Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Apr. 2019 - 3 StR 35/19

bei uns veröffentlicht am16.04.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 35/19
vom
16. April 2019
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:160419B3STR35.19.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. April 2019 einstimmig
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. Juli 2018 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Zu Recht hat das Landgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubs nach § 239a Abs. 1 Alternative 1 StGB als erfüllt angesehen. Dem steht nicht entgegen, dass der Nebenkläger nach dem - im Verlauf der Bemächtigungslage konkretisierten - Tatplan zwei Computerspielekonsolen aus dem Elektronikmarkt entwenden sollte, während der Angeklagte und der Mitangeklagte B. nicht vor Ort waren, sondern im PKW auf seine Rückkunft mit der Diebesbeute warteten, deren Verkaufserlös beide untereinander aufteilen wollten. Hierdurch entfällt nicht der von § 239a Abs. 1 StGB geforderte funktionale und zeitliche Zusammenhang zwischen der verfestigten Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung.
Eine Bemächtigungslage entsteht, wenn der Täter die physische Herrschaft über das Opfer erlangt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. November 1995 - 4 StR 641/95, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 5; vom 22. August 1996 - 5 StR 263/96, BGHR StGB § 239b Ausnutzen 1; MüKoStGB/ Renzikowski, 3. Aufl., § 239a Rn. 31). Deren finaler und zeitlicher Zusammenhang mit der beabsichtigten Erpressung setzt voraus, dass aus Sicht des Täters dem Opfer noch während der Zwangslage die erstrebte Vermögensverfügung abgenötigt werden soll, wohingegen der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB nicht verwirklicht ist, wenn das Opfer die erzwungene Handlung erst nach der Freilassung vornehmen soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 4 StR 334/07, NStZ-RR 2008, 109, 110; vom 8. Juni 2017 - 4 StR 19/17, NStZ-RR 2017, 372; MüKoStGB/Renzikowski aaO, Rn. 44 f. mwN). Nach den Urteilsfeststellungen waren der Angeklagte und B. übereingekommen , dass sie den Nebenkläger erst "laufen lassen" würden, wenn er die von ihnen der Wahrheit zuwider behaupteten "Geldschulden beglichen" habe (UA S. 24, 38). Die von beiden geschaffene Bemächtigungslage sollte somit den unbeaufsichtigten Diebstahl der Spielekonsolen überdauern. Auch als der Nebenkläger den PKW verlassen hatte, wirkte sich das vorausgegangene Sichbemächtigen in Form einer psychisch vermittelten Zwangslage aus: Der Nebenkläger fühlte sich ohnmächtig, hilflos, überwacht und verfolgt, weil er zuvor der Freiheit beraubt und über drei Tage hinweg durch die wiederholte Anwendung massiver Gewalt sowie durch Drohungen und Demütigungen psychisch destabilisiert und gefügig gemacht worden war (s. UA S. 37 ff.). Nach dem Tatplan sollte er die Vermögensverfügung vornehmen, wenn der Angeklagte und B. auch die physische Herrschaft über ihn zurückerlangt haben würden; erst nach der vollständigen, von beiden akzeptierten Erfüllung der Forderungen, derer sie sich berühmten, sollten die Misshandlungen enden und der Nebenkläger tatsächlich aus der Bemächtigungslage entlassen werden.
Gericke Spaniol Wimmer RiBGH Dr. Tiemann Berg ist wegen einer Erkrankung gehindert zu unterschreiben. Gericke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 239a Erpresserischer Menschenraub


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung ges

Strafgesetzbuch - StGB | § 239b Geiselnahme


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu ein

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Sept. 2007 - 4 StR 334/07

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 334/07
vom
20. September 2007
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. September 2007 gemäß
§§ 349 Abs. 2 und 4, 357 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 27. Dezember 2006 werden 1. die Schuldsprüche
a) im Fall II 1 der Urteilsgründe, auch soweit es den Mitangeklagten Sch. betrifft, dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs entfällt ,
b) im Fall II 2 dahin berichtigt, dass der Angeklagte der versuchten räuberischen Erpressung schuldig ist; 2. die Strafaussprüche hinsichtlich des Falles II 1 der Urteilsgründe bezüglich beider Angeklagter und der Gesamtstrafenausspruch bezüglich des Angeklagten T. aufgehoben. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:



1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, der sich auch auf den nicht revidierenden Mitangeklagten Sch. auswirkt; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung der Angeklagten hat insoweit keinen Bestand, als sie im Fall II 1 der Urteilsgründe auch wegen erpresserischen Menschenraubs verurteilt worden sind.
3
Nach den Feststellungen verlangten die Angeklagten unter Androhung von Gewalt von den Zeugen C. und D. die Zahlung eines Geldbetrages von 1.500 Euro, auf den sie, wie sie wussten, keinen Anspruch hatten. Da ihre wiederholten Bemühungen nur zur Zahlung eines geringen Teilbetrages geführt hatten, planten sie, "die Zeugen an einen für sie unbekannten Ort zu verbringen , um dort unter Androhung von Gewalt die Zahlungsbereitschaft der Zeugen zu erhöhen" [UA 17]. Zu diesem Zweck verbrachten sie die Zeugen in ein dunkles Waldstück. Dort versprachen die verängstigten Zeugen schließlich, um die in Aussicht gestellten Gewaltanwendungen zu vermeiden, am folgenden Tag eine weitere Teilzahlung zu erbringen. Daraufhin wurden sie in die Wohnung des Zeugen D. zurückgebracht. Im Laufe der folgenden Wochen verschaffte sich der Zeuge D. Geld von einem Wucherer und von seinen Eltern und leistete unter dem Eindruck der Drohungen zwei Zahlungen von insgesamt 1.550 Euro.
4
Dieser Sachverhalt erfüllt zwar den Tatbestand der räuberischen Erpressung , nicht aber den des erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239 a Abs. 1 StGB. Zwar hatten sich die Angeklagten ihrer Opfer bemächtigt. Sie handelten jedoch nicht in der Absicht, die so geschaffene Lage zu einer Erpressung auszunutzen. Zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart bestehen , dass der Täter das Opfer oder einen Dritten während der Dauer der Zwangslage erpressen will (BGHSt 40, 350, 355; BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 5; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 239 a Rdn. 12 m.w.N.). Sieht dagegen - wie hier - der Tatplan vor, dass die Leistung, die der Täter erpressen will, erst zu einem Zeitpunkt erfolgen soll, zu dem die Bemächtigungslage bereits beendet ist, fehlt es an der Absicht des Ausnutzens gemäß § 239 a Abs. 1 StGB.
5
Der Senat ändert - gemäß § 357 StPO auch hinsichtlich des nicht revidierenden Mitangeklagten - den Schuldspruch im Fall II 1 der Urteilsgründe entsprechend ab. Dies führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen. Damit hat auch der Gesamtstrafausspruch bezüglich des Angeklagten T. keinen Bestand.
6
2. Darüber hinaus berichtigt der Senat den Schuldspruch des schriftlichen Urteils dahingehend, dass der Angeklagte T. im Fall II 2 der Urteilsgründe wegen versuchter räuberischer Erpressung verurteilt ist. Sowohl aus der Sitzungsniederschrift als auch aus den schriftlichen Urteilsgründen zur rechtlichen Würdigung und zur Strafzumessung [UA 29, 35] ergibt sich, dass das Landgericht den Angeklagten wegen einer Versuchstat verurteilt hat.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 19/17
vom
8. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:080617B4STR19.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 8. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 19. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten E. Ö. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und den Angeklagten S. Ö. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen.
2
Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die geltend gemachten Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich einer der beiden Angeklagten oder der gesondert Verfolgte Öz. (vgl. Senatsbeschluss vom heutigen Tag – 4 StR 607/16) Anfang Juli 2013 im Besitz von zwölf Kilogramm Marihuana, das noch im Eigentum unbekannt gebliebener Betäubungsmittelhändler stand. Dieses Marihuana kam um den 11. Juli 2013 auf nicht genau feststellbare Weise abhanden. Entweder wurde es durch einen der Angeklagten oder durch Öz. unterschlagen, wobei die Verantwortung für den Verlust des Rauschgifts auf den Nebenkläger abgewälzt und von ihm eine entsprechende Ersatzmenge erpresst werden sollte (im Urteil wird diese Sachver- haltsvariante als „Sündenbocktheorie“ bezeichnet), oder das Marihuana wurde den Personen um die beiden Angeklagten gestohlen, ohne dass der Nebenkläger hiermit etwas zu tun hatte.
4
Das Landgericht ist „zugunsten“ der Angeklagten und des Öz. davon ausgegangen, dass das Marihuana gestohlen wurde und sie irrtümlich davon ausgingen, der Nebenkläger habe es entwendet (im Folgenden: Diebstahlsvariante

).


5
Die Angeklagten und Öz. kamen überein, den Nebenkläger zu nöti- gen, die zwölf Kilogramm Marihuana „zurückzugeben“. Dabei gingen sie davon aus, dass der Nebenkläger hierzu nicht freiwillig bereit sein würde. Sie fassten daher den Entschluss, ihn durch Einsperren in einem Hinterzimmer der Teestube des Angeklagten S. Ö. und durch Bedrohung mit dem Tod, erforderlichenfalls auch unter Gewaltanwendung, zur Rückgabe des Rauschgifts zu zwingen. Vor dessen Herausgabe sollte der Nebenkläger nicht freigelassen werden. Die Angeklagten handelten dabei, um sich selbst oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern.
6
Am 16. Juli 2013 begab sich der Angeklagte E. Ö. mit dem Nebenkläger in das Hinterzimmer der Teestube, wo sich tatplangemäß auch der Angeklagte S. Ö. und Öz. befanden. Hier warf der Angeklagte E. Ö. dem Nebenkläger vor, dieser sei am 13. Juli 2013 bei ihm eingebrochen und habe zwölf Kilogramm Marihuana gestohlen; außer dem Nebenkläger habe niemand von dem Versteck gewusst. Der Angeklagte E. Ö. bedeutete dem Nebenkläger, er solle dies zugeben, vorher komme er „hier“ nicht raus. Der Nebenkläger stellte den Vorwurf in Abrede.
7
Die Forderung wurde von den Anwesenden wiederholt, und es wurde mehrfach damit gedroht, „jemanden“ anzurufen, der den Nebenkläger „fertig machen“ werde, so dass er seine Familie nicht wiedersehen werde. Der Ne- benkläger äußerte die Vermutung, dass der Angeklagte E. Ö. möglicherweise selbst für das Verschwinden des Marihuanas verantwortlich sei. Darauf schlug dieser ihm mit der flachen Hand auf den Mund, wodurch der Nebenkläger eine Platzwunde an der Lippe erlitt. Danach schlugen die Angeklagten und Öz. mit den Händen wiederholt auf den Nebenkläger ein.
8
Schließlich gelang dem Nebenkläger, der zwischenzeitlich von weiteren Personen bedroht, geschlagen und getreten worden war, in einem unbeobachteten Moment die Flucht.

II.


9
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
10
Die Verurteilung der Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB und wegen versuchter räuberischer Erpres- sung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
Soweit das Landgericht bezüglich der Tathintergründe keine sicheren Feststellungen getroffen, sondern insofern zwei unterschiedliche Geschehensabläufe – zum einen die Diebstahls-, zum anderen die Sündenbockvariante – für möglich erachtet, indes seinem Urteil unter Heranziehung des Zweifelsgrundsatzes allein die Diebstahlsvariante zugrunde gelegt hat (UA 8), weist die Beweiswürdigung durchgreifende Lücken auf. Der Senat kann deshalb nicht überprüfen, ob bei Zugrundelegung der vom Landgericht als gleichermaßen möglich erachteten Sündenbockvariante als Tathintergrund eine für die Angeklagten günstigere Rechtsfolge eingetreten wäre.
12
1. a) Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB erfordert im sog. Zweipersonenverhältnis – wie hier – in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz des Täters bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale, dass er beim Entführen oder Sichbemächtigen des Opfers die Absicht hat, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Dies setzt voraus, dass sich nach der Vorstellung des Täters die Bemächtigungssituation in gewissem Umfang stabilisieren und neben den Nötigungsmitteln des § 253 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangen wird (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2006 – 3 StR 246/06, NStZ 2007, 32 f.; Beschlüsse vom 4. Dezember 2007 – 3 StR 459/07, NStZ-RR 2009, 16 f.; vom 22. November 1994 – GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 359). Darüber hinaus muss aus der Sicht des Täters zwischen der Entführungs- oder Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung ein solcher funktionaler und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden, dass dem Opfer die erstrebte Vermögensverfügung noch während der Dauer der Zwangslage abgenötigt werden soll; der Tatbestand ist deshalb nicht erfüllt, wenn die dem Opfer abgepresste Handlung erst nach der Freilassung erfolgen soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2007 – 4 StR 334/07, NStZ-RR 2008, 109 f.; vom 14. März 2007 – 2 StR 576/06, StV 2007, 354; vom 14. Mai 1996 – 4 StR 174/96, StV 1997, 302 f.).
13
b) Die subjektiven Voraussetzungen eines erpresserischen Menschenraubes , namentlich zum funktionalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung, sind im angefochtenen Urteil bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante nicht beweiswürdigend belegt.
14
Zwar ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Angeklagten – nachbeiden Sachverhaltsvarianten – die „Herausgabe“ von zwölf Kilogramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebten und die Erpressung noch während der Bemächtigungslage vollendet werden sollte (UA 39 f.). Auf welcher Tatsachengrundlage sich das Landgericht diese Überzeugung auch bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante verschafft hat, erschließt sich indes aus dem Urteil nicht.
15
In Anbetracht der Feststellung des Landgerichts, dass der Nebenkläger selbst nicht mit Drogen handelte (UA 7), und des Umstands, dass den Angeklagten bewusst war, dass der Nebenkläger – sollte er nur „Sündenbock“ gewesen sein – das Marihuana tatsächlich gar nicht an sich gebracht hatte, versteht es sich nicht von selbst, dass die Angeklagten die Vorstellung hatten, der Nebenkläger könne noch innerhalb der Bemächtigungslage die ganz erhebliche Menge von zwölf Kilogramm Marihuana bereitstellen. Nach den bisherigen Feststellungen ist zudem nichts dafür ersichtlich, dass die Angeklagten von einer Tätigkeit des Nebenklägers als Drogenhändler oder anderen Bezugsmöglichkeiten des Nebenklägers in dieser Größenordnung ausgingen.
16
Angesichts der vorgenannten Umstände, die eine zeitnahe Bereitstellung des Marihuanas durch den Nebenkläger als eher fernliegend erscheinen lassen , hätte es einer tragfähigen Beweiswürdigung bedurft, warum die Angeklagten ausgehend von der Sündenbockvariante gleichwohl die Herausgabe des Marihuanas noch während der Bemächtigungslage erstrebten. Hieran fehlt es.
17
2. Die subjektiven Voraussetzungen einer versuchten räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB sind bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante ebenfalls nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.
18
a) Eine räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB setzt in objektiver Hinsicht unter anderem einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 385/11, NStZ-RR 2012, 173, 175; Beschlüsse vom 25. Februar 2014 – 4 StR 544/13, NStZ 2014, 269; vom 21. März 2006 – 3 StR 3/06, NStZ 2006, 508). Dementsprechend muss im Falle des Versuchs der Tatentschluss des Täters darauf gerichtet sein, einen – ernsthaft und nicht nur zum Schein erstrebten (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1988 – 1 StR 148/88, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 3; Beschluss vom 27. Juli 2004 – 3 StR 71/04, NStZ 2005, 155 f.; MüKoStGB/Sander, 2. Aufl., § 253 Rn. 30 f.) – Vorteil durch den Einsatz des Nötigungsmittels zu erlangen.
19
b) Mit den Voraussetzungen eines Tatentschlusses der Angeklagten zur Begehung einer räuberischen Erpressung hat sich die Strafkammer nicht auseinander gesetzt. Es erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, was sich die Angeklagten zum finalen Zusammenhang zwischen den eingesetzten Nötigungsmitteln und der erstrebten Vermögensverfügung vorstellten, sofern der Nebenkläger nur als „Sündenbock“ dienen sollte.
20
So setzt sich das Urteil nicht hinreichend mit der – bei diesem Tathintergrund – naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass die Angeklagten vom Nebenkläger gar nicht ernsthaft eine „Herausgabe“ des Marihuanas erstrebten, sondern ihnen allein daran gelegen war, ihren Hintermännern einen Schuldigen für das Abhandenkommen der Betäubungsmittel zu präsentieren. Zwar ist das Landgericht – wie bereits ausgeführt – davon ausgegangen, dass die Angeklag- ten nach beiden Sachverhaltsvarianten die „Herausgabe“ von zwölf Kilogramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebten (UA 39 f.); näher begründet und beweiswürdigend belegt wird dies jedoch nicht.
21
Überdies bleibt unklar, ob die Vorstellung der Angeklagten dahin ging, der Nebenkläger werde die ihm abverlangte Handlung noch unter dem Einfluss der eingesetzten Nötigungsmittel – und nicht etwa geraume Zeit später (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 4 StR 244/16, NJW 2017, 1891,1893) – vornehmen. Vor dem Hintergrund, dass den Angeklagten nach der Sündenbockvariante bekannt war, dass der Nebenkläger gar nicht über das Marihuana verfügte, hätte das Landgericht auch diese Annahme nachvollziehbar begründen und belegen müssen. Dies ist nicht erfolgt.
22
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.

III.


23
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat mit Blick auf die von den Angeklagten erhobene Verfahrensrüge auf Folgendes hin:
24
Der Senat hat Bedenken, ob sich die Erwägungen des Landgerichts für die Annahme, dass dem Nebenkläger ein auf den Rechtsgedanken des § 34 StGB gestütztes außergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, als tragfähig erweisen. Allerdings bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung , ob in begrenzten Ausnahmesituationen die Annahme eines solchen Zeugnisverweigerungsrechts in Betracht kommt. Denn jedenfalls müssten zuvor eingehendere Ermittlungen zu einer tatsächlich bestehenden Gefährdung des Nebenklägers sowie dazu erfolgen, dass andere Maßnahmen zum Schutz des Zeugen – etwa nach § 58a StPO oder nach dem ZSHG – nicht ausreichend wären.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke