Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Okt. 2007 - 4 StR 422/07

published on 18/10/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Okt. 2007 - 4 StR 422/07
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 422/07
vom
18. Oktober 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 18. Oktober 2007 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen Jugendkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 20. Februar 2007
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung schuldig sind;
b) in den Strafaussprüchen mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung für schuldig befunden und den Angeklagten K. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren , den Angeklagten G. unter Einbeziehung zweier rechtskräftiger Urteile zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen und der Angeklagte K. zudem eine Verfahrensrüge erhebt, haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen war der Zeuge F. Mitglied einer Tätergruppe , die Lastkraftwagen oder deren Ladungen entwendete oder entwenden ließ, diese nach Moldavien verbrachte und dort verkaufte. Ende November /Anfang Dezember 2005 verschaffte sich der Zeuge P. einen auf dem Betriebsgelände des Zeugen F. abgestellten, entwendeten Auflieger, der mit Kompressoren im Wert von etwa 80.000 € beladen war, und weigerte sich, diesen wieder herauszugeben. Am 5. Dezember 2005 erschienen die Angeklagten , die an den illegalen Einkünften des Zeugen F. teilhatten, im Büro des Zeugen P. und forderten ihn auf, den entwendeten Auflieger zurückzubringen. Sie unterstrichen ihre Forderung dadurch, dass sie ihn, auch mit Gegenständen , schlugen, ihn mit einer Pistole bedrohten und ihm schließlich in beide Beine schossen; auch ein anwesender Moldavier erhielt einen Beindurchschuss. Die Angeklagten flüchteten erst, als der Zeugen P. behauptete, das Büro werde videoüberwacht.
3
Diese Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung nicht. Sie belegen nicht, dass die Angeklagten mit ihren Nötigungshandlungen eine rechtswidrige Bereicherung des Zeugen F. erstrebten. Der Zeuge P. hatte dem Zeugen F. , wie den Angeklagten bekannt war, kurz zuvor den Besitz an dem Auflieger nebst Ladung durch verbotene Eigenmacht entzogen. Deswegen hatte der Zeuge F. gegen P. gemäß § 861 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes. Darauf, dass der Besitz des Zeugen F. an dem Diebesgut ebenfalls fehlerhaft im Sinne des § 858 Abs. 2 Satz 1 BGB gewesen war, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, denn auch der Dieb genießt gegenüber Dritten Besitzschutz (vgl. Palandt/Bassenge BGB 66. Aufl. § 858 Rdn. 7; Staudinger/Bund BGB Bearb. 2000 § 858 Rdn. 58).
4
Das Verhalten der Angeklagten stellt sich nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen demnach nicht als versuchte schwere räuberische Erpressung , sondern als versuchte Nötigung, §§ 240, 22, 23 StGB, dar, die in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen wurde. Der Senat schließt aus, dass der neue Tatrichter ergänzende Feststellungen treffen kann, die eine Absicht der Angeklagten, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern , belegen könnten. Er ändert daher die Schuldsprüche entsprechend. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich die Angeklagten gegen die geänderten Schuldvorwürfe nicht anders als geschehen hätten verteidigen können.
5
Die Schuldspruchänderungen bedingen die Aufhebung der Strafaussprüche. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf geringere Strafen erkannt hätte, auch wenn sich das Gewicht der Tat vorrangig aus der gefährlichen Körperverletzung ergibt, die bei dem Geschädigten P. zu andauernden physischen und psychischen Schäden geführt hat.
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanović Ernemann
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen, so kann dieser die Wiedereinräumung des Besitzes von demjenigen verlangen, welcher ihm gegenüber fehlerhaft besitzt.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz dem gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahre vor der Entziehung erlangt worden ist.

(1) Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht).

(2) Der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz ist fehlerhaft. Die Fehlerhaftigkeit muss der Nachfolger im Besitz gegen sich gelten lassen, wenn er Erbe des Besitzers ist oder die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers bei dem Erwerb kennt.

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.