einsetzt, um den Gegner von Kriegshandlungen gegen bestimmte Ziele abzuhalten,
5.
das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung einsetzt, indem er ihnen die für sie lebensnotwendigen Gegenstände vorenthält oder Hilfslieferungen unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht behindert,
6.
als Befehlshaber anordnet oder androht, dass kein Pardon gegeben wird, oder
7.
einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei meuchlerisch tötet oder verwundet,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. In minder schweren Fällen der Nummer 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(2) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 bis 6 den Tod oder die schwere Verletzung einer Zivilperson (§ 226 des Strafgesetzbuches) oder einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Führt der Täter den Tod vorsätzlich herbei, ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
Gift oder vergiftete Waffen verwendet,
2.
biologische oder chemische Waffen verwendet oder
3.
Geschosse verwendet, die sich leicht im Körper des Menschen ausdehnen oder flachdrücken, insbesondere Geschosse mit einem harten Mantel, der den Kern nicht ganz umschließt oder mit Einschnitten versehen ist,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 den Tod oder die schwere Verletzung einer Zivilperson (§ 226 des Strafgesetzbuches) oder einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Führt der Täter den Tod vorsätzlich herbei, ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

14
c) Danach hat sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

27
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3 Rn. 5; vom 16. April 2013 - StB 6/13; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368) unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

14
c) Danach hat sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich

1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden,
2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen,
3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen,
4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.

(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.

(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.

(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn

1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder
3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.

(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.

(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 5/16
vom
21. April 2016
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
ECLI:DE:BGH:2016:210416BSTB5.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 21. April 2016 gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 1. Oktober 2014 (7 St 5/14) wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

1
Der Angeklagte ist auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 4. Juni 2009 (3 BJs 19/08-2) und des zugrundeliegenden Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Mai 2009 (1 BGs 118/09) am 17. April 2014 in Kroatien festgenommen und - bewilligt durch Beschluss des Bezirksgerichts Varazdin vom 27. März 2014 (Kv-eun 8/14) sowie durch Beschluss des Obersten Gerichts der Republik Kroatien vom 15. April 2014 (Kz-eun 20/14-6) - am 17. April 2014 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden. Seit diesem Zeitpunkt befindet er sich im vorliegenden Strafverfahren ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Den Haftbefehl gegen den Angeklagten vom 18. Mai 2009 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs durch Beschluss vom 18. April 2014 (1 BGs 84/14) abgeändert und neu gefasst; zugleich hat er den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Leiter eines Geheimdienstes des ehemaligen Jugoslawien seinen damaligen Untergebenen , den Mitangeklagten P. , damit beauftragt zu haben, den Mord an dem Exilkroaten D. , der am 28. Juli 1983 in W. getötet wurde, zu planen und logistisch vorzubereiten.
3
Unter dem 15. Juli 2014 hat der Generalbundesanwalt wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord bei dem Oberlandesgericht München gegen den Angeklagten Anklage erhoben, die am 22. Juli 2014 beim dortigen 7. Strafsenat eingegangen ist. Dieser Senat des Oberlandesgerichts hat am 1. September 2014 die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zugelassen , das Hauptverfahren eröffnet und zugleich Haftfortdauer gegen den Angeklagten angeordnet (§ 207 Abs. 4 StPO). Erneut und bislang letztmalig hat der 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts München durch Beschluss vom 1. Oktober 2014 (7 St 5/14 (2)), mit dem die Akten dem Bundesgerichtshof im Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt worden sind, Haftfortdauer gegen den Angeklagten angeordnet.
4
Am 17. Oktober 2014 hat die Hauptverhandlung vor dem 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts München begonnen, die bisher an insgesamt 99 Tagen durchgeführt worden ist. Derzeit sind weitere 27 Hauptverhandlungstage bis zum 2. August 2016 bestimmt.
5
Mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 16. März 2016 hat der Angeklagte Haftbeschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben.
6
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

7
Die Beschwerde ist in ihrer Auslegung durch den Senat gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässig.
8
Der Schriftsatz der Verteidiger des Angeklagten vom 16. März 2016 ist als Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts München vom 1. Oktober 2014 anzusehen (§ 300 StPO). Diese Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft war die zeitlich letzte, den Bestand des Haftbefehls gegen den Angeklagten betreffende Entscheidung, gegen die eine Beschwerde zulässig erhoben werden kann. Der aus der Regelung des § 117 Abs. 2 StPO abgeleitete allgemeine Grundsatz, dass der Beschuldigte nur die jeweils letzte Haftentscheidung anfechten kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 117 Rn. 8 mwN), liegt die Erwägung zugrunde, dass es einem vernünftigen Verfahrensablauf widersprechen würde, wenn ein Beschwerdeführer in beliebiger Art und Weise auf frühere, möglicherweise in ihrer Begründung bereits überholte Haftentscheidungen zurückgreifen und es hierdurch im Ergebnis zu einander widersprechenden Entscheidungen verschiedener mit der Sache befasster Gerichte kommen könnte.

III.

9
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht, an der Tötung von D. beteiligt gewesen zu sein. Sein Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Insofern gilt:
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen, unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen , die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Ent- scheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - StB 14/15, juris Rn. 7 mwN).
12
b) Nach diesen Maßstäben ist die durch den Nichtabhilfebeschluss vom 17. März 2016 näher begründete Bewertung des Oberlandesgerichts, dass der dringende Tatverdacht der Beihilfe zum Mord gegen den Angeklagten weiterhin besteht, nicht zu beanstanden. Auf die Ausführungen in den Gründen dieser Nichtabhilfeentscheidung wird Bezug genommen. Wie sich daraus im Einzelnen ergibt, stellen die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Beteiligung des Angeklagten an der Tötung von D. nach vorläufiger Bewertung nicht in Frage. Für den Senat besteht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, das eine abweichende Bewertung des in der Hauptverhandlung zu erwartenden Beweisergebnisses vornimmt, kein greifbarer Anhaltspunkt, der es rechtfertigen würde, von der - keine ins Auge fallenden Unplausibilitäten enthaltenden - Bewertung des bisher erzielten Kenntnisstandes und der noch nicht erhobenen Beweise durch das Oberlandesgericht abzuweichen und in eigener Einschätzung der Beweislage den dringenden Tatverdacht zu verneinen.
13
2. Zutreffend ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO weiterhin vorliegt. Dem gegebenen erheblichen Fluchtanreiz stehen weiterhin keine privaten Bindungen und sozialen Beziehungen des Angeklagten in Deutschland gegenüber.
Diese Umstände schließen auch eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1 StPO aus. Mildere Maßnahmen, mit denen der Zweck der Untersuchungshaft ebenfalls zu erreichen wäre, sind nicht ersichtlich.
14
3. Die Untersuchungshaft hat mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwägung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens - auch angesichts der bereits nahezu zwei Jahre währenden Untersuchungshaft und der zu erwartenden Gesamtdauer des Verfahrens - fortzudauern. Ihr weiterer Vollzug steht angesichts der gegebenen Besonderheiten auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
15
a) Hierbei ist freilich das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung , die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.
16
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass diese nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Frei- heitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.
17
Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 12 ff.).
18
b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrechtzuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Der Generalbundesanwalt hat nach der Festnahme des Angeklagten in Kroatien und seiner Auslieferung am 17. April 2014 die Ermittlungen mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung abgeschlossen und bereits unter dem 15. Juli 2014 die Anklage gegen den Angeklagten erhoben. Auch die Durchführung des Zwischenverfahrens und der bisherige Verlauf der Hauptverhandlung lassen erhebliche vermeidbare Verzögerungen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09, StV 2009, 479, 480 f.) nicht erkennen. Zwar ergibt die rein rechnerische Betrachtung der "Sitzungsfrequenz" mit Blick auf den seit Beginn der Hauptverhandlung am 17. Oktober 2014 verstrichenen Zeitraum und die Anzahl von bisher 99 Verhandlungstagen, dass das Oberlandesgericht die Hauptverhandlung im Durchschnitt an weniger als zwei Tagen pro Woche durchgeführt hat. Jedoch ist - auch ohne Darlegung des Verlaufs der bisherigen Hauptverhandlung im Detail und der Ursachen hierfür im Einzelnen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 18 ff.) - aus der Nichtabhilfeentscheidung vom 17. März 2016 hinreichend ersichtlich, dass das Oberlandesgericht seine Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen zügigen Verfahrensweise durchgeführt hat, insbesondere eine höhere "Sitzungsfrequenz" wegen der Besonderheiten der vorliegenden Sache nicht möglich war. Hierfür war insbesondere deren Auslandsbezug verantwortlich , der mit Blick auf den Aufklärungsgrundsatz eine hohe Zahl neuer Rechtshilfeersuchen und schwierige Zeugenladungen notwendig machte. Auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts hierzu wird Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, dass diese den besonderen Verlauf der Hauptverhandlung nicht zu- treffend wiedergeben, bestehen nicht. Bedeutsame Verzögerungen oder Versäumnisse , die die Fortdauer der Untersuchungshaft mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hindern würden, sind nicht ersichtlich.
19
Nach alledem ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft angesichts der Bedeutung der Sache und der konkreten Erwartung einer hohen Freiheitsstrafe immer noch verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Schäfer Tiemann

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2012 - 4b Ws 42/12 - und der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 25. Juni 2012 - 4 KLs 211 Js 28184/12 Hw. - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwie-sen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweili-gen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechterhaltung der gegen ihn angeordneten Untersuchungshaft.

I.

2

1. Das Amtsgericht Stuttgart erließ am 20. Dezember 2011 gegen den im Februar 1992 geborenen Beschwerdeführer einen Haftbefehl. Danach war dieser dringend verdächtig, in zwei versuchten und drei vollendeten Fällen gewerbsmäßige Betrugstaten begangen und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt zu haben, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrugstaten verbunden habe. Der Beschwerdeführer habe bei den vollendeten Taten Beträge von 500 €, 1000 € und 1.500 € erlangt und ferner versucht je einmal 500 € und 1.000 € zu erbeuten.

3

Der Beschwerdeführer wurde am 29. Dezember 2011 in Haft genommen.

4

2. Am 4. April 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage gegen den nicht vorbestraften Beschwerdeführer und fünf weitere Angeschuldigte. Sie listete in drei Komplexen insgesamt 28 Taten aus den Bereichen der Betäubungs- und Arzneimitteldelikte und der Spielautomatenmanipulation sowie Taten im Zusammenhang mit Erpressungen und Körperverletzungen auf. Dem Beschwerdeführer wurden, im Wesentlichen entsprechend den Vorwürfen aus dem Haftbefehl, fünf banden- und gewerbsmäßige Betrugstaten aus dem Komplex der Spielautomatenmanipulation, davon in einem Fall als Versuch, zur Last gelegt.

5

3. Am 16. April 2012 wies die Strafkammervorsitzende die Verteidiger darauf hin, dass vorbehaltlich der Eröffnung des Hauptverfahrens der Hauptverhandlungsbeginn für den 25. Mai 2012 geplant sei. Weitere Termine sollten am 12., 14., 19., 20., 22., 25. und 28. Juni 2012, am 4., 5. und 10. Juli 2012 sowie anschließend ganztägig jeweils Dienstag und Donnerstag stattfinden.

6

4. Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2012 beantragte der Bevollmächtigte, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer abzutrennen und vor dem Jugendrichter oder Jugendschöffengericht zu eröffnen. Eine gemeinsame Verhandlung gegen alle in der Anklageschrift genannten Angeschuldigten sei mit dem im Jugendstrafrecht vorherrschenden Prinzip des Erziehungsgedankens nicht in Einklang zu bringen; es handele sich zudem weit überwiegend um Straftaten, die den Beschwerdeführer nicht beträfen.

7

5. Mit Beschluss vom 10. Mai 2012 eröffnete die Strafkammer das Hauptverfahren, ließ die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Aufrechterhaltung der gegen alle sechs Angeklagten vollzogenen Untersuchungshaft an.

8

Die Hauptverhandlung sollte - wie angekündigt - am 25. Mai 2012 beginnen. Für die Zeit bis zum 2. August 2012 wurden 13 Folgetermine anberaumt; ab dem 30. August sollte jeweils am Dienstag und Donnerstag verhandelt werden.

9

6. Nachdem zum Prozessauftakt am 25. Mai 2012 die Anklage verlesen worden war und im Folgetermin zwei Mitangeklagte Angaben zur Sache gemacht hatten, gab der Beschwerdeführer am dritten Verhandlungstag über seinen Bevollmächtigten eine Erklärung zur Sache ab. Es wurden drei vollendete Tathandlungen eingeräumt, die weiteren Anklagepunkte sowie eine bandenmäßige Begehung hingegen in Abrede gestellt.

10

7. Am 29. Mai 2012 erhielt das Landgericht einen unter dem 4. Mai 2012 erstellten Bericht der Jugendgerichtshilfe über den Beschwerdeführer. Darin wurde die Anwendung von Jugendstrafrecht empfohlen. Der Beschwerdeführer wohne gemeinsam mit anderen Geschwistern noch bei seinen Eltern, die ihn auch im Umgang mit Behörden unterstützten. Es habe noch keine Verselbständigung und Ablösung vom Elternhaus stattgefunden. Sein Auftreten zeige, dass er nach seiner Entwicklung einem Erwachsenen noch nicht gleichgesetzt werden könne.

11

8. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 beantragte der Bevollmächtigte, den Haftbefehl aufzuheben. Nach den Ausführungen im Bericht der Jugendgerichtshilfe könne keine Fluchtgefahr angenommen werden.

12

9. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Juni 2012 hielt die Strafkammer den Haftbefehl aufrecht und lehnte den Abtrennungsantrag ab. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Auch wenn der Beschwerdeführer bislang nicht vorbestraft sei, habe er wegen der zur Last gelegten Taten bei vorläufiger Bewertung mit einer empfindlichen, möglicherweise zu vollstreckenden Jugend- oder Freiheitsstrafe zu rechnen. Mildere Maßnahmen im Sinne von § 116 Abs. 1 StPO kämen nicht in Betracht. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei auch nicht unter Berücksichtigung der besonderen Belastungen für einen Heranwachsenden unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft, die Kammer habe aber die Haftbedingungen gelockert, so dass für den Beschwerdeführer nunmehr die Gelegenheit bestehe, die begonnene Ausbildung fortzuführen und an den Abschlussprüfungen teilzunehmen.

13

Im Interesse der Wahrheitsfindung, der Prozessökonomie und der Beschleunigung sei es geboten, die Tatvorwürfe in einem einheitlichen Verfahren aufzuklären. Es sei nicht ersichtlich, dass eine weitere gemeinsame Verhandlung eine erziehungsschädliche Wirkung haben könnte.

14

10. Am 23. Juli 2012 bestimmte die Vorsitzende für die Zeit vom 3. September bis zum 29. November 2012 weitere 13 Termine. Im Anschluss sollte jeden Dienstag und Donnerstag verhandelt werden.

15

11. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2012 legte der Bevollmächtigte Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung ein. Die bisherige Beweisaufnahme habe das Bestehen einer Bande nicht belegen können. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig. Bei dem heranwachsenden Beschwerdeführer komme mit hoher Wahrscheinlichkeit Jugendstrafrecht zur Anwendung. Der das Jugendrecht beherrschende Erziehungsgedanke dürfe nicht hinter prozessökonomischen Gesichtspunkten zurücktreten.

16

Nach Erhalt der weiteren Terminplanung vom 23. Juli 2012 ergänzte der Bevollmächtigte am 27. Juli 2012 das Beschwerdevorbringen und rügte eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes. Den Beschwerdeführer betreffe nur ein kleiner Teil der angeklagten Taten samt der dazugehörigen Beweisaufnahme. Nach der weiteren Planung komme es zwischen Anfang September und Ende November nur zu einer Verhandlung pro Woche, was nicht nur dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts, sondern auch dem Beschleunigungsgebot widerspreche.

17

Mit einem Schriftsatz vom selben Tag wurde das Landgericht um Mitteilung gebeten, an welchen Tagen im Zeitraum von September bis November die Strafkammer Hauptverhandlungstermine in anderen Verfahren festgesetzt habe und ob es sich dabei um Haftsachen handele.

18

12. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart beantragte unter dem 30. Juli 2012, die Beschwerde zu verwerfen.

19

13. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. August 2012 wies das Oberlandesgericht Stuttgart die Haftbeschwerde zurück. Es bestehe Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen. Trotz der Ausführungen im Bericht der Jugendgerichtshilfe halte es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Haftentlassung dem weiteren Verfahren entziehen werde. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei auch verhältnismäßig. Dabei verkenne der Senat nicht, dass sich das Freiheitsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößere und der Vollzug für den erst 20-jährigen und in Berufsausbildung befindlichen Beschwerdeführer besondere Belastungen mit sich bringe. Dieser sei zwar seit dem 29. Dezember 2011 in Haft, was aber in Ansehung der beschleunigten Handhabung durch die Kammer - so habe die Hauptverhandlung bereits sieben Wochen nach Eingang der Anklage begonnen - weiterhin zumutbar sei.

20

Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Die Kammer habe seit Verhandlungsbeginn bereits 14 Termine durchgeführt und beabsichtige nunmehr nach § 229 Abs. 2 StPO aus nachvollziehbaren Gründen eine einmonatige Unterbrechung. Die ab dem 3. September geplante Terminierung mit 13 Terminen bis zum 29. November lasse keine unzureichende Beschleunigung besorgen, da sich eine isolierte Betrachtung bestimmter Verhandlungszeiträume verbiete. Es komme daher nicht darauf an, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt die Strafkammer die Anfrage des Bevollmächtigten zu sonstigen Verhandlungen beantworte.

21

Diese Entscheidung ging am 13. August 2012 beim Bevollmächtigten ein.

22

14. Bis zum 14. Hauptverhandlungstag am 2. August 2012 erstreckte sich bei der Hälfte der Termine die Sitzungsdauer auf eine bis maximal vier Stunden. In der Zeit vom 3. August bis zum 3. September 2012 wurde die Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 2 StPO für einen Monat unterbrochen, um den Berufsrichtern und den Schöffen einen Urlaub zu ermöglichen.

23

15. Am 9. August 2012 erhielt der Bevollmächtigte die erbetene Aufstellung zu den weiteren Verhandlungen der Strafkammer übersandt. Danach sollte an zwei Tagen im Oktober in einer anderen Nichthaftsache verhandelt werden. Im November konnte an vier Tagen keine Terminierung erfolgen, weil die auch einer anderen Strafkammer zugewiesene Beisitzerin dort an einer Hauptverhandlung in einer Haftsache teilnehmen sollte.

24

16. Unter dem 15. August 2012 wies der Bevollmächtigte im Wege der Gegenvorstellung den Strafsenat unter Bezugnahme auf die Auskunft der Strafkammer darauf hin, dass trotz 32 freier Arbeitstage zwischen September und November in 26 Wochen lediglich an 27 Tagen und davon an mehreren Tagen nur halbtags verhandelt werden sollte.

25

17. Das Oberlandesgericht wies die Gegenvorstellung am 17. August 2012 als unzulässig zurück. Die verhandlungsfreien Tage könnten keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründen, da ein Spruchkörper auch außerhalb von Hauptverhandlungen umfangreiche Arbeiten zu erledigen habe.

26

18. Am 13. September 2012 bestimmte die Strafkammervorsitzende für den Monat November drei weitere Sitzungstermine.

27

19. Nachdem das Landgericht den Beschwerdeführer und dessen Bevollmächtigten am 25. September 2012 zu den möglichen Modalitäten einer Haftverschonung angehört hatte, beschloss es am 2. Oktober 2012, den Haftbefehl gegen Auflagen und Weisungen außer Vollzug zu setzen. Es bestehe weiterhin Fluchtgefahr, da der Beschwerdeführer mit einer Verurteilung zu einer fühlbaren Jugend- oder Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen habe. Angesichts der bisherigen erheblichen Dauer der Untersuchungshaft sowie der Straferwartung und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit könne der Fluchtgefahr aber durch Weisungen und Auflagen begegnet werden.

II.

28

Mit seiner am 13. September 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

29

Die Anordnung der Untersuchungshaft verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere unter Beachtung des Beschleunigungsgebots. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne allein die Schwere der Tat und die daraus folgende Straferwartung bei erheblichen Verfahrensverzögerungen eine ohnehin schon lang andauernde Untersuchungshaft nicht rechtfertigen. Bei dem hier nicht besonders schwerwiegenden Tatvorwurf gegen einen Heranwachsenden, bei dem voraussichtlich Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen werde, müsse die Abwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen.

30

Die Strafkammer erfülle nicht die Anforderungen, die das Beschleunigungsgebot in umfangreichen Verfahren an eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Verhandlungstag pro Woche stelle. Von Beginn der Hauptverhandlung seien bis zum letzten bislang festgesetzten Termin in 26 Wochen lediglich 27 Verhandlungstage anberaumt worden; dies entspreche einem wöchentlichen Durchschnitt von 1,04 Sitzungstagen. Von den bis zum 11. September 2012 durchgeführten Verhandlungen seien sieben nur von halbtägiger oder stundenweiser Dauer gewesen. Die angegriffenen Entscheidungen verhielten sich auch nicht zu der Frage, ob das Landgericht zur Beschleunigung des Verfahrens alles Zumutbare unternommen habe. Es sei mangels entgegenstehender Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Kammer an mindestens zwei Tagen pro Woche hätte verhandeln können.

31

Es fehle auch an der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen dem Freiheitsinteresse des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates. Insbesondere fehle jede Abwägung zwischen der Dauer der Untersuchungshaft und der zu erwartenden Rechtsfolge. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer Heranwachsender und bislang nicht vorbestraft sei. Gerade das Fehlen von Vorstrafen sei bei erstmaliger Verhängung von Jugendstrafe ein deutliches Indiz für eine Strafaussetzung zur Bewährung oder jedenfalls eine Reststrafenaussetzung. Hierzu verhielten sich die angegriffenen Entscheidungen nicht, weshalb es auch an der für Haftfortdauerentscheidungen notwendigen Begründungstiefe fehle.

III.

32

1. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

33

2. Die Strafkammervorsitzende teilte unter dem 19. Oktober 2012 mit, das Gericht habe seit dem Prozessauftakt an 20 Sitzungstagen verhandelt. Bis zum 29. November 2012 seien acht weitere Termine anberaumt. Eine mit einem Arbeitskraftanteil von 0,5 teilzeitbeschäftigte Beisitzerin sei aufgrund eines Präsidiumsbeschlusses des Landgerichts Stuttgart seit dem 1. August 2012 nur noch mit einem Anteil von 0,2 der Strafkammer und im Übrigen einer anderen Schwurgerichtskammer zugewiesen. Ferner habe die Kammer als Schwurgericht parallel zum streitgegenständlichen Verfahren weitere vier Haftverfahren, teilweise mit bis zu vier Angeklagten, an 18 Verhandlungstagen sowie an weiteren Sitzungstagen Berufungen verhandelt.

34

3. Der Beschwerdeführer teilte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2012 mit, im Oktober sei an den drei Sitzungstagen jeweils halbtags verhandelt worden.

35

4. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

B.

36

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2012 und des Landgerichts Stuttgart vom 25. Juni 2012 wendet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Ent-scheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits ent-schieden.

37

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer nach der Entscheidung der Strafkammer vom 2. Oktober 2012 derzeit vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris).

38

Die gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 2011 gerichtete Verfassungsbeschwerde nimmt die Kammer nicht zur Entscheidung an. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

I.

39

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>).

40

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>).

41

Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194 <195>) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris Rn. 52). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 17, 517 <523>).

42

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>). Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss deshalb so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 GG besteht. Dem ist vor allem durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>). Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich (vgl. BVerfGK 7, 421 <428>), die es dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht, eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen zu prüfen (vgl. BVerfGK 17, 517 <524>).

43

Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens, die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung und - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB - das hypothetische Ende einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe (vgl. BVerfGK 8, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12 -, juris Rn. 25).

44

Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprü-fung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>).

II.

45

Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des Landge-richts Stuttgart vom 25. Juni 2012 und des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2012 nicht gerecht.

46

Die Entscheidungen lassen nicht erkennen, dass die Gerichte bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates die Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts ausreichend berücksichtigt haben. Insoweit weisen beide Entscheidungen nicht die für eine Haftfortdauerentscheidung erforderliche Begründungstiefe auf.

47

1. Das Landgericht geht bei seiner Entscheidung zwar davon aus, dass die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten zur "Verhängung einer empfindlichen, möglicherweise zu vollstreckenden Jugend- oder Freiheitsstrafe" führen können. Die Kammer lässt jedoch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens außer Betracht und nimmt insbesondere unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB (zum Halbstrafen- oder 2/3 Termin) oder nach § 88 JGG (nach sechs Monaten oder bei mehr als einem Jahr Jugendstrafe nach einem Drittel) nicht das hypothetische Ende einer möglicherweise zu verhängenden Freiheits- oder Jugendstrafe in den Blick. Für eine solche Betrachtung bestand aber insbesondere deshalb gesteigerter Anlass, weil der Beschwerdeführer bislang nicht vorbestraft und soweit ersichtlich erstmalig von einer freiheitsentziehenden Maßnahme betroffen sein würde sowie nach dem Bericht der Jugendgerichtshilfe vom 4. Mai 2012 für den Fall einer Verurteilung die Anwendung von Jugendstrafrecht empfohlen wird.

48

Das Oberlandesgericht legt seinen Ausführungen lediglich die Annahme zugrunde, der Beschwerdeführer habe mit einer "empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe" zu rechnen ohne zu berücksichtigen, die Strafkammer als urteilender Spruchkörper auch die Verhängung einer Jugendstrafe in Betracht zieht. Der Strafsenat berücksichtigt im Weiteren zwar die bis zu seiner Entscheidung seit annähernd sieben Monaten vollzogene Freiheitsentziehung, ohne aber - wie es geboten gewesen wäre - weitergehend eine Abwägung vorzunehmen, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft angesichts des hypothetischen Endes der Freiheitsentziehung noch verhältnismäßig erscheint.

49

2. Das Landgericht hat sich nicht mit den aus dem Beschleunigungsgebot folgenden Anforderungen befasst, was in Anbetracht der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung erst seit wenigen Wochen dauernden Verhandlung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Selbst der Beschwerdeführer hatte seinen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zunächst auf andere Umstände gestützt.

50

Demgegenüber hat sich das Oberlandesgericht zwar mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen auseinander gesetzt, sich in diesem Zusammenhang aber auf die Feststellung beschränkt, dass die Strafkammer seit dem Beginn der Hauptverhandlung am 25. Mai 2012 14 Termine durchgeführt, für August eine einmonatige Unterbrechung angeordnet und bis zum 29. November 2012 weitere 13 Sitzungstage anberaumt habe. Dies lasse keine unzureichende Beschleunigung der Sache besorgen.

51

Bei dieser Bewertung berücksichtigt der Strafsenat nicht alle relevanten Umstände des Einzelfalls. Die Strafkammer hat nach der Mitteilung ihrer Vorsitzenden bis zur am 2. August 2012 erfolgten einmonatigen Unterbrechung im Zeitraum von zehn Wochen an 14 Terminstagen verhandelt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts waren für die Zeit nach der am 3. September 2012 endenden Pause bis zum 29. November 2012 weitere 13 Sitzungstage geplant. Dies entsprach bei einem Zeitraum von 27 Wochen und 27 Terminen einer Verhandlungsdichte von (nur) 1,00 Terminstagen pro Woche außerhalb der Unterbrechungszeit. Wenn die vierwöchige Unterbrechungszeit wegen Urlaubs unberücksichtigt bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris Rn. 53), liegt die Verhandlungsdichte bei 1,17 Sitzungen pro Woche.

52

Mit der Anberaumung von (knapp) mehr als durchschnittlich einem Sitzungstag pro Woche allein ist der verfassungsrechtlichen Pflicht zur beschleunigten Durchführung einer Hauptverhandlung indes noch nicht genügt. Das Oberlandesgericht geht nicht darauf ein, dass an einer nennenswerten Zahl von Sitzungstagen nur stundenweise oder halbtags verhandelt worden ist, ohne dass ersichtlich würde, weshalb die Strafkammer von ihrer ursprünglichen Absicht, an zwei (vollen) Tagen in der Woche zu verhandeln, Abstand genommen hat oder nehmen musste. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen kann auch dadurch verletzt werden, dass an den jeweiligen Sitzungstagen nur kurze, den Sitzungstag nicht ausschöpfende Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wird (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2010 - 2 Ws 383/10 -, juris, Rn. 16, 23; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. August 2011 - III 1 Ws 260/11 -, juris, Rn. 6).

53

Das Oberlandesgericht hätte in diesem Zusammenhang insbesondere prüfen müssen, ob die Strafkammer ihrer Aufgabe einer vorausschauenden straffen Hauptverhandlungsplanung bei - wie hier - umfangreichen Verfahren hinreichend nachgekommen ist (vgl. BVerfGK 7, 21 <46>; 7, 140 <158>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris Rn. 54). Dazu hätte angesichts der gegebenen Terminfrequenz besonderer Anlass bestanden.

III.

54

Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG durch das Oberlandesgericht wie auch durch das Landgericht festzustellen.

55

In Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Haftsache ist es angezeigt, nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BverfGG nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Es liegt im Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BverfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>). Das Oberlandesgericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25. Juni 2012 herbeizuführen.

56

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BverfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbe-schwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BverfGE 86, 90 <122>).

IV.

57

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Tenor

Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018 - 1 Ws 214/18 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen einen Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018, durch den eine Haftbeschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen wurde.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 14. Mai 2016 in Untersuchungshaft. Am 16. August 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) Anklage zum Landgericht Frankenthal (Pfalz) wegen Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Geiselnahme in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung. Am 4. Oktober 2016 ließ die zuständige 1. Große Strafkammer - zugleich Jugendkammer I und Schwurgerichtskammer - des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) die Anklage zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Haftfortdauer an. Die Hauptverhandlung begann zunächst am 10. November 2016.

3

Bis zum 26. September 2017 waren 25 Verhandlungstage terminiert. Nach 23 Verhandlungstagen erkrankte die Vorsitzende am 19. August 2017 dauerhaft dienstunfähig. Die Kammer stellte daher zunächst am 4. September 2017 die Hemmung der Frist gemäß § 229 Abs. 2 StPO fest und setzte am 28. September 2017 die Hauptverhandlung aus.

4

Die Hauptverhandlung begann nach Übernahme der Kammer durch einen neuen Vorsitzenden erneut am 12. Dezember 2017. Bis zum 22. August 2018 wurde an 25 Tagen, bis zum 6. November 2018 wurde an vier weiteren Tagen verhandelt. Bis zum 31. Januar 2019 sind weitere 15 Termine bestimmt.

5

2. Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zeigte mehrmals ihre Überlastung an.

6

a) Die erste Überlastungsanzeige vom 10. April 2017 begründete die damalige Vorsitzende der Strafkammer unter anderem damit, dass insgesamt acht Schwur- und Jugendschwurverfahren, davon sechs Haftsachen, darunter das hier gegenständliche Verfahren, anhängig seien, welche teilweise einen erheblichen Umfang aufwiesen. In Kürze sei der Eingang zweier weiterer Umfangsverfahren mit relativ zeitnahen Haftprüfungsterminen zu erwarten. Darüber hinaus seien in der Jugendkammer drei weitere Haftsachen und bei der Jugendschutzkammer neun Kindesmissbrauchsverfahren anhängig. Diese neun Jugendschutzverfahren und ein weiteres anhängiges Großverfahren wegen Sozialleistungsbetrugs seien bislang noch nicht terminiert; der Zeitpunkt der Hauptverhandlungen sei noch nicht absehbar, da die Kammer in den nächsten Monaten über keinerlei Terminkapazitäten mehr verfüge. Für den Zeitraum Januar bis August 2017 seien bereits 68 Hauptverhandlungstermine vergeben; in dem Zeitraum zwischen dem 1. April und dem 15. Juni 2017 sehe die derzeitige Planung vor, dass sich die Kammer an 33 von insgesamt 49 zur Verfügung stehenden Tagen in Sitzung befinden werde, was weder genügend Zeit für die erforderliche Aktenvorbereitung noch die im Nachgang anfallenden Urteilsabsetzungen lasse. In Anbetracht der bevorstehenden Eingänge sowie des erheblichen, durch den ständigen Eingang von vorrangig zu behandelnden Haftsachen entstehenden Rückstaus an Nichthaftsachen sei nicht erkennbar, dass sich dieser Zustand in den darauffolgenden Wochen und Monaten verbessern werde. Bei Eingang weiterer Haftsachen vermöge die Kammer nicht länger zu gewährleisten, dass diese innerhalb der Frist des § 121 StPO terminiert werden könnten. Darüber hinaus gebe sie zu bedenken, dass bereits im Spätjahr 2016 eine in ihrer Intensität annähernd ähnliche, wenngleich insgesamt kürzere Belastungsphase dazu geführt habe, dass sich sämtliche Kammermitglieder bis über ihre Belastungsgrenze hinaus überanstrengt hätten.

7

Auf die Überlastungsanzeige wies das Präsidium des Landgerichts mit Beschluss vom 21. April 2017 mit Wirkung ab dem 24. April 2017 der 1. Großen Strafkammer eine weitere Beisitzerin mit einem Arbeitskraftanteil von 0,2 zu.

8

b) Nach Erkrankung der Vorsitzenden zeigte die stellvertretende Vorsitzende am 12. September 2017 erneut die Überlastung der 1. Großen Strafkammer auf unabsehbare Zeit an. Derzeit seien insgesamt sieben Schwur- und Jugendschwurgerichtsverfahren, davon sechs Haftsachen, die alle noch in diesem Jahr verhandelt würden, anhängig, wobei drei dieser Verfahren einen ganz erheblichen Umfang aufwiesen. Aufgrund der Erkrankung der Vorsitzenden stehe die Aussetzung und die komplette Neuverhandlung des vorliegenden Verfahrens konkret zu befürchten; zudem sei in der Jugendkammer eine weitere Haftsache anhängig, die bereits anverhandelt worden sei, jedoch habe ausgesetzt werden müssen. Aufgrund der Vielzahl der Hauptverhandlungstermine und der erforderlichen Vor- und Nachbereitung der Verfahren verfüge die Kammer bereits jetzt über keine Terminkapazitäten mehr im Jahr 2017. In Anbetracht des durch den ständigen Eingang von vorrangig zu behandelnden Haftsachen bedingten Rückstaus an Nichthaftsachen sei nicht erkennbar, dass sich an diesem Zustand in den kommenden Monaten etwas ändern werde. Die Kammer vermöge unter Berücksichtigung all dessen nicht mehr zu gewährleisten, dass bei Eingang neuer Haftsachen diese innerhalb der Frist des § 121 StPO terminiert werden könnten.

9

Darauf wies das Präsidium des Landgerichts am 14. September 2017 mit Wirkung ab dem 25. September 2017 den bisherigen Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer der 1. Großen Strafkammer mit einem Arbeitskraftanteil von 0,9 als Vorsitzenden zu. Die 3. Große Strafkammer übernahm anstelle der 1. Großen Strafkammer die ab dem 25. September 2017 eingehenden Anklagen und Anträge in Jugendsachen und Jugendschutzsachen erster Instanz.

10

c) Der neue Vorsitzende zeigte am 12. Dezember 2017 wiederum die Überlastung der 1. Großen Strafkammer an. Gegenwärtig würden drei Umfangsverfahren als laufende Haftsachen betrieben, darunter das vorliegende Verfahren, das im August 2018 erstinstanzlich abgeschlossen werden solle. Seit Anfang 2017 müssten aufgrund der Vielzahl der anhängigen Haftsachen in der Kammer durchgängig drei Sitzungstage pro Woche geleistet werden, was bei bereits überobligatorischem Arbeitseinsatz die maximale Belastung der Kammer darstelle. Gegenwärtig und im ersten Kalenderhalbjahr 2018 könnten ausschließlich Haftsachen und Beschwerden noch sachgerecht betrieben werden. Umgekehrt bedeute dies, dass Verfahren, die keine Haftsachen seien, gegenwärtig nicht verhandelt werden könnten, beispielsweise ein seit dem 23. April 2015 anhängiges Verfahren wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge, in dem das Oberlandesgericht im Haftprüfungsverfahren am 23. September 2014 den Haftbefehl aufgehoben habe.

11

Im Zuge der Jahresgeschäftsverteilung 2018 übernahm die 3. Große Strafkammer alle Anklagen und Anträge, die bei der 1. Großen Strafkammer anhängig, noch nicht eröffnet und vor dem 1. Januar 2017 eingegangen waren.

12

d) In einer anderen, bei der 1. Großen Strafkammer anhängigen Haftsache entschied das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken in einem Beschluss vom 26. März 2018 - 1 Ws 48-50/18 -:

"Das Präsidium des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) muss unverzüglich weitere Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die 1. Strafkammer neben den laufenden drei Haftsachen nicht mit weiteren Verfahren belastet wird. Insbesondere müssen die Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, dass die Verhandlungskapazität der 1. Strafkammer nach Abschluss einer der derzeit laufenden drei Haftsachen ausschließlich für die dann noch laufenden zwei Haftsachen genutzt werden kann. Ohne Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot kann vor der Beendigung von zwei der derzeit drei laufenden Hauptverhandlungen keine neue Hauptverhandlung begonnen werden, soweit durch sie der Ablauf der laufenden Hauptverhandlungen beeinträchtigt wird. Weiterhin wird das Präsidium zu prüfen haben, ob die 1. Strafkammer von allen anderen Geschäften zu entlasten ist, damit die Kammer mehr als drei Verhandlungstage pro Woche ansetzen kann."

13

Hierauf teilte der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer durch dienstliche Äußerung vom 29. März 2018 und durch eine erneute Überlastungsanzeige vom 10. April 2018 die gegenwärtige Verfahrens- und Terminierungslage mit.

14

Durch Beschluss vom 17. April 2018 bildete das Präsidium eine Hilfsstrafkammer, in die alle Haftsachen, in denen die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hatte, und alle neu eingehenden Haftsachen, die in die Zuständigkeit des Schwurgerichts fallen, abgeleitet wurden.

15

e) Am 19. Juni 2018 ergingen Überlastungsanzeigen sowohl der 1. Großen Strafkammer als auch der 3. Großen Strafkammer. Der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer teilte mit, dass die Situation unverändert sei. Das vorliegende Verfahren werde nicht vor September 2018 erstinstanzlich abgeschlossen werden können.

16

Mit Beschluss vom 20. Juni 2018 nahm das Präsidium alle Jugendsachen, in denen eine Hauptverhandlung noch nicht begonnen hatte, aus dem Bestand der 1. Großen Strafkammer und wies sie der 7. Großen Strafkammer - nunmehr Jugendkammer I - zu.

17

3. Am 26. August 2018 legte der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers, sein hiesiger Verfahrensbevollmächtigter, Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 4. Oktober 2018 ein, mit der er einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot rügte. Das Landgericht half der Beschwerde durch Beschluss vom 29. August 2018 nicht ab. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken verwarf die Beschwerde durch den vorliegend angegriffenen Beschluss vom 16. Oktober 2018 als unbegründet.

18

Das Oberlandesgericht hat - soweit vorliegend erheblich - ausgeführt:

19

Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen liege nicht vor. Der Senat verkenne dabei nicht, dass eine solch erhebliche Dauer der Untersuchungshaft von über zwei Jahren nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein könne. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates sei zunächst zu berücksichtigen, dass die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tatvorwürfe außerordentlich schwerwiegend seien. Zudem handele es sich um ein komplexes Verfahren mit mehreren Verfahrensbeteiligten und der Notwendigkeit, eine Vielzahl von Zeugen zu vernehmen.

20

Bereits die erste Hauptverhandlung ab dem 10. November 2016 weise keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes auf. Zwar sei die vom Bundesverfassungsgericht bei absehbar umfangreichen Verfahren grundsätzlich geforderte Termindichte von mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche unterschritten. Dieser Verstoß führe jedoch nicht zu einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes, weil er nicht durch die Kammer verursacht worden sei. Denn die Hauptverhandlungstermine seien mit dem vom Beschwerdeführer ausgewählten Pflichtverteidiger unter Berücksichtigung dessen Urlaubs in der letzten Dezemberwoche 2016 und in den ersten beiden Januarwochen 2017 abgestimmt worden.

21

Eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sei auch nicht bis zur Aussetzung der ersten Hauptverhandlung ersichtlich. Die Hauptverhandlung sei unter Berücksichtigung der weiteren vor der Kammer stattfindenden Verhandlungen, der Verhinderung kurzfristig geladener Zeugen und der Notwendigkeit, die Termine mit dem Verteidiger abzustimmen, hinreichend beschleunigt geführt worden. Das Verfahren habe sich - für die Kammer nicht vorhersehbar - wesentlich verlängert, da der Verteidiger ab dem 5. April 2017 zahlreiche Beweis- und Ablehnungsanträge gestellt habe. Die Kammer sei daher für etwaige Verfahrensverzögerungen nicht verantwortlich gewesen.

22

Der Beschleunigungsgrundsatz sei ferner nicht dadurch verletzt, dass die Strafkammer am 12. Dezember 2017 mit der Hauptverhandlung in der vorliegenden Haftsache begonnen habe, obwohl sie zu dieser Zeit bereits in zwei Haftsachen verhandelt habe. Vielmehr sei sie als nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zuständiger Spruchkörper als gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) hierzu sogar verpflichtet gewesen, da für die Kammer zu diesem Zeitpunkt (12. Dezember 2017) zwar eine starke Auslastung, aber noch keine Überlastung mit Haftsachen feststellbar gewesen sei. Insoweit dürfe nicht verkannt werden, dass die vorschnelle Annahme einer Überlastung ebenfalls verfassungsrechtlich problematisch sei, denn das Gebot zügiger Verfahrensgestaltung lasse das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) nicht vollständig zurücktreten. Daher müsse das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz zügiger Verfahrensgestaltung zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Es sei insoweit nicht zu beanstanden, dass das Präsidium des Landgerichts die Kammer zum Beginn der Hauptverhandlung nicht von der (nochmals) neu zu beginnenden Haftsache entlastet habe, da dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter der Vorrang einzuräumen gewesen sei. Denn zum Zeitpunkt des Beginns der neuerlichen Hauptverhandlung wäre es durchaus möglich gewesen, im Durchschnitt einen Hauptverhandlungstag wöchentlich zu erreichen, zumal die Kammer nach ihrer Überlastungsanzeige vom 12. Dezember 2017 davon ausgegangen sei, entsprechende Hauptverhandlungstermine anbieten zu können. Die Kammer habe im vorliegenden Verfahren mit Verfügung vom 6. November 2017 insgesamt 12 Hauptverhandlungstermine bis einschließlich 28. März 2018 bestimmt. Durch diese Terminierung sei zwar die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts an die Durchführung der Hauptverhandlung in Haftsachen von durchschnittlich mindestens einem wöchentlichen Sitzungstag innerhalb dieses Zeitraumes nicht erfüllt worden. Dies sei jedoch angesichts des Umstandes, dass sich der Verteidiger während der - ursprünglich geplanten - Hauptverhandlung für mehr als fünf Wochen in Urlaub befunden habe, nicht zu beanstanden. Vielmehr habe die Kammer versucht, die durch den Verteidiger verursachten Terminausfälle durch eine höhere Terminsdichte im Januar sowie im März zu kompensieren.

23

Auch bei der erneuten Terminierung des Verfahrens sei es zu keinen erheblichen Verzögerungen gekommen, sondern diese seien - entsprechend der zur Verfügung stehenden Verhandlungskapazitäten, unter Aufgreifen der bereits am 19. September 2017 vereinbarten Fortsetzungstermine für die erste Hauptverhandlung - zu jeder Zeit beschleunigt betrieben worden. Im Zeitpunkt der neuerlichen Terminierung der Hauptverhandlung sei für die Kammer nicht zu erwarten gewesen, dass diese über den 28. März 2018 hinaus andauern würde. Hierbei hätten die Erkenntnisse aus der ersten Verhandlung berücksichtigt werden können, sodass Zeugen direkt hätten geladen werden können, die im ersten Verfahren erst nachträglich benannt worden seien. Es sei deshalb aus Sicht der Kammer nicht zu erwarten gewesen, dass sich der Abschluss des Verfahrens aufgrund weiterer (notwendiger) Beweiserhebungen wesentlich verzögern könnte.

24

Zum Zeitpunkt der Terminierung des Verfahrens sei es auch nicht geboten gewesen, dem Beschwerdeführer einen Sicherungsverteidiger beizuordnen. Insoweit sei es für die Kammer am 6. November 2017 noch nicht ersichtlich gewesen, dass das Verfahren innerhalb der festgelegten Termine - trotz des Urlaubs des Verteidigers - nicht abgeschlossen werden würde. Dabei sei auch zu berücksichtigen gewesen, dass dem Beschwerdeführer grundsätzlich das Recht zustehe, sich von dem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen. Der Beschwerdeführer habe sich bewusst für seinen jetzigen Verteidiger entschieden.

25

Die Verhinderung des Sachverständigen und die vorübergehende Vernehmungsunfähigkeit der Nebenklägerin hätten nicht zu verfahrensrelevanten Verzögerungen geführt, weil die Kammer hierauf jeweils unmittelbar reagiert und weitere Termine bestimmt sowie Zeugen umgeladen habe.

26

Auch hinsichtlich des tatsächlichen Ablaufs der zweiten Hauptverhandlung ab dem 12. Dezember 2017 weise das Verfahren keine Verletzung des Beschleunigungsgebots auf, die dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft entgegenstünde. In den 40 Wochen vom 12. Dezember 2017 bis zum 14. September 2018 sei an 26 Tagen verhandelt worden, was einer durchschnittlichen wöchentlichen Sitzungsdichte von 0,65 entspreche. Bis zum 15. November 2018 seien noch sieben Sitzungstage dazugekommen, was bei 33 Sitzungstagen in 49 Wochen eine wöchentliche Termindichte von 0,67 ergebe. Damit werde zwar die vom Bundesverfassungsgericht bei absehbar umfangreichen Verfahren grundsätzlich geforderte Termindichte unterschritten. Dies führe allerdings noch nicht zu einem Verstoß gegen das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers. So seien in die Gesamtabwägung die Komplexität des Verfahrens wie auch die äußerst schwerwiegenden Tatvorwürfe einzustellen. Im Übrigen habe die Kammer unter Berücksichtigung der eigenen Terminslage sowie der Verhinderungen der notwendigen Verfahrensbeteiligten nahezu sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Verhandlungsmöglichkeiten genutzt. Insgesamt habe die Kammer von April bis November lediglich acht der ihr zur Verfügung stehenden Arbeitstage zur Fortsetzung der Haupthandlung nicht genutzt, und es sei nicht zu beanstanden, dass sie die noch verfügbaren Arbeitstage für Vor- und Nachbereitung der Verfahren und zur Bearbeitung ihrer sonstigen übertragenen Aufgaben nutze. Zudem seien weitere Umladungen von Zeugen während des laufenden Verfahrens erforderlich gewesen, woraus sich keine zu beanstandende Verfahrensverzögerung ergebe.

27

Bei der Bestimmung der Fortsetzungstermine habe die Kammer die für einen Strafverteidiger ungewöhnlich weitreichenden Urlaubspläne des Verteidigers über 88 Arbeitstage im Zeitraum Dezember 2017 bis November 2018 berücksichtigen müssen. Darüber hinaus sei es zu weiteren Arbeitstagen gekommen, an denen die Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers durch kollidierende Verfahren nicht habe durchgeführt werden können. Daraus ergebe sich ebenfalls keine durch das Gericht zu vertretene Verfahrensverzögerung. Es habe sich insoweit für die Kammer auch zum Beginn der Hauptverhandlung nicht aufgedrängt, dem Beschwerdeführer einen Sicherungsverteidiger beizuordnen, da sich die in größerem Umfang bestehende Verhinderung des Verteidigers erst im Laufe des Verfahrens ergeben habe. Die Beiordnung eines Sicherungsverteidigers während des laufenden Verfahrens sei aufgrund der Komplexität des Verfahrens nicht geboten gewesen, da dadurch eine ordnungsgemäße Verteidigung des Beschwerdeführers nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Des Weiteren habe sich der Sachverständige zwischen dem 8. Mai und 31. August 2018 im Urlaub befunden und sei an weiteren zwölf Tagen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen gehindert gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen.

28

Dass weitere Verhandlungstermine wegen Urlaubs der Kammermitglieder nicht hätten stattfinden können, sei nicht zu beanstanden, zumal in diesen Zeiträumen nach der ursprünglichen Planung entweder kein Sitzungstag eingeplant oder nicht ersichtlich gewesen sei, dass die Hauptverhandlung bis dorthin nicht abgeschlossen sein würde. Zudem seien auch die Termine in den weiteren beiden Umfangsverfahren der Kammer zu berücksichtigen, die ebenfalls mit der für Haftsachen geltenden entsprechenden Beschleunigung zu fördern gewesen seien. So sei in einem dieser Verfahren in der Zeit vom 18. September 2017 bis 26. Juni 2018 an 32 Tagen verhandelt worden. In dem weiteren Verfahren, welches am 16. Oktober 2017 begonnen habe, hätten 39 Sitzungstage stattgefunden.

29

Auch in den Kurzterminen, die lediglich wenige Minuten bis wenige Stunden gedauert hätten, sei das Verfahren soweit wie möglich und somit ausreichend gefördert worden.

II.

30

Der Beschwerdeführer sieht sich in seinem Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt.

31

Die vorliegend festzustellende geringe Verhandlungsdichte in beiden durchgeführten Hauptverhandlungen entspreche bei weitem nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und stelle bereits isoliert, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit, einen gravierenden Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz dar. Das Oberlandesgericht unterscheide nicht zwischen ordentlichen Hauptverhandlungsterminen und Kurzterminen, die lediglich der Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO dienten, ohne das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht zu fördern. Bereits für die erste Hauptverhandlung seien ohne Berücksichtigung von fünf Kurzterminen insgesamt 20 Verhandlungstage binnen 50 Wochen terminiert gewesen, was einer durchschnittlichen wöchentlichen Termindichte von 0,50 Verhandlungstagen entspreche. Dabei habe die durchschnittliche Verhandlungsdauer inklusive Pausen 3 Stunden 29 Minuten pro Verhandlungstag betragen. Bei der zweiten Hauptverhandlung ergebe sich bis zum 14. September 2018 unter Abzug von fünf Kurzterminen eine durchschnittliche wöchentliche Termindichte von lediglich 0,53 Verhandlungstagen mit einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer inklusive Pausen von 4 Stunden 18 Minuten pro Verhandlungstag.

32

Die jeweils geringe Verhandlungsdichte in beiden Hauptverhandlungen sei zum einen auf eine wenig vorausschauende Terminierung zurückzuführen. Obgleich die erste Hauptverhandlung letztlich auf 25 Tage terminiert gewesen sei und sich hierbei gezeigt habe, dass die ursprünglich vorgesehenen acht Hauptverhandlungstermine keineswegs ausgereicht hätten, seien bei der Terminierung der zweiten Hauptverhandlung ab dem 12. Dezember 2017 erneut lediglich zwölf Hauptverhandlungstermine, hiervon ein Kurztermin am 3. Januar 2018, festgesetzt worden.

33

Die Urlaubsabwesenheit des Verteidigers entlaste die Kammer schon deshalb nicht, weil insoweit entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts mit Blick auf den bisherigen Verfahrensverlauf und die Dauer der zwischenzeitlichen Untersuchungshaft die Bestellung eines Sicherungsverteidigers in Betracht gekommen sei, zumal die Hauptverhandlung bereits ursprünglich länger als zehn Tage andauern sollte und die Kammer auch einen Ergänzungsrichter sowie einen Ergänzungsschöffen hinzugezogen habe. Der Hinweis des Oberlandesgerichts, die Kammer habe versucht, die lediglich durch den Verteidiger verursachten Terminausfälle im Dezember 2017 und Januar 2018 durch eine höhere Termindichte im Januar und März 2018 zu kompensieren, sei unzutreffend. Tatsächlich habe die Kammer im Januar lediglich vier Hauptverhandlungstage und im März ebenfalls vier [nach Aktenlage: zwei] Hauptverhandlungstage vorgesehen, im Februar 2018 im Übrigen lediglich zwei Hauptverhandlungstage trotz Anwesenheit des Verteidigers. Eine Kompensation könne jedoch nicht durch eine Terminierung stattfinden, die ihrerseits nicht den Mindestanforderungen an den Beschleunigungsgrundsatz mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche entspreche.

34

Die Vielzahl der Überlastungsanzeigen bereits ab April 2017 und der Umstand, dass das Präsidium des Landgerichts hierauf erst im April 2018 nach der vierten Überlastungsanzeige des zur Durchführung der Hauptverhandlung zuständigen Schwurgerichts reagiert habe, zeige, dass die geringe Hauptverhandlungsdichte ihre Ursache in organisatorischen Mängeln und möglicherweise fehlenden Ressourcen der Justiz finde. Dies sei indes dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschwerdeführer nicht zuzurechnen und müsse, unabhängig von der Erheblichkeit des Tatvorwurfs, zur Aufhebung des Haftbefehls und der Beendigung der fortdauernden Untersuchungshaft führen. Denn zwingende, nicht der Justiz anzulastende Gründe für den festzustellenden Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in beiden stattgefundenen Hauptverhandlungen seien nicht erkennbar.

35

Es sei vorliegend offensichtlich, dass die bereits im Spätjahr 2016 festzustellende und spätestens im April 2017 dauerhafte Überlastung der 1. Großen Strafkammer zu ganz erheblichen Verzögerungen bei der Durchführung der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer geführt hätten. Nachdem die Justiz erst im April 2018 und damit ein Jahr nach der ersten Überlastungsanzeige und zudem deutlich nach Beginn der zweiten Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer intern reagiert habe, seien insoweit staatliche Versäumnisse zu erkennen, die nicht dazu führen dürften, dass der Beschwerdeführer sich länger, als es dem Verfahren angemessen wäre, in Untersuchungshaft befinde.

36

Zudem verkenne das Oberlandesgericht die Tragweite des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers, soweit er trotz des Umstandes, dass dieser bereits eine - nach 50 Wochen ausgesetzte - Hauptverhandlung mit zu geringer Verhandlungsdichte hinter sich gebracht habe, nunmehr dem Recht auf den gesetzlichen Richter Vorrang vor seinem Anspruch auf zügige Verfahrensgestaltung einräume und daher nicht beanstande, dass das Präsidium des Landgerichts die Kammer zu Beginn der Hauptverhandlung trotz zweier zurückliegender Überlastungsanzeigen nicht entlastet oder sich zumindest hierum bemüht habe.

III.

37

1. Das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz hat sich am 5. Dezember 2018 zur Verfassungsbeschwerde geäußert. Es bezieht sich hierbei auf folgende Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 3. Dezember 2018:

"Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen hinsichtlich Auswahl und Dichte der Terminierung kommentiere ich nicht; diese betreffen den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit.

Die 1. Große Strafkammer war in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 insbesondere mit Haftsachen sehr stark belastet, was vor allem auf eine ungewöhnliche, so nicht vorhersehbare Häufung von Umfangsverfahren zu Beginn des Jahres 2017 zurückzuführen war. Dies kommt in mehreren Überlastungsanzeigen des bzw. der jeweiligen Kammervorsitzenden zum Ausdruck. Verschärft hat sich die Situation zudem ab Mitte August 2017, als die Vorsitzende der Kammer völlig überraschend dienstunfähig erkrankte und sich ab Mitte September 2017 abzeichnete, dass dies zu einer dauerhaften Verhinderung der Vorsitzenden führen wird. Infolgedessen musste das hier gegenständliche Verfahren kurz vor dessen Abschluss ausgesetzt und neu terminiert werden. Außerdem musste deshalb die Verhandlung in weiteren zwei weiteren Haftsachen ausgesetzt werden und neu beginnen.

Das Präsidium des Landgerichts hat sich jeweils umgehend mit den Überlastungsanzeigen befasst und die Optionen für eine im laufenden Geschäftsjahr mögliche Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 GVG geprüft. Die danach unterjährig denkbar zulässigen Maßnahmen des Präsidiums haben einem Stufenverhältnis zu folgen, d.h. es sind zunächst diejenigen in Betracht zu ziehen, die allein die noch nicht anhängigen Verfahren betreffen. […]

Das Präsidium des Landgerichts hat in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 auf die jeweils kurzfristig und neu entstandenen Belastungssituationen in der 1. Großen Strafkammer zeitnah und unter Berücksichtigung des Spielraums von § 21e Abs. 3 GVG reagiert.

Die 1. Große Strafkammer war trotz der angespannten Situation, die durch eine ungewöhnliche Häufung von Großverfahren und der unvorhergesehenen plötzlichen Erkrankung ihrer Vorsitzenden entstanden war, jederzeit in der Lage, jedenfalls unter Zurückstellung der Nichthaftsachen die ihr zugewiesenen mit Untersuchungshaft einhergehenden Verfahren sachgerecht zu bearbeiten. Sobald dies konkret gefährdet war (Überlastungsanzeige vom 10. April 2018), hat das Präsidium eine Hilfsstrafkammer gebildet und auch Bestandsverfahren dorthin abgeleitet.

Die Strafabteilung des Landgerichts war in dem hier in Rede stehenden Zeitpunkt (Geschäftsjahr 2017 und 2018) mit richterlichen Personal angemessen ausgestattet. Die Besetzung wurde seitens des Präsidiums in 2017 durch Verschiebungen innerhalb des Hauses kontinuierlich hochgefahren, sie lag jeweils mindestens bei 110 % des aktuellen Deckungsgrades nach dem Personalbedarfsberechnungssystem 'PEBB§Y'. Zudem wurde der außergewöhnlichen Belastung in Strafsachen seitens des Ministeriums der Justiz dadurch Rechnung getragen, dass dem Landgericht Frankenthal im Januar 2018 eine volle Planstelle für eine Vorsitzende Richterin oder einen Vorsitzenden Richter sowie eine zusätzliche volle Richterstelle im Wege der sofortigen Neueinstellung zugewiesen wurde".

38

Ergänzend hierzu führte das Ministerium aus, es habe im September 2017 - als bekannt geworden sei, dass die Vorsitzende der 1. Große Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) aufgrund einer plötzlichen und unerwarteten Erkrankung einige Zeit ausfallen würde -, unverzüglich eine Neueinstellung vorgenommen, die bereits im Oktober 2017 ihren Dienst habe antreten können. Eine Anregung des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 16. Januar 2018, trotz der angemessenen Personalausstattung über die Einrichtung einer zusätzlichen Jugendstrafkammer nachzudenken, um eine nachhaltigere Bearbeitung der Nichthaftsachen in den Strafkammern des Landgerichts erreichen zu können, habe das Ministerium der Justiz aufgegriffen und im nächsten Justizblatt vom 29. Januar 2018 eine weitere Vorsitzendenstelle bei dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) ausgeschrieben. Diese Stelle habe bereits im Mai 2018 besetzt werden können.

39

2. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat mit Schreiben vom 7. Dezember 2018 und vom 18. Januar 2019, beim Bundesverfassungsgericht eingegangen am 12. Dezember 2018 beziehungsweise 22. Januar 2019, Stellung genommen. Nach seiner Auffassung ist der Verfassungsbeschwerde der Erfolg nicht zu versagen. Die angefochtene Entscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie zeige keine besonderen Umstände auf, die die Fortdauer der zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits mehr als zwei Jahre und fünf Monate andauernden Untersuchungshaft verfassungsrechtlich rechtfertigen könnten.

40

a) Soweit das Oberlandesgericht ausführe, die Kammer habe "unter Berücksichtigung der eigenen Terminslage sowie der Verhinderungen der notwendigen Verfahrensbeteiligten nahezu sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Verhandlungsmöglichkeiten genutzt", vermöge dies zwar die Ursache für die geringe durchschnittliche Verhandlungsdichte, die das Oberlandesgericht auf 0,65 Verhandlungstage pro Woche für die zweite Hauptverhandlung beziffere, zu beschreiben. Das Oberlandesgericht übersehe jedoch, dass die darin zum Ausdruck kommende, nicht nur kurzfristige Überlastung des Gerichts niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein könne. Dies gelte umso mehr, als die Untersuchungshaft zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Jahre und fünf Monate angedauert habe. Die Strafkammer habe mehrfach, erstmals im April 2017 und erneut im Dezember 2017 mit Beginn der zweiten Hauptverhandlung in der hier gegenständlichen Sache, ihre Überlastung angezeigt. Soweit das Oberlandesgericht ausführe, zu Beginn der zweiten Hauptverhandlung sei die Strafkammer zwar stark ausgelastet, eine Überlastung mit Haftsachen sei aber noch nicht feststellbar gewesen, stehe dies im Widerspruch zur Einschätzung der mit der Sache befassten Strafkammer. Die angefochtene Entscheidung lasse eine hinreichende Auseinandersetzung mit diesem Gesichtspunkt vermissen.

41

Soweit das Oberlandesgericht die geringe Verhandlungsdichte im Wesentlichen mit der Verhinderung von Verfahrensbeteiligten zu begründen versucht habe, hätte es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jeweils darlegen müssen, ob die damit verbundene erschwerte gemeinsame Terminfindung ihre Ursache allein in dem konkreten Strafverfahren gehabt habe oder auch darauf zurückzuführen sei, dass die Strafkammer neben dem gegenständlichen Verfahren weitere Umfangsverfahren zu bewältigen gehabt habe. In diesem Zusammenhang hätte sich das Oberlandesgericht insbesondere mit der Überlastungsanzeige der Strafkammer vom 12. Dezember 2017 auseinandersetzen müssen. Darin habe der Vorsitzende dargelegt, dass die Strafkammer bereits an drei Sitzungstagen pro Woche verhandle und dies die maximale Belastung der Strafkammer bei bereits überobligatorischem Arbeitseinsatz darstelle. Vor diesem Hintergrund liege es nahe, dass die geringe Verhandlungsdichte jedenfalls auch darauf zurückzuführen sei, dass die Strafkammer aufgrund ihrer Belastung mit weiteren Verfahren auf keine freien Kapazitäten mehr habe zurückgreifen können, um auf die Verhinderung von Verfahrensbeteiligten in einer Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genügenden Weise reagieren zu können. In diesem Zusammenhang könne der Strafkammer zwar nicht der Vorwurf gemacht werden, freie Terminkapazitäten nicht ausgeschöpft zu haben. Dieser Umstand vermöge - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - auf der anderen Seite die Fortdauer der Untersuchungshaft aber nicht zu rechtfertigen. Denn dem Beschwerdeführer dürfe nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäume, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen.

42

Die Ausführungen zur Urlaubsabwesenheit des Verteidigers des Beschwerdeführers vermöchten die Fortdauer der Untersuchungshaft ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Soweit das Oberlandesgericht darlege, der Verteidiger habe sich an 73 von 193 Arbeitstagen im Zeitraum vom 12. Dezember 2017 bis 14. September 2018 im Urlaub befunden, hätte es berücksichtigen müssen, dass der Verteidiger bereits vor dem Beginn der zweiten Hauptverhandlung den überwiegenden Teil seiner Urlaubsabwesenheiten im Umfang von 45 Tagen angezeigt gehabt habe. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung, dass die Strafkammer bereits zu Beginn der zweiten Hauptverhandlung ihre maximale Belastungsgrenze erreicht gehabt habe und die Untersuchungshaft zu diesem Zeitpunkt bereits etwa ein Jahr und sieben Monate angedauert habe, hätte die Strafkammer die Bestellung eines Sicherungsverteidigers in Betracht ziehen müssen. Soweit das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang ausführe, dem Beschwerdeführer stehe grundsätzlich das Recht zu, sich von einem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, hätte es einer Abwägung mit dem hiermit konkurrierenden Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit bedurft. Zudem hätte das Oberlandesgericht berücksichtigen müssen, dass die Bestellung eines Sicherungsverteidigers nicht zum Verlust des bereits bestellten Verteidigers führe. Die Bestellung eines Sicherungsverteidigers hätte - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - zudem nicht zwingend zu einer Verzögerung des Verfahrens führen müssen. Nachdem der Strafkammer der überwiegende Teil der Urlaubsabwesenheiten des Verteidigers bereits am 17. November 2017 bekannt gewesen sei, hätte der Sicherungsverteidiger noch vor Beginn der zweiten Hauptverhandlung bestellt werden können, so dass ausreichend Zeit für die Einarbeitung in das Verfahren zur Verfügung gestanden hätte. Die Auffassung, die Strafkammer habe versucht, die durch den Verteidiger verursachten Terminausfälle durch eine höhere Termindichte im Januar sowie im März zu kompensieren, vermöge ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn ausweislich der vom Oberlandesgericht mitgeteilten Hauptverhandlungstermine hätten im Januar 2018 tatsächlich vier Termine stattgefunden, was einer Verhandlungsdichte von etwa 0,9 entspreche, und im März 2018 lediglich zwei Termine, was einer Verhandlungsdichte von etwa 0,45 entspreche. Eine Verhandlungsdichte, die ihrerseits bereits den aus dem Beschleunigungsgrundsatz folgenden Mindestanforderungen nicht entspreche, könne nicht zur Kompensation bereits eingetretener Verfahrensverzögerungen herangezogen werden.

43

Die vom Oberlandesgericht erörterten Gesichtspunkte könnten auch in der Gesamtschau die Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. So fielen die unvorhersehbare Erkrankung und Vernehmungsunfähigkeit von Verfahrensbeteiligten zwar nicht in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Demgegenüber sei aber zu berücksichtigen, dass bereits die Verhandlungsdichte der ersten Hauptverhandlung deutlich unter einem Sitzungstag pro Woche gelegen habe und die damit einhergehende Verzögerung des Verfahrens in der zweiten Hauptverhandlung nicht habe kompensiert werden können, sondern noch weiter angestiegen sei. Es sei auch nicht zu erkennen, dass diese im weiteren Fortgang des Verfahrens habe kompensiert werden können. Die Komplexität des Verfahrens und die hohe Straferwartung könnten unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Gesichtspunkte die Fortdauer der Untersuchungshaft ebenfalls nicht mehr rechtfertigen.

44

b) Auch die Äußerung des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz vom 5. Dezember 2018 vermöge eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Das Ministerium lege zwar unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 3. Dezember 2018 im Einzelnen dar, welche Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Belastungssituation der für das fachgerichtliche Ausgangsverfahren zuständigen Strafkammer zu mildern. Die aufgezeigten Maßnahmen ließen jedoch befürchten, dass diese "lediglich" dazu geführt hätten, eine bereits überlastete Strafkammer vor zusätzlicher Belastung zu bewahren. Sie hätten indes die Belastungssituation der Strafkammer im gegenständlichen Ausgangsverfahren nicht in ausreichender Weise entschärfen können, was insbesondere anhand der fortlaufenden Überlastungsanzeigen des Vorsitzenden der Strafkammer nachvollzogen werden könne. Die Überlastungsanzeigen ließen in der Gesamtschau erkennen, dass die Belastung der Strafkammer insbesondere im Verlauf der zweiten Hauptverhandlung im gegenständlichen Verfahren im Wesentlichen darauf zurückzuführen sei, dass die Strafkammer drei Umfangsverfahren parallel zu bewältigen habe. Die vom Präsidium beschlossenen Maßnahmen hätten an dieser Situation keine Veränderung zu bewirken vermocht, sondern im Wesentlichen darauf abgezielt, die Strafkammer - ausgehend von der bereits bestehenden Belastungssituation - vor zusätzlicher Belastung zu bewahren. Dies dürfte den Schluss zulassen - womit sich das Oberlandesgericht hätte auseinandersetzen müssen -, dass die bereits mit Stellungnahme vom 7. Dezember 2018 erörterte unzureichende Verhandlungsdichte im gegenständlichen Ausgangsverfahren jedenfalls auch auf eine nicht nur kurzfristige Überlastung der Strafkammer zurückzuführen sei, die nicht durch gerichtsorganisatorische Mittel habe kompensiert werden können. Ungeachtet der von der Strafkammer grundsätzlich nicht zu vertretenden Verhinderung von Verfahrensbeteiligten könne die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein.

45

Das Oberlandesgericht habe zur Belastung der Strafkammer im angefochtenen Beschluss lediglich mitgeteilt, dass die Strafkammer bis zum 12. Dezember 2017 zwar stark ausgelastet, aber noch nicht überlastet gewesen sei. Des Weiteren habe es sich damit auseinandergesetzt, ob der Neubeginn der Hauptverhandlung im gegenständlichen Verfahren vor einer anderen Strafkammer möglich gewesen wäre. Zum einen lasse sich die Einschätzung, die Strafkammer sei nicht überlastet gewesen, mit den Überlastungsanzeigen des Vorsitzenden der Strafkammer nicht vereinbaren. Zum anderen hätte sich das Oberlandesgericht im Zusammenhang mit der sich aufdrängenden Frage, ob der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte gerecht geworden sei, auch damit auseinandersetzen müssen, ob nach der ersten Überlastungsanzeige alle gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien.

46

Das Präsidium des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) habe zwar kontinuierlich auf die Überlastungsanzeigen reagiert, was im Rahmen der zuvor aufgeworfenen Fragestellung positiv zu berücksichtigen sei. Dennoch hätten die beschlossenen Entlastungen eine Erhöhung der Verhandlungsdichte im gegenständlichen Verfahren nicht zu bewirken vermocht. Nachdem die damalige Vorsitzende der Strafkammer bereits in der ersten Überlastungsanzeige auf den Eintritt der Belastungssituation - parallele Bewältigung von drei Umfangsverfahren - hingewiesen habe, hätte diese möglicherweise bereits zu diesem Zeitpunkt durch zeitnahe gerichtsorganisatorische Maßnahmen - über die Zuweisung einer dritten Beisitzerin hinaus - verhindert werden können. Mit diesem Gesichtspunkt und den zur Verfügung stehenden unterjährigen gerichtsorganisatorischen Möglichkeiten hätte sich das Oberlandesgericht auseinandersetzen müssen. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts vermöge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Fortdauer der Untersuchungshaft zwar auch dann nicht zu rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruhe, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lasse. Beruhe in einer Haftsache eine erhebliche Verfahrensverzögerung darauf, dass nicht alle gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien, dürfte der weitere Haftvollzug indes schon aus diesem Grunde verfassungswidrig sein.

47

Soweit das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz überdies darauf abstelle, die Strafabteilung des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) sei angemessen mit richterlichem Personal ausgestattet gewesen, "mindestens 110% des aktuellen Deckungsgrades nach dem Personalbedarfsberechnungssystem 'PEBB§Y'", könne dies eine andere Beurteilung der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht rechtfertigen. Denn die Personalausstattung der Strafabteilung des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) beinhalte keine Aussage zur Belastungssituation des einzelnen Spruchkörpers.

48

3. Der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat von der auch ihm gewährten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Äußerung des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz bis zum 18. Januar 2019 keinen Gebrauch gemacht.

49

4. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) 1 Ks 5220 Js 16663/16 (Stand: 15. Januar 2019) in Abschrift vorgelegen.

B.

50

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

51

Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG.

52

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 39; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 2017 - 2 BvR 2039/16 -, juris, Rn. 39; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juni 2018 - 2 BvR 631/18 -, juris, Rn. 30).

53

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 40; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 2017 - 2 BvR 2039/16 -, juris, Rn. 40; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juni 2018 - 2 BvR 631/18 -, juris, Rn. 31).

54

a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist daher stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370 f.>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 32; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 19; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 15; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 27).

55

b) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 40).

56

Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 37). Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. September 1999 - 2 BvR 1775/99 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 24).

57

c) Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. So ist nach Anklageerhebung bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2781/10 -, juris, Rn. 15; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris, Rn. 43; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 28, 37; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2018 - 2 BvR 1258/18 -, juris, Rn. 25). Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 49 ff.).

58

d) Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474 <480>; 17, 517 <523>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 41). Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (vgl. BVerfGK 7, 140 <156>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 22; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 29).

59

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264 <273 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264 <275>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23; Beschluss des 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 30).

60

e) Da der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>), unterliegen Haftfortdauerentscheidungen einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 39; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 25; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 19; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 31). Eine Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidung auf die zutreffende Anwendung einfachen Rechts nimmt das Bundesverfassungsgericht hingegen ausschließlich im Rahmen des Willkürverbots vor (stRspr; vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 65, 317 <322>).

61

2. Diesen Vorgaben genügt der angegriffene Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken nicht. Er zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten, und wird damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht.

62

a) Das Oberlandesgericht selbst weist zunächst zutreffend darauf hin, dass die Terminierung der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhandlungsdichte nicht genügt.

63

aa) Die Strafkammer hat in jedem Betrachtungszeitraum - sowohl in der ersten als auch in der nach der Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden erforderlich gewordenen zweiten Hauptverhandlung - weit seltener als an durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag pro Woche verhandelt, zuletzt an nur 0,65 Tagen pro Woche. Die Verhandlungsdichte sinkt noch weiter unter diesen Wert, wenn man die Sitzungstage nicht einbezieht, an denen nur kurze Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wurde (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 52).

64

Selbst wenn bei der Berechnung der Verhandlungsfrequenz die Urlaubszeiträume des Verteidigers und der Kammermitglieder vollständig unberücksichtigt blieben (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 53; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 51), würde die von Verfassungs wegen gebotene Verhandlungsdichte nicht eingehalten. Auf die Frage, ob die Kammer nicht nur einen Ergänzungsrichter und einen Ergänzungsschöffen, sondern auch einen anderen oder einen weiteren Pflichtverteidiger hätte bestellen müssen, um die Unterbrechungszeiträume zu verkürzen und so eine Beschleunigung des Verfahrens zu erreichen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 49 ff.), kommt es daher nicht an.

65

bb) Die vom Präsidium des Landgerichts als Reaktion auf die Überlastungsanzeigen getroffenen Maßnahmen haben nicht dazu geführt, dass die vorliegende Haftsache nunmehr innerhalb des durch das Beschleunigungsgebot gezogenen Rahmens bearbeitet und die bereits eingetretene Verfahrensverzögerung wirksam kompensiert worden wäre (vgl. hierzu BVerfGK 12, 166 <168>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 57; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 36). Die verfassungsrechtlich gebotene Hauptverhandlungsdichte wurde weiterhin nicht erreicht. Selbst in den Monaten Januar und März 2018, für die das Oberlandesgericht eine "höhere Terminsdichte" annimmt, haben lediglich vier beziehungsweise zwei Termine stattgefunden. Eine Verhandlungsdichte, die ihrerseits den aus dem Beschleunigungsgrundsatz folgenden Mindestanforderungen nicht entspricht, ist erst recht nicht geeignet, eine bereits eingetretene Verfahrensverzögerung zu kompensieren.

66

cc) Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen und die Verzögerung seines Verfahrens kann nicht dadurch kompensiert werden, dass nunmehr die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass andere, zukünftige Verfahren hinreichend beschleunigt verhandelt werden können. Erst recht nach der Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden und dem hierdurch bedingten Neubeginn der Hauptverhandlung zu einem Zeitpunkt, als die Untersuchungshaft bereits über eineinhalb Jahre andauerte, hätte es einer Verhandlungsdichte bedurft, die - mindestens - einen Verhandlungstag pro Woche erreicht.

67

b) Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken enthält keine tragfähige Begründung, die ausnahmsweise - trotz der ungenügenden Verhandlungsdichte - die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnte.

68

aa) Das Oberlandesgericht hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die erschwerte Terminfindung ihre Ursache allein in dem konkreten Strafverfahren hatte und nicht vielmehr darauf zurückzuführen ist, dass die Strafkammer neben dem gegenständlichen Verfahren mehrere weitere, teilweise umfangreiche Haftsachen zu bewältigen hatte. In diesem Zusammenhang hätte sich das Oberlandesgericht insbesondere damit auseinandersetzen müssen, dass bereits die damalige Vorsitzende in ihrer Überlastungsanzeige vom 10. April 2017 mitgeteilt hatte, dass die Strafkammer "in den nächsten Monaten über keinerlei Terminkapazitäten mehr verfügt", und dass auch nach den Überlastungsanzeigen vom 12. September 2017 und vom 12. Dezember 2017 keine Terminskapazitäten mehr bestanden beziehungsweise die Kammer mit Sitzungstagen maximal belastet war. Vor diesem Hintergrund drängt sich auf, dass die geringe Verhandlungsdichte nicht etwa auf die - vom Oberlandesgericht jeweils ausführlich dargelegte - Verhinderung einzelner Verfahrensbeteiligter, insbesondere des Pflichtverteidigers wegen seiner häufigen, teils mehrwöchigen Urlaubsabwesenheit, sondern vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Strafkammer aufgrund ihrer Belastung mit weiteren Verfahren ohnehin keine freien Verhandlungskapazitäten mehr zur Verfügung hatte.

69

Soweit das Oberlandesgericht ausführt, zu Beginn der zweiten Hauptverhandlung sei die Strafkammer zwar stark ausgelastet gewesen, eine Überlastung mit Haftsachen sei aber noch nicht feststellbar, steht dies nicht nur im Widerspruch zur Einschätzung der mit der Sache befassten Strafkammer in ihren wiederholten Überlastungsanzeigen, sondern auch mit dem vom Oberlandesgericht zugleich angeführten Umstand, dass die Kammer auch in zwei weiteren, zeitgleich anhängigen Haftsachen an 32 beziehungsweise 39 Sitzungstagen verhandelt hat.

70

bb) Die vom Oberlandesgericht im Übrigen angeführten Gesichtspunkte - namentlich die Komplexität des Verfahrens, die äußerst schwerwiegenden Tatvorwürfe und die Verfahrensverzögerungen wegen des Verhaltens des Verteidigers - mögen zwar die Untersuchungshaft als solche und die Anzahl der benötigten Hauptverhandlungstage und deren Dauer rechtfertigen, nicht jedoch das Unterlassen einer dichteren Terminierung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 56). Auch die Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden kann als unvorhersehbares, schicksalhaftes Ereignis zwar ausnahmsweise die Fortdauer der Untersuchungshaft auch während der erforderlich werdenden neuen Hauptverhandlung rechtfertigen, nicht aber eine durchgehend zu geringe Termindichte.

71

c) Demgegenüber hat sich das Oberlandesgericht nicht hinreichend mit den Gesichtspunkten auseinandergesetzt, die grundsätzlich geeignet sein können, die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz ungenügender Verhandlungsdichte verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.

72

aa) So verhält sich der Beschluss nicht dazu, ob die Belastungssituation der Strafkammer - wie der Präsident des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) in seiner Stellungnahme vom 3. Dezember 2018 schreibt - erst zu Beginn des Jahres 2017 eingetreten ist und nachweislich - etwa durch eine im Vergleich außergewöhnlich hohe Zahl von Verfahrenseingängen, insbesondere besonders umfangreicher Haftsachen - unvorhersehbar und somit unvermeidbar war, oder ob die Strafkammer bereits vorher dauerhaft, nicht nur vorübergehend überlastet war und damit letztlich eine unzureichende Personalausstattung oder -verwaltung die wesentliche Ursache für die lange Verfahrensdauer ist. Maßgeblich ist dabei nicht der theoretische Deckungsgrad der Strafabteilung des Landgerichts nach dem Personalbedarfsberechnungssystem ("PEBB§Y") der Justizverwaltung, sondern allein die tatsächliche Belastungssituation des zuständigen Spruchkörpers, wie sie sich hier insbesondere aus den zahlreichen Überlastungsanzeigen ergibt. Dabei ist zu beachten, dass es nicht Aufgabe eines Gerichts sein kann, eine strukturell zu geringe Personalausstattung oder eine dauerhafte Überlastung mit Haftsachen durch einen langfristig überobligatorischen Arbeitseinsatz oder eine langfristige Beschränkung ihrer Verhandlungskapazitäten ausschließlich auf Haftsachen zu kompensieren.

73

bb) Auch setzt sich der angegriffene Beschluss nicht mit den von der Justizverwaltung aus Anlass der Überlastungsanzeigen jeweils getroffenen Abhilfemaßnahmen auseinander, die in der Stellungnahme des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz und der dort wiedergegebenen Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) dargestellt sind. Das Oberlandesgericht wäre insoweit gehalten gewesen, ausgehend von der tatsächlichen Belastungssituation der Strafkammer darzulegen, inwieweit die jeweils von der Justizverwaltung getroffenen Maßnahmen nach Art, Zielrichtung und Umfang rechtzeitig, geeignet und hinreichend wirksam waren, um die Voraussetzungen für eine dem Beschleunigungsgebot genügende Verfahrensgestaltung (wieder)herzustellen, oder ob die Justizverwaltung die gebotenen Maßnahmen erst zu einem Zeitpunkt getroffen hat, zu dem eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Verfahrensführung nicht mehr zu gewährleisten war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 35).

74

cc) Für den Fall, dass sowohl eine außergewöhnliche, unvorhersehbare Belastungssituation der Strafkammer anzunehmen ist als auch die Reaktionen der Justizverwaltung hierauf jeweils als ausreichend zu erachten sind, wäre schließlich darzulegen gewesen, ob die - nach Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden neu besetzte - Strafkammer im Rahmen der neu begonnenen Hauptverhandlung das vorliegende Verfahren unter den gegebenen Voraussetzungen tatsächlich hinreichend beschleunigt betrieben hat und etwaige Verfahrensverzögerungen ihre Ursache ausschließlich in dem konkreten Strafverfahren haben.

II.

75

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG verletzt. Der Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht wird unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftfortdauer zu entscheiden haben.

III.

76

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

C.

77

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, juris, Rn. 8). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.

78

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

11
b) An diesen Anforderungen gemessen ist das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Das gilt zunächst im Hinblick auf die Anzahl der wöchentlichen Sitzungstage. Wie sich aus dem Nichtabhilfebeschluss des Oberlandesgerichts ergibt, hat der Senatsvorsitzende bei der Terminierung von Anfang an eine straffe und effiziente Verhandlungsführung angestrebt, so dass das Gericht regelmäßig an zwei Tagen pro Woche (Montag und Mittwoch) verhandelt. Den Ausführungen des Oberlandesgerichts lässt sich entnehmen, dass eine Terminierung auf mehr als zwei Tage pro Woche aufgrund der Besonderheiten , die sich aus dem Auslandsbezug des Verfahrens ergeben, nicht umsetzbar war. Im Hinblick auf die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Verhandlungstage haben das Oberlandesgericht und der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt, dass der Zeitraum der Erkrankung einer erkennenden Richterin insoweit nicht berücksichtigt werden darf. Da zunächst nicht absehbar war, ob die Hauptverhandlung, die bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hatte (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO), unter Mitwirkung der erkrankten Richterin fortgeführt werden konnte, war es mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des gesetzlichen Richters geboten, die Hauptverhandlung bis zum Ablauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Fristen zu unterbrechen, bevor der Verhinderungsfall festgestellt und der Ergänzungsrichter eintreten konnte (BGH, Beschluss vom 8. März 2016 - 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 163 ff.). Überdies hat - worauf der Generalbun- desanwalt zu Recht hingewiesen hat - die etwa einmonatige Unterbrechung der Hauptverhandlung während der Sommerferienzeit bei der Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Verhandlungstage außer Betracht zu bleiben (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, juris Rn. 53), so dass sich bei zutreffender Berechnung ergibt, dass die Hauptverhandlung bislang durchschnittlich an deutlich mehr als einem Tag pro Woche durchgeführt worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 285/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Strafvereitelung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts München II vom 19. Dezember 2005 Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 13. April
und 2. Mai 2006, mit denen die Revision des Angeklagten gegen
das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen worden
ist, werden aufgehoben.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
G r ü n d e :
I .
1 Hinsichtlich der Wiedereinsetzung und der Aufhebung der Verwerfungsbeschlüsse
verweist der Senat auf die Ausführungen der Generalbundesanwältin
in ihrem Antrag vom 12. Juni 2006.
II.
2 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Strafvereitelung zur Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf eine Verfahrensrüge
und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet
im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere auch die von der
Kammer vorgenommene Strafzumessung ist frei von Rechtsfehlern.
3 1. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Mitangeklagte F. in der
Nacht vom 28. auf den 29. Juni 2004 H. mit mehreren Hammerschlägen
auf den Kopf getötet und dessen Geldbörse an sich genommen. Der
Angeklagte sowie die Mitangeklagten B. und M. kamen noch in der
Tatnacht überein, zu Gunsten des F. einen alkoholbedingten Treppensturz
vorzutäuschen. Als dem Angeklagten Bedenken kamen, drohte M.
ihm, wenn er „etwas“ sage, werde er „einen Kopf kürzer“ gemacht. In der
Folgezeit berichteten der Angeklagte und B. gegenüber der Polizei dementsprechend
von einem Treppensturz, während M. wahrheitswidrig angab
, nichts mitbekommen zu haben. Das Tötungsdelikt blieb deshalb zunächst
unentdeckt. In der Nacht vom 30. auf den 31. August 2004 töteten die Mitangeklagten
F. und Br. sodann gemeinschaftlich E. , indem sie
ihm die Kehle durchschnitten; anschließend nahmen sie auch dessen Geldbörse
an sich.
4 Die Kammer hat bei der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt,
dass es zu einem zweiten Raubmord kam. Denn das weitere Tötungsdelikt hat
sie auch als Folge der Strafvereitelungstaten - kollusiv begangen durch Vortäuschen
eines Unfalls - gewertet. Das Urteil führt hierzu aus (bezüglich M.
): Wäre „der Mord an H. nicht vertuscht worden, wäre E. mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch am Leben“; und (bezüglich
des Angeklagten und Batov): „Der durch die Strafvereitelung verursachte ‚Schaden
’, dass es zu einem zweiten Mord unter Beteiligung desselben Täters gekommen
war, konnte durch das spätere Abrücken von der Darstellung als Unfall
nicht wieder gut gemacht werden“ (UA S. 67).
5 2. Gegen die Wertung der Kammer bestehen keine Bedenken. Nach
§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB können verschuldete Auswirkungen der Tat bei der
Strafzumessung berücksichtigt werden. Insoweit kommt es darauf an, ob die
Tatfolgen voraussehbar waren (vgl. BGH NStZ 2005, 156, 157; Tröndle/Fischer,
StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 34). Nicht erforderlich ist, dass der Angeklagte sie in
allen Einzelheiten voraussehen konnte; es genügt, dass sie in ihrer Art und ihrem
Gewicht im Wesentlichen erkennbar waren (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
Tatauswirkungen 3, 4; BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 - 2 StR 638/97 - Umdr.
S. 4).
6 Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass für den Angeklagten die
Gefahr einer weiteren schweren Gewalttat nicht außerhalb des Vorhersehbaren
lag. Schon das Tatbild des ersten Mordes an H. ließ es hier ohne weiteres
für möglich erscheinen, dass sich eine solche oder ähnliche Tat wiederholen
könnte. F. hatte H. in Anwesenheit von Br. getötet, ohne
dass es, wie der Angeklagte selbst wahrgenommen hatte, zuvor zu einem Streit
oder einer ernsthaften Auseinandersetzung gekommen war (UA S. 29 f.). Der
Angeklagte konnte ersichtlich nicht davon ausgehen, dass die Ursache für die
Tat - etwa im Sinne einer Beziehungstat - gerade in der Person des H.
begründet war. Vielmehr war ihm bewusst, dass F. ein finanzielles Motiv
hatte. Vor dem Hintergrund, dass F. und Br. am Monatsende üblicherweise
in Geldnot waren (UA S. 48), antwortete der Angeklagte bei einer polizeilichen
Vernehmung auf die Frage, was er über die Todesfälle denke: „Die
haben damals mitgekriegt, dass der (H. ) eine Riesennachzah-
lung bekommen hat und dann war´s Ende des Monats“ (UA S. 33). Darüber
hinaus ist den Urteilsfeststellungen zu entnehmen, dass der Angeklagte F.
und Br. auch tatsächlich für gefährlich hielt. Dies folgt aus den Angaben
des Angeklagten zu den Gründen, weswegen er F. anfänglich entlastet
habe. Nach den Urteilsfeststellungen äußerte er sich im Ermittlungsverfahren
und in der Hauptverhandlung insbesondere wie folgt: Er sei doch nicht „lebensmüde“
; er habe keine Lust, ein Messer in den Rücken zu bekommen; „die
Russen“ würden zusammen halten (UA S. 24). Daher ergab sich die Möglichkeit
einer weiteren schweren Gewalttat für den Angeklagten zum einen aus der
Gefährlichkeit des F. , zum anderen daraus, dass Anlässe für weitere Taten
abzusehen waren; denn der Beweggrund für die erste Tat, die Geldnot,
pflegte am Monatsende regelmäßig wiederzukehren.
7 Das Prinzip der Selbstverantwortung schließt die Würdigung der Tatfolge
hier nicht aus (in vergleichbarem Sinne mit Blick auf die Schutzrichtung der verletzten
Strafvorschrift G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 325
m.w.N.), sodass es darauf, dass der zweite Raubmord auf einem autonomen
Willensentschluss von F. und Br. beruhte, für die Strafzumessung
nicht ankommt.
Wahl Boetticher Kolz
Hebenstreit Elf

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

9
a) Dem steht nicht entgegen, dass der Vorsitzende des erkennenden Strafsenats beim Oberlandesgericht Stuttgart mit Verfügung vom 2. Mai 2019 sieben Termine aufgehoben hat, denn dies ging - wie auch das Beschwerdevorbringen letztlich nicht in Abrede stellt - auf einen Antrag des Pflichtverteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt M. , zurück, der bereits am vierten Hauptverhandlungstag, dem 11. April 2019, seine Überlastung angezeigt und beantragt hatte, nur noch einmal wöchentlich oder alternativ alle zwei Wochen an zwei Tagen zu verhandeln. Der Angeklagte hatte dazu erklärt, dieser Antrag seines Pflichtverteidigers sei auch sein eigener Antrag. Nachdem der Vorsitzende die Aufhebung der genannten Termine in Aussicht gestellt hatte, erklär- ten sich alle Verfahrensbeteiligten damit einverstanden; der Pflichtverteidiger nahm seinen Antrag, nur einmal wöchentlich zu verhandeln, daraufhin zurück.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).