Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Apr. 2002 - 4 StR 547/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen schweren Raubes, tateinheitlich begangen in 14 Einzelakten, wobei es in 5 Fällen beim Versuch blieb”, zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben jeweils mit einer Verfahrensrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachbeschwerden kommt es deshalb nicht an.
1. Mit Recht beanstanden die Revisionen die Ablehnung eines Beweisantrages.
a) Der Rüge liegt folgendes Prozeßgeschehen zugrunde:
Gegenstand des Verfahrens ist ein bewaffneter Raubüberfall in einem Spielkasino zum Nachteil von 14 Kasinogästen. Nach den Feststellungen trugen die beiden Täter zur Maskierung Wollmützen mit Augenschlitzen (Kopfmasken ) und zusätzlich im Mundbereich Staubmasken. Die Angeklagten haben eine Beteiligung an dem Überfall bestritten.
Am zweiten Hauptverhandlungstag stellte der Verteidiger des Angeklagten Y. den Antrag, acht - bereits am ersten Verhandlungstag vernommenen - Tatzeugen eine in der Nähe des Tatorts aufgefundene Kopfmaske, die erst zu diesem Termin zur Verfügung stand, vorzuhalten. Die Zeugen würden dann bestätigen, daß keiner der Täter eine derartige Kopfmaske getragen habe , die Kopfmasken der Täter schwarz und nicht lindgrün gewesen seien, sie einen anderen Schnitt und die Mund- und Augenöffnungen andere Formen gehabt hätten. Diesem Beweisantrag hat sich der Verteidiger des Angeklagten Ö. angeschlossen. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Zeugen seien ungeeignete Beweismittel: Durch das plötzliche , mit sofortigem Schußwaffengebrauch einhergehende maskierte Auftreten der Täter sei ein derartiges Klima von Angst und Schrecken hervorgerufen worden, daß keine auch nur annähernd präzise Beobachtungen hätten gemacht werden können; zudem sei es in dem Lokal dunkel gewesen und die Täter hätten über den Wollmasken weiße Staubmasken getragen, so daß erhebliche Teile der Wollmasken verdeckt gewesen seien. Unter diesen Umstän-
den erscheine es ausgeschlossen, daû von einem der Zeugen nachvollziehbare Angaben über Art und Farbe der Wollmasken gemacht werden könnten.
b) Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Zeuge als Beweismittel nur dann, wenn das Gericht ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, daû sich mit ihm das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen läût. Dabei ist ein strenger Maûstab anzulegen. Die absolute Untauglichkeit muû sich aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung selbst ergeben. Ein geminderter, geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit gleichgesetzt werden (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 4, 12, 13, 14, 15, 16).
Eine Ungeeignetheit der Beweismittel in diesem Sinne liegt hier nicht vor: Das Landgericht hat die Ablehnung des Beweisantrages allein mit dem nach dem Ergebnis der schon durchgeführten Beweisaufnahme voraussichtlich zu erwartenden geringen Beweiswert der Beweiserhebung begründet (es seien nämlich keine ”nachvollziehbaren Angaben” zu erwarten). Umstände dafür, daû die von den Angeklagten benannten Zeugen bei Durchführung der beantragten Beweisaufnahme zur weiteren Sachaufklärung nichts hätten beitragen können, sind jedoch nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen ist das Gegenteil der Fall; denn mehrere Tatzeugen hatten die Maskierung der Täter – wenn auch in Farbe und Form unterschiedlich – beschrieben (UA 14 f.). Es liegt daher nahe, daû die benannten Zeugen nach Vorhalt der sichergestellten Maske weiterführende Angaben hätten machen können.
c) Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages kann das angefochtene Urteil beruhen, weil das Landgericht dem Umstand, daû die beim Tatort aufgefundene, mit DNA-Spuren des Angeklagten Y. behaftete Wollmütze bei dem Überfall verwendet worden sei, maûgebliche Indizwirkung für die Täterschaft der Angeklagten beigemessen hat (UA 13 ff., 30 ff.). Der Senat kann daher nicht ausschlieûen, daû die Strafkammer zu einer anderen Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn sie die beantragten Beweise erhoben und sich die Beweisbehauptung bestätigt hätte, daû die Täter des Überfalls die aufgefundene Kopfmaske nicht benutzt haben.
2. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, daû das Landgericht , sofern es sich erneut von der Täterschaft der Angeklagten überzeugen sollte, nähere Feststellungen zu einem möglichen Rücktritt von den nur versuchten Einzelakten (§ 24 Abs. 2 StGB) zu treffen haben wird.
Tepperwien Maatz Kuckein
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanoviæ ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Tepperwien Ernemann
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.