Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2018 - 4 StR 15/18

bei uns veröffentlicht am21.11.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 15/18
vom
21. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Parteiverrats
ECLI:DE:BGH:2018:211118B4STR15.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 9. Juni 2017
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des Parteiverrats schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Parteiverrats zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und zwei Monate der festgesetzten Strafe für vollstreckt erklärt.
2
Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. a) Ab Oktober 2011 vertrat der Angeklagte als Rechtsanwalt die Stadt O. und zwei kommunale Gesellschaften sowie zehn Privatpersonen („private Kläger“)jeweils als Prozessbevollmächtigter in Verwaltungsstreitver- fahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Gegenstand der verbundenen Verfahren waren zwei Planfeststellungsbeschlüsse des Eisenbahnbundesamtes, mit denen Pläne zur Ertüchtigung einer Bahnstrecke für Planabschnitte außerhalb von O. festgestellt worden waren. Die DB-Netz AG wurde als Vorhabenträgerin am Verfahren als Beigeladene beteiligt. Mit ihrer Klage erstrebten die Kläger, die infolge des geplanten Ausbaus eine Zunahme der Lärmbelastung für Anwohner der Strecke im Stadtgebiet von O. befürchteten, die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der beiden Planfeststellungsbeschlüsse , hilfsweise die Verpflichtung der Bundesrepublik, die Beschlüsse um Lärmschutzauflagen zu ergänzen.
5
b) Um eine von ihr befürchtete Grundsatzentscheidung über Befahrensbeschränkungen etwa in Form von Geschwindigkeits- oder Fahrtzeitenregelungen zu verhindern, schlug die Beigeladene den Klägern im Vorfeld eines auf den 5. Juli 2012 bestimmten Erörterungstermins vor, den Rechtsstreit durch Vergleich beizulegen. Im Rahmen eines zur Gesamterledigung der Verfahren führenden Vergleichs bot die Beigeladene den Klägern an, Lärmschutzmaß- nahmen an lärmbetroffenen Grundstücken im O. er Stadtgebiet vorzeitig durchzuführen. Die spätere Anfechtbarkeit des noch ausstehenden Planfeststellungsbeschlusses für den Streckenabschnitt in O. sollte durch den Vergleich nicht eingeschränkt werden.
6
Der Angeklagte hielt den Vergleichsvorschlag für überaus vorteilhaft und fasste den Entschluss, sich mit Nachdruck für die Annahme des Vergleichs und eine entsprechende Gesamterledigung der Verfahren einzusetzen. Einen für möglich gehaltenen Anspruch der Kläger auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Befahrensbeschränkungen erachtete er für wertlos, weil er eine entsprechende Ermessensausübung des Eisenbahnbundesamtes letztlich für unerreichbar einschätzte. Während die Stadt O. und die kommunalen Gesellschaften grundsätzlich bereit waren, den Vergleich abzuschließen, eine endgültige Entscheidung darüber aber dem Erörterungstermin vorbehalten wollten , lehnten die privaten Kläger das Vergleichsangebot ab. Sie bestanden darauf , Befahrensbeschränkungen erforderlichenfalls durch eine gerichtliche Entscheidung durchzusetzen. Wenige Tage vor dem Termin untersagten sie dem Angeklagten ausdrücklich, einen Vergleich – selbst unter Widerrufsvorbehalt – abzuschließen.
7
c) Der Angeklagte ging davon aus, das aus seiner Sicht optimale und einer streitigen Entscheidung überlegene Vergleichsergebnis nur erreichen zu können, wenn es ihm gelänge, eine nichtstreitige Erledigung der Verfahren insgesamt herbeizuführen. Obwohl er wusste, damit gegen die Weisung der selbst nicht anwesenden privaten Kläger zu verstoßen, kündigte der Angeklagte im Erörterungstermin an, den Vergleich unter Widerrufsvorbehalt für alle Kläger abzuschließen. Dazu kam es nach dem Protest des Sprechers einer Bürgerinitiative nicht (Fall II.F.II. der Urteilsgründe). Der Vergleich wurde unter Wider- rufsvorbehalt nur zwischen der Stadt O. und den kommunalen Gesellschaften einerseits sowie der Beklagten und der Beigeladenen andererseits geschlossen.
8
d) Um zugunsten der Stadt O. und der dortigen Bahnanlieger den für optimal erachteten Vergleich zu sichern und die privaten Kläger in den Genuss der Lärmschutzzusagen aus dem Vergleichsangebot zu bringen, wandte sich der Angeklagte noch unmittelbar im Erörterungstermin an den Vertreter der Beigeladenen und äußerte, diese könne ihre Verpflichtung aus dem Vergleichsangebot zugunsten der privaten Kläger auch einseitig rechtsverbindlich zu Protokoll erklären. Die Erklärung werde dazu führen, dass die privaten Kläger hinsichtlich der geltend gemachten Planergänzungsansprüche insgesamt „klaglos“ gestelltwürden, was zum Fortfall ihres Rechtsschutzbedürfnisses und zur Klageabweisung als unzulässig führen werde. Im weiteren, in den Einzelheiten nicht mehr genau aufklärbaren Verlauf des Erörterungstermins gab der Vertreter der Beigeladen die angeregte Erklärung ab. Zugleich verpflichtete er die Beigeladene dazu, bei Erledigungserklärungen der privaten Kläger die Gerichtskosten zu tragen und im Fall einer Gesamterledigung der Verfahren bis zum 7. August 2012 eine Einigungsgebühr zu übernehmen. Durch die Protokollerklärung wollte der Vertreter der Beigeladenen die von den privaten Klägern erstrebte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über Befahrensbeschränkungen verhindern (Fall II.F.III. der Urteilsgründe).
9
e) Am 6. Juli 2012 sandte der Angeklagte den privaten Klägern eine E-Mail, in der er ausführte, sie hätten bei Fortführung des Verfahrens „keinerlei Chance“; der Prozess koste nur Geld und werde nichts bringen. Dadurch sollten die privaten Kläger dazu gebracht werden, den Rechtsstreit zur Herbeiführung einer Gesamterledigung der Verfahren für erledigt zu erklären und die Voraus- setzungen für die vollständige Übernahme der Gerichtskosten und der Einigungsgebühr durch die Beigeladene zu erfüllen (Fall II.G.I.2. der Urteilgründe).
10
f) Nachdem der Vergleich Bestandskaft erlangt hatte und die Mandate des Angeklagten für die privaten Kläger durch Niederlegung bzw. Kündigung beendet worden waren, sandte der Angeklagte den privaten Klägern am 29. Juli 2012 eine weitere E-Mail, in der er unter anderem behauptete, bei Fortführung des Prozesses drohten ihnen Prozesskosten in Höhe von rund 80.000 Euro (Fall II.G.XIII. der Urteilsgründe). Auch damit erstrebte er die Abgabe der Erledigungserklärung durch die privaten Kläger mit dem Ziel einer nichtstreitigen Gesamterledigung der Verfahren sowie der Kosten- und anteiligen Gebührenübernahme durch die Beigeladene.
11
g) Mit Urteil vom 21. November 2013 gab das Bundesverwaltungsgericht der von den privaten Klägern aufrecht erhaltenen Klage insoweit statt, als es die Bundesrepublik verurteilte, erneut über Lärmschutzmaßnahmen unter Einschluss rechtlich zulässiger Befahrensbeschränkungen zu entscheiden. Im Oktober 2014 ergänzte das Eisenbahnbundesamt die beiden Planfeststellungsbeschlüsse , ohne Befahrensbeschränkungen anzuordnen. Die von der Beigeladenen im Erörterungstermin zugesagten Lärmschutzmaßnahmen wurden als „überschießender Schallschutz“ nicht festgesetzt. Zu ihrer Durchführung blieb die Beigeladene gegenüber den privaten Klägern aufgrund ihrer Protokollerklärung verpflichtet.
12
2. Das Landgericht hat das Hinwirken des Angeklagten auf den Abschluss des Widerrufsvergleichs mit Wirkung auch für die privaten Kläger, die Anregung der Protokollerklärung sowie das Versenden der beiden E-Mails als zeitlich gestreckte Einzelakte eines einheitlichen Parteiverrats gewertet. Durch die Anregung der Protokollerklärung habe der Angeklagte im Einverständnis mit der Beigeladenen zum Nachteil der privaten Kläger im Sinne des § 356 Abs. 2 StGB gehandelt. Dem stehe nicht entgegen, dass die Protokollerklärung der Beigeladenen dem Ratschlag des Angeklagten notwendigerweise zeitlich nachgefolgt sei. Die spätere Abgabe der Erklärung zeige, dass die Beigeladene schon mit der Erteilung des schädigenden Ratschlags einverstanden gewesen sei.

II.


13
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Parteiverrats (§ 356 Abs. 2 StGB) hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung des Parteiverrats im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelte.
14
a) Zutreffend hat das Landgericht allerdings angenommen, dass der Angeklagte durch die der Verurteilung zugrunde liegenden vier Verratshandlungen beiden Parteien in derselben Rechtssache durch Rat oder Beistand pflichtwidrig diente und sich damit des Parteiverrats nach § 356 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hat.
15
aa) Pflichtwidrig dient ein Anwalt in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand, wenn und soweit zwischen ihnen widerstreitende Interessen bestehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1952 – 4 StR 850/51, BGHSt 4, 80, 82; Urteil vom 2. Februar 1954 – 5 StR 590/53, BGHSt 5, 284, 286 f.; Urteil vom 23. Oktober 1984 – 5 StR 430/84, NStZ 1985, 74; Urteil vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307, 312). Unabhängig von im Schrifttum vertretenen unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen zur Bestimmung der Interessenlage, die sich insbesondere mit der Frage befassen, ob und unter welchen Umständen ein bei generalisierender Betrachtung gegebener Interessengegensatz durch die subjektiven Anliegen einer Partei aufgehoben werden kann (zum Meinungsstreit vgl. LK-StGB/Gillmeister, 12. Aufl., § 356 Rn. 59 ff.; MüKo-StGB/Dahs, 2. Aufl., § 356 Rn. 50 ff.; Kretschmar, Der strafrechtliche Parteiverrat [§ 356 StGB], 2005, S. 188 ff.), besteht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Einigkeit darüber, dass sich die anvertrauten Interessen nach dem Inhalt des dem Anwalt erteilten Auftrags beurteilen, der maßgeblich vom Willen der Partei gestaltet wird (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1954 – 4 StR 724/53, BGHSt 5, 301, 307; Urteil vom 24. Juni 1960 – 2 StR 621/59, BGHSt 15, 332, 334; Urteil vom 13. Juli 1982 – 1 StR 245/82, NStZ 1982, 465; Urteil vom 7. Oktober 1986 – 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190, 192; Urteil vom 15. Januar 1981 – III ZR 19/80, NJW 1981, 1211, 1212; Beschluss vom 4. Februar 2010 – IX ZR 190/07, Rn. 4; Urteil vom 23. April 2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039, 3041). In verwaltungsgerichtlichen Strei- tigkeiten, bei denen die mit dem begehrten Rechtsschutz verfolgten Anliegen ausschließlich der Dispositionsbefugnis der Beteiligten unterliegen, kommt es für die Interessenbestimmung deshalb entscheidend auf die subjektive Zielsetzung der Partei an. Die Partei allein bestimmt, welche ihrer Belange sie im Verwaltungsprozess verwirklicht sehen will. Ohne Bedeutung ist demgegenüber die Einschätzung des Anwalts darüber, was aus seiner Sicht von den Parteibelangen vernünftigerweise vertretbar oder bestenfalls erreichbar erscheint. Denn anderenfalls dürfte sich der Anwalt, statt Sachverwalter seines Auftraggebers zu sein, zu dessen Richter aufwerfen (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1954 – 4 StR 500/54, BGHSt 7, 17, 21).
16
bb) Von diesem Maßstab ausgehend bestand spätestens ab dem Erörterungstermin vor dem Bundesverwaltungsgericht am 5. Juli 2012 ein Interessen- gegensatz nicht nur zwischen den privaten Klägern und der Beigeladenen. Auch innerhalb der Klägergemeinschaft wurden von der Stadt O. und den kommunalen Gesellschaften einerseits sowie den privaten Klägern andererseits gegenläufige Interessen verfolgt. Während die Stadt und die kommunalen Gesellschaften mit Blick auf die Belange aller O. er Bahnanlieger sowie die Beigeladene zur Vermeidung einer höchstrichterlichen Entscheidung zu Befahrensbeschränkungen eine nichtstreitige Gesamterledigung auf der Grundlage des Vergleichsvorschlags der Beigeladenen anstrebten, wollten die privaten Kläger eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts herbeiführen , um Befahrensbeschränkungen als Schallschutzmaßnahme durchzusetzen. Aufgrund dieses, dem Angeklagten nach den Feststellungen bewussten Interessenwiderstreits innerhalb der Klägergemeinschaft war es dem Angeklagten nicht nur berufsrechtlich (§ 43a Abs. 4 BRAO), sondern auch durch die Vorschrift des § 356 Abs. 1 StGB strafbewehrt untersagt, die Verfahren weiter durch anwaltliches Tätigwerden in die eine oder andere Richtung zu fördern (zur konkurrenz-rechtlichen Bewertung bei der Mandatsfortführung vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2008 – 4 StR 195/08, BGHR StGB § 356 Abs. 1 Rechtssache 2).
17
cc) Der Pflichtwidrigkeit des auf die Verfahrenserledigung gerichteten Dienens des Angeklagten durch das Absenden der E-Mail vom 29. Juli 2012 steht die zuvor ausgesprochene Kündigung bzw. Niederlegung der Mandate nicht entgegen. Denn die rechtliche Gebundenheit des Anwalts an seinen Auftraggeber dauert über die Beendigung des Auftrags hinaus fort (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1952 – 4 StR 850/51, BGHSt 4, 80, 83; Urteil vom 16. November 1962 – 4 StR 344/62, BGHSt 18, 192, 193; Urteil vom 7. Oktober 1986 – 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190, 191; MüKo-StGB/Dahs, 2. Aufl., § 356 Rn. 36).
18
b) Die Urteilsgründe belegen aber nicht, dass der Angeklagte bei der Anregung der Protokollerklärung im Einverständnis mit der Beigeladenen zum Nachteil der privaten Kläger handelte und damit einen schweren Parteiverrat beging.
19
aa) Schon nach dem Wortlaut des § 356 Abs. 2 StGB qualifiziert nicht jedes Handeln des Anwalts zum Nachteil seiner Partei den Verrat zum Verbrechen (vgl. LK-StGB/Gillmeister, 12. Aufl., § 356 Rn. 100 ff. mwN). Hinzutreten muss vielmehr das Einverständnis der Gegenpartei in sein schädigendes Handeln. Hierfür ist ein gemeinsames Schädigungsbewusstsein von Anwalt und Gegenpartei erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 1981 – 1 StR 366/81, NStZ 1981, 479, 480; Urteil vom 21. Juli 1999 – 2 StR 24/99, BGHSt 45, 148, 156). Als Teilelement des gemeinsamen Bewusstseins um die Schädigung der Partei muss das Einverständnis der Gegenpartei bereits zu dem Zeitpunkt vorliegen , zu dem der Anwalt pflichtwidrig dient. Erforderlich ist, dass die Tathandlung als solche vom Einverständnis der Gegenpartei getragen wird.
20
bb) Allein in der bloßen Hinnahme der im Laufe des gerichtlichen Erörterungstermins geäußerten Anregung durch den Vertreter der Beigeladenen liegt kein Einverständnis der Gegenpartei im Sinne des § 356 Abs. 2 StGB.
21
In Fällen von für die Gegenpartei mit Wirkung nach außen entfalteten anwaltlichen Tätigkeiten hat der Bundesgerichtshof zwar entschieden, dass bei einer widerspruchslosen Annahme der auf Schädigung der anderen Partei gerichteten Beistandsleistung regelmäßig von einem Einverständnis der Gegenpartei auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1957 – 4 StR 530/56, S. 9 f.; Urteil vom 21. Juli 1999 – 2 StR 24/99, BGHSt 45, 148, 157; LK-StGB/ Gillmeister, 12. Aufl., § 356 Rn. 101; MüKo-StGB/Dahs, 2. Aufl., § 356 Rn. 70; offen lassend BGH, Urteil vom 11. August 1981 – 1 StR 366/81, NStZ 1981, 479, 480). Diese Auffassung lässt sich jedoch auf die Erteilung eines Rats unter den hier gegebenen Umständen nicht übertragen. Die Anregung der Protokollerklärung erfolgte nach den Feststellungen ohne Veranlassung durch den Vertreter der Beigeladenen aufgrund eines spontanen Entschlusses des Angeklagten , der durch den auch für den Beigeladenenvertreter überraschenden Verlauf des noch andauernden Erörterungstermins motiviert war. Für den anwesenden Vertreter der Beigeladenen erschloss sich der Inhalt der Äußerung des Angeklagten zudem überhaupt erst im Verlauf von dessen Ausführungen. Unter diesen Umständen kann der lediglich passiven Entgegennahme der Anregung in dem laufenden Gerichtstermin nicht die Bedeutung eines Einverständnisses zugemessen werden. Aus denselben Gründen lässt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch der Umstand, dass sich der Vertreter der Beigeladenen die Anregung des Angeklagten nach deren Prüfung im weiteren Verlauf des Erörterungstermins zu eigen machte und die Protokollerklärung abgab, nicht den Schluss zu, dass bereits die Anregung des Angeklagten selbst vom Einverständnis des Beigeladenenvertreters getragen war.
22
2. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO in eine Verurteilung wegen Parteiverrats (§ 356 Abs. 1 StGB) ab. Angesichts der sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung durch das Landgericht sowie des erheblichen Zeitablaufs seit der Tat schließt der Senat aus, dass noch tatsächliche Feststellungen getroffen werden können, die geeignet wären, eine Verurteilung wegen schweren Parteiverrats zu tragen. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen.
23
3. Die Änderung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch die Grundlage. Die Kompensationsentscheidung bleibt von seiner Aufhebung unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 138).
Sost-Scheible Cierniak Bender
Quentin Bartel

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2018 - 4 StR 15/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2018 - 4 StR 15/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2018 - 4 StR 15/18 zitiert 7 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 43a Grundpflichten


(1) Der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden. (2) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworde

Strafgesetzbuch - StGB | § 356 Parteiverrat


(1) Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2018 - 4 StR 15/18 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2018 - 4 StR 15/18 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Aug. 2009 - 3 StR 250/09

bei uns veröffentlicht am 27.08.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 250/09 vom 27. August 2009 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja _________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1 Die Aufhebung eines t

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2010 - IX ZR 190/07

bei uns veröffentlicht am 04.02.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZR 190/07 vom 4. Februar 2010 in dem Rechtsstreit Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Prof. Dr. Kayser, Raebel, Dr. Fischer, Dr. Pape und Grupp am 4. Februar 2010 beschlossen: Die

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2008 - 4 StR 195/08

bei uns veröffentlicht am 04.11.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 195/08 vom 4. November 2008 in der Strafsache gegen wegen schweren Parteiverrats u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. November 20

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Handelt derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren ein.

4
a) Der in der Vergangenheit zum Tatbestand des Parteiverrats geführte Meinungsstreit, ob die maßgeblichen Interessen mehrerer von einem einzelnen Rechtsanwalt vertretener Mandanten objektiv zu bestimmen sind oder nach deren subjektiv verfolgten Zielen, ist überholt. Es besteht im Grundsatz Einigkeit, dass den subjektiven Vorstellungen der Mandanten entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. nur BVerfGE 108, 150, 162). Selbst wenn sich deren Interessen teilweise widersprechen, kann ein Anwalt sie gemeinsam vertreten, soweit und solange das Mandat auf die Wahrnehmung solcher Interessen begrenzt ist, die sie gemeinsam verfolgen (vgl. BGH, Urt. v. 15. Januar 1981 - III ZR 19/80, NJW 1981, 1211, 1212; v. 23. Oktober 2003 - IX ZR 270/02, WM 2004, 478, 481). Soweit es im Strafrecht Stimmen gibt, die die Interessen nur dann subjektiv bestimmen wollen, wenn die betroffene Rechtsangelegenheit der Parteidisposition unterliegt (Schönke/Schröder/Cramer/Heine, StGB, 27. Aufl. § 356 Rn. 18; SK-StGB/Rudolphi/Rogall, § 356 Rn. 31; Maiwald in Maurach/Schröder/ Maiwald, Strafrecht Besonderer Teil, Teilband 2, 9. Aufl. § 78 Rn. 11; Kudlich in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 356 Rn. 31; Kindhäuser, StGB, 3. Aufl. § 356 Rn. 16; ebenso OLG Stuttgart NStZ 1990, 542 mit zust. Anm. Geppert; OLG Karlsruhe NJW 2002, 3561, 3562; ebenso Henssler/Prütting/Eylmann, BRAO, 2. Aufl. § 43a Rn. 145 und Kilian WM 2000, 1366, 1368), begründet dies keinen entscheidungserheblichen Meinungsstreit. Der Beklagte nahm disponible Interessen der Zedentin U. wahr, denn es ging um einen bürgerlichrechtlichen Auseinandersetzungsanspruch.

(1) Der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden.

(2) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworden ist. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Der Rechtsanwalt hat die von ihm beschäftigten Personen in Textform zur Verschwiegenheit zu verpflichten und sie dabei über die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung zu belehren. Zudem hat er bei ihnen in geeigneter Weise auf die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht hinzuwirken. Den von dem Rechtsanwalt beschäftigten Personen stehen die Personen gleich, die im Rahmen einer berufsvorbereitenden Tätigkeit oder einer sonstigen Hilfstätigkeit an seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken. Satz 4 gilt nicht für Referendare und angestellte Personen, die im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht den gleichen Anforderungen wie der Rechtsanwalt unterliegen. Hat sich ein Rechtsanwalt mit anderen Personen, die im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht den gleichen Anforderungen unterliegen wie er, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammengeschlossen und besteht zu den Beschäftigten ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis, so genügt auch der Nachweis, dass eine andere dieser Personen die Verpflichtung nach Satz 4 vorgenommen hat.

(3) Der Rechtsanwalt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewußte Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlaß gegeben haben.

(4) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat. Das Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 nicht tätig werden darf. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der nach Satz 1 ausgeschlossene Rechtsanwalt die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet. Die Sätze 2 und 3 sind nicht anzuwenden, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1, das gegenüber einer Berufsausübungsgesellschaft besteht, entfällt, wenn die Voraussetzungen des Satzes 4 erfüllt sind. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 1 oder Satz 2 erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden.

(5) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für die Tätigkeit als Referendar im Vorbereitungsdienst im Rahmen der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Absatz 4 Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn dem Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 eine Tätigkeit als Referendar nach Satz 1 zugrunde liegt.

(6) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für ein berufliches Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätigwerden ein Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 bestehen würde.

(7) Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen.

(8) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden.

(1) Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Handelt derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren ein.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 195/08
vom
4. November 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Parteiverrats u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. November 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. März 2007
a) im Schuldspruch hinsichtlich der Fälle C II. Taten 1 und 18 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte insoweit des schweren Parteiverrats in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug schuldig ist,
b) im Schuldspruch im Übrigen – insoweit unter Aufrechterhaltung der Feststellungen – sowie im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Parteiverrats, Beihilfe zum Betrug in vier Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Parteiverrat, sowie wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausge- setzt hat; ferner hat es gegen den Angeklagten zugleich gemäß § 41 StGB auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro erkannt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils bedarf hinsichtlich der Fälle C II. Taten 1 und 18 der Urteilsgründe der Änderung, weil das Landgericht insoweit rechtsfehlerhaft von zwei tatmehrheitlichen Fällen des Parteiverrats ausgegangen ist.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts zu diesen Taten hat der Angeklagte den Parteiverrat dadurch begangen, dass er in Kollusion mit dem gesondert abgeurteilten Volker H. gegen den Zeugen P. in der Weise vorging , dass er als Anwalt ihn zunächst dahin beriet, gegen die H. KG eine Musterklage zu erheben, sodann jedoch - ohne P. von dem Parteiwechsel zu informieren - H. dabei unterstützte, P. beim Amtsgericht Essen-Steele mit Erfolg zu verklagen, er dann zwar die Einlegung der Berufung gegen das obsiegende Urteil veranlasste, anschließend aber daran mitwirkte, dass H. - wiederum ohne Rücksprache mit P. - die Berufung zurücknahm, obwohl er, der Angeklagte, inzwischen erkannt hatte, dass das Urteil von H. betrügerisch erstritten worden war. Bei dieser Sachlage liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts nur eine einheitliche Tat des (schweren) Parteiverrats (§ 356 Abs. 1 und 2 StGB) in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug vor. Ausschlaggebend für die Frage, ob ein Tätigwerden "dieselbe Rechtssache" im Sinne des Parteiverratstatbestandes betrifft und es sich nur um eine Tat handelt, ist der sachlichrechtliche Inhalt der durch das Mandat anvertrauten Interessen (vgl.
Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht Besonderer Teil Teilband II § 78 Rdn. 7). Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt hierfür bildet das dem Täter anvertraute materielle Rechtsverhältnis in seinem gesamten tatsächlichen und rechtlichen Gehalt. Dient der Täter in derselben Sache mehrfach pflichtwidrig derselben Partei, so liegt danach auch dann eine tatbestandliche Handlungseinheit vor (Gillmeister in LK-StGB 11. Aufl. § 356 Rdn. 106; Kuhlen in NK-StGB 2. Aufl. § 356 Rdn. 69; Rudolphi/Rogall in SK-StGB 7. Aufl. § 356 Rdn. 38), wenn der Täter in mehreren, zeitlich gestreckten Akten handelt (Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 356 Rdn. 12). Dass der Angeklagte zum Nachteil des P. an der Berufungsrücknahme mitwirkte, setzte demnach lediglich den bereits zuvor verwirklichten Parteiverrat fort, bildete demgegenüber aber keine neue Tat.
4
Der Senat ändert den Schuldspruch danach entsprechend. Dabei muss die – vom Landgericht im Fall C II. Tat 18 zu Recht bejahte – Qualifikation des § 356 Abs. 2 StGB („schwerer“ Parteiverrat) im Schuldspruch ihren Ausdruck finden. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen.
5
2. Auch der Schuldspruch wegen Beihilfe zum vollendeten und zum versuchten Betrug zum Nachteil der Anleger hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.
6
a) Soweit es die Verurteilung wegen Beihilfe zum vollendeten Betrug zum Nachteil der Anleger B. , R. und Sch. anlangt, kann dem Urteil - wie die Revision zu Recht einwendet - nicht entnommen werden, dass der Angeklagte in dem Zeitpunkt, als diese drei Geschädigten auf das Aufforderungsschreiben des H. vom 5. Februar 2001 hin gezahlt haben, den betrügerischen Plan des H. bereits durchschaut hatte. Das Landgericht hat nämlich angenommen, dass der Angeklagte erst ab Mitte Februar 2001 bösgläubig war (UA 74 f., 95). Hätten die drei Anleger ihre Zahlungen bis dahin aber bereits erbracht, wäre der Betrug des H. nicht nur vollendet, sondern bereits beendet gewesen. Dies schlösse schon deshalb insoweit eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe aus (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 27 Rdn. 6 m.w.N.).
7
Da das Landgericht Feststellungen zum Zeitpunkt des Eingangs der Zahlungen der drei Geschädigten nicht getroffen hat, bedarf dies weiterer Aufklärung und ergänzender Feststellungen durch den neuen Tatrichter.
8
b) Im Übrigen kann der Schuldspruch wegen Beihilfe zu den Betrugstaten des H. auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil die Annahme von 16 tatmehrheitlich begangenen Beihilfehandlungen durch die Feststellungen nicht belegt ist. Nach der rechtlichen Würdigung im angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Schwerpunkt des Tatvorwurfs gegen den Angeklagten insoweit darin gesehen, dass er H. "nach dem 15.02.2001 nicht von der weiteren Geltendmachung seiner Ansprüche ab(hielt) oder daraufhin(wirkte), dass H. von der Verfolgung der Ansprüche Abstand nahm" (UA 98). Dabei hat das Landgericht aber bei der Prüfung der Konkurrenz nicht erkennbar bedacht, dass die Frage, ob Tatmehrheit oder Tateinheit vorliegt, für jeden Täter und Teilnehmer voneinander unabhängig und selbständig zu prüfen ist (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 Konkurrenzen 1). Danach ist der Gehilfe, der durch eine Handlung (oder Unterlassung) mehrere rechtlich selbständige Haupttaten fördert, nur einer Beihilfe im Rechtssinne schuldig (Fischer aaO § 27 Rdn. 31 m.w.N.). Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang dem Angeklagten auch angelastet hat, er habe von H. verfasste Schriftstücke unterzeichnet, die auf das Bestehen der Forderung gegenüber den Anlegern hinwiesen (UA 98), fehlt es ebenfalls an näheren Feststellungen, welche Schriftstücke damit gemeint sind und wann der Angeklagte insoweit tätig geworden ist.
9
c) Die aufgezeigten Rechtsfehler lassen die bisher getroffenen Feststellungen unberührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Dies hindert den neuen Tatrichter nicht, die notwendigen ergänzenden Feststellungen zu treffen, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
10
3. Die Schuldspruchänderung hinsichtlich der Taten C II. 1 und 18 sowie die Aufhebung des Urteils im Übrigen zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs nach sich.
11
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
12
Die strafschärfenden Erwägungen bei Bemessung der wegen (schweren) Parteiverrats verhängten Einzelstrafen (UA 102) können unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) rechtlichen Bedenken begegnen. Ebenfalls nicht frei von rechtlichen Bedenken ist die Versagung der Versuchsmilderung in den angenommenen Fällen der Beihilfe zum Betrugsversuch (UA 103); insoweit fehlt es an der gebotenen umfassenden Würdigung insbesondere der versuchsbezogenen Gesichtspunkte (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 72). Schließlich könnte der Ausspruch über die gemäß § 41 StGB verhängte (Gesamt-)Geldstrafe nicht bestehen bleiben. Denn das Gesetz lässt eine einheitliche Geldstrafe als zusätzliche Sanktion für mehrere abgeurteilte Straftaten nicht zu. Vielmehr ist, wenn neben der jeweiligen Einzelfreiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt werden soll, dies für jede Tat gesondert zu entscheiden; aus mehreren Einzelstrafen ist sodann eine Gesamtgeldstrafe zu bilden (BGHR StGB § 41 Geldstrafe 2).
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer

(1) Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Handelt derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren ein.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Handelt derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren ein.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 250/09
vom
27. August 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1
Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im
Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur
revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
BGH, Urt. vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09 - LG Hannover
wegen besonders schwerer Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August
2009, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Februar 2009 im Ausspruch über die Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung aufgehoben; der Ausspruch entfällt. Die Kosten des Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten, der bereits rechtskräftig wegen besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen worden war, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von der verhängten Freiheitsstrafe neun Monate als verbüßt gelten. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten , auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, das Landgericht habe zu Unrecht einen Teil der verhängten Strafe als vollstreckt angesehen. Das trotz des umfassenden Aufhebungsantrags ausweislich der Revisionsbegründung wirksam auf den Kompensationsausspruch beschränkte (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09) Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Die angefochtene Kompensationsentscheidung kann nicht bestehen bleiben; denn ihr steht die auch insoweit eingetretene Teilrechtskraft des in die- sem Verfahren zuvor ergangenen landgerichtlichen Urteils vom 15. Februar 2008 entgegen.
3
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15. Februar 2008 wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision hatte der Angeklagte unter anderem mit einer Verfahrensrüge einen Verstoß gegen Art. 6 MRK geltend gemacht, weil das Verfahren durch unzureichende Ermittlungen des Aufenthalts der Geschädigten durch die Polizeibehörden rechtsstaatswidrig verzögert worden sei; dies habe das Landgericht im Urteil feststellen und festlegen müssen, welcher Teil der Strafe zur Kompensation als vollstreckt gelte. Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, und ausgeführt , die dargestellte Verfahrensrüge sei weder in der erforderlichen Form erhoben noch in der Sache begründet. Mit einer weiteren verfahrensrechtlichen Beanstandung hatte der Angeklagte gerügt, dass ein auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit gerichteter Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt worden sei. Auf diese Rüge hatte der Senat mit Beschluss vom 7. August 2008 (3 StR 274/08) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB unterblieben war aufgehoben sowie die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; die weitergehende Revision hatte er verworfen.
5
Nach der Zurückverweisung hat das Landgericht das nunmehr von der Staatsanwaltschaft im Kompensationsausspruch angegriffene Urteil erlassen.
Die nach seiner Ansicht gegebene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es damit begründet, dass die Polizeibehörden während des Ermittlungsverfahrens den Aufenthaltsort der Geschädigten nicht intensiv genug ermittelt hätten.
6
2. Das Landgericht durfte die angefochtene Kompensationsentscheidung nicht treffen. Hierzu gilt:
7
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft; dieser ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 353 Rdn. 32). Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach der Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. Wohlers in SK-StPO § 354 Rdn. 87). Hieraus folgt etwa, dass der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn das angefochtene Urteil allein im Strafausspruch aufgehoben wird (sog. horizontale Teilrechtskraft). Auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs kann horizontale Teilrechtskraft bezüglich einzelner Tatfolgen eintreten, wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird und weitere Rechtsfolgen, auf die das Tatgericht erkannt hat, von Art und Höhe der Strafe unabhängig sind. Dies richtet sich nach den für die Rechtsmittelbschränkung geltenden Grundsätzen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 353 Rdn. 8) und kann etwa der Fall sein bei Einziehungs- (vgl. BGH, Beschl. vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 536/98 Rdn. 5) sowie Unterbringungsanordnungen (vgl. BGH bei Holtz MDR 1980, 454 f.; NStZ 1982, 483) oder sonstigen Maßregeln wie der Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Juli 1983 - 3 StR 215/83 Rdn. 4 ff.). Maßgebend für den Umfang der Aufhebung ist die Formulierung im Urteilstenor bzw. der Beschlussformel der revisionsgerichtlichen Entscheidung. Die Aufhebung des Strafausspruchs betrifft regelmäßig nur die Strafe, die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs die gesamten Rechts- folgen der Tat (vgl. Kuckein aaO Rdn. 21 m. w. N.; weitergehend für § 76 a StGB aF noch BGHSt 14, 381, 382).
8
Nach diesen Maßstäben erfasst die Aufhebung allein des Strafausspruchs durch das Revisionsgericht grundsätzlich die Frage eines Ausgleichs für eine bis dahin eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht; vielmehr tritt insoweit horizontale (Teil-)Rechtskraft ein. Zwar wurde nach der früheren Rechtsprechung die übermäßige und von dem Angeklagten nicht zu vertretende Verzögerung des Verfahrens bei der Strafzumessung berücksichtigt. Demgemäß umfasste damals die Aufhebung eines tatgerichtlichen Urteils im Strafausspruch auch die Frage der Kompensation eines rechtsstaatswidrigen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Jedoch hat der Große Senat für Strafsachen dieses sog. Strafabschlagsmodell mit seiner Entscheidung vom 17. Januar 2008 (BGHSt 52, 124) aufgegeben und es durch die sog. Vollstreckungslösung ersetzt. Danach ist der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nunmehr getrennt und unabhängig von der Strafzumessung vorzunehmen. Er lässt die Frage des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe unberührt und stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. Meyer-Goßner aaO Art. 6 MRK Rdn. 9 a). Deshalb sind der Strafausspruch und die Kompensationsentscheidung grundsätzlich je für sich auf Rechtsfehler überprüfbar (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09 Rdn. 27). Hieraus folgt im Einzelnen:
9
Enthält ein landgerichtliches Urteil - wie hier die ursprüngliche Entscheidung der Strafkammer vom 15. Februar 2008 - keine Kompensationsentscheidung für eine bis zur Urteilsverkündung eingetretene Verzögerung, kann der Angeklagte, wenn er dies für rechtsfehlerhaft hält, sich hiergegen mit seiner Revision wenden. Zu diesem Zweck muss er grundsätzlich - wenn sich die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht bereits aus den Urteilsgründen ergibt und deshalb mit der Sachrüge zur Prüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden kann (vgl. BGHSt 49, 342) - eine Verfahrensrüge erheben (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 50, 56). Dringt er wie hier mit seiner Beanstandung nicht durch, und hebt das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil insoweit auch nicht wegen einer erheblichen Verletzung des Beschleunigungsgebotes nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auf eine zulässige Revision von Amts wegen auf (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 320), steht rechtskräftig fest, dass der Angeklagte nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 MRK vor Ergehen der Revisionsentscheidung zu entschädigen ist. Gleiches gilt, wenn das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil neben dem Strafausspruch aufhebt, soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist; denn die Frage, ob eine solche Maßregel anzuordnen ist, berührt die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung aus den genannten Gründen ebenfalls nicht. Es liegt zudem nahe, dass die vorgenannten Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Angeklagte keine Verfahrensrüge erhoben hat und für das Revisionsgericht auch sonst kein Anlass besteht, die Frage der Verfahrensverzögerung ausdrücklich in den Blick zu nehmen; denn diese Umstände sind für den Eintritt und die Wirkungen der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich ohne Belang.
10
Dem neuen Tatrichter ist es deshalb verwehrt, dem Angeklagten nach der Teilaufhebung eines Urteils ausschließlich im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist allein wegen eines zeitlich vor der Entscheidung des Revisionsgerichts liegenden Verstoßes gegen Art. 6 MRK eine Entschädigung zuzusprechen; er hat vielmehr lediglich neu über die Strafzumessung und den Maßregelausspruch zu befinden. Daneben hat er, sofern hierzu Anlass besteht, allerdings zu prüfen und zu entscheiden, ob nach der Entscheidung des Revisionsgerichts eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten und zu kompensieren ist; denn der Umstand, dass eine Entschädigungspflicht wegen eines bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung gegebenen Verstoßes gegen Art. 6 MRK nicht besteht, schließt es nicht aus, dass eine Kompensation aufgrund einer erst danach aufgetretenen Verzögerung ausgesprochen werden kann. Diese Frage hat das Tatgericht nach den insoweit allgemein geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. BGHSt 52, 124, 146 ff.); demgemäß hat es bei seiner Bewertung das gesamte Verfahren und damit auch diejenigen Teile in den Blick zu nehmen, die vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen. Diese Gesamtbetrachtung ist ihm nicht deshalb verschlossen, weil bereits rechtskräftig entschieden ist, dass dem Angeklagten allein aufgrund von Umständen, die zeitlich vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen, kein Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu gewähren ist.
11
Aus alldem ergibt sich, dass die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur sog. Vollstreckungslösung ergangene teilweise Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den Beschluss des Senats vom 7. August 2008 die Frage der Entschädigung des Angeklagten für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in der Zeit bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung nicht betroffen hat; insoweit ist vielmehr (Teil-)Rechtskraft eingetreten. Das Landgericht durfte deshalb nach der Zurückverweisung der Sache nicht einen - vermeintlichen - Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Ermittlungsverfahren kompensieren. Der entsprechende Ausspruch muss somit entfallen; dies hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst entschieden.
12
3. Der Senat hat deshalb nicht mehr in der Sache zu entscheiden, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung tragen. Die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils geben jedoch Anlass zu bemerken, dass nicht jedes Versäumnis der Ermittlungsbehörden einen zu kompensierenden Verstoß gegen Art. 6 MRK zu begründen vermag. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese wie hier nicht völlig untätig waren und der Vorwurf allein dahin geht, sie hätten möglicherweise noch intensiver ermitteln können. Der Senat neigt dazu, in solchen Fällen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung - in Anlehnung an die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Kompensation von Verfahrensverzögerungen , die allein durch eine auf die Revision des Angeklagten erfolgte Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache entstehen (vgl. BGH NStZ 2009, 104) - allenfalls bei ganz erheblichen, kaum verständlichen Ermittlungsfehlern in Betracht zu ziehen. In diesem Sinne gravierende Versäumnisse hat das Landgericht nicht festgestellt. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer