Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Okt. 2000 - 4 StR 411/00

published on 19/10/2000 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Okt. 2000 - 4 StR 411/00
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 411/00
vom
19. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Oktober
2000 einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 12. Mai 2000 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 12. September 2000 bemerkt der Senat: Hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensrügen fehlt es für deren Zulässigkeit an dem vollständigen Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Wird die Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens mit der Behauptung beanstandet, der gehörte Sachverständige habe wesentliche Anknüpfungstatsachen und Unterlagen unberücksichtigt gelassen, so bedarf es deren vollständiger Mitteilung, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Einwände gegen die Sachkunde des gehörten Sachverständigen begründet sind. Daran fehlt es. So werden das Blutentnahmeprotokoll und der die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers betreffende Vermerk der Kriminalpolizei vom 14. März 2000 (SA Bl. 27) nur auszugsweise mitgeteilt. Der für die Beurteilung der Entzugserscheinungen bedeutsame Arztbericht des Landeskrankenhauses L. und der Inhalt der Krankenakte werden nur mitgeteilt, soweit sie Eingang in das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. L. gefunden haben ("Aus der Gesundheitsakte ..."; dort Seite 11). Desgleichen unterläßt es die Revision, den genauen Inhalt der "Krankengeschichte des stationären Krankenhausaufenthalts 1997 im St. Josef Hospital in C. ... und weitere Arztunterlagen aus Anlaß des Vorfalls vom 23.03.1997" (RB S. 12) mitzuteilen. Die fehlende vollständige Mitteilung der den Zustand des Angeklagten nach der Festnahme bis hin zur Vorführung beim Haftrichter betreffenden Unterlagen macht auch die weiter erhobene Aufklärungsrüge unzulässig. Zudem hätte es insoweit auch des Vortrags des Protokolls der richterlichen Vernehmung bedurft. Davon abgesehen sind die Verfahrensbeschwerden auch unbegründet. Die Beurteilung der Sachkunde des Gutachters steht im pflichtgemäßen Ermessens des Tatrichters (BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Sachkunde 1). Der Sachverständige hat dabei in eigener Verantwortung über die Heranziehung von Unterlagen und den Umfang seiner Erhebung zu entscheiden (st. Rspr.; BGHSt 44, 26, 33; BGH NStZ 1999, 630, 632). Das Landgericht mußte sich auch nicht zu weiterer Sachaufklärung gedrängt sehen. Zu Unrecht wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Generalbundesanwalts, die auf der nach der Tat zunächst unterbliebenen Methadonbehandlung beruhende Haftunfähigkeit sei für die Frage der Schuldfähigkeit zur Tatzeit ohne Bedeutung. Das gilt hier umso mehr, als seit der Tatbegehung mehr als acht Stunden vergingen, bevor ("gegen 12.40 Uhr"; Bl. 27 d.A.) die Kriminalpolizei über Entzugser- scheinungen bei dem festgenommenen Beschwerdeführer unterrichtet wurde. Zwar kann bei der Beschaffungskriminalität eines Heroinabhängigen die Angst vor nahe bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen, die er schon "grausamst" erlitten hat, die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit begründen (BGHR StGB § 21 BtMAuswirkungen 7, 9, 11). Entscheidend kommt es dabei aber darauf an, ob die Tatbegehung maßgeblich von der Angst vor Entzugserscheinungen bestimmt gewesen ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2000 - 1 StR 310/00). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war das beherrschende Motiv des Angeklagten für den Überfall jedoch die Sorge, wegen rückständiger Mietzahlungen seine Wohnung räumen zu müssen. Wenn das Landgericht hiernach die von ihm nach normativen Maßstäben zu beantwortende Rechtsfrage, ob eine "erhebliche" Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit vorgelegen hat (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 21 Rdn. 8 mit Rechtsprechungsnachweisen), verneint hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch die Strafbemessung ist frei von durchgreifenden Rechtsfehlern. Zwar weckt die Erwägung, die festgesetzte Strafe sei "auch zur Abschreckung anderer unbedingt erforderlich" (UA 17), für sich genommen Bedenken, das Landgericht könne generalpräventive Gesichtspunkte in unzulässiger Weise strafschärfend berücksichtigt haben (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 1 f.). Jedoch ergibt der Zusammenhang, in dem dieser Gesichtspunkt hier im Anschluß an die Festsetzung der Strafhöhe neben den weiteren Gesichtspunkten der "schuldangemessene(n) Sühne" sowie der "nachhaltigen Beeindruckung des Angeklagten" aufgeführt ist, daß das Landgericht lediglich zum Ausdruck bringen wollte, die Höhe der Strafe werde allen anerkannten Strafzwecken gerecht. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Meyer-Goßner Maatz Kuckein
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

7 Referenzen - Gesetze

moreResultsText

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
3 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 19/09/2000 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 310/00 vom 19. September 2000 in der Strafsache gegen wegen schweren Raubes Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. September 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitze
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.
published on 20/10/2009 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 408/09 vom 20. Oktober 2009 in der Strafsache gegen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u. a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdefü
published on 22/11/2018 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 347/18 vom 22. November 2018 in der Strafsache gegen wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls u.a. ECLI:DE:BGH:2018:221118B4STR347.18.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Gen
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.