Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Nov. 2017 - 4 StR 477/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:231117B4STR477.17.0
bei uns veröffentlicht am23.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 477/17
vom
23. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:231117B4STR477.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. November 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. Mai 2017, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Reihenfolge der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe und der Maßregel unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes und besonders schweren Raubes unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2017 verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Ferner hat es die in dem vorbezeichneten Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten. Eine Entscheidung über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel hat es nicht getroffen.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge sowie der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

II.


4
Auch die von der Strafkammer angeordnete Aufrechterhaltung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2017 hält rechtlicher Nachprüfung stand (1.). Sie hat sich jedoch zu Unrecht gehindert gesehen, gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB die Reihenfolge der Vollstreckung zu bestimmen (2.).
5
1. Das Landgericht hat zutreffend die im Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2017 angeordnete Maßregel gemäß § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten, weil die beiden im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten am 16. Juli 2016 und damit vor jener Verurteilung des Angeklagten begangen wurden. Wegen des Vorrangs der Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) vor der Regelung des § 67f StGB war kein Raum für eine zusätzliche Maßregelanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105 mwN).
6
2. Jedoch hält die Begründung, mit der das Landgericht von einer Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
a) Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Entscheidung ist – in Abweichung vom Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB – auch dann zu treffen, wenn nach § 55 Abs. 2 StGB eine bereits bestehende Unterbringungsanordnung aus einer früheren Entscheidung lediglich aufrechterhalten wird und die daneben gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe drei Jahre übersteigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 228/12, Tz. 2; vom 31. Mai 2011 – 3 StR 132/11, Tz. 3; vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105, 106). Denn durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sollen die Vorund Nachteile ausgeglichen werden, die dem Angeklagten infolge der getrennten Verurteilung entstanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1997 – 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80; Beschluss vom 4. Juli 2012, aaO). Dieses Ziel wird nur dann vollständig erreicht, wenn mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der Aufrechterhaltung der bereits bestehenden Unterbringungsanordnung auch die unter den gegebenen Umständen zur Sicherung des Therapieerfolgs erforderliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vorgenommen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012, aaO).
8
Von einem teilweisen Vorwegvollzug der Strafe nach Maßgabe des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB kann ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolgs erwarten lässt (BGH, Beschluss vom 29. September 2009 – 4 StR 348/09, Tz. 4). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen muss und dies zur Folge hat, dass der Zweck der Maßregel gefährdet und nicht, wie es § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB voraussetzt, leichter erreicht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2017 – 4 StR 261/17, StraFo 2017, 426; Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105 f. in einer nicht tragenden Erwägung). Dabei obliegt die Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB dem Tatrichter im Erkenntnisverfahren auch dann, wenn im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt lediglich aufrechterhalten wird. Entgegen der Auffassung des Landgerichts durfte diese Entscheidung nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen werden.
9
b) Der neue Tatrichter wird daher eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB zu treffen und dabei zu prüfen haben, ob und inwieweit der Angeklagte bereits in den Therapieverlauf eingegliedert ist und wie sich seine Herausnahme auf einen möglichen Therapieerfolg auswirken würde. Dabei wird gegebenenfalls auch zu erwägen sein, welche Auswirkungen ein sich an eine erfolgreiche Therapie anschließender Strafvollzug auf das weitere Abstinenzverhalten des Angeklagten haben würde.
10
Der Angeklagte wird durch eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht beschwert, sodass eine Nachholung allein auf seine Revision hin möglich ist (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 4 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 105).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
RiBGH Dr. Feilcke ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Quentin Sost-Scheible

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol

Strafgesetzbuch - StGB | § 67f Mehrfache Anordnung der Maßregel


Ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, so ist eine frühere Anordnung der Maßregel erledigt.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

Ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, so ist eine frühere Anordnung der Maßregel erledigt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 406/10
vom
25. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. November 2010
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. Dezember 2009 im Maßregelausspruch dahin geändert, dass lediglich die im Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2009 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten wird sowie die erneute Anordnung dieser Maßregel und der im Hinblick darauf angeordnete Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe entfallen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung mehrerer Freiheitsstrafen aus anderen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, die in einer Vorverurteilung angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten, die Maßregel nach § 64 StGB erneut angeordnet und einen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe von drei Monaten fest- gesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht hat, hält die (erneute ) Maßregelanordnung nach § 64 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch vorliegen. Es hat deshalb zutreffend die im Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2009 angeordnete und im Urteil des Landgerichts Düsseldorf nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhaltene Maßregel erneut aufrechterhalten. Für eine zusätzliche Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bestand indes kein Raum, weil die jetzt abgeurteilte Tat vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen wurde. In diesem Fall haben die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1981 - 4 StR 622/81, BGHSt 30, 305; Beschluss vom 8. November 1991 - 2 StR 401/91; Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4).
4
Für seine gegenteilige Entscheidung hat sich das Landgericht auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. März 1992 (4 StR 108/92, NStZ 1992, 432) bezogen. Der Bundesgerichtshof hat darin ausgesprochen, die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB "auch dann zwingend" anzuordnen, "wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet worden ist". Dieser Entscheidung lag indes gerade kein Fall einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung zugrunde. Im Übrigen ist diese Rechtsprechung, soweit sie eine "zwingende Anordnung" verlangt (ebenso BGH, Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4; Urteil vom 12. September 2001 - 3 StR 313/01; Beschluss vom 5. September 2006 - 3 StR 305/06, NStZ-RR 2007, 38), durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) ohnehin überholt, da seither die Maßregelanordnung im Ermessen des Gerichts steht. Sie hat nur noch Bedeutung für die Fälle, in denen das Gericht unter Ausübung seines Ermessens die Maßregel anordnet.
5
Die vom Landgericht neu angeordnete Maßregel hatte deshalb zu entfallen. Gleiches gilt für die vom Landgericht getroffene Entscheidung über einen teilweisen Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafe. Diese ist vorliegend ohne praktische Bedeutung, da sich der Angeklagte bereits mehr als die zur Vorwegvollstreckung bestimmten drei Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, wie in Fällen zu verfahren wäre, in denen nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen müsste. Er neigt dazu, darin eine der Konstellationen zu sehen, in denen entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB auf eine Entscheidung über einen Vorwegvollzug verzichtet werden kann.
Becker Pfister von Lienen Sost-Scheible Hubert

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 228/12
vom
4. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Juli 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 1. Februar 2012 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Dezember 2011 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich hat es die durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Dezember 2011 angeordnete Unterbrin- gung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Sein Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, weil das Landgericht nicht über eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB entschieden hat. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Entscheidung ist – in Abweichung vom Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB – auch dann zu treffen, wenn nach § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB eine bereits bestehende Unterbringungsanordnung aus einer früheren Entscheidung lediglich aufrechterhalten wird und die daneben gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe drei Jahre übersteigt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105, 106; Beschluss vom 31. Mai 2011 – 3 StR 132/11 Rn. 3). Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sollen die Vor- und Nachteile ausgeglichen werden, die dem Angeklagten infolge der getrennten Verurteilung entstanden sind (BGH, Urteil vom 30. April 1997 – 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80 mwN). Dieses Ziel wird nur dann vollständig erreicht, wenn mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der Aufrechterhaltung der bereits bestehenden Unterbringungsanordnung auch die unter den gegebenen Umständen zur Sicherung des Therapieerfolgs erforderliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vorgenommen wird.
3
Der Angeklagte wird durch eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht beschwert, sodass eine Nachholung allein auf seine Revision hin möglich ist (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 4 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 105).
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 132/11
vom
31. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. und 3. auf dessen Antrag und
einstimmig - am 31. Mai 2011 gemäß § 44, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen
:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung
der Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Bückeburg vom 10. Januar 2011 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil
im Maßregelausspruch dahin geändert,

a) dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt entfällt und

b) die Anordnung dieser Maßregel im Urteil des Amtsgerichts
Minden vom 7. September 2010 aufrechterhalten wird.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes unter Einbeziehung von mehreren Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von neun Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat lediglich den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg: im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Der Ausspruch über die (erneute) Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann hingegen nicht bestehen bleiben. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift u.a. ausgeführt: "… Das Landgericht hat mit nochausreichender Begründung festgestellt, dass bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegen. Es war der Auffassung, dass sich damit die frühere Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt durch das Amtsgericht Minden gemäß § 67f StGB erledigt hat. Für eine erneute Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bestand indes kein Raum, weil die jetzt abgeurteilte Tat vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen wurde. In diesem Fall haben die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB (st. Rspr.; BGHSt 30, 305; BGH Beschluss vom 8. November 1991 - 2 StR 401/91; BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 9; § 64 Anordnung 4; BGH Beschluss vom 22. Juli 2005 - 2 StR 258/05 -; NStZ 2009, 565) …"
3
Dem schließt sich der Senat an. Den teilweisen Vorwegvollzug der Strafe hat das Landgericht dagegen zutreffend angeordnet, da erst in dem von ihm verkündeten Urteil eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als drei Jahren gegen den Angeklagten ausgesprochen worden ist (§ 67 Abs. 2 Satz 3 StGB).
4
Wegen des nur geringen Teilerfolges der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Becker Hubert Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 406/10
vom
25. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. November 2010
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. Dezember 2009 im Maßregelausspruch dahin geändert, dass lediglich die im Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2009 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten wird sowie die erneute Anordnung dieser Maßregel und der im Hinblick darauf angeordnete Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe entfallen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung mehrerer Freiheitsstrafen aus anderen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, die in einer Vorverurteilung angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten, die Maßregel nach § 64 StGB erneut angeordnet und einen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe von drei Monaten fest- gesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht hat, hält die (erneute ) Maßregelanordnung nach § 64 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch vorliegen. Es hat deshalb zutreffend die im Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2009 angeordnete und im Urteil des Landgerichts Düsseldorf nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhaltene Maßregel erneut aufrechterhalten. Für eine zusätzliche Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bestand indes kein Raum, weil die jetzt abgeurteilte Tat vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen wurde. In diesem Fall haben die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1981 - 4 StR 622/81, BGHSt 30, 305; Beschluss vom 8. November 1991 - 2 StR 401/91; Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4).
4
Für seine gegenteilige Entscheidung hat sich das Landgericht auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. März 1992 (4 StR 108/92, NStZ 1992, 432) bezogen. Der Bundesgerichtshof hat darin ausgesprochen, die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB "auch dann zwingend" anzuordnen, "wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet worden ist". Dieser Entscheidung lag indes gerade kein Fall einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung zugrunde. Im Übrigen ist diese Rechtsprechung, soweit sie eine "zwingende Anordnung" verlangt (ebenso BGH, Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4; Urteil vom 12. September 2001 - 3 StR 313/01; Beschluss vom 5. September 2006 - 3 StR 305/06, NStZ-RR 2007, 38), durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) ohnehin überholt, da seither die Maßregelanordnung im Ermessen des Gerichts steht. Sie hat nur noch Bedeutung für die Fälle, in denen das Gericht unter Ausübung seines Ermessens die Maßregel anordnet.
5
Die vom Landgericht neu angeordnete Maßregel hatte deshalb zu entfallen. Gleiches gilt für die vom Landgericht getroffene Entscheidung über einen teilweisen Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafe. Diese ist vorliegend ohne praktische Bedeutung, da sich der Angeklagte bereits mehr als die zur Vorwegvollstreckung bestimmten drei Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, wie in Fällen zu verfahren wäre, in denen nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen müsste. Er neigt dazu, darin eine der Konstellationen zu sehen, in denen entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB auf eine Entscheidung über einen Vorwegvollzug verzichtet werden kann.
Becker Pfister von Lienen Sost-Scheible Hubert

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 348/09
vom
29. September 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. September 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 24. März 2009 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe entfällt. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre und sechs Monate vor der Unterbringung zu vollstrecken sind. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat nur hinsichtlich des angeordneten teilweisen Vorwegvollzugs Erfolg.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. August 2009 Bezug.
3
2. Die vom Landgericht vorgenommene Anordnung über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel kann indessen nicht bestehen bleiben. Diese Reihenfolge hat die Strafkammer mit der Erwägung begründet, sie sei so gestaltet, dass der Angeklagte nach der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt möglichst in die Freiheit entlassen werden könne. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
In Abweichung vom Regelfall des § 67 Abs. 1 StGB, wonach die Maßregel vor der Strafe zu vollstrecken ist, bestimmt das Gericht, dass die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StGB). Ist - wie im vorliegenden Fall - eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verhängt, "soll" das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB), es sei denn, eine andere Entscheidung lässt die Erreichung des Therapieerfolgs aus gewichtigen Gründen des Einzelfalles eher erwarten (vgl. dazu Fischer StGB 56. Aufl. § 67 Rn. 10, 12 m.w.N.). Liegen - wie hier - solche Gründe nicht vor, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr. Er hat diesen Teil nach dem Willen des Gesetzgebers so zu berechnen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Bewährungsentscheidung im Sinne von § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist (vgl. dazu auch BTDrucks. 16/1110 S. 11). Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer die Dauer des Vorwegvollzugs im vorliegenden Fall so bemessen, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung zum Halbstrafenzeitpunkt unabhängig von der zur Behandlung des Angeklagten erforderlichen Therapiedauer - die in den Urteilsgründen zudem nicht mitgeteilt wird - nicht mehr möglich ist. Dies ist dem Tatrichter jedoch nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers versagt.
5
Der Senat hat davon abgesehen, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Er erkennt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Anordnung über den Vorwegvollzug. Jede andere Entscheidung würde der Möglichkeit einer Halbstrafenentlassung zuwiderlaufen.
6
3. Der nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Beschwerdeführer teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 261/17
vom
2. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
ECLI:DE:BGH:2017:020817B4STR261.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 2. August 2017 einstimmig
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 6. Februar 2017 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Herne vom 31. August 2015 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der vier Monate als bereits vollstreckt gelten. Es hat außerdem die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aus dem vorgenannten Urteil des Amtsgerichts Herne aufrechterhalten. Diese Maßregel wird seit dem 31. Mai 2016 vollstreckt.
2
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
3
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch vorliegen. Es hat deshalb zutreffend die im Urteil des Amtsgerichts Herne vom 31. August 2015 angeordnete Maßregel nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten, weil die jetzt abgeurteilten Taten vor dieser Verurteilung des Angeklagten begangen wurden (BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105 f. mwN).
4
Auch die Nichtanordnung eines Vorwegvollzugs von Freiheitsstrafe (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Senat folgt der vom 3. Strafsenat in seinem vorgenannten Beschluss geäußerten Ansicht, dass in Fällen, in denen nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen müsste, darin eine der Konstellationen zu sehen sein kann, in denen entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB auf eine Entscheidung über einen Vorwegvollzug verzichtet werden kann.
5
Eine solche Konstellation hat der Tatrichter rechtsfehlerfrei bejaht. Der Angeklagte hat während des Maßregelvollzugs nach drei früheren, jeweils abgebrochenen Therapiemaßnahmen jetzt erstmals eine Therapiebereitschaft entwickelt. Die Herausnahme aus der Maßregel wäre nach der Einschätzung des behandelnden Arztes und des vom Landgericht gehörten Sachverständigen kontraproduktiv. Der Zweck der Maßregel würde mithin durch den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe gefährdet und nicht leichter erreicht, wie es § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB voraussetzt. Die Gefahr, dass der Angeklagte nach erfolgreichem Abschluss der Therapie im Strafvollzug rückfällig werden könnte, hat der Tatrichter erwogen und mit nachvollziehbaren Argumenten verneint. Nach alledem konnte hier auf die Anordnung eines Vorwegvollzugs verzichtet werden.
Sost-Scheible Roggenbuck Bender Quentin Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 406/10
vom
25. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. November 2010
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. Dezember 2009 im Maßregelausspruch dahin geändert, dass lediglich die im Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2009 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten wird sowie die erneute Anordnung dieser Maßregel und der im Hinblick darauf angeordnete Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe entfallen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung mehrerer Freiheitsstrafen aus anderen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, die in einer Vorverurteilung angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten, die Maßregel nach § 64 StGB erneut angeordnet und einen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe von drei Monaten fest- gesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht hat, hält die (erneute ) Maßregelanordnung nach § 64 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch vorliegen. Es hat deshalb zutreffend die im Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2009 angeordnete und im Urteil des Landgerichts Düsseldorf nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhaltene Maßregel erneut aufrechterhalten. Für eine zusätzliche Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bestand indes kein Raum, weil die jetzt abgeurteilte Tat vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen wurde. In diesem Fall haben die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1981 - 4 StR 622/81, BGHSt 30, 305; Beschluss vom 8. November 1991 - 2 StR 401/91; Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4).
4
Für seine gegenteilige Entscheidung hat sich das Landgericht auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. März 1992 (4 StR 108/92, NStZ 1992, 432) bezogen. Der Bundesgerichtshof hat darin ausgesprochen, die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB "auch dann zwingend" anzuordnen, "wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet worden ist". Dieser Entscheidung lag indes gerade kein Fall einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung zugrunde. Im Übrigen ist diese Rechtsprechung, soweit sie eine "zwingende Anordnung" verlangt (ebenso BGH, Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4; Urteil vom 12. September 2001 - 3 StR 313/01; Beschluss vom 5. September 2006 - 3 StR 305/06, NStZ-RR 2007, 38), durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) ohnehin überholt, da seither die Maßregelanordnung im Ermessen des Gerichts steht. Sie hat nur noch Bedeutung für die Fälle, in denen das Gericht unter Ausübung seines Ermessens die Maßregel anordnet.
5
Die vom Landgericht neu angeordnete Maßregel hatte deshalb zu entfallen. Gleiches gilt für die vom Landgericht getroffene Entscheidung über einen teilweisen Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafe. Diese ist vorliegend ohne praktische Bedeutung, da sich der Angeklagte bereits mehr als die zur Vorwegvollstreckung bestimmten drei Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, wie in Fällen zu verfahren wäre, in denen nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen müsste. Er neigt dazu, darin eine der Konstellationen zu sehen, in denen entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB auf eine Entscheidung über einen Vorwegvollzug verzichtet werden kann.
Becker Pfister von Lienen Sost-Scheible Hubert

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 552/08
vom
16. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Dezember 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 28. Mai 2008, soweit es ihn betrifft, aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Auch der Maßregelausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
3
Die Sache ist indes an das Landgericht zurückzuverweisen, weil nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen soll, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Entscheidung hat das Landgericht unterlassen.
4
Der Angeklagte ist durch eine solche nachträgliche Entscheidung unter keinen Umständen beschwert. Denn im Zusammenhang mit § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB ist gewährleistet, dass auch beim Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe eine Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung der Hälfte möglich ist. Darauf ist nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB bei der Berechnung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe Bedacht zu nehmen (vgl. BTDrucks. 16/1110 S. 14). Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB als "Soll-Vorschrift" ausgestaltet, um dem Gericht im Einzelfall, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden, die Möglichkeit zu eröffnen, es beim Vorwegvollzug der Maßregel nach § 67 Abs. 1 StGB zu belassen (vgl. BTDrucks. aaO). Schließlich wird dem Gericht hierdurch ermöglicht , bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, dass die Neuregelung nach dem gesetzgeberischen Willen nicht zu einer Verlängerung der Gesamtdauer des Freiheitsentzuges führen darf und das Gericht deshalb, wenn eine solche Verlängerung im Einzelfall zu befürchten wäre, im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens auf die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge zu verzichten haben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2007 - 4 StR 283/07 m.w.N.).
5
Die Zurückverweisung erfolgt an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer, da das Verfahren gegen den Mitangeklagten, bei dem Jugendstrafrecht angewendet werden konnte, rechtskräftig abgeschlossen ist.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer