Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Feb. 2014 - 4 StR 27/14

bei uns veröffentlicht am26.02.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR27/14
vom
26. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 26. Februar 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet ist. 2. Die weiter gehende Revision der Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Bean- standung der Anwendung des materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten. Sie hat hinsichtlich der angeordneten Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt Erfolg.
2
1. Das Rechtsmittel der Angeklagten ist unbegründet, soweit es sich gegen die Schuld- und Strafaussprüche richtet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
2. Es hat jedoch mit einer Verfahrensrüge Erfolg, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet ist. Eines Eingehens auf die allein hierzu erhobenen weiteren Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
4
Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass sie weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss auf die Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hingewiesen worden ist und dass auch in der Hauptverhandlung ein solcher Hinweis gemäß § 265 Abs. 2 StPO nicht erfolgt ist.
5
a) Der Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO ist eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 1 StR 386/05, NStZ 2006, 181) und muss, wenn er seine Funktion erfüllen soll, einem Angeklagten in einer solchen Form erteilt werden, dass er eindeutig erkennen kann, dass und gegebenenfalls auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - 4 StR 316/02, StV 2003, 151 mwN). Er kann daher nicht dadurch ersetzt werden, dass Verfahrensbeteiligte die Frage einer Unterbringung ansprechen (BGH aaO) und sich etwa der Sachverständige (BGH, Beschluss vom 2. April 2008 - 2 StR 529/07, StV 2008, 344, 345 mwN), der Staatsanwalt und/oder der Verteidiger zu der Maßregel äußern (BGH, Beschluss vom 28. April 2009 - 4 StR 544/08 [juris, Rn. 3]; zu § 265 Abs. 1 StPO auch Beschluss vom 10. Juni 2005 - 2 StR 206/05, NStZ-RR 2005, 376, 377; zum Fehlen des Beruhens auf den Hinweis, wenn der Verteidiger - anders als hier - im Schlussvortrag die Voraussetzungen der Maßregelanordnung bejaht: BGH, Beschluss vom 9. Juli 2008 - 1 StR 280/08, NStZ-RR 2008, 316).
6
b) Daran gemessen ist die Angeklagte vor und in der Hauptverhandlung nicht in ausreichender Weise auf die mögliche Maßregelanordnung hingewiesen worden.
7
Auch dem der Angeklagten übersandten Auszug aus der Ladungsverfügung lässt sich ein solcher Hinweis nicht entnehmen. Dort wurde die Sachverständige zwar mit dem Hinweis geladen, dass "ein Gutachten ohne vorherige [von der Angeklagten verweigerte] Exploration allein aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung erstattet werden" soll. Schon dass sich dieses Gutachten neben den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB auch mit denen des § 64 StGB befassen soll, lässt sich dem jedoch nicht entnehmen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Januar 2009 - 4 StR 568/08, NStZ 2009, 468).
8
Schließlich wurde der Hinweis gemäß § 265 Abs. 2 StGB auch nicht dadurch entbehrlich, dass der Vorsitzende der Strafkammer - wie sich aus der von ihm in Zusammenhang mit der Vorlage des Rechtsmittels abgegebenen dienstlichen Erklärung ergibt - vor der Hauptverhandlung § 64 StGB "telefonisch mit dem Verteidiger thematisiert" hat. Denn die Hinweispflicht dient vorrangig dem schutzwürdigen Verteidigungsinteresse des Angeklagten; Zweck des § 265 StPO ist es, dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem neuen Vorwurf bzw. der drohenden Maßregel zu verteidigen, und ihn vor Überraschungen zu schützen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 582/10, NJW 2011, 1301, 1302 [zu § 265 Abs. 1 StPO]). Allein der Hinweis an den Verteidiger genügt daher nicht (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2012 - 1 StR 158/12, BGHSt 56, 121, 125 [Rn. 11 aE]; vgl. auch § 234a StPO).
9
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagte bei prozessordnungsmäßigem Verfahrensablauf anders verteidigt hätte. Denn es besteht die Möglichkeit, dass die Angeklagte die Verweigerung der Exploration überdacht und aufgegeben hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die Anordnung der Maßregel droht. Zweifelsfrei auszuschließen vermag der Senat dagegen, dass - etwa aufgrund eines ergänzenden Sachverständigengutachtens nach einer Exploration der Angeklagten - die Voraussetzungen des § 20 StGB bejaht werden könnten.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 386/05
vom
13. Oktober 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2005 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten vom 13. Mai 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

Der Angeklagte hat die Nebenklägerin, seine frühere Lebensgefährtin, gewaltsam auf das Bett gedrückt und sich auf sie gesetzt. Als sie äußerte, „sie wolle lieber sterben, als mit dem Angeklagten Sex zu haben“, zog er zwei zusammengebundene Kabelbinder aus der Hosentasche und sagte: „Wenn du sterben willst, machen wir das gleich“. Unter dem Eindruck dieses Geschehens ließ die Nebenklägerin mehrfachen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten „über sich ergehen“. Deshalb hat das Landgericht den Angeklagten wegen (schwerer) Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB zu Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Schon in der unverändert zugelassenen Anklage hieß es, der Angeklagte habe in der genannten Situation der Nebenklägerin gedroht, sie mit den
Kabelbindern zu erdrosseln. Jedoch war § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB dort bei der Aufzählung der anzuwendenden Vorschriften (§ 200 Satz 1 StPO) nicht genannt. Im Hauptverhandlungsprotokoll ist festgehalten, dass ein Hinweis erteilt wurde, wonach auch eine Verurteilung nach der dabei auch verlesenen Bestimmung des „§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB“ in Betracht käme. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurde, wie ebenfalls im Protokoll festgehalten ist, der genannte Hinweis dahin erläutert, dass „mit dem Werkzeug i.S.d. § 177 Abs. 1 Nr. 2 StPO, mit dem der Widerstand gebrochen werden sollte, … die … Kabelbinder gemeint“ seien. Hierauf gestützt behauptet die Revision, der Angeklagte sei nicht auf den von der Strafkammer im Urteil angewendeten § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB hingewiesen worden.
a) Dies trifft nicht zu. (1) Nach Eingang der Revisionsbegründung wurde das Hauptverhandlungsprotokoll ordnungsgemäß dahin berichtigt, dass in den genannten Verfahrenssituationen weder § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB genannt und verlesen noch § 177 Abs. 1 Nr. 2 StPO erläutet wurde, sondern dass § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB genannt, verlesen und erläutert wurde. Die Verteidigung, der diese Protokollberichtigung bekannt gemacht wurde , hat hierzu keine Erklärung abgegeben. (2) Ein Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 oder (hier) Abs. 2 StPO ist eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Dabei ist jedenfalls die Bestimmung in ihrer ziffernmäßigen gesetzlichen Bezeichnung im Protokoll aufzuführen, inwieweit dies auch für tatsächliche Erläuterungen (hier die Kabelbinder könnten das Werkzeug sein) gilt, kann hier dahinstehen, weil eine entsprechende Protokollie-
rung erfolgt ist (vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 265 Rdn. 33; Hänlein/Moos, NStZ 1990, 481, 482 jew. m. Rechtsprechungsnachweisen

).

(3) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (seit BGHSt 2, 125; w. N. b. Schäfer in FS 50 Jahre BGH 707, 716 f. in Fußn. 62 bis 64) ist eine Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls vom Revisionsgericht nicht zu berücksichtigen, wenn sie, wie hier, erst nach erhobener Verfahrensrüge vorgenommen wurde und dieser die Grundlage entzieht. Allerdings hat nunmehr der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit gewichtigen Gründen Bedenken gegen diese Rechtsauffassung erhoben; er neigt zu der Auffassung, dass ein ordnungsgemäß berichtigtes Protokoll bei der Frage, ob ein behaupteter Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt, auch dann berücksichtigt werden kann, wenn dadurch einer vor der Berichtigung erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen wird (StV 2005, 256, 257 m. w. N.). Der Senat neigt dieser Auffassung ebenfalls zu. Er hält es nicht für eine ungerechte Benachteiligung eines Beschwerdeführers , wenn er nicht „gegen eine nachträgliche Beseitigung“ eines „aus dem Protokoll ersichtlichen - in Wirklichkeit nicht vorliegenden - Mangel (s)… durch Protokollberichtigung gesichert“ (so BGHSt 2, 125, 127) ist (vgl. auch Schäfer aaO 717 f.). Die Aufhebung eines Urteils und die damit verbundene Zurückverweisung einer Sache führen notwendig zu einer, erfahrungsgemäß oft erheblichen, Verzögerung des Verfahrensabschlusses. Dies mit allen Konsequenzen hinzunehmen kann schwerlich geboten sein, wenn die Aufhebung allein darauf beruht, dass das Revisionsgericht aus Gründen, die sich jedenfalls nicht ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben, einen formalen Fehler fingieren muss, der zu seiner Überzeugung in Wahrheit nicht vorliegt. Soweit schließlich bei der Bewertung einer nachträglichen Protokollberichtigung „ein gewisses Misstrauen gegen die Redlichkeit der Urkundspersonen spürbar“ (Schäfer aaO
717) wird, gibt es jedenfalls nach den Erfahrungen des Senats keine Anhaltspunkte , die dies rechtfertigen würden (vgl. demgegenüber z. B. BGH StV 1988, 45, wo der Vorsitzende in einer dienstlichen Erklärung zum Revisionsvorbringen dieses bestätigte, sich damit vom Protokollinhalt distanzierte und so den Erfolg einer Verfahrensrüge erst ermöglichte). (4) Einer abschließenden Entscheidung bedarf es hier aber nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt die Beweiswirkung des § 274 Satz 1 StPO nicht, wenn das Protokoll Fehler hat, die die Eindeutigkeit seines Inhalts in Frage stellen. Das ist namentlich der Fall, wenn es Widersprüche , Lücken oder sonstige offensichtliche Mängel, insbesondere Unklarheiten enthält (vgl. zusammenfassend Schäfer aaO 712; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 274 Rdn. 17 jew. m.N.) So verhält es sich hier. Ein Hinweis, wonach auch eine Verurteilung wegen einer bereits in der Anklage aufgeführten Norm in Betracht käme, ist weder rechtlich geboten noch ergibt er einen erkennbaren Sinn. Eine Erläuterung, was ein Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist - § 177 StPO betrifft Kosten des Klageerzwingungsverfahrens und besteht nur aus einem nicht untergliederten Satz - wäre nicht nachvollziehbar. Entfaltet das Protokoll aber keine Beweiskraft, hat das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren den Sachverhalt zu ermitteln. Die inhaltlich von der Revision nicht bestrittene Protokollberichtigung ergibt, dass entgegen der Behauptung der Revision § 265 Abs. 2 StPO im Blick auf § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht verletzt wurde.
b) Der Senat bemerkt, dass eine Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO), die auf die Protokollberichtigung hingewiesen hätte, die Überprüfung des Revisionsvorbringens hinsichtlich der angeblichen Verletzung von § 265 StPO im Blick auf § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht unerheblich erleichtert hätte (Nr. 162 Abs. 2 RiStBV; vgl. auch BGH StraFo 2003, 379, 380;
BGH Beschluss vom 26. November 2003 - 1 StR 407/03; Drescher, NStZ 2003, 296 ff. m. w. N.). 2. Soweit die Revision wegen der Kabelbinder auch die Verletzung von § 265 Abs. 3 StPO rügt, ist verkannt, dass die Drohung mit den Kabelbindern bereits in der Anklageschrift genannt und daher kein im Sinne von § 265 Abs. 3 StPO neu hervorgetretener Umstand ist. Die Revision hat auch insoweit keinen Erfolg, als sie in diesem Zusammenhang zusätzlich darauf hinweist, dass die Äußerung der Geschädigten, sie wolle lieber sterben als mit dem Angeklagten Sex haben (vgl. oben vor 1), in der Anklage nicht genannt sei. Bei dieser Äußerung der Geschädigten handelt es sich nicht um einen Umstand, der die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes zulässt, wie dies § 265 Abs. 3 StPO erfordert. 3. Auch die Rüge, § 265 Abs. 4 StPO sei verletzt, greift nicht durch.
a) Die Revision teilt einen entsprechenden Antrag an die Strafkammer mit, in dem es heißt, die Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung entsprächen nicht ihren Angaben bei der Polizei. Weiter teilt sie den darauf ergangenen Beschluss der Strafkammer mit, wonach die Geschädigte im Wesentlichen die gleichen Angaben wie bei der Polizei gemacht habe. Dieses Vorbringen entspricht nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar waren der Verteidigung ebenso wie der Strafkammer sowohl der Akteninhalt als auch die Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung bekannt. Ausführungen hierzu waren daher weder in dem genannten Antrag noch in dem darauf ergehenden Beschluss erforderlich. Das Revisionsgericht prüft dagegen die Schlüssigkeit von Verfahrensrügen nur anhand des Revisionsvorbringens. Die genannten Darlegungen der Revision vermitteln dem Senat jedoch nicht die Erkenntnisse , die erforderlich wären, um zu beurteilen, ob (entgegen der Auffas-
sung der Strafkammer) im Hinblick auf die Aussagen der Geschädigten eine wesentliche Änderung des Sachverhalts im Sinne des § 265 Abs. 4 StPO eingetreten ist. Hinsichtlich der in anderem Zusammenhang von der Revision vorgetragenen Differenz bezüglich der Äußerung der Geschädigten kurz vor der Drohung mit den Kabelbindern ist dies jedenfalls nicht der Fall. Auch sonst ergeben die Urteilsgründe keine Differenzen in zentralen Punkten zwischen den früheren Angaben der Geschädigten und ihren Angaben in der Hauptverhandlung.
b) Hinsichtlich des Inhalts der SMS fehlt es an der Darlegung einer etwaigen - ausweislich des Beschlusses der Strafkammer nicht vorliegenden - Differenz zwischen dem diesbezüglichen Akteninhalt (bzw. der hierauf gestützten Anklage) einerseits und dem Ergebnis der Hauptverhandlung andererseits. Die Auffassung der Revision, unabhängig von solchen Differenzen sei ein Aussetzungsanspruch auf jeden Fall gegeben, solange der Verteidigung das in ihrer Anwesenheit angefallene Ergebnis der Beweisaufnahme nicht schriftlich vorliege , geht fehl, ohne dass dies näherer Ausführung bedürfte. 4. Auch die Rüge der Verletzung von § 261 StPO hinsichtlich der genannten SMS geht ins Leere. Zwar trifft es zu, dass Urkunden durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen sind (§ 249 StPO). Dies ist jedoch durch die - von
der Revision als „neutral“ bewertete - Übersetzung durch die Dolmetscherin geschehen , die insoweit als Gutachterin tätig wurde (vgl. BGH NJW 1965,643; BGH NStZ 1985, 466; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 249 Rdn. 32 jew. m. w. N.). 5. Auch die nicht näher ausgeführte Sachrüge ist unbegründet. Wahl Kolz Hebenstreit Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 316/02
vom
5. November 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 5. November 2002 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 2. April 2002 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben Fällen unter Freisprechung im übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Beschwerdeführer beanstandet mit der auf § 265 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge zu Recht, daß er weder in der Anklageschrift noch in dem Eröffnungsbeschluß auf die Möglichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hingewiesen worden ist und daß auch in der Hauptverhandlung das Gericht einen solchen Hinweis nicht erteilt hat. Daß der psychiatrische Sachverständige in seinem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten abweichend von seinem schriftlichen Gutachten das Vorliegen einer Störung der Sexualpräferenz des Angeklagten bejaht hat, die als schwere andere seelische Abartigkeit einzuordnen sei und die wegen ihrer fortschreitenden und sich steigernden Tendenz und mit Rücksicht auf die Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten weitere gleichgelagerte Taten erwarten lasse, macht einen solchen in der Regel - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vorzunehmenden Hinweis nicht entbehrlich (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 271; BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 6 m.w.N). Dies gilt auch, soweit Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB beantragt haben. Der nach § 265 Abs. 2 StPO erforderliche gerichtliche Hinweis muß, wenn er seine Funktion erfüllen soll, dem Angeklagten in einer solchen Form erteilt werden, daß dieser eindeutig erkennen kann, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6). Er kann daher nicht dadurch ersetzt werden, daß Verfahrensbeteiligte die Frage einer Unterbringung ansprechen (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 4 m.N.).
Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich der Angeklagte bei prozeßordnungsmäßigem Verfahrensablauf, soweit es das Vorliegen der Voraussetzungen der Maßregel des § 63 StGB, insbesondere die Frage einer sicher
feststehenden erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB, betrifft anders verteidigt und das Gericht die Maßregel nicht angeordnet hätte. Er hebt deshalb den Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf.
Tepperwien Maatz Athing

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 544/08
vom
28. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. April 2009 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 19. Mai 2008, soweit es ihn betrifft, im gesamten Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Ferner hat es angeordnet, dass zunächst die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen ist und "nachfolgend" die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.
2
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB wendet, hat das Rechtsmittel mit der auf § 265 Abs. 1 und 2 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg. Die Rüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Eines Hinweises auf die vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten bedurfte es in diesem Zusammenhang entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass er weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss auf die Möglichkeit seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hingewiesen worden ist und dass auch in der Hauptverhandlung ein solcher Hinweis nicht erfolgt ist. Unter den hier gegebenen Umständen wurde der Hinweis auch nicht dadurch entbehrlich , dass der in der Hauptverhandlung gehörte Sachverständige einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB bejaht hat. Ebenso wenig kann die Pflicht des Gerichts zu einem rechtlichen Hinweis durch den Schlussantrag des Staatsanwalts oder durch die Erörterung der bloßen Möglichkeit einer Maßregelanordnung erfüllt werden (vgl. BGH StV 2008, 344 m.N.). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Angeklagte bei prozessordnungsmäßigem Verfahrensablauf anders verteidigt hätte.
4
2. Soweit sich der Angeklagte mit einer ebenfalls auf § 265 Abs. 1 und 2 StPO gestützten Verfahrensrüge gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 StGB wendet, genügt sein Vorbringen zwar aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nötigt hier aber zur Aufhebung auch der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung , weil sich die Anordnungen der Maßregeln nicht voneinander trennen lassen. Das Landgericht hat die Annahme eines Hanges des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ebenso wie die Annahme der Gefahr der Begehung weiterer rechtswidriger Straftaten im Sinne des § 64 StGB entscheidend darauf gestützt, dass der Angeklagte, soweit es den Konsum von Amphetaminen betrifft, nach seiner Haftentlassung rückfällig geworden ist, was seine Willensschwäche belege (UA 36).
5
3. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Unterbringung des Angeklagten sowohl in einer Entziehungsanstalt als auch in der Sicherungsverwahrung anordnen, wäre für ein Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 Abs. 1 StGB) kein Raum.
6
4. Da sich das Verfahren nunmehr nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, war die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurückzuverweisen.
Tepperwien Athing Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović ist infolge Urlaubs gehindert zu unterschreiben Tepperwien
Ernemann Franke

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 280/08
vom
9. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juli 2008 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. Februar 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Zur Verfahrensrüge bemerkt der Senat ergänzend: Die Revision rügt, dass das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet habe, ohne zuvor gemäß § 265 Abs. 2 StPO einen entsprechenden Hinweis erteilt zu haben. Zwar ist es zutreffend, dass ein Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung einer Maßnahme nach § 63 StGB weder in der zugelassenen Anklage enthalten ist, noch im Laufe der Hauptverhandlung erteilt wurde. Dass der psychiatrische Sachverständige in seinem Gutachten eine krankhafte seelische Störung des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB bejaht hat, macht einen solchen Hinweis ebenso wenig entbehrlich wie der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft wie auch die Nebenklägerin die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB beantragt haben (vgl. BGH StV 2003, 151 m.w.N.).
Hier hat jedoch nach den unwidersprochen gebliebenen dienstlichen Stellungnahmen der berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer der Verteidiger selbst in seinem Schlussvortrag auch zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus Stellung genommen und das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen aus seiner Sicht bejaht. Bei dieser Sachlage kann der Senat - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruhen könnte (vgl. BGH, Beschl. vom 26. Mai 1998 - 5 StR 196/98). Wahl Kolz Hebenstreit Graf Sander

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 568/08
vom
8. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Januar 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 19. Juni 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und die Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Maßregelanordnung nach § 66 Abs. 2 StGB Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand; insoweit greift die sie betreffende Verfahrensrüge durch. Zu Recht beanstandet die Revision, dass der Angeklagte auf die Möglichkeit der Anordnung dieser Maßregel nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form hingewiesen worden ist (§ 265 Abs. 1 und 2 StPO).
3
a) In der dem Verfahren zu Grunde liegenden Anklageschrift wird die Möglichkeit, Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu verhängen, überhaupt nicht erwähnt; auch der Eröffnungsbeschluss enthält keine eindeutigen Hinweise darauf. Während der Hauptverhandlung wurde ebenfalls kein förmlicher Hinweis erteilt, wie die Sitzungsniederschrift beweist (§ 274 StPO).
4
In dem Eröffnungsbeschluss hat die Strafkammer allerdings auch die Untersuchung des Angeklagten durch einen psychiatrischen Sachverständigen angeordnet zu der Frage, "ob aus medizinischer Sicht bei ihm zur Zeit der ihm zur Last gelegten Straftaten eine Einschränkung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorgelegen habe und ob die Voraussetzungen für Maßregeln zur Besserung und Sicherung (§§ 63, 64, 66 StGB) gegeben sind." Zwar kann in der gerichtlichen Anordnung, ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit und einer eventuellen Unterbringung einzuholen, ein nach § 265 Abs. 1 und 2 StPO erforderlicher Hinweis liegen (vgl. BGH NStZ 1992, 249). Der Hinweis muss aber, wenn er seine Funktion erfüllen soll, dem Angeklagten in einer solchen Form erteilt werden, dass dieser eindeutig sehen kann, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6).
5
Diesem Erfordernis genügt die allgemein gehaltene Aufzählung sämtlicher freiheitsentziehender Maßregeln im Eröffnungsbeschluss nicht. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt mit ihrer in das Le- ben eines Angeklagten tief eingreifenden Wirkung einen besonders gravierenden Eingriff dar. Deshalb dürfen an die Hinweispflicht des Gerichts in einem solchen Fall keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGHR aaO; BGH NStZ-RR 2004, 297 f.).
6
b) Das Beruhen der Anordnung der Maßregel auf dem fehlenden rechtlichen Hinweis wird auch nicht durch andere Vorgänge in der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Insbesondere sind die Ausführungen der Strafkammer in dem Beschluss vom 18. Juni 2008, mit dem ein Beweisantrag des Angeklagten zurückgewiesen wurde, nicht geeignet, einen förmlichen rechtlichen Hinweis entbehrlich zu machen. Denn auch dadurch wurde dem Angeklagten nicht mit hinreichender Eindeutigkeit vor Augen geführt, dass ihm die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB drohte. Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte zur Tatzeit im Maßregelvollzug nach § 64 StGB befunden hatte und die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB bei ihm nicht vorlagen.
7
c) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war daher aufzuheben. Das übrige Urteil wird hiervon nicht erfasst.
8
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter - ungeachtet der Regelung des § 67 c Abs. 1 StGB - bei der Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB stets zu prüfen hat, ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung angesichts der Höhe der erkannten Strafe unerlässlich ist (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 66 Rdn. 40 m.w.N.).
9
Der neue Tatrichter wird ferner zu beachten haben, dass ein psychiatrischer Sachverständiger nicht deswegen an der ihm obliegenden Begutachtung gehindert ist, weil der Angeklagte eine Exploration verweigert (vgl. BGHR StPO § 246 a Satz 1 Sachverständiger 1; vgl. auch Fischer in KK 6. Aufl. § 246 a Rdn. 5 m.w.N.). Gegebenenfalls hat das Gericht dem Sachverständigen die entsprechenden Anknüpfungstatsachen zu vermitteln.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer

(1) Wer eine gegen Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder Diebstahl versicherte Sache beschädigt, zerstört, in ihrer Brauchbarkeit beeinträchtigt, beiseite schafft oder einem anderen überläßt, um sich oder einem Dritten Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 263 mit Strafe bedroht ist.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 582/10
vom
12. Januar 2011
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
Der Austausch der Bezugstat bei Verdeckungsmord erfordert einen gerichtlichen
Hinweis.
BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 582/10 - Landgericht München II
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2011 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 12. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war Hausmeister in einer Wohnanlage, in der auch das spätere Opfer, Frau K., wohnte. Er kümmerte sich um die 87-jährige Dame. Am 28. Oktober 2008 kam es in der Wohnung des Opfers zu einer streitigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte Frau K. mit einem stumpfen Gegenstand zweimal von hinten auf den Kopf schlug oder sie mit dem Kopf gegen einen Gegenstand stieß. Aus Angst vor weiteren Konsequenzen entschloss er sich, das vorangegangene Geschehen zu verdecken, indem er sie tötete und dies als Unfall durch einen Sturz in die Badewanne erscheinen ließ. Er verbrachte Frau K. in die Badewanne, ließ Wasser einlaufen und drückte ihren Kopf so lange unter Wasser, bis sie ertrunken war.
3
Das Landgericht hat das Mordmerkmal "zur Verdeckung einer [anderen] Straftat" bejaht, weil es dem Angeklagten darauf angekommen sei, die vorangegangene Körperverletzung, bei der er Frau K. zwei Hämatome am Kopf beigebracht hatte, durch ein vorgetäuschtes Unfallgeschehen zu verdecken. Er habe damit vermeiden wollen, dass Frau K. wegen der vorangegangenen Körperverletzung Anzeige erstatten und er strafrechtlich verfolgt würde. Das Vorliegen des Mordmerkmals Heimtücke wurde verneint. Das Mordmerkmal Habgier wurde nicht erörtert.

II.

4
Der Beschwerdeführer rügt, das Gericht habe die Verurteilung auf eine - gegenüber der Anklage - jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht veränderte Grundlage gestützt, ohne dass ihm zuvor ein entsprechender Hinweis erteilt worden sei (vgl. § 265 StPO). Die Rüge dringt durch.
5
1. Der Verurteilung wegen Verdeckungsmord liegt nach den Feststellungen ein Tatbild zugrunde, das von demjenigen der Anklage wesentlich abweicht , wenn auch die Nämlichkeit der Tat (§ 264 StPO) gewahrt ist. Die - trotz der Formulierung "wegen Totschlags" im Eröffnungsbeschluss (vgl. Strafakten EA 2 I Bl. 436) - unverändert zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten folgendes zur Last gelegt:
6
Der Angeklagte, der Vollmacht für die Konten der Frau K. hatte, habe über 50.000 € von einem Konto des Opfers abgehoben und zu einem überwiegenden Teil vereinnahmt. Darüber hinaus habe er Schmuck und zwei Pelzmäntel erhalten oder an sich genommen. Am 23. Oktober 2008 habe er aus einer Geldkassette des Opfers einen Betrag von 8.000 € entnommen und zur Begleichung eigener Schulden verwendet. Am 28. Oktober 2008 habe Frau K. den Fehlbetrag festgestellt und den Angeklagten deswegen beschuldigt. Es habe sich ein Streit entwickelt, in dessen Verlauf sich der Angeklagte entschlossen habe, Frau K. zu töten, um die erhaltenen Gegenstände behalten zu können und um die unberechtigte Einnahme von Bargeld zu vertuschen. Zu diesem Zweck habe er seinem Opfer, das sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs versah und sich deswegen eines solchen auch nicht erwehren konnte, in Ausnutzung dieser Situation mit einem stumpfen Gegenstand zweimal von hinten auf den Kopf geschlagen. Frau K. habe diesen Angriff zwar überlebt, aber erhebliche Kopfverletzungen erlitten. Der Angeklagte habe dann überlegt, ob er Frau K. retten und ein Sturzgeschehen vortäuschen sollte, habe sich dann aber dafür entschieden, in Fortführung seines ursprünglichen Plans Frau K. zu töten. Er habe sie ins Badezimmer verbracht, in die Badewanne gelegt, Wasser in die Badewanne eingelassen und sie so lange unter die Wasseroberfläche gedrückt, bis sie schließlich ertrunken sei.
7
Der Schuldvorwurf der Anklage lautet, der Angeklagte habe eine fremde bewegliche Sache, die ihm anvertraut war, sich oder einem Dritten rechtswidrig zugeeignet und durch eine weitere Handlung aus Habgier, heimtückisch einen anderen Menschen getötet, um eine [andere] Straftat zu verdecken; strafbar als veruntreuende Unterschlagung in Tatmehrheit mit Mord (mit den drei angeführten Mordmerkmalen). Auf Seite 75 der Anklageschrift wird (unter VI. Rechtliches 2; vgl. EA 2 I Bl. 416) ausgeführt: Es liegt ferner der Tatbestand "des Verdeckens einer Straftat" vor. Dem Angeklagten kam es darauf an, zu verhindern, dass er wegen der von ihm vorangegangenen Unterschlagung von 8.000 € strafrechtlich belangt wird. Aus diesem Grund tarnte der Angeschuldigte sein Tötungsdelikt als Unfall, damit keine Nachforschungen nach dem Verbleib des Vermögens von Frau K. angestellt werden.
8
Das angefochtene Urteil dagegen gründet den Schuldvorwurf darauf, dass der Angeklagte eine vorausgegangene Körperverletzung verdecken wollte. Das Landgericht hat damit die "andere Straftat" (Bezugstat) in § 211 Abs. 2 StGB bei der Verdeckungsabsicht ausgetauscht. Dies hätte eines Hinweises nach § 265 StPO bedurft. Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der angeklagten Tat (§ 264 StPO) auf einen gegenüber der Anklage im Tatsächlichen wesentlich veränderten Sachverhalt stützt, muss dem Angeklagten , um ihn vor einer Überraschungsentscheidung zu schützen, zuvor grundsätzlich einen entsprechenden Hinweis erteilen, das ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 12. Februar 1991 - 4 StR 506/90, StV 1991, 502 mwN; zur Entwicklung dieser Rechtsprechung vor 1988 vgl. Niemöller, Die Hinweispflicht des Tatrichters, 1988, S. 23 ff., 26 ff. mwN). Diese Hinweispflicht dient dem schutzwürdigen Verteidigungsinteresse des Angeklagten. Sie gilt auch und gerade für wesentliche Veränderungen des dem gesetzlichen Straftatbestand zugeordneten Tatverhaltens (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 3. Juli 1991 - 2 StR 132/91 mwN).
9
Die Abweichung in der Beschreibung des Tatverhaltens, das zur Ausfüllung des gesetzlichen Straftatbestandes gedient hat, war bei der vorliegenden Fallgestaltung wesentlich. Das Verhalten des Angeklagten, in dem die "andere Straftat" i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB gesehen wurde, unterschied sich schon zeitlich erheblich von demjenigen, das die Anklage für tatbestandsmäßig hielt, und inhaltlich wurde ein Vermögensdelikt durch ein Körperverletzungsdelikt ersetzt.
10
Während frühere Rechtsprechung vereinzelt die Hinweispflicht nach § 265 StPO noch restriktiv annahm (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 28. April 1955 - 3 StR 13/55; auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1976 - 1 StR 764/75), wurde bald erkannt, dass der gebotene Schutz des Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen eine umfassende Hinweispflicht erfordert. Soweit der 5. Strafsenat (Beschluss vom 13. Dezember 1977 - 5 StR 728/77) einen Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO verneint hat, wenn die Verurteilung bei gleich bleibendem Strafgesetz nur auf zum Teil andere Tatsachen gegründet wird, hat er einen Verfahrensfehler nur deshalb verneint, "da der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage unterrichtet worden ist".
11
Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 17. Juli 1962 - 1 StR 266/62 bei einem Hinweis auf das Mordmerkmal zur Verdeckung einer anderen Straftat die Klarstellung gefordert, "welche andere Straftat der Angeklagte nach der Meinung des Gerichts hätte verdecken können". Zutreffend hat der 5. Strafsenat schon in seinem Urteil vom 24. Mai 1955 (5 StR 143/55) im Fall der Verurteilung wegen Vollrausches einen Hinweis nach § 265 StPO selbst dann gefordert, wenn die Rauschtat als ledigliche Bedingung der Strafbarkeit rechtlich anders beurteilt werden soll. Dies legt nahe, dass ein Hinweis erst recht geboten ist, wenn die Rauschtat vollständig ausgetauscht wird. Der 3. Strafsenat hat zu Recht bei einer Verurteilung wegen Vereitelns der Zwangsvollstreckung einen Verstoß gegen § 265 (Abs. 4) StPO darin gesehen, dass der Angeklagte nicht darauf hingewiesen wurde, dass eine andere Forderung bei § 288 StGB zugrunde gelegt wurde; der Austausch einer Forderung, deren Durchsetzung der Angeklagte vereitelt haben soll, erfordert einen gerichtlichen Hinweis (BGH, Beschluss vom 2. Februar 1990 - 3 StR 480/89, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 8 und StV 1990, 249, 250). Gerade wenn es ständiger Rechtsprechung entspricht, dass ein richterlicher Hinweis nach § 265 StPO gewissen Mindestanforderungen entsprechen muss, wozu auch die Angabe gehört, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale als erfüllt ansieht (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 2 StR 555/06; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2006 - 4 StR 335/06 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 21. April 2004 - 2 StR 363/03 mwN; BGH, Urteil vom 24. November 1992 - 1 StR 368/92 mwN), liegt es nahe, überhaupt einen entsprechenden Hinweis zu verlangen, wenn - wie hier - das Tatverhalten, das zur Ausfüllung des gesetzlichen Straftatbestandes dient, wesentlich von dem Anklagevorwurf abweicht. Denn Zweck des § 265 StPO ist es, dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem neuen Vorwurf zu verteidigen, und ihn vor Überraschungen zu schützen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94).
12
Der Austausch der Bezugstat bei Verdeckungsmord erfordert daher einen gerichtlichen Hinweis.
13
2. Dieser Hinweis ist dem Angeklagten - wie er mit Recht rügt - nicht gegeben worden. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob es statt eines besonderen Hinweises genügt, dass dem Angeklagten durch den Gang der Hauptverhandlung die Kenntnis vermittelt wird, welches Verhalten das Gericht als tatbestandsmäßig werten und zur Grundlage des Schuldvorwurfs machen will. Denn im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass dem Angeklagten diese Kenntnis vom Gericht auch nicht durch den Gang der Verhandlung vermittelt worden ist.
14
Unerheblich ist insoweit, dass der Staatsanwalt in seinem Schlussvortrag der Verdeckungsabsicht als neue Bezugstat eine Körperverletzung zugeordnet hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 10. August 2005 - 2 StR 206/05). Maßgeblich ist nämlich, dass eine andere Betrachtung nach Auffassungdes Gerichts in Betracht kommt (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1963 - 1 StR 553/62, BGHSt 19, 141 ff.; BGH, Urteil vom 15. November 1978 - 2 StR 456/78, BGHSt 28, 196, 198; BGH, Urteil vom 8. März 1988 - 1 StR 14/88, StV 1988, 329; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 4 StR 335/06 Rn. 11 mwN). Allerdings war vor dem Plädoyer in der Hauptverhandlung folgender Gerichtsbeschluss ergangen: Das Verfahren wird gemäß § 154 II StPO auf Antrag des Staatsanwalts insoweit eingestellt, als gegen den Angeklagten der Vorwurf "veruntreuter" Unterschlagung erhoben worden ist, weil eine deshalb zu verhängende Strafe im Falle des Schuldspruchs wegen des weiteren Anklagegegenstandes nicht ins "Gericht" fiele.
15
Diesem Beschluss lässt sich schon nicht entnehmen, dass das Landgericht den Vorwurf der Verdeckungsabsicht wegen eines Vermögensdeliktes gänzlich fallen lassen wollte. Es hat damit zwar die - in Tatmehrheit stehende - mitangeklagte veruntreuende Unterschlagung der 8.000 € vorläufig eingestellt, auf die sich - wie die rechtlichen Ausführungen auf S. 75 der Anklageschrift belegen - die Verdeckungsabsicht beziehen sollte, es hat sich aber nicht dazu verhalten , ob die nach der Anklageschrift einbehaltenen weiteren Gelder, Schmuckstücke oder Pelzmäntel als Bezugstat für den Verdeckungsmord in Betracht kamen. Der Revisionsführer hat in seiner sehr sorgfältig begründeten Revision dargelegt, dass er sich hiergegen auch nach dem Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO zur Wehr gesetzt hat. Vor allem jedoch wurde durch diesen Beschluss nicht ersichtlich, dass das Gericht als neue Bezugstat die Körperverletzung zugrunde legen wollte. In der Anklageschrift wurden zwar die beiden Schläge angeführt, aber nicht in dem Sinne, dass sie mit Körperverletzungsvorsatz geführt wurden, sondern vielmehr bereits in Tötungsabsicht. Danach lag als "andere Straftat" eine Körperverletzung nicht nahe. Der Annahme eines Verdeckungsmordes steht zwar nicht entgegen, wenn sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen Leib und Leben des Opfers richtet und unmittelbar in die Tötung zur Verdeckung des vorausgegangenen Geschehens übergeht. Um eine andere - zu verdeckende - Straftat i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Dies ist dann der Fall, wenn während einer einheitlichen Tötungshandlung die Verdeckungsabsicht nur noch als weiteres Motiv für die Tötung hinzutritt (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 - 5 StR 432/00, NStZ 2002, 253, 254; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2000 - 1 StR 617/99, NStZ 2000, 498, 499). Der Angeklagte musste nach den getroffenen Feststellungen nicht damit rechnen, das Landgericht würde als "andere Straftat" die beiden Schläge heranziehen. Das Landgericht ist in seiner rechtlichen Würdigung (UA S. 61) im Übrigen selbst davon ausgegangen, die vorsätzliche Körperverletzung sei gegenüber dem Mord "subsidiär", was eher nicht auf eine "andere Straftat" hinweist.
16
Da weder die Revisionsgegenerklärung noch dienstliche Äußerungen das Gegenteil bekunden (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. November 1978 - 2 StR 456/78, BGHSt 28, 196, 199), ist davon auszugehen, dass das Gericht den erforderlichen Hinweis nicht - auch nicht durch den Gang der Hauptverhandlung - erteilt hat.
17
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Die Revision begründet überzeugend, dass der Angeklagte, wenn er vom Gericht den entsprechenden Hinweis erhalten hätte, sich anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Es kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung lediglich angegeben hat, Frau K. nicht umgebracht und keinerlei Gelder oder Gegenstände unterschlagen zu haben (UA S. 13), seine Verteidigungsstrategie dahin geändert hätte, sich nunmehr umfänglich in der Sache einzulassen, sei es um weiterhin einen Freispruch zu erreichen, sei es auch z.B. um einen Schuldspruch "nur" wegen Totschlags statt wegen Mordes zu erstreben, indem er - wie oben ausgeführt - Umstände vorgetragen hätte, die eine zu verdeckende "andere Straftat" entfallen lassen.
18
Der Hinweis richtet sich im Übrigen auch an den Verteidiger (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1992 - 1 StR 368/92 mwN); dieser hat hier im Einzelnen dargelegt, was er bei einem ordnungsgemäßen Hinweis noch vorgebracht hätte. Nack Wahl Rothfuß Elf Sander

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 158/12
vom
26. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2012 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Dezember 2011 im Maßregelausspruch der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern sowie weiteren Fällen von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der auf mehrere Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützten Revision, welche mit der auf § 265 StPO gestützten Verfahrensrüge bezüglich der Anordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg hat.
2
Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies gilt insbesondere auch für die Rüge, zum Nachteil des Angeklagten sei eine Verteidigererklärung dem Urteil zugrunde gelegt worden, obgleich er sich diese nicht zu Eigen gemacht habe; denn nach der erfolgten Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls ist das Gegenteil erwiesen.
3
1. Demgegenüber greift die auf die Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 265 StPO gestützte Rüge des Angeklagten durch. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
4
In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Augsburg findet sich im Anklagesatz kein Hinweis darauf, dass die Anordnung einer Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten in Betracht kommt. Die Ladung zur Hauptverhandlung, allerdings nur an den Verteidiger gerichtet, enthielt demgegenüber folgenden maschinenschriftlichen Zusatz : "Gem. § 265 StPO wird darauf hingewiesen, dass aufgrund des Gutachtens des SV A. vom 21.09.11 die Unterbringung des Angeklagten im Maßregelvollzug nach § 66 StGB in Betracht kommt. Auf richterliche Anordnung: …".
5
Im Hauptverhandlungsprotokoll vom 14. November 2011 findet sich folgende Eintragung: Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden gemäß § 243 Abs. 5 StPO darüber belehrt, dass es ihm freistehe, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Dabei wurden vom Vorsitzenden einerseits die durch ein mindestens teilweises Geständnis möglichen Verfahrensvorteile, andererseits - ohne dass ein nochmaliger förmlicher Hinweis nach § 265 StPO erfolgte - die im Falle einer Verurteilung auch wegen Vergewaltigung drohende Anordnung der Sicherungsverwahrung angesprochen.
6
2. Da weder die Revisionsgegenerklärung noch dienstliche Äußerungen das Gegenteil bekunden, ist danach davon auszugehen, dass dem Angeklagten ein förmlicher Hinweis entsprechend § 265 StPO nicht erteilt wurde (zu dessen Erforderlichkeit vgl. BGH NStZ-RR 2004, 297 und NStZ 2009, 227). Dabei kann dahinstehen, ob der Zusatz in der Terminsladung hierfür ausreichend gewesen wäre, denn insoweit wurde dieser Hinweis nur dem Verteidiger, nicht aber dem Angeklagten erteilt, was aber gemäß § 265 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO (KK-StPO/Engelhardt, 6. Aufl., § 265 Rn. 19) erforderlich gewesen wäre.
7
3. Der Angeklagte konnte - anders als bei dem der Entscheidung BGH NStZ 1992, 249 zugrunde liegenden Sachverhalt - einen entsprechenden Hinweis auch nicht aus einem Gerichtsbeschluss entnehmen, wonach die Einholung eines Gutachtens zur Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschlossen wurde; denn ein solches Gutachten war nicht vom Gericht, sondern noch vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben worden.
8
Nachdem sich insoweit weder aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, noch aus der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft und dienstlichen Äußerungen Hinweise hierauf ergeben, muss der Senat davon ausgehen, dass der Angeklagte aus dem Gang der Hauptverhandlung nicht unzweifelhaft und eindeutig entnehmen konnte, dass im Urteil gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte.
9
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil bezüglich der Anordnung der Sicherungsverwahrung auf dem Rechtsfehler beruht. Die Revision begründet überzeugend, dass der Angeklagte, wenn er vom Gericht einen entsprechenden Hinweis erhalten hätte, sich anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Insbesondere hätte er, abweichend von seiner Verteidigungsstrategie , weder Angaben zur Sache noch zu seinen persönlichen Verhältnissen zu machen, sich dann zur Sache eingelassen und auch Angaben zu den persönlichen Verhältnissen gemacht. Jedenfalls hätte er auch Angaben zu seinen Therapiebemühungen gemacht, so dass der Sachverständige eine neue Bewertung hätte vornehmen können.
10
Das Urteil ist daher aufzuheben, soweit gegen den Angeklagten die Maßregel der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Nack Wahl Hebenstreit Graf Jäger

Findet die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten statt, so genügt es, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden; das Einverständnis des Angeklagten nach § 245 Abs. 1 Satz 2 und nach § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 ist nicht erforderlich, wenn ein Verteidiger an der Hauptverhandlung teilnimmt.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.