Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Feb. 2015 - 4 StR 37/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
II.
- 3
- Jedoch hat der Strafausspruch keinen Bestand.
- 4
- Das Landgericht hat gegen den im Tatzeitraum 19 bzw. 20 Jahre alten Angeklagten eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG verhängt. Zwar sei zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen , dass er nicht vorbestraft sei und sich die Intensität der festgestellten sexuellen Handlungen vergleichsweise noch in Grenzen gehalten habe. Jedoch würden die „Schwere der Taten“ und das „Tatbild insgesamt“ für das Vorhandensein schädlicher Neigungen sprechen. Die erforderliche Nachreifung des Angeklagten sei nicht mehr allein mit Erziehungsmaßregeln bzw. Zuchtmitteln zu erreichen, sondern allein mit den Mitteln des Jugendstrafvollzugs. Die verhängte Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sei unbedingt erforderlich , um noch erzieherisch auf den Angeklagten einwirken zu können.
- 5
- Diese Erwägungen leiden an durchgreifenden Erörterungsmängeln und halten rechtlicher Überprüfung daher nicht stand.
- 6
- 1. Schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Voraussetzung ist ferner, dass die schädlichen Neigungen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. März 1992 – 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 5; Beschluss vom 13. November 2013 – 2 StR 455/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 11, jeweils mwN).
- 7
- 2. Gemessen daran wäre vom Landgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nach Begehung der abgeurteilten Taten, die im Urteilszeitpunkt mehr als zwei Jahre zurück lagen, nicht mehr straffällig geworden ist. Dieser Umstand kann darauf hindeuten, dass eine Gefahr künftiger Straftaten nicht mehr besteht (BGH, Beschluss vom 13. November 2013 aaO). Die Strafkammer hätte ferner in den Blick nehmen müssen, dass die einschlägige Vorverurteilung des Angeklagten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den hier abgeurteilten Taten stand und dasselbe Tatopfer betraf, der Angeklagte Selbstanzeige erstattete und sich in Therapie begab. Dass Verlauf und Ergebnis dieser therapeutischen Behandlung für die Beurteilung der Frage, ob beim Angeklagten noch zum Zeitpunkt des Urteils schädliche Neigungen vorlagen, von Bedeutung sein konnten, liegt auf der Hand und hätte daher ebenfalls der Erörterung bedurft.
- 8
- Die Sache bedarf daher zum Rechtsfolgenausspruch insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Mutzbauer Quentin
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.
(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.
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a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung und Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung verurteilt wird,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützt Revision des Angeklagten.
I.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der Angeklagte in der Nacht vom 25. zum 26. September 2010 in der Wohnung des Mitangeklagten S. auf. Nachdem der Zeuge N. den Mitangeklagten S. wegen eines Diebstahls zur Rede gestellt hatte, beschlossen die Angeklagten, darauf mit einem „Klingelstreich“ zu reagieren. Diesführte zu einer Auseinandersetzung , bei welcher der Zeuge N. dem Mitangeklagten S. einen Schlag versetzte. Der Angeklagte H. warf diesem mit der wiederholten Aufforderung „schlag zu“ einen Spaten zu, worauf der Angeklagte S. dem Zeugen N. damit einen Hieb versetzte. Nachdem der Geschädigte dem Mitangeklagten S. den Spaten abgenommen hatte, schlug der Geschädigte den Angeklagten S. zu Boden. Der Angeklagte H. eilte in die Wohnung des Mitangeklagten S. , holte ein Messer und übergab es dem Mitangeklagten mit der Aufforderung „nimm das und steche ihn ab“. Der Zeuge N. konnte jedoch dem Mitangeklagten S. das Messer wegnehmen, ohne verletzt zu werden.
II.
- 3
- Die Revision ist mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang begründet. Die Verfahrensrüge reicht nicht weiter, so dass es hierauf nicht ankommt.
- 4
- 1. Der Schuldspruch ist dahin abzuändern, dass im zweiten Fall nur eine Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung vorliegt (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 26, § 22 StGB). Die Annahme des Landgerichts, auf die Nichtvollendung der Haupttat komme es nicht an, trifft nicht zu. Ist die Anstiftung zwar als solche vollendet, die Haupttat aber nur in das Versuchsstadium gelangt, so liegt eine Anstiftung zum Versuch vor.
- 5
- Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte, der die Taten eingeräumt hat, nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 6
- 2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
- 7
- Das Landgericht hat gegen den zur Tatzeit 15jährigen Angeklagten, der durch gewaltsame Übergriffe durch die Lebenspartner seiner Mutter geprägt wurde, eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG verhängt. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass Defizite in seiner Entwicklung vorlägen, der Angeklagte keine Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen und therapeutische Angebote abgelehnt habe. Zwar habe er seine Defizite erkannt, jedoch seien keine Wandlungen in der Lebensführung eingetreten. Die Tatsache, dass der Angeklagte eine Freundin habe, deren Kinder er mitbetreue, ändere nichts an der Bewertung. Ferner liege in der Tatsache, dass der Angeklagte seit einer letzten Vorverurteilung am 31. Mai 2011 nicht mehr durch Straftaten aufgefallen sei, keine Änderung seines Verhaltens.
- 8
- Die Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem falschen Maßstab ausgegangen ist. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel , aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren. Die schädlichen Neigungen müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen. Diese Voraussetzung für die Verhängung einer Jugendstrafe ist im angefochtenen Urteil nicht ausreichend belegt worden.
- 9
- Die Tatsache, dass der im Urteilszeitpunkt 18jährige Angeklagte zuvor rund zwei Jahre lang nicht mehr durch Straftaten aufgefallen war, deutet darauf hin, dass eine Gefahr künftiger Straftaten nicht mehr besteht. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte im Berufsleben noch nicht Fuß gefasst hat. Schwer wiegende Persönlichkeitsmängel des Angeklagten sind nicht festgestellt worden ; die ihn prägenden Gewalterfahrungen im Haushalt der Mutter hat er nicht verschuldet.
- 10
- Das Landgericht hat sich darauf beschränkt, positive Faktoren als unerheblich zu bezeichnen. Das trifft aber auch nicht zu. Die Tatsache, dass der Angeklagte die Kinder seiner Freundin mitbetreut, spricht tendenziell gegen Persönlichkeitsdefizite. Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng
(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.
(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.