Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Aug. 2011 - 4 StR 338/11

bei uns veröffentlicht am10.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 338/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen
Person u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. August 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 25. Februar 2011
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen entfällt,
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und dem Angeklagten für die Dauer von drei Jahren die psychotherapeutische Behandlung von Personen weiblichen Geschlechts untersagt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Diese hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen behandelte der Angeklagte, der seit 1999 als "Psychologischer Psychotherapeut" tätig war und mit dem Zusatz "Biodynamische Körperpsychotherapie" warb, ab Februar 2007 die Zeugin Dr. T. , die damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universität B. beschäftigt war. Die Behandlung der von ihm diagnostizierten "Angst und depressiven Störung", in deren Rahmen er Körperkontakt einsetzte, führte - was der Angeklagte zumindest erkannt hatte - zu einer zunehmenden Regredierung bei der Zeugin, wobei sie sich als Baby bzw. Kind und den Angeklagten als ihre Mutter ansah.
3
Während der Therapie übte der Angeklagte in seinen Praxisräumen - nachdem es dort schon zuvor zu sexuellen Handlungen gekommen war - am 14. und 21. Juni 2007 den Geschlechtsverkehr mit der Zeugin aus; hierzu hatte er ihr erklärt, "es sei Bestandteil der Körpertherapie, Energien durch Bewegungen überall am Körper zum Fließen zu bringen" (UA 9). Am 10. August 2007 kam es in einem vom Angeklagten zu Therapiezwecken genutzten Schwimmbad zum wechselseitigen Oralverkehr.
4
Die Strafkammer bewertete dies als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person. Hierzu ging sie - sachverständig beraten - davon aus, dass die Zeugin nicht in der La- ge gewesen sei, "einen Willensentschluss gegen das sexuelle Ansinnen des Angeklagten zu bilden, da es für sie existentielle Bedeutung hatte, nicht ihre Mutter [den Angeklagten] zu verlieren, und sie seine Bedürfnisse und Wünsche als eigene empfand, was er … zumindest billigend in Kauf nahm" (UA 9, 12).
5
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10, NJW 2011, 1891). Die Voraussetzungen des schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1 StGB) sind hingegen nicht belegt.
6
a) Opfer einer Tat nach § 179 StGB kann nur sein, wer aufgrund einzelner , im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGH, Urteil vom 15. März 1989 - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147; Beschluss vom 28. Oktober2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit ist eine normative Entscheidung (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15); sie erfordert die Überzeugung des Tatrichters, dass das Opfer zum Widerstand gänzlich unfähig war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325).
7
b) Die Überzeugung, dass die Zeugin Dr. T. widerstandsunfähig im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB war, stützt die Strafkammer allein auf das Gutachten eines Sachverständigen. Dabei kann dahinstehen, ob die Strafkammer, die sich dem Gutachten mit der Begründung angeschlossen hat, die Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen seien detailliert, wider- spruchsfrei und nachvollziehbar (UA 38), für ihre Entscheidung über eine ausreichende Grundlage verfügte, da die bloße Nachvollziehbarkeit einer sachverständigen Beurteilung die notwendige richterliche Überzeugung nicht begründen kann. Dies bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht die Widerstandsunfähigkeit der Zeugin im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB.
8
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 4. Juli 2011 ausgeführt, dass die Zeugin "aus (Existenz-)Angst, die Beziehung zu ihrem Therapeuten - dem Angeklagten - könne abbrechen und ihre "Mutter“ werde ihr genommen, nicht in der Lage gewesen [sei], "nein“ zu sagen und Widerstand zu leisten (UA S. 37).
Bereits diese Ausführungen belegen, dass die Nebenklägerin sowohl das sexuelle Ansinnen des Angeklagten als auch ihre Handlungsalternativen und deren Folgen erkannt hat. Dass sie sich dafür entschieden hat - wenn auch aus krankhaft bedingter Existenzangst - keinerlei Widerstand zu äußern [und zu leisten], zeigt aber, dass die Nebenklägerin eine Abwägung vorgenommen, mithin ein Willensbildungsprozess stattgefunden hat. Der Umstand, dass sie in ihrer Entscheidung "nicht frei gewesen" sei (UA S. 37), steht dem nicht entgegen. Denn er bedeutet lediglich , dass der zu erwartende Behandlungsabbruch für die Nebenklägerin einen derart großen (vermeintlichen) Nachteil dargestellt hätte, den sie für sich nicht in Kauf nehmen wollte.“
9
Dem tritt der Senat auch im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des Generalbundesanwalts, insbesondere zum (erfolgreichen verbalen) Widerstand der Nebenklägerin bei dem Vorfall am D. See, sowie die Ausführungen des Sachverständigen zum erhaltenen Wahrnehmungsvermögen der Zeugin bei.
10
3. Der Senat schließt im Hinblick auf die umfassende Beweisaufnahme durch das Landgericht - unter anderem durch Anhörung zweier Sachverständiger , die die Nebenklägerin begutachtet haben - aus, dass nach einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache die sichere Feststellung getroffen werden kann, dass die Nebenklägerin den sexuellen Handlungen des Angeklagten keinen Widerstand entgegensetzen konnte. Er lässt daher - dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend - den Schuldspruch wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen entfallen.
11
4. Dies hat die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge, da die Strafkammer die gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen dem gegenüber § 174c StGB höheren Strafrahmen des § 179 Abs. 6 StGB entnommen hat. Ferner hebt der Senat das gegen den Angeklagten verhängte Berufsverbot auf, um der neu zur Entscheidung berufenen Strafkammer eine umfassende eigene Entscheidung über die Rechtsfolgen zu ermöglichen. Bei der neuen Entscheidung über die Verhängung eines Berufsverbots wird auch zu bedenken sein, dass der Angeklagte - soweit ersichtlich - seinen Beruf über viele Jahre hin beanstandungsfrei ausgeübt hat; auch dies steht indes einer negativen Gefährlichkeitsprognose nicht von vorneherein entgegen.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

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Strafgesetzbuch - StGB | § 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses


(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 669/10
vom
14. April 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs
-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1
StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen
sexuellen Handlung nicht entgegen.
2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise
dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-,
Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Ver-
trauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung
ausnutzt.
BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10 – LG Münster
wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. April
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin Rosa Geppert aus Münster
als Nebenkläger-Vertreterin für Doris N. aus Nottuln,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wurde ,
b) im Ausspruch über die im Fall II.2. der Urteilsgründe verhängte Einzel- sowie die Gesamtstrafe. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) freigesprochen wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) soweit gegen den Angeklagten kein Berufsverbot verhängt wurde. 4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen "Ausspruch über die Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 8 Abs. 3 StrEG" wird als unzulässig verworfen. Insofern trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt, dass drei Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit zwei Verfahrensrügen, zudem beanstandet er die Anwendung des sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung eines Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die Kostenentscheidung und eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige Beschwerde einlegt. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind gegenstandslos bzw. unzulässig.

I.


2
Soweit der Angeklagte verurteilt wurde und hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der 57jährige Angeklagte schloss 1996 eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab und erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, "die Heilkunde auszuüben, ohne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Folgezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte er ferner eine Ausbildung zum Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.
4
1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals zum Angeklagten. Grund hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen von "Schulmedizinern" und eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah eine Behandlung durch den Angeklagten als den "letzten Versuch" an, ihren Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte "behandelte" die Zeugin bis zum 8. Juli 2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustimmung unter anderem mindestens drei Mal ein "Vaginaltouché" durchführte. Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie im Allgemeinen - in Deutschland nicht anerkannte "Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des "Vaginalraumes" unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Finger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit versuchte der Angeklagte zudem, mit seiner Zunge in den Mund der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni sowie am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu führte er sein Glied an den Mund der unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugi n heran, wobei er jeweils ihre Lippen berührte. Zu einem Eindringen kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite drehte.
5
Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe ) bewertete die Kammer als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser Zeugin sprach die Strafkammer - insofern unbeanstandet durch die Staatsanwaltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen gehandelt habe.
6
2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ihrer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten, um ihre Migräne behandeln zu lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig und wurde vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang "behandelt", unter anderem blies er ihr in Nase, Ohren und Mund, schnippte mit den Fingern und schlug ihr mit der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin "völlig unerwartet und für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass die Zeugin vor Schmerzen aufschrie".
7
Die Strafkammer bewertete den Biss in die Brust der Zeugin (Fall II.2. der Urteilsgründe) als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in Tateinheit mit Körperverletzung und verhängte hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
8
3. In den angeklagten Fällen 9 bis 14 (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe ) "behandelte" der Angeklagte ab dem 4. Januar 2004 die Zeugin N. , die wegen starker Rückenschmerzen zum Angeklagten gekommen war.
Während der "Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés" vor und veranlasste die Zeugin - ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erfasst waren - freigesprochen und das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen).
9
Am 22. Juli 2004 (Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) entkleidete sich auch der Angeklagte vollständig und vollzog - ohne Kondom - mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden und fühlte sich "geborgen und ganz entspannt".
10
Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 und Januar 2005 in mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fälle 10 bis 13); nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Angeklagte und die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober und/oder 9. Dezember 2004 = Fälle II. 4.d der Urteilsgründe).
11
Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der Urteilsgründe). Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand indes hierbei "nicht mehr die schönen und positiven Gefühle" wie zuvor.
12
Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgrund des Einverständnisses der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei.

II.


13
Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er seine Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe angreift. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
15
1. In den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe begegnet schon der Schuldspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Verurteilung nach § 174c Abs. 1 StGB erfordert, dass sich das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut hat. Dies hat das Landgericht nicht (hinreichend ) festgestellt.
17
Nach den Feststellungen suchte die Zeugin den Angeklagten "wegen eines seit langer Zeit bestehenden, aber unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches" auf, nachdem "mehrfache schulmedizinische Versuche … und auch die Behandlung bei einem Heilpraktiker" erfolglos geblieben waren (UA 16). Ein unerfüllter Kinderwunsch ist für sich betrachtet indes keine Krankheit oder Behinderung (vgl. zum Sozialversicherungsrecht BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316, 325 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B1 KR 10/09 R, NZS 2011, 20, 21; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - IV ZR 187/07, NJW-RR 2011, 111, 112 f.). Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob der Begriff "Krankheit" über die Untersuchungen zur Erstellung einer (Erst-)Diagnose hinaus (vgl. BT-Drucks. 13/8267 Anlage 3) auch solche Fälle erfasst, in denen eine Person lediglich aufgrund eines eingebildeten Zustandes professionelle Hilfe aufsucht (so SSW-StGB/Wolters § 174c Rn. 3; Renzikowski , NStZ 2010, 694, 695; derselbe in MünchKomm StGB, § 174c Rn. 13 jeweils mwN; für nicht-körperliche Erkrankungen auch NK-StGB-Frommel, 3. Aufl., § 174c Rn. 9; aA Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 174c Rn. 2; ersichtlich auch Hörnle in LK, 12. Aufl., § 174c Rn. 5 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Dass der unerfüllte Kinderwunsch seine Ursache zumindest in einer in diesem Sinne zu verstehenden , vom Angeklagten an der Zeugin behandelten geistigen, seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung hatte, hat die Kammer nicht festgestellt und auch nicht erörtert.
18
Soweit die Strafkammer beiläufig mitteilt, dass die Zeugin dem Angeklagten während der "Anamnese" von einem Myom im Unterleib berichtet und der Angeklagte erklärt habe, "dass man das beheben könne" (UA 17), ergibt sich aus den Feststellungen - auch im Gesamtzusammenhang - nicht, dass die nachfolgende "Behandlung" auf eine Beseitigung dieses Myoms gerichtet war. Vielmehr legen die Urteilsausführungen (z.B. UA 19 oben) nahe, dass sich die Zeugin der "Behandlung" durch den Angeklagten allein deshalb anvertraut und unterzogen hat, weil sie dies als den "letzten Versuch, den Kinderwunsch zu erfüllen", angesehen hatte.
19
b) Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne des § 174c Abs. 2 StGB, der nach seinem Wortlaut keine Krankheit oder Behinderung voraussetzt (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 7; Zauner, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c StGB, Diss. Tübingen, 2004, S. 15 ff.), hat der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer bei der Zeugin nicht vorgenommen. Einer Ver- urteilung nach dieser Vorschrift stünde zudem die Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach Täter insofern nur sein kann, wer zum Führen der Bezeichnung "Psychotherapeut" berechtigt ist (Beschluss vom 29. September 2009 - 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169, 171 mit ablehnender Anmerkung Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695).
20
2. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand.
21
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer erfordert sowohl nach § 47 Abs. 1 StGB als auch nach dessen hier anzuwendendem Absatz 2, dass die Freiheitsstrafe unerlässlich ist, sie sich also aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Ob dies der Fall ist, hat die Strafkammer ersichtlich deshalb unerörtert gelassen, weil sie dem Angeklagten - was auch bei der ersten abgeurteilten Tat Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513, 514) - eine eng zusammenhängende Serie von Straftaten anlastet, die schon ohne nähere Darlegung ein Bedürfnis nach Einwirkung auf den - wenn auch nicht vorbestraften - Täter deutlich zutage treten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554 mwN). Dieser Wertung ist indes infolge der Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe die tatsächliche Grundlage entzogen.
22
3. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten dagegen keinen Erfolg.
23
Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 22. Dezember 2010 dargelegten Gründen unbegründet bzw. unzulässig. Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Bewertung des Bisses in die Brust der - für die Behandlung einer Migräne - auf Geheiß des Angeklagten vollständig entkleideten Zeugin als sexuelle Handlung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 4 StR 9/05, in StV 2005, 439 unvollständig abgedruckt; Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000, Rn. 71 mwN). Den Ausführungen des Urteils ist ferner jedenfalls im Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf die Vornahme einer sexuellen Handlung bezogen hat. Eine Einwilligung gemäß § 228 StGB in die vorsätzliche Körperverletzung oder auch die sexuelle Handlung wurde von der durch die "Behandlung" völlig überraschten Patientin nicht erteilt.

III.


24
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
25
1. Die Revision der Staatsanwalt hat in vollem Umfang Erfolg.
26
Das Landgericht ist bei den Freisprüchen in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) zu Unrecht davon ausgegangen , dass eine Verurteilung des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB schon deshalb ausscheidet, weil die Zeugin N. mit den vom Angeklagten vorgenommenen sexuellen Handlungen einverstanden war.
27
a) Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen. Ein solches Einvernehmen schließt weder als Einverständnis den Tatbestand noch als Einwilligung die Rechtswidrigkeit der Tat aus.
28
aa) Dies belegt schon der Wille des Gesetzgebers.
29
Zur ursprünglichen Fassung von § 174c Abs. 1 StGB verweisen die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8267 S. 7) ausdrücklich darauf, dass eine Strafbarkeit des Täters nach dieser Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat; "denn wegen der Eigenart der tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse kann das Opfer regelmäßig nicht frei über sexuelle Kontakte zu der Autoritätsperson entscheiden". Zwar bezogen sich diese "tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse" nach der damals geltenden Gesetzesfassung auf Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnisse mit Personen, die geistig oder seelisch erkrankt waren oder an entsprechenden Behinderungen litten. Der Gesetzgeber hatte aber schon damals die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Opfer in den Straftatbestand erwogen, war aber zunächst - unter dem Vorbehalt einer Überprüfung aufgrund neuer Erkenntnisse - davon ausgegangen, dass bei körperlichen Leiden "eine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung , wie sie bei geistig oder seelisch kranken oder behinderten Personen" vorliegt, in der Regel nicht gegeben ist (BT-Drucks. 13/8267 S. 6 und Anlagen 2 und 3; vgl. zu dem Vorschlag, auch körperliche Leiden einzubeziehen, insbesondere die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/1/97 S. 3, und die Stellungnahme des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/97 [Beschluss] S. 3; zur Gesetzesgeschichte auch Zauner aaO, S. 7 ff.; Bungart, Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen, 2005, S. 41 ff., 65, 68).
30
Letztere Ansicht hat der Gesetzgeber bei der Einbeziehung körperlich kranker oder behinderter Menschen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB im Jahr 2003 aufgegeben, ohne hierbei seine Auffassung zur Unbeachtlichkeit einer Zustimmung des Opfers geändert zu haben. Denn "auch bei körperlichen Krankheiten oder Behinderungen [kann] zwischen Therapeuten und insbesondere mehrfach behinderten Patienten eine Abhängigkeit bestehen, die durch Überlegenheit des Therapeuten und besonderes Vertrauen des hilfesuchenden Patienten gekennzeichnet ist. Dieses Vertrauensverhältnis muss ebenso wie bei psychischen Krankheiten oder Behinderungen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden" (BT-Drucks. 15/350 S. 16). Dem Gesetzgeber kam es mithin darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen generell und selbst bei einem Einverständnis des Patienten als missbräuchlich auszuschließen (Laubenthal aaO Rn. 276; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Wolters aaO § 174c Rn. 7).
31
bb) Auch nach dem Wortlaut von § 174c Abs. 1 StGB schließt ein bloßes Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung den Tatbestand dieser Strafvorschrift nicht aus.
32
§ 174c StGB erfordert - schon nach seinem Wortlaut - keine Nötigung des Opfers. Anknüpfungspunkt für einen tatbestandlichen Ausschluss der Strafbarkeit bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen könnte daher allein der in § 174c Abs. 1 StGB geforderte "Missbrauch" sein (vgl. Renzikowski aaO § 174c Rn. 24 ff.; Hörnle aaO § 174c Rn. 22). Indes knüpft dieser "Missbrauch" an das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis an; er ist auf den Täter bezogen und liegt vor, wenn dieser "die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt" (BT-Drucks. 13/8267 S. 7; ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08 mwN). Das erst während eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses erklärte Einvernehmen des Opfers mit der sexuellen Handlung ist aber für die Begründung des Vertrauensverhältnisses ohne Bedeutung, es setzt dieses - zumindest regelmäßig - vielmehr voraus (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe aaO; Wolters aaO § 174c Rn. 7; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 109 f., 111 f., 139 f.).
33
Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174a Abs. 1, § 174b StGB, die ebenfalls sexuelle Handlungen in einem Obhutsverhältnis unter Strafe stellen und dabei an einen "Missbrauch" - aber nicht eine Nötigung - anknüpfen, wird allein dem Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung keine tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen (vgl. BT-Drucks. VI/1552, S. 16; VI/3521 S. 20, 22 ff., 26, 28 f.; BGH, Urteile vom 8. Januar 1952 - 1 StR 561/51, BGHSt 2, 93, 94, und vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 f.; Fischer aaO § 174 Rn. 15, § 174a Rn. 10; Renzikowski aaO § 174a Rn. 17, § 174b Rn. 15 jeweils mwN).
34
Eine im Schrifttum teilweise vorgeschlagene Differenzierung zwischen geistigen (tatbestandsausschließendes Einverständnis nicht möglich) und körperlichen Krankheiten oder Behinderungen (bei denen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis möglich sein soll; vgl. etwa Renzikowski aaO § 174c Rn. 27 f.; Sick/Renzikowski, Festschrift-Schroeder, 2006, S. 603, 610; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 174c Rn.6) lässt sich auch unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in solch pauschaler Weise nicht rechtfertigen (vgl. auch Hörnle aaO § 174c Rn. 19 ff.) und würde schon deshalb weitere Probleme aufwerfen, weil die Einbeziehung kör- perlich erkrankter oder behinderter Personen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB gerade deshalb vorgenommen wurde, weil "körperliche und seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach behinderten Patienten oft so eng miteinander verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung nur unter einem Gesichtspunkt nicht möglich ist" (BT-Drucks. 15/350 S. 16; Wolters aaO § 174c Rn. 7 f. nimmt deshalb trotz Einverständnisses des Opfers einen Missbrauch stets an, wenn zumindest auch ein psychischer Defekt beim Opfer vorliegt).
35
cc) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es ebenfalls nicht, allein aufgrund des Einvernehmens des Opfers mit der sexuellen Handlung die Straflosigkeit des Täters anzunehmen.
36
Dabei kann dahinstehen, ob eine Zustimmung des Patienten schon deshalb unbeachtlich ist, weil § 174c StGB auch zur Einhaltung von Berufspflichten anhalten soll, also das Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Behandlung sowie das Vertrauen in die Lauterkeit einer Berufsgruppe schützt, und schon deshalb für den Einzelnen nicht disponibel ist (vgl. Frommel aaO § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 37, 112, 140; zu diesem Schutzzweck auch OLG Karlsruhe aaO; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 1; Laubenthal aaO Rn. 269; aA Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695; Bungart aaO S. 216).
37
Auch der von § 174c StGB jedenfalls vorrangig bezweckte Schutz der Selbstbestimmung des Opfers steht bei dessen Einvernehmen mit der sexuellen Handlung der Strafbarkeit des Täters nicht von vorneherein entgegen. Denn der Gesetzgeber hat in den §§ 174 ff. StGB gerade nicht eine allein gegen den Willen oder ohne Einverständnis des Opfers an ihm vorgenommene sexuelle Handlung unter Strafe gestellt, sondern hat hierbei auf - im Wesentlichen äuße- re - Umstände abgestellt, bei deren Vorliegen er ersichtlich davon ausging, es liege selbst bei einer Zustimmung des Opfers keine selbstbestimmte und autonome Entscheidung, sondern ein strafwürdiges und strafbares Verhalten des Täters vor (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 18 f.; Fischer, ZStW 112 [2000], S. 75, 90 f.). Auch bei § 174c StGB kam es dem Gesetzgeber - wie oben ausgeführt - dementsprechend darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnissen als missbräuchlich auszuschließen, weil er die freie Selbstbestimmung in dem maßgeblich vom Täter beeinflussten Vertrauens - und Abhängigkeitsverhältnis des Kranken oder Behinderten und seiner sich daraus ergebenden Schutz- und Hilfsbedürftigkeit generell als beeinträchtigt ansah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 4 sowie Fischer aaO S. 93).
38
b) Auf dieser Grundlage fehlt es an einem Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB (lediglich) dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]; Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 f.; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [beide zu § 174a StGB]). Der Tatrichter muss daher für eine Verurteilung nach dieser Vorschrift zwar nicht (positiv) feststellen, dass das Opfer im konkreten Tatzeitpunkt vom Angeklagten abhängig war oder dass der Täter eine Hilflosigkeit oder die Bedürftigkeit des Opfers ausgenutzt hat (so ausdrücklich BT-Drucks. 13/8267 S. 7; vgl. ferner OLG Karlsruhe aaO). Auch kann er im Regelfall davon ausgehen, dass bei sexuellen Handlungen in einem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis dessen Missbrauch vorliegt (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15). Liegen aber Hinweise dafür vor, dass der Angeklagte ausnahmsweise nicht seine auf das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis gegründete Vertrauensstellung zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat, so muss er diesen Hinweisen nachgehen und im Falle einer Verurteilung darlegen, dass ein solches Ausnutzen in dem von ihm zu beurteilenden Fall gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325).
39
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe aaO; Bungart aaO S. 221 f.; zu § 174a StGB ferner BGH, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349). Hierfür ist eine vom Opfer dem Täter gegenüber zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zu der sexuellen Handlung eine gewichtige, regelmäßig sogar unerlässliche Voraussetzung , sofern sie nicht - wie etwa bei nahe an die Widerstandsunfähigkeit im Sinn des § 179 StGB heranreichenden krankheits- oder behandlungsbedingten Zuständen - von vorneherein als zu beachtende Willenserklärung ausscheidet (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 2, 4, 23 mwN). Jedoch genügt ein Einverständnis allein - wie oben ausgeführt - nicht, um einen Missbrauch auszuschließen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer davon auszugehen ist, dass eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses regelmäßig gegebene Vertrauensbeziehung entweder tatsächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung ohne Bedeutung war (vgl. auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26, 27 [zu § 174a StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]).
40
Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs-, Behandlungs - oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung" und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 22 [zu § 174 StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]; Renzikowski aaO § 174c Rn. 28; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 6; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Bungart aaO S. 222; dazu aber auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26; OLG Karlsruhe aaO). Hat der Täter dagegen beispielsweise vorgegeben, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig oder Teil der Therapie (OLG Karlsruhe aaO; Hörnle aaO § 174c Rn. 23; Fischer aaO § 174c Rn. 10a; Wolters aaO § 174c Rn. 8; Renzikowski aaO § 174c Rn. 25, 28) bzw. hat er gar behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens in den Raum gestellt (Wolters aaO § 174c Rn. 8; Hörnle aaO § 174c Rn. 23) oder hat er eine schutzlose Lage des Opfers - etwa die einer auf seine Aufforderung hin unnötig vollständig entkleideten Frau - zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 23), so liegt ein Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB auch dann vor, wenn das Opfer mit dem Sexualkontakt einverstanden war.
41
c) Auf dieser Grundlage können die allein auf das Einvernehmen der Zeugin N. mit den sexuellen Handlungen gestützten Freisprüche des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage keinen Bestand haben. Vielmehr legen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe, dass ein Missbrauch des Behandlungsverhältnisses schon deshalb vorliegt, weil der Angeklagte nicht nur das diesem regelmäßig innewohnende Vertrauen der Patientin ausgenutzt, sondern er ihr gegenüber - wie sich insbesondere aus der auf UA 26 wiedergegebenen Aussage der Zeugin ergibt - ersichtlich den Eindruck erweckt hat, die sexuellen Handlungen seien Teil der Therapie.
42
2. Infolge der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem landgerichtlichen Urteil gegenstandslos. Ihre sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz ist dagegen nicht statthaft und daher unzulässig, da eine solche Entscheidung von der Strafkammer nicht getroffen wurde, die Staatsanwaltschaft aber ersichtlich nicht dieses Unterlassen angreifen will.

IV.


43
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
44
Die Strafkammer hat von der Anordnung eines Berufsverbots mit einer in der Revision nicht zu beanstandenden Begründung abgesehen. Denn der Gesetzgeber hat dem Tatrichter für diese Entscheidung bewusst einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt (BGH, Urteile vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03, und vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 60), den das Landgericht nicht überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2009 - 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170, 171).
45
Sollte sich indes im Rahmen der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Angeklagte in größerem Umfang als bisher abgeurteilt seinen Beruf bewusst und planmäßig zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe auf Patientinnen missbraucht hat, so kann dem auch für die Gefährlichkeitsprognose Bedeutung zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 mwN). Zuläs- siges Verteidigungsverhalten, wie etwa fehlende Einsicht, dürfte dabei indes nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 5 StR 544/00, wistra 2011, 220). Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängen, wird sie bei der Bestimmung dessen Umfangs zu berücksichtigen haben, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten dadurch hinreichend vorgebeugt werden kann, dass ihm beispielsweise lediglich die Behandlung weiblicher Patienten untersagt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2003 - 3 StR 454/02, StV 2004, 653 m.Anm. Kugler; vom 8. Mai 2008 - 3 StR 122/08).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 88/08
vom
28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Oktober
2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 5. Oktober 2007
a) im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entfällt;
b) im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe, die Gesamtstrafe und das Berufsverbot mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen und im anderen Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ihm für immer verboten, den Beruf des Altenpflegers sowie entsprechende berufliche Tätigkeiten auszuüben. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Angriffen. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht durch die teilweise Aufhebung des Urteils ihre Erledigung finden, unbegründet. Der sachlichrechtlichen Nachprüfung hält nur die Verurteilung im Fall II. 2. Nr. 1 der Urteilsgründe einschließlich der hierfür erkannten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten stand.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begleitete der Angeklagte im Fall II. 2. Nr. 2 in seiner Eigenschaft als Pflegekraft in einer stationären Pflegeeinrichtung eine 93jährige Bewohnerin auf die Toilette. Die Frau war aufgrund eines Hüftleidens auf den Rollstuhl angewiesen und deshalb nicht in der Lage, die Toilette selbständig aufzusuchen und sich danach zu reinigen. Nach dem Toilettengang stand die Bewohnerin auf und hielt sich an Haltegriffen fest, damit der Angeklagte sie reinigen konnte. Diese Situation, in der die Frau "körperlich und konstitutionsbedingt hilflos war, nutzte der Angeklagte zu einem sexuell motivierten Übergriff aus". Er "drang nämlich nun mit jedenfalls dem ersten Glied eines Fingers in den After der Zeugin ein" (UA S. 10). Kurze Zeit später erschien die Bewohnerin mit ihrem Rollstuhl im Pflegebüro und beschwerte sich über den Übergriff.
4
Zutreffend hat das Landgericht die Handlung des Angeklagten als sexuellen Missbrauch einer Hilfsbedürftigen in einer Einrichtung für hilfsbedürftige Menschen (§ 174 a Abs. 2 StGB) beurteilt. Der Angeklagte hat die Bewohnerin dadurch missbraucht, dass er deren Hilfsbedürftigkeit, nämlich die Unfähigkeit, sich ohne seine Hilfe aus der Toilette fortzubegeben, ausgenutzt und eine sexuelle Handlung an ihr vorgenommen hat.
5
Die Voraussetzungen eines schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1 StGB) sind hingegen mit diesen Feststellungen nicht belegt. Opfer einer Tat nach § 179 StGB kann nur sein, wer aufgrund einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGHSt 36, 145, 147; BGH NStZ 1998, 83). Das Opfer muss zum Widerstand gänzlich unfähig sein (Wolters in SK-StGB § 179 Rdn. 3). Diese Widerstandsunfähigkeit muss der Täter ausnutzen, um mit ihrer Hilfe zu der sexuellen Handlung zu kommen, d. h. die sexuelle Handlung muss dem Täter gerade erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingen. Dies unterscheidet den Missbrauch einer hilfsbedürftigen Person von dem einer widerstandsunfähigen Person, deren unterschiedliche Bewertung auch in den deutlich voneinander abweichenden Strafrahmen (§ 174 a StGB: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren; § 179 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bzw. in Fällen qualifizierter Tatbegehung oder Tatfolgen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren) zum Ausdruck kommt.
6
Das Landgericht hat bereits eine körperliche Widerstandsunfähigkeit der Bewohnerin nicht festgestellt. Nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils liegt es nicht fern, dass diese sich durch Ausdrücke der Ablehnung und Verär- gerung, durch Rufen um Hilfe und auch durch körperliche Bewegungen hätte gegen das Ansinnen des Angeklagten zur Wehr setzen können. Darauf, dass dieser Widerstand möglicherweise nicht erfolgreich gewesen wäre und sich der Angeklagte davon nicht hätte von seinem Vorhaben abbringen lassen, kommt es nicht an.
7
Selbst bei Annahme gänzlicher Unfähigkeit des Opfers zum Widerstand würde es daran fehlen, dass der Angeklagte dies zur Tatbegehung ausgenutzt hätte. Die Feststellungen legen es eher nahe, dass der Angeklagte nicht die Widerstandsunfähigkeit sondern vielmehr die Arglosigkeit seines eine Hilfeleistung erwartenden und von dem sexuellen Übergriff überraschten Opfers ausgenutzt hat und er deshalb auch bei einem widerstandsfähigen Opfer zu demselben Ziel gelangt wäre.
8
Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zu Feststellungen führen könnte, die den Schuldspruch des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person tragen. Er entscheidet deshalb in der Sache und ändert den Schuldspruch. Der Wegfall des den Strafrahmen bestimmenden Delikts führt zur Aufhebung der für diese Tat erkannten Einzelstrafe.
9
2. Im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe suchte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts im Rahmen seines Außendienstes als Pflegekraft eine 57jährige Frau in deren Haus auf. Sie war aufgrund einer Vielzahl von Operationen ersichtlich vorgealtert, in ihrer Wohnung jedoch mobil und ohne nennenswerte psychische Beeinträchtigungen (UA S. 11). Der Angeklagte betreute sie, indem er sie bei ihren Einkäufen unterstützte oder ihre Beine behandelte. Nachdem er ihr schon früher Informationsmaterial betreffend eine Beckenboden -Gymnastik übergeben hatte, erklärte er ihr am Tattag, wie sie diese Gymnastik durchzuführen hätte, und wies sie dabei an, ihren Unterleib zu entblößen , sich hinzuknien und sich mit den Händen auf den Boden aufzustützen. Die in ihrem Wesen sehr vertrauensselige Frau (UA S. 11) folgte den Anweisungen. Der Angeklagte begab sich daraufhin hinter sie und drang zumindest mit einem Finger von hinten in ihre Scheide ein.
10
Diese Feststellungen belegen die vom Landgericht angenommene körperliche Widerstandsunfähigkeit (§ 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB) des Opfers nicht. Auch der sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses (§ 174 c Abs. 1 StGB) ist nicht verwirklicht. Es fehlen schon Feststellungen dazu , dass bei der Frau eine Krankheit oder Behinderung im Sinne von § 174 c StGB vorgelegen hat. Gleiches gilt, soweit das Tatopfer nach § 174 c StGB dem Täter zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut sein muss. Zuletzt wäre - die vorgenannten Tatbestandsmerkmale als gegeben angenommen - nicht dargetan, dass der Angeklagte die sexuelle Handlung gerade unter Missbrauch dieser Tatumstände vorgenommen hat. Vielmehr deuten die bisher festgestellten Umstände darauf hin, dass der Angeklagte lediglich die Vertrauensseligkeit der Frau ausgenutzt hat.
11
Da nicht auszuschließen ist, dass eine neue Verhandlung insoweit den Tatvorwurf belegende Feststellungen erbringen wird, muss die Sache nochmals verhandelt werden.
12
3. Damit ist zugleich der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für das Berufsverbot. Insoweit wird der neue Tatrichter die von der Revision geäußerten Bedenken zu berücksichtigen haben, dass das Berufsverbot , soweit es dem Angeklagten nicht nur die Pflege alter Menschen, sondern auch "entsprechende berufliche Tätigkeiten" untersagt, zu unbestimmt sein könnte.
Becker Miebach Pfister
Sost-Scheible Hubert

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 385/08
vom
1. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1. Oktober 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 3. April 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis II. 3 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, wird er freigesprochen. Insoweit hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und festgestellt, dass als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer sechs Monate dieser Strafe als vollstreckt gelten. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung und Freisprechung in drei Fällen, in einem Fall zur Zurückverweisung.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der 1935 geborene Angeklagte bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 1994 33 Jahre lang als Werkmeister in der Schreinerei der P.-Werkstätten in F. beschäftigt, einer Einrichtung, in der überwiegend geistig Behinderte unter fachlicher Anleitung tätig sind. Der Geschädigte, ein 57 Jahre alter Mann, ist seit früher Kindheit "mittelschwer geistig behindert", kann weder lesen noch rechnen und spricht in kurzen, grammatikalisch fehlerhaften Sätzen. Er hat einen besonderen Hang zu Zahlen und Daten, die er sich gut merken und gut zuordnen kann. Sein Hobby ist das Basteln an Radios. Nach dem Tod seiner Mutter ist der inzwischen 80 Jahre alte Vater des Geschädigten als dessen Betreuer bestellt.
3
Der Angeklagte kümmerte sich schon während seiner Tätigkeit in den P.Werkstätten um den Geschädigten. Nach Eintritt in den Ruhestand hielt er den Kontakt zu den Werkstätten, insbesondere aber auch zu dem Geschädigten aufrecht. Er holte ihn etwa alle vier bis sechs Wochen ab und unternahm mit ihm Wander-Ausflüge in den Taunus. Der Geschädigte, der sonst keine Gelegenheiten zu solchen Unternehmungen hatte, freute sich über diese Ausflüge sehr; sein Vater, der dem Angeklagten in besonderem Maß vertraute, war über die Kontakte informiert und stimmte ihnen ausdrücklich zu.
4
Schon seit 1990, später auch im Rahmen der Ausflüge kam es zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten, von denen der Verurteilung vier zugrunde liegen: In den Fällen II. 1 bis II. 3 forderte der Angeklagte im November 1999, Juli und August 2003 den Geschädigten jeweils auf, sich vollständig nackt auszuziehen und sich vor ihm hinzulegen. Der Angeklagte fotografierte und filmte den Geschädigten jeweils; die Aufnahmen löschte er wieder. Im Fall II. 4 begab sich der Angeklagte im November 2003 mit dem Geschädigten in den Keller seiner Wohnung. Nachdem sich der Geschädigte auf Geheiß des Angeklagten wiederum entkleidet hatte, führte dieser ein bleistiftartiges Stück Holz, das er zuvor mit Öl beträufelt hatte, in den Anus des Geschädigten ein.
5
Das Landgericht hat den Geschädigten als widerstandsunfähig angesehen. Hierzu hat es festgestellt, dem Geschädigten sei das Geschehen jeweils unangenehm und peinlich gewesen. Er habe aber nicht gewagt, sich dem Angeklagten zu widersetzen, den er als Vertrauens- und Autoritätsperson ansah. Die Ausflüge mit ihm seien für den Geschädigten die einzige Abwechslung gewesen ; dieser sei überdies irrtümlich davon ausgegangen, der Angeklagte habe die Macht, einen Umzug aus dem relativ streng behüteten Elternhaus in eine Einrichtung des betreuten Wohnens zu veranlassen, von dem er sich mehr Freiheit erhoffte.
6
Nach der Anzeigeerstattung im November 2003 hat sich der Geschädigte mehrfach bei der Polizei nach dem Fortgang des Verfahrens erkundigt.
7
2. In den Fällen II. 1 bis II. 3 war, wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 Nr. 1 (a.F.) StGB schon deshalb nicht gegeben, weil der Angeklagte jeweils weder eine sexuelle Handlung an dem Geschädigten vorgenommen noch diesen dazu veranlasst hat, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Der Tatbestand des § 179 Abs. 1 StGB setzt Körperkontakt zwischen Täter und Tatopfer voraus; daran fehlt es hier. Da weitergehende Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, war der Angeklagte in diesen Fällen freizusprechen.
8
Im Fall II. 4 wird der Schuldspruch wegen (schwerem) sexuellem Missbrauch eines Widerstandsunfähigen gemäß § 179 Abs. 4 Nr. 1 a.F. StGB von den Feststellungen nicht getragen, weil ein Zustand der Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist.
9
Die Feststellung, der Geschädigte sei "mittelschwer geistig behindert" (UA S. 4), reicht insoweit nicht aus; erst recht nicht der Umstand, dass er nicht lesen oder rechnen kann (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 172 f.; 2005, 232, 233; BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 9; Fischer StGB 55. Aufl. § 179 Rdn. 9, 11 a m.w.N.). Zwar hat das Landgericht sich der Bewertung der Sachverständigen angeschlossen, die vorgetragen hat, der Geschädigte habe "keine Handlungsalternative gehabt, da seine Persönlichkeit es nicht zulasse, dass er sich gegen den Angeklagten zur Wehr setze" (UA S. 27). Dieser Hinweis könnte für das Vorliegen der Voraussetzungen von Widerstandsunfähigkeit sprechen (vgl. dazu etwa BGHSt 32, 183, 185; 36, 145, 147; Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 179 Rdn. 5; Renzikowski in MüKo-StGB § 179 Rdn. 25 f.; Fischer aaO Rdn. 11 ff.; jeweils m.w.N.). Dem steht aber die nachfolgende Erläuterung wieder entgegen, der Angeklagte sei für den Geschädigten "eine absolute Autoritätsperson gewesen, die ihm zu Ausflügen aus dem Alltag verholfen habe, zumal sich der Geschädigte vom Angeklagten auch Einfluss hinsichtlich eines möglichen Umzugs in eine Einrichtung des betreuten Wohnens versprochen habe. Vor diesem Hintergrund habe der Geschädigte die Handlungen des Angeklagten über sich ergehen lassen, ohne eine Wahl gehabt zu haben" (UA S. 27). Diese Erwägungen weisen gerade darauf hin, dass der Geschädigte jedenfalls subjektiv "eine Wahl" hatte, denn andernfalls wären Abwägungen über Vor- und Nachteile nicht verständlich.
10
Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit im Sinne von § 179 Abs. 1 StGB ist im Übrigen eine normative Entscheidung, hinsichtlich derer sich der Tatrichter nicht ohne eigene Würdigung einem Sachverständigen anschließen darf (Renzikowski aaO Rdn. 25; vgl. auch Fischer aaO Rdn. 13). An einer solchen fehlt es hier. Grundlage hierfür wären auch nähere Feststellungen zu den konkreten, rechtsgutbezogenen Auswirkungen der Behinderung des Geschä- digten gewesen; allgemeine Diagnosen oder zusammenfassende, schlagwortartige Beschreibungen reichen nicht aus. So wird durch den neuen Tatrichter gegebenenfalls auch das Maß lebenspraktischer Fähigkeiten des Geschädigten näher aufzuklären und zu würdigen sein, das sich etwa in seinen sonstigen sozialen Kontakten, seinem Hobby oder sonstigen Freizeitbeschäftigungen sowie seiner mehrfachen Nachfrage bei der Polizei nach dem Verfahrensstand widerspiegeln könnte. Insoweit sind umfassende neue Feststellungen erforderlich. Da auch die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt im Fall II. 4 hiervon beeinflusst sein könnten, hat der Senat davon abgesehen, diese an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen aufrecht zu erhalten.
11
3. Wenn der neue Tatrichter erneut zur Annahme von Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten gelangen und zu einem Fall des § 179 Abs. 4 Nr. 1 a.F. StGB gelangen sollte, wäre diese Qualifikation im Schuldspruch, entsprechend der ständigen Rechtsprechung zu § 177 StGB, als schwerer sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person zu kennzeichnen.
12
4. Lässt sich Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten zum Zeitpunkt der Tat nicht feststellen, wird der neue Tatrichter die Voraussetzungen des § 174 c Abs. 1 StGB zu prüfen haben.
13
Die Annahme eines Betreuungsverhältnisses liegt hier im Hinblick auf die besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem Vater des Geschädigten als dessen Betreuer, dem Geschädigten selbst und dem Angeklagten nahe; auf die Dauer eines solchen Verhältnisses sowie darauf, dass der Geschädigte dem Angeklagten nur außerhalb einer Wohn-, Arbeits- oder Therapieeinrichtung und nur für die Dauer der jeweiligen Ausflüge anvertraut war, käme es nicht an (vgl. Renzikowski aaO § 174 c Rdn. 22; Fischer aaO § 174 c Rdn. 7 f.; Laufhütte /Roggenbuck in LK 11. Aufl. Nachtrag § 174 c Rdn. 6 f.). Fischer Rothfuß Roggenbuck Cierniak Schmitt

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 88/08
vom
28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Oktober
2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 5. Oktober 2007
a) im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entfällt;
b) im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe, die Gesamtstrafe und das Berufsverbot mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen und im anderen Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ihm für immer verboten, den Beruf des Altenpflegers sowie entsprechende berufliche Tätigkeiten auszuüben. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Angriffen. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht durch die teilweise Aufhebung des Urteils ihre Erledigung finden, unbegründet. Der sachlichrechtlichen Nachprüfung hält nur die Verurteilung im Fall II. 2. Nr. 1 der Urteilsgründe einschließlich der hierfür erkannten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten stand.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begleitete der Angeklagte im Fall II. 2. Nr. 2 in seiner Eigenschaft als Pflegekraft in einer stationären Pflegeeinrichtung eine 93jährige Bewohnerin auf die Toilette. Die Frau war aufgrund eines Hüftleidens auf den Rollstuhl angewiesen und deshalb nicht in der Lage, die Toilette selbständig aufzusuchen und sich danach zu reinigen. Nach dem Toilettengang stand die Bewohnerin auf und hielt sich an Haltegriffen fest, damit der Angeklagte sie reinigen konnte. Diese Situation, in der die Frau "körperlich und konstitutionsbedingt hilflos war, nutzte der Angeklagte zu einem sexuell motivierten Übergriff aus". Er "drang nämlich nun mit jedenfalls dem ersten Glied eines Fingers in den After der Zeugin ein" (UA S. 10). Kurze Zeit später erschien die Bewohnerin mit ihrem Rollstuhl im Pflegebüro und beschwerte sich über den Übergriff.
4
Zutreffend hat das Landgericht die Handlung des Angeklagten als sexuellen Missbrauch einer Hilfsbedürftigen in einer Einrichtung für hilfsbedürftige Menschen (§ 174 a Abs. 2 StGB) beurteilt. Der Angeklagte hat die Bewohnerin dadurch missbraucht, dass er deren Hilfsbedürftigkeit, nämlich die Unfähigkeit, sich ohne seine Hilfe aus der Toilette fortzubegeben, ausgenutzt und eine sexuelle Handlung an ihr vorgenommen hat.
5
Die Voraussetzungen eines schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1 StGB) sind hingegen mit diesen Feststellungen nicht belegt. Opfer einer Tat nach § 179 StGB kann nur sein, wer aufgrund einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGHSt 36, 145, 147; BGH NStZ 1998, 83). Das Opfer muss zum Widerstand gänzlich unfähig sein (Wolters in SK-StGB § 179 Rdn. 3). Diese Widerstandsunfähigkeit muss der Täter ausnutzen, um mit ihrer Hilfe zu der sexuellen Handlung zu kommen, d. h. die sexuelle Handlung muss dem Täter gerade erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingen. Dies unterscheidet den Missbrauch einer hilfsbedürftigen Person von dem einer widerstandsunfähigen Person, deren unterschiedliche Bewertung auch in den deutlich voneinander abweichenden Strafrahmen (§ 174 a StGB: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren; § 179 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bzw. in Fällen qualifizierter Tatbegehung oder Tatfolgen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren) zum Ausdruck kommt.
6
Das Landgericht hat bereits eine körperliche Widerstandsunfähigkeit der Bewohnerin nicht festgestellt. Nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils liegt es nicht fern, dass diese sich durch Ausdrücke der Ablehnung und Verär- gerung, durch Rufen um Hilfe und auch durch körperliche Bewegungen hätte gegen das Ansinnen des Angeklagten zur Wehr setzen können. Darauf, dass dieser Widerstand möglicherweise nicht erfolgreich gewesen wäre und sich der Angeklagte davon nicht hätte von seinem Vorhaben abbringen lassen, kommt es nicht an.
7
Selbst bei Annahme gänzlicher Unfähigkeit des Opfers zum Widerstand würde es daran fehlen, dass der Angeklagte dies zur Tatbegehung ausgenutzt hätte. Die Feststellungen legen es eher nahe, dass der Angeklagte nicht die Widerstandsunfähigkeit sondern vielmehr die Arglosigkeit seines eine Hilfeleistung erwartenden und von dem sexuellen Übergriff überraschten Opfers ausgenutzt hat und er deshalb auch bei einem widerstandsfähigen Opfer zu demselben Ziel gelangt wäre.
8
Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zu Feststellungen führen könnte, die den Schuldspruch des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person tragen. Er entscheidet deshalb in der Sache und ändert den Schuldspruch. Der Wegfall des den Strafrahmen bestimmenden Delikts führt zur Aufhebung der für diese Tat erkannten Einzelstrafe.
9
2. Im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe suchte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts im Rahmen seines Außendienstes als Pflegekraft eine 57jährige Frau in deren Haus auf. Sie war aufgrund einer Vielzahl von Operationen ersichtlich vorgealtert, in ihrer Wohnung jedoch mobil und ohne nennenswerte psychische Beeinträchtigungen (UA S. 11). Der Angeklagte betreute sie, indem er sie bei ihren Einkäufen unterstützte oder ihre Beine behandelte. Nachdem er ihr schon früher Informationsmaterial betreffend eine Beckenboden -Gymnastik übergeben hatte, erklärte er ihr am Tattag, wie sie diese Gymnastik durchzuführen hätte, und wies sie dabei an, ihren Unterleib zu entblößen , sich hinzuknien und sich mit den Händen auf den Boden aufzustützen. Die in ihrem Wesen sehr vertrauensselige Frau (UA S. 11) folgte den Anweisungen. Der Angeklagte begab sich daraufhin hinter sie und drang zumindest mit einem Finger von hinten in ihre Scheide ein.
10
Diese Feststellungen belegen die vom Landgericht angenommene körperliche Widerstandsunfähigkeit (§ 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB) des Opfers nicht. Auch der sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses (§ 174 c Abs. 1 StGB) ist nicht verwirklicht. Es fehlen schon Feststellungen dazu , dass bei der Frau eine Krankheit oder Behinderung im Sinne von § 174 c StGB vorgelegen hat. Gleiches gilt, soweit das Tatopfer nach § 174 c StGB dem Täter zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut sein muss. Zuletzt wäre - die vorgenannten Tatbestandsmerkmale als gegeben angenommen - nicht dargetan, dass der Angeklagte die sexuelle Handlung gerade unter Missbrauch dieser Tatumstände vorgenommen hat. Vielmehr deuten die bisher festgestellten Umstände darauf hin, dass der Angeklagte lediglich die Vertrauensseligkeit der Frau ausgenutzt hat.
11
Da nicht auszuschließen ist, dass eine neue Verhandlung insoweit den Tatvorwurf belegende Feststellungen erbringen wird, muss die Sache nochmals verhandelt werden.
12
3. Damit ist zugleich der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für das Berufsverbot. Insoweit wird der neue Tatrichter die von der Revision geäußerten Bedenken zu berücksichtigen haben, dass das Berufsverbot , soweit es dem Angeklagten nicht nur die Pflege alter Menschen, sondern auch "entsprechende berufliche Tätigkeiten" untersagt, zu unbestimmt sein könnte.
Becker Miebach Pfister
Sost-Scheible Hubert

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.