Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2016 - 3 StR 78/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 4. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Raub zu der Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Prüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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- 2. Der Ausspruch über die Jugendstrafe hat dagegen keinen Bestand. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 20 Jahre und zwei Monate alten Angeklagten zwar rechtsfehlerfrei Jugendstrafrecht angewandt (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Indes hat es die Annahme, die Verhängung der Jugendstrafe sei wegen der beim Angeklagten vorhandenen schädlichen Neigungen erforderlich (§ 17 Abs. 2 JGG), nicht rechtsfehlerfrei begründet.
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- Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 238/12, NStZ 2013, 287).
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- Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt. Soweit das Landgericht darauf abstellt, der Angeklagte habe in Kenntnis des Umstandes, dass einem anderen unter Verwendung einer Waffe sein Eigentum abgenommen werden sollte, nicht gezögert, die Ausführung eines Verbrechens durch die Mittäter zu fördern, betrifft dies überwiegend das objektive Tatunrecht und ist deshalb für das Vorliegen schädlicher Neigungen weitgehend unergiebig. Darüber hinaus nimmt das Landgericht insoweit nicht in den Blick, dass der Angeklagte zunächst nicht in den Tatplan eingeweiht war, bei Antritt der Fahrt lediglich davon ausging, es gehe um den Erwerb von Drogen, und erst unter- wegs erfuhr, dass die von ihm chauffierten Tatbeteiligten den Drogenhändler überfallen und ausrauben wollten.
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- Außerdem ergibt die Argumentation des Landgerichts, die das Vorliegen schädlicher Neigungen letztlich allein der Begehung der Tat entnimmt, nicht, ob nach seiner Auffassung bei dem bis dahin unbestraften Angeklagten bereits vor der Tat schädliche Neigungen bestanden haben. Zuletzt ist die von der Jugendkammer behauptete fehlende Distanzierung des Angeklagten von der Tat, mit der sie ihre Annahme begründet, dass die Persönlichkeitsmängel des Angeklagten auch zum Urteilszeitpunkt noch vorlagen, durch die Feststellungen nicht belegt. Gegen diese Annahme spricht vielmehr, dass der Angeklagte unmittelbar nach seiner Festnahme ein umfassendes Geständnis abgelegt hat.
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- Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
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die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder - 2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.
(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.
(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.
BUNDESGERICHTSHOF
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Jugendstrafe ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 18 Jahre alten Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG rechtsfehlerfrei Jugendstrafrecht angewendet. Jedoch halten weder die Begründung schädlicher Neigungen des Angeklagten noch die Ausführungen der Jugendkammer zur Strafhöhe sachlichrechtlicher Überprüfung stand.
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- 1. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. März 1992 - 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5).
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- Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt. Soweit das Landgericht auf die von ihm für bestimmend erachteten konkreten Strafzumessungsgesichtspunkte abstellt, betreffen diese überwiegend das objektive Tatunrecht; sie sind deshalb für das Vorliegen schädlicher Neigungen weitgehend unergiebig. Bei den von der Jugendkammer daneben angeführten Vorbelastungen des Angeklagten handelt es sich lediglich um zwei Verfahren wegen Diebstahls bzw. Sachbeschädigung, bei denen gemäß § 45 Abs. 1 bzw. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen bzw. das Verfahren nach Zahlung einer Geldbuße eingestellt wurde. In einem dritten Verfahren wurde der Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gesprochen, weil er sich im Rahmen einer Identitätsfeststellung gegen einen Polizeibeamten gewehrt und ein T-Shirt mit der Aufschrift "Fuck the Police" gezeigt hatte. Die ihm deswegen auferlegten Arbeitsstunden hat der Angeklagte abgeleistet. Aus diesen Sachverhalten ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vor- liegen schädlicher Neigungen; sie belegen vielmehr lediglich vergleichsweise geringfügige, jugendtypische Verfehlungen.
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- 2. Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN).
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- Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht. Das Landgericht hat zunächst auf das weitgehende Geständnis des Angeklagten, dessen Vorbelastungen sowie die objektiven Tatumstände abgestellt. Daneben hat es ausgeführt, die Strafe müsse in angemessener Relation zu der nach Erwachsenenstrafrecht zugemessenen Strafe eines Mittäters stehen. Der Erziehungsgedanke findet sodann Erwähnung lediglich in der nicht näher substantiierten Wendung, die verhängte Strafe sei "erzieherisch geboten" und eine geringer bemessene Strafe sei nicht geeignet, "dem Nacherziehungsbedarf des Angeklagten wirksam Rechnung zu tragen". Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281). Eine Abwägung zwischen dem Tatunrecht und den Folgen der Verbüßung der verhängten Strafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten fehlt ebenfalls.