Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 2 StR 505/18

bei uns veröffentlicht am05.02.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 505/18
vom
5. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:050219B2STR505.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. Februar 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25. Juli 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu zwei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit Beschluss vom 17. März 2016 (2 StR 544/15) hatte der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang hatte das Landgericht den Angeklagten mit Urteil vom 20. Februar 2017 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung und versuchter Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach Aufhebung auch dieses Urteils – ebenfalls auf Revision des Angeklagten – und Zurückverweisung der Sache durch Senatsbe- schluss vom 7. März 2018 (2 StR 353/17) hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung unter Einbeziehung der Geldstrafe aus der Vorverurteilung zu neun Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge erneut Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen entwendete der Angeklagte in einem Kaufhaus einen Pullover, um diesen zeitnah zu verkaufen und sich von dem Erlös Lebensmittel zu kaufen. Er wurde von einem Angestellten des Kaufhauses beobachtet , der dem Angeklagten nach Verlassen der Geschäftsräume folgte. Als er den Angeklagten eingeholt hatte, wandte sich dieser plötzlich zu ihm um, zog ein Messer mit feststehender Klinge hervor, nahm eine bedrohliche Körperhal- tung ein und nötigte den Angestellten verbal („verpiss Dich, Du Hurensohn“) sowie unter Vorhalt des Messers dazu, von weiterer Verfolgung abzulassen. Auf seiner weiteren Flucht wurde der Angeklagte von dem Kaufhausdetektiv, der kurz nach dem Angestellten die Verfolgung des Angeklagten aufgenommen hatte, verfolgt und schließlich eingeholt. Der Angeklagte wandte sich mit einer Drehbewegung dem Kaufhausdetektiv zu und stach mit dem Messer in Richtung von dessen Kopf, wobei er Verletzungen billigend in Kauf nahm. Dem Detektiv gelang es, dem Messerstich auszuweichen; seine Bemühungen, den Angeklagten festzuhalten oder weiter zu verfolgen, gab er auf. Der Angeklagte erkannte, dass er weitere Stichbewegungen würde machen müssen, wenn er den Detektiv noch verletzen wollte und entschloss sich aus freien Stücken, hiervon abzusehen.
3
Es konnte nicht geklärt werden, ob der Angeklagte das Messer einsetzte, um sich den Besitz des entwendeten Pullovers zu erhalten. Das Landgericht hat ferner – der psychiatrischen Sachverständigen folgend – angenommen, dass der Angeklagte, der zum Tatzeitpunkt „unter einer schon seit Jahren bestehen- den psychotischen Erkrankung im Sinne einer hebephrenen Schizophrenie“ „durchgehend in einem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB“ handelte.
4
2. Das angefochtene Urteil hält sachrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe sind zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten in sich widersprüchlich und lückenhaft und entziehen damit sowohl dem Schuldspruch als auch der Maßregelanordnung die Grundlage. Auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt es nicht an.
5
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17 Rn. 7 und vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16; Urteile vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320 Rn. 17 und vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520 Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tat- zeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 457/18 Rn. 10; vom 4. April 2018 – 1 StR 116/18 Rn. 6 jeweils mwN).
6
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
7
Zwar ist die beim Angeklagten sachverständig diagnostizierte hebephrene Schizophrenie eine krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 278/10 Rn. 5 mwN). Die Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt aber für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten, erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2018 – 4 StR 443/18 Rn. 6 mwN). Dies lassen die Urteilsgründe vermissen; sie sind insoweit in sich widersprüchlich und lückenhaft und belegen weder, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tat erhalten war (nachfolgend aa) noch, dass sich die Psychose bei der Tatbegehung ausgewirkt hat (nachfolgend bb).
8
aa) Zunächst tragen die Urteilsgründe nicht die Annahme, die Voraussetzungen des § 20 StGB seien sicher ausgeschlossen. Der Schuld- und der Strafausspruch können deshalb keinen Bestand haben.
9
(1) Die Strafkammer stützt sich insoweit allein auf die Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen. Wenn sich der Tatrichter darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen , muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Dies ist hier nicht geschehen. So bleibt unklar, welche konkreten Umstände im Zusammenhang mit der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat die Sachverständige – und ihr folgend die Strafkammer – herangezogen hat, die es erlauben würden, eine Aufhebung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB sicher auszuschließen. Solcher Darlegungen hätte es aber bedurft , zumal bei einer Straftat, die etwa aus dysphorischer Verstimmung oder impulsiver Spannung aufgrund einer hebephrenen Schizophrenie begangen wurde, die Steuerungsunfähigkeit des Täters regelmäßig nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 278/10 Rn. 8).
10
(2) Das Landgericht hat ferner einen entscheidungserheblichen Widerspruch in den im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen zur maßgeblichen Frage, ob der Angeklagte zur Tatzeit in der Lage war, sich entsprechend seiner Unrechtseinsicht rechtmäßig zu verhalten, nicht aufgelöst. Einerseits wird – bei der Strafbarkeit des Angeklagten – ausgeführt, von einer „Aufhebung der Unrechtseinsichtsfähigkeit und einer Aufhebung des Realitätsbezugs“ könne nicht ausgegangen werden. Andererseits wird – bei der Gefahrprognose im Sinne des § 63 StGB – dargelegt , der Angeklagte werde aufgrund seiner krankheitsbedingt verzerrten Wahrnehmung immer wieder in Situationen wie der verfahrensgegenständlichen geraten , in denen er sich gezwungen sehe, ein Messer herauszuholen; in seinem Wahn (so handeln zu müssen) sehe er dann jede Form von Gewalt als legiti- mes Verteidigungsmittel an. Wäre der Einsatz des Messers jedoch durch einen krankheitsbedingten Wahn begründet, könnte dem Angeklagten zur Tatzeit die nach § 20 StGB erforderliche Einsichtsfähigkeit gefehlt haben.
11
bb) Die Urteilsgründe belegen andererseits aber auch nicht rechtsfehlerfrei , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB war. Dies entzieht der Maßregelanordnung die Grundlage, die deshalb ebenfalls keinen Bestand haben kann.
12
(1) Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auf Grund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 393/14,NStZ-RR 2015, 306). Die Beurteilung der Erheblichkeit, die im Wesentlichen eine Rechtsfrage ist (Senat, Beschluss vom 28. September 2016 – 2 StR 223/16, NStZ-RR 2017, 37, 38), muss stets in Bezug auf eine bestimm- te Tat und einen konkreten Tatbestand erfolgen, sodass bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer Tatbestände durchaus verschiedene Wertungsergebnisse entstehen können (BeckOK-StGB/Eschelbach, 40. Ed., § 21 Rn. 22, 23 mwN). Mitunter kann eine Auseinandersetzung damit geboten sein, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Februar 2015 – 2 StR 420/14 Rn. 7 mwN).
13
(2) Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat es verabsäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, ob sich die „weit vor 2014“ beim Angeklagten manifestierende hebephrene Schizophrenie auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben. Den Erwägungen des Landgerichts fehlt eine tatbezogene Betrachtung. Einen Schub der schizophrenen Erkrankung hat das Landgericht für den konkreten Tatzeitpunkt nicht festgestellt. Auch lassen die im Urteil mitgeteilten Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen einen konkreten Bezug zur Tat nicht erkennen. Ohne Aussagewert ist es ferner, dass „das Ver- halten des Angeklagten krankheitsbedingt an das Verhalten Pubertierender er- innert“. Auch das vom Angeklagten gewonnene Bild, wonach dieser in Momenten emotionalen Aufgewühltseins oder der Verärgerung „keine hinreichende Impulskontrolle“ mehr habe, ist (abgesehen davon, dass es die Strafkammer entgegen den Urteilsgründen nicht aus Unmutsbekundungen während der Verkündung des zu diesem Zeitpunkt bereits getroffenen Urteils hatte gewinnen können) ohne Aussagekraft, weil nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat in einem solchen, seine Impulskontrolle beeinflussenden Zustand war. Unerörtert bleibt, dass die Tat des Angeklagten planvoll gesteuertes Handeln erkennen lässt, indem er Ware entwendete, von der er annahm, sie zeitnah veräußern und sich vom Erlös Lebensmittel kaufen zu können, was er dann auch tat. Insofern hätte für die Strafkammer Anlass bestanden, sich mit einem möglichen normalpsychologisch erklärbaren Beweggrund für die Tat auseinanderzusetzen. Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe ebenfalls nicht.
14
3. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter zu ermöglichen, umfassende eigene und widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Er hat ferner von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO).
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4. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
16
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat auf Grund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen , dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 5 StR 388/17 Rn. 8 mwN).
17
b) Sollte der neue Tatrichter erneut annehmen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war, wird er die fakultativ bestehende Möglichkeit, den Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, in den Blick nehmen und erörtern müssen. Die erheblich verminderte Schuldfähigkeit verringert grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat. Zwar können schulderhöhende Momente diese Verringerung des Schuldgehalts ausgleichen, so dass eine Milderung des Strafrahmens unterbleiben kann. Dies muss der Tatrichter aber ausdrücklich darlegen. Es reicht nicht aus, den sich aus § 21 StGB ergebenden Milderungsgrund ausschließlich bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2002 – 4 StR 448/02 Rn. 5 mwN).
Franke Appl Meyberg Grube Schmidt

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 544/15
vom
17. März 2016
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Diebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:170316B2STR544.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts am 17. März 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung , unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision hat in vollem Umfang Erfolg.
3
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 19. Januar 2016 ausgeführt: "I. Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt , das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (§ 261 StPO). Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14 -, juris, Rn. 8; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 337 Rn. 26 ff.; Gericke, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 29, jeweils m. w. Nachw.). 2. Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat sich zu seinen Motiven, nach verübtem Ladendiebstahl das von ihm mitgeführte Messer einzusetzen, dahingehend eingelassen , er habe im ersten Fall das Messer gezogen, als 'draußen […] plötzlich ein Verfolger […] wie ein wildes Tier auf ihn zugelaufen' sei, während im zweiten Fall 'plötzlich ein Mann neben ihm gestanden' habe, der groß, kräftig und 'sehr aggressiv' gewesen sei, sich 'wie ein Verrückter' verhalten habe und so gewirkt habe, als ob er ihn angreifen wolle. In beiden Fällen habe er 'Angst um sein Leben' gehabt ; an den entwendeten Pullover hingegen habe er in den Momenten des Messereinsatzes nicht mehr gedacht (vgl. Bl. 13 UA). Das Landgericht hat diese Einlassung insoweit als widerlegte Schutzbehauptung angesehen, als der Angeklagte der Sache nach seine Absicht, sich durch den Messereinsatz gegen die Zeugen H. und K. im Besitz des entwendeten Pullovers zu erhalten, in Abrede gestellt hat (vgl. Bl. 10, 11, 18 ff. UA). Im Übrigen ist die Strafkammer allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass 'die Einlassung des Angeklagten zum Teil von seiner krankheitsbedingt verzerrten Wahrnehmung geprägt' gewesen sei (vgl. Bl. 18 UA). Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist damit gemeint, dass der Angeklagte die Zeugen H. und K. aufgrund seiner Erkrankung, einer schizophrenen Psychose, subjektiv - wie von ihm geschildert - als 'erhöht bedrohlich' wahrnahm (vgl. Bl. 12, 23 ff. UA), obwohl dafür nach dem festgestellten objektiven Geschehensablauf kein erkennbarer Anlass bestand (vgl. Bl. 9 ff., 25 f. UA). Dabei hat das Landgericht allerdings
nicht bedacht, dass der Angeklagte das Verhalten der Zeugen H. und K. zwar realitätsentsprechend wahrgenommen , aber diesbezüglich vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben könnte, um seine Schutzbehauptung, der Messereinsatz sei nicht durch Besitzerhaltungsabsicht motiviert gewesen, zu untermauern und einer Bestrafung wegen räuberischen Diebstahls zu entgehen. Eine Erörterung dieser Möglichkeit musste sich aufdrängen, weil der Angeklagte die Besitzerhaltungsabsicht, die den Messereinsatz auch ohne die Annahme krankheitsbedingter Wahrnehmungsverzerrungen plausibel zu erklären vermochte, zur Überzeugung der Strafkammer (auch subjektiv) wahrheitswidrig geleugnet, seine Beweggründe also jedenfalls insoweit vorsätzlich falsch dargestellt hat ('Schutzbehauptung'). Hätte der Angeklagte das Verhalten der Zeugen H. und K. hingegen tatsächlich subjektiv verzerrt als 'erhöht bedrohlich' wahrgenommen und - wie von ihm angegeben - 'Angst um sein Leben' gehabt, spräche dies wiederum für die Richtigkeit seiner weiteren Einlassung, in den Momenten des Messereinsatzes nicht mehr an den entwendeten Pullover gedacht zu haben. Denn wenn sich der Angeklagte in Lebensgefahr wähnte, könnte die Abwehr dieser Gefahr durchaus das allein bestimmende Handlungsmotiv gebildet haben und der Erhalt des Besitzes an dem gestohlenen Pullover demgegenüber vollends in den Hintergrund getreten sein. Diesen Gesichtspunkt hat das Landgericht ebenfalls übergangen, obwohl sich eine Erörterung aufgrund der Angaben der Zeugen H. und K. aufgedrängt hätte (vgl. Bl. 16 f. UA: 'psychisch auffällig und psychopathisch', 'seltsam und auffällig', 'nicht mehr Herr seiner Sinne', 'ungewöhnlich aggressiv'). Die Beweiswürdigung ist insofern lücken- und somit rechtsfehlerhaft, was zur Aufhebung des Schuldspruchs führt. II. Darüber hinaus tragen die (rechtsfehlerhaft) getroffenen Feststellungen weder den Schuldspruch noch belegen sie die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB. 1. Den Feststellungen zufolge hat der Angeklagte lediglich einen Diebstahl verübt und, auf frischer Tat betroffen, mit sei-
nem Messer zunächst dem Zeugen H. gedroht und sodann einen Stich in Richtung des Zeugen K. geführt, um sich im Besitz des gestohlenen Pullovers zu erhalten (vgl. Bl. 9 ff. UA). Es liegt daher nur eine einheitliche Tat des schweren räuberischen Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 252, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung vor und nicht - wie das Landgericht angenommen hat (vgl. Bl. 20 UA) - schwerer räuberischer Diebstahl in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. 2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - 2 StR 37/15 -, juris Rn. 4 m. w. Nachw.). Das Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen.
a) Die Strafkammer ist im Anschluss an das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. R. davon ausgegangen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten sich nicht bereits bei dem Diebstahl des Pullovers , sondern lediglich bei dem nachfolgenden Messereinsatz gegen die Zeugen H. und K. ausgewirkt habe. Denn dabei sei seine 'Kritik- und Urteilsfähigkeit' insofern beeinträchtigt gewesen, als er die Zeugen H. und K. 'krankheitsbedingt verzerrt als erhöht bedrohlich' wahrgenommen habe; infolge dessen sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (vgl. Bl. 12, 23 ff. UA).
b) Eine Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten wie der 'Kritik - und Urteilsfähigkeit' mag zu einer Verminderung der Einsichtsfähigkeit führen, die allerdings nur dann die Anwendung von § 21 StGB rechtfertigt, wenn - wozu sich die Urteilsgründe nicht verhalten - dem Angeklagten auch tatsächlich die Unrechtseinsicht fehlte (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 21 Rn. 3 ff. m. w. Nachw.). Inwiefern daraus eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit, d. h.
der Fähigkeit des Angeklagten, sein Verhalten nach seiner vorhandenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu richten (vgl. Fischer, a.a.O., § 20 Rn. 4, 44 m. w. Nachw.), resultieren sollte, erschließt sich indes nicht und hätte jedenfalls näherer Darlegung bedurft."
4
Der Senat tritt diesen zutreffenden Ausführungen bei. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

7
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319; Beschlüsse vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519; vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16, juris Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts - und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135, 136).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 285/16
vom
14. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung
ECLI:DE:BGH:2016:140716B1STR285.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 14. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Angeklagte, der seit dem Jahr 2008 unter Betreuung steht, am 1. Juli 2015 gegen 5.00 Uhr in der von ihm allein bewohnten Mietwohnung im Erdgeschoß eines Mehrfamilienhauses verbarrikadiert , indem er hinter die abgeschlossene Eingangstüre eine Waschmaschine stellte, alle Rollläden vollständig herunterließ und deren Zugbänder durchschnitt. Anschließend legte er Haufen von Kleidern und anderen leicht brennbaren Kleinteilen in verschiedenen Zimmern der Wohnung aus und tränkte diese jeweils mit Brennspiritus. Diese Haufen setzte er dann in Brand, nahm Schlaftabletten sowie eine geringe Menge Wodka ein und begab sich ins Badezimmer. Dort verbarrikadierte er sich ebenfalls, indem er einen Badezimmerschrank hinter die Türe stellte, legte sich in die Badewanne und schnitt sich in Suizidabsicht die Pulsadern auf.
3
Wie vom Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, griff das Feuer jedenfalls im Wohnzimmer so auf die Bausubstanz über, dass Teile der Tapete und der fest verlegte Teppichboden bereits selbstständig brannten. Das dreistöckige Gebäude, in dem insgesamt vierundzwanzig Personen lebten und durch die Brandlegung erheblich gefährdet waren, geriet letztlich nur deshalb nicht vollständig in Brand, weil eine Nachbarin bereits kurze Zeit später aus dem Rollladenkasten des Angeklagten austretenden Rauch wahrnahm und die Feuerwehr alarmierte, welche den Brand löschen konnte. Die Wohnung des Angeklagten war auf Grund der starken Ruß- und Hitzebildung , welche bereits zum Anschmelzen der Deckenpaneele geführt hatte, unbenutzbar geworden. Es wurde ein Sachschaden von ca. 20.000 Euro verursacht.
4
2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Dieser war nach Auswertung der vorhandenen Arztberichte, des im Rahmen des Verfahrens zur Bestellung des Betreuers erstellten Gutachtens sowie dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung, jedoch – mangels Einwilligung – ohne Exploration des Angeklagten, zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte im Zustand verminderter Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB gehandelt hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit dem Jahr 2000 unter einer nunmehr verfestigten kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und histrionischen Anteilen (UA S. 12). Der Anfang 2015 erforderlich gewordene Umzug der Mutter von der Wohnung in ein Pflegeheim habe noch einmal für eine Verschlimmerung gesorgt, so dass seit diesem Zeitpunkt beim Angeklagten eine kognitive Einengung festzustellen sei, welche diesen in seinem Erleben massiv einschränke. Das Landgericht sieht daher die Voraussetzungen für eine schwere andere seelische Abartigkeit als Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB als gegeben an und führt unter Bezugnahme auf eine schriftliche „Erklärung“ des Angeklagten vom 27. Juni 2015 weiter aus, dass „der Angeklagte auf Grund seiner psychischen Verfassung sich offensichtlich nicht mehr in der Lage sah, seinen Suizid- und Brandlegungsimpuls zu wider- stehen“ (UA S. 13). Auch sei bei der Einlieferung ins Klinikum Augsburg unmit- telbar nach der Tat ein Delir- bzw. Verwirrtheitszustand festgestellt worden (UA S. 8). Im Hinblick auf das über einen längeren Zeitraum geplante und zielgerichtete Vorgehen sowie das situationsspezifische Verhalten des Angeklagten, das sich auch in einem am 30. Juni 2015 verfassten Nachsatz zur „Erklärung“ zeige, schließt das Landgericht aber eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus.

II.


5
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch werden auch die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
6
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat weder die Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen noch ob es eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
7
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens ei- nes der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 f. und vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Das gilt besonders dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 StR 547/15, NStZ-RR 2016, 135 mwN).
8
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht, da das Vorliegen eines Eingangsmerkmals i.S.d. § 20 StGB nicht hinreichend belegt ist.
9
Zwar ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstörung nur dann unter das vierte Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, eingeordnet werden kann, wenn diese nach ihrem Ausprägungsgrad Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit hat, es also im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 4 StR 120/12, StraFo 2012, 275 und Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. jeweils mwN). Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen dieses erforderlichen Schweregrades der Persönlichkeitsstörung, die sich im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der Überlegungen des Sachverständigen beschränken, sind aber rechtsfehlerhaft. So wird einerseits aus der schriftlichen Erklärung des Angeklagten abgeleitet, dass dieser bei der Tatbegehung auf Grund seiner psychischen Verfassung bereits nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinem Suizidund Brandlegungsimpuls zu widerstehen, wofür auch der durch die behandelnde Ärztin bei der Einlieferung ins Klinikum festgestellte Delir- und Verwirrtheitszustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat spricht. Anderseits soll aber auf Grund der länger dauernden und sorgfältigen Planung der Tat eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen sein. Damit bleibt letztlich unklar, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
10
2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus insgesamt neu verhandelt und entschieden werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen.
11
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen , die den bisherigen nicht widersprechen. Raum Graf Cirener Radtke Bär
17
Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, StV 2013, 694); jedoch sind die Prüfungspunkte miteinander verzahnt (vgl. zur Problematik Fischer, StGB 62. Aufl. § 20 Rn. 5, 5a m.w.N.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, was hier mit dem "Vollbild einer Persönlichkeitsstörung" eindeutig der Fall ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung im Hinblick auf das Vorliegen eines Eingangsmerkmals und anschließend die Erheblichkeit des Einflusses auf das Hemmungsvermögen gemäß § 21 StGB zu untersuchen. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befundes wie bei der Prüfung erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen. Diese Fragen hat das Landgericht nicht in einer nachvollziehbaren Weise beantwortet.
7
a) Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Drogen wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl die Voraussetzungen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB als auch – vor allem bei körperlicher Abhängigkeit – jene einer krankhaften seelischen Störung erfüllen (SSW-StGB/Schöch, § 20 Rn. 46; vgl. auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 41). Unabhängig von dieser Einordnung begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. August 2001 – 1 StR 470/00, NJW 2002, 150, 152 mwN). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert war, in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Aus- prägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 281/00, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 14; Beschluss vom 3. September 2004 – 1 StR 359/04, NStZ-RR 2004, 360). Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 3 StR 52/06, NStZ-RR 2007, 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters (BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12, jeweils mwN).

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

10
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17 Rn. 7 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2018, 238] und vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16; Urteile vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320 Rn. 17 und vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520 Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146 und vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135). Wenn sich das Landgericht – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN).
6
Die Frage, ob bei Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei – mit sachverständiger Hilfe festgestelltem – gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds die Schuldfähigkeit des Täters aufgehoben oder im Sinne von § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, ist eine Rechtsfrage. Um sie beantworten zu können und zudem eine revisionsgerichtliche Kontrolle der tatgerichtlichen Entscheidung darüber zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.; Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 254/16, StV 2017, 592 f.), bedarf es im Urteil des Tatgerichts konkretisierender und widerspruchsfreier Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; siehe BGH, Urteil vom 30. März 2017 – 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 69 nur redaktioneller Leitsatz und Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135). Solche Darlegungen sind im Rahmen der Unterbringungsanordnung auch deshalb geboten, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich auch an den Zustand des Täters bei Begehung der Anlasstaten anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.).

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

6
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, StV 2017, 588; vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 24. April2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR171/14
vom
17. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. Juni 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 7. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit bei Begehung der Taten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
2
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

I.


3
1. Nach den Feststellungen kam es in einem Zeitraum von vier Jahren bis zum Tattag, dem 6. Januar 2013, zwischen dem u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, vorbestraften Angeklagten und der Geschädigten, seiner Wohnungsnachbarin in einem Zweifamilienhaus in P. , regelmäßig zu Spannungen. Am Tattag schlug er der Geschädigten im Treppenhaus zunächst zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht, brachte sie danach durch einen Stoß mit seinen Händen so zu Fall, dass sie die Treppe zunächst bis zur Hälfte und dann – infolge erneuten Schubsens und Schlagens – die restlichen Stufen der Treppe hinunterfiel, wo sie vor ihrer Wohnungstür liegen blieb. Dort versetzte ihr der Angeklagte noch einen Fußtritt gegen die Rippen. Die Geschädigte erlitt durch den Vorfall eine Teilruptur des vorderen Kreuzbandes an ihrem rechten Knie sowie multiple Prellungen. Beim Einschreiten der daraufhin herbeigerufenen Polizeibeamten schlug der Angeklagte mehrfach um sich und versuchte, sich aus den Haltegriffen der Beamten zu befreien. Zum Tatzeitpunkt betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,2 ‰.
4
2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat nach Auswertung der Akten und Anwesenheit in der Hauptverhandlung , jedoch – mangels Einwilligung – ohne Exploration des Angeklagten, ausweislich der Urteilsgründe im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
5
Der „ursprünglich intelligent“(e) Angeklagte habe um das Jahr 2000 einen „Leistungsknick“ erlebt. 2002 sei bei ihm zunächst ein „sensitiver Bezie- hungswahn“ diagnostiziert worden, später sei man „ziemlich sicher“ von einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie ausgegangen. Die häufigen Umzüge seien aus medizinischer Sicht als paranoide Symptomatik gedeutet worden; der Angeklagte habe dadurch versucht, sich den wahnhaft empfundenen negativen Einflüssen seiner Nachbarn zu entziehen. Er leide gegenwärtig unter einer zunehmenden Unfähigkeit zur Fortsetzung seiner Ausbildung; die auftretenden Verwahrlosungstendenzen sowie psychosozialen Defizite „sprä- chen für eine Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie“ mit „möglicherweise“ bereits eingetretener Chronifizierung und einer Neigung zu akuten Exazerbationen. Es „spreche viel dafür“, dass das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten aus einer krankheitsbedingten paranoiden Symptomatik resultiere; jedenfalls sei es „am ehesten“ mit dem Vorliegen einer solchen Symptomatik erklärbar. Für ein anderes Eingangsmerkmal des § 20 StGB hätten sich keine Hinweise ergeben; eine isolierte Alkoholproblematik liege beim Angeklagten nicht vor. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sei „mit allerhöchster Sicherheit“ eingeschränkt gewesen. Deren vollständige Aufhe- bung sei nicht sicher festzustellen, zumal beim Angeklagten statt eines Wahns auch psychotisch bedingter Ärger „ernsthaft in Betracht komme“. „Allgemein“ gelte, dass an Schuldunfähigkeit in einem akuten psychotischen Schub „kaum je“ ein Zweifel bestehe.

II.


6
Mit diesen Ausführungen werden die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt.
7
1. Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 mwN). Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; Beschluss vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte – wie im vorliegenden Fall – eine Exploration abgelehnt hat (BGH, Beschluss vom 31. Januar 1997 – 2 StR 668/96, BGHR StGB § 63 Zustand 21).
8
2. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Dabei kann dahinstehen, ob die im Allgemeinen verbleibende, zusammenfassende Darlegung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen schon nicht hinreichend deutlich macht, ob die Einschränkung der Schuld- fähigkeit auf dem für die Anordnung der Maßregel erforderlichen, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Defekt beruht hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. November 1987 – 5 StR 575/87, BGHR StGB § 63 Zustand 6 mwN), weil der Sachverständige eine Chronifizierung der in Betracht gezogenen Erkrankung lediglich für möglich gehalten hat. Jedenfalls fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation. Die Urteilsgründe teilen auch insoweit lediglich das Ergebnis der medizinischen Diagnose des psychiatrischen Sachverständigen mit, wonach das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten und den Polizeibeamten die Annahme einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit paranoider Symptomatik nahelege. Als Anknüpfungspunkte für diese Diagnose werden Umstände herangezogen, die zum einen in der früheren Krankengeschichte des Ange- klagten liegen, so etwa sein vor über zehn Jahren eingetretener „Leistungsknick“ , zum anderen Umstände von nur begrenzter und nicht näher erläuterter Aussagekraft, wie etwa häufige Umzüge, durch die der Angeklagte versucht habe, sich wahnhaft empfundenen negativen Einflüssen seiner Nachbarn zu entziehen. Demgegenüber wird das Vorliegen eines akuten psychotischen Schubs – im Rahmen der Erörterung einer möglicherweise vollständig aufgehobenen Schuldfähigkeit – lediglich abstrakt als Möglichkeit in Betracht gezogen und mit der Erwägung, es komme auch psychotisch bedingter Ärger ernsthaft in Betracht, wieder relativiert. Eine situationsbezogene Erörterung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten unter dem Einfluss der psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Taten fehlt. So wird auch nicht erkennbar erwogen, dass der Angeklagte vor den Widerstandshandlungen gegenüber den Polizeibeamten freiwillig in den Streifenwagen stieg, sich mithin situationsangepasst verhielt.
10
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die vom Landgericht zur ersten Anlasstat getroffenen Feststellungen auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in seiner Auslegung durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31) grundsätzlich geeignet sind, die Anordnung der Maßregel zu tragen. Der neue Tatrichter wird jedoch bei der Gefährlichkeitsprognose das bislang nicht näher erläuterte spannungsgeladene Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnenden Geschädigten in einem Zeitraum von vier Jahren vor der hier verfahrensgegenständlichen Tat eingehender in den Blick nehmen müssen.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 9 3 / 1 4
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Januar 2014 im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 15 Fällen, hiervon in elf Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung der Maßregel; im Übrigen ist sie unbegründet, weil die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.

I.


2
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
3
1. Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer Schwerhörigkeit sowie einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung (Gesamt-IQ 49). 2004 heiratete er die in Russland lebende Mutter der am 22. November 1995 geborenen Geschädigten. Während die Mutter bald nach Deutschland übersiedelte und in die Wohnung des Angeklagten einzog, konnte die Geschädigte ihrer Mutter erst im Sommer 2007 folgen. Die Geschädigte ist wie ihre Mutter gehörlos und beherrschte zunächst nur die russische Gebärdensprache.
4
Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft fragte der Angeklagte die Geschädigte mittels Gebärden, ob sie mit ihm "Sex machen" wolle. In der Folgezeit rieb er wiederholt seinen erigierten Penis zwischen den nackten Gesäßhälften der Geschädigten. Spätestens seit Herbst 2008 führte er regelmäßig, mindestens aber in 15 Fällen, den vaginalen Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter durch; in einem Fall erfolgte zudem Oralverkehr, in einem weiteren Fall versuchter Analverkehr (Fälle II. 1. bis 15. der Urteilsgründe), wobei die Geschädigte in vier Fällen nicht ausschließbar bereits 14 Jahre alt war (Fälle II. 10. bis 13. der Urteilsgründe).
5
Der Angeklagte hat das Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt, wobei er aber die Initiative hierfür der Geschädigten zugeschrieben hat, die ihn "verliebt gemacht" habe.
6
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten aufgrund der bei ihm bestehenden Intelligenzminderung, die in ihrem Schweregrad das Eingangsmerkmal des "Schwachsinns" erfülle, erheblich vermindert gewe- sen sei (§ 21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen. Aufgrund der weiterhin bestehenden Intelligenzminderung seien in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten.

II.


7
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat den für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptomatischen Zusammenhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.
9
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Geboten ist insbesondere eine Auseinandersetzung damit, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14 mwN).
10
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften dauerhaften Zustand leidet. Sie hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und wie sich dieser Zustand in der konkreten Tat ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, NStZ-RR 1998, 106).
11
Das Landgericht hat insoweit "in Übereinstimmung" mit dem Sachverständigen lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei aufgrund seiner Intelligenzminderung "nur schwer" in der Lage gewesen, aus seiner (erhalten gebliebenen ) Unrechtseinsicht "die Schlussfolgerung zu ziehen, keine sexuellen Handlungen mit seiner Stieftochter zu begehen". Er sei in der Fähigkeit, seinen sexuellen Trieb und die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zu kontrollieren , erheblich beeinträchtigt gewesen.
12
Diese knappen Ausführungen lassen nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Annahme des Sachverständigen - und ihm folgend des Tatgerichts - beruht, dass die Missbrauchstaten auf die Intelligenzminderung und nicht etwa auf andere Ursachen, wie zum Beispiel eine sexuelle Präferenz des Angeklagten, zurückgehen. Überhaupt fehlen Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen hatte. Auch im Hinblick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit fehlt jede tatbezogene Betrachtung.
13
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich daher nicht die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe aufgrund seiner Intelligenzminderung bei allen Taten jeweils sicher im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt.
14
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose wird durch die bisherigen Feststellungen nicht getragen.
15
a) Die der Entscheidung der Strafkammer zugrunde gelegte Bewertung des Sachverständigen, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen körperlicher sexueller Reife und sozialer Kompetenz des Angeklagten in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten seien, ist nicht im Einzelnen mit Tatsachen belegt.
16
Richten sich Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeordnet wird, nur gegen eine bestimmte Person oder haben sie in der Beziehung zu dieser Person ihre alleinige Ursache, so bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung aufgrund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1989 - 4 StR 342/89, NZV 1990, 77 mwN; Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2006 - 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29). Das Landgericht hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Möglichkeiten des Angeklagten, Einfluss und Eindruck auf erwachsene Frauen als mögliche Sexualpartnerinnen auszuüben, wegen seiner Intelligenzminderung erheblich eingeschränkt seien, weshalb eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf schwächere Bezugspersonen in Gestalt von jungen Mädchen weiterhin zu befürchten sei.
17
Dabei hat das Gericht schon nicht berücksichtigt, dass der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 38jährige und nicht vorbestrafte Angeklagte seit 2004 verheiratet ist und mit seiner Frau eine gemeinsame, 2008 geborene Tochter hat. Worauf die Annahme der Kammer gründet, dass die Möglichkeiten des Angeklagten , erwachsene Sexualpartnerinnen zu finden, tatsächlich eingeschränkt sind, wird nicht ausgeführt.
18
Aber auch die Bewertung, dass eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf junge Mädchen weiterhin zu befürchten sei, lässt eine Erörterung tatspezifischer Umstände vermissen; denn bei der durch die Missbrauchstaten Geschädigten handelte es sich um die mit dem Angeklagten in einem Haushalt lebende Stieftochter, die zudem gehörlos ist und erst unmittelbar vor den ersten sexuellen Übergriffen nach Deutschland gekommen war. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte wieder die Gelegenheit haben könnte, entsprechend nachhaltig auf ein solchermaßen schutzbedürftiges junges Mädchen einzuwirken, hat die Strafkammer weder mitgeteilt noch sind solche ersichtlich, zumal auch die jüngere Schwester der Geschädigten schon 2011 aus der Familie genommen und den Eltern die elterliche Sorge entzogen worden ist.
19
b) Die Ausführungen der Strafkammer lassen zudem besorgen, dass sie bei der Gefährlichkeitsprognose einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung künftiger Taten besteht. Die Kammer hat sich insoweit "nach eigener Prüfung" den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, der davon ausgegangen ist, dass "in jedem Fall" ähnlich gelagerte Straftaten zu erwarten seien. Sie ist dann mit ergänzenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass Missbrauchstaten gegen junge Mädchen weiterhin "zu befürchten" seien, ohne sich zu dem Grad der Wahrscheinlichkeit überhaupt zu verhalten und diesen tatsachengestützt zu begründen.
20
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf. Der neue Tatrichter wird sich naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen erneut mit der Intelligenzminderung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen haben.
21
Schuld- und Strafausspruch können bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass sich dabei Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen könnten. Denn das Landgericht hat auf breiter Tatsachengrundlage es zum einen dargestellt, dass der Angeklagte, der eingeräumt habe zu wissen, dass man seine Stieftochter "nicht anfassen" dürfe, trotz seiner Intelligenzminderung das Unrecht seiner Tat erkannt habe. Es hat zum anderen ausgeführt, dass eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen werden könne, weil den Missbrauchstaten jeweils eine nicht unerhebliche Planung der Ausführung vorausgegangen sei, der Angeklagte zielgerichtet nach Möglichkeiten der Ausführung gesucht und dabei zahlreiche Sicherungstendenzen gezeigt habe.
22
Soweit die Strafkammer aufgrund der dargelegten rechtfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem jeweils gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13). Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 223/16
vom
28. September 2016
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280916B2STR223.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. September 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 21. Dezember 2015
a) im Schuldspruch dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte der versuchten Freiheitsberaubung und des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Freiheitsberaubung sowie erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtli- chen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Der Schuldspruch war– wie schon die Kammer selbst in den Urteilsgründen bemerkt hat – insoweit zu berichtigen, als hinsichtlich der zweiten Tat vom 30. Juni 2015 lediglich eine versuchte räuberische Erpressung anzunehmen war.
3
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme , der Angeklagte habe im Zustand nicht erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt, hat das Landgericht nicht tragfähig begründet.
4
Die Strafkammer ist, sachverständig beraten, davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Charaktereigenschaften gegeben sei, die wegen des extremen Ausmaßes als schwere andere seelische Abartigkeit einzustufen sei. Trotz des Vorliegens des Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB sei die Einsichtsund auch die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht beeinträchtigt gewesen.
5
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
a) Ob eine Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens bei Vorliegen eines Eingangsmerkmals erheblich ist, ist eine nicht empirisch, sondern normativ zu beantwortende Frage, über die nach ständiger Rechtsprechung das Gericht und nicht der Sachverständige zu befinden hat (BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53; m.w.N. Fischer, StGB, 63. Aufl. § 21, Rn. 7). Vorliegend referiert die Strafkammer die Einschätzung des Sachverständigen , die „Steuerungsfähigkeit sei unter Zugrundelegung der von der Expertenkommission beim BGH entwickelten Richtlinien zur Tatzeit sowohl am 29. Juni 2015 wie auch am 30. Juni 2015 erhalten gewesen“. Eigene Erwägungen , die erkennen ließen, dass sich die Strafkammer mit der ihr obliegenden Prüfung einer erheblichen Steuerungsfähigkeit eigenverantwortlich befasst hat, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Dies lässt besorgen, dass eine eigenständige Prüfung durch das Landgericht nicht stattgefunden hat.
7
b) Ist das Vorliegen eines Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB, wie hier der schweren seelischen Abartigkeit, festgestellt, liegt regelmäßig zumindest die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nahe (vgl. zuletzt Senat, Urteil vom 25. März 2015 – 2 StR 409/14, NStZ 2015, 588). Die Feststellung einer nicht erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit bedarf danach einer besonderen Begründung (vgl. dazu Fischer, aaO, § 21, Rn. 8), die auch erkennen lassen muss, dass sich der Tatrichter bewusst war, eine vom Regelfall abweichende Entscheidung zu treffen. Daran fehlt es hier. Die vom Landgericht wiedergegebenen Ausführungen der Sachverständigen lassen besorgen, dass dies bei der Würdigung aus dem Blick geraten sein könnte (UA S. 19: „Zusammenfassend führt die Sachverständige aus, dass es bei den gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sprechenden Umständen nicht um eine Liste von Kriterien handele, bei der eine gewisse Anzahl von nicht erfüllten Kriterien im Sinne eines cut-off-Wertes zur Annahme verminderter Schuldfähigkeit führe. Vielmehr seien die erfüllten Kriterien Anhaltspunkte, die auf den Einzelfall zu diskutieren seien“).
8
c) Zudem stützt sich die Würdigung auf Erwägungen, die bezogen auf den zugrunde liegenden Sachverhalt keine oder wenig Aussagekraft besitzen. Soweit ausgeführt wird, die vorgeworfenen Taten seien Ausdruck der dissozialen und psychopatischen Persönlichkeit des Angeklagten, seiner Rücksichtslosigkeit , der Allmachtsphantasien und seines Empathiemangels gegenüber Eltern und Großmutter, der Angeklagte habe Geld gebraucht und habe sich die- ses – wie schon früher – bei Eltern und Großmutter beschaffen wollen, er- schließt sich nicht, warum “vor diesem Hintergrund“ (UAS. 20) nicht von einer erheblich verminderten oder aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden könne. Dass eine Tat Ausdruck der festgestellten Störung ist, besagt nichts über den Schweregrad der Störung und enthält – weder positiv noch negativ – einen Hinweis auf den Grad der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit. Auch die weiter angeführten Umstände, das Vorgehen des Angeklagten sei geplant und vorbereitet gewesen, es habe sich auch nicht um Impulstaten gehandelt , verhält sich nicht zu der Frage, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten mehr als nur unerheblich beeinträchtigt ist. Die Planung und Vorbereitung einer Tat, die jedenfalls im Hinblick auf das Vorgehen am 30. Juni 2015 wenig professionell erscheint und angesichts ihrer Durchführung in der Öffentlichkeit eine große Gefahr der Entdeckung birgt, lassen ohne nähere Erkenntnisse , wann der Angeklagte sich zur Tat entschlossen und welche Anstrengungen er zu ihrer Durchführung unternommen hat, keinen vernünftigen Rückschluss auf den Grad der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt zu. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht nur bei “Impulstaten“ in Betracht kommt.
9
d) Der Rechtsfehler lässt den Schuldspruch unberührt; der Senat kann ausschließen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten vollständig aufgehoben war. Er führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs ; es liegt bei Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit nahe, dass der Tatrichter bei rechtsfehlerfreier eigener Würdigung zur Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gelangt wäre. Die Sache bedarf insoweit , naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen , neuer Verhandlung und Entscheidung. Fischer RiBGH Dr. Appl ist Krehl an der Unterschrift gehindert. Fischer Eschelbach Bartel
7
2. Diese Feststellungen und Wertungen des Landgerichts sind nicht geeignet , die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB zu rechtfertigen. Diese setzt die positive Feststellung voraus, dass der Angeklagte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen hat. Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. Senatsurteil vom 2. April 1997 - 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383; BGH, Beschluss vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26).

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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a) Das Landgericht ist von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. August 2017 – 3 StR 249/17 mwN).

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.