Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2007 - III ZB 107/06

bei uns veröffentlicht am04.04.2007
vorgehend
Landgericht Ulm, 4 O 706/04, 07.12.2005
Oberlandesgericht Stuttgart, 4 U 146/06, 31.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 107/06
vom
4. April 2007
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. April 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Dörr und
Dr. Herrmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 31. Oktober 2006 - 4 U 146/06 - aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 45.889,62 €.

Gründe:


I.


1
Die Klägerin, eine Rechtsanwältin, macht gegen den Beklagten einen Amtshaftungsanspruch geltend. Im ersten Rechtszug vertrat sie ihr Kanzleisozius.
2
Das Landgericht hat die Klage mit am 7. Dezember 2005 verkündeten und der Klägerin am 18. Mai 2006 zugestellten Urteil abgewiesen. Mit der Durchführung des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Rechtsanwalt einer anderen Kanzlei beauftragt. Mit am 28. Juni 2006 eingegangenem Schriftsatz hat dieser Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist beantragt.
3
Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe die Berufungsschrift am 6. Juni 2006 verfasst und am selben Tag vor der täglichen Postabholung um 17:00 Uhr in einer Postagentur aufgegeben. Erst durch die Zustellung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses am 21. Juni 2006 sei offenbar geworden, dass die Berufungsschrift auf dem Postweg verloren gegangen sei. In einem späteren Schriftsatz hat er sodann ausgeführt, er habe die Berufungsbegründung am 5. Juni 2006 (Pfingstmontag) fertig gestellt und zur Post gegeben. Später hat er als Datum der Fertigung und Absendung des Berufungsschriftsatzes wieder den 6. Juni 2006 genannt. Die zwischenzeitliche Korrektur habe auf einem Irrtum beruht. Er erinnere sich genau, dass er die Berufung am ersten Arbeitstag der ersten Juliwoche (gemeint: Juniwoche) gefertigt habe. Er sei am 2. Juni 2006 von der Klägerin beauftragt worden. Das Auftragsschreiben sei ihm am 3. Juni 2006 mit der Handakte zugegangen.
4
Die Klägerin hat, nachdem sie ihre Vertretung wieder selbst übernommen hatte, auf Anforderung des Berufungsgerichts eine Fotokopie der ihr von ihrem früheren Prozessbevollmächtigten zugesandten Kopie der Berufungsschrift , welche auf den 6. Juni 2006 datiert, vorgelegt. Auf der Kopie ist der Eingangsstempel ihrer Kanzlei aufgebracht.
5
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Eine ebenfalls erhobene Gegenvorstellung gegen den angefochtenen Beschluss ist erfolglos geblieben.

II.


6
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
7
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei angesichts der Gesamtumstände der Berufung nicht davon überzeugt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die rechtzeitige Absendung der Berufung per Brief spreche. Dabei sei zunächst der widersprüchliche Vortrag zur Fertigung und zur Absendung der Berufung zu berücksichtigen. Weiterhin sei nicht nachvollziehbar, dass der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin dieser bereits am 2. Juni 2006 eine auf den 6. Juni 2006 datierende Berufung übersandt habe, obwohl er nach seinem eigenen Vortrag erst am 3. Juni 2006 ein entsprechendes Mandat und die dazu gehörige Handakte erhalten habe. Das Berufungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass der Eingangsstempel der Kanzlei der Klägerin auf der für sie bestimmten Abschrift des Berufungsschriftsatzes den 2. Juni 2006 als Eingangsdatum ausweist.
8
Zudem sei davon auszugehen, dass angesichts des zwischen den Instanzen vorgenommenen Anwaltswechsels auch der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte für die Überwachung und Einhaltung der Berufungsfrist verantwortlich gewesen sei. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, ob und inwieweit in ihrem Büro die Einhaltung der Berufungsfrist überwacht worden sei. Der vorherige Prozessbevollmächtigte habe zudem vorgetragen, dass der an ihn übersandten Handakte keine Hinweise über einzuhaltende Fristen zu entnehmen gewesen seien.
9
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
10
a) Das Berufungsgericht hätte, wie die Beschwerde mit Recht rügt, der Klägerin vor seiner Entscheidung gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO einen Hinweis auf seine Absicht erteilen müssen, bei der Beurteilung des Wiedereinsetzungsgrundes zu ihrem Nachteil zu berücksichtigen, dass die für sie bestimmte Kopie des Berufungsschriftsatzes ihr bereits am 2. Juni 2006 zugegangen sei, und ihr Gelegenheit zu einer Stellungnahme hierzu geben müssen. Der am 30. Oktober 2006 per E-Mail an die Klägerin gerichteten Bitte des Berichterstatters des Berufungsgerichts, aus ihren Akten das Original der Berufung ihres früheren Prozessbevollmächtigten zu übersenden, ist ein solcher Hinweis nicht zu entnehmen.
11
aa) Der vorgenannte Gesichtspunkt war in dem Verfahren vor der Entscheidung des Berufungsgerichts von keiner Seite eingeführt worden (§ 139 Abs. 2 ZPO). Insbesondere war aber ein Hinweis auch deshalb erforderlich, weil der Abdruck des Eingangsstempels der Kanzlei der Klägerin die Tagesziffer des Eingangsdatums ebenso wie die Kanzleibezeichnung sowie die Monatsund Jahresangabe nur unvollständig wiedergibt. Die Ziffer kann nicht eindeutig als "2" identifiziert werden. Vielmehr kann es sich mindestens ebenso gut um eine "7" handeln. Diese Sachverhaltsunklarheit hätte Veranlassung geben müssen , der Klägerin einen entsprechenden Hinweis und Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
12
bb) Wäre der Klägerin der erforderliche Hinweis rechtzeitig erteilt worden , hätte sie, wie sie es mit ihrer Gegenvorstellung gegen den angefochtenen Beschluss getan hat, die ihr zugegangene Kopie des Berufungsschriftsatzes mit dem Originalstempelabdruck sowie Probeabdrucke des verwendeten Eingangsstempels für alle zehn Ziffern vorgelegt und geltend gemacht, die auf der Schriftsatzkopie ersichtliche Ziffer sei, wie der Vergleich mit den Probeabdrucken eindeutig ergebe, eine "7".
13
cc) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei der Würdigung des für den Wiedereinsetzungsgrund vorgetragenen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als in dem angefochtenen Beschluss gekommen wäre, wenn es diesen Vortrag der Klägerin berücksichtigt hätte. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht nicht, zumindest jedoch nicht ohne weiteres davon ausgehen können, dass ein Widerspruch zwischen den Angaben der Klägerin zu dem Eingang der Kopie der Berufungsschrift bei ihr und dem Eingang des Berufungsauftrags bei ihrem ursprünglichen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten besteht.
14
b) Nicht beizutreten vermag der Senat auch der Auffassung des Berufungsgerichts , angesichts des zwischen den Instanzen vorgenommenen Anwaltswechsels sei auch der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte zur Überwachung der Einhaltung der Berufungsfrist verantwortlich gewesen sei.
15
Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, der einen Rechtsmittelanwalt mit der weiteren Prozessführung betraut, muss in eigener Verantwortung dafür Sorge tragen, dass der zweitinstanzliche Anwalt den Auftrag rechtzeitig innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist erhält und bestätigt (z.B. BGHZ 50, 82, 84; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 - IV ZB 11/01 - BGH-Report 2002, 389, 390; BGH, Beschluss vom 25. Januar 2001 - IX ZB 120/00 - NJW 2001, 1576; BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 - V ZR 99/73 - NJW 1975, 1125, 1126). Er hat weiter den rechtzeitigen Eingang dieser Bestätigung zu überwachen. Bleibt die Mandatsbestätigung des zweitinstanzlichen Rechtsanwalts aus, so muss der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Rückfrage halten (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2001 und Urteil vom 7. Februar 1975 jeweils aaO). Weitergehende Pflichten treffen den erstinstanzlichen Rechtsanwalt aber nicht. Er hat allein für die Übernahme des Mandats und die sachgerechte Unterrichtung des Berufungsanwalts zu sorgen, damit dieser das Rechtsmittel fristgerecht einlegen kann. Die ordnungsgemäße weitere Ausführung des Mandats liegt hingegen außerhalb seines Verantwortungsbereichs (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 und BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 jeweils aaO). Insbesondere braucht der erstinstanzliche Rechtsanwalt nicht zu überwachen und sich nicht zu erkundigen, ob die Berufungsschrift tatsächlich rechtzeitig eingereicht ist (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 aaO). Gegenteiliges ist auch dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Beschluss des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1971 (VII ZB 16/71 - VersR 1972, 200) nicht zu entnehmen.
16
c) Schließlich liegt kein Verschulden des erstinstanzlichen Rechtsanwalts darin, dass die an den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten übersandte Handakte nicht eigens Hinweise über die einzuhaltenden Fristen enthielt. Soweit die Handakte vollständig war, wovon in der Rechtsbeschwerdeinstanz mangels entgegenstehender Feststellungen auszugehen ist, ließ sich der Ablauf der Berufungsfrist aus deren Inhalt entnehmen. Da der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte das Rechtsmittelverfahren eigenverantwortlich durchzuführen hat, wozu auch die Wahrung der Rechtsmittelfrist gehört, bedarf es keines gesonderten Hinweises des erstinstanzlichen Rechtsanwalts auf das Datum des jeweiligen Fristablaufs, wenn er seine oben unter Buchstabe b dargestellten Pflichten erfüllt hat.
17
Sollte d) die Klägerin glaubhaft machen können, dass ihr vormaliger zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter die Berufungsschrift rechtzeitig zur Post gegeben hat, ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Übrigen auch dann zu gewähren, wenn dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ein Verschulden bei der Beauftragung und Unterrichtung des zweitinstanzlichen Rechtsanwalts zur Last fallen würde. Eine etwaige Pflichtverletzung hätte sich jedenfalls nicht ausgewirkt. Gelingt es der Klägerin hingegen nicht, die rechtzeitige Versendung der Berufungsschrift glaubhaft zu machen, ist die Wiedereinsetzung zu versagen, gleichgültig, ob auch ein Verschulden der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vorliegt.
18
e) Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO Gebrauch gemacht hat.
Schlick Streck Kapsa
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
LG Ulm, Entscheidung vom 07.12.2005 - 4 O 706/04 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 31.10.2006 - 4 U 146/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2010 - III ZB 35/10

bei uns veröffentlicht am 24.11.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS III ZB 35/10 vom 24. November 2010 in dem Rechtsstreit Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2010 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dörr, Wöstmann, Seiters und Tombrink beschloss

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 11/01
vom
12. Dezember 2001
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und
die Richterin Dr. Kessal-Wulf
am 12. Dezember 2001

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 2001 aufgehoben: Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und der Frist zur Wiedereinsetzung gewährt.
Ihm wird Prozeßkostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens bewilligt.
Streitwert: 1.788.745 DM

Gründe:



I. Der Kläger hat die Beklagte aus einem Gebäudeversicherungsvertrag auf Zahlung von 1.788.745 DM in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Antrag des erstinstanzlichen Prozeûbevollmächtigten, Rechtsanwalt H., bewilligte das Berufungsgericht Prozeûkostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt K.. In der Rechtsanwalt H. am 28. August 2000 zugegangenen Beschluûausfertigung wurde aufgrund eines Übertragungsfehlers der ebenfalls beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt Ku. als beigeordneter Anwalt aufgeführt. Der Urlaubsvertreter von Rechtsanwalt H. verfügte im Hinblick auf die am 11. September 2000 ablaufende Frist zur Wiedereinsetzung eine Genaufrist auf den 8. September 2000. An diesem Tage beauftragte die Bürovorsteherin eine Auszubildende mit der Vorlage der Handakte. Danach wurde die Frist von ihr im Fristenkalender gestrichen. Die Auszubildende hatte die Akte aber nicht wie angewiesen separat auf den Schreibtisch von Rechtsanwalt H. gelegt, sondern auf den Stapel mit den Akten für anstehende Termine. So blieb der Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist von Rechtsanwalt H. unbemerkt.
Am 5. September 2000 hatte Rechtsanwalt H. Rechtsanwalt K. einen vorbereiteten Wiedereinsetzungsantrag mit dem Auftrag übersandt, diesen zusammen mit der Berufungsschrift beim Oberlandesgericht einzureichen. Das am 6. September 2000 eingegangene Schreiben, das den Vermerk "Eilt sehr, bitte sofort vorlegen, Frist- und Terminsache" trug und den Hinweis enthielt, wann der Prozeûkostenhilfe bewilligende Beschluû zugegangen war, wurde von der Anwaltssekretärin nicht als Fristsache erkannt und statt dessen den allgemeinen Posteingängen zu-

geordnet. Diese wurden von Rechtsanwalt K. erst am 12. September durchgesehen. Auch die zugehörige Prozeûakte wurde ihm im Hinblick auf den Termin am 13. September erst am 12. September vorgelegt. Noch am selben Tage legte Rechtsanwalt K. Berufung ein und beantragte wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit einem am 22. September 2000 eingegangenen Schriftsatz erweiterte er seinen Antrag und begehrte Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und der Frist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das Berufungsgericht hat die Anträge auf Wiedereinsetzung und das Rechtsmittel des Klägers verworfen. Der Kläger müsse sich das für die Fristversäumnis ursächliche Verschulden des Rechtsanwalts H. zurechnen lassen, dessen Büroorganisation eine ausreichende Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht gewährleistet habe. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, die dieser zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses eingelegt hat.
II. Die nach den §§ 519 b Abs. 2, 547, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Beschwerde ist begründet.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Versäumung der Berufungs- und der Wiedereinsetzungsfrist nicht auf ein Organisationsverschulden von Rechtsanwalt H. zurückzuführen, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müûte.

Zwar hat ein erstinstanzlicher Prozeûbevollmächtigter, der von seinem Mandanten mit einem Rechtsmittelauftrag betraut ist, in eigener Verantwortung dafür Sorge zu tragen, daû der Rechtsmittelanwalt den Auftrag rechtzeitig innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt (BGH, Beschluû vom 25. Januar 2001 - IX ZB 120/00 - NJW 2001, 1576 unter II 1; vom 8. November 1999 - II ZB 4/99 - NJW 2000, 815 unter II; vom 16. Juli 1997 - XII ZB 64/97 - FamRZ 1998, 97 unter II 2 a und ständig). Das ist indes bereits mit Schreiben des Rechtsanwalts K. vom 29. November 1999 geschehen, mit dem sich dieser bereit erklärte, die Sache in zweiter Instanz zu übernehmen. Das Schreiben vom 5. September 2000, durch das Rechtsanwalt H. den Berufungsanwalt von der Prozeûkostenhilfebewilligung und dem Beginn der Wiedereinsetzungsfrist in Kenntnis setzte, ist rechtzeitig im Büro des Rechtsanwalts K. eingegangen. Damit waren die Pflichten des erstinstanzlichen Rechtsanwalts erfüllt. Er hat allein für die Übernahme des Mandats und die sachgerechte Unterrichtung des Berufungsanwalts zu sorgen, damit dieser das Rechtsmittel fristgerecht einlegen kann. Die ordnungsgemäûe Ausführung des Mandats liegt hingegen auûerhalb seines Verantwortungsbereichs (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 - V ZR 99/73 - NJW 1975, 1125 unter 2). Rechtsanwalt H. brauchte sich nicht zu erkundigen, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Berufungsschrift tatsächlich eingereicht waren. Auf die in seinem Büro festzustellende mangelnde Ausgangskontrolle (dazu BGH, Beschluû vom 23. September 1998 - XII ZB 99/98 - VersR 1999, 1303 unter a; vom 24. Januar 1996 - XII ZB 4/96 - FamRZ 1996, 1003 unter II) kommt es mithin nicht an.

2. Die Versäumung der am 11. September 2000 abgelaufenen Fristen beruht auch nicht auf dem Verschulden von Rechtsanwalt K..
Ein Berufungsanwalt muû für die fristgerechte Ausführung der ihm erteilten Rechtsmittelaufträge Sorge tragen. Dazu gehört, daû durch entsprechende organisatorische Maûnahmen sichergestellt wird, daû nur eine erfahrene und ausreichend sachkundige Bürokraft die Eingangspost daraufhin überprüft, ob sich darunter ein Sofortauftrag befindet oder sonst etwas unverzüglich veranlaût werden muû (vgl. BGH, Beschluû vom 29. Februar 1996 - III ZB 2/96 - BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelauftrag 23). Vorliegend ist glaubhaft gemacht, daû es in der Kanzlei von Rechtsanwalt K. genaue Anweisungen und eine ständige Übung gab, wie mit Fristensachen verfahren werden sollte. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Anwaltssekretärin B. besteht die allgemeine Anweisung , jedes eingehende Schriftstück daraufhin durchzusehen, ob es Hinweise auf Fristen oder Fristabläufe enthält. Trotz des auf dem Schreiben vom 5. September 2000 befindlichen deutlichen Hinweises ist der Posteingang von der Sekretärin aber nicht als Fristensache erkannt und entsprechend der geltenden Anweisung vorgelegt worden. Dies beruht - wie ebenfalls glaubhaft gemacht ist - auf einem einmaligen Fehler der bis dahin zuverlässigen und erprobten Sekretärin und ist Rechtsanwalt K. daher nicht als Verschulden anzulasten.
3. Dem Kläger war somit gemäû § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung (§ 516 ZPO) und der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) zu gewähren. Damit wird die das Rechtsmittel gemäû § 519 b ZPO als

unzulässig verwerfende Entscheidung des Berufungsgerichts gegenstandslos , ohne daû es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (BGHZ 45, 380, 384). Die von Rechtsanwalt K. vorgelegte Berufungsbegründung genügt noch den Anforderungen des § 519 Abs. 3 ZPO, weil er sich in seinem Schriftsatz vom 22. September 2000 das Vorbringen von Rechtsanwalt H. einschlieûlich der darin enthaltenen Beweisantritte zu eigen gemacht hat (vgl. BGH, Beschluû vom 16. Dezember 1992 - XII ZB 137/92 - BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 Bezugnahme 4).

Terno Dr. Schlichting Seiffert
Wendt Dr. Kessal-Wulf

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.