Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2012 - 4 StR 65/12

published on 10/05/2012 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2012 - 4 StR 65/12
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 65/12
vom
10. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls mit Waffen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. Mai 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. November 2011
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit versuchter Nötigung (Fälle II. 11 und 12 der Urteilsgründe), wegen Diebstahls in neun Fällen sowie wegen Betruges schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 11 und 12 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafenausspruch sowie im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen, wegen Diebstahls in neun Fällen, wegen Betruges und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Die Annahme von Tatmehrheit zwischen den für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilungen wegen Diebstahls mit Waffen und versuchter Nötigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Als der Angeklagte, der sich durch Flucht seiner Festnahme entziehen wollte, zu seiner Bauchtasche griff und das Messer hervorholte, um seine Verfolger abzuschütteln, war der zuvor begangene Diebstahl der Zigaretten nach den Feststellungen noch nicht beendet. In einem solchen Fall ist Tateinheit anzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2005 – 4 StR 170/05, NStZ-RR 2005, 340, 341).
3
Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der Einsatzstrafe im Fall II. 11 sowie der weiteren Einzelstrafe im Fall II. 12 der Urteilsgründe. Über die Einsatzstrafe sowie die Gesamtstrafe hat der Tatrichter neu zu befinden.
4
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten be- schwerenden Rechtsfehler ergeben. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. März 2012 Bezug genommen.

II.


5
Jedoch kann der Maßregelausspruch nicht bestehen bleiben.
6
1. Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu den abgeurteilten Taten getroffenen Feststellungen hat das sachverständig beratene Landgericht den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht dargetan.
7
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts unterzog sich der vielfach vor allem wegen sog. Beschaffungsdelikte vorbestrafte, betäubungsmittelabhängige Angeklagte in der Zeit von 2000 bis 2004 zwei Entzugsbehandlungen , wurde aber kurz nach deren Beendigung wieder rückfällig. Zwei weitere, ähnliche Behandlungen in den Jahren 2007 und 2009 musste er jeweils wegen Entlassung aus der Einrichtung nach Alkoholkonsum vorzeitig abbrechen. Nach Entlassung aus Strafhaft am 27. Mai 2011 wurde er nach kurzer Zeit erneut mit Heroin und Benzodiazepinen rückfällig. Die Strafkammer bejaht die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, der ausgeführt habe, es bestehe bei dem Ange- klagten die konkrete Aussicht, dass er von einer Behandlung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB derart profitieren werde, dass er zumindest für eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall und damit von der Begehung weiterer Straftaten bewahrt wird.
8
b) Zwar steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Umstand, dass ein Täter bereits eine Entzugsbehandlung absolviert hat und danach wieder rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie nicht ohne weiteres entgegen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 23. Oktober 1996 – 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131, und vom 13. April 2011 – 4 StR 7/11). Hat der Täter, wie im vorliegenden Fall der Angeklagte, mehrere Entwöhnungsbehandlungen absolviert und ist er entweder danach wieder rückfällig geworden oder mussten die Therapien abgebrochen werden, so darf sich der Tatrichter jedoch nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigen beschränken. Die Gründe des angefochtenen Urteils beschränken sich insoweit auf eine in die Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen eingekleidete Wiedergabe des Wortlauts von § 64 Satz 2 StGB. Der Senat kann danach nicht prüfen, ob die Strafkammer bei ihrer Bewertung der Erfolgsaussicht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Verhandlung, für die die zur Entscheidung berufene Strafkammer die Beauftragung eines neuen Sachverständigen in Betracht ziehen sollte, wird dessen Stellungnahme zur hinreichend konkreten Erfolgsaussicht in ihren wesentlichen Punkten in die Urteilsgründe aufzunehmen sein (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO).
9
3. Im Hinblick auf die Erwägung des Landgerichts, die generelle Abstinenzmotivation des Angeklagten ergebe sich auch aus der Tatsache, dass er sich im Jahr 2002 in Russland freiwillig einer Entzugsbehandlung mit einem gefährlichen Medikament unterzogen habe, weist der Senat darauf hin, dass es für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verhandlung vor dem Tatrichter ankommt (SSW-StGB/Schöch, § 64 Rn. 33).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.