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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 232/12
vom
31. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: versuchten schweren Raubes u.a.
zu 2.: räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 31. Juli
2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 21. Dezember 2011
a) soweit es den Angeklagten T. betrifft im Fall 3 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben;
b) soweit es den Angeklagten H. betrifft insgesamt aufgehoben ; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch bestehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen räuberischer Erpressung und wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, den Angeklagten H. wegen räuberischer Erpressung und wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Dagegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte T. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung des Angeklagten T. wegen versuchten schweren Raubes im Fall 3 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf die den Strafausspruch in diesem Fall betreffenden Verfahrensrügen des Angeklagten kommt es danach nicht mehr an.
3
Die Strafkammer hat festgestellt: Der Angeklagte T. und die beiden Nichtrevidenten Ha. und K. schlugen gemeinsam auf den Nebenkläger ein, der Angeklagte T. verwendete dabei eine Eisenstange oder einen Teleskopschlagstock, mit dem er mehrere Schläge gegen den Kopf des Nebenklägers führte. Ein Bekannter des Nebenklägers, der Zeuge He. , wandte sich nunmehr an den Angeklagten und die Nichtrevidenten und forderte sie auf, von dem Nebenkläger abzulassen. Daraufhin schlug ihn der Angeklagte T. mit dem Schlagwerkzeug einmal unvermittelt auf den Kopf. Anschließend forderte er den Zeugen He. auf, ihm seine Geldbörse herauszugeben; dieser erklärte, keine Geldbörse bei sich zu haben und floh.
4
Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen versuchten (richtig : "besonders", vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 3 StR 57/11, NStZ 2011, 702) schweren Raubes nicht. Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 249 Rn. 6 mwN). An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, der Täter den Entschluss zur Wegnahme vielmehr erst nach Abschluss dieser Handlung fasst (BGH, Beschluss vom 21. März 2006 - 3 StR 3/06, NStZ 2006, 508 mwN). Vorliegend ergeben die Feststellungen weder, dass sich der Angeklagte im Moment des Schlages bereits zur Wegnahme entschlossen hatte, noch, dass er dem Zeugen nach dem geführten Schlag - gegebenenfalls durch schlüssiges Verhalten - mit weiteren Gewalthandlungen drohte, um die Wegnahme zu ermöglichen.
5
Soweit der neue Tatrichter - was nach dem sich aus der Äußerung des Angeklagten ergebenden Tatbild näher liegen könnte - eine Verurteilung wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in den Blick nehmen sollte, gilt nichts anderes. Zwischen der begehrten Herausgabe der Geldbörse und dem Einsatz von Nötigungsmitteln müsste auch in diesem Fall ein finaler Zusammenhang bestehen (Fischer, aaO, § 253 Rn. 18a).
6
Die Aufhebung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der für diese Tat verhängten Einsatzstrafe und bedingt damit die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die weitergehende Revision dieses Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
7
2. Die Verurteilung des Angeklagten H. begegnet insgesamt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Im Fall 2 der Urteilsgründe hat das Landgericht aufgrund der errechneten maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,68 ‰ zur Tatzeit festgestellt, bei dem Angeklagten sei eine erhebliche Verminderung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen. In der Beweiswürdigung hat es dazu ausgeführt, der Sachverständige habe eine erhebliche Minderung der Einsichts - und Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen können, und sich dieser Bewertung angeschlossen. Damit trägt das Urteil nicht die Annahme der Strafkammer , der Angeklagte sei bei Begehung dieser Tat schuldfähig gewesen (§ 20 StGB). Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen, erheblich vermindert, so kommt es für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit entscheidend darauf an, ob ihm deswegen diese Einsicht fehlt oder ob er gleichwohl über sie verfügt. Hat der Täter nicht die Einsicht in das Unerlaubte seines Handelns und kann ihm dies auch nicht vorgeworfen werden, so handelt er nach § 17 Satz 1 StGB ohne Schuld (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10; Fischer, aaO, § 21 Rn. 3 mwN). Das Urteil verhält sich indes nicht dazu, ob der Angeklagte - für den Fall der erheblichen Beeinträchtigung seiner Einsichtsfähigkeit - das Unerlaubte seines Handelns gleichwohl erkannte.
9
b) Dieser Rechtsfehler zieht auch die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 der Urteilsgründe nach sich. Diese Tat ging derjenigen in Fall 2 der Urteilsgründe unmittelbar voraus. Insoweit hat das Landgericht - sachverständig beraten - gleichwohl eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten abgelehnt. Die Beweiswürdigung, mit der es zu dieser Annahme gelangt, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat ausgeführt, nach den Angaben des Sachverständigen könne sich der Grad der Alkoholisierung innerhalb weniger Augenblicke erweitern, insbesondere, wenn ein weiterer Alkoholkonsum zwischen den Taten nicht auszuschließen sei. Diese Anknüpfungstatsachen werden durch die Feststellungen des Landgerichts jedoch nicht belegt; im Gegenteil spricht die Motivation für den Raub im Fall 1 der Urteilsgründe, die Angeklagten hätten sich weitere Getränke kaufen wollen, hätten dabei aber festgestellt, dass sie kein Geld mehr bei sich führten, sowie der Umstand, dass sich die Tat des Falls 2 der Urteilsgründe unmittelbar an Fall 1 anschloss, gegen einen solchen weiteren Alkoholkonsum zwischen den Taten.
10
c) Die rechtlich beanstandungsfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden durch die aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Die Begründung, mit der die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten H. in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat, begegnet ebenfalls rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen zur Person hat der Angeklagte "frühzeitig Auffälligkeiten mit seinem eigenen Alkoholkonsum gezeigt". Die Taten beging er, um sich Geld für weiteren Alkohol- konsum zu beschaffen. Angesichts dessen ist die Auffassung des Landgerichts , es bestehe kein symptomatischer Zusammenhang zwischen seinem Alkoholkonsum und den Taten, nicht tragfähig begründet. Becker Hubert Schäfer Ri'inBGH Dr. Spaniol befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Gericke Becker

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Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Juli 2012 - 3 StR 232/12 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 17 Verbotsirrtum


Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 450/10
vom
1. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 1. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 12. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt , deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die lückenhaften Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB).
3
a) Dem Angeklagten mussten im Jahre 2005 wegen arterieller Durchblutungsstörungen am rechten Bein ein Bypass gelegt und zwei Zehen amputiert werden. Seitdem ist er auf die Einnahme blutgerinnungshemmender Medikamente angewiesen. Gleichwohl wurden in der Folge an der Arteria fermoralis superficialis langstreckige Verschlüsse und ein teilthrombosiertes Aneurisma mit einem Durchmesser von ca. 5 cm diagnostiziert, die dringend der operativen Behandlung bedürfen.
4
Der als unauffällig und ruhig beschriebene Angeklagte wohnte in einem größeren Wohnkomplex in B. , in welchem es regelmäßig zu Ruhestörungen , Körperverletzungen, Drogendelikten und entsprechenden Polizeieinsätzen kam. Auf derselben Etage wohnte auch der als Hausmeister fungierende Zeuge W. , zu dem er ein von gegenseitigem Verständnis geprägtes Verhältnis hatte.
5
In der Tatnacht gegen 23.00 Uhr vernahm der nach dem Konsum von acht Flaschen Bier alkoholisierte Angeklagte erheblichen Lärm aus der Wohnung des Zeugen W. , in der sich mehrere Personen aufhielten, die bei offener Wohnungstür Alkohol und Drogen konsumierten, grölten und laute Musik spielten. Auf die Bitte des Angeklagten sorgte der Zeuge W. für Ruhe, worauf der Angeklagte sich schlafen legte. Gegen 0.45 Uhr erwachte der Angeklagte , weil erneut laute Musik aus der geöffneten Wohnungstür des Zeugen W. drang. Schlaftrunken und erheblich verärgert entschloss sich der Angeklagte , dessen Wohnung aufzusuchen, um für Ruhe zu sorgen und nötigenfalls den Stecker der Musikanlage zu ziehen. Die Einschaltung der Polizei hielt er nicht für angebracht, weil er mit dem Zeugen stets hatte reden können. Im Bewusstsein der erlebten Polizeieinsätze und aus Angst vor den unbekannten Gästen des Zeugen steckte er zu seinem Schutz ein zusammengeklapptes Taschenmesser mit einer 7 cm langen, spitz zulaufenden Klinge in die vordere Tasche der von ihm getragenen Jogginghose.
6
Der Zeuge W. war indes nach Alkoholkonsum zwischenzeitlich eingeschlafen. In dessen Wohnung fand der Angeklagte lediglich noch die Zeugen Br. und Bi. ansprechbar. Im Wohnungsflur stehend forderte er den Zeugen Br. auf, die Musik leiser zu stellen. Dieser trat auf den Angeklagten zu, verwickelte ihn zunächst in eine verbale Auseinandersetzung und versuchte schließlich, ihn aus der Wohnung zu drängen. Hieraus entwickelte sich "ein Handgemenge und ein Schubsen". Nun entschloss sich der im Wohnzimmer befindliche Zeuge Bi. , in das Geschehen "einzugreifen". Er stand auf und "schoss regelrecht" am Zeugen Br. vorbei in Richtung des Angeklagten, wobei er "mit den Armen gestikulierte". Obwohl die beiden Zeugen "zu keinem Zeitpunkt" beabsichtigten, den Angeklagten, der die Wohnung nicht freiwillig verlassen wollte, zu schlagen oder zu verletzen, fühlte dieser sich nun bedroht. Er fürchtete, gewaltsam aus der Wohnung des Zeugen W. "herauskatapultiert" zu werden und infolge dessen zu stürzen oder gegen die Wand des Etagenflurs zu prallen, was ihm wegen seines Gesundheitszustandes Angst bereitete. Er "meinte", einem solchen Angriff durch ungezielte Messerstiche in Richtung der Zeugen "begegnen zu dürfen". Deshalb zog er das Klappmesser hervor , öffnete es gleichzeitig und stach in unmittelbarer zeitlicher Abfolge zweimal ungezielt, aber heftig in Richtung der Zeugen. Der Zeuge Bi. wurde an der linken Halsseite getroffen und erlitt dort eine etwa 3 cm tiefe Stichwunde. Der Zeuge Br. erhielt einen Stich in den rechten Oberbauch, der zwischen den Leberlappen hindurchging.
7
b) Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil er sich nicht auf eine Notwehrlage (§ 32 StGB) habe berufen könne. Die Zeugen hätten keinen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ihn geführt , sondern nur versucht, ihn aus der Wohnung des Zeugen W. zu drängen. Hierzu seien sie berechtigt gewesen, weil sich der Angeklagte dort ohne Erlaubnis des Inhabers aufgehalten habe. Zwar habe der Angeklagte in Putativnotwehr gehandelt, weil er irrig angenommen habe, er werde nun - mit der möglichen Folge erheblicher Verletzungen - aus der Wohnung "herauskatapultiert". Putativnotwehr müsse sich jedoch im Rahmen dessen halten, was bei gegebener Notwehrlage gerechtfertigt wäre. Die Messerstiche seien aber bereits nicht das mildeste Mittel gewesen, um den (befürchteten) Angriff abzuwehren ; der Angeklagte hätte den unbewaffneten Zeugen den Einsatz des Messers zunächst androhen müssen. Jedenfalls seien sie aber nicht geboten gewesen, da sie in einem krassen Missverhältnis zu dem vom Angeklagten als gefährdet angesehenen Rechtsgut stünden. Auf eine Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken könne sich der Angeklagte nicht berufen, da § 33 StGB im Falle bloßer Putativnotwehr keine Anwendung finde.
8
c) Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
9
aa) Entgegen der Ansicht des Landgerichts befand sich der Angeklagte auch objektiv insoweit in einer Notwehrlage, als der Zeuge Br. versuchte, ihn mittels körperlicher Gewalt zum Verlassen der Wohnung des Zeugen W. zu zwingen, denn hierdurch hat er den Angeklagten rechtswidrig angegriffen (§ 240 StGB; § 32 Abs. 2 StGB). Das Handeln des Zeugen Br. war insbesondere nicht durch Nothilfe zugunsten des Zeugen W. gerechtfertigt, denn der Angeklagte ist weder widerrechtlich in dessen Wohnung eingedrungen noch hat er unberechtigt darin verweilt (§ 123 Abs. 1 StGB). Inhaber des Hausrechts war der Zeuge W. . Dass dessen Wille einem Betreten seiner Wohnung durch den Angeklagten aus gegebenem Anlass entgegenstand, hat das Landgericht nicht festgestellt. Angesichts des Verhaltens des Zeugen W. anlässlich der vorangegangenen Ruhestörung und seines sachlichen Verhältnisses zum Angeklagten liegt dies auch nicht nahe. Schon deshalb konnte die vom Zeugen Br. als Drittem (vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 123 Rn. 29) an den Angeklagten gerichtete Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, rechtlich keine Wirkung entfalten.
10
In einer objektiven Notwehrlage befand sich der Angeklagte naheliegend aber auch gegenüber dem Zeugen Bi. . Zwar hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt, mit welchem Ziel sich dieser dazu entschloss, in das Geschehen "einzugreifen", jedoch geht es nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils von der nahe liegenden Annahme aus, er habe den Zeugen Br. bei der Entfernung des Angeklagten aus der Wohnung körperlich unterstützen wollen (s. insbes. UA S. 13).
11
bb) Danach irrte der Angeklagte entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage. Vielmehr schloss er aus dem Eingreifen des Zeugen Bi. irrig auf eine unmittelbar bevorstehende Intensivierung des bereits in Gang befindlichen rechtswidrigen Angriffs , der er durch den bislang geleisteten bloßen körperlichen Widerstand nicht mehr begegnen zu können glaubte.
12
(1) Hält sich der Angegriffene in einem solchen Falle im Rahmen dessen, was in der von ihm angenommenen Situation zur Abwendung des Angriffs objektiv erforderlich und geboten gewesen wäre, so beurteilt sich sein Handeln zunächst allein nach den Grundsätzen des Erlaubnistatbestandsirrtums. Seine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgeschlossen. Bei Vermeidbarkeit des Irrtums kommt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB die Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (Fischer aaO § 16 Rn. 22; § 32 Rn. 51). Zu prüfen bleibt dann indes, ob der (vermeidbare ) Irrtum auf einem der in § 33 StGB genannten asthenischen Affekte - Verwirrung , Furcht oder Schrecken - beruht, denn hierdurch entfiele schuldhaftes Handeln. Anders als in dem Fall, dass der Täter die Fortsetzung eines bereits beendeten Angriffs annimmt (hierzu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2001 - 3 StR 272/01, NStZ 2002, 141), ist die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen , denn die objektive Notwehrlage dauert fort (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1986 - 3 StR 269/86, NStZ 1987, 20).
13
Ist sich der Angegriffene demgegenüber bewusst, dass seine Verteidigungshandlung über das hinausgeht, was zur Abwehr des (angenommenen) Angriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen wäre, so bleibt es bei einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat. Indes kommt ihm auch in diesem Falle der Schuldausschließungsgrund des § 33 StGB dann zugute, wenn er aus den in der Vorschrift genannten Gründen zur Überschreitung der Grenzen der Notwehr hingerissen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juni 1989 - 3 StR 203/89, NStZ 1989, 474; Fischer aaO § 33 Rn. 8).
14
(2) Welche der genannten Möglichkeiten vorliegend in Betracht kommt, lässt sich anhand der Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
15
Ob die Messerstiche im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen wären, um einen Angriff abzuwehren, wie der Angeklagte ihn befürchtete, kann der Senat mangels zureichender Darlegungen zur inneren Tatseite nicht überprüfen. Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe jedenfalls gegenüber einem unbewaffneten Angreifer grundsätzlich zunächst anzudrohen ist. Indes teilt es nicht mit, ob der Angeklagte überhaupt von einer Kampflage ausging, in der es noch möglich und Erfolg versprechend gewesen wäre, zunächst mit dem Messer zu drohen (hierzu Fischer aaO § 32 Rn. 33 mwN). Angesichts der Feststellung, der Zeuge Bi. sei regelrecht auf den Angeklagten zugeschossen, versteht sich dies nicht von selbst.
16
Der Auffassung des Landgerichts, die Messerstiche wären jedenfalls nicht im Sinne von § 32 Abs. 1 StGB geboten gewesen, kann sich der Senat nicht anschließen. Der Angegriffene muss von einer erforderlichen Verteidigungshandlung nicht bereits dann absehen, wenn zwischen der dem Angreifer dadurch drohenden Rechtsgutverletzung und dem angegriffenen eigenen Rechtsgut ein Ungleichgewicht besteht. Rechtsmissbräuchlich und damit nicht mehr geboten ist eine Verteidigungshandlung vielmehr erst dann, wenn die jeweils bedrohten Rechtsgüter zueinander in einem unerträglichen Missverhältnis stehen, etwa wenn die - wie hier - Leib oder Leben des Angreifers gefährdende Handlung der Abwehr eines evident bagatellhaften, bloßem Unfug nahe kommenden Angriffs dient (vgl. Fischer aaO § 32 Rn. 39). Bei dem vom Angeklagten befürchteten "Hinauskatapultieren" mit der Gefahr nicht unerheblicher Verletzungen infolge eines Sturzes oder eines Aufpralls auf der Wand kann davon keine Rede sein.
17
2. Unabhängig davon hat der Schuldspruch auch deshalb keinen Bestand , weil die Feststellungen nicht die Annahme des Landgerichts tragen, der Angeklagte sei bei der Begehung der ihm vorgeworfenen Tat schuldfähig gewesen (§ 20 StGB).
18
Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt, dass der aus dem Schlaf gerissene Angeklagte zur Tatzeit infolge einer Blutalkoholkonzentration von 1,66 ‰ und eines beträchtlichen Erregungszustandes "in der Fähigkeit, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen und nach der Einsicht zu handeln, erheblich eingeschränkt" war. Ist indes die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen, erheblich vermindert, so kommt es für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit entscheidend darauf an, ob ihm deswegen diese Einsicht fehlt oder ob er gleichwohl über sie verfügt. Hat der Täter nicht die Einsicht in das Unerlaubte seines Handelns und kann ihm dies auch nicht vorgeworfen werden, so handelt er nach § 17 Satz 1 StGB ohne Schuld (vgl. Fischer aaO § 21 Rn. 3 mwN). Dazu, ob der Angeklagte ungeachtet der festgestellten erheblichen Beeinträchtigung seiner Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seines Handelns erkannte, verhält sich das Urteil nicht.
19
3. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird - nötigenfalls unter Heranziehung des Zweifelssatzes - sowohl den objektiven Sachverhalt als auch die subjektiven Vorstellungen des Angeklagten genauer festzustellen haben, um eine ausreichende Grundlage für die Bewertung zu schaffen, ob die Tat des Angeklagten gerechtfertigt oder entschuldigt ist.
Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer