Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Dez. 2001 - IV ZB 11/01

bei uns veröffentlicht am12.12.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 11/01
vom
12. Dezember 2001
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und
die Richterin Dr. Kessal-Wulf
am 12. Dezember 2001

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 2001 aufgehoben: Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und der Frist zur Wiedereinsetzung gewährt.
Ihm wird Prozeßkostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens bewilligt.
Streitwert: 1.788.745 DM

Gründe:



I. Der Kläger hat die Beklagte aus einem Gebäudeversicherungsvertrag auf Zahlung von 1.788.745 DM in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Antrag des erstinstanzlichen Prozeûbevollmächtigten, Rechtsanwalt H., bewilligte das Berufungsgericht Prozeûkostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt K.. In der Rechtsanwalt H. am 28. August 2000 zugegangenen Beschluûausfertigung wurde aufgrund eines Übertragungsfehlers der ebenfalls beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt Ku. als beigeordneter Anwalt aufgeführt. Der Urlaubsvertreter von Rechtsanwalt H. verfügte im Hinblick auf die am 11. September 2000 ablaufende Frist zur Wiedereinsetzung eine Genaufrist auf den 8. September 2000. An diesem Tage beauftragte die Bürovorsteherin eine Auszubildende mit der Vorlage der Handakte. Danach wurde die Frist von ihr im Fristenkalender gestrichen. Die Auszubildende hatte die Akte aber nicht wie angewiesen separat auf den Schreibtisch von Rechtsanwalt H. gelegt, sondern auf den Stapel mit den Akten für anstehende Termine. So blieb der Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist von Rechtsanwalt H. unbemerkt.
Am 5. September 2000 hatte Rechtsanwalt H. Rechtsanwalt K. einen vorbereiteten Wiedereinsetzungsantrag mit dem Auftrag übersandt, diesen zusammen mit der Berufungsschrift beim Oberlandesgericht einzureichen. Das am 6. September 2000 eingegangene Schreiben, das den Vermerk "Eilt sehr, bitte sofort vorlegen, Frist- und Terminsache" trug und den Hinweis enthielt, wann der Prozeûkostenhilfe bewilligende Beschluû zugegangen war, wurde von der Anwaltssekretärin nicht als Fristsache erkannt und statt dessen den allgemeinen Posteingängen zu-

geordnet. Diese wurden von Rechtsanwalt K. erst am 12. September durchgesehen. Auch die zugehörige Prozeûakte wurde ihm im Hinblick auf den Termin am 13. September erst am 12. September vorgelegt. Noch am selben Tage legte Rechtsanwalt K. Berufung ein und beantragte wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit einem am 22. September 2000 eingegangenen Schriftsatz erweiterte er seinen Antrag und begehrte Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und der Frist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das Berufungsgericht hat die Anträge auf Wiedereinsetzung und das Rechtsmittel des Klägers verworfen. Der Kläger müsse sich das für die Fristversäumnis ursächliche Verschulden des Rechtsanwalts H. zurechnen lassen, dessen Büroorganisation eine ausreichende Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht gewährleistet habe. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, die dieser zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses eingelegt hat.
II. Die nach den §§ 519 b Abs. 2, 547, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Beschwerde ist begründet.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Versäumung der Berufungs- und der Wiedereinsetzungsfrist nicht auf ein Organisationsverschulden von Rechtsanwalt H. zurückzuführen, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müûte.

Zwar hat ein erstinstanzlicher Prozeûbevollmächtigter, der von seinem Mandanten mit einem Rechtsmittelauftrag betraut ist, in eigener Verantwortung dafür Sorge zu tragen, daû der Rechtsmittelanwalt den Auftrag rechtzeitig innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt (BGH, Beschluû vom 25. Januar 2001 - IX ZB 120/00 - NJW 2001, 1576 unter II 1; vom 8. November 1999 - II ZB 4/99 - NJW 2000, 815 unter II; vom 16. Juli 1997 - XII ZB 64/97 - FamRZ 1998, 97 unter II 2 a und ständig). Das ist indes bereits mit Schreiben des Rechtsanwalts K. vom 29. November 1999 geschehen, mit dem sich dieser bereit erklärte, die Sache in zweiter Instanz zu übernehmen. Das Schreiben vom 5. September 2000, durch das Rechtsanwalt H. den Berufungsanwalt von der Prozeûkostenhilfebewilligung und dem Beginn der Wiedereinsetzungsfrist in Kenntnis setzte, ist rechtzeitig im Büro des Rechtsanwalts K. eingegangen. Damit waren die Pflichten des erstinstanzlichen Rechtsanwalts erfüllt. Er hat allein für die Übernahme des Mandats und die sachgerechte Unterrichtung des Berufungsanwalts zu sorgen, damit dieser das Rechtsmittel fristgerecht einlegen kann. Die ordnungsgemäûe Ausführung des Mandats liegt hingegen auûerhalb seines Verantwortungsbereichs (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 - V ZR 99/73 - NJW 1975, 1125 unter 2). Rechtsanwalt H. brauchte sich nicht zu erkundigen, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Berufungsschrift tatsächlich eingereicht waren. Auf die in seinem Büro festzustellende mangelnde Ausgangskontrolle (dazu BGH, Beschluû vom 23. September 1998 - XII ZB 99/98 - VersR 1999, 1303 unter a; vom 24. Januar 1996 - XII ZB 4/96 - FamRZ 1996, 1003 unter II) kommt es mithin nicht an.

2. Die Versäumung der am 11. September 2000 abgelaufenen Fristen beruht auch nicht auf dem Verschulden von Rechtsanwalt K..
Ein Berufungsanwalt muû für die fristgerechte Ausführung der ihm erteilten Rechtsmittelaufträge Sorge tragen. Dazu gehört, daû durch entsprechende organisatorische Maûnahmen sichergestellt wird, daû nur eine erfahrene und ausreichend sachkundige Bürokraft die Eingangspost daraufhin überprüft, ob sich darunter ein Sofortauftrag befindet oder sonst etwas unverzüglich veranlaût werden muû (vgl. BGH, Beschluû vom 29. Februar 1996 - III ZB 2/96 - BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelauftrag 23). Vorliegend ist glaubhaft gemacht, daû es in der Kanzlei von Rechtsanwalt K. genaue Anweisungen und eine ständige Übung gab, wie mit Fristensachen verfahren werden sollte. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Anwaltssekretärin B. besteht die allgemeine Anweisung , jedes eingehende Schriftstück daraufhin durchzusehen, ob es Hinweise auf Fristen oder Fristabläufe enthält. Trotz des auf dem Schreiben vom 5. September 2000 befindlichen deutlichen Hinweises ist der Posteingang von der Sekretärin aber nicht als Fristensache erkannt und entsprechend der geltenden Anweisung vorgelegt worden. Dies beruht - wie ebenfalls glaubhaft gemacht ist - auf einem einmaligen Fehler der bis dahin zuverlässigen und erprobten Sekretärin und ist Rechtsanwalt K. daher nicht als Verschulden anzulasten.
3. Dem Kläger war somit gemäû § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung (§ 516 ZPO) und der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) zu gewähren. Damit wird die das Rechtsmittel gemäû § 519 b ZPO als

unzulässig verwerfende Entscheidung des Berufungsgerichts gegenstandslos , ohne daû es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (BGHZ 45, 380, 384). Die von Rechtsanwalt K. vorgelegte Berufungsbegründung genügt noch den Anforderungen des § 519 Abs. 3 ZPO, weil er sich in seinem Schriftsatz vom 22. September 2000 das Vorbringen von Rechtsanwalt H. einschlieûlich der darin enthaltenen Beweisantritte zu eigen gemacht hat (vgl. BGH, Beschluû vom 16. Dezember 1992 - XII ZB 137/92 - BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 Bezugnahme 4).

Terno Dr. Schlichting Seiffert
Wendt Dr. Kessal-Wulf

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 516 Zurücknahme der Berufung


(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. (2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.

(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.

(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.