vorgehend
Landgericht Heidelberg, 4 O 47/14, 29.05.2017
Oberlandesgericht Karlsruhe, 15 U 107/17, 05.12.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 6/18
vom
9. Mai 2019
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zu den Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten, der einen anderen Anwalt mit
der fristwahrenden Einlegung eines Rechtsmittels beauftragt.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 - IX ZB 6/18 - OLG Karlsruhe
LG Heidelberg
ECLI:DE:BGH:2019:090519BIXZB6.18.0

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, Dr. Schoppmeyer und Röhl
am 9. Mai 2019
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 5. Dezember 2017 wird auf Kosten des Beklagten zu 2 zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 115.764,31 € festgesetzt.

Gründe:


I.

1
Der Beklagte zu 2 ist als Gesellschafter einer Rechtsanwalts-GbR - der Beklagten zu 1 - neben dieser und ihrem weiteren Gesellschafter wie ein Gesamtschuldner zur Zahlung von Vergütung für anwaltliche Leistungen verurteilt worden. Das Urteil ist seiner Prozessbevollmächtigten - der Beklagten zu 1 - am 28. Juni 2017 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 7. August 2017 hat die zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, worauf das Oberlandesgericht sie mit Telefax vom 8. August 2017 darauf hingewiesen hat, dass keine Berufung vorliege. Daraufhin hat die Bevollmächtigte mit Schriftsatz, der am 11. August 2017 bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und Berufung eingelegt.
2
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Beklagte zu 2 ausgeführt, er habe der bis dahin stets sorgfältig arbeitenden, den Fristenkalender seit mehr als vier Jahren fehlerlos führenden Rechtsanwaltsfachangestellten H. das Urteil mit der Anweisung ausgehändigt, im Fristenkalender den Ablauf der Berufungsfrist auf den 28. Juli und eine Vorfrist für den 24. Juli 2017 zu notieren und ihm die Erledigung rückzumelden. Dann habe er die Angestellte beauftragt, bei Rechtsanwältin S. anzufragen, ob sie die Vertretung in der Berufungsinstanz übernehme. Das habe diese in einem Telefonat mit der Angestellten Ende der 29. Kalenderwoche zugesagt. Die Angestellte habe der Rechtsanwältin dabei mitgeteilt, dass die Berufungsfrist am 8. August 2017 ablaufe. Rechtsanwältin S. habe das genannte Datum im Fristenkalender eingetragen. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 2017 sei die Mutter der Rechtsanwältin S. bei einem Sturz gestorben. Die Rechtsanwältin habe ihre Mutter mit dem Kopf im Blut liegend aufgefunden und sei danach aufgrund eines körperlichen und psychischen Schockzustandes nicht mehr in der Lage gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Bis zum 6. August 2017 sei sie vollständig arbeitsunfähig gewesen.
3
In der dem Antrag beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Angestellten H. erklärt diese, seit 6 Jahren bei dem Beklagten zu 2 beschäftigt und seitdem auch für das Eintragen der Fristen zuständig zu sein. Der Beklagte zu 2 prüfe die Eintragung und Überwachung jährlich stichprobenartig. Sie habe versehentlich den 8. August 2017 als Ablauf der Berufungsfrist notiert und Rechtsanwältin S. mitgeteilt. Es sei zu der Zeit sehr hektisch gewesen. In der Woche vom 24. Juli bis zum 28. Juli 2017 habe sie die Unterlagen Rechtsanwältin S. übermittelt.
4
Auf Anfrage des Berufungsgerichts hat die Prozessbevollmächtigte des Beklagten mitgeteilt, die Versäumung der Berufungsfrist am 8. August 2017 aufgrund der Mitteilung des Oberlandesgerichtes bemerkt zu haben. Nach dem Tod ihrer Mutter habe sie Frau H. angerufen und gebeten, alle Fristen der von ihr bearbeiteten Fälle des Beklagten zu 2 mit ihr abzugleichen. Frau H. habe auf Nachfrage bezüglich des von Rechtsanwältin S. für den 8. August notierten Ablaufs der Berufungseinlegungsfrist erklärt, an dem Tag ende die Berufungsbegründungsfrist.
5
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu 2 zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2.

II.


6
Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
7
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt : Den Beklagten zu 2 treffe ein Organisationsverschulden. Die eidesstattliche Versicherung der Kanzleikraft spreche dafür, dass die umgehende Notierung der Frist bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs nicht gewährleistet gewesen sei. Vieles spreche dafür, dass die Vorfrist gar nicht notiert worden sei. Auch sei nicht festzustellen, dass eine Rückmeldung der Notierung erfolgt sei. Ein Verschulden treffe auch die zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte. Grundsätzlich sei ein Rechtsanwalt bei Mandatsübernahme verpflichtet , etwaige Fristen eigenverantwortlich zu prüfen. Bei unvorhersehbarer Erkrankung müsse alles noch Mögliche und Zumutbare unternommen werden. Dem habe die Prozessbevollmächtigte nicht genügt. Eine Nachfrage bei der Kanzleikraft des in erster Instanz tätigen Anwalts ersetze eine eigenständige Kontrolle der Fristen nicht. Zu einer Kontrolle sei die Prozessbevollmächtigte auch angesichts der Schocksituation in der Lage gewesen. Sollte ihr eine eigenständige Überprüfung nicht mehr möglich gewesen sein, hätte sie den Beklagten oder einen Kollegen mit der Fristenüberprüfung beauftragen können. Ihr Telefonat mit der Kanzleikraft widerlege, dass sie schon zu einem einfachen Telefonat nicht mehr in der Lage gewesen wäre.
8
2. Ob dieser Begründung in allen Punkten zu folgen ist, kann dahinstehen. Im Ergebnis hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten zu 2 auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist mit Recht abgelehnt. Nach dem von dem Beklagten zu 2 vorgetragenen Hergang ist er an der Versäumung der Berufungsfrist nicht schuldlos (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).
9
a) Bereits die Eintragung der Berufungsfrist war unzureichend organisiert. Hat der Beklagte zu 2 seiner Kanzleiangestellten das Urteil mit der Anweisung ausgehändigt, im Fristenkalender den Ablauf der Berufungsfrist auf den 28. Juli 2017 sowie eine Vorfrist für den 24. Juli 2017 zu notieren und ihm die Erledigung rückzumelden, kann ein Organisationsverschulden entgegen dem Berufungsgericht zwar nicht daraus hergeleitet werden, dass Vorfristennotierung und Rückmeldung nicht festzustellen seien. Die Eintragung einer Vorfrist ist für die Berufungsfrist grundsätzlich nicht erforderlich. Ordnet der Anwalt sie in überobligatorischer Weise gleichwohl an, werden dadurch die ihn treffenden Organisationspflichten nicht verschärft (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455 Rn. 8).
10
Grundsätzlich braucht ein Rechtsanwalt auch nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen und kann darauf vertrauen, dass eine sonst zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Weisungen richtig befolgt. Bei einem so wichtigen Vorgang wie der Notierung einer Berufungsfrist müssen aber ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass die mündliche Einzelweisung zu ihrer Eintragung auch fehlerfrei befolgt und die Frist richtig notiert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91, NJW 1992, 574; vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 309/04, AnwBl 2007, 236). Im Streitfall fehlte es an einer entsprechenden Vorkehrung. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, dass das Fehlen jeglicher Sicherung bei der mündlichen Vermittlung der Notierung der Berufungsfrist einen entscheidenden Organisationsmangel darstellt (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991, aaO; vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689; vom 21. Dezember 2006, aaO).
11
b) Als Sorgfaltsverstoß ist dem Beklagten zu 2 weiter anzulasten, dass er vor der Weisung an die Angestellte zur Übermittlung des Rechtsmittelauftrags keine Fristenprüfung vorgenommen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Anwalt die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung einer Frist, ihrer Notierung auf den Handakten, zur Eintragung im Fristenkalender sowie zur Bestätigung der Kalendereintragung durch einen Erledigungsvermerk auf den Handakten stets eigenverantwortlich zu prüfen, wenn er im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit der Sache befasst wird (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2014 - XII ZB 709/13, WM 2015, 257 Rn. 14; vom 15. September 2015 - VI ZB 37/14, WM 2015, 2163 Rn. 7). Dabei darf sich der Anwalt zur Prüfung, ob das zutreffende Fristende im Fristenkalender notiert worden ist, grundsätzlich auf den Erledigungsvermerk in der Handakte beschränken (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; vom 12. November 2013 - II ZB 17/12, WM 2014, 422 Rn. 15). Die Prüfungspflicht gilt auch dann, wenn der Anwalt die routinemäßige Fristkontrolle sorgfältig geschulten und überwachten Angestellten zulässigerweise übertragen hat (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZB 46/14, WM 2015, 785 Rn. 9). Die Pflicht hängt auch nicht davon ab, dass dem Anwalt die Handakten zugleich mit vorgelegt worden sind. Ist das nicht der Fall, muss er veranlassen, dass sie ihm vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2014, aaO; MünchKomm-ZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 233 Rn. 143).
12
Diesen Prüfungspflichten hat der Beklagte zu 2 nicht genügt, bevor er die Kanzleiangestellte anwies, Rechtsanwältin S. mit der Durchführung der Berufung zu beauftragen, denn sowohl die der Anweisung zugrundeliegende Entscheidung, Berufung einzulegen, die überdies eine Prüfung der Aussichten des Rechtsmittels voraussetzt, wie die Entscheidung, für die Berufungsinstanz eine andere Anwältin zu beauftragen, stellten eine Befassung mit der Sache in Hinsicht auf die Rechtsmitteleinlegung dar.
13
c) Der Beklagte zu 2 hätte auch seine Anweisung zur Übermittlung des Rechtsmittelauftrags darauf richten müssen, dass die für den Berufungsrechtszug zu beauftragende Anwältin über das - in dem Zuge anwaltlich geprüfte - Zustellungsdatum informiert werde. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Rechtsanwalt, der einem anderen einen Rechtsmittelauftrag erteilt, dem beauftragten Rechtsanwalt eigenverantwortlich in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise die für die fristgemäße Einlegung und Begründung des Rechtsmit- tels erforderlichen Daten zu übermitteln (BGH, Beschluss vom 4. April 2000 - VI ZB 3/00, NJW 2000, 3071 f). Zu den in eigener Verantwortung wahrzunehmenden Sorgfaltspflichten des den Auftrag erteilenden Rechtsanwalts gehört dabei insbesondere, dafür zu sorgen, dass der Rechtsmittelanwalt über das Datum der Zustellung des anzufechtenden Urteils zutreffend unterrichtet wird (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1985 - IX ZR 28/85, VersR 1986, 462; vom 22. November 1990 - I ZB 13/90, NJW-RR 1991, 828, 829). Diese Aufgaben darf der Rechtsanwalt auch nicht seinem Büropersonal übertragen, mag dieses auch noch so gut geschult und überwacht sein, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2004 - XII ZR 253/03, NJW-RR 2004, 1148, 1149). Die Übermittlung der Daten hat regelmäßig schriftlich zu erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2000, aaO S. 3072; vom 10. April 2003 - VII ZR 383/02, NJW 2003, 2100). Erfolgt die Übermittlung ausnahmsweise fernmündlich, so besteht eine besondere Kontrollpflicht, um Missverständnisse zuverlässig auszuschließen (BGH, Beschluss vom 4. April 2000, aaO). Weiterhin gebietet es die gesteigerte Sorgfaltspflicht, die dem Instanzanwalt in Fristangelegenheiten obliegt, im Regelfall, dass er den fernmündlich erteilten Berufungsauftrag schriftlich bestätigt und hierbei auch das Zustellungsdatum nochmals angibt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 1990 - VIII ZB 24/90, NJW-RR 1991, 91).
14
Diesen - für den Prozessbevollmächtigten der abgeschlossenen Instanz unabhängig von der eigenen Prüfungspflicht des Rechtsmittelbevollmächtigten bestehenden (BGH, Beschluss vom 22. November 1990, aaO; Stein/Jonas/ Roth, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 50) - Pflichten hat der Beklagte zu 2 als in eigener Sache tätiger Anwalt nicht genügt. Eigenem Vorbringen nach hat er seine Kanzleiangestellte lediglich beauftragt, bei Rechtsanwältin S. anzufragen, ob diese die Vertretung im Berufungsverfahren übernehme, woraufhin die An- gestellte ein Telefonat mit der Rechtsanwältin geführt habe. Das Zustellungsdatum ist zuvor nicht anwaltlich geprüft worden. Ein Auftragsschreiben mit der Angabe des Zustellungsdatums ist weder angefertigt, noch die Kanzleikraft angewiesen worden, der zu bevollmächtigenden Anwältin das Zustellungsdatum zumindest mündlich mitzuteilen, geschweige denn ist die Ausführung kontrolliert worden. Der Angestellten stand es - wie geschehen - frei, der Rechtsmittelanwältin nicht das Zustellungsdatum, sondern lediglich das von ihr falsch notierte und anlässlich des Rechtsmittelauftrags anwaltlich nicht mehr überprüfte Fristende mitzuteilen.
15
d) Diese Organisationsmängel waren für die Fristversäumung ursächlich. Wäre in der Kanzlei des Beklagten zu 2 die Frist nicht falsch notiert, der Fehler bei der gebotenen Prüfung vor der Erteilung des Rechtsmittelauftrags korrigiert oder das Zustellungsdatum der Rechtsmittelanwältin mitgeteilt worden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 14) die Berufungsfrist nicht versäumt worden.
16
aa) Dabei kann dahinstehen, ob die Rechtsmittelbevollmächtigte, wie vom Beklagten zu 2 geltend gemacht, ab dem 23. Juli 2017 bis zum Ende der Rechtsmittelfrist krankheitsbedingt zu einer eigenen Prüfung der Frist nicht mehr in der Lage war. Selbst wenn das der Fall war, können sich die anwaltlichen Versäumnisse des Beklagten zu 2 oder seiner erstinstanzlichen Bevollmächtigten auf die Fristversäumung ausgewirkt haben. Nur wenn dies auszuschließen wäre, könnte trotz des Verschuldens Wiedereinsetzung gewährt werden (BGH, Beschluss vom 21. September 2000 - IX ZB 67/00, NJW 2000, 3649, 3650). Besteht hingegen die Möglichkeit, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht, scheidet eine Wiedereinsetzung aus (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94, NJW 1994, 2831).
17
Das Wiedereinsetzungsvorbringen bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass es zur Fristversäumung auch ohne die dargestellten Organisationsmängel gekommen wäre. Hätten die erstinstanzlichen Bevollmächtigten das Gebotene getan, wäre die falsche Eintragung der Berufungsfrist aller Voraussicht nach berichtigt und an Rechtsanwältin S. das richtige Zustellungsdatum übermittelt worden. Der Rechtsmittelbevollmächtigten wäre dann bereits zum Zeitpunkt der Auftragserteilung, als ihre Arbeitsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war, der baldige Fristablauf erkennbar gewesen. Auch wenn Rechtsanwältin S. in der nachfolgenden Woche infolge der Unfähigkeit, einen klaren Gedanken zu fassen, nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte, die Frist eigenständig zu prüfen oder die Notwendigkeit ihrer anwaltlichen Prüfung zu erkennen, war sie dem Wiedereinsetzungsvorbringen zufolge nicht etwa zur Gänze handlungsunfähig. Vielmehr informierte sie vor Fristablauf die Kanzlei des Beklagten zu 2 über ihre Erkrankung und bemühte sich überdies, mit einem "Abgleich" der Fristen dafür Sorge zu tragen, dass nichts übersehen werde. Sie fragte sogar noch einmal nach, als die Kanzleiangestellte das zuvor für die Berufungsfrist mitgeteilte Datum des 8. August 2017 nunmehr als Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bezeichnete. Dass die Anwältin, die auch nach der Erkrankung alle ihr noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen musste, auch zur bloßen Einlegung der Berufung, hätte sie sich nicht im Irrtum über die Frist befunden, nicht im Stande gewesen wäre, ist danach bereits nicht sicher. Im Übrigen erscheint möglich, dass die Kanzlei des Beklagten zu 2, nachdem die Erkrankung der beauftragten Anwältin bekannt geworden war, im Blick auf den baldigen Fristablauf selbst für eine rechtzeitige Einlegung der Berufung gesorgt hätte.

18
bb) Allein die Möglichkeit, dass die Fristversäumung trotz des Verschuldens des Beklagten zu 2 noch vermieden worden wäre, wenn die Rechtsmittelanwältin die Frist eigenständig geprüft hätte, rechtfertigt die Wiedereinsetzung auch dann nicht, wenn eine gebotene Prüfung unverschuldetunterblieben ist. Die Versäumung der Frist beruht auch dann auf einem von der Partei zu vertretenden Umstand, wenn dieser nur in kumulativem Zusammenwirken mit einem weiteren, nicht von ihr verschuldeten Umstand ihre Nichteinhaltung verursacht hat (BeckOK-ZPO/Wendtland, 2019, § 233 Rn. 15; vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2016 - XII ZB 684/14, WM 2016, 1854 Rn. 25). Wiedereinsetzung kann demgemäß nicht schon dann gewährt werden, wenn Partei oder Prozessbevollmächtigten ein nur mitursächliches Verschulden trifft (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2016, aaO; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 31). Ob die Rechtsmittelbevollmächtigte eine eigene Fristenprüfung unverschuldet unterlassen hat, kann daher dahinstehen.
19
cc) Mitursächliches Verschulden der Partei oder ihres Vertreters steht der Wiedereinsetzung nur dann nicht entgegen, wenn es hinter eine wesentliche andere Ursache zurücktritt, und damit bei wertender Würdigung des Ursachenverlaufs die rechtliche Erheblichkeit des Verschuldens von Partei oder Anwalt zu verneinen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1984 - IVb ZB 103/84, ZIP 1985, 640, 641 f; vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778 Rn. 11; vom 27. Januar 2016, aaO Rn. 25; BeckOK-ZPO/Wendtland, 2018, § 233 Rn. 13; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 31). Das ist etwa angenommen worden, wenn der Rechtsanwalt zwar schuldhaft einen Schriftsatz zu unterschreiben vergisst, dies aber rechtzeitig bemerkt worden wäre, wenn der Bürovorsteher es nicht unterlassen hätte, die ausgehende Post weisungsgemäß in dieser Hinsicht zu prüfen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1984, aaO).
20
So ist der Streitfall nicht zu beurteilen. Das Vorgehen des Beklagten zu 2, den Rechtsmittelauftrag in der Woche vor Fristablauf telefonisch durch seine Angestellte übermitteln zu lassen, ohne das Zustellungsdatum überprüft zu haben und die Angestellte zu instruieren, die zu beauftragende Anwältin hierüber zu informieren, barg schon die besondere Gefahr, dass die Rechtsmittelbevollmächtigte , der die Akten auch erst in der folgenden Woche übermittelt worden sind, nicht zutreffend informiert werden würde. Hinsichtlich dieser Handhabung ist nicht ein Routinefehler zu erinnern, sondern die Unterlassung einer wichtigen fristsichernden Maßnahme.
21
e) Ein Hinweis des Berufungsgerichts an den Beklagten zu 2, dass er eine hinreichende Organisation des Fristenwesens in seiner Kanzlei nicht dargelegt habe, war nicht geboten. Die Anforderungen, welche die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369; vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, WM 2016, 1558 Rn. 13). Entsprechendes gilt im Hinblick auf solche Sicherungsmaßnahmen, die im Falleeiner Einzelweisung dagegen zu treffen sind, dass sie nicht richtig befolgt wird (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015, aaO).
Kayser Gehrlein Grupp
Schoppmeyer Röhl
Vorinstanzen:
LG Heidelberg, Entscheidung vom 29.05.2017 - 4 O 47/14 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 05.12.2017 - 15 U 107/17 -

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juli 2014 - XII ZB 709/13

bei uns veröffentlicht am 09.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB709/13 vom 9. Juli 2014 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO §§ 233 Satz 1 und 2 Fc, 85 Abs. 2 a) Wird die Handakte eines Rechtsanwalts allein elektronisch geführt, m
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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2019 - IX ZB 13/19

bei uns veröffentlicht am 12.09.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 13/19 vom 12. September 2019 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 Fb, Fc, Fd a) Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis für eine Urteilszustellung erst unte

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Eintragung einer Vorfrist für die Berufungsfrist - im Gegensatz zur Berufungsbegründungsfrist (vgl. insoweit Senatsbeschlüsse vom 25. Juni 1997 - XII ZB 61/97 - NJW-RR 1997, 1289 und vom 20. April 1994 - XII ZB 47/94 - FamRZ 1994, 1519, 1520; BGH Urteil vom 19. November 1976 - IV ZR 36/76 - VersR 1977, 332; Beschlüsse vom 21. Februar 1974 - VII ZB 4/74 - VersR 1974, 756 und vom 30. November 1951 - I ZB 14/51 - NJW 1952, 183) - grundsätzlich nicht erforderlich (BGH Beschluss vom 24. Mai 1973 - III ZB 5/73 - VersR 1973, 840). Wenn der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gleichwohl auch hinsichtlich der Berufungsfrist mit einer doppelten Fristenkontrolle eine über das gebotene Maß hinausgehende organisatorische Sicherung angeordnet hat, kann dies jedenfalls nicht zu einer Verschärfung der ihn treffenden Sorgfaltspflichten führen (BGH Urteil vom 19. Dezember 1991 - VII ZR 155/91 - NJW 1992, 1047).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 50/03
vom
4. November 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen
sein, daß eine mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine
Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät
und die Fristeintragung deshalb unterbleibt.

b) Werden die (gegen das Vergessen einer lediglich mündlichen Anweisung) getroffenen
organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung
gegen die Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht
, ist ein Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2
ZPO) zu vermuten und der Antrag zurückzuweisen.
BGH, Beschluß vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - LG Saarbrücken
AG Saarbrücken
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. November 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß der 13. Zivilkammer A des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juli 2003 wird als unzulässig verworfen. Der Kläger hat auch die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 1.565,74

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 17. April 2003 die Klage abgewiesen. Die Berufungsfrist lief am 30. Mai 2003 ab. Die Berufung des Klägers ist am 17. Juni 2003 zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beim Landgericht eingegangen. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, er habe am 13. Mai 2003 seine Prozeßbevollmächtigten mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt. Der die Sache bearbeitende Assessor T. habe die Unterlagen zur Neuanlage der Akte, Notierung der Berufungsfrist auf den 30. Mai 2003 und der Berufungsbegründungsfrist auf den 30. Juni 2003 an die Fachangestellte C. verfügt. Bei einer
routinemäßigen Durchsicht der Akte zur Vorbereitung der Berufungsbegründung am 13. Juni 2003 habe T. festgestellt, daß die Berufung nicht eingelegt war und die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im Terminbuch nicht eingetragen gewesen seien. Auf Frage habe die Mitarbeiterin C. mitgeteilt, sie habe trotz entsprechender Weisung versäumt, die Fristen einzutragen. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 8. Juli 2003 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen. Der Kläger habe nichts dazu vorgetragen, in welcher Form der Fristenkalender bei seinen Prozeßbevollmächtigten geführt werde, ob hier eine Wiedervorlagefrist verfügt und ob der Zustellungstag in der Handakte vermerkt worden sei. Eine Überprüfung, ob die Fristeneintragung und -überwachung ausreichend organisiert gewesen sei, sei nicht möglich. Von einem fehlenden Verschulden des zweitinstanzlichen Anwalts an der Fristversäumung könne daher nicht ausgegangen werden. Gegen den ihm am 18. Juli 2003 zugestellten Beschluß des Landgerichts hat der Kläger am 12. August 2003 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Begründungsfrist am 18. September 2003 begründet.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist entgegen der Ansicht des Klägers zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO) nicht erforderlich.
1. Eine Divergenz (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 – NJW-RR 2003, 1366; BGHZ 151, 221, 225 f.) macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend. 2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 – aaO; BGHZ aaO). Das kann insbesondere auch bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Fall sein, etwa wenn der angefochtene Beschluß die Partei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BGH, Beschluß vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - VersR 2003, 1144, 1146, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - aaO) beeinträchtigt. Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten muß nach den Darlegungen des Beschwerdeführers im Einzelfall klar zutage treten, also offenkundig sein; ferner muß die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen (vgl. BGHZ aaO und BGH, Beschluß vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - aaO). Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einem entscheidungserheblichen klar zutage tretenden Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte des Klägers; sie ist zudem einzelfallbezogen und erfordert deshalb keine korrigierende Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
a) Dies gilt insbesondere, soweit das Berufungsgericht Angaben zur allgemeinen Organisation und Fristenkontrolle vermißt, obwohl der Kläger eine
Einzelanweisung seines Berufungsanwalts im konkreten Fall zur Fristeintragung vorgetragen hat, die von der Fachangestellten versehentlich nicht berücksichtigt worden sei. Die Rechtsbeschwerde verkennt die für einen solchen Fall in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren , wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Das ist hier nicht der Fall. Die Versäumung der Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. aa) Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels setzt voraus, daß die Berufungsschrift rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muß der Anwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen (vgl. BGH, Beschluß vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - VersR 2002, 380, 381). Dabei setzt eine wirksame Fristenkontrolle voraus, daß Fristen zur Einlegung und Begründung von Rechtsbehelfen deutlich als solche gekennzeichnet werden. Sie müssen so notiert werden, daß sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen unterscheiden (vgl. BGH, Beschluß vom 21. Juni 2000 - XII ZB 93/00 - VersR 2001, 607, 608). Ferner obliegt dem Prozeßbevollmächtigten eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, daß fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Er hat sicherzustellen , daß eine Frist im Fristenkalender erst dann als erledigt gekennzeichnet wird, wenn der Schriftsatz abgesandt oder zumindest postfertig gemacht ist (vgl. BGH, Beschluß vom 2. März 2000 - V ZB 1/00 - VersR 2000, 1564). Daß die Organisation der Fristenkontrolle im Büro seines Prozeßbevollmächtigten diesen Anforderungen genügt hätte, hat der Kläger weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Das Berufungsgericht hat hiernach ohne Rechtsfehler ein
Verschulden des Klägers bzw. seines Prozeßbevollmächtigten für nicht ausgeschlossen erachtet und dementsprechend den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 1995 - I ZB 15/95 - VersR 1996, 256, 257 und vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94 - VersR 1995, 72, 73). bb) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang darauf, vorliegend komme es auf die allgemeine Organisation der Fristenkontrolle im Büro der Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht an, weil die Fachangestellte eine auf den konkreten Fall bezogene Einzelanweisung zur Fristeintragung versehentlich nicht befolgt habe. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers hierzu nicht übergangen und nicht gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen. Allerdings braucht ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - VersR 1992, 764, 765). Im allgemeinen kann er ferner darauf vertrauen, daß eine sonst zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Weisungen richtig befolgt (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185, 186). In der Anwaltskanzlei müssen jedoch ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, daß die mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. September 2002 - VI ZR 419/01 - NJW 2002, 3782, 3783 und vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435, 436). Wenn ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungsfrist nur mündlich vermittelt wird, dann bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - aaO).

b) Aus demselben Grund ist auch keine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzunehmen. Der Rechtsbeschwerde kann nicht darin gefolgt werden, daß auch bei Beachtung der erforderlichen Organisationsmaßnahmen die Fehlleistung der Büroangestellten nicht vermieden worden wäre. Sie verkennt, daß es nicht darum geht, die Möglichkeit eines Fehlers auszuschließen. Es muß vielmehr Vorsorge dagegen getroffen werden, die Folgen eines Fehlers von Büroangestellten möglichst zu vermeiden. Das aber wäre durch eine Kontrolle der Fristeintragung erreicht worden, beispielsweise in Form der vom Berufungsgericht vermißten Wiedervorlageanweisung, wozu selbstverständlich auch deren Vermerk gehört, oder durch einen deutlich sichtbaren Vermerk auf der Handakte, wenn dessen Bearbeitung durch eine weitere Person sichergestellt worden wäre.
c) Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich einer auf den konkreten Fall bezogenen Einzelanweisung verstoßen hätte. Die hierzu aufgestellten Grundsätze (etwa zum Vertrauen auf die Ausführung durch eine bisher zuverlässige Büroangestellte - vgl. BGH, Beschluß vom 18. Februar 1998 - VIII ZB 1/98 - NJW-RR 1998, 932) betrafen die Übermittlung eines Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht oder eine eigenmächtige Berechnung der
Rechtsmittelfrist trotz anderweitigem Vermerk auf einem Handzettel (vgl. BGH, Beschluß vom 23. November 2000 - IX ZB 83/00 - VersR 2002, 211 f.). Hier dagegen geht es um die unterlassene Ausführung einer lediglich mündlich erteilten Anweisung über die Eintragung einer Rechtsmittelfrist, die schon aufgrund allgemeiner Anweisung hätte sichergestellt werden müssen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
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Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier der Einlegung der Beschwerde - mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auf welche Weise (herkömmlich oder elektronisch) die Handakte geführt wird, ist hierfür ohne Belang. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht. Dass die Handakte ausschließlich elektronisch geführt wird, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass den Rechtsanwalt im Ergebnis geringere Überprüfungspflichten als bei herkömmlicher Aktenführung treffen.
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Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Rechtsanwalt die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache nachprüfen muss, wenn ihm diese zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts , dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Mai 2011 - VI ZB 4/11, juris Rn. 6; BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Beschlüsse vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183 f.; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03, NJW-RR 2005, 498, 499).
6
4. a) Mit dieser Rechtsprechung weicht das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Danach hat der Anwalt die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung einer Frist, ihrer Notierung auf den Handakten, zur Eintragung im Fristenkalender sowie zur Bestätigung der Kalendereintragung durch einen Erledigungsvermerk auf den Handakten stets zu prüfen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Zwar erstreckt sich die Pflicht zur Prüfung auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Doch kann sich der Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender wie hier ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich an der Richtigkeit insoweit keine Zweifel auf, braucht der Rechtsanwalt nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. April 2007 - VI ZB 66/06 - NJW 2007, 2332 und vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - NJW 2007, 1597, 1598; BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - VersR 2007, 520 f.; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435 f. unter II. 3.; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183 f. unter II. 1. und 2.; vom 22. Januar 1997 - XII ZB 195/96 - VersR 1997, 598, 599 unter 1. und vom 22. September 1971 - V ZB 7/71 - VersR 1971, 1125 f. unter 1.; Urteil vom 1. Juli 1976 - III ZR 88/75 - VersR 1976, 1154 f. unter II.; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 233 Rn. 23 Stichwort Fristenbehandlung ; Born, NJW 2005, 2042, 2046). Andernfalls würde die Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, die jedoch aus organisatorischen Gründen erforderlich und deshalb zulässig ist.
15
aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, 1816; Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 Rn. 7; Beschluss vom 22. September 2011 - III ZB 25/11, juris Rn. 8). Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 Rn. 7; Beschluss vom 25. Oktober 2012 - IX ZB 124/10, juris Rn. 5).
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bb) Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt den Fristablauf ursprünglich selbst berechnet oder ob er die routinemäßige Fristberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juli 1959 - IV ZR 57/59, VersR 1959, 814, 815; vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91, VersR 1992, 1153; vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96; Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rn. 11). Denn die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbständig zu überprüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristenkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen (Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 1976 - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; vom 8. Januar 2013 - VI ZB 52/12, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96; Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rn. 11).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZR 253/03
vom
7. April 2004
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zu den Sorgfaltsanforderungen eines Rechtsanwalts bei der Beauftragung eines am
Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalts mit der Einlegung eines Rechtsmittels
(hier: unzweideutige Bezeichnung des Rechtsmittelklägers).
BGH, Beschluß vom 7. April 2004 - XII ZR 253/03 - OLG Brandenburg
AG Bernau
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. April 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick und Prof. Dr. Wagenitz, die
Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist wird zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 2. Senats für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 6. November 2003 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1.824 € festgesetzt.

Gründe:


I.

Die Parteien streiten um Kindesunterhalt. Das Amtsgericht hat die Beklagte , die Mutter der Klägerin, zu monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 249 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil teilweise abgeändert und die Unterhaltspflicht für die Zeit ab Septem-
ber 2003 auf monatlich 97 € herabgesetzt. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Das Berufungsurteil ist der Klägerin am 28. November 2003 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hatte ihr Verfahrensbevollmächtigter zunächst namens der Beklagten Revision eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 25. Februar 2004 wieder zurückgenommen hat. Mit Schriftsätzen vom 26. Februar 2004 hat er für die Klägerin Revision eingelegt und diese begründet. Zugleich hat er wegen der Verwechslung der Parteien Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist beantragt.

II.

Die Revision ist mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie verspätet eingelegt worden ist und eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist nicht in Betracht kommt (§§ 552, 230 ff. ZPO). 1. Für die Klägerin ist eine Revision gegen das Berufungsurteil nicht rechtzeitig eingelegt worden. Zur wirksamen Einlegung einer Revision gehört auch die unzweideutige Bezeichnung des Rechtsmittelklägers (BGH, Beschlüsse vom 13. Juli 1988 - VIII ZR 65/88 - NJW-RR 1988, 1528; vom 18. Dezember 1985 - VIII ZR 278/85 - VersR 1986, 471 und vom 25. Juni 1986 - IVb ZB 67/86 - BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Parteibezeichnung Nr. 1). Danach konnte die - später folgerichtig zurückgenommene - Revision vom 23. Dezember 2003 die Revisionsfrist für die Klägerin nicht gewahrt haben, weil darin die Parteirollen
gerade vertauscht waren und die Beklagte als Revisionsklägerin bezeichnet wurde. Zwar ist den Belangen der Rechtssicherheit des Verfahrens auch dann genügt, wenn eine verständige Würdigung des Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung jeden Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausschließt (BGHZ 21, 168, 173). Das ist hier indes nicht der Fall. In der Revisionsschrift vom 23. Dezember 2003 war nicht die Klägerin, sondern die Beklagte als Revisionsklägerin bezeichnet worden. Auch aus dem beigefügten Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ließ sich nicht entnehmen, daß die Revision für die Klägerin eingelegt werden sollte. Durch das angefochtene Urteil waren sowohl die Klägerin als auch die Beklagte beschwert. Innerhalb der Revisionsfrist war nicht festzustellen, daß tatsächlich nicht die Beklagte, sondern die Klägerin Revision einlegen wollte. 2. Der Klägerin kann auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist gewährt werden, weil die Fristversäumung auf einem ihr zurechenbaren Verschulden ihres in zweiter Instanz tätigen Rechtsanwalts beruht. Nach ständiger Rechtsprechung trifft den in der Vorinstanz aufgetretenen Prozeßbevollmächtigten bei Erteilung eines schriftlichen Rechtsmittelauftrags die Pflicht zur eigenverantwortlichen Überprüfung der für die Einlegung des Rechtsmittels notwendigen Förmlichkeiten (BGH, Beschluß vom 13. Februar 2001 - VI ZB 34/00 - NJW 2001, 1579). Entscheidend hierfür ist, daß sich der Rechtsmittelanwalt insoweit auf seine Angaben verlassen muß, weil ihm - solange keine Handakten vorliegen - die notwendige anwaltliche Überprüfung der Förmlichkeiten nicht möglich ist (BGH, Beschluß vom 16. April 1996 - VI ZR 362/95 - NJW 1996, 1968 m.w.N.). Diese Sorgfalt muß auch für die Angabe der richtigen Parteibezeichnung an die Revisionsanwälte verlangt werden (BGH, Beschlüsse vom 24. November 1981 - VI ZB 11/81 - VersR 1982, 191 und vom
21. September 1981 - II ZB 6/81 - VersR 1981, 1178). Insoweit war der in zweiter Instanz aufgetretene Rechtsanwalt noch als Prozeßbevollmächtigter der Klägerin tätig; sein Verschulden ist daher gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Klägerin zuzurechnen. Der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat hinsichtlich der Fristversäumung schuldhaft gehandelt, indem er dem am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eine falsche Partei als Revisionsklägerin bezeichnet hat. Nach dem Vortrag der Klägerin ist der Auftrag zur Einlegung der Revision am 22. Dezember 2003 telefonisch erteilt worden; dabei ist die Revisionsklägerin nicht konkret benannt worden. Die fehlerhafte Bezeichnung der Prozeßbevollmächtigten im Berufungsurteil war ihm ausweislich der eigenen eidesstattlichen Versicherung seinerzeit selbst nicht aufgefallen. Deswegen hat er in seinem Schreiben an den Revisionsanwalt vom 22. Dezember 2003 fehlerhaft die Beklagte statt der Klägerin als Revisionsklägerin bezeichnet. Zwar ist in dem Schreiben selbst lediglich "die Übernahme der Vertretung in der Revisionsinstanz" erwähnt, ohne die Person der Revisionsklägerin konkret zu benennen. Der Bezug auf das beigefügte Berufungsurteil sprach aber eindeutig für die Beklagte als Revisionsklägerin, weil beide Parteien durch das Urteil beschwert waren und die Beklagte im Rubrum als seine Mandantin bezeichnet war. Nur das war für den Revisionsanwalt ersichtlich. Das Verschulden des Instanzanwalts liegt darin, daß er nicht zuvor, spätestens bei Erteilung des Rechtsmittelauftrags , die Formalien des angefochtenen Urteils geprüft hat. Ein Rechtsmittelauftrag unter Hinweis auf das übersandte anzufechtende Urteil genügt den Sorgfaltsanforderungen nur dann, wenn dessen Formalien zuvor als zutreffend festgestellt worden sind. Diese Aufgaben darf der Rechtsanwalt auch nicht seinem Büropersonal übertragen, mag dieses auch noch so gut geschult und überwacht sein, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu prüfen (BGH, Be-
schlüsse vom 13. Juli 1988 aaO.; vom 29. April 1982 - I ZB 2/82 - VersR 1982, 769).
Hahne Sprick Wagenitz Vézina Dose

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 383/02
vom
10. April 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur Organisation der Fristenkontrolle, wenn die Partei durch zwei Prozeßbevollmächtigte
vertreten wird.
BGH, Beschluß vom 10. April 2003 - VII ZR 383/02 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. April 2003 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Kuffer,
Prof. Dr. Kniffka und Bauner

beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. September 2002 wird verworfen. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen der Nebenintervention. Der Verfahrenswert beträgt 161.666,53

Gründe:

I.

Die Klägerin wurde vor dem Berufungsgericht von den Rechtsanwälten S. & Partner, Leipzig, sowie von Rechtsanwalt F., Bad Homburg, vertreten. Das Berufungsurteil, in dem die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ihre Klage abgewiesen wurde, wurde den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin je-
weils am 20. September 2002 zugestellt. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin hat nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (Montag, 21. Oktober 2002) am 6. November 2002 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gestellt. Zur Wiedereinsetzung hat sie glaubhaft gemacht: Ihre Prozeßbevollmächtigten hätten vereinbart, daß die Fristenkontrolle allein von Rechtsanwalt F. geführt werden sollte. In dessen Kanzlei werde die Post vom Anwaltskollegium gemeinsam geöffnet und anschließend einer Mitarbeiterin übergeben, welche die Post auf die Dezernate verteile. Dort werde die Frist in einen manuellen und einen elektronischen Kalender (System Rechtsanwalt Micro) eingetragen. Die zuständige Mitarbeiterin Fe., die seit 18 Jahren als Anwaltsgehilfin tätig sei und der bisher niemals Fehler bei der Fristenkontrolle und Fristeneintragung unterlaufen seien, habe die Frist am Tage des Zugangs des Urteils zutreffend für den 21. Oktober 2002 eingetragen. Sie habe jedoch die Frist am 24. September 2002 aus dem manuellen und elektronischen Kalender gestrichen, als die Rechtsanwälte S. & Partner, Leipzig, die ihnen übersandte Urteilsabschrift geschickt hätten. Frau Fe. sei dabei irrig davon ausgegangen, sie habe eine vom Gericht zugestellte Urteilsausfertigung vor sich. Sie habe deshalb die neue Frist auf 24. Oktober 2002 notiert und damit gegen die Weisung verstoßen, unbearbeitete Fristen nicht ohne Rücksprache mit dem Rechtsanwalt zu streichen. Rechtsanwalt F. habe die Fristversäumung erst am 24. Oktober 2002 bemerkt.

II.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht innerhalb der Frist des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO eingelegt und deshalb zu verwerfen. 2. Der form- und fristgerecht eingelegte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Klägerin war nicht ohne das ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten verhindert, die Frist einzuhalten. Die Klägerin hat nicht dargetan, daß beide Prozeßbevollmächtigte ihre Pflichten im Rahmen der Fristenkontrolle erfüllt haben.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 23. Oktober 1990 - VI ZR 105/90, BGHZ 112, 345, 347; ebenso BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1983 - 1 B 152/83, NJW 1984, 2115; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 172 Rn. 9 m.w.N.) ist für den Fall, daß eine Partei durch mehrere Prozeßbevollmächtigte vertreten wird, für den Beginn des Laufs der Berufungsfrist auf die zeitlich erste Zustellung an einen der Prozeßbevollmächtigten abzustellen. Gleiches gilt für den Lauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ; denn gemäß § 84 ZPO sind mehrere Prozeßbevollmächtigte berechtigt, sowohl gemeinschaftlich als einzeln die Partei zu vertreten. Eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle war daher nur gewährleistet, wenn Vorkehrung getroffen war, daß für die Fristberechnung sowohl die Zustellung an die Rechtsanwälte S. & Partner als auch an Rechtsanwalt F. im Hinblick darauf beachtet wurde, an wen zuerst zugestellt war. Denn nur dadurch konnte der Fristbeginn zutreffend berechnet werden.

b) Die Rechtsanwälte S. & Partner waren daher gehalten, die für die fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels erforderlichen Daten zu übermitteln (BGH, Beschluß vom 25. Mai 1993 - VI ZB 32/92, VersR 1994, 199 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat dies regelmäßig schriftlich zu erfolgen (vgl. BGH, Beschluß vom 4. April 2000 - VI ZB 3/00, NJW 2000, 3071 = BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelauftrag 31). Die Rechtsanwälte S. & Partner mußten daher, um Rechtsanwalt F., der die Fristenkontrolle intern übernommen hatte, mitteilen, wann ihnen das Urteil zugestellt war. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich nicht, daß sie dieser Verpflichtung nachgekommen sind. Die Rechtsanwälte S. & Partner schickten danach lediglich die ihnen übersandte Ausfertigung des Urteils und eine Kopie.

c) Rechtsanwalt F. hatte die Fristenkontrolle so zu organisieren, daß die endgültige Frist erst dann berechnet und eingetragen wurde, wenn geklärt war, wann an die Rechtsanwälte S. & Partner zugestellt war. Dazu ist nichts vorgetragen.

d) Es ist nicht auszuschließen, daß die Bürokraft Fe. die fehlerhafte Änderung nicht vorgenommen hätte, wenn die Rechtsanwälte S. & Partner das Zustellungsdatum mitgeteilt hätten und Rechtsanwalt F. organisatorische Vorkehrungen getroffen hätte, daß ohne Kenntnis der Erstzustellung keine endgül-
tige Frist berechnet und eingetragen worden wäre. Die Fristversäumung kann demnach auf einem Fehlverhalten der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beruhen, das dieser gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Dressler Thode Kuffer Kniffka Bauner
14
Hätte in der Kanzlei des Klägervertreters eine entsprechende Anordnung zur Durchführung der beschriebenen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiterin die Berufungsfrist nicht versäumt worden. Bei einem Abgleich sämtlicher in der Ausgangspost befindlicher Schriftstücke mit den für den 22. April 2014 im Fristenkalender enthaltenen Eintragungen wäre offenbar geworden, dass die im Streitfall vor Erledigung der Fristsache gelöschte Frist tatsächlich noch nicht erledigt war, weil die gefertigte Berufungsschrift noch nicht abgesandt war, sondern sich in der regulären Ausgangspost befand und daher von der Mitarbeiterin noch am selben Abend hätte bei Gericht eingereicht werden müssen. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist, ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 14). Im Streitfall kommt hinzu, dass sich am 22. April 2014 nach den Angaben der Mitarbeiterin in dem für die Gerichtspost bestimmten Postausgangsfach , in dem die Berufungsschrift (versehentlich) abgelegt war, nur wenige Schriftstücke befanden, so dass der Schriftsatz mit geringem Prüfungsaufwand hätte entdeckt werden können. Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Fetzer Kosziol
25
(1) Zwar schließt ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität, vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722 Rn. 11). Nach §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO darf ihr Wiedereinsetzung jedoch nur gewährt werden, wenn ihren Prozessbevollmächtigten kein auch nur mitursächliches Verschulden an der Fristversäumung trifft (BGH Beschlüsse vom 11. Mai 2011 - IV ZB 2/11 - AnwBl 2011, 865 Rn. 7 und vom 18. April 2000 - XI ZB 1/00 - NJW 2000, 2511, 2512). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist dies hier nicht der Fall.
11
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt dieser glaubhaft gemachte Sachverhalt, um ein für die Verspätung ursächliches Verschul- den des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auszuschließen. Denn ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten schließt die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität). So liegt der Fall auch hier.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/03
vom
23. Oktober 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten
Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, so ist die nach § 574 Abs. 1
Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unabhängig davon zulässig
, ob sich der Rechtsverstoß auf das Endergebnis auswirkt.
Eine konkrete Anweisung des Anwalts im Einzelfall macht nur dann allgemeine organisatorische
Regelungen obsolet, wenn diese durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung
für die Einhaltung der Frist verlieren; das ist nicht der Fall, wenn die Weisung
nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung
aber darauf beruht, daß es an ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen
dazu fehlt, unter welchen Voraussetzungen eine Frist nach Übermittlung
fristwahrender Schriftsätze per Telefax als erledigt vermerkt werden darf.
BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - LG Konstanz
AGÜberlingen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. Oktober 2003 durch die
Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin
Dr. Stresemann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 2. April 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:


I.


Gegen das ihr am 7. November 2002 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 8. Januar 2003 bei dem Landgericht eingegangen.
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu folgendes ausgeführt : Ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Begründungsschriftsatz am 7. Januar gefertigt und unterzeichnet und die bei ihm beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte W. gegen 17.15 Uhr angewiesen, ihn per Fax an das Landgericht zu senden. Diese habe zwar mehrfach versucht zu faxen, was aber , weil sie versehentlich eine falsche Nummer gewählt habe, erfolglos geblieben sei. Sie habe angenommen, das Empfängergerät sei belegt, und habe sich zunächst anderen Aufgaben zugewendet, darüber aber die Angelegenheit ver-
gessen. Später habe sie die Frist im Kalender als erledigt eingetragen, so daß dem Prozeßbevollmächtigten bei dessen Kontrolle gegen 20.00 Uhr das Versäumnis nicht aufgefallen sei.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.


1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
aa) Allerdings liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein Fall einer Divergenz zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. Juni 2000 (VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006) vor. Eine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründende Abweichung ist nämlich nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts (Senat, BGHZ 151, 42; BGHZ 89, 149, 151). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Berufungsgericht geht - im Einklang mit der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes - davon aus, daß üblicherweise in Anwaltskanzleien auftretende Schwankungen der Arbeitsbelastung die Sorgfalts-
pflicht des Prozeßbevollmächtigten im Hinblick auf die Organisation eines reibungslos und fehlerfrei funktionierenden Geschäftsbetriebs nicht erhöhen. Es meint lediglich, im konkreten Fall hätten Umstände vorgelegen, die über das Übliche einer Mehrbelastung hinausgingen und daher zu besonderen Maßnahmen Anlaß gegeben hätten. Ist diese Auffassung - wie hier (siehe im folgenden ) - falsch, so liegt darin zwar eine rechtsfehlerhafte Würdigung. Doch wird damit kein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes entgegensteht.
bb) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht aber auf einer Würdigung , die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Die Annahme, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe angesichts der "besonderen Situation am Nachmittag" des 7. Januars 2003 eine eigenständige Prüfung der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist vornehmen müssen, entbehrt jeder Grundlage. Unscharf ist schon der Ansatz. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist war an sich nicht gefährdet. Der Prozeßbevollmächtigte hatte den Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und dessen Übermittlung per Fax verfügt. Welche zusätzlichen Maßnahmen er hätte ergreifen sollen, worin sich die nach Auffassung des Berufungsgerichts gebotene erhöhte Sorgfaltspflicht hätte äußern sollen, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht gesagt. Dafür ist auch nichts erkennbar. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxüber-
mittlung kann der Anwalt seinem Personal überlassen (BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003, VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 m. zahlr. Nachw.). Er braucht sie nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren. Im übrigen ist hier nach dem Vorbringen der Beklagten sogar eine Kontrolle erfolgt, die aber wegen des falschen Erledigungsvermerks ohne Befund blieb.
Wenn man in dieser konkreten Situation ein Weiteres von dem Anwalt verlangen wollte, so überspannte man die Sorgfaltsanforderungen. Denn solche Maßnahmen könnten nur in einer Beaufsichtigung des Übermittlungsvorgangs selbst oder in einer sofortigen Kontrolle sogleich nach Durchführung bestehen. Dies kann höchstens ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juni 2000, VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006), wenn ein geordneter Geschäftsbetrieb infolge besonderer Umstände nicht mehr gewährleistet ist. Solche Umstände hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Daß eine Rechtsanwaltsangestellte über ihre normale Dienstzeit hinaus arbeiten muß und daß drei fristgebundene Sachen zusätzlich zu bearbeiten sind, bedingt keine Situation, die ein ausreichend organisiertes Büro nicht bewältigen könnte. Im übrigen sollte die Übermittlung per Telefax zunächst, nur wenige Minuten nach dem üblichen Dienstschluß, erfolgen, und es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Bearbeitung weiterer Fristsachen, die sich bis 19.30 Uhr hinzog, diese einfache Tätigkeit hätte stören oder in einer Weise gefährden können, daß ein Eingreifen des Anwalts erforderlich gewesen wäre.
cc) Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde , ob er sich auf das Ergebnis auswirkt. Insoweit besteht ein Unterschied zum Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO), in dem eine nicht entscheidungserhebliche Frage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision gebietet (Senat, Beschl. v. 25. Juli 2002, V ZR 118/02, NJW 2002, 3180, 3181; Urt. v. 18. Juli 2003, V ZR 187/02, Umdruck S. 9, zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02, NJW 2003, 831). Dieser Unterschied beruht auf folgendem: Anders als das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Rechtsbeschwerde ein Rechtsmittel, das zur Entscheidung über die Sache führt. Dabei hängt - wie stets - die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Fragen der Begründetheit ab. Liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO vor, so ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Ob die angefochtene Entscheidung gleichwohl Bestand hat, ist eine Frage der Begründetheit. Beides miteinander zu verquicken, hieße, die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, weil es an der Begründetheit fehlt. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es demgegenüber nicht um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern nur um die Frage, ob eine Sachüberprüfung im Revisionsverfahren geboten ist. Bei dieser Prüfung kann und muß berücksichtigt werden, ob die unter die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO subsumierbaren Rechts- oder Verfahrensfragen im konkreten Fall entscheidungserheblich sind oder nicht. Sind sie es nicht, besteht kein Anlaß für eine Zulassung; denn es kommt auf sie letztlich nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt , daß sie ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Es ist nicht ausgeräumt, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes (Organisations-) Verschulden vorzuwerfen ist,
das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Das ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten:
Zum einen hat der Anwalt organisatorische Vorkehrungen zu treffen, daß Fristen im Fristenkalender erst dann mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, daß von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1993, II ZB 7/93, VersR 1994, 703; Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 60 m.w.N.). Zum anderen muß der Anwalt bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax die Ausgangskontrolle organisatorisch dahin präzisieren , daß er die damit befaßten Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, der die ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (Senat, Beschl. v. 9. Februar 1995, V ZB 26/94, VersR 1995, 1073, 1074). Er muß ferner Vorsorge für Störfälle treffen, um sicherzustellen, daß der Übermittlungsvorgang entweder vollständig wiederholt wird oder daß der Anwalt selbst über geeignete andere Maßnahmen entscheidet.
Ob solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bestanden, ist nicht vorgetragen worden. Die bloße Angabe, vor Büroschluß werde kontrolliert, ob alle Fristen erledigt seien, erst danach werde die Frist gelöscht, genügt nicht den vorstehenden Anforderungen. Soweit die Beklagte in einem nach Erlaß des angefochtenen Beschlusses bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz nähere Angaben zur Ausgangskontrolle gemacht hat, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Derjenige, der Wiedereinsetzung beantragt, muß die Gründe, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vor-
bringen (BGH, Beschl. v. 12. Mai 1998, VI ZB 10/98, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 Antragsbegründung 3). Zwar können erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH aaO; Beschl. v. 9. Juli 1985, VI ZB 10/85, VersR 1985, 1184, 1185). Das hilft der Beklagten im konkreten Fall aber schon deswegen nicht, weil die ergänzenden Angaben nach Erlaß der Entscheidung gemacht worden sind und daher für das Rechtsbeschwerdegericht nicht verfügbar sind. Seiner Beurteilung unterliegt - anders als im früheren Verfahren der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO a.F.) - nur der in den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt sowie der auf Verfahrensrüge zu beachtende dortige Sachvortrag. Soweit die Rechtsbeschwerde den neuen Sachvortrag mit Hilfe einer Aufklärungsrüge einführen möchte, ist ihr nicht zu folgen. Es bestand für das Berufungsgericht keine Pflicht, die anwaltlich vertretene Beklagte auf die nicht ausreichenden Gründe ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluß darauf , daß entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen organisatorischer Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze nicht deswegen unerheblich, weil der Prozeßbevollmächtigte eine konkrete Einzelweisung erteilt hat. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, daß es auf allgemeine organisatorische Regelungen nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall
konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Urt. v. 6. Oktober 1987, VI ZR 43/87, VersR 1988, 185, 186; Beschl. v. 26. September 1985, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Dabei ist jedoch auf den Inhalt der Einzelweisung und den Zweck der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen Rücksicht zu nehmen. Weicht ein Anwalt von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er stattdessen für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die eine Fristwahrung gewährleisten, so sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01, NJW-RR 2002, 1289). Anders ist es hingegen, wenn die Einzelweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegenzuwirken. So ersetzt z.B. die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle und macht etwa hier bestehende Defizite unerheblich (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Ebenso liegt es, wenn der Anwalt von der Eintragung der Sache in den Fristenkalender absieht und die Anweisung erteilt, den fertiggestellten Schriftsatz in die Ausgangsmappe für die Post zum Berufungsgericht zu legen (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZR 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45). Denn in diesem Fall würde eine Frist als erledigt vermerkt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdn. 23 S. 698).
Besteht hingegen - wie hier - die Anweisung nur darin, die Übermittlung eines Schriftsatzes sofort per Fax zu veranlassen, so fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig , daß Anweisungen darüber bestehen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen. Bestehen sie nicht, entlastet es den Anwalt nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt , eine Übermittlung per Telefax anzuordnen. Dem entspricht es, daß z.B. der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01) einen solchen Übermittlungsauftrag nur für ausreichend erachtet hat, wenn jedenfalls die betreffende Angestellte allgemein angewiesen war, die Telefaxübermittlung jeweils anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts zu kontrollieren.

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann
13
a) Zunächst war das Berufungsgericht nicht gehalten, die Klägerin vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag darauf hinzuweisen, dass sie eine hinreichende Organisation des Fristenwesens in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten nicht dargelegt hat. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH, Beschlüsse vom 26. November 2013 - II ZB 13/12, MDR 2014, 422 Rn. 12; vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 12 mwN). Entsprechendes gilt im Hinblick auf solche Sicherungsmaßnahmen, die im Falle einer Einzelweisung dagegen zu treffen sind, dass sie nicht in Vergessenheit gerät und die zu treffende Maßnahme unterbleibt.