Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Mai 2019 - 5 StR 120/19
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Mai 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf mehrerer vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte freigesprochen und dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen das Urteil gerichtete Revision erzielt mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts weitgehenden Erfolg.
- 2
- 1. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 3
- a) Hinsichtlich der ersten Anlasstat ist entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts schon nicht festgestellt, dass der aus Kamerun stammende und nach Diagnose des psychiatrischen Sachverständigen an einer paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte, wie es nach § 63 Satz 1 StGB erforderlich ist, zumindest im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) gehandelt hat.
- 4
- aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises befindliche Angeklagte am 16. August 2016 in der Berliner S-Bahn kontrolliert. Den Kontrolleuren erklärte er, dass er einen Anspruch auf ein Ticket vom Sozialamt habe. Außerdem sei es unwürdig, wenn ein Vater nicht mit der Bahn fahren dürfe. Er müsse seine Tochter aus dem Kindergarten abholen und werde weiterfahren. Der Aufforderung der Kontrolleure , die S-Bahn zu verlassen, kam er nicht nach. Einem die Kontrolleure unterstützenden Fahrgast versetzte er mehrere Faustschläge und Fußtritte. Außer- dem beleidigte er ihn als „Motherfucker“.
- 5
- Das Landgericht hat – dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend – angenommen, bei der Tat sei ein aus der paranoiden Schizo- phrenie entspringender „Größen- bzw. Sendungswahn“ des Angeklagten hand- lungsleitend gewesen. Sein akutes psychotisches Erleben habe zu einem aggressiven Impulsdurchbruch geführt, aufgrund dessen die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten mindestens erheblich vermindert und nicht ausschließbar aufgehoben gewesen sei.
- 6
- bb) Damit sind die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB nicht dargetan. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine verminderte Einsichtsfähigkeit strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat; ein Täter, der trotz verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht der Tat gehabt hat, ist – sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war – voll schuldfähig (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2012 – 1 StR 332/12; vom 20. November 2012 – 1 StR 504/12, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 5, jeweils mwN). Auf die Feststellung einer verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden.
- 7
- cc) Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die durch den Sachverständigen diagnostizierte psychische Erkrankung bei der Tat überhaupt relevante Auswirkungen auf die Unrechtseinsicht des Angeklagten gehabt haben könnte. Ein psychotisches Erleben, etwa in Form imperativer Stimmen, aufgrund dessen sich der Angeklagte berechtigt gefühlt haben könnte, den Geschädigten zu schlagen, zu treten und zu beleidigen, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Er hat sich für sein Tun auch nicht etwa auf eine aus einer Überlegenheitsstellung herrührende Berechtigung berufen, vielmehr ausgeführt, sich gegen Bedrängungen gewehrt zu haben.
- 8
- b) Es ist nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte bei der zweiten Anlasstat ohne Unrechtseinsicht gehandelt hat.
- 9
- aa) Das Landgericht hat insoweit festgestellt: Am 14. Juli 2017 traf der Angeklagte in der Berliner S-Bahn zufällig die Geschädigte K. , mit der er 2012 eine kurzzeitige Beziehung geführt hatte. Er beschuldigte sie, ihm Jahre zuvor nach Paris gefolgt und seine Papiere gestohlen zu haben. Deren Lebensgefährte fragte ihn, was er wolle. Daraufhin versetzte ihm der Angeklagte einen Faustschlag ins Gesicht. Im weiteren Verlauf schlug er die Geschädigte
K.
und riss ihr mehrere Haarbüschel aus. Auch deren Lebensgefährten schlug er nochmals.- 10
- Der Sachverständige und sich ihm anschließend das Landgericht haben angenommen, dass aufgrund einer Exazerbation der paranoiden Schizophrenie und eines damit erneut einhergehenden Impulsdurchbruchs die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben gewesen sei. Dieser sei wahnhaft davon ausgegangen, dass die Geschädigte ihm Papiere entwendet und mit französischen Behörden gegen ihn konspiriert habe. Deren Lebensgefährten habe er als Komplizen in seine Wahnvorstellungen eingebunden.
- 11
- bb) Abermals ergeben die Darlegungen des Landgerichts nicht, dass der Angeklagte sich wahnhaft legitimiert gefühlt haben könnte, der Geschädigten und deren Lebensgefährten gravierende körperliche Verletzungen zuzufügen. Damit steht nicht fest, dass er die Tat ohne Unrechtseinsicht begangen hat. Der vom Landgericht zugrunde gelegte „Impulsdurchbruch“ würde eher für eine Be- einträchtigung der Steuerungsfähigkeit sprechen. Mit der Frage einer Verminderung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit befasst sich die Strafkammer aber wie schon bei der ersten Tat nicht. Eine eigenständige Beurteilung der Schuldfähigkeit ist dem Revisionsgericht verwehrt.
- 12
- 2. Auch der Freispruch war aufzuheben. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO das neue Tatgericht nicht, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
- 13
- 3. Die Sache bedarf damit neuer Verhandlung und Entscheidung, naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen. Für den Fall, dass auch das neue Tatgericht zur Erörterung der Voraussetzungen des § 63 StGB gelangt, wird es Folgendes zu beachten haben:
- 14
- a) Die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie und deren konkrete Auswirkungen auf die begangenen Taten werden eingehender abzuhandeln sein, als dies im angefochtenen Urteil geschehen ist. Wendungen wie etwa diejenige , die akute Psychose zu den Tatzeiten erweise sich maßgebend an einer durch Zeugen wahrgenommenen „durchgängigen körperlichenAngespanntheit des Angeklagten“ (UA S. 14), genügen hierfür nicht. Die Entwicklung des Ange- klagten in der Zeit der einstweiligen Unterbringung wird ebenfalls näher aufzuklären und zu erläutern sein.
- 15
- b) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 StR 602/13, NJW 2014, 565, 566). Dabei stellt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten dar, wenn ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, StV 2012, 209 Rn. 6; vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206 Rn. 11, jeweils mwN).
- 16
- Vorliegend wird danach zu erörtern sein, dass der seit mehr als zehn Jahren an der Krankheit leidende Angeklagte im Inland unbestraft ist. Die näheren Umstände eines nach dessen eigenen Angaben in Frankreich begangenen Körperverletzungsdelikts vermochte das Landgericht nicht aufzuklären. Darüber hinaus wird zu berücksichtigen sein, dass zwischen den verfahrensgegenständlichen Taten ein nicht unerheblicher Zeitraum liegt, wobei sich die erste durch das angefochtene Urteil herangezogene Anlasstat bereits im Jahr 2016 ereignet hat.
- 17
- 4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen haben Bestand. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
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Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Allerdings erwecken die dieser Anordnung zugrunde liegenden Ausführungen in den Urteilsgründen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten den Eindruck , dass das Landgericht die Auffassung vertritt, bereits mit der Feststellung einer erheblichen verminderten Einsichtsfähigkeit seien die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Dies ist indes nicht der Fall. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung , wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2007 - 4 StR 64/07; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 5 StR 215/06; BGH, Beschluss vom 22. November 2006 - 2 StR 430/06). Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war - voll schuldfähig. In einem solchen Fall ist auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 26 f.).
Hier lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit hinreichend deutlich entnehmen, dass dem Angeklagten bei der Tatbegehung die Unrechtseinsicht vollständig gefehlt hat. Das Landgericht hat nämlich ausdrücklich festgestellt , dass der Angeklagte aufgrund seiner chronifizierten paranoiden Schizophrenie die von Verfolgungswahn geprägte, irrige Überzeugung gewonnen hatte, der Zeuge S. wolle ihn mit dem Blumenstrauß angreifen (UA S. 7). Er hielt deshalb sein eigenes Verhalten für „zulässiges Not- wehrverhalten“ (UA S. 11). Das Landgericht ist demnach im Ergebnis- trag- fähig - davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund seines Zustands bei der Tatbegehung keine Einsicht in das Unrecht seines Handelns gehabt hat.
2. Wegen des Zustands des Angeklagten bei der Tatbegehung hat sich das Landgericht auch gehindert gesehen, den Angeklagten wegen der zwei ihm zur Last liegenden Taten der gefährlichen Körperverletzung, jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, zu verurteilen. Bei dieser Sachlage, zumal die Feststellungen die Aufhebung der Unrechtseinsicht und damit die Schuldunfähigkeit bei Tatbegehung sicher belegen (s.o.), hätte das Landgericht den Angeklagten in der Urteilsformel vom Anklagevorwurf ausdrücklich freisprechen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2002 - 3 StR 158/02). Da das Landgericht dies unterlassen hat, ergänzt der Senat die Urteilsformel entsprechend.
Der lediglich in der Ergänzung der Urteilsformel liegende Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von Gebühren oder Auslagen des Rechtsmittels freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Nack Rothfuß Hebenstreit Jäger Cirener
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Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Vollzug der Unterbringung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
- 2
- Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 3
- Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte mehrere Taten der vorsätzlichen Sachbeschädigung begangen und einmal den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verwirklicht hat.
- 4
- Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt:
- 5
- "Der Angeklagte leidet unter einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche derzeit zwar remittiert ist, zum Tatzeitpunkt aber floride war. Aufgrund dessen war er in seiner Einsichtsfähigkeit mit Sicherheit eingeschränkt, eine vollständige Aufhebung seiner Einsichtsfähigkeit kann aufgrund dessen Erkrankung nicht ausgeschlossen werden" (UA S. 5).
- 6
- Beim Angeklagten sei auch schon eine Negativsymptomatik, wie Verwahrlosung und soziale Rückzugstendenzen, festzustellen. Des Weiteren lägen auch paranoide Erlebnisweisen vor in Form von Beeinträchtigungs- und Verfolgungsgedanken mit dem subjektiven Gefühl, bedroht zu werden (UA S. 10).
II.
- 8
- Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 mwN).
- 9
- Es ist dabei stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (BGH aaO mwN).
- 10
- Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht der Auffassung ist, bereits mit der Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit seien die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Dies trifft indes nicht zu.
- 11
- Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung , wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 1 StR 332/12 mwN).
- 12
- Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war - voll schuldfähig.
- 13
- In einem solchen Fall ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig.
- 14
- Allein auf die Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 - 3 StR 3/05 mwN).
- 15
- Im vorliegenden Fall lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass dem Angeklagten bei der Begehung der Tat die Unrechtseinsicht vollständig gefehlt hat. Der Tatrichter hat schon nicht im Einzelnen dargelegt, wie sich die Erkrankung des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichtsfähigkeit ausgewirkt hat. Hin- sichtlich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hat er vielmehr festgestellt , dass der Angeklagte die Beamten als Amtsträger erkannt hat und sich auch des Umstandes bewusst war, dass diese im Begriff waren, eine rechtmäßige Amtshandlung vorzunehmen (UA S. 5).
- 16
- Bei der Gefährlichkeitsprognose stellt der Tatrichter u.a. darauf ab, dass beim Angeklagten nicht die erforderlichen Hemmungsmechanismen vorlägen und er nicht in der Lage sei, inneren Regungen entsprechende Hemmungen in adäquater Weise entgegenzusetzen (UA S. 13). Diese Überlegungen könnten eher auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hindeuten.
- 17
- Der Senat kann daher nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht.
- 18
- Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Insoweit war die Revision zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
III.
- 19
- Aufzuheben war allerdings auch der Freispruch.
- 20
- Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben , hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anord- nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 mwN).
IV.
- 21
- Der neue Tatrichter wird, wenn er erneut zur Erörterung der Voraussetzungen des § 63 StGB gelangt, Gelegenheit haben näher darzulegen, weshalb konkret eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung erheblicher - über Belästigungen hinausgehender - rechtswidriger Taten besteht.
- 22
- Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann auch die etwaige Bestellung eines Betreuers berücksichtigt werden (vgl. hierzu die Rechtsprechungshinweise bei Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, Rn. 23b zu § 63).
- 23
- Es darf allerdings nicht - wie im angefochtenen Urteil - zu Lasten des Angeklagten in die Gesamtwürdigung einbezogen werden, dass der Angeklagte sich für eine andere Person ausgibt und hier auch nicht die geringste Übernahme von Verantwortung für seine Taten zeigt (UA S. 15). Denn zum einen liegt ein zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten vor. Zum anderen ist eine solche Überlegung jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht zuvor (UA S. 6) zugunsten des Angeklagten unterstellt hat, dass er krank- heitsbedingt meint, jemand anderes zu sein. Dann darf ihm dies nicht angelastet werden. Nack Rothfuß Jäger Sander Radtke
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der spätestens seit 2002 an einer schizophrenen Psychose leidende, bislang unbestrafte Beschuldigte am Tattag um eine Aufnahme in einer psychiatrischen Einrichtung nach, wobei er sich in einem akut psychotischen Zustand befand. Im Zuge seiner Aufnahmebemühungen stürzte er sich auf einen Arzt, brachte ihn zu Boden und würgte ihn. Er war wahnhaft bedingt davon überzeugt, dass dieser Arzt gegen ihn sowie seine Freundin intrigiere und dafür verantwortlich sei, dass sein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht sei. Erst durch mehrere kräftige Faustschläge einer Ärztin konnte er dazu gebracht werden, von seinem Opfer abzulassen.
- 3
- Dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschuldigte auch zukünftig wenigstens gleichgewichtige Taten begehen werde.
- 4
- 2. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f., und vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt – wie hier – unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74). Nach diesen Maßstäben hat die Strafkammer die Unterbringungsanordnung nicht tragfähig begründet.
- 5
- Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, bei aufgrund fehlender Krankheitseinsicht abzusehendem Behandlungsabbruch oder unzureichender Medikation sei – ungeachtet des Umstands, dass die hier erfolgte Verurteilung seine erste sei – hochwahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten durch den Beschuldigten zu rechnen. Angesichts bislang fehlender Vorbelastung hätte es das Landgericht indessen nicht bei diesem knappen Hinweis belassen dürfen, sondern eingehend erörtern müssen, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Er- scheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder wie hier gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, StV 2012, 209 Rn. 6, vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206 Rn. 11, jeweils mwN).
- 6
- Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat nicht die notwendigen Darlegungen entnehmen. Zu in der Vergangenheit häufi- gen „fremdaggressiven Verhaltensweisen“ fehlt jegliche Erläuterung; das Glei- che gilt für den Umstand, dass der Beschuldigte 2012 „ins Wasser sprang, wo- bei ein Suizidversuch nicht ausgeschlossen werden“ konnte (UA S. 3).
- 7
- 3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Bewertung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die als Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose heranzuziehende, vom Landgericht lediglich als (einfache) vorsätzliche Körperverletzung gewertete Anlasstat nicht allzu schwer wiegt und zudem gegenüber einem Betreuer begangen wurde, weswegen sie auch nicht mit vollem Gewicht als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Beschuldigten herangezogen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, aaO Rn. 7 mwN).
Berger Bellay