Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2017 - 4 StR 218/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:220617B4STR218.17.0
22.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 218/17
vom
22. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:220617B4STR218.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 24. Februar 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer den Grenzwert zur nicht geringen Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG un- richtig bestimmt und deshalb von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist.
3
Nach den Feststellungen war der Angeklagte im Besitz von 9.997 Tabletten mit einem MDMA-Anteil von 801,62 Gramm und 994,7 Gramm einer „kristal- linen bräunlichen Substanz“, in der 698,28 GrammMDMA enthalten waren. Er beabsichtigte, die Betäubungsmittel für einen Kurierlohn von 1.000 Euro nach B. zu transportieren, wo sie von Dritten gewinnbringend verkauft werden sollten. Das Landgericht ist bei der Bestimmung der nicht geringen Menge von dem Grenzwert für Amphetamin (10 Gramm Amphetaminbase) ausgegangen (UA 9) und hat dem Angeklagten bei der Strafzumessung die „besonders hohe Wirkstoffmenge der Betäubungsmittel“ angelastet, die mit 1.499,9 Gramm „rund das 149-fache der nicht geringen Menge“ betrage (UA 14).
4
Dies ist rechtsfehlerhaft. Der Bundesgerichtshof hat den Grenzwert zur nicht geringen Menge bei MDMA auf 30 Gramm Base festgesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2004 – 3 StR 417/04; Beschluss vom 15. März 2001 – 3 StR 21/01, NJW 2001, 1805; Urteil vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 262, 267; Patzak in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29a Rn. 92). Zwar hat der 2. Strafsenat eine Herabsetzung der Grenzmenge auf 10 Gramm Base anlässlich der Bestimmung der Grenzmenge für Metamphetamin in einem obiter dictum für gerechtfertigt gehalten (Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, 97 f.); die bisherige Grenzmengenbestimmung auf 30 Gramm in einer späteren Entscheidung (Beschluss vom 5. August 2010 – 2 StR 296/10, StraFo 2010, 472) aber wieder bestätigt. Danach hätte die Strafkammer dem Angeklagten nicht anlasten dür- fen, dass die Grenze zur nicht geringen Menge um „rund das 149-fache“ über- schritten gewesen sei. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Straf- kammer bei zutreffender Bestimmung des Schuldumfangs die Strafe milder bemessen hätte.
5
2. Die Ablehnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Zwar hat das Landgericht das Vorliegen eines Hangs mit bedenklichen Erwägungen (Selbstreflektion erhalten, keine Anzeichen für eine persönlichkeitsbezogene oder soziale Depravation) verneint , jedoch ergeben die Feststellungen keinen greifbaren Hinweis auf eine hangbedingte Gefährlichkeit. Zudem gehört der ausreisepflichtige Angeklagte als durchreisender Rauschgiftkurier mit Lebensmittelpunkt in R. , bei dem eine spätere Integration in Deutschland kaum zu erwarten ist, zu dem Personenkreis , bei der eine negative Ermessensentscheidung getroffen werden konnte (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 12 f. und 16/5137, S. 10; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 472/08, NStZ 2009, 204, 205; Schöch in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 159).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29a Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer1.als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder2.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

5 StR 472/08

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2008

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. Mai 2008 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Betrug, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen, um über die Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB neu zu befinden. Diesem Antrag folgt der Senat nicht.
3
1. Der Angeklagte, ein Algerier, gegen den – allerdings unter befristeter Duldung – eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung besteht, hat nach den Feststellungen des Landgerichts betrügerisch von einem Kokainhändler mindestens 200 g Kokain erlangt und sich später durch Sprühen mit Reizgas und mit Gewalt im Besitz des Rauschgifts gehalten. Bei der gesamten Tatausführung stand er – so die Urteilsgründe – unter dem Einfluss von Kokain. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung die Frage einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht erörtert.
4
2. Dies nötigt bei der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht zu einer Aufhebung des Urteils in diesem Punkt.
5
a) Schon das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB ist zweifelhaft. Das Landgericht geht zwar rechtsfehlerfrei davon aus, dass bei dem Angeklagten ein übermäßiger Rauschmittelkonsum gegeben ist, weil er seit zwei Jahren regelmäßig Kokain konsumiert. Gleichwohl hat die Tat damit nicht zwingend einen symptomatischen Bezug zu dem Betäubungsmittelabusus des Angeklagten, wie das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten unterstellt hat. Diese Tat, mag sie auch unter Kokaineinfluss begangen worden sein, lässt sich in ihrer Größenordnung und in der uneingeschränkte Leistungsfähigkeit offenbarenden Raffinesse der Tatausführung nicht ohne weiteres als Beschaffungsdelikt charakterisieren, das auf die Befriedigung seiner Sucht zielte. Insoweit steht das Betäubungsmitteldelikt weniger in einer inneren Beziehung zur Sucht, sondern ist vielmehr Mittel zur Erlangung erheblicher wirtschaftlicher Werte. Ein im Sinne des § 64 StGB erforderlicher symptomatischer Zusammenhang zwischen Betäubungsmittelabhängigkeit und Tat kann nämlich auch bei Betäubungsmittelstraftaten fehlen, wenn sie allein der Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs (und damit mittelbar auch des Betäubungsmittelkonsums) dienen (vgl. BGHR StGB § 64 Hang 2, Zusammenhang symptomatischer 2). Dies liegt bei der abgeurteilten Tat zumindest nicht fern.
6
b) Das Landgericht hätte aber angesichts der Besonderheiten in der Person des Angeklagten von einer Anordnung nach § 64 StGB absehen dürfen. Durch die Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) wurde die ursprünglich zwingend vorgeschriebene Rechtsfolge der Unterbringung in eine Soll-Vorschrift umgestaltet. Die gesetzliche Neuregelung räumt dem Tatrichter die Möglichkeit ein, von einer Unterbringung nach § 64 StGB in Ausnahmefällen abzusehen. Nach der Regierungsbegründung zum Gesetzesentwurf sollte nämlich gerade bei ausreisepflichtigen Ausländern die Möglichkeit eröffnet werden, von einer Unterbringung nach § 64 StGB Abstand zu nehmen (BT-Drucks 16/5137 S. 10). Dies gilt insbesondere dann, wenn noch erhebliche sprachliche Verständigungsprobleme hinzukommen und auch eine Erfolg versprechende Therapie schon aufgrund der unzulänglichen Kommunikationsgrundlage mit den Therapeuten kaum vorstellbar wäre (BT-Drucks aaO).
7
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Allerdings weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass die Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB im (eingeschränkten) Ermessen des Tatrichters steht, der seine Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar darstellen muss. Das landgerichtliche Urteil, das § 64 StGB gänzlich unerörtert gelassen hat, entspricht diesen Vorgaben nicht. Der Senat sieht aber bei der hier gegebenen besonderen Sachverhaltskonstellation davon ab, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, weil eine andere Entscheidung in der Sache praktisch ausgeschlossen erscheint. Im Übrigen hat der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich beanstandet.
8
3. Ungeachtet des Aufhebungsantrags des Generalbundesanwalts hinsichtlich der Nichtverhängung der Maßregel nach § 64 StGB kann der Senat nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss entscheiden und die Revision insgesamt verwerfen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2008 – 5 StR 423/08). Eine Anordnung der Maßregel würde nämlich nicht allein zu Gunsten des Angeklagten wirken (BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 3).
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