Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2019 - 5 StR 208/19

bei uns veröffentlicht am20.06.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 208/19
vom
20. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:200619B5STR208.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 20. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 15. Januar 2019 aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zu den Taten gemäß Ziffer II.2.a, 2.c bis 2.e, 2.h und 2.i der Urteilsgründe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf mehrerer (gefährlicher) Körperverletzungsdelikte, mehrfacher Bedrohung und Beleidigung sowie eines Verstoßes gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz freigesprochen und diese im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Ihre gegen die Maßregelentscheidung gerichtete Revision führt mit der Sachrüge zur weitgehenden Aufhebung des Urteils.
2
1. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht als schwerste Anlasstaten durch die Angeklagte verübte (versuchte) gefährliche Körperverletzungen zum Nachteil ihres Lebensgefährten und Betreuers W. sowie der Zeugen R. und K. herangezogen (UA S. 30). Die hierzu getroffenen Feststellungen und Wertungen begegnen jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
aa) Nach den Feststellungen zu den Taten vom 5. April 2017 (Ziffer II.2.b der Urteilsgründe) „jagte“ die Angeklagte im Rahmen eines heftigen Streits ihren Lebensgefährten W. um das auf dem Grundstück geparkte Auto herum. Sie trat und schlug wütend mit einer Eisenstange auf ihn ein. Das Landgericht hat sich hierzu beweiswürdigend allein auf die Aussage der Zeugin D. gestützt und das Tatopfer nicht vernommen. Zum Anlass des Streits und der Tat der Angeklagten verhält sich das Urteil dementsprechend ebenso wenig wie zu etwaigen Verletzungen des Opfers. Diesbezügliche Ausführungen wären jedoch notwendig gewesen, um den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Angeklagten und der Tat sowie deren Gewicht beurteilen zu können.
5
bb) Das Landgericht legt der Angeklagten ferner zur Last, am 4. Juni 2017 mit einem „Twister“ in Richtung des Kopfes des Zeugen R. geschlagen zu haben; der Zeuge habe dem Schlag jedoch geistesgegenwärtig ausweichen können, worauf die Angeklagte zu ihrem Auto gelaufen und „mit quietschenden Reifen“ davongefahren sei (Ziffer II.2.g der Urteilsgrün- de). Die Frage eines nach Sachlage in Betracht kommenden strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung (§ 24 StGB), der der Heranziehung dieser Handlung zumindest als Anlasstat entgegenstehen würde (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 135 f.), erörtert das angefochtene Urteil nicht.
6
cc) Hinsichtlich der durch das Landgericht als versuchte gefährliche Körperverletzung gewürdigten Tat vom 28. Februar 2018 zum Nachteil des Zeugen K. (Ziffer II.2.k der Urteilsgründe) werden die Feststellungen nicht von den hierzu angeführten beweiswürdigenden Erwägungen der Strafkammer getragen.
7
Gemäß den Feststellungen rannte die Angeklagte mit einem metallenen Gefäß in der Hand auf den Zeugen zu, um ihn damit zu schlagen. Der Zeuge konnte den Schlag jedoch abwehren, woraufhin beide stürzten und sich ein Gerangel anschloss, in dessen Zuge die Angeklagte den Zeugen biss. Demgegenüber hat der Zeuge K. ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 26) keinen Schlag mit dem Gegenstand bekundet, vielmehr ausgeführt, er habe einen solchen erwartet, sie seien aber beide zu Boden gegangen. Ein Schlag mit dem metallenen Gefäß ist auch nicht der Aussage des weiteren Zeugen S. zu entnehmen. Danach hat der Zeuge lediglich gesehen, wie die Angeklagte sowie der Zeuge K. auf dem Boden gelegen hätten und die Angeklagte dann mit einer Thermoskanne in der Hand in ihr Auto gestiegen und weggefahren sei.
8
Andererseits erschließt sich angesichts der Aussagen beider Zeugen zu einer Thermoskanne nicht, warum sich das Landgericht nicht zu näheren Feststellungen betreffend den von der Angeklagten verwendeten Gegenstand in der Lage gesehen hat.
9
b) Durchgreifenden Bedenken unterliegen ferner die Feststellungen und Wertungen zu den Taten vom 24. Mai 2017 (Ziffer II.2.f der Urteilsgründe) und vom 13. Februar 2018 (Ziffer II.2.j der Urteilsgründe).
10
aa) Hinsichtlich der vom Landgericht als Bedrohung nach § 241 StGB ausgeurteilten Tat vom 24. Mai 2017 versteht der Senat die Ausführungen der Strafkammer dahin, dass sie die Annahme einer Straftat nach § 241 StGB in Bedrohungen der Zeugin D. und deren Sohnes durch die Angeklagte „in gewohnter Manier“ gesehen hat, die mit beängstigenden „Grimassierungen“ einhergegangen seien. Welchen Inhalt genau die Bedrohungen hatten, ist den Urteilsgründen indessen nicht zu entnehmen, womit eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht möglich ist. Die weitere Feststellung, die Angeklagte habe die Zeugin danach mit ihrem Auto verfolgt und sei in kurzem Abstand („Stoßstange an Stoßstange“) auf deren Kraftfahrzeug aufgefahren, würde die Tatbestandsvoraussetzungen des § 241 StGB nicht ohne Weiteres belegen.
11
bb) Die Tat vom 13. Februar 2018 hat das Landgericht als Verletzung einer von der Zeugin D. am 29. September 2017 erwirkten Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG gewertet. Den Feststellungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung – was für eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 GewSchG erforderlich wäre (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. Mai

2012

4 StR 122/12, BGHR GewSchG§ 4 Strafbarkeitsvoraussetzungen 2) – der Angeklagten vor der Tat wirksam zugestellt worden ist.
12
2. Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen der Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus die Grundlage. Auch der Freispruch war aufzuheben. Der Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO das neue Tatgericht nicht, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß Zif13 fer II.2.a, 2.c bis 2.e, 2.h und 2.i der Urteilsgründe haben demgegenüber Bestand. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.
14
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
15

a) Das Tatgericht wird die näheren Umstände der bisher einzigen Verurteilung der Angeklagten vom 10. Januar 2017 wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung mitzuteilen haben. Der Umstand, dass die Angeklagte trotz ihrer spätestens seit 1992 bestehenden Krankheit bis dahin nicht straffällig geworden ist, wird im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu würdigen sein (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 5 StR 120/19 Rn. 15 mwN).
16
b) Ferner wird die Entwicklung der Erkrankung der Angeklagten während der einstweiligen Unterbringung über die knappen Erörterungen im angefochtenen Urteil hinaus (UA S. 29) näher zu erläutern und zu belegen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 5 StR 120/19 Rn. 14).
17
c) Soweit die Verfahrensvoraussetzungen gegeben sind, wird das neu verhandelnde Tatgericht bei den Taten zum Nachteil der Zeugin D. eine Strafbarkeit (auch) nach § 238 Abs. 1 StGB zu erwägen haben.
Mutzbauer König Berger
Mosbacher Köhler

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Anordnungen sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Das Gericht kann insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt,

1.
die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
2.
sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten,
3.
zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält,
4.
Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
5.
Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen,
soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung widerrechtlich gedroht hat oder
2.
eine Person widerrechtlich und vorsätzlich
a)
in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder
b)
eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 Buchstabe b liegt eine unzumutbare Belästigung nicht vor, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.

Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer bestimmten vollstreckbaren

1.
Anordnung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1, zuwiderhandelt oder
2.
Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214a Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3 dieses Gesetzes, jeweils auch in Verbindung mit § 1 Absatz 2 Satz 1 dieses Gesetzes, bestätigt worden ist.
Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 122/12
vom
10. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. Mai 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. Oktober 2011 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2. b der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen schwerer Vergewaltigung und unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG kann nicht bestehen bleiben. Die getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren“ Anordnung erfüllt ist. Hierzu teilt das Landgericht lediglich mit, dass die Nebenklägerin einen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Halle (Westfalen) vom 15. Oktober 2010 erwirkt habe, in welchem dem Angeklagten u.a. verboten worden sei, sich ihrer (genau bezeichneten) Wohnung näher als 20 Meter zu nähern; dem Angeklagten sei dieses Verbot bekannt gewesen.
3
Die Strafkammer stellt weder hier noch an anderer Stelle ihres Urteils fest, ob der Beschluss dem Angeklagten wirksam zugestellt worden ist. Nach dem Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 15. März 2007 (5 StR 536/06, BGHSt 51, 257; dem folgend BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2007 – 2 StR 431/07, vom 17. September 2008 – 1 StR 415/08 und vom 7. Oktober 2010 – 1 StR 404/10) ist indes die wirksame Zustellung Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 GewSchG; die bloße Kenntnis vom Inhalt der Anordnung steht dem nicht gleich (BGH, Urteil vom 15. März 2007, aaO S. 261). Allerdings betraf das Urteil des 5. Strafsenats eine einstweilige Verfügung im Sinne des § 935 ZPO. Gewaltschutzsachen nach den §§ 1 und 2 GewSchG sind gemäß § 111 Nr. 6, § 210 FamFG seit dem 1. September 2009 uneingeschränkt Familiensachen (Leis in: jurisPK-BGB, 5. Aufl., § 1 GewSchG Rn. 3). Beschlüsse werden jedoch grundsätzlich auch insoweit nach den Vor- schriften der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung vollzogen (§ 95 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FamFG) und bedürfen der Zustellung (§ 87 Abs. 2 FamFG; vgl. Keidel/Giers, FamFG, 17. Aufl., § 53 Rn. 6; ebenso Leis, aaO, § 4 GewSchG Rn. 7). Zwar kann das Familiengericht sowohl für die Endentscheidung als auch für eine einstweilige Anordnung deren Vollstreckbarkeit vor Zustellung anordnen (§ 216 Abs. 2 S. 1 FamFG für Endentscheidungen; § 53 Abs. 2 S. 1 FamFG für einstweilige Anordnungen). Das Landgericht teilt jedoch schon nicht mit, ob der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Oktober 2010 im Hauptsache- oder im einstweiligen Anordnungsverfahren (§ 214 FamFG) ergangen ist; damit fehlen auch jedwede Ausführungen dazu, ob das Amtsgericht – im Falle einer Endentscheidung neben der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 216 Abs. 1 Satz 2 FamFG – die Zulässigkeit der Vollstreckung vor Zustellung der Anordnung an den Angeklagten bestimmt hat. Der Senat sieht daher keine Veranlassung, näher auf diese verfahrensrechtliche Besonderheit einzugehen (vgl. zur Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in Gewaltschutzsachen OLG Hamm FPR 2011, 232).
4
Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht prüfen, ob das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren“ Anordnung in § 4 Satz 1 GewSchG erfüllt ist.
5
2. Konsequenz des aufgezeigten Rechtsfehlers ist die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 2. b der Urteilsgründe und der Gesamtfreiheitsstrafe :
6
a) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von acht Monaten auf der Verurteilung nach § 4 S. 1 GewSchG beruht. Denn das Landgericht hat strafschärfend ausdrücklich berücksichtigt, „dass der Angeklagte bei der zweiten Tat tateinheitlich drei Straftatbestände verwirklicht hat“ (UA 29).
7
Dies zieht die Aufhebung auch der Verurteilung wegen der zu dem Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz in Tateinheit stehenden – und für sich rechtsfehlerfrei angenommenen – Straftaten der Bedrohung und des unerlaubten Führens einer Schusswaffe nach sich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 7a).
8
Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2. b entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
9
b) Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO); das Landgericht wird – soweit nicht ein Vorgehen nach § 154a Abs. 2 StPO erwogen wird – ergänzende Feststellungen zur Frage der Vollstreckbarkeit des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Halle (Westfalen) vom 15. Oktober 2010 zu treffen haben.
10
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ernemann Cierniak Franke
Schmitt Quentin

Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer bestimmten vollstreckbaren

1.
Anordnung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1, zuwiderhandelt oder
2.
Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214a Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3 dieses Gesetzes, jeweils auch in Verbindung mit § 1 Absatz 2 Satz 1 dieses Gesetzes, bestätigt worden ist.
Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

15
b) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 StR 602/13, NJW 2014, 565, 566). Dabei stellt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten dar, wenn ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, StV 2012, 209 Rn. 6; vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206 Rn. 11, jeweils mwN).

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt

1.
die räumliche Nähe dieser Person aufsucht,
2.
unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht,
3.
unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten dieser Person
a)
Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für sie aufgibt oder
b)
Dritte veranlasst, Kontakt mit ihr aufzunehmen,
4.
diese Person mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit ihrer selbst, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person bedroht,
5.
zulasten dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person eine Tat nach § 202a, § 202b oder § 202c begeht,
6.
eine Abbildung dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,
7.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, diese Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, unter Vortäuschung der Urheberschaft der Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder
8.
eine mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung vornimmt.

(2) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 7 wird die Nachstellung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch die Tat eine Gesundheitsschädigung des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person verursacht,
2.
das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt,
3.
dem Opfer durch eine Vielzahl von Tathandlungen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten nachstellt,
4.
bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 ein Computerprogramm einsetzt, dessen Zweck das digitale Ausspähen anderer Personen ist,
5.
eine durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangte Abbildung bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 6 verwendet,
6.
einen durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangten Inhalt (§ 11 Absatz 3) bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 7 verwendet oder
7.
über einundzwanzig Jahre ist und das Opfer unter sechzehn Jahre ist.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.