Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Mai 2018 - 2 StR 69/18

bei uns veröffentlicht am03.05.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 69/18
vom
3. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:030518B2STR69.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Mai 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 24. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein1 heit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision. Das Rechtsmittel ist mit der Sachrüge begründet.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
2
3
1. Der Angeklagte leidet an einer organisch bedingten paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie mit der Folge eines Eifersuchtswahns und akustischer Halluzinationen. Er lernte im Jahr 2014 die Nebenklägerin kennen und hatte mit dieser eine intime Beziehung, die zunächst harmonisch verlief. Ende des Jahres 2016 kam es vermehrt zu Unstimmigkeiten infolge grundloser Eifersucht des Angeklagten. Im April 2017 trennte sich die Nebenklägerin endgültig von ihm. Nachdem der Angeklagte vielfach ohne Erfolg versucht hatte, telefonisch Kontakt mit der Nebenklägerin aufzunehmen, suchte er sie am 14. Mai 2017 gegen 17.00 Uhr an ihrer Wohnung auf. Die Nebenklägerin wollte ihn nicht hereinlassen und versteckte sich im Schlafzimmer, das an der Rückseite des Hauses gelegen war. Der Angeklagte begab sich in den Hinterhof, schaute durch das Schlafzimmerfenster und klopfte an das Fenster. Die Nebenklägerin erklärte sich daher dazu bereit, mit ihm zu sprechen, aber nur vor dem Haus. Als sie die Wohnungstür öffnete, stand der Angeklagte plötzlich vor ihr und schob sie in die Wohnung zurück. Er drückte sie dort auf einen Stuhl und versuchte, sie zu küssen, was sie abwehrte. Er gab ihr leichte Schläge auf die Wange. Dann öffnete er seine Hose, holte den Penis heraus und verlangte Oralverkehr. Die Nebenklägerin hielt die Hand vor ihren Mund, so dass es dem Angeklagten nicht gelang, ihr den Penis in den Mund zu stecken. Er zog sie daraufhin ins Schlafzimmer und entkleidete sie gegen ihren Willen. Er warf sie auf das Bett, drang mit einem Finger in ihre Scheide ein und versuchte, ihre Beine auseinanderzudrücken, um den Geschlechtsverkehr auszuüben. Sie wehrte dies ab, indem sie die Beine zusammenpresste. Der Angeklagte forderte erneut Oralverkehr, was die Nebenklägerin verweigerte. Schließlich forderte er sie auf, sich eine Sonnenbrille aufzusetzen, damit er ein Foto machen könne. Die Nebenklägerin schlug ihm die Sonnenbrille aus der Hand.
4
Im Verlauf des Geschehens erschien die Schwester der Nebenklägerin, die Zeugin R. , mithilfe eines eigenen Schlüssels in der Wohnung, da sie einen vereinbarten Anruf der Nebenklägerin nicht erhalten hatte. Sie sah den Angeklagten mit herunter gezogener Hose und nacktem Oberkörper auf ihrer Schwester liegen, die weinend um Hilfe rief. Sie forderte den Angeklagten auf, von der Nebenklägerin abzulassen. Der Angeklagte reagierte nicht darauf, sondern lächelte die Zeugin R. nur an. Deshalb rief sie die Polizei. Bei Eintreffen der Polizeibeamten M. und B. war der Angeklagte
5
vollständig bekleidet, kniete auf dem Bett über der Nebenklägerin und redete auf diese ein. Die Nebenklägerin war nackt, wirkte eingeschüchtert und weinte. Die Beamten forderten den Angeklagten mehrmals auf, von ihr abzulassen, worauf er jedoch nicht reagierte. Deshalb wurde er schließlich von dem Polizeibeamten B. vom Bett heruntergezogen und auf dem Boden fixiert. Zur Spurensicherung wurden ihm Papiertüten über die Hände gestülpt. 2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte zur Tatzeit
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schuldfähig gewesen sei. Jedoch sei sein Hemmungsvermögen aufgrund krankheitsbedingter Enthemmung und Hypersexualität erheblich vermindert gewesen.

II.

Die Revision ist begründet.
7
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei bei der Bege8 hung der Tat zwar infolge seines hirnorganisch bedingten Psychosyndroms in seinem Hemmungsvermögen erheblich eingeschränkt, aber „sicher nicht schuldunfähig“ gewesen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
a) Für die Frage eines Ausschlusses der Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB kommt es darauf an, in welcher Weise sich eine festgestellte psychische Störung, die ein gesetzliches Eingangsmerkmal erfüllt, bei der Tat auf die Unrechtseinsicht und die Handlungsmöglichkeiten des Täters ausgewirkt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 24. September 2014 – 2 StR 235/14, BGHR StGB § 20 Psychose 3; BGH, Urteil vom 30. März 2017 – 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 167). Eine Wahnerkrankung schließt Unrechtseinsicht nicht generell, bei einem akuten Schub aber in aller Regel aus. Wenn das Tatgericht bei Vorliegen eines hirnorganisch bedingten Psychosyndroms lediglich von eingeschränkter Steuerungsfähigkeit ausgeht, hat es dies nachvollziehbar darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. November 2017 – 2 StR 359/17). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände. Das Landgericht ist den Ausführungen des psychiatrischen Sachver10 ständigen Dr. J. gefolgt, der ausgeführt hat, es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Angeklagte die Tat unter dem Einfluss eines akuten Krankheitsschubs begangen habe. Akustische Halluzinationen seien nicht geschildert worden. Weil der Angeklagte die Vergewaltigung aufgrund einer Störung durch die Schwester der Nebenklägerin abgebrochen habe, sei davon auszugehen, dass er noch zur Situationserfassung in der Lage war.
b) Diese Überlegungen sind lückenhaft.
11
Das Landgericht hat die Anknüpfungstatsachen zu den Ausführungen
12
des Sachverständigen in den Aussagen der Zeugen R. , M. und S. bestätigt gesehen, die zwar „Merkwürdigkeiten“ im Verhalten des Angeklagten erkannt, aber nicht über wahnhafte Äußerungen berichtet hatten. Die Zeugin M. hatte jedoch angegeben, der Angeklagte habe abwesend beziehungsweise fröhlich gewirkt. Er habe nicht verstanden, was passiert sei; habe eine verlangsamte Reaktion gezeigt und habe es lustig gefunden, als ihm Papiertüten über die Hände gezogen wurden. Sein Zustand sei während der Ermittlungsmaßnahmen gleichbleibend geblieben. Er habe die ganze Zeit undeutlich gesprochen. Mit diesen Bekundungen setzt sich die Urteilsbegründung nicht im Hin13 blick auf die Frage auseinander, ob darin ein tatzeitnahes Symptom der Wahnerkrankung zu sehen ist. Diese Erwägung ist zu Unrecht unterblieben. Allein die Tatsache, dass vom Angeklagten selbst oder von Zeugen nicht über die Äußerung von Wahngedanken des Angeklagten zur Tatzeit berichtet wurde, machte die Erwägung nicht entbehrlich. Das gilt auch deshalb, weil das Landgericht die späteren Erläuterungen des Angeklagten zum Tatgeschehen als „wahngeprägt“ bewertet hat.
14
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil zur Schuldfrage auf dem Erörterungsmangel beruht. Er hebt auch den Maßregelausspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine insgesamt stimmige Bewertung zu ermöglichen.
Schäfer RiBGH Dr. Appl Krehl befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer Eschelbach Ri'inBGH Dr. Bartel befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Mai 2018 - 2 StR 69/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Bundesgerichtshof Urteil, 30. März 2017 - 4 StR 463/16

bei uns veröffentlicht am 30.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 463/16 vom 30. März 2017 in der Strafsache gegen alias: wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2017:300317U4STR463.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Si

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Sept. 2014 - 2 StR 235/14

bei uns veröffentlicht am 24.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 2 3 5 / 1 4 vom 24. September 2014 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 2 3 5 / 1 4
vom
24. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. September 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere für Jugendschutzsachen zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.

I.

2
Das Landgericht hat zur Person des Angeklagten festgestellt, dass dieser durch Kriegserlebnisse im Kosovo traumatisiert ist. In Deutschland hat er im Jahre 2005 bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten. Er befindet sich "wegen neurologischer Probleme" in ärztlicher Behandlung und leidet "unter einem chronifizierten schweren psychiatrischen Krankheitsbild", das zu Angstzuständen führt. Auch entwickelt der Angeklagte "überwertige Ideen" und verliert den Realitätssinn. Er "fühlt sich oft bedroht und hört teilweise Stimmen. Bei einer Belastung kommt es zu psychotischer Dekompensation."
3
Am 13. Januar 2010 begegnete der Angeklagte drei Jugendlichen, die zu der "verfeindeten" Familie der Ehefrau des Bruders gehörten. "Diese Konfrontation belastete ihn derart, dass er psychotisch dekompensierte". Er beschimpfte die Jugendlichen und kramte in seinen Taschen, worauf diese davonliefen. Der Angeklagte verfolgte einen der Jugendlichen und griff ihn mit einem Beil an. Damit brachte er dem sich wehrenden 14jährigen Nebenkläger eine stark blutende Schnittwunde am Arm bei.
4
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, aufgrund des Krankheitsbildes sei nicht auszuschließen, dass die Fähigkeit des Angeklagten , entsprechend seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln, zur Tatzeit erheblich vermindert gewesen sei. Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit lägen nicht vor.

II.

5
Diese Bewertung der Schuldfähigkeit ist rechtsfehlerhaft. Die Annahme des Landgerichts, dass bereits keine Anhaltspunkte für einen kompletten Ausschluss der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Tat vorlägen, trifft nach den Feststellungen zur Person des Angeklagten nicht zu.
6
Festgestellt ist insoweit, dass der Angeklagte unter der wahnhaften Vorstellung litt, bedroht zu sein, weshalb er zur Tatzeit ein Beil mit sich führte, um sich verteidigen zu können. In dieser Absicht hatte er sich nach einer Zeugenaussage schon früher gefüllte Wasserflaschen um den Hals gehängt.
7
Der aus diesem Verhalten offenbar werdende Verlust des Realitätssinns und das ohne nähere Erläuterung angenommene Vorliegen paranoider Ideen sprechen für eine Wahnerkrankung. Eine solche Erkrankung schließt die Unrechtseinsicht zwar nicht generell aus, in der Regel aber bei einem akuten Schub. Lag - so die Feststellungen - zur Tatzeit eine "psychotische Dekompensation" des Angeklagten vor, kann sich dies auf seine Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ausgewirkt haben, was das Landgericht nicht hinreichend geprüft hat.
8
Selbst wenn der Angeklagte zur Tatzeit das Unrecht seiner Handlung eingesehen hätte, wäre weiter zu erörtern gewesen, wie sich die "psychotische Dekompensation" auf sein Hemmungsvermögen ausgewirkt hat. Einem Wahnkranken stehen in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 1997 - 1 StR 351/97, StV 1998, 15; Beschluss vom 19. Dezember 2013 - 2 StR 534/13). Die Behauptung des Landgerichts, nur eine "eingeschränkte Steuerungsfähigkeit" sei nicht auszuschließen, ist nicht nachvollziehbar dargelegt.

III.

9
Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs das Verschlechterungsverbot für den Strafausspruch gemäß § 331 Abs. 1 StPO auch dann gilt, wenn - wie hier - das Berufungsgericht die Sache an eine große Strafkammer verwiesen hat, die sodann als erstinstanzliches Gericht entscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 4 StR 452/04; s.a. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2008 - 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140, 141; a.A. Meyer-Goßner, in Festschrift für Volk, 2009, S. 455, 457 ff. und ders., Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse , 2011, S. 81 ff.). Appl Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 463/16
vom
30. März 2017
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:300317U4STR463.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 9. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und versuchter Brandstiftung mit Todesfolge freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Mit der zugelassenen Anklage vom 12. April 2016 legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last, er habe am 27. November 2015 in seinem Zimmer im zweiten Obergeschoss einer Flüchtlingsunterkunft in der B. er Innenstadt auf unbekannte Weise vorsätzlich ein Feuer gelegt. Der Brand habe sich über die Möbel in seinem Zimmer ausgebreitet, dieses vollständig zerstört und dabei unter anderem die Dachvertäfelung, die hölzernen Fensterrahmen sowie die Türzargen und -blätter ergriffen. Wie vom Angeklagten vorhergesehen oder zumindest billigend in Kauf genommen, habe die starke Rauchentwicklung den Bewohnern der höheren Geschosse den Fluchtweg versperrt, deren Tod der Angeklagte somit in Kauf genommen habe. Zwei Hausbewohner hätten wegen des starken Rauchs auf das nasse Hausdach fliehen müssen und seien mittels einer Drehleiter gerettet worden.

II.


3
1. Nach den Feststellungen meldete sich der in G. geborene Angeklagte im Juli 2013 in Deutschland als Asylsuchender und bekam nach wenigen Monaten einen Platz in einer Flüchtlingsunterkunft in B. zugewiesen.
4
Der Angeklagte hatte ab dem 22. Lebensjahr gelegentlich – etwa alle ein bis zwei Monate, teilweise auch mit längeren Pausen – Marihuana konsumiert, ohne hiervon abhängig zu werden. Aufgrund dieses gelegentlichen Marihuanakonsums entwickelte sich bei ihm ab dem Sommer 2015 eine drogeninduzierte Psychose. Diese äußerte sich u.a. durch Größenideen, enthemmtes Verhalten und „fehlendes Risikobewusstsein im Umgang mit Feuer“. Am 19. Oktober 2015 wurde der Angeklagte nach Konflikten mit Mitbewohnern erstmals nach dem PsychKG NW in der Klinik in Be. stationär untergebracht. Der Angeklagte zeigte deutliche psychotische Symptome, wurde jedoch bereits am 20. Oktober 2015 mangels akuter Eigen- oder Fremdgefährdung wieder entlassen. Am 14. November 2015 wurde er abermals in die vorgenannte Klinik eingewiesen, nachdem er in der Küche seiner Unterkunft ein Feuer in einem Papierkorb entfacht hatte. Während der Unterbringung zeigte sich der Angeklagte erneut deutlich psychotisch mit Größenwahn und ent- hemmtem Verhalten, weshalb er zwangsweise medikamentös behandelt wurde. Am 24. November 2015 wurde er bei fehlender Behandlungseinsicht und ohne Hinweise auf eine fortbestehende akute Eigen- und Fremdgefährdung entlassen.
5
Am 27. November 2015 kam es in der Flüchtlingsunterkunft, in der zu dieser Zeit insgesamt 26 Bewohner untergebracht waren, zu einem Brand, dessen Ursache die Strafkammer nicht festzustellen vermocht hat. Brandzentrum war das im zweiten Obergeschoss gelegene Zimmer des Angeklagten, welches durch das Feuer vollständig zerstört wurde. Die starke Rauchentwicklung versperrte den Fluchtweg für die Bewohner der höheren Geschosse. Zwei Personen wurden durch die Feuerwehr vom Dach des Hauses gerettet, drei Personen mussten mit Rauchgasvergiftungen in ein Krankenhaus gebrachtwerden. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 150.000 Euro. Der Angeklagte wurde noch während der Löscharbeiten von der Polizei vor dem Haupteingang des Supermarktes gegenüber der Unterkunft angetroffen und vorläufig festge- nommen. Er war „zur Tatzeit“ krankheitsbedingtnicht in der Lage einzusehen, dass die Verursachung eines Brandes gefährlich, geschweige denn verboten ist.
6
Nach dem Brand wurde der Angeklagte erneut nach dem PsychKG NW in der Klinik in Be. untergebracht, wo er sich wiederum psychotisch zeigte. Nachdem er am 10. Dezember 2015 in der forensischen Psychiatrie in L. einstweilig untergebracht worden war, verschwanden die psychotischen Symptome ohne medikamentösen Einfluss nach zehn bis 14 Tagen vollständig und traten nicht wieder auf.
7
2. Die Schwurgerichtskammer hat die Frage der Täterschaft des Ange- klagten offengelassen, da „der Angeklagte mangels Schuldfähigkeit zur Tatzeit im Ergebnis ohnehin aus rechtlichen Gründen freizusprechen“ sei.
8
Nach den Ausführungen des psychiatrischen und des psychologischen Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, habe der Angeklagte im Tatzeitraum – zurückgehend auf seinen gelegentlichen Konsum von Marihuana – an einer drogeninduzierten Psychose gelitten. Diese Erkrankung habe dazu geführt, dass der Angeklagte der normalen Realitätswahrnehmung entrückt gewesen sei. Er habe eigene Wahrnehmungen in wahnhafte Vorstellungen eingebaut, ohne die Möglichkeit zur Korrektur gehabt zu haben. Wenn er Feuer gelegt habe, sei er nicht in der Lage gewesen, die Konsequenzen seiner Handlungen einzuschätzen. Dass er immer wieder Feuer entzündet habe, auch wenn er dabei gesehen worden sei, zeige, dass er nicht in der Lage gewesen sei einzusehen, dass sein Verhalten gefährlich und verboten sei. Auch zum Zeitpunkt der Brandlegung in der Unterkunft sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben gewesen. Selbst wenn „ein Rest an Einsichtsfähigkeit und Unrechtseinsicht“ vorhanden gewesen wäre, habe es jedenfalls an der Fä- higkeit des Angeklagten gefehlt, nach dieser Einsicht zu handeln, da er „krankheitsbedingten raptusartigen Impulsen keine hemmenden Kontrollen habe ent- gegensetzen können“.

III.


9
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch des Angeklagten kann nicht bestehen bleiben, weil der vom Landgericht vorgenommenen Schuldfähigkeitsbeurteilung durchgreifende rechtliche Bedenken begegnen.
10
1. Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 399/16 Rn. 11; vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320; Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520; vgl. auch Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt , die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 399/16 aaO; Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306).
11
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
12
a) Bereits die Annahme, der Angeklagte habe im Tatzeitraum an einer drogeninduzierten Psychose gelitten, wird durch das Landgericht im Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung nicht tragfähig begründet.
13
Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16 Rn. 8; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15 aaO; vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15, NStZ-RR 2016, 167 [Ls]; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14 aaO).
14
Die Strafkammer beschränkt sich darauf, die Diagnose der Sachverständigen wiederzugeben. Welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen die Sachverständigen ihrer Bewertung zugrunde gelegt haben, wird dagegen nicht mitgeteilt. Es bleibt daher unklar, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Sachverständigen von einer drogeninduzierten Psychose ausgegangen sind. Dies hätte nicht zuletzt mit Blick auf den festgestellten nur gelegentlichen Marihuanakonsum des Angeklagten einer näheren Erläuterung bedurft. Die erfolgten Unterbringungen des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus und die hierbei gestellte Diagnose deuten zwar auf das Vorliegen einer psychischen Störung hin, vermögen aber eine konkrete Darlegung des Krankheitsbildes nicht zu ersetzen. Weder verhalten sich die Urteilsgründe zum Inhalt der Wahnvorstellungen des Angeklagten und zur konkreten Ausprägung des von ihm gezeigten enthemmten Verhaltens noch wird näher dargelegt, in welcher Weise sich das beim Angeklagten vorhandene Störungsbild auf dessen Umgang mit Feuer ausgewirkt hat. Soweit die Sachverständigen in Bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf krankheitsbedingte raptusartige Impulse verwiesen haben, denen der Angeklagte keine hemmenden Kontrollen habe entgegensetzen können, fehlt hierfür jeglicher tatsachengestützter Beleg.
15
b) Das angefochtene Urteil lässt ferner eine Auseinandersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen und benennt nicht, welches Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB es als erfüllt ansieht. Letzteres darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. BGH, Urteil vom 29. September2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341; Beschlüsse vom 22. April 2008 – 4 StR 136/08, NStZ-RR 2009, 46; vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351).
16
c) Schließlich hätte die Schwurgerichtskammer die Täterschaft des Angeklagten nicht offenlassen dürfen. Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten kann daher – von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97, NStZ 1997, 485, 486) – nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54; vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 436/06, NStZ-RR 2007, 105, 106; vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97 aaO; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 20 Rn. 20a mwN; Perron/Weißer in Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl., § 20 Rn. 31 mwN). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03 aaO mwN; vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402). Ohne entsprechende Feststellungen zum Tatgeschehen und damit auch zur Täterschaft des Angeklagten ist eine sachgerechte Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht möglich.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke