Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Mai 2016 - 5 StR 102/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:120516B5STR102.16.0
bei uns veröffentlicht am12.05.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 102/16
(alt: 5 StR 341/15)
vom
12. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:120516B5STR102.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Mai 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30. November 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtszug wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil im Strafausspruch aufgehoben , die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen und die weitergehende Revision als offensichtlich unbegründet verworfen.
2
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
3
1. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge ist gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.
4
2. Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Die Strafzumessung im engeren Sinne weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
5
a) Ein Rechtsfehler folgt entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift an den Senat allerdings nicht schon daraus, dass das Landgericht wegen der Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gehalten gewesen wäre, bei der Strafzumessung im engeren Sinn die Tatsache der Nichtvollendung der Tat ausdrücklich strafmildernd zu berücksichtigen. Diese Tatsache ist auch im Regelstrafrahmen nicht zwingend strafmildernd zu berücksichtigen (LK-StGB/Hillenkamp, 12. Aufl., § 23 Rn. 39 f. mwN zum Streitstand). Maßgeblich für die Frage, ob ihr strafmilderndes Gewicht zukommt, sind vielmehr auch bei Anwendung des Regelstrafrahmens das konkrete Tatbild und die weiteren Umstände des Einzelfalls.
6
Vorliegend waren keine Umstände gegeben, derentwegen das Landgericht gehalten gewesen wäre, bei der Strafzumessung im engeren Sinn die Nichtvollendung der Tat zugunsten des Angeklagten strafmildernd zu berücksichtigen.
7
b) Hingegen beanstandet der Generalbundesanwalt zurecht, dass das Landgericht die Vollendungsnähe und Gefährlichkeit des Versuchs, auf die es bereits zur Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB abgestellt hat, bei der konkreten Strafzumessung erneut herangezogen hat, indem es dort die durch die Verletzungen hervorgerufene akute Lebensgefahr strafschärfend berücksichtigt hat (UA S. 24). Es verstößt gegen den Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB, innerhalb des wegen der Erfolgsnähe nicht verschobenen Strafrahmens diese nochmals zu Lasten des Angeklagten zu gewichten (Senat, Beschlüsse vom 13. April 2010 – 5 StR 113/10, NStZ 2010, 512, und vom 19. Mai 2010 – 5 StR 132/10, StraFo 2010, 429; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1031).
8
Auch wenn die verhängte Strafe angemessen erscheint, vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen, dass sich der aufgezeigte Strafzumessungsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
9
3. Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch werden durch den bloßen Wertungsfehler nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben; ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.
Sander Schneider Dölp
Bellay Feilcke

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Mai 2010 - 5 StR 132/10

bei uns veröffentlicht am 19.05.2010

5 StR 132/10 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 19. Mai 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Mai 2010 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des La

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

5 StR 132/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 19. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Mai 2010

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 22. Dezember 2009
a) im Schuldspruch dahingehend klargestellt, dass der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist,
b) im Strafausspruch gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes „und“ gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes „und“ gefährlicher Körperverletzung beruht auf einem Fassungsversehen. Aus den Urteilsgründen geht eindeutig hervor, dass die Strafkammer von Tateinheit ausgegangen ist (UA S. 25). Der Senat stellt den Tenor entsprechend klar.
3
2. Der Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Hinblick auf die Vielzahl der dem Angeklagten zugute zu haltenden Milderungsgründe (UA S. 26, 27), namentlich auch der Umstand, dass das Tatopfer nur unerheblich verletzt wurde (vgl. zu den Anforderungen an die vorzunehmende Gesamtschau BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 9 und 12), ist die Entscheidung der Strafkammer unvertretbar, die Strafrahmenverschiebung nach den § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zu versagen. Ferner weist der Senat abermals darauf hin (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2010 – 5 StR 113/10), dass es rechtsfehlerhaft ist, innerhalb des wegen der Erfolgsnähe nicht verschobenen Strafrahmens die Erfolgsnähe neuerlich zu Lasten des Angeklagten zu gewichten.
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