Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 605/06
vom
9. Januar 2007
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des
Verurteilten kann für sich genommen die nachträgliche Anordnung
der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB regelmäßig
nicht begründen. Maßgebliches Kriterium ist, dass
sich die Erkrankung während der Strafhaft in einer für die
Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des
Verurteilten ausgedrückt hat.
BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06 - Landgericht
Passau
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 9. Oktober 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
3
1. Gegen den Verurteilten wurde vom Landgericht Passau am 9. Oktober 1997 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf einen Kraftfahrer und mit versuchtem schwerem Raub eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt (Anlassverurteilung). Der Verurteilte und dessen mitverurteilter Bruder hatten versucht, einen Taxifahrer während der Fahrt mit mitgeführten Tapezier- und Küchenmessern zu erstechen, um in den Besitz seiner Einnahmen zu gelangen und die Kosten für die Fahrt zu sparen. Dem Tatopfer gelang mit erheblichen Verletzungen die Flucht.
4
Der Verurteilte war wegen Delikten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität , darunter Körperverletzungen, bereits mehrfach vorgeahndet. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Ausgangsgerichts liegt bei ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung vor, die mit erheblicher Impulsivität und mit auto- und fremdaggressivem Verhalten einhergeht. Wegen dieser Persönlichkeitsstruktur und einer aktuellen Alkoholintoxikation ist das Ausgangsgericht von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Tatzeitpunkt ausgegangen. Von einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen, „weil der Angeklagte jede Therapie ablehnt, insbesondere auch eine Therapie nach der Strafe und er deswegen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht therapiefähig ist, eine Unterbringung von Vornherein also aussichtslos wäre.“
5
2. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Wie die nunmehr befasste Strafkammer feststellt, erkrankte er im Verlaufe des Strafvollzuges an einer paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Die Krankheit äußert sich in Denkstörungen und paranoiden Wahnvorstellungen. Der Verurteilte zeigt weder Krankheitseinsicht noch Behandlungsbereitschaft ; eine Medikation muss daher im Rahmen einer Betreuung zwangsweise durchgeführt werden. Darüber hinausgehende Feststellungen zu den Auswirkungen der Erkrankung, insbesondere zu den bei dem Verurteilten konkret aufgetretenen Krankheitssymptomen und deren Einfluss auf sein Vollzugsverhalten trifft das Landgericht nicht.
6
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB bejaht. Als neue Tatsache im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB hat es die psychiatrische Erkrankung des Verurteilten gewertet. Im Anschluss an die eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten führt es aus, dass der Verurteilte ohne die von ihm abgelehnte medikamentöse Behandlung einem wahnhaftem Beeinträchtigungsund Beeinflussungserleben unterliegen werde. Seine bereits persönlichkeitsbedingt angelegte Neigung zu Aggressivität und Impulsivität, auf die sich die Anlasstat gegründet habe, werde hierdurch deutlich erhöht. Das Landgericht sieht aus diesem Grunde auch einen prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung.
7
Als neue Tatsache wertet das Landgericht auch die Therapieunwilligkeit des Verurteilten, misst ihr allerdings keine eigene entscheidungserhebliche Bedeutung bei. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten, auf das der im vorbereitenden Antragsverfahren von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige noch seine Gefährlichkeitsprognose gestützt hatte (UA S. 12), hält es für insgesamt „nicht relevant“. Nach Auffassung des Landgerichts bedurften daher Umstände wie „beispielsweise das Auffinden der beiden selbstgefertigten Schneidewerkzeuge in der Zelle des Betroffenen“ oder die Frage, „ob der Betroffene tatsächlich einem Mitgefangenen gegenüber geäußert hatte, er werde /wolle mit den selbstgefertigten Schneidwerkzeugen Anstaltspersonal aufschlitzen“ (UA S. 19), keiner näheren Aufklärung und Feststellung.

II.


8
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar zu Recht bejaht. Auch ist der vom Landgericht herangezogene Umstand der psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten „neu“ im Sinne des § 66b StGB. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann gleichwohl keinen Bestand haben, weil der festgestellte Zustand des Verurteilten für sich genommen keine hinreichende Tatsachengrundlage bietet, um hieraus eine den Anforderungen von § 66b StGB genügende qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten abzuleiten.
9
1. Nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, dass es sich bei der im Verlaufe des Strafvollzugs hervorgetretenen Erkrankung des Verurteilten um eine „neue“, im Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung grundsätzlich berücksichtigungsfähige Tatsache handelt.
10
a) Neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind. Demgegenüber können Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und erforderlichenfalls näher aufklären müssen, im Verfahren nach § 66b StGB keine Berücksichtigung finden (BGHSt 50, 180, 187; 373, 378 f.). Im Falle psychischer Auffälligkeiten des Verurteilten kommt es nicht darauf an, wann diese Auffälligkeiten erstmals zur Diagnose einer psychischen Störung oder psychiatrischen Krank- heit geführt haben; maßgeblich ist vielmehr, ob die der psychologischen oder medizinischen Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits vorlagen und bekannt oder zumindest erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 275, 278 f.; 373, 379, 383; BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine erstmalige oder neue Bewertung derartiger Tatsachen stellt selbst keine neue Tatsache im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB dar (BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06).
11
Um den Fall einer solch nachträglichen Diagnose auf der Grundlage bereits früher bekannter oder erkennbarer Tatsachen handelt es sich hier nicht. Zwar sind bereits im Ausgangsverfahren bei dem Verurteilten Verhaltensweisen und Auffälligkeiten festgestellt worden, die der hinzugezogene Sachverständige als Persönlichkeitsstörung in der Ausprägung einer dissozialen Entwicklung mit emotionaler Instabilität bewertet hatte. Die Urteilsgründe belegen jedoch hinreichend , dass es sich bei diesen Symptomen um andere handelt als jene, auf die sich die jetzige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gründet. Soweit der nunmehr angehörte Sachverständige es für möglich hält, dass der aktuellen Erkrankung ein unspezifisches Vorstadium vorangegangen ist, das bereits vor der Anlassverurteilung aufgetreten sein könnte, war dies für den damaligen Tatrichter jedenfalls nicht erkennbar. Wie das Landgericht feststellt, hatte der im damaligen Verfahren gehörte Sachverständige keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer schizophrenen Erkrankung oder eines möglichen Vorstadiums wahrgenommen. Dass der Sachverständige einen entsprechenden Befund hätte gewinnen können, ist nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund bestand auch für den damaligen Tatrichter kein Anhaltspunkt für einen über die diagnostizierte Störung hinausgehenden psychischen Defekt und daher auch kein Anlass, Aufklärungsbemühungen in diese Richtung zu entfalten.

12
b) Keinen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht die fehlende Krankheitseinsicht und die Therapieunwilligkeit des Verurteilten als „neu“ bewertet. Der Verurteilte hatte zwar bereits vor der Ausgangsverurteilung keine Therapiebereitschaft gezeigt. Sofern sich seine jetzige Verweigerung nur als Fortsetzung dieses Verhaltens darstellt, wäre sie kein Umstand, auf den die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gestützt werden könnte (vgl. BGHSt 50, 121, 130; 275, 280 f.). So liegt es hier jedoch nicht. Das Landgericht hat nicht die bekannte Therapieverweigerung des Verurteilten im Hinblick auf dessen Persönlichkeitsstörung herangezogen, sondern allein die Uneinsichtigkeit , die sich auf das Vorliegen und die Behandlungsbedürftigkeit seiner neu hervorgetretenen Erkrankung bezieht. Nach den Feststellungen stellt sich diese Haltung als spezifischer Ausdruck der - sich auch im Übrigen in einer umfassenden Wirklichkeitsverkennung manifestierenden – paranoiden Schizophrenie dar. Das Landgericht durfte sie daher neben anderen Symptomen der Krankheit berücksichtigen und bei Bewertung der von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr auf seinen unbehandelten Zustand abstellen. Ob die fehlende Krankheitseinsicht trotz ihrer offensichtlichen Verknüpfung mit der psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten darüber hinaus – wie das Landgericht annimmt - Geltung als eigenständige neue Tatsache im Sinne des § 66b StGB beanspruchen kann, kann offen bleiben, da das Landgericht dieser Einordnung ausdrücklich keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat.
13
2. Allerdings ist hier die Feststellung der schizophrenen Erkrankung des Verurteilten für sich nicht hinreichend, um die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung zu tragen. Das Landgericht hätte über die Diagnose der Krankheit und die abstrakte Beschreibung der durch sie bewirkten Veränderun- gen in der Person des Verurteilten hinaus konkret feststellen müssen, auf welche Weise die Erkrankung sich auf das Verhalten des Verurteilten ausgewirkt hat. Es hätte belegen müssen, dass derartige Entäußerungen der Krankheit eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 66b StGB indizieren und in einen symptomatischen Zusammenhang mit der Anlasstat gebracht werden können.
14
a) Das Landgericht geht von dem zutreffenden rechtlichen Ansatz aus, dass auch innere Tatsachen wie Veränderungen in der Persönlichkeit und Psyche des Verurteilten neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB sein können (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06). Dies gilt auch für psychiatrische Befundtatsachen (BGHSt 50, 275, 279 f.; BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06; Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Wie alle sonstigen „nova“ müssen auch solche Umstände eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 276, 278; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Diesen Anforderungen hat das Landgericht Rechnung getragen, indem es die Erkrankung des Verurteilten im Anschluss an die Ausführungen der angehörten Sachverständigen dahingehend charakterisiert hat, dass sie die bereits durch die Persönlichkeitsstörung reduzierte Impulskontrolle des Verurteilten weiter verringern und damit zu einer Erhöhung der Gefahr impulshafter Aggressionshandlungen, die sich bereits in der Anlasstat realisiert hat, führen wird. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
15
b) Im Falle einer psychischen Erkrankung des Verurteilten ist allerdings darüber hinaus zu verlangen, dass sich die Krankheit während der Strafhaft nach außen manifestiert und in einer prognoserelevanten Weise ausgedrückt hat (BGH, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Nur so ist gewährleistet, dass sich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützt und damit ihren vom Gesetzgeber zugedachten (BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12f.) und von Verfassungs wegen gebotenen (vgl. BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484) Charakter einer auf seltene Ausnahmefälle beschränkten Maßnahme bewahrt.
16
aa) Die zeitlich unbefristete Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach voller Verbüßung der verhängten Schuldstrafe bildet eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten ist ihre Anordnung nur dann verhältnismäßig, wenn die Gefahrenprognose auf einer umfassenden Gesamtwürdigung beruht, die sich an die Feststellung der neuen erheblichen Tatsachen anschließt, und in die sämtliche weitere prognoserelevante Umstände einfließen (BGHSt 50, 121, 125; 275, 277 f.). Bereits die Gesetzesmaterialien betonen, dass monokausale Erklärungsmuster bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten fehl am Platze sind, die Qualität der Prognose vielmehr entscheidend von der Breite der Prognosegrundlage abhängt (BT Drucks. 15/2887 S.12 f.; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3485).
17
Hierzu stünde in Widerspruch, wenn psychologisch oder medizinisch begründeten inneren Tatsachen bereits eine ausreichende Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten zukäme. Eine solche Betrachtungsweise verengt den Blick, der im Rahmen des § 66b StGB auf alle den Verurteilten betreffenden kriminogenen Faktoren gerichtet sein muss, in unzulässiger Weise auf den Innenbereich des Verurteilten. So kann eine dort festgestellte psychiatrische Erkrankung zwar abstrakt geeignet sein, eine von dem Verurteilten ausgehende Gefahr zu begründen oder eine an sich bereits gegebene Gefährlichkeit zu erhöhen. In Ermangelung nach außen getretener Hinweise würde sich eine derartige Gefährlichkeitsprognose aber allein auf medizinische Erfahrungswerte und statistische Wahrscheinlichkeiten stützen. Dies wäre angesichts der Schwere des Eingriffes in die Freiheitsrechte des Verurteilten nicht ausreichend (BGHSt 50, 121, 130 f.; vgl. zu § 66 StGB BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06).
18
Erst konkrete Auswirkungen der Krankheit verbreitern daher die Entscheidungsgrundlage in der von § 66b StGB geforderten Weise und verleihen der Erkrankung ein die Gefährlichkeitsprognose tragendes Gewicht. Solche Auswirkungen werden regelmäßig im Vollzugsverhalten des Verurteilten zu suchen sein. Sie müssen nicht bereits für sich genommen geeignet sein, die Anordnung der Maßregel zu tragen; sie dürfen sich andererseits aber auch nicht in prognoseneutralen Symptomen der psychiatrischen Krankheit erschöpfen, sondern müssen einen Rückschluss auf die krankheitsbedingt erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten zulassen. So wird im Falle eines psychotisch erkrankten Verurteilten selbst Auffälligkeiten, die eine hochgradige Wirklichkeitsverkennung belegen (z.B. Wahnerleben durch Stimmenhören), keine prognostische Bedeutung beizumessen sein, solange sie ohne bedrohlichen Charakter bleiben. Anders verhält es sich, wenn etwa aus wahnhaften Äußerungen die Bereitschaft erkennbar wird, nach Entlassung aus dem Strafvollzug erhebliche Straftaten zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06), oder wenn die Krankheit sich bereits im Vollzug in einem aggressiven Verhalten ausgedrückt hat, das nicht allein auf die Besonderheiten der Vollzugssituation zurück- zuführen ist, sondern konkrete Rückschlüsse auf das Verhalten im Fall der Entlassung zulässt (vgl. hierzu BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 284, 297; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).
19
bb) Die Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als eine zum Strafrecht gehörende Maßnahme (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) verlangt, dass ihre Anordnung an eine Straftat anknüpft und ihre sachliche Rechtfertigung aus ihr beziehen kann (BVerfGE 109, 190; BGHSt 50, 275, 278 f.). Der Bundesgerichtshof hat dieses Erfordernis in inzwischen ständiger Rechtsprechung (BGH a.a.O.; NStZ 2006, 276) dahingehend konkretisiert, dass sich in den neuen Tatsachen die bei der Anlasstat hervorgetretene spezifische Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln muss, die „nova“ mithin in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen müssen. Auch aus diesem Grundsatz folgt für die Fallgruppe psychisch erkrankter Verurteilter , dass die Krankheit ihren Ausdruck in Auffälligkeiten gefunden haben muss, die sich als Fortsetzung oder Verstärkung der Gefahrenlage bei der Anlasstat darstellen. Dagegen kämen allenfalls präventive polizeirechtliche Maßnahmen in Betracht, wenn allein aufgrund der aufgetretenen Krankheit ein deliktisches Verhalten des Verurteilten zu erwarten wäre, ein konkreter Zusammenhang mit der zurückliegenden Straftat sich jedoch nicht herstellen ließe. Eine auf solcher Grundlage gleichwohl angeordnete Maßregel würde nur gelegentlich des laufenden Strafvollzuges verhängt, wäre aus der Anlasstat jedoch nicht mehr zu rechtfertigen.
20
cc) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Feststellungen allein den von den hinzugezogenen Sachverständigen ermittelten und bewerteten klinischen Zustand des Verurteilten in einem hohen Abstraktionsgrad beschrieben. Es kommt dann im Anschluss an die Sachverständigen zu der Einschätzung, dass es, „wie die Erfahrung lehrt“ (UA S. 17), ohne konsequente Behandlung erneut zu einem psychotischen Krankheitserleben bei dem Verurteilten kommen werde, und leitet hieraus ein dem Verurteilten innewohnendes erhebliches Gefährdungspotential ab. Aufgrund welcher konkreten Befundtatsachen die Sachverständigen zu ihrer Einschätzung gelangt sind, teilt das Landgericht nicht mit. Auch das Krankheitsbild schildert es pauschal („wahnhaftes Denken“; „Situationsverkennung“ ), ohne konkrete Ausprägungen der Symptomatik zu benennen und im Zusammenhang mit der Anlassverurteilung zu bewerten. Der Vollzugsverlauf bleibt - auch im Rahmen der abschließenden Gesamtwürdigung - insgesamt ausgeblendet, obwohl sich Anhaltspunkte für Verhaltensweisen des Verurteilten bieten, die in augenfälliger Übereinstimmung mit der Situation vor Begehung der Anlasstat stehen.
21
3. Der Senat hält - wie bereits für § 66b Abs. 1 StGB ausgesprochen (BGHSt 50, 121, 132) - auch im vorliegenden Fall, in welchem die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sich auf § 66b Abs. 2 StGB stützt, Feststellungen zum Vorliegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB für erforderlich (so auch BGHSt 50, 373, 381; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 20; a.A. BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66b Rdn. 8). Zwar nimmt § 66b Abs. 2 StGB im Unterschied zu § 66b Abs. 1 StGB nicht auf die Voraussetzungen des § 66 StGB Bezug, zu denen auch das Hangerfordernis gem. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zählt. Die Gesetzesbegründung legt allerdings nahe, dass die unterschiedliche Anknüpfung sich in erster Linie auf die formellen Eingangsvoraussetzungen der Maßregel beziehen soll (BTDrucks. 15/2887 S. 13). Demgegenüber setzt der Wortlaut von § 67d Abs. 3 StGB, § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO für alle Fallgestaltungen der Sicherungsverwahrung unterschiedslos das Vorliegen eines Hanges voraus. Ein Auseinanderfallen der Anordnungsvoraussetzungen bei § 66b Abs. 1 StGB und § 66b Abs. 2 StGB wäre auch im Hinblick auf die identische Eingriffstiefe und die angesprochene Tätergruppe wenig plausibel (vgl. näher BGHSt 50, 373, 381).
22
Die hangbedingte Gefährlichkeit des Verurteilten erweist sich zudem als notwendiges Merkmal, um die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von jener in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB abzugrenzen und einer Umgehung der Grenzen des § 63 StGB durch Anwendung von § 66b StGB - gleich welcher Variante - in den Fällen psychiatrischer Erkrankungen als „nova“ vorzubeugen.
23
Anknüpfungspunkt für eine Unterbringung nach § 63 StGB bildet eine andauernde psychische Störung des Betroffenen („Zustand“), die ihren Ausdruck in der Anlasstat gefunden hat. Demgegenüber dient die - auch nachträgliche - Sicherungsverwahrung in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor hochgefährlichen nicht-kranken Rechtsbrechern, deren Lebens- und Kriminalgeschichte die Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten erwarten lässt („bad or mad“, vgl. Kröber, Behavioral Sciences and the Law 18, 679 [2000]; zum Verhältnis der Maßregeln vgl. auch Stree in: Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn. 76). Dieser Unterscheidung entspricht die in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB enthaltene Voraussetzung eines „Hanges“ als einer anlagebedingten oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung zu Rechtsbrüchen (BGH NStZ 2005, 265; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 18), der mit dem von § 63 StGB vorausgesetzten krankhaften oder krankheitsgleichen Zustand nicht gleichgesetzt werden kann.
24
Führt das Auftreten einer psychiatrischen Erkrankung zur Einleitung eines auf die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung gerichteten Verfahrens, so darf ihre Einordnung als neue Tatsache daher nicht den Blick darauf verstellen, dass die Erkrankung in erster Linie einen Zustand begründet, der - unter den weiteren Voraussetzungen des § 63 StGB - nur eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen könnte. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB kann hierauf allein nicht gestützt werden. Denn anderenfalls würden die Voraussetzungen des § 63 StGB faktisch umgangen, indem psychisch Erkrankte zunächst in Sicherungsverwahrung genommen und sodann in den Vollzug der Maßregel des § 63 StGB überwiesen werden könnten (§ 67a Abs. 2 StGB), ohne dass ihre Krankheit für die Anlasstat oder eine sonstige erhebliche Straftat ursächlich gewesen ist. Eine derartige „nachträgliche“ Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist dem Gesetz jedoch fremd (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06; Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05). Sie scheidet auch dann aus, wenn die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB - wie vorliegend - im Ausgangsverfahren mit einer nicht tragfähigen Begründung abgelehnt wurde; auch insoweit gilt, dass das Verfahren nach § 66b StGB nicht der Korrektur früherer Entscheidungen dient, in denen eine Prüfung geeigneter Maßregeln rechtsfehlerhaft vorgenommen wurde oder gänzlich unterblieben ist.
25
Der Senat ist an der vorgenommenen Auslegung von § 66b Abs. 2 StGB nicht durch die Entscheidung einer Kammer des Bundesverfassungsgerichtes gehindert, wonach eine gesetzgeberische Entscheidung, auf die Feststellung eines Hanges zu verzichten, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist (BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; hierzu kritisch Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 20a). Die Auslegung der neugestalteten Vorschrift des § 66b StGB, die hier zum Erfordernis eines Hanges geführt hat, obliegt den Fachgerichten. Zudem berührt die Bewertung, dass die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung ohne Feststellung einer hangbedingten Gefährlichkeit nicht in verfassungswidriger Weise in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten eingreift, nicht die vorgenommene Auslegung, die dem Grundrecht des Verurteilten in noch weitgehender Weise Rechnung trägt. Im Übrigen führt die Kammer des Bundesverfassungsgerichts selbst aus, dass die Feststellung eines Hanges auch im Rahmen des § 66b Abs. 2 StGB im Einzelfall geboten sein kann (BVerfG a.a.O.).

III.


26
1. Die Sache war demzufolge zu neuer Prüfung an das Landgericht zurückzuverweisen. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer wird insbesondere aufzuklären haben, in welchem äußerlichen Verhalten die Erkrankung des Verurteilten ihren Niederschlag gefunden hat. Hierbei wird es sich aufdrängen , zunächst dem im angefochtenen Urteil angesprochenen Vollzugsverhalten (UA S. 19) nachzugehen, das sich auf von dem Verurteilten selbstgefertigte Schneidewerkzeuge und deren beabsichtigte Verwendung bezieht. Das Landgericht wird sich zudem damit auseinanderzusetzen haben, ob die bisherige Kriminalitätsentwicklung, die Anlasstat und die Entwicklung im Strafvollzug geeignet sind, ein kriminelles Verhaltensmuster des Verurteilten im Sinne eines Hanges offen zu legen. Dabei können auch seine Persönlichkeit und die psy- chiatrische Erkrankung eine Rolle spielen, ohne dass dem gegenwärtigen krankheitsbedingten Zustand allerdings ein Übergewicht für die Beurteilung zukommen darf.
27
2. Der Senat bemerkt, dass es sich in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die besondere Gefährlichkeit des Verurteilten sich in einer psychiatrischen Erkrankung gründet, empfehlen wird, parallel zu dem auf die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gerichteten strafrechtlichen Verfahren ein polizeirechtliches Verfahren nach dem landesrechtlichen Unterbringungsgesetz einzuleiten. Sollte sich im Verfahren nach § 66b StGB erweisen, dass von dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, eine Anordnung der Maßregel - etwa mangels tragfähiger neuer Tatsachen oder mangels eines Hanges - aber gleichwohl nicht in Betracht kommt, könnte der erkannten Gefahrenlage durch Ausschöpfung der auf polizeirechtlicher Grundlage zulässigen Maßnahmen (vgl. §§ 9 f. BayUntbrG) begegnet werden. Da solche Maßnahmen , sollen sie einen effektiven Schutz der Allgemeinheit vor den vom Verurteilten ausgehenden Gefahren bewirken, bereits bei Entlassung des Verurteilten eingreifen müssten, erscheint es unzweckmäßig, wenn die Verwaltungsbehörde - wie dem landgerichtlichen Urteil zu entnehmen ist - ein Verfahren unter Hinweis auf den Vorrang der Unterbringung nach § 66b StGB (vgl. § 1 Abs. 2 BayUntbrG) zunächst nicht betreibt. Es wird sich vielmehr als notwendig erweisen , dass die Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen bereits im Antragsverfahren die Verwaltungsbehörde von der Einleitung des Verfahrens unterrichtet (§§ 481 f. StPO), damit diese Gelegenheit erhält, die Voraussetzungen einer Unterbringung in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Sollte auch eine Unterbringung auf landesrechtlicher Grundlage nicht in Betracht kommen, verweist der Senat auf die Möglichkeit, mithilfe geeigneter organisatorischer Maßnahmen, insbesondere solcher der Führungsaufsicht gem. §§ 68 ff. StGB, das Rückfallrisiko des in Freiheit entlassenen Verurteilten zu mindern (vgl. näher BGHSt 50, 373, 384 f.; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2006 - 1 StR 306/06

bei uns veröffentlicht am 29.08.2006

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Jan. 2010 - 1 StR 372/09

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2019 - 3 StR 235/19

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bei uns veröffentlicht am 11.03.2010

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Referenzen

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 27/06
vom
24. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2006 beschlossen:
Die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. September 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Betroffenen mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Der Betroffene war vom Landgericht Augsburg - Jugendkammer - am 6. November 1991 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sexueller Nötigung, sexuellem Missbrauch von Kindern, sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung, ferner wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Als höchste Einzelstrafe verhängte die Kammer für das tateinheitlich verwirklichte Verbrechen gem. § 177 StGB aF eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Hauptsächlicher Gegenstand des Urteils waren etwa 1.500 bis 2.000 massive sexuelle Übergriffe des Betroffenen auf seine Frau und seine am 28. Oktober 1974 geborene Tochter im Zeitraum zwischen Juni 1981 und November 1991. Der Betroffene hatte mit seiner Tochter gegen deren Willen bis zu fünf Mal täglich den Vaginal-, Oral- und Analverkehr ausgeübt und sie und ihre Mutter sowohl zu lesbischen Sexualpraktiken als auch zur Duldung sodomitischer Handlungen, die er von den Hunden der Familie an ihnen ausüben ließ, gezwungen. Daneben kam es zu Gewalttätigkeiten, indem der Betroffene seine Ehefrau und Tochter grundlos schlug, an ihrem Körper Zigaretten ausdrückte oder seine Tochter bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit würgte.
3
Die Jugendkammer hatte von der Unterbringung des - in der damaligen Hauptverhandlung geständigen - Betroffenen in der Sicherungsverwahrung Abstand genommen. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB sei zu berücksichtigen, dass keine Erfahrungen mit dem Betroffenen vorlägen, aus denen daraus geschlossen werden könne, dass er durch Haft nicht zu beeindrucken sei. Zudem sei zu erwarten, dass sich während der langjährigen Verbüßung der Haftstrafe neue Lebensbedingungen für die Tatopfer herausbilden würden und der Betroffene innere Distanz zu seiner Familie finden würde; gerade vor dem Hintergrund, dass der Betroffene im Wesentlichen im Familienbereich straffällig geworden sei, spreche dies gegen seine Gemeingefährlichkeit.
4
2. Nach den Feststellungen der nunmehr befassten Jugendkammer hat sich diese Prognose nicht bestätigt. Der Betroffene lebte in der Justizvollzugsanstalt zurückgezogen und einzelgängerisch. Er hatte zu niemandem Kontakt, weder zu Mitgefangenen noch zum Sozial-, psychologischen oder kirchlichen Dienst der Anstalt. Eine ihm angebotene Sexualtherapie lehnte er ab, weil sie bei ihm nicht nötig sei. Seit Beginn des Strafvollzuges leugnete er seine Straftaten und versuchte, zu seiner - von ihm mittlerweile geschiedenen - Ehefrau und seiner Tochter Briefkontakt herzustellen. Er war der Auffassung, dass seine Ehefrau und Tochter ihn lieben und vermissen, und er nach seiner Haftentlassung zu ihnen zurückkehren könne. Während des Strafvollzuges erkrankte der Betroffene an einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie. Aufgrund dieser psychiatrischen Erkrankung war er nicht für eine sozialtherapeutische Behandlung geeignet und wurde deshalb nicht in diese Abteilung verlegt. Es bestehen keine Sozialkontakte mehr, der Betroffene hat weder Wohnung noch Arbeitsstelle in Aussicht. Seine geschiedene Ehefrau und seine Tochter meiden den Kontakt mit dem Betroffenen, weil sie noch immer große Angst vor ihm haben und mit ihm nichts mehr zu tun haben möchten.
5
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung bejaht (§ 66b Abs. 2 StGB). Als neue Tatsache im Sinne der Vorschrift hat es die im Jahr 1995 während der Verbüßung der Haft bei dem Betroffenen aufgetretene Psychose gewertet. Gestützt auf die Gutachten der angehörten Sachverständigen hat es insoweit festgestellt, dass sich bei dem Betroffenen ein systematischer Wahn mit hoher Aggressivität bei fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation entwickelt habe. Im Hinblick auf seine Familie und die zu ihren Lasten begangenen Straftaten bestehe ein vollständiger Wahrnehmungsverlust. Der Betroffene halte sich für unschuldig und sehe sich als Opfer eines Justizkomplottes. Er sei krankheitsbedingt der Überzeugung , dass auch seine Frau und Tochter an seine Unschuld glauben und allein die Justiz für den Abbruch des Kontaktes zu ihnen verantwortlich sei. Bei der von ihm beabsichtigten Rückkehr zu seiner Familie werde es ihm darum gehen, die aus seiner Sicht seit 15 Jahren gegen ihn gerichtete Verschwörung zu beseitigen und seine Familie dem vermeintlichen Einfluss und Druck staatlicher Stellen zu entziehen.
6
In seiner Gesamtwürdigung kommt das Landgericht sachverständig beraten zu der Einschätzung, dass der Betroffene ein hohes Gewaltpotential aufweise , das mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Durchbruch kommen werde, wenn der Betroffene in Freiheit feststelle, dass die durch sein Wahnsystem aufgebauten Erwartungen sich nicht erfüllen; es werde dann zu Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Ehefrau, seiner Tochter und eines jeden Dritten kommen, der seinen wahnhaften Vorstellungen entgegentrete.
7
4. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Das Landgericht hat die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zu Recht bejaht. Der Betroffene ist durch das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 6. November 1991 wegen Vergewaltigung, d.h. wegen eines mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren sanktionierten Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden.
9
b) Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt weiterhin voraus, dass nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NStZ 2006, 155 f.). Demgegenüber scheiden Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen und erforderlichenfalls aufklären müssen, als "neue" Tatsachen aus. Das Verfahren nach § 66b StGB dient nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen derartige Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind.
10
Nach diesen Kriterien ist das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen "neuer" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB ausgegangen.
11
aa) Im Einzelfall können auch psychiatrische Befundtatsachen "neue" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB darstellen (BGH NStZ 2006, 155; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Voraussetzung hierfür ist allerdings , dass die zugrunde liegenden (Anknüpfungs-)Tatsachen nicht bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung vorlagen und für den früheren Tatrichter erkennbar gewesen sind. Nicht ausreichend für eine Anwendung von § 66b StGB wäre auch eine bloße Umbewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen; eine bloße Änderung der psychiatrischen Diagnose kann nicht als "neue" Tatsache gelten, wenn sie nicht auf einer neuen tatsächlichen Grundlage (Anknüpfungstatsachen) beruht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05).
12
bb) Zwar hatten bereits die vom früheren Tatrichter angehörten Sachverständigen bei dem Betroffenen psychische Auffälligkeiten diagnostiziert, die sie als Persönlichkeitsstörung mit Gamma-Alkoholismus und Sexualdeviation eingestuft hatten. Die Feststellungen des Landgerichtes zur Entwicklung des Betroffenen im Strafvollzug belegen jedoch hinreichend, dass die nunmehrige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie sich auf Anknüpfungstatsachen - halluzinatorische Wahrnehmungen des Betroffenen, wahnhafte Äußerungen, Verwirrtheitszustände - gründet, die im Zeitpunkt der Anlassverurteilung noch nicht aufgetreten waren. Zu dieser Symptomatik zählt auch, dass der Betroffene seine Taten nunmehr leugnet und in sein wahnhaftes Gedankengebäude einer Justizverschwörung einbezogen hat. Es ist daher nicht zu besorgen, dass die Diagnose der vom Landgericht gehörten Sachverständigen lediglich eine Umbewertung von bereits bei der Anlassverurteilung erkennbaren Tatsachen darstellt. Hieran ändert nichts, dass der Sachverständige nunmehr zu der Einschätzung gelangt, dass in den Jahren vor der Inhaftierung möglicherweise bereits ein Prodromal-Stadium der in der Haft aufgetretenen paranoiden Schizophrenie vorgelegen hat. Auch diese Bewertung des Sachverständigen ist ersichtlich getragen von der im Vergleich zum Verurteilungszeitpunkt geänderten tatsächlichen Beurteilungsgrundlage; dadurch ist nicht in Frage gestellt, dass die Krankheit erst im Zeitraum des Strafvollzuges zum Ausbruch gelangt ist.
13
c) Als weitere Voraussetzung für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 155, 156; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05). In Anbetracht der Schwere des den Betroffenen treffenden Eingriffs, der nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv, auf wenige Einzelfälle beschränkt gehandhabt werden soll (BTDrucks. 15/2887, Seite 10, 12 f.; BVerfGE 109, 190, 236, 242), müssen "neue Tatsachen" schon für sich Gewicht haben und auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535). Im Falle einer psychischen Erkrankung des Betroffenen ist zu verlangen, dass diese sich während der Strafhaft nach außen manifestiert hat (Senat, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05).
14
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bestehen hieran keine Zweifel. Der Ausbruch der Psychose stellt hier deshalb eine "neue" Tat- sache dar, weil sich das vom Betroffenen aufgrund seiner vom Landgericht festgestellten negativen Entwicklung im Strafvollzug ausgehende Risiko noch erhöht hat. Der Betroffene lebt aufgrund eines paranoiden Wahnsystems selbst unter Medikation in seiner eigenen Welt. Aufgrund der Psychose hängt er verstärkt seiner Verschwörungstheorie an und glaubt, seine geschiedene Frau und Tochter ständen unter staatlichem Einfluss und Druck; in Wahrheit liebten sie ihn noch und warteten nach seiner Entlassung darauf, dass er zu ihnen zurückkehre. Bei dem krankheitsuneinsichtigen Betroffenen würde es im Falle seiner Entlassung zu einem Absetzen der Medikamente und damit zu einem Rezidiv des paranoiden Syndroms kommen. Er würde wieder Kontakt mit beiden aufnehmen , bei einer Konfrontation mit den früheren Erlebnissen affektiv entgleisen und fremdaggressiv reagieren. Zu erwarten ist insbesondere, dass der Betroffene seine wahnhaften Vorstellungen mit gewalttätigen Mitteln durchsetzen wird und hiervon nicht nur seine Familie, sondern auch Dritte, insbesondere staatliche Organe betroffen sein werden, die der Betroffene für seine Inhaftierung verantwortlich macht. Die Krankheit des Betroffenen ist auch durch sein Verhalten, insbesondere seine Äußerungen im Vollzug, den Inhalt von an seine Tatopfer gerichteten Briefen und den Verlauf eines Besuches seiner Tochter in der Justizvollzugsanstalt hinreichend nach außen getreten.
15
d) Das Landgericht hat diese Gesichtspunkte auch in eine umfangreiche Gesamtwürdigung einbezogen und ist unter Berücksichtigung der Person des Betroffenen, insbesondere seiner bereits ungeachtet der psychischen Erkrankung bestehenden Persönlichkeitsstörung, der Anlasstaten sowie ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betroffene in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB begehen wird. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
16
5. Der Senat weist darauf hin, dass es sich angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen für die nach Vollzugsbeginn zuständige Strafvollstreckungskammer empfehlen wird, die nachträgliche Überweisung in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 67a Abs. 2 StGB zu prüfen (zur fehlenden gesetzlichen Grundlage einer zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung "uno actu" vorgenommenen Überweisung vgl. Senat, Urteil vom 23. März 2006, - 1 StR 476/05).

II.


17
Das Landgericht hat die Tochter des Betroffenen, die bereits im Erkenntnisverfahren als Nebenklägerin zugelassen war, erneut als Nebenklägerin zugelassen und die ihr entstandenen notwendigen Auslagen gem. § 472 Abs. 1 StPO dem Betroffenen auferlegt. Vor der für das Revisionsverfahren veranlassten Kostenentscheidung hatte der Senat von Amts wegen die Berechtigung zum Anschluss der Nebenklage zu überprüfen (vgl. BGHSt 47, 202; Franke in KK 5. Aufl. § 473 Rdn. 9). Dies führt zu dem Ergebnis, dass dem Betroffenen die durch sein erfolgloses Rechtsmittel der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen nicht aufzuerlegen sind, da die Nebenklage im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zulässig ist (so bereits OLG Brandenburg NStZ 2006, 183).
18
Nach der gesetzlichen Regelung des § 395 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Nebenklage bei erhobener öffentlicher Klage oder einem Antrag im Sicherungsverfahren statthaft. Die ausdrückliche Zulassung der Nebenklage im Sicherungsverfahren geht dabei auf das im Anschluss an die Senatsentscheidung vom 18. Dezember 2001 (BGHSt 47, 202), in welcher in Abkehr von der bishe- rigen Rechtsprechung die Nebenklagefähigkeit des Sicherungsverfahrens anerkannt wurde, ergangene Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 (BGBl. I Seite 1354) zurück; sie bezieht sich demnach allein auf das in §§ 413 ff. StPO geregelte Verfahren zur selbständigen Anordnung von Maßnahmen der Besserung und Sicherung. Die für das Verfahren der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I Seite 1838) eingeführten Vorschriften der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f GVG enthalten demgegenüber keinen Verweis auf die Vorschriften über die Zulassung der Nebenklage. Gegen eine planwidrige, im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke spricht bereits die kurze Abfolge der Gesetzgebungsverfahren (vgl. OLG Brandenburg aaO); zudem ergeben sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzes über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BTDrucks. 15/2887) keine Hinweise, dass den Opfern der im Ausgangsverfahren abgeurteilten Straftaten gesonderte Beteiligungsbefugnisse eingeräumt werden sollten. Das Tatopfer hatte im Übrigen bereits im Ausgangsverfahren Gelegenheit, durch Erhebung der Nebenklage wegen der zu seinem Nachteil begangenen Taten seine persönlichen Interessen wahrzunehmen , wie dies auch hier der Fall war. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 27/06
vom
24. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2006 beschlossen:
Die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. September 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Betroffenen mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Der Betroffene war vom Landgericht Augsburg - Jugendkammer - am 6. November 1991 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sexueller Nötigung, sexuellem Missbrauch von Kindern, sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung, ferner wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Als höchste Einzelstrafe verhängte die Kammer für das tateinheitlich verwirklichte Verbrechen gem. § 177 StGB aF eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Hauptsächlicher Gegenstand des Urteils waren etwa 1.500 bis 2.000 massive sexuelle Übergriffe des Betroffenen auf seine Frau und seine am 28. Oktober 1974 geborene Tochter im Zeitraum zwischen Juni 1981 und November 1991. Der Betroffene hatte mit seiner Tochter gegen deren Willen bis zu fünf Mal täglich den Vaginal-, Oral- und Analverkehr ausgeübt und sie und ihre Mutter sowohl zu lesbischen Sexualpraktiken als auch zur Duldung sodomitischer Handlungen, die er von den Hunden der Familie an ihnen ausüben ließ, gezwungen. Daneben kam es zu Gewalttätigkeiten, indem der Betroffene seine Ehefrau und Tochter grundlos schlug, an ihrem Körper Zigaretten ausdrückte oder seine Tochter bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit würgte.
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Die Jugendkammer hatte von der Unterbringung des - in der damaligen Hauptverhandlung geständigen - Betroffenen in der Sicherungsverwahrung Abstand genommen. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB sei zu berücksichtigen, dass keine Erfahrungen mit dem Betroffenen vorlägen, aus denen daraus geschlossen werden könne, dass er durch Haft nicht zu beeindrucken sei. Zudem sei zu erwarten, dass sich während der langjährigen Verbüßung der Haftstrafe neue Lebensbedingungen für die Tatopfer herausbilden würden und der Betroffene innere Distanz zu seiner Familie finden würde; gerade vor dem Hintergrund, dass der Betroffene im Wesentlichen im Familienbereich straffällig geworden sei, spreche dies gegen seine Gemeingefährlichkeit.
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2. Nach den Feststellungen der nunmehr befassten Jugendkammer hat sich diese Prognose nicht bestätigt. Der Betroffene lebte in der Justizvollzugsanstalt zurückgezogen und einzelgängerisch. Er hatte zu niemandem Kontakt, weder zu Mitgefangenen noch zum Sozial-, psychologischen oder kirchlichen Dienst der Anstalt. Eine ihm angebotene Sexualtherapie lehnte er ab, weil sie bei ihm nicht nötig sei. Seit Beginn des Strafvollzuges leugnete er seine Straftaten und versuchte, zu seiner - von ihm mittlerweile geschiedenen - Ehefrau und seiner Tochter Briefkontakt herzustellen. Er war der Auffassung, dass seine Ehefrau und Tochter ihn lieben und vermissen, und er nach seiner Haftentlassung zu ihnen zurückkehren könne. Während des Strafvollzuges erkrankte der Betroffene an einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie. Aufgrund dieser psychiatrischen Erkrankung war er nicht für eine sozialtherapeutische Behandlung geeignet und wurde deshalb nicht in diese Abteilung verlegt. Es bestehen keine Sozialkontakte mehr, der Betroffene hat weder Wohnung noch Arbeitsstelle in Aussicht. Seine geschiedene Ehefrau und seine Tochter meiden den Kontakt mit dem Betroffenen, weil sie noch immer große Angst vor ihm haben und mit ihm nichts mehr zu tun haben möchten.
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3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung bejaht (§ 66b Abs. 2 StGB). Als neue Tatsache im Sinne der Vorschrift hat es die im Jahr 1995 während der Verbüßung der Haft bei dem Betroffenen aufgetretene Psychose gewertet. Gestützt auf die Gutachten der angehörten Sachverständigen hat es insoweit festgestellt, dass sich bei dem Betroffenen ein systematischer Wahn mit hoher Aggressivität bei fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation entwickelt habe. Im Hinblick auf seine Familie und die zu ihren Lasten begangenen Straftaten bestehe ein vollständiger Wahrnehmungsverlust. Der Betroffene halte sich für unschuldig und sehe sich als Opfer eines Justizkomplottes. Er sei krankheitsbedingt der Überzeugung , dass auch seine Frau und Tochter an seine Unschuld glauben und allein die Justiz für den Abbruch des Kontaktes zu ihnen verantwortlich sei. Bei der von ihm beabsichtigten Rückkehr zu seiner Familie werde es ihm darum gehen, die aus seiner Sicht seit 15 Jahren gegen ihn gerichtete Verschwörung zu beseitigen und seine Familie dem vermeintlichen Einfluss und Druck staatlicher Stellen zu entziehen.
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In seiner Gesamtwürdigung kommt das Landgericht sachverständig beraten zu der Einschätzung, dass der Betroffene ein hohes Gewaltpotential aufweise , das mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Durchbruch kommen werde, wenn der Betroffene in Freiheit feststelle, dass die durch sein Wahnsystem aufgebauten Erwartungen sich nicht erfüllen; es werde dann zu Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Ehefrau, seiner Tochter und eines jeden Dritten kommen, der seinen wahnhaften Vorstellungen entgegentrete.
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4. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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a) Das Landgericht hat die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zu Recht bejaht. Der Betroffene ist durch das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 6. November 1991 wegen Vergewaltigung, d.h. wegen eines mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren sanktionierten Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden.
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b) Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt weiterhin voraus, dass nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NStZ 2006, 155 f.). Demgegenüber scheiden Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen und erforderlichenfalls aufklären müssen, als "neue" Tatsachen aus. Das Verfahren nach § 66b StGB dient nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen derartige Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind.
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Nach diesen Kriterien ist das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen "neuer" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB ausgegangen.
11
aa) Im Einzelfall können auch psychiatrische Befundtatsachen "neue" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB darstellen (BGH NStZ 2006, 155; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Voraussetzung hierfür ist allerdings , dass die zugrunde liegenden (Anknüpfungs-)Tatsachen nicht bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung vorlagen und für den früheren Tatrichter erkennbar gewesen sind. Nicht ausreichend für eine Anwendung von § 66b StGB wäre auch eine bloße Umbewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen; eine bloße Änderung der psychiatrischen Diagnose kann nicht als "neue" Tatsache gelten, wenn sie nicht auf einer neuen tatsächlichen Grundlage (Anknüpfungstatsachen) beruht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05).
12
bb) Zwar hatten bereits die vom früheren Tatrichter angehörten Sachverständigen bei dem Betroffenen psychische Auffälligkeiten diagnostiziert, die sie als Persönlichkeitsstörung mit Gamma-Alkoholismus und Sexualdeviation eingestuft hatten. Die Feststellungen des Landgerichtes zur Entwicklung des Betroffenen im Strafvollzug belegen jedoch hinreichend, dass die nunmehrige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie sich auf Anknüpfungstatsachen - halluzinatorische Wahrnehmungen des Betroffenen, wahnhafte Äußerungen, Verwirrtheitszustände - gründet, die im Zeitpunkt der Anlassverurteilung noch nicht aufgetreten waren. Zu dieser Symptomatik zählt auch, dass der Betroffene seine Taten nunmehr leugnet und in sein wahnhaftes Gedankengebäude einer Justizverschwörung einbezogen hat. Es ist daher nicht zu besorgen, dass die Diagnose der vom Landgericht gehörten Sachverständigen lediglich eine Umbewertung von bereits bei der Anlassverurteilung erkennbaren Tatsachen darstellt. Hieran ändert nichts, dass der Sachverständige nunmehr zu der Einschätzung gelangt, dass in den Jahren vor der Inhaftierung möglicherweise bereits ein Prodromal-Stadium der in der Haft aufgetretenen paranoiden Schizophrenie vorgelegen hat. Auch diese Bewertung des Sachverständigen ist ersichtlich getragen von der im Vergleich zum Verurteilungszeitpunkt geänderten tatsächlichen Beurteilungsgrundlage; dadurch ist nicht in Frage gestellt, dass die Krankheit erst im Zeitraum des Strafvollzuges zum Ausbruch gelangt ist.
13
c) Als weitere Voraussetzung für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 155, 156; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05). In Anbetracht der Schwere des den Betroffenen treffenden Eingriffs, der nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv, auf wenige Einzelfälle beschränkt gehandhabt werden soll (BTDrucks. 15/2887, Seite 10, 12 f.; BVerfGE 109, 190, 236, 242), müssen "neue Tatsachen" schon für sich Gewicht haben und auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535). Im Falle einer psychischen Erkrankung des Betroffenen ist zu verlangen, dass diese sich während der Strafhaft nach außen manifestiert hat (Senat, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05).
14
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bestehen hieran keine Zweifel. Der Ausbruch der Psychose stellt hier deshalb eine "neue" Tat- sache dar, weil sich das vom Betroffenen aufgrund seiner vom Landgericht festgestellten negativen Entwicklung im Strafvollzug ausgehende Risiko noch erhöht hat. Der Betroffene lebt aufgrund eines paranoiden Wahnsystems selbst unter Medikation in seiner eigenen Welt. Aufgrund der Psychose hängt er verstärkt seiner Verschwörungstheorie an und glaubt, seine geschiedene Frau und Tochter ständen unter staatlichem Einfluss und Druck; in Wahrheit liebten sie ihn noch und warteten nach seiner Entlassung darauf, dass er zu ihnen zurückkehre. Bei dem krankheitsuneinsichtigen Betroffenen würde es im Falle seiner Entlassung zu einem Absetzen der Medikamente und damit zu einem Rezidiv des paranoiden Syndroms kommen. Er würde wieder Kontakt mit beiden aufnehmen , bei einer Konfrontation mit den früheren Erlebnissen affektiv entgleisen und fremdaggressiv reagieren. Zu erwarten ist insbesondere, dass der Betroffene seine wahnhaften Vorstellungen mit gewalttätigen Mitteln durchsetzen wird und hiervon nicht nur seine Familie, sondern auch Dritte, insbesondere staatliche Organe betroffen sein werden, die der Betroffene für seine Inhaftierung verantwortlich macht. Die Krankheit des Betroffenen ist auch durch sein Verhalten, insbesondere seine Äußerungen im Vollzug, den Inhalt von an seine Tatopfer gerichteten Briefen und den Verlauf eines Besuches seiner Tochter in der Justizvollzugsanstalt hinreichend nach außen getreten.
15
d) Das Landgericht hat diese Gesichtspunkte auch in eine umfangreiche Gesamtwürdigung einbezogen und ist unter Berücksichtigung der Person des Betroffenen, insbesondere seiner bereits ungeachtet der psychischen Erkrankung bestehenden Persönlichkeitsstörung, der Anlasstaten sowie ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betroffene in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB begehen wird. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
16
5. Der Senat weist darauf hin, dass es sich angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen für die nach Vollzugsbeginn zuständige Strafvollstreckungskammer empfehlen wird, die nachträgliche Überweisung in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 67a Abs. 2 StGB zu prüfen (zur fehlenden gesetzlichen Grundlage einer zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung "uno actu" vorgenommenen Überweisung vgl. Senat, Urteil vom 23. März 2006, - 1 StR 476/05).

II.


17
Das Landgericht hat die Tochter des Betroffenen, die bereits im Erkenntnisverfahren als Nebenklägerin zugelassen war, erneut als Nebenklägerin zugelassen und die ihr entstandenen notwendigen Auslagen gem. § 472 Abs. 1 StPO dem Betroffenen auferlegt. Vor der für das Revisionsverfahren veranlassten Kostenentscheidung hatte der Senat von Amts wegen die Berechtigung zum Anschluss der Nebenklage zu überprüfen (vgl. BGHSt 47, 202; Franke in KK 5. Aufl. § 473 Rdn. 9). Dies führt zu dem Ergebnis, dass dem Betroffenen die durch sein erfolgloses Rechtsmittel der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen nicht aufzuerlegen sind, da die Nebenklage im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zulässig ist (so bereits OLG Brandenburg NStZ 2006, 183).
18
Nach der gesetzlichen Regelung des § 395 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Nebenklage bei erhobener öffentlicher Klage oder einem Antrag im Sicherungsverfahren statthaft. Die ausdrückliche Zulassung der Nebenklage im Sicherungsverfahren geht dabei auf das im Anschluss an die Senatsentscheidung vom 18. Dezember 2001 (BGHSt 47, 202), in welcher in Abkehr von der bishe- rigen Rechtsprechung die Nebenklagefähigkeit des Sicherungsverfahrens anerkannt wurde, ergangene Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 (BGBl. I Seite 1354) zurück; sie bezieht sich demnach allein auf das in §§ 413 ff. StPO geregelte Verfahren zur selbständigen Anordnung von Maßnahmen der Besserung und Sicherung. Die für das Verfahren der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I Seite 1838) eingeführten Vorschriften der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f GVG enthalten demgegenüber keinen Verweis auf die Vorschriften über die Zulassung der Nebenklage. Gegen eine planwidrige, im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke spricht bereits die kurze Abfolge der Gesetzgebungsverfahren (vgl. OLG Brandenburg aaO); zudem ergeben sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzes über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BTDrucks. 15/2887) keine Hinweise, dass den Opfern der im Ausgangsverfahren abgeurteilten Straftaten gesonderte Beteiligungsbefugnisse eingeräumt werden sollten. Das Tatopfer hatte im Übrigen bereits im Ausgangsverfahren Gelegenheit, durch Erhebung der Nebenklage wegen der zu seinem Nachteil begangenen Taten seine persönlichen Interessen wahrzunehmen , wie dies auch hier der Fall war. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 476/05
vom
23. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. März 2006 in der Sitzung am 23. März 2006, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 10. Juni 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Betroffenen die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn sogleich in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Betroffenen, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der im Jahr 1934 geborene Betroffene erlitt 1955 bei einem Motorradunfall eine Schädelbasisfraktur, in deren Folge es bei ihm zu einer organischen Persönlichkeitsstörung kam. Ein schon damals festgestellter frontaler Hirnsubstanzdefekt führte zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau. 1994 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, im selben Jahr auch wegen dreier Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte ein Kind jeweils auf den Arm genommen, ihm unter dem T-Shirt an die Brust und über der Kleidung an die Scheide gefasst und ihm schließlich Zungenküsse gegeben. Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach Verlängerung der Bewährungszeit wurde die Freiheitsstrafe Ende 1997 erlassen.
4
Das Landgericht Passau verurteilte den Betroffenen schließlich am 16. März 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen jeweils zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe; sog. Anlassverurteilung in dieser Sache). Er hatte im Sommer 1986 von der damals 12-jährigen Tochter einer Frau, deren Liebhaber er war, den Geschlechtsverkehr erzwungen, indem er dem Kind drohte, sonst seine Schwester "zu gebrauchen". Da sich das Mädchen nicht einschüchtern ließ und sich wehrte, packte er es, riss ihm die Hose herunter und warf es auf eine Couch. Er drückte es an den Schultern nieder und führte den ungeschützten Verkehr bis zum Samenerguss durch. Zwei Wochen nach diesem Vorkommnis wiederholte sich der Vorgang. Wegen zweier ähnlich liegender Taten zum Nachteil der Schwester des Opfers stellte das Landgericht das Verfahren wegen Verjährung ein.
5
Der Betroffene verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Für die Zeit nach der Vollstreckung der Strafe ordnete das Landgericht Bayreuth mit Beschluss vom 6. Februar 2002 für die Dauer von fünf Jahren Führungsaufsicht an und brachte den Betroffenen darüber hinaus mit Beschluss vom 10. April 2002 nach dem Bayerischen Gesetz zur Unterbringung besonders rückfallgefährdeter hochgefährlicher Straftäter (BayStrUBG) unbefristet in einer Justiz- vollzugsanstalt unter. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2003 wurde der Vollzug dieser Anordnung für die Dauer eines Jahres ausgesetzt und dem Betroffenen auferlegt, in einem Seniorenhaus Aufenthalt zu nehmen. Da es dort im Januar und Februar 2004 zu sexuellen Übergriffen auf demente Mitbewohnerinnen kam, widerrief die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. März 2004 die Aussetzung. Der Betroffene wurde wieder in den Unterbringungsvollzug genommen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Bundesländern mit Urteil vom 10. Februar 2004 die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass landesrechtlicher sicherungsverwahrender Vorschriften aus verfassungsrechtlichen Gründen abgesprochen und die Geltung solcher Bestimmungen bis zum 30. September 2004 befristet hatte (BVerfGE 109, 190), überwies die Strafvollstreckungskammer den Betroffenen nach § 67a Abs. 2 StGB in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dort befindet er sich seither, mittlerweile aufgrund Unterbringungsbeschlusses nach § 275a Abs. 5 StPO.
6
2. Unter der Zwischenüberschrift "Neuere Entwicklung des Betroffenen" hat die Strafkammer sodann weiter festgestellt:
7
Der Betroffene unterzog sich während des Strafvollzugs nach seiner Verurteilung im Jahr 1999 wegen der beiden 1986 begangenen Vergewaltigungstaten keinerlei psychotherapeutischen Maßnahmen. Eine Sexualtherapie lehnte er stets ab. Ebenso stritt er auch in der Haft die Taten ab und entzog somit möglichen therapeutischen Maßnahmen jegliche Grundlage. Aufgrund bestehender Störungen im kognitiven Bereich und im Hinblick auf die während der Haftzeit fortgeschrittene hirnorganische Persönlichkeitsstörung vermag er die Grenzen zu sexuell deviantem Verhalten nicht zu erkennen und nicht zu reflektieren.
8
Dies führte dazu, dass er sich während seines Aufenthalts in dem Seniorenhaus wiederholt an Mitbewohnerinnen heranmachte, diese an Orte verbrachte , welche vom Pflegepersonal nicht beobachtet wurden, dort deren Unterkörper entkleidete und ihnen die Windelhose öffnete oder die Unterhose auszog , um sich daran sexuell zu ergötzen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Vorfälle:
9
- Am 14. Januar 2004 fand eine Pflegekraft die an ausgeprägter Demenzerkrankung leidende Heimbewohnerin B. im Zimmer des Betroffenen mit völlig entkleidetem Unterkörper vor, während sich der Betroffene im Badezimmer aufhielt und gerade dabei war seine Hose hochzuziehen.
10
- Am 2. Februar 2004 öffnete der Betroffene im Zimmer der ausgeprägt demenzkranken Bä. deren Windelhose und fasste sie am Intimbereich an. Dabei wurde er von einer Pflegerin angetroffen, die "ihn schimpfte" und fortschickte.
11
- Am 14. Februar 2004 kam eine Pflegekraft hinzu, als er Frau Bä. eine "doppelte Windelhose" machte, indem er ihr die Unterhose auszog und über der Windel eine grüne Windel anzog.
12
- An einem weiteren nicht näher bestimmbaren Tag im Januar oder Februar 2004 traf eine Pflegekraft den Betroffenen dabei an, wie er Frau Bä. auf dem Gang vor den Zimmern von oben in das T-Shirt langte und an ihrer Brust manipulierte.
13
3. Bei seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht angenommen, dass vom Betroffenen eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung Anderer ausgehe. Krankheitsbedingt sei bei ihm keine Reflektionsfähigkeit mehr vorhanden. Aufgrund seiner organischen Persönlichkeitsstörung sei er nicht mehr in der Lage, im Sexualbereich Grenzen zu erkennen. Wegen seiner erstmals in der Haft aufgetretenen Erektionsstörungen sei auch nach Auffassung der beiden gehörten Sachverständigen erfahrungsgemäß mit der Zuwendung zu immer jüngeren Kindern als Ersatzobjekten zu rechnen, von denen kein unüberwindbarer Widerstand zu erwarten sei, ebenso aber auch mit Ersatzhandlungen und impulsiven Übersprungshandlungen. Diese Entwicklung des Betroffenen spiegele sich in seinen Taten im Seniorenheim wider, wo er sich zwar nicht mehr an Kindern, aber doch an widerstandsunfähigen Personen vergangen habe. Bei ihm liege eine sexuelle Störung mit Steigerung der sexuellen Appetenz vor. Auch wenn man Handlungen wie beispielsweise das "Begrabschen" nicht als erheblich einstufen wolle, so gehe vom Betroffenen gleichwohl eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung Anderer aus. Angesichts der kognitiven Defizite und der mangelnden Reflektionsfähigkeit des Betroffenen bestehe situationsbedingt immer die konkrete Gefahr, dass sich - ausgehend von den Reaktionen des Opfers - auch gravierende Straftaten entwickeln könnten.
14
4. Das Landgericht geht bei seiner rechtlichen Würdigung vom Vorliegen der Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung aus und knüpft an die Verurteilung durch das Landgericht Passau vom 16. März 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen an (§ 66b Abs. 1 StGB). Der Hang des Betroffenen, erhebliche Straftaten zu begehen, werde durch die Vorstrafen wegen der Vergewaltigung junger Mädchen belegt. Dieser Hang habe weder während der Haft noch wegen des fortgeschrittenen Alters des Betroffenen ein Ende gefunden. Aufgrund der organischen Persönlichkeitsstörung wirke sich das zunehmende Alter vielmehr sogar gefahrerhöhend aus.
15
Vor Ende der Haftzeit seien Tatsachen erkennbar geworden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinwiesen. Er habe während der Haftzeit jegliche Sexualtherapie verweigert und sei nicht therapiefähig , weil er die begangenen Taten immer geleugnet habe. Krankheitsbedingt fehle ihm die Reflektionsfähigkeit über ein mögliches sexualdeviantes Verhalten. Das beruhe auf der organischen Persönlichkeitsstörung als Nachwirkung eines unfallbedingten Hirnsubstanzdefekts, der zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau führe. Bei den genannten Gesichtspunkten handele es sich "allesamt um Umstände, die erst in der Haft aufgetreten bzw. - wie der hirnorganische Abbau - fortgeschritten" seien. Die Vorfälle im Seniorenheim belegten die geschilderten Tatsachen bezüglich der Entwicklung des Betroffenen , deren Ursachen und Fortschritt erst in der Haft erkennbar geworden seien.
16
5. Die mit dem Urteil ausgesprochene Überweisung des Betroffenen in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begründet die Strafkammer damit, dass diese von beiden Sachverständigen ausdrücklich empfohlen worden sei. Die organische Persönlichkeitsstörung des Betroffenen und die Auffälligkeiten unterstrichen das Erfordernis einer hochqualifizierten therapeutischen und pflegerischen Betreuung. Dort könne auch erprobt werden, ob durch eine etwaige medikamentöse Intervention die Verhaltensauffälligkeiten gebessert werden könnten. Deshalb halte auch die Kammer die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus für sachgemäß. Dafür biete das Gesetz aber gegenwärtig keine ausdrückliche Möglichkeit. Zwar sei parallel zum gegenständlichen Verfahren betreffend die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung ein objektives Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff. StPO beim Landgericht Hof anhängig. Dessen Gegenstand sei der sexuelle Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, nämlich der demenzkranken Frau Bä. (Manipulation an der Brust; vgl. oben, vierter Vorfall). Der Ausgang jenes Verfahrens sei für die Kammer jedoch nicht absehbar und nicht beeinflussbar. Die unmittelbare Anwendung des § 67a Abs. 2 StGB sei nicht möglich. Der Fall zeige jedoch, dass hier ein Bedürfnis für eine gleichzeitige resozialisie- rungsfördernde Überweisung in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bestehe, obgleich die Anordnungsvoraussetzungen für diese Maßnahme (§ 63 StGB) nicht vorlägen.

II.


17
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es läßt besorgen , das Landgericht könne Umstände als "neue Tatsachen" im Sinne der gesetzlichen Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 StGB) behandelt haben, die von Rechts wegen nicht berücksichtigungsfähig sind oder bei denen dies nach den Urteilsgründen zumindest zweifelhaft ist und unklar bleibt. Das erweist sich als Darlegungs- und Erörterungsmangel , der zur Aufhebung des Urteils führt.
18
1. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt voraus, dass vor Ende des Vollzuges der Freiheitsstrafe aus der Anlassverurteilung Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66b Abs. 1 StGB). "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Anlassverurteilung) und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NJW 2006, 531, 535). Aber auch Umstände, die für einen sorgfältigen Tatrichter bei der Anlassverurteilung erkennbar oder aufklärungsbedürftig waren, sind nicht neu im Sinne des § 66b StGB (BGH NStZ 2006, 155, 156). Darüber hinaus müssen die neuen Tatsachen eine "gewisse Erheblichkeitsschwelle" überschreiten (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 12). Sie müssen schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdi- gung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens , der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535).
19
2. Die vom Landgericht angeführte "neuere Entwicklung" des Betroffenen weist Tatsachen aus, die die Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen vermögen.
20
Die Strafkammer hat in einem eigenständigen Abschnitt der Urteilsgründe die "neuere Entwicklung" des Betroffenen dargestellt. Dabei hat sie seine fehlende Therapiebereitschaft und sein Bestreiten der Anlasstaten auch in der Strafhaft, den fortschreitenden hirnorganischen Abbau sowie die sexualbezogenen Verhaltensweisen im Umgang mit demenzkranken pflegebedürftigen Frauen während seines Aufenthaltes in einem Seniorenheim angeführt. Diese Gesichtspunkte hat sie auch in der abschließenden rechtlichen Bewertung aufgegriffen , aber nicht verdeutlicht, ob sie in bestimmten Umständen etwa keine neuen Tatsachen gesehen und diese lediglich bei der Gesamtwürdigung und Prognose herangezogen hat. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe spricht eher dafür, dass sie in allen Umständen, die sie unter der "neueren Entwicklung" des Betroffenen aufgeführt hat, neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB gesehen hat. Insoweit gilt:
21
a) Die sexualbezogenen Vorfälle im Seniorenheim haben hier als "neue Tatsachen" von vornherein außer Betracht zu bleiben, weil sie sich nicht während des Vollzuges der Freiheitsstrafe ereignet haben. Vielmehr befand sich der Betroffene in dem in Rede stehenden Zeitraum in einer nachträglichen landes- rechtlichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die ausgesetzt war. Für diese sog. Übergangsfälle hat der Gesetzgeber nochmals ausdrücklich das bestätigt, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 66b Abs. 1 StGB ergibt: Umstände aus der landesrechtlichen Unterbringung (nach BayStrUBG) sind keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66b StGB (Art. 1a Satz 2 EGStGB; so auch die Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 20). Sie können allenfalls bei der anzustellenden Gefährlichkeitsprognose mit berücksichtigt werden (vgl. Gesetzesbegründung aaO).
22
b) Hinsichtlich der danach verbleibenden Umstände, die als "neue Tatsachen" im Sinne des Gesetzes nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht eindeutig entnehmen, ob sie bereits für den früheren Tatrichter erkennbar oder ihm sogar bekannt waren. Die Strafkammer hat sich damit nicht in nachprüfbarer Weise auseinandergesetzt. In den Urteilsgründen klingt jedoch an, dass der Betroffene die Anlasstaten auch schon im Erkenntnisverfahren bestritten hat. Dies ist dem Senat auch aufgrund seiner Befassung mit der seinerzeitigen Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 16. März 1999 bekannt (1 StR 547/99). Damit liegt nahe, dass auch in der Therapieverweigerung des Betroffenen keine neue Tatsache gesehen werden kann; das wäre nur dann der Fall, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt der Verurteilung davon hätte ausgehen können, der Betroffene werde sich im Strafvollzug einer Erfolg versprechenden Therapie unterziehen (BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 = NStZ 2006, 155; Beschluss vom 19. Januar 2006 - 4 StR 393/05 - Umdruck S. 12; vgl. zur eingeschränkten Bedeutung fehlender Therapiebereitschaft weiter BVerfGE 109, 190, 241; BGH NJW 2005, 2022, 2024; Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 15/3346, S. 17).
23
c) Ähnlich liegt es für den vom Landgericht festgestellten frontalen Hirnsubstanzdefekt, der sich in der Folge eines schweren Motorradunfalls entwickelt hat, den der Betroffene bereits im Jahr 1955 erlitt. Schon in früherer Zeit war bei ihm ersichtlich in dessen Folge bei strafbaren Handlungen eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen. Das Landgericht hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit es sich bei dieser Entwicklung um eine schon für den Tatrichter der Anlasstat erkennbare neue Tatsache gehandelt hat und, wenn ja, ob gegebenenfalls allein das Fortschreiten des Hirnsubstanzdefekts als einzig verbleibende neue Tatsache die Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnte (vgl. für einen erstmals festgestellten frontal betonten Hirnsubstanzdefekt als "neue Tatsache" BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - Umdruck S. 6 = NStZ 2006, 155, 156). Das Revisionsgericht vermag diese Bewertung, die tatrichterliche Aufgabe ist, grundsätzlich nicht zu ersetzen.
24
3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann mithin keinen Bestand haben. Schon deshalb entfällt auch die zugleich ausgesprochene Überweisung des Betroffenen in den Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB. Diese rechtliche Bewertung entspricht insoweit auch dem vom Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung gestellten Antrag, der von seiner Antragsschrift abweicht.

III.


25
Der Senat sieht im Blick auf die erforderliche Neuverhandlung der Sache Anlass zu den nachfolgenden Hinweisen:
26
1. Das Landgericht, dem die durch den Bundesgerichtshof herausgebildeten Maßstäbe zur Auslegung des § 66b StGB zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht bekannt sein konnten, wird nunmehr zu prüfen haben, ob neue, erstmals in der Strafhaft des Betroffenen hervorgetretene erhebliche Tatsachen feststellbar sind, die bei Aburteilung der Anlasstaten nicht erkennbar waren. Auf dieser Grundlage wird die Frage eines Hanges des Betroffenen zur Begehung von Sexualstraftaten und seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB erneut zu beurteilen sein. Bei der Gefährlichkeitsprognose allerdings kann seine gesamte Entwicklung in den Blick genommen werden (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 20). Im Einzelnen wird das Landgericht auch Folgendes zu bedenken haben:
27
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist die schwerste Unrechtsfolge , die zum Strafrecht im weiteren Sinne gehört (BVerfGE 109, 190, 211 ff.; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - Umdruck S. 7). Sie ist als letztes Mittel in seltenen Fällen für extrem gefährliche Täterpersönlichkeiten gerechtfertigt (BVerfGE 109, 190, 242). Ihre Anwendung ist nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv zu handhaben (Gesetzesbegründung, aaO, S. 10, 12 f.; BVerfGE aaO, S. 236; BGH aaO, S. 8 m.w.N.). Daran hat sich die Auslegung der Vorschrift zu orientieren.
28
Die neue Strafkammer wird weiter im Auge zu behalten haben, dass "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit , der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer durch den Betroffenen hindeuten müssen (BGH NJW 2006, 531, 535). Soweit hier letztlich allein das Fortschreiten des Hirnabbaus des Betroffenen infrage stehen sollte, wird zudem zu verlangen sein, dass dieser sich nach außen während der Strafhaft in irgendeiner Form manifestiert und ausgedrückt hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit einer Rücknahme des Antrags der Staatsanwaltschaft hin (vgl. dazu BGH NJW 2006, 852, 853 Rdn. 10 f.).
29
2. Zudem wird es nahe liegen, dem objektiven Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO, § 63 StGB) beim Landgericht Hof Fortgang zu geben und gegebenenfalls dort einstweilige Maßnahmen zu treffen, mag in jenem Verfahren auch die Erheblichkeit der rechtswidrigen Tat besonders prüfungsbedürftig erscheinen (§ 184f Nr. 1 StGB; vgl. zur daneben bestehenden Möglichkeit der landesrechtlichen Unterbringung auch § 1 Abs. 1 BayUntbrG). Dem anhängigen Sicherungsverfahren kommt allerdings hier kein Vorrang zu, weil die dort gegenständlichen Vorfälle sich nach der Entlassung des Betroffenen aus der Strafhaft ereignet haben. Wäre dies anders und erwiesen sie sich zugleich als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB, so wäre das Sicherungsverfahren , das ebenfalls den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, vorrangig zu betreiben (vgl. zum Vorrang des Erkenntnisverfahrens, wenn dort die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung besteht: BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - Umdruck S. 10 f.).
30
3. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass die vom Landgericht sogleich ("uno actu") mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erfolgte Überweisung des Betroffenen in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (nach § 67a Abs. 2 StGB i. V. m. § 63 StGB) dem Zustand des Betroffenen zwar in praktischer Hinsicht Rechnung trägt, aber rechtlichen Bedenken begegnet. Diese hat das Landgericht gesehen, indes an- genommen, sie aus Gründen praktischer Bedürfnisse vernachlässigen zu dürfen.
31
Die Überweisung in die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus darf nicht zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ausgesprochen werden. Der Gesetzgeber hat wohl im Grundsatz für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel offen halten wollen. Darauf deuten die Materialien hin, denen zufolge die Überweisungsvorschrift des § 67a Abs. 2 StGB auch bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung anwendbar sein soll (Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 14; in diese Richtung auch BVerfGE 109, 190, 242 f.). Für die Überweisung ist jedoch die Strafvollstreckungskammer zuständig. Bei einer Entscheidung durch die Strafkammer würde nicht der gesetzliche Richter tätig (so schon BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06 - Umdruck S. 10). Angesichts des Gewichts des Eingriffs einer nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in das Freiheitsgrundrecht hält es der Senat zudem ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für nicht statthaft, durch eine "uno actu" ausgesprochene Überweisung in die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gewissermaßen auf diesem Umwege die nachträgliche Unterbringung in der Maßregel des § 63 StGB einzuführen. Hätte der Gesetzgeber diese Möglichkeit schaffen wollen, so hätte das ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung bedurft.
32
Hält man die Überweisungsvorschrift für anwendbar, so ist sie demzufolge ihrem Wortlaut gemäß auszulegen: Die Überweisung ist "nachträglich" möglich , wenn dadurch die Resozialisierung des Betroffenen besser gefördert werden kann (§ 67a Abs. 2 StGB), insbesondere die dort mögliche Behandlung oder auch nur Betreuung seinem Zustand am ehesten gerecht zu werden vermag.
33
Das Landgericht hat all dies im rechtlichen Ansatz selbst so gesehen, sich jedoch zur Schließung der von ihm angenommenen Gesetzeslücke berechtigt erachtet. Der Senat vermag dem nicht beizupflichten. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 27/06
vom
24. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2006 beschlossen:
Die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. September 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Betroffenen mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Der Betroffene war vom Landgericht Augsburg - Jugendkammer - am 6. November 1991 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sexueller Nötigung, sexuellem Missbrauch von Kindern, sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung, ferner wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Als höchste Einzelstrafe verhängte die Kammer für das tateinheitlich verwirklichte Verbrechen gem. § 177 StGB aF eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Hauptsächlicher Gegenstand des Urteils waren etwa 1.500 bis 2.000 massive sexuelle Übergriffe des Betroffenen auf seine Frau und seine am 28. Oktober 1974 geborene Tochter im Zeitraum zwischen Juni 1981 und November 1991. Der Betroffene hatte mit seiner Tochter gegen deren Willen bis zu fünf Mal täglich den Vaginal-, Oral- und Analverkehr ausgeübt und sie und ihre Mutter sowohl zu lesbischen Sexualpraktiken als auch zur Duldung sodomitischer Handlungen, die er von den Hunden der Familie an ihnen ausüben ließ, gezwungen. Daneben kam es zu Gewalttätigkeiten, indem der Betroffene seine Ehefrau und Tochter grundlos schlug, an ihrem Körper Zigaretten ausdrückte oder seine Tochter bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit würgte.
3
Die Jugendkammer hatte von der Unterbringung des - in der damaligen Hauptverhandlung geständigen - Betroffenen in der Sicherungsverwahrung Abstand genommen. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB sei zu berücksichtigen, dass keine Erfahrungen mit dem Betroffenen vorlägen, aus denen daraus geschlossen werden könne, dass er durch Haft nicht zu beeindrucken sei. Zudem sei zu erwarten, dass sich während der langjährigen Verbüßung der Haftstrafe neue Lebensbedingungen für die Tatopfer herausbilden würden und der Betroffene innere Distanz zu seiner Familie finden würde; gerade vor dem Hintergrund, dass der Betroffene im Wesentlichen im Familienbereich straffällig geworden sei, spreche dies gegen seine Gemeingefährlichkeit.
4
2. Nach den Feststellungen der nunmehr befassten Jugendkammer hat sich diese Prognose nicht bestätigt. Der Betroffene lebte in der Justizvollzugsanstalt zurückgezogen und einzelgängerisch. Er hatte zu niemandem Kontakt, weder zu Mitgefangenen noch zum Sozial-, psychologischen oder kirchlichen Dienst der Anstalt. Eine ihm angebotene Sexualtherapie lehnte er ab, weil sie bei ihm nicht nötig sei. Seit Beginn des Strafvollzuges leugnete er seine Straftaten und versuchte, zu seiner - von ihm mittlerweile geschiedenen - Ehefrau und seiner Tochter Briefkontakt herzustellen. Er war der Auffassung, dass seine Ehefrau und Tochter ihn lieben und vermissen, und er nach seiner Haftentlassung zu ihnen zurückkehren könne. Während des Strafvollzuges erkrankte der Betroffene an einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie. Aufgrund dieser psychiatrischen Erkrankung war er nicht für eine sozialtherapeutische Behandlung geeignet und wurde deshalb nicht in diese Abteilung verlegt. Es bestehen keine Sozialkontakte mehr, der Betroffene hat weder Wohnung noch Arbeitsstelle in Aussicht. Seine geschiedene Ehefrau und seine Tochter meiden den Kontakt mit dem Betroffenen, weil sie noch immer große Angst vor ihm haben und mit ihm nichts mehr zu tun haben möchten.
5
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung bejaht (§ 66b Abs. 2 StGB). Als neue Tatsache im Sinne der Vorschrift hat es die im Jahr 1995 während der Verbüßung der Haft bei dem Betroffenen aufgetretene Psychose gewertet. Gestützt auf die Gutachten der angehörten Sachverständigen hat es insoweit festgestellt, dass sich bei dem Betroffenen ein systematischer Wahn mit hoher Aggressivität bei fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation entwickelt habe. Im Hinblick auf seine Familie und die zu ihren Lasten begangenen Straftaten bestehe ein vollständiger Wahrnehmungsverlust. Der Betroffene halte sich für unschuldig und sehe sich als Opfer eines Justizkomplottes. Er sei krankheitsbedingt der Überzeugung , dass auch seine Frau und Tochter an seine Unschuld glauben und allein die Justiz für den Abbruch des Kontaktes zu ihnen verantwortlich sei. Bei der von ihm beabsichtigten Rückkehr zu seiner Familie werde es ihm darum gehen, die aus seiner Sicht seit 15 Jahren gegen ihn gerichtete Verschwörung zu beseitigen und seine Familie dem vermeintlichen Einfluss und Druck staatlicher Stellen zu entziehen.
6
In seiner Gesamtwürdigung kommt das Landgericht sachverständig beraten zu der Einschätzung, dass der Betroffene ein hohes Gewaltpotential aufweise , das mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Durchbruch kommen werde, wenn der Betroffene in Freiheit feststelle, dass die durch sein Wahnsystem aufgebauten Erwartungen sich nicht erfüllen; es werde dann zu Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Ehefrau, seiner Tochter und eines jeden Dritten kommen, der seinen wahnhaften Vorstellungen entgegentrete.
7
4. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Das Landgericht hat die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zu Recht bejaht. Der Betroffene ist durch das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 6. November 1991 wegen Vergewaltigung, d.h. wegen eines mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren sanktionierten Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden.
9
b) Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt weiterhin voraus, dass nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NStZ 2006, 155 f.). Demgegenüber scheiden Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen und erforderlichenfalls aufklären müssen, als "neue" Tatsachen aus. Das Verfahren nach § 66b StGB dient nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen derartige Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind.
10
Nach diesen Kriterien ist das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen "neuer" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB ausgegangen.
11
aa) Im Einzelfall können auch psychiatrische Befundtatsachen "neue" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB darstellen (BGH NStZ 2006, 155; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Voraussetzung hierfür ist allerdings , dass die zugrunde liegenden (Anknüpfungs-)Tatsachen nicht bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung vorlagen und für den früheren Tatrichter erkennbar gewesen sind. Nicht ausreichend für eine Anwendung von § 66b StGB wäre auch eine bloße Umbewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen; eine bloße Änderung der psychiatrischen Diagnose kann nicht als "neue" Tatsache gelten, wenn sie nicht auf einer neuen tatsächlichen Grundlage (Anknüpfungstatsachen) beruht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05).
12
bb) Zwar hatten bereits die vom früheren Tatrichter angehörten Sachverständigen bei dem Betroffenen psychische Auffälligkeiten diagnostiziert, die sie als Persönlichkeitsstörung mit Gamma-Alkoholismus und Sexualdeviation eingestuft hatten. Die Feststellungen des Landgerichtes zur Entwicklung des Betroffenen im Strafvollzug belegen jedoch hinreichend, dass die nunmehrige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie sich auf Anknüpfungstatsachen - halluzinatorische Wahrnehmungen des Betroffenen, wahnhafte Äußerungen, Verwirrtheitszustände - gründet, die im Zeitpunkt der Anlassverurteilung noch nicht aufgetreten waren. Zu dieser Symptomatik zählt auch, dass der Betroffene seine Taten nunmehr leugnet und in sein wahnhaftes Gedankengebäude einer Justizverschwörung einbezogen hat. Es ist daher nicht zu besorgen, dass die Diagnose der vom Landgericht gehörten Sachverständigen lediglich eine Umbewertung von bereits bei der Anlassverurteilung erkennbaren Tatsachen darstellt. Hieran ändert nichts, dass der Sachverständige nunmehr zu der Einschätzung gelangt, dass in den Jahren vor der Inhaftierung möglicherweise bereits ein Prodromal-Stadium der in der Haft aufgetretenen paranoiden Schizophrenie vorgelegen hat. Auch diese Bewertung des Sachverständigen ist ersichtlich getragen von der im Vergleich zum Verurteilungszeitpunkt geänderten tatsächlichen Beurteilungsgrundlage; dadurch ist nicht in Frage gestellt, dass die Krankheit erst im Zeitraum des Strafvollzuges zum Ausbruch gelangt ist.
13
c) Als weitere Voraussetzung für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 155, 156; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05). In Anbetracht der Schwere des den Betroffenen treffenden Eingriffs, der nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv, auf wenige Einzelfälle beschränkt gehandhabt werden soll (BTDrucks. 15/2887, Seite 10, 12 f.; BVerfGE 109, 190, 236, 242), müssen "neue Tatsachen" schon für sich Gewicht haben und auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535). Im Falle einer psychischen Erkrankung des Betroffenen ist zu verlangen, dass diese sich während der Strafhaft nach außen manifestiert hat (Senat, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05).
14
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bestehen hieran keine Zweifel. Der Ausbruch der Psychose stellt hier deshalb eine "neue" Tat- sache dar, weil sich das vom Betroffenen aufgrund seiner vom Landgericht festgestellten negativen Entwicklung im Strafvollzug ausgehende Risiko noch erhöht hat. Der Betroffene lebt aufgrund eines paranoiden Wahnsystems selbst unter Medikation in seiner eigenen Welt. Aufgrund der Psychose hängt er verstärkt seiner Verschwörungstheorie an und glaubt, seine geschiedene Frau und Tochter ständen unter staatlichem Einfluss und Druck; in Wahrheit liebten sie ihn noch und warteten nach seiner Entlassung darauf, dass er zu ihnen zurückkehre. Bei dem krankheitsuneinsichtigen Betroffenen würde es im Falle seiner Entlassung zu einem Absetzen der Medikamente und damit zu einem Rezidiv des paranoiden Syndroms kommen. Er würde wieder Kontakt mit beiden aufnehmen , bei einer Konfrontation mit den früheren Erlebnissen affektiv entgleisen und fremdaggressiv reagieren. Zu erwarten ist insbesondere, dass der Betroffene seine wahnhaften Vorstellungen mit gewalttätigen Mitteln durchsetzen wird und hiervon nicht nur seine Familie, sondern auch Dritte, insbesondere staatliche Organe betroffen sein werden, die der Betroffene für seine Inhaftierung verantwortlich macht. Die Krankheit des Betroffenen ist auch durch sein Verhalten, insbesondere seine Äußerungen im Vollzug, den Inhalt von an seine Tatopfer gerichteten Briefen und den Verlauf eines Besuches seiner Tochter in der Justizvollzugsanstalt hinreichend nach außen getreten.
15
d) Das Landgericht hat diese Gesichtspunkte auch in eine umfangreiche Gesamtwürdigung einbezogen und ist unter Berücksichtigung der Person des Betroffenen, insbesondere seiner bereits ungeachtet der psychischen Erkrankung bestehenden Persönlichkeitsstörung, der Anlasstaten sowie ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betroffene in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB begehen wird. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
16
5. Der Senat weist darauf hin, dass es sich angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen für die nach Vollzugsbeginn zuständige Strafvollstreckungskammer empfehlen wird, die nachträgliche Überweisung in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 67a Abs. 2 StGB zu prüfen (zur fehlenden gesetzlichen Grundlage einer zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung "uno actu" vorgenommenen Überweisung vgl. Senat, Urteil vom 23. März 2006, - 1 StR 476/05).

II.


17
Das Landgericht hat die Tochter des Betroffenen, die bereits im Erkenntnisverfahren als Nebenklägerin zugelassen war, erneut als Nebenklägerin zugelassen und die ihr entstandenen notwendigen Auslagen gem. § 472 Abs. 1 StPO dem Betroffenen auferlegt. Vor der für das Revisionsverfahren veranlassten Kostenentscheidung hatte der Senat von Amts wegen die Berechtigung zum Anschluss der Nebenklage zu überprüfen (vgl. BGHSt 47, 202; Franke in KK 5. Aufl. § 473 Rdn. 9). Dies führt zu dem Ergebnis, dass dem Betroffenen die durch sein erfolgloses Rechtsmittel der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen nicht aufzuerlegen sind, da die Nebenklage im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zulässig ist (so bereits OLG Brandenburg NStZ 2006, 183).
18
Nach der gesetzlichen Regelung des § 395 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Nebenklage bei erhobener öffentlicher Klage oder einem Antrag im Sicherungsverfahren statthaft. Die ausdrückliche Zulassung der Nebenklage im Sicherungsverfahren geht dabei auf das im Anschluss an die Senatsentscheidung vom 18. Dezember 2001 (BGHSt 47, 202), in welcher in Abkehr von der bishe- rigen Rechtsprechung die Nebenklagefähigkeit des Sicherungsverfahrens anerkannt wurde, ergangene Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 (BGBl. I Seite 1354) zurück; sie bezieht sich demnach allein auf das in §§ 413 ff. StPO geregelte Verfahren zur selbständigen Anordnung von Maßnahmen der Besserung und Sicherung. Die für das Verfahren der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I Seite 1838) eingeführten Vorschriften der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f GVG enthalten demgegenüber keinen Verweis auf die Vorschriften über die Zulassung der Nebenklage. Gegen eine planwidrige, im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke spricht bereits die kurze Abfolge der Gesetzgebungsverfahren (vgl. OLG Brandenburg aaO); zudem ergeben sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzes über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BTDrucks. 15/2887) keine Hinweise, dass den Opfern der im Ausgangsverfahren abgeurteilten Straftaten gesonderte Beteiligungsbefugnisse eingeräumt werden sollten. Das Tatopfer hatte im Übrigen bereits im Ausgangsverfahren Gelegenheit, durch Erhebung der Nebenklage wegen der zu seinem Nachteil begangenen Taten seine persönlichen Interessen wahrzunehmen , wie dies auch hier der Fall war. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 530/06
vom
10. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
10. Januar 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen J. und Je. K. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin P. Ma. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 25. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen ist;
b) zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Der Angeklagte hat über Jahre hinweg insbesondere seine beiden Töchter vielfach sexuell missbraucht. Die Taten zum Nachteil der 1987 geborenen Tochter J. beging er zunächst zwischen 1995 und 1998 in der Ehewohnung , aus der er dann auszog, und dann nochmals zwischen 2000 und 2001, als J. bei ihm in der Wohnung lebte. Die Taten zum Nachteil der 1995 ge- borenen Tochter Je. beging er zwischen 2003 und 2005 bei ihren regelmäßigen Besuchen bei ihm an den Wochenenden und in den Ferien. 2005 missbrauchte er außerdem zweimal die 1997 geborene P. Ma. , als diese ihre Freundin Je. jeweils bei einem der genannten Wochenendbesuchen begleitete und ebenfalls in der Wohnung des Angeklagten übernachtete.
2
Die Strafkammer, die unter Anwendung des Zweifelssatzes eine Mindestanzahl von 172 Fällen errechnet hat - davon zwei Fälle zum Nachteil von zwei Kindern -, hat den Angeklagten deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren (Einzelstrafen zweimal zwei Jahre, zweimal ein Jahr und neun Monate, 160 Mal ein Jahr, in den übrigen Fällen zwischen zehn und vier Monaten ) verurteilt.
3
Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer nicht angeordnet. Allein hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zugleich zur Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).

II.


4
Die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB liegen vor, wie dies die Strafkammer im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Sachverständig beraten hat sie darüber hinaus beim Angeklagten eine „Neigung zu sexuellem Kontakt mit Mädchen im Alter von 7 bis 14 Jahren“ festgestellt. Es liege bei ihm ein „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ vor, seine sich über Jahre hinziehenden Taten seien „von steter Wiederholung, zum Teil auch von beinahe gewohn- heitsmäßiger Regelmäßigkeit geprägt“. Auf dieser Grundlage bejaht die Strafkammer rechtsfehlerfrei einen Hang i. S. d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
5
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.
6
1. Die Strafkammer hält den Angeklagten trotz seines Hanges nicht „für die Allgemeinheit gefährlich“, die Taten seien nämlich „weitestgehend auf den familiären Bereich beschränkt“. Der Angeklagte habe sich nicht „auf die Suche“ nach Kindern gemacht.
7
a) Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter Personen betroffen ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn. 35). Jeder Einzelne ist Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 24). Dementsprechend genügt für eine Gefährlichkeit i. S. d. § 66 StGB, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen eine Einzelperson oder einen begr enzten Personenkreis - wie z. B. Familienangehörige - zu erwarten sind (vgl. Stree aaO; zum hinsichtlich des Begriffs der Allgemeinheit gleich zu behandelnden Fall des § 63 StGB vgl. BGHSt 26, 321; Stree aaO § 63 Rdn. 16 m.w.N.).

8
b) Im Übrigen verlangt die Prüfung von Sicherungsverwahrung eine Prognose, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb gefährlich für die - im dargelegten Sinne zu verstehende - Allgemeinheit ist (vgl. zusammenfassend Tröndle/Fischer aaO Rdn. 22 m.w.N). Diese Erwartung ergibt sich vielfach schon allein aus der - hier getroffenen - Feststellung eines Hanges (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1 m.w.N.). Anderes kann gelten, wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Urteil neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen (vgl. BGHR aaO m.w.N.). Ausdrücklich festgestellt sind derartige Umstände nicht. Insbesondere wäre eine solche Annahme aber auch nicht mit der von der Strafkammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen getroffenen Feststellung vereinbar, beim Angeklagten liege ein „mittleres einschlägiges Rückfallrisiko“ vor.
9
Im Hinblick darauf, dass dies nicht näher ausgeführt ist, weist der Senat jedoch vorsorglich auch darauf hin, dass im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung eine allein abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung nicht ausreichen würde (vgl. BGHSt 50, 121, 130 f. im Zusammenhang mit dem insoweit vergleichbaren § 66b StGB). Dies wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu beachten haben.
10
2. Unabhängig von alledem hat der Angeklagte aber nicht nur seine eigenen Töchter, sondern auch P. Ma. sexuell missbraucht. Dies spricht auch schon in tatsächlicher Hinsicht gegen die Annahme, der Angeklagte sei im Wesentlichen nur für seine eigenen Töchter gefährlich. Dies hat die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt. Sie meint jedoch, diese Taten hätten in diesem Zusammenhang deshalb ein geringeres Gewicht, weil der Angeklagte „sichtlich die günstige Gelegenheit ausgenutzt (habe), die sich dadurch ergab, dass sich P. Ma. entschlossen hatte, nicht mehr am Abend nach Hause zurück zu kehren“. Jedoch ist die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten angestellte Erwägung, der Angeklagte habe „nicht etwa nur günstige Gelegenheiten ausgenutzt, sondern planvoll das …. Bett entfernt, um zu erreichen, dass … (außer Je. auch) … P. Ma. mit ihm in … demselben Bett schlafen“ musste, damit jedenfalls ohne nähere Erläuterung damit nicht ohne weiteres vereinbar.
11
3. Die Strafkammer meint, gegen die Notwendigkeit von Sicherungsverwahrung spreche auch, dass beim Angeklagten, wie dies auch in den Taten zum Ausdruck komme, „keinerlei aggressive oder auch nur nötigende Tendenzen“ vorlägen. Diese Erwägung hält rechtlicher Überprüfung nicht Stand.
12
a) Wäre der Angeklagte gewaltsam vorgegangen, hätte er nicht nur den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern erfüllt, sondern zugleich auch den Tatbestand der sexuellen Nötigung. Dass er dies nicht zusätzlich getan hat, kann ihm im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht zugute gehalten werden (vgl. BGH b. Miebach NStZ 1998, 132; Renzikowski in MüKom § 176 Rdn. 67; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Urteil vom 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
13
b) Darüber erscheint die Annahme, es lägen keinerlei nötigende Tendenzen vor, durch die im Rahmen der Strafzumessung angestellte, allerdings nicht konkretisierte Erwägung, zu Lasten des Angeklagten wirke sich der „erhebliche Druck“ aus, den er als Vater auf seine Töchter „ausgeübt“ habe, zumindest relativiert.
14
4. Nach alledem muss über die Anordnung von Sicherungsverwahrung neu befunden werden.
15
Im Hinblick auf erkennbare Bemühungen des Angeklagten, „von seinen Neigungen loszukommen“ - eine „Flucht in den Glauben“ ist ebenso festgestellt wie aufrichtige Reue des Angeklagten und seine von der Strafkammer offenbar für glaubhaft angesehene Ankündigung, sich einer Therapie unterziehen zu wollen - könnte auch zu prüfen sein, ob eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) in Betracht kommt.

III.


16
Die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der nicht angeordneten Sicherungsverwahrung führt hier zugleich zur Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten. Dies folgt aus den jedenfalls nicht ohne weiteres deckungsgleichen Erwägungen, die die Strafkammer zu identischen Gesichtspunkten bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten und bei der Prüfung von Sicherungsverwahrung zu Gunsten des Angeklagten angestellt hat. Dies gilt für die Erwägungen im Zusammenhang mit den Taten zum Nachteil von P. Ma. (vgl. oben II. 2.) ebenso wie für die Erwägungen, die Taten ließen keinerlei nötigende Tendenzen erkennen, der Angeklagte hätte aber erheblichen Druck ausgeübt (vgl. oben II. 3. b).
Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 27/06
vom
24. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2006 beschlossen:
Die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. September 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Betroffenen mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Der Betroffene war vom Landgericht Augsburg - Jugendkammer - am 6. November 1991 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sexueller Nötigung, sexuellem Missbrauch von Kindern, sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung, ferner wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Als höchste Einzelstrafe verhängte die Kammer für das tateinheitlich verwirklichte Verbrechen gem. § 177 StGB aF eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Hauptsächlicher Gegenstand des Urteils waren etwa 1.500 bis 2.000 massive sexuelle Übergriffe des Betroffenen auf seine Frau und seine am 28. Oktober 1974 geborene Tochter im Zeitraum zwischen Juni 1981 und November 1991. Der Betroffene hatte mit seiner Tochter gegen deren Willen bis zu fünf Mal täglich den Vaginal-, Oral- und Analverkehr ausgeübt und sie und ihre Mutter sowohl zu lesbischen Sexualpraktiken als auch zur Duldung sodomitischer Handlungen, die er von den Hunden der Familie an ihnen ausüben ließ, gezwungen. Daneben kam es zu Gewalttätigkeiten, indem der Betroffene seine Ehefrau und Tochter grundlos schlug, an ihrem Körper Zigaretten ausdrückte oder seine Tochter bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit würgte.
3
Die Jugendkammer hatte von der Unterbringung des - in der damaligen Hauptverhandlung geständigen - Betroffenen in der Sicherungsverwahrung Abstand genommen. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB sei zu berücksichtigen, dass keine Erfahrungen mit dem Betroffenen vorlägen, aus denen daraus geschlossen werden könne, dass er durch Haft nicht zu beeindrucken sei. Zudem sei zu erwarten, dass sich während der langjährigen Verbüßung der Haftstrafe neue Lebensbedingungen für die Tatopfer herausbilden würden und der Betroffene innere Distanz zu seiner Familie finden würde; gerade vor dem Hintergrund, dass der Betroffene im Wesentlichen im Familienbereich straffällig geworden sei, spreche dies gegen seine Gemeingefährlichkeit.
4
2. Nach den Feststellungen der nunmehr befassten Jugendkammer hat sich diese Prognose nicht bestätigt. Der Betroffene lebte in der Justizvollzugsanstalt zurückgezogen und einzelgängerisch. Er hatte zu niemandem Kontakt, weder zu Mitgefangenen noch zum Sozial-, psychologischen oder kirchlichen Dienst der Anstalt. Eine ihm angebotene Sexualtherapie lehnte er ab, weil sie bei ihm nicht nötig sei. Seit Beginn des Strafvollzuges leugnete er seine Straftaten und versuchte, zu seiner - von ihm mittlerweile geschiedenen - Ehefrau und seiner Tochter Briefkontakt herzustellen. Er war der Auffassung, dass seine Ehefrau und Tochter ihn lieben und vermissen, und er nach seiner Haftentlassung zu ihnen zurückkehren könne. Während des Strafvollzuges erkrankte der Betroffene an einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie. Aufgrund dieser psychiatrischen Erkrankung war er nicht für eine sozialtherapeutische Behandlung geeignet und wurde deshalb nicht in diese Abteilung verlegt. Es bestehen keine Sozialkontakte mehr, der Betroffene hat weder Wohnung noch Arbeitsstelle in Aussicht. Seine geschiedene Ehefrau und seine Tochter meiden den Kontakt mit dem Betroffenen, weil sie noch immer große Angst vor ihm haben und mit ihm nichts mehr zu tun haben möchten.
5
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung bejaht (§ 66b Abs. 2 StGB). Als neue Tatsache im Sinne der Vorschrift hat es die im Jahr 1995 während der Verbüßung der Haft bei dem Betroffenen aufgetretene Psychose gewertet. Gestützt auf die Gutachten der angehörten Sachverständigen hat es insoweit festgestellt, dass sich bei dem Betroffenen ein systematischer Wahn mit hoher Aggressivität bei fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation entwickelt habe. Im Hinblick auf seine Familie und die zu ihren Lasten begangenen Straftaten bestehe ein vollständiger Wahrnehmungsverlust. Der Betroffene halte sich für unschuldig und sehe sich als Opfer eines Justizkomplottes. Er sei krankheitsbedingt der Überzeugung , dass auch seine Frau und Tochter an seine Unschuld glauben und allein die Justiz für den Abbruch des Kontaktes zu ihnen verantwortlich sei. Bei der von ihm beabsichtigten Rückkehr zu seiner Familie werde es ihm darum gehen, die aus seiner Sicht seit 15 Jahren gegen ihn gerichtete Verschwörung zu beseitigen und seine Familie dem vermeintlichen Einfluss und Druck staatlicher Stellen zu entziehen.
6
In seiner Gesamtwürdigung kommt das Landgericht sachverständig beraten zu der Einschätzung, dass der Betroffene ein hohes Gewaltpotential aufweise , das mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Durchbruch kommen werde, wenn der Betroffene in Freiheit feststelle, dass die durch sein Wahnsystem aufgebauten Erwartungen sich nicht erfüllen; es werde dann zu Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Ehefrau, seiner Tochter und eines jeden Dritten kommen, der seinen wahnhaften Vorstellungen entgegentrete.
7
4. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Das Landgericht hat die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zu Recht bejaht. Der Betroffene ist durch das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 6. November 1991 wegen Vergewaltigung, d.h. wegen eines mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren sanktionierten Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden.
9
b) Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt weiterhin voraus, dass nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NStZ 2006, 155 f.). Demgegenüber scheiden Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen und erforderlichenfalls aufklären müssen, als "neue" Tatsachen aus. Das Verfahren nach § 66b StGB dient nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen derartige Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind.
10
Nach diesen Kriterien ist das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen "neuer" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB ausgegangen.
11
aa) Im Einzelfall können auch psychiatrische Befundtatsachen "neue" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB darstellen (BGH NStZ 2006, 155; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Voraussetzung hierfür ist allerdings , dass die zugrunde liegenden (Anknüpfungs-)Tatsachen nicht bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung vorlagen und für den früheren Tatrichter erkennbar gewesen sind. Nicht ausreichend für eine Anwendung von § 66b StGB wäre auch eine bloße Umbewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen; eine bloße Änderung der psychiatrischen Diagnose kann nicht als "neue" Tatsache gelten, wenn sie nicht auf einer neuen tatsächlichen Grundlage (Anknüpfungstatsachen) beruht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05).
12
bb) Zwar hatten bereits die vom früheren Tatrichter angehörten Sachverständigen bei dem Betroffenen psychische Auffälligkeiten diagnostiziert, die sie als Persönlichkeitsstörung mit Gamma-Alkoholismus und Sexualdeviation eingestuft hatten. Die Feststellungen des Landgerichtes zur Entwicklung des Betroffenen im Strafvollzug belegen jedoch hinreichend, dass die nunmehrige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie sich auf Anknüpfungstatsachen - halluzinatorische Wahrnehmungen des Betroffenen, wahnhafte Äußerungen, Verwirrtheitszustände - gründet, die im Zeitpunkt der Anlassverurteilung noch nicht aufgetreten waren. Zu dieser Symptomatik zählt auch, dass der Betroffene seine Taten nunmehr leugnet und in sein wahnhaftes Gedankengebäude einer Justizverschwörung einbezogen hat. Es ist daher nicht zu besorgen, dass die Diagnose der vom Landgericht gehörten Sachverständigen lediglich eine Umbewertung von bereits bei der Anlassverurteilung erkennbaren Tatsachen darstellt. Hieran ändert nichts, dass der Sachverständige nunmehr zu der Einschätzung gelangt, dass in den Jahren vor der Inhaftierung möglicherweise bereits ein Prodromal-Stadium der in der Haft aufgetretenen paranoiden Schizophrenie vorgelegen hat. Auch diese Bewertung des Sachverständigen ist ersichtlich getragen von der im Vergleich zum Verurteilungszeitpunkt geänderten tatsächlichen Beurteilungsgrundlage; dadurch ist nicht in Frage gestellt, dass die Krankheit erst im Zeitraum des Strafvollzuges zum Ausbruch gelangt ist.
13
c) Als weitere Voraussetzung für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 155, 156; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05). In Anbetracht der Schwere des den Betroffenen treffenden Eingriffs, der nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv, auf wenige Einzelfälle beschränkt gehandhabt werden soll (BTDrucks. 15/2887, Seite 10, 12 f.; BVerfGE 109, 190, 236, 242), müssen "neue Tatsachen" schon für sich Gewicht haben und auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535). Im Falle einer psychischen Erkrankung des Betroffenen ist zu verlangen, dass diese sich während der Strafhaft nach außen manifestiert hat (Senat, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05).
14
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bestehen hieran keine Zweifel. Der Ausbruch der Psychose stellt hier deshalb eine "neue" Tat- sache dar, weil sich das vom Betroffenen aufgrund seiner vom Landgericht festgestellten negativen Entwicklung im Strafvollzug ausgehende Risiko noch erhöht hat. Der Betroffene lebt aufgrund eines paranoiden Wahnsystems selbst unter Medikation in seiner eigenen Welt. Aufgrund der Psychose hängt er verstärkt seiner Verschwörungstheorie an und glaubt, seine geschiedene Frau und Tochter ständen unter staatlichem Einfluss und Druck; in Wahrheit liebten sie ihn noch und warteten nach seiner Entlassung darauf, dass er zu ihnen zurückkehre. Bei dem krankheitsuneinsichtigen Betroffenen würde es im Falle seiner Entlassung zu einem Absetzen der Medikamente und damit zu einem Rezidiv des paranoiden Syndroms kommen. Er würde wieder Kontakt mit beiden aufnehmen , bei einer Konfrontation mit den früheren Erlebnissen affektiv entgleisen und fremdaggressiv reagieren. Zu erwarten ist insbesondere, dass der Betroffene seine wahnhaften Vorstellungen mit gewalttätigen Mitteln durchsetzen wird und hiervon nicht nur seine Familie, sondern auch Dritte, insbesondere staatliche Organe betroffen sein werden, die der Betroffene für seine Inhaftierung verantwortlich macht. Die Krankheit des Betroffenen ist auch durch sein Verhalten, insbesondere seine Äußerungen im Vollzug, den Inhalt von an seine Tatopfer gerichteten Briefen und den Verlauf eines Besuches seiner Tochter in der Justizvollzugsanstalt hinreichend nach außen getreten.
15
d) Das Landgericht hat diese Gesichtspunkte auch in eine umfangreiche Gesamtwürdigung einbezogen und ist unter Berücksichtigung der Person des Betroffenen, insbesondere seiner bereits ungeachtet der psychischen Erkrankung bestehenden Persönlichkeitsstörung, der Anlasstaten sowie ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betroffene in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB begehen wird. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
16
5. Der Senat weist darauf hin, dass es sich angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen für die nach Vollzugsbeginn zuständige Strafvollstreckungskammer empfehlen wird, die nachträgliche Überweisung in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 67a Abs. 2 StGB zu prüfen (zur fehlenden gesetzlichen Grundlage einer zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung "uno actu" vorgenommenen Überweisung vgl. Senat, Urteil vom 23. März 2006, - 1 StR 476/05).

II.


17
Das Landgericht hat die Tochter des Betroffenen, die bereits im Erkenntnisverfahren als Nebenklägerin zugelassen war, erneut als Nebenklägerin zugelassen und die ihr entstandenen notwendigen Auslagen gem. § 472 Abs. 1 StPO dem Betroffenen auferlegt. Vor der für das Revisionsverfahren veranlassten Kostenentscheidung hatte der Senat von Amts wegen die Berechtigung zum Anschluss der Nebenklage zu überprüfen (vgl. BGHSt 47, 202; Franke in KK 5. Aufl. § 473 Rdn. 9). Dies führt zu dem Ergebnis, dass dem Betroffenen die durch sein erfolgloses Rechtsmittel der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen nicht aufzuerlegen sind, da die Nebenklage im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zulässig ist (so bereits OLG Brandenburg NStZ 2006, 183).
18
Nach der gesetzlichen Regelung des § 395 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Nebenklage bei erhobener öffentlicher Klage oder einem Antrag im Sicherungsverfahren statthaft. Die ausdrückliche Zulassung der Nebenklage im Sicherungsverfahren geht dabei auf das im Anschluss an die Senatsentscheidung vom 18. Dezember 2001 (BGHSt 47, 202), in welcher in Abkehr von der bishe- rigen Rechtsprechung die Nebenklagefähigkeit des Sicherungsverfahrens anerkannt wurde, ergangene Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 (BGBl. I Seite 1354) zurück; sie bezieht sich demnach allein auf das in §§ 413 ff. StPO geregelte Verfahren zur selbständigen Anordnung von Maßnahmen der Besserung und Sicherung. Die für das Verfahren der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I Seite 1838) eingeführten Vorschriften der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f GVG enthalten demgegenüber keinen Verweis auf die Vorschriften über die Zulassung der Nebenklage. Gegen eine planwidrige, im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke spricht bereits die kurze Abfolge der Gesetzgebungsverfahren (vgl. OLG Brandenburg aaO); zudem ergeben sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzes über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BTDrucks. 15/2887) keine Hinweise, dass den Opfern der im Ausgangsverfahren abgeurteilten Straftaten gesonderte Beteiligungsbefugnisse eingeräumt werden sollten. Das Tatopfer hatte im Übrigen bereits im Ausgangsverfahren Gelegenheit, durch Erhebung der Nebenklage wegen der zu seinem Nachteil begangenen Taten seine persönlichen Interessen wahrzunehmen , wie dies auch hier der Fall war. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 306/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts
Amberg vom 24. März 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Verurteilten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
3
1. Der 51-jährige Verurteilte ist durch 14 Strafurteile, davon zwölf ausgesprochen durch Gerichte der ehemaligen DDR, überwiegend wegen Eigentums , Körperverletzungs- und Sexualdelikten vorgeahndet. Er befindet sich seit dem Jahr 1974 fast durchgehend in Straf- und Untersuchungshaft, unterbrochen durch nur kurze Zeiträume zwischen Haftentlassung und der Inhaftierung wegen erneuter Straftaten.
4
Einer Verurteilung durch das Kreisgericht Glauchau vom 4. April 1978 lag unter anderem zugrunde, dass der zweieinhalb Monate zuvor aus dem Strafvollzug entlassene Verurteilte sich Zugang zur Wohnung einer ihm unbekannten Frau verschaffte und diese bis zur Bewusstlosigkeit würgte. In einem weiteren, durch das Kreisgericht Glauchau am 7. Juni 1985 abgeurteilten Fall bedrohte der Verurteilte zwei Monate nach seiner letzten Haftentlassung die Angestellte eines Elektrogeschäftes mit einem Messer. Im Januar 1990, fünf Monate nach seiner letzten Entlassung aus Strafhaft, zwang der Verurteilte in seiner Wohnung eine Versicherungsvertreterin mit einem Messer, sich zu entkleiden und sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Er wurde wegen dieser Tat am 2. Juli 1990 vom Landgericht Amberg wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
5
2. Der Anlassverurteilung für das Verfahren zur nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung lag folgendes Geschehen zugrunde: Am 7. April 1993 - fünf Monate nach seiner letzten Entlassung aus Strafhaft - begab sich der Verurteilte in das Büro seiner Rechtsanwältin in S. und traf dort allein eine Kanzleiangestellte an. Der Verurteilte bedrohte die Angestellte mit einem mitgeführten Messer, fesselte sie mit Handschellen und führte den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss mit ihr aus. Hiernach drückte er der am Boden liegenden Frau den Hals zu, bis sie das Bewusstsein verlor. Das Landgericht Amberg verhängte gegen den Verurteilten deshalb am 12. April 1994 wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren (Einzelfreiheitsstrafen: zehn und drei Jahre).
6
In dem Verfahren ließ das Landgericht den Verurteilten zur Frage seiner Schuldfähigkeit durch eine psychiatrische Sachverständige begutachten. Die Sachverständige sah keine Hinweise auf eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Verurteilten. Nach den Ausführungen in einem psychologischen Zusatzgutachten handelt es sich bei dem Verurteilten allerdings um eine dissoziale, haltschwache Persönlichkeit, die keine soziale Bindungsfähigkeit aufweise und Affekte nur mangelhaft steuern könne. Die Sachverständige kam weiterhin zu dem Ergebnis, "dass die der Straftat zugrundeliegende Entwicklung (…) und die sich daraus ableitenden Probleme in der Lebensbewältigung auch nach einer Haftstrafe weiter bestehen werden (…). Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit gleichen Straftaten auch nach verbüßter Haftstrafe zu rechnen, insbesondere auch sexuellen Straftaten, falls keine entsprechenden psychotherapeutischen bzw. soziotherapeutischen Maßnahmen erfolgen."
7
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hatte die Staatsanwaltschaft nicht beantragt. Die Urteilsgründe verhalten sich zu dieser Frage nicht. Grund hierfür ist - wie das Landgericht nunmehr feststellt -, dass die gegen den Verurteilten in der ehemaligen DDR verhängten Vorstrafen, die bei Anwendung von § 66 Abs. 1 StGB aF heranzuziehen gewesen wären, seitens der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts als ungerechtfertigt hoch eingeschätzt wurden.
8
3. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Er bemühte sich erfolglos um die Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt mit einer sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualtäter, um sich einer entsprechenden Therapie zu unterziehen. Seine Gesuche an verschiedene Justizvollzugsanstalten wurden zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass eine Sozialtherapie wegen der langen Strafzeit verfrüht, später damit, dass es für sie wegen des nahen Strafendes zu spät sei. Während des laufenden Strafvollzuges nahm der Verurteilte an Gruppentherapien für Sexualstraftäter teil; zu einer hinreichenden Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit und seinen Delikten kam es dabei nach Einschätzung der behandelnden Psychologen allerdings nicht. Im Vollzugsalltag ist der Verurteilte wegen Disziplinarverstößen in insgesamt neun Fäl- len geahndet worden. Wegen aggressiven Verhaltens ist er während des gesamten Strafvollzuges nicht aufgefallen.
9
4. Das Landgericht geht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB aus. Es hat zwei psychiatrische Gutachten eingeholt, die beide zu dem Ergebnis kommen, dass bei dem Verurteilten eine Minderbegabung in Verbindung mit einer verfestigten dissozialen Persönlichkeitsstörung vorliege und von ihm unverändert weitere Straftaten zu erwarten seien. Umstände seit der Anlassverurteilung, die zu einer weiteren Verschlechterung der Prognose oder dazu geführt hätten, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten in einem neuen Licht erschiene, vermochten die Sachverständigen nicht zu erkennen.
10
Als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB hat das Landgericht gewertet , - dass der Verurteilte während des Strafvollzuges 1,3 Gramm Haschisch an einen anderen Strafgefangenen übergeben hat; - dass er seine Verlobte nur darüber informiert hat, dass er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, er sie über seine sonstige kriminelle Vergangenheit, insbesondere die gegen Frauen gerichteten früheren Gewalttaten dagegen nicht aufgeklärt hat; - dass es während des Strafvollzuges zu einvernehmlichen homosexuellen Kontakten zu einem Mithäftling gekommen ist; das Landgericht schließt hieraus, dass die Beziehungsfähigkeit des Verurteilten zu Frauen über sein bekanntes Persönlichkeitsbild hinaus gestört sei.

II.

11
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar zu Recht bejaht. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann jedoch keinen Bestand haben, weil den vom Landgericht herangezogenen Umständen nicht die Qualität "neuer Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB zukommt.
12
1. Wie der Bundesgerichtshof wiederholt betont hat, kommt der Vorschrift des § 66b StGB nur ein eng umgrenzter Anwendungsbereich zu (BGHSt 50, 121, 125; BGH NJW 2006, 1442, 1443 f. m.w.N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung besonderen Ausnahmefällen vorbehalten und auf wenige extrem gefährliche Verurteilte beschränkt bleiben (BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12 f.). Auch von Verfassungs wegen ist die Verhängung der Maßregel in Anbetracht der Schwere des damit verbundenen Eingriffs äußerst restriktiv zu handhaben (BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06). Hiernach bestimmen sich zugleich die Anforderungen, die an die von § 66b StGB vorausgesetzte Tatsachengrundlage zu stellen sind.
13
2. "Neue" Tatsachen der von § 66b Abs. 1 StGB umschriebenen Art sind zunächst nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind, und die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen können und erforderlichenfalls aufklären müssen, scheiden als "neue" Tatsachen aus (BGHSt 50, 121, 125 f.; 180, 187; 275, 278; BGH NJW 2006, 1442, 1444; zuletzt BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 125/06).
14
a) Danach reicht es nicht aus, wenn bereits im Ausgangsverfahren bekannte oder erkennbare Tatsachen im Verfahren nach § 66b StGB lediglich eine Neu- oder Umbewertung erfahren (BGHSt 50, 275, 279; BGH NStZ 2006, 276, 278; NJW 2006, 1442, 1445; BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Ebenso wenig können Tatsachen, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter Zustand aber lediglich bestätigt, als "neu" im Sinne des § 66b StGB gelten (BGHSt 50, 275, 279; BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 125/06). Dies gilt insbesondere für persönlichkeits- oder krankheitsbedingte Auffälligkeiten bei dem Verurteilten, die sich in seinem Verhalten nach der Anlassverurteilung lediglich fortsetzen. "Neu" und damit prognoserelevant im Rahmen von § 66b StGB wären derartige Tatsachen nur dann, wenn sie belegen, dass sich eine bekannte Störung des Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert hat, und sie seine Gefährlichkeit daher in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06).
15
Um einen solchen Fall nur fortgesetzter Auffälligkeiten auf Grundlage eines bekannten Störungsbildes handelt es sichhier. Dem früheren Tatrichter war bekannt, dass die Persönlichkeit des Verurteilten von ausgeprägten dissozialen Zügen gekennzeichnet war. Nach Einschätzung der im jetzigen Verfahren gehörten Sachverständigen, der sich das Landgericht angeschlossen hat, ist das Verhalten des Verurteilten im Vollzug nur Ausdruck dieser Persönlichkeitsdefizite. Danach steht die Beteiligung an einem Rauschgiftgeschäft innerhalb der Justizvollzugsanstalt mit der Dissozialität des Verurteilten im Einklang; auch die fehlende Offenheit gegenüber seiner Verlobten und die homosexuellen Kontakte im Vollzug belegen allenfalls eine mangelnde Beziehungsfähigkeit des Verurteilten als typisches Symptom seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung.
16
Dass der bereits im Ursprungsverfahren bekannte Zustand des Verurteilten und sein darauf beruhendes Gefährlichkeitspotential aufgrund seines Vollzugsverhaltens grundsätzlich neu einzuschätzen ist, hat das Landgericht nicht dargetan. Eine solche Bewertung stünde auch im Widerspruch zu der Einschät- zung der Sachverständigen, wonach das Verhalten des Verurteilten zu keiner weiteren Verschlechterung der Prognose geführt oder seine Gefährlichkeit auch nur entscheidend neu belegt hätte.
17
b) Das Landgericht bewertet unter Berufung auf eine in der Literatur vertretene Auffassung (Veh NStZ 2005, 310) die angeführten Tatsachen auch deshalb als "neu" im Sinne des § 66b StGB, weil sie für den ursprünglichen Tatrichter nicht "rechtlich erkennbar" gewesen seien; denn dieser sei in einen die Frage der Sicherungsverwahrung betreffenden Erkenntnisprozess überhaupt nicht eingetreten und habe für den Verurteilten daher auch keinen schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Senat vermag dem nicht zu folgen.
18
Ob Sicherungsverwahrung bei Aburteilung der Anlasstat bereits obligatorisch nach § 66 Abs. 1 StGB aF hätte verhängt werden müssen oder Anhaltspunkte bestanden, dass die Strafverurteilungen aus der ehemaligen DDR als unangemessen hart anzusehen waren und daher nicht hätten berücksichtigt werden können (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 10), kann auf sich beruhen. Jedenfalls lagen - wie auch das Landgericht nicht verkennt - bei der Anlassverurteilung die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gem. § 66 Abs. 2 StGB aF vor. Angesichts der Vorstrafen des Verurteilten und der Ausführungen der damaligen Sachverständigen hätte die Anordnung der Maßregel auch nahe gelegen.
19
Das Verfahren nach § 66b StGB dient jedoch nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind (BGHSt 50, 121, 126; 180, 188). Dies gilt erst recht, wenn eine Prüfung der Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren rechtsfehlerhaft gänzlich unterblieben ist. Selbst wenn ein Verurteilter sich unter solchen Umständen am Ende der Strafhaft unverändert als hochgefährlich erweist, scheidet eine Abhilfe mit dem Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung aus zwingenden rechtlichen Gründen aus.
20
3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin voraus, dass die nachträglich erkennbaren Tatsachen jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen (vgl. BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12). Ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung müssen sie bereits für sich Gewicht haben und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten schließen lassen (BGHSt 50, 284, 296 f. m.w.N.). Vorfälle im Vollzug können die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung daher nur rechtfertigen, wenn sie auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit , die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen. Verhaltensweisen , die sich auf die Vollzugssituation zurückführen lassen und sich für Strafgefangene als typisch oder doch weit verbreitet darstellen, fallen nicht darunter (BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06; BGHSt 50, 284, 297; BGH NJW 1446, 1447 f.).
21
Auch dieser Anforderung werden die von dem Landgericht herangezogenen Umstände nicht gerecht. Sie sind nicht derart bedeutsam, dass ihnen eine tragfähige Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten zukommt. Die Weitergabe einer geringen Menge Haschisch stellt eine Straftat im unteren Bereich dar, aus der sich eine Gewaltbereitschaft des Verurteilten ebenso wenig ablesen lässt wie aus der vom Landgericht vermissten Offenlegung seines gesamten kriminellen Lebenslaufes gegenüber seiner Verlobten, zumal diese Kenntnis von den Anlasstaten hatte. Die einvernehmlichen homosexuellen Handlungen lassen für sich genommen gleichfalls keinen Rückschluss auf aggressive Tendenzen des Verurteilten zu. Auch in ihrer Zusammenschau gewinnen die einzelnen Umstände keine erhebliche Bedeutung. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten fällt insgesamt nicht aus dem für Langzeitstrafgefangene typischen Rahmen, wie das Landgericht im Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen selbst feststellt.

III.

22
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Er vermag nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass sich in einer erneuten Hauptverhandlung Gesichtspunkte ergeben, die die Annahme hinreichender neuer Tatsachen im Sinne des § 66b StGB und eine darauf gestützte Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen können.
23
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Richter wird alsbald darüber zu befinden haben, ob die Fortdauer der vorläufigen Unterbringung des Verurteilten aus dringenden Gründen weiterhin gerechtfertigt ist (§ 275a Abs. 5, § 126a Abs. 3 StPO). Sollte eine Aufhebung des Unterbringungsbefehles - auch im Falle der Ablehnung des staatsanwaltschaftlichen Antrages auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - in Betracht kommen, werden organisatorische Maßnahmen angezeigt sein, die bei Entlassung des Verurteilten greifen und geeignet sind, das Rückfallrisiko zu mindern (vgl. näher BGH NJW 2006, 1442, 1445 f.). Im Einzelfall können solche Maßnahmen nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch als milderes Mittel an die Stelle der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung treten (BVerfG, Kammer , Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 26/06). Neben der Entlassenenhilfe (§§ 74 f., 126 StVollzG) bietet sich insbesondere eine engmaschige Leitung des Verurteilten durch Ausschöpfung der Möglichkeiten der hier gem. § 68f Abs. 1 StGB kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht an (§§ 68 ff. StGB).
Hierdurch wird zu vermeiden sein, dass der noch immer als hochgefährlich eingeschätzte Verurteilte nach langjähriger Haft ohne Unterkunft, soziale Anbindung - das Verlöbnis ist zwischenzeitlich aufgelöst - und weitere therapeutische Unterstützung unvermittelt in Freiheit entlassen wird und sich dort selbst überlassen bleibt. Wahl Schluckebier Kolz Hebenstreit Elf

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;
2.
das Personenstandswesen;
3.
das Vereinsrecht;
4.
das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer;
5.
(weggefallen)
6.
die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen;
7.
die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht);
8.
(weggefallen)
9.
die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;
10.
die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft;
11.
das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte;
12.
das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung;
13.
die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung;
14.
das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt;
15.
die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft;
16.
die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;
17.
die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;
18.
den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;
19.
Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte;
19a.
die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze;
20.
das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;
21.
die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;
22.
den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen;
23.
die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen;
24.
die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm);
25.
die Staatshaftung;
26.
die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen;
27.
die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung;
28.
das Jagdwesen;
29.
den Naturschutz und die Landschaftspflege;
30.
die Bodenverteilung;
31.
die Raumordnung;
32.
den Wasserhaushalt;
33.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Vorschriften über die Strafvollstreckung gelten für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) § 453 gilt auch für die nach den §§ 68a bis 68d des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen.

(3) § 454 Abs. 1, 3 und 4 gilt auch für die nach § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 und 3, § 67e Abs. 3, den §§ 68e, 68f Abs. 2 und § 72 Abs. 3 des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 68e des Strafgesetzbuches bedarf es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nicht. § 454 Abs. 2 findet in den Fällen des § 67d Absatz 2 und 3 und des § 72 Absatz 3 des Strafgesetzbuches unabhängig von den dort genannten Straftaten sowie bei Prüfung der Voraussetzungen des § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches auch unabhängig davon, ob das Gericht eine Aussetzung erwägt, entsprechende Anwendung, soweit das Gericht über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat; im Übrigen findet § 454 Abs. 2 bei den dort genannten Straftaten Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 des Strafgesetzbuches hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen namentlich zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, rechtzeitig vor einer Entscheidung nach § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches einen Verteidiger.

(4) Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger.

(5) § 455 Abs. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet ist. Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden und verfällt der Verurteilte in Geisteskrankheit, so kann die Vollstreckung der Maßregel aufgeschoben werden. § 456 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist.

(6) § 462 gilt auch für die nach § 67 Absatz 3, 5 Satz 2 und Absatz 6, den §§ 67a und 67c Abs. 2, § 67d Abs. 5 und 6, den §§ 67g, 67h und 69a Abs. 7 sowie den §§ 70a und 70b des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches ist der Verurteilte mündlich zu hören. Das Gericht erklärt die Anordnung von Maßnahmen nach § 67h Abs. 1 Satz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs für sofort vollziehbar, wenn erhebliche rechtswidrige Taten des Verurteilten drohen.

(7) Für die Anwendung des § 462a Abs. 1 steht die Führungsaufsicht in den Fällen des § 67c Abs. 1, des § 67d Abs. 2 bis 6 und des § 68f des Strafgesetzbuches der Aussetzung eines Strafrestes gleich.

(8) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger. Die Bestellung hat rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen und gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 476/05
vom
23. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. März 2006 in der Sitzung am 23. März 2006, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 10. Juni 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Betroffenen die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn sogleich in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Betroffenen, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der im Jahr 1934 geborene Betroffene erlitt 1955 bei einem Motorradunfall eine Schädelbasisfraktur, in deren Folge es bei ihm zu einer organischen Persönlichkeitsstörung kam. Ein schon damals festgestellter frontaler Hirnsubstanzdefekt führte zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau. 1994 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, im selben Jahr auch wegen dreier Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte ein Kind jeweils auf den Arm genommen, ihm unter dem T-Shirt an die Brust und über der Kleidung an die Scheide gefasst und ihm schließlich Zungenküsse gegeben. Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach Verlängerung der Bewährungszeit wurde die Freiheitsstrafe Ende 1997 erlassen.
4
Das Landgericht Passau verurteilte den Betroffenen schließlich am 16. März 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen jeweils zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe; sog. Anlassverurteilung in dieser Sache). Er hatte im Sommer 1986 von der damals 12-jährigen Tochter einer Frau, deren Liebhaber er war, den Geschlechtsverkehr erzwungen, indem er dem Kind drohte, sonst seine Schwester "zu gebrauchen". Da sich das Mädchen nicht einschüchtern ließ und sich wehrte, packte er es, riss ihm die Hose herunter und warf es auf eine Couch. Er drückte es an den Schultern nieder und führte den ungeschützten Verkehr bis zum Samenerguss durch. Zwei Wochen nach diesem Vorkommnis wiederholte sich der Vorgang. Wegen zweier ähnlich liegender Taten zum Nachteil der Schwester des Opfers stellte das Landgericht das Verfahren wegen Verjährung ein.
5
Der Betroffene verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Für die Zeit nach der Vollstreckung der Strafe ordnete das Landgericht Bayreuth mit Beschluss vom 6. Februar 2002 für die Dauer von fünf Jahren Führungsaufsicht an und brachte den Betroffenen darüber hinaus mit Beschluss vom 10. April 2002 nach dem Bayerischen Gesetz zur Unterbringung besonders rückfallgefährdeter hochgefährlicher Straftäter (BayStrUBG) unbefristet in einer Justiz- vollzugsanstalt unter. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2003 wurde der Vollzug dieser Anordnung für die Dauer eines Jahres ausgesetzt und dem Betroffenen auferlegt, in einem Seniorenhaus Aufenthalt zu nehmen. Da es dort im Januar und Februar 2004 zu sexuellen Übergriffen auf demente Mitbewohnerinnen kam, widerrief die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. März 2004 die Aussetzung. Der Betroffene wurde wieder in den Unterbringungsvollzug genommen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Bundesländern mit Urteil vom 10. Februar 2004 die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass landesrechtlicher sicherungsverwahrender Vorschriften aus verfassungsrechtlichen Gründen abgesprochen und die Geltung solcher Bestimmungen bis zum 30. September 2004 befristet hatte (BVerfGE 109, 190), überwies die Strafvollstreckungskammer den Betroffenen nach § 67a Abs. 2 StGB in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dort befindet er sich seither, mittlerweile aufgrund Unterbringungsbeschlusses nach § 275a Abs. 5 StPO.
6
2. Unter der Zwischenüberschrift "Neuere Entwicklung des Betroffenen" hat die Strafkammer sodann weiter festgestellt:
7
Der Betroffene unterzog sich während des Strafvollzugs nach seiner Verurteilung im Jahr 1999 wegen der beiden 1986 begangenen Vergewaltigungstaten keinerlei psychotherapeutischen Maßnahmen. Eine Sexualtherapie lehnte er stets ab. Ebenso stritt er auch in der Haft die Taten ab und entzog somit möglichen therapeutischen Maßnahmen jegliche Grundlage. Aufgrund bestehender Störungen im kognitiven Bereich und im Hinblick auf die während der Haftzeit fortgeschrittene hirnorganische Persönlichkeitsstörung vermag er die Grenzen zu sexuell deviantem Verhalten nicht zu erkennen und nicht zu reflektieren.
8
Dies führte dazu, dass er sich während seines Aufenthalts in dem Seniorenhaus wiederholt an Mitbewohnerinnen heranmachte, diese an Orte verbrachte , welche vom Pflegepersonal nicht beobachtet wurden, dort deren Unterkörper entkleidete und ihnen die Windelhose öffnete oder die Unterhose auszog , um sich daran sexuell zu ergötzen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Vorfälle:
9
- Am 14. Januar 2004 fand eine Pflegekraft die an ausgeprägter Demenzerkrankung leidende Heimbewohnerin B. im Zimmer des Betroffenen mit völlig entkleidetem Unterkörper vor, während sich der Betroffene im Badezimmer aufhielt und gerade dabei war seine Hose hochzuziehen.
10
- Am 2. Februar 2004 öffnete der Betroffene im Zimmer der ausgeprägt demenzkranken Bä. deren Windelhose und fasste sie am Intimbereich an. Dabei wurde er von einer Pflegerin angetroffen, die "ihn schimpfte" und fortschickte.
11
- Am 14. Februar 2004 kam eine Pflegekraft hinzu, als er Frau Bä. eine "doppelte Windelhose" machte, indem er ihr die Unterhose auszog und über der Windel eine grüne Windel anzog.
12
- An einem weiteren nicht näher bestimmbaren Tag im Januar oder Februar 2004 traf eine Pflegekraft den Betroffenen dabei an, wie er Frau Bä. auf dem Gang vor den Zimmern von oben in das T-Shirt langte und an ihrer Brust manipulierte.
13
3. Bei seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht angenommen, dass vom Betroffenen eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung Anderer ausgehe. Krankheitsbedingt sei bei ihm keine Reflektionsfähigkeit mehr vorhanden. Aufgrund seiner organischen Persönlichkeitsstörung sei er nicht mehr in der Lage, im Sexualbereich Grenzen zu erkennen. Wegen seiner erstmals in der Haft aufgetretenen Erektionsstörungen sei auch nach Auffassung der beiden gehörten Sachverständigen erfahrungsgemäß mit der Zuwendung zu immer jüngeren Kindern als Ersatzobjekten zu rechnen, von denen kein unüberwindbarer Widerstand zu erwarten sei, ebenso aber auch mit Ersatzhandlungen und impulsiven Übersprungshandlungen. Diese Entwicklung des Betroffenen spiegele sich in seinen Taten im Seniorenheim wider, wo er sich zwar nicht mehr an Kindern, aber doch an widerstandsunfähigen Personen vergangen habe. Bei ihm liege eine sexuelle Störung mit Steigerung der sexuellen Appetenz vor. Auch wenn man Handlungen wie beispielsweise das "Begrabschen" nicht als erheblich einstufen wolle, so gehe vom Betroffenen gleichwohl eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung Anderer aus. Angesichts der kognitiven Defizite und der mangelnden Reflektionsfähigkeit des Betroffenen bestehe situationsbedingt immer die konkrete Gefahr, dass sich - ausgehend von den Reaktionen des Opfers - auch gravierende Straftaten entwickeln könnten.
14
4. Das Landgericht geht bei seiner rechtlichen Würdigung vom Vorliegen der Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung aus und knüpft an die Verurteilung durch das Landgericht Passau vom 16. März 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen an (§ 66b Abs. 1 StGB). Der Hang des Betroffenen, erhebliche Straftaten zu begehen, werde durch die Vorstrafen wegen der Vergewaltigung junger Mädchen belegt. Dieser Hang habe weder während der Haft noch wegen des fortgeschrittenen Alters des Betroffenen ein Ende gefunden. Aufgrund der organischen Persönlichkeitsstörung wirke sich das zunehmende Alter vielmehr sogar gefahrerhöhend aus.
15
Vor Ende der Haftzeit seien Tatsachen erkennbar geworden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinwiesen. Er habe während der Haftzeit jegliche Sexualtherapie verweigert und sei nicht therapiefähig , weil er die begangenen Taten immer geleugnet habe. Krankheitsbedingt fehle ihm die Reflektionsfähigkeit über ein mögliches sexualdeviantes Verhalten. Das beruhe auf der organischen Persönlichkeitsstörung als Nachwirkung eines unfallbedingten Hirnsubstanzdefekts, der zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau führe. Bei den genannten Gesichtspunkten handele es sich "allesamt um Umstände, die erst in der Haft aufgetreten bzw. - wie der hirnorganische Abbau - fortgeschritten" seien. Die Vorfälle im Seniorenheim belegten die geschilderten Tatsachen bezüglich der Entwicklung des Betroffenen , deren Ursachen und Fortschritt erst in der Haft erkennbar geworden seien.
16
5. Die mit dem Urteil ausgesprochene Überweisung des Betroffenen in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begründet die Strafkammer damit, dass diese von beiden Sachverständigen ausdrücklich empfohlen worden sei. Die organische Persönlichkeitsstörung des Betroffenen und die Auffälligkeiten unterstrichen das Erfordernis einer hochqualifizierten therapeutischen und pflegerischen Betreuung. Dort könne auch erprobt werden, ob durch eine etwaige medikamentöse Intervention die Verhaltensauffälligkeiten gebessert werden könnten. Deshalb halte auch die Kammer die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus für sachgemäß. Dafür biete das Gesetz aber gegenwärtig keine ausdrückliche Möglichkeit. Zwar sei parallel zum gegenständlichen Verfahren betreffend die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung ein objektives Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff. StPO beim Landgericht Hof anhängig. Dessen Gegenstand sei der sexuelle Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, nämlich der demenzkranken Frau Bä. (Manipulation an der Brust; vgl. oben, vierter Vorfall). Der Ausgang jenes Verfahrens sei für die Kammer jedoch nicht absehbar und nicht beeinflussbar. Die unmittelbare Anwendung des § 67a Abs. 2 StGB sei nicht möglich. Der Fall zeige jedoch, dass hier ein Bedürfnis für eine gleichzeitige resozialisie- rungsfördernde Überweisung in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bestehe, obgleich die Anordnungsvoraussetzungen für diese Maßnahme (§ 63 StGB) nicht vorlägen.

II.


17
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es läßt besorgen , das Landgericht könne Umstände als "neue Tatsachen" im Sinne der gesetzlichen Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 StGB) behandelt haben, die von Rechts wegen nicht berücksichtigungsfähig sind oder bei denen dies nach den Urteilsgründen zumindest zweifelhaft ist und unklar bleibt. Das erweist sich als Darlegungs- und Erörterungsmangel , der zur Aufhebung des Urteils führt.
18
1. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt voraus, dass vor Ende des Vollzuges der Freiheitsstrafe aus der Anlassverurteilung Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66b Abs. 1 StGB). "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Anlassverurteilung) und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NJW 2006, 531, 535). Aber auch Umstände, die für einen sorgfältigen Tatrichter bei der Anlassverurteilung erkennbar oder aufklärungsbedürftig waren, sind nicht neu im Sinne des § 66b StGB (BGH NStZ 2006, 155, 156). Darüber hinaus müssen die neuen Tatsachen eine "gewisse Erheblichkeitsschwelle" überschreiten (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 12). Sie müssen schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdi- gung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens , der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535).
19
2. Die vom Landgericht angeführte "neuere Entwicklung" des Betroffenen weist Tatsachen aus, die die Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen vermögen.
20
Die Strafkammer hat in einem eigenständigen Abschnitt der Urteilsgründe die "neuere Entwicklung" des Betroffenen dargestellt. Dabei hat sie seine fehlende Therapiebereitschaft und sein Bestreiten der Anlasstaten auch in der Strafhaft, den fortschreitenden hirnorganischen Abbau sowie die sexualbezogenen Verhaltensweisen im Umgang mit demenzkranken pflegebedürftigen Frauen während seines Aufenthaltes in einem Seniorenheim angeführt. Diese Gesichtspunkte hat sie auch in der abschließenden rechtlichen Bewertung aufgegriffen , aber nicht verdeutlicht, ob sie in bestimmten Umständen etwa keine neuen Tatsachen gesehen und diese lediglich bei der Gesamtwürdigung und Prognose herangezogen hat. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe spricht eher dafür, dass sie in allen Umständen, die sie unter der "neueren Entwicklung" des Betroffenen aufgeführt hat, neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB gesehen hat. Insoweit gilt:
21
a) Die sexualbezogenen Vorfälle im Seniorenheim haben hier als "neue Tatsachen" von vornherein außer Betracht zu bleiben, weil sie sich nicht während des Vollzuges der Freiheitsstrafe ereignet haben. Vielmehr befand sich der Betroffene in dem in Rede stehenden Zeitraum in einer nachträglichen landes- rechtlichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die ausgesetzt war. Für diese sog. Übergangsfälle hat der Gesetzgeber nochmals ausdrücklich das bestätigt, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 66b Abs. 1 StGB ergibt: Umstände aus der landesrechtlichen Unterbringung (nach BayStrUBG) sind keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66b StGB (Art. 1a Satz 2 EGStGB; so auch die Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 20). Sie können allenfalls bei der anzustellenden Gefährlichkeitsprognose mit berücksichtigt werden (vgl. Gesetzesbegründung aaO).
22
b) Hinsichtlich der danach verbleibenden Umstände, die als "neue Tatsachen" im Sinne des Gesetzes nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht eindeutig entnehmen, ob sie bereits für den früheren Tatrichter erkennbar oder ihm sogar bekannt waren. Die Strafkammer hat sich damit nicht in nachprüfbarer Weise auseinandergesetzt. In den Urteilsgründen klingt jedoch an, dass der Betroffene die Anlasstaten auch schon im Erkenntnisverfahren bestritten hat. Dies ist dem Senat auch aufgrund seiner Befassung mit der seinerzeitigen Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 16. März 1999 bekannt (1 StR 547/99). Damit liegt nahe, dass auch in der Therapieverweigerung des Betroffenen keine neue Tatsache gesehen werden kann; das wäre nur dann der Fall, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt der Verurteilung davon hätte ausgehen können, der Betroffene werde sich im Strafvollzug einer Erfolg versprechenden Therapie unterziehen (BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 = NStZ 2006, 155; Beschluss vom 19. Januar 2006 - 4 StR 393/05 - Umdruck S. 12; vgl. zur eingeschränkten Bedeutung fehlender Therapiebereitschaft weiter BVerfGE 109, 190, 241; BGH NJW 2005, 2022, 2024; Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 15/3346, S. 17).
23
c) Ähnlich liegt es für den vom Landgericht festgestellten frontalen Hirnsubstanzdefekt, der sich in der Folge eines schweren Motorradunfalls entwickelt hat, den der Betroffene bereits im Jahr 1955 erlitt. Schon in früherer Zeit war bei ihm ersichtlich in dessen Folge bei strafbaren Handlungen eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen. Das Landgericht hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit es sich bei dieser Entwicklung um eine schon für den Tatrichter der Anlasstat erkennbare neue Tatsache gehandelt hat und, wenn ja, ob gegebenenfalls allein das Fortschreiten des Hirnsubstanzdefekts als einzig verbleibende neue Tatsache die Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnte (vgl. für einen erstmals festgestellten frontal betonten Hirnsubstanzdefekt als "neue Tatsache" BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - Umdruck S. 6 = NStZ 2006, 155, 156). Das Revisionsgericht vermag diese Bewertung, die tatrichterliche Aufgabe ist, grundsätzlich nicht zu ersetzen.
24
3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann mithin keinen Bestand haben. Schon deshalb entfällt auch die zugleich ausgesprochene Überweisung des Betroffenen in den Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB. Diese rechtliche Bewertung entspricht insoweit auch dem vom Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung gestellten Antrag, der von seiner Antragsschrift abweicht.

III.


25
Der Senat sieht im Blick auf die erforderliche Neuverhandlung der Sache Anlass zu den nachfolgenden Hinweisen:
26
1. Das Landgericht, dem die durch den Bundesgerichtshof herausgebildeten Maßstäbe zur Auslegung des § 66b StGB zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht bekannt sein konnten, wird nunmehr zu prüfen haben, ob neue, erstmals in der Strafhaft des Betroffenen hervorgetretene erhebliche Tatsachen feststellbar sind, die bei Aburteilung der Anlasstaten nicht erkennbar waren. Auf dieser Grundlage wird die Frage eines Hanges des Betroffenen zur Begehung von Sexualstraftaten und seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB erneut zu beurteilen sein. Bei der Gefährlichkeitsprognose allerdings kann seine gesamte Entwicklung in den Blick genommen werden (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 20). Im Einzelnen wird das Landgericht auch Folgendes zu bedenken haben:
27
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist die schwerste Unrechtsfolge , die zum Strafrecht im weiteren Sinne gehört (BVerfGE 109, 190, 211 ff.; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - Umdruck S. 7). Sie ist als letztes Mittel in seltenen Fällen für extrem gefährliche Täterpersönlichkeiten gerechtfertigt (BVerfGE 109, 190, 242). Ihre Anwendung ist nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv zu handhaben (Gesetzesbegründung, aaO, S. 10, 12 f.; BVerfGE aaO, S. 236; BGH aaO, S. 8 m.w.N.). Daran hat sich die Auslegung der Vorschrift zu orientieren.
28
Die neue Strafkammer wird weiter im Auge zu behalten haben, dass "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit , der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer durch den Betroffenen hindeuten müssen (BGH NJW 2006, 531, 535). Soweit hier letztlich allein das Fortschreiten des Hirnabbaus des Betroffenen infrage stehen sollte, wird zudem zu verlangen sein, dass dieser sich nach außen während der Strafhaft in irgendeiner Form manifestiert und ausgedrückt hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit einer Rücknahme des Antrags der Staatsanwaltschaft hin (vgl. dazu BGH NJW 2006, 852, 853 Rdn. 10 f.).
29
2. Zudem wird es nahe liegen, dem objektiven Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO, § 63 StGB) beim Landgericht Hof Fortgang zu geben und gegebenenfalls dort einstweilige Maßnahmen zu treffen, mag in jenem Verfahren auch die Erheblichkeit der rechtswidrigen Tat besonders prüfungsbedürftig erscheinen (§ 184f Nr. 1 StGB; vgl. zur daneben bestehenden Möglichkeit der landesrechtlichen Unterbringung auch § 1 Abs. 1 BayUntbrG). Dem anhängigen Sicherungsverfahren kommt allerdings hier kein Vorrang zu, weil die dort gegenständlichen Vorfälle sich nach der Entlassung des Betroffenen aus der Strafhaft ereignet haben. Wäre dies anders und erwiesen sie sich zugleich als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB, so wäre das Sicherungsverfahren , das ebenfalls den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, vorrangig zu betreiben (vgl. zum Vorrang des Erkenntnisverfahrens, wenn dort die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung besteht: BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - Umdruck S. 10 f.).
30
3. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass die vom Landgericht sogleich ("uno actu") mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erfolgte Überweisung des Betroffenen in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (nach § 67a Abs. 2 StGB i. V. m. § 63 StGB) dem Zustand des Betroffenen zwar in praktischer Hinsicht Rechnung trägt, aber rechtlichen Bedenken begegnet. Diese hat das Landgericht gesehen, indes an- genommen, sie aus Gründen praktischer Bedürfnisse vernachlässigen zu dürfen.
31
Die Überweisung in die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus darf nicht zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ausgesprochen werden. Der Gesetzgeber hat wohl im Grundsatz für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel offen halten wollen. Darauf deuten die Materialien hin, denen zufolge die Überweisungsvorschrift des § 67a Abs. 2 StGB auch bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung anwendbar sein soll (Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 14; in diese Richtung auch BVerfGE 109, 190, 242 f.). Für die Überweisung ist jedoch die Strafvollstreckungskammer zuständig. Bei einer Entscheidung durch die Strafkammer würde nicht der gesetzliche Richter tätig (so schon BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06 - Umdruck S. 10). Angesichts des Gewichts des Eingriffs einer nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in das Freiheitsgrundrecht hält es der Senat zudem ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für nicht statthaft, durch eine "uno actu" ausgesprochene Überweisung in die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gewissermaßen auf diesem Umwege die nachträgliche Unterbringung in der Maßregel des § 63 StGB einzuführen. Hätte der Gesetzgeber diese Möglichkeit schaffen wollen, so hätte das ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung bedurft.
32
Hält man die Überweisungsvorschrift für anwendbar, so ist sie demzufolge ihrem Wortlaut gemäß auszulegen: Die Überweisung ist "nachträglich" möglich , wenn dadurch die Resozialisierung des Betroffenen besser gefördert werden kann (§ 67a Abs. 2 StGB), insbesondere die dort mögliche Behandlung oder auch nur Betreuung seinem Zustand am ehesten gerecht zu werden vermag.
33
Das Landgericht hat all dies im rechtlichen Ansatz selbst so gesehen, sich jedoch zur Schließung der von ihm angenommenen Gesetzeslücke berechtigt erachtet. Der Senat vermag dem nicht beizupflichten. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 306/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts
Amberg vom 24. März 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Verurteilten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
3
1. Der 51-jährige Verurteilte ist durch 14 Strafurteile, davon zwölf ausgesprochen durch Gerichte der ehemaligen DDR, überwiegend wegen Eigentums , Körperverletzungs- und Sexualdelikten vorgeahndet. Er befindet sich seit dem Jahr 1974 fast durchgehend in Straf- und Untersuchungshaft, unterbrochen durch nur kurze Zeiträume zwischen Haftentlassung und der Inhaftierung wegen erneuter Straftaten.
4
Einer Verurteilung durch das Kreisgericht Glauchau vom 4. April 1978 lag unter anderem zugrunde, dass der zweieinhalb Monate zuvor aus dem Strafvollzug entlassene Verurteilte sich Zugang zur Wohnung einer ihm unbekannten Frau verschaffte und diese bis zur Bewusstlosigkeit würgte. In einem weiteren, durch das Kreisgericht Glauchau am 7. Juni 1985 abgeurteilten Fall bedrohte der Verurteilte zwei Monate nach seiner letzten Haftentlassung die Angestellte eines Elektrogeschäftes mit einem Messer. Im Januar 1990, fünf Monate nach seiner letzten Entlassung aus Strafhaft, zwang der Verurteilte in seiner Wohnung eine Versicherungsvertreterin mit einem Messer, sich zu entkleiden und sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Er wurde wegen dieser Tat am 2. Juli 1990 vom Landgericht Amberg wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
5
2. Der Anlassverurteilung für das Verfahren zur nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung lag folgendes Geschehen zugrunde: Am 7. April 1993 - fünf Monate nach seiner letzten Entlassung aus Strafhaft - begab sich der Verurteilte in das Büro seiner Rechtsanwältin in S. und traf dort allein eine Kanzleiangestellte an. Der Verurteilte bedrohte die Angestellte mit einem mitgeführten Messer, fesselte sie mit Handschellen und führte den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss mit ihr aus. Hiernach drückte er der am Boden liegenden Frau den Hals zu, bis sie das Bewusstsein verlor. Das Landgericht Amberg verhängte gegen den Verurteilten deshalb am 12. April 1994 wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren (Einzelfreiheitsstrafen: zehn und drei Jahre).
6
In dem Verfahren ließ das Landgericht den Verurteilten zur Frage seiner Schuldfähigkeit durch eine psychiatrische Sachverständige begutachten. Die Sachverständige sah keine Hinweise auf eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Verurteilten. Nach den Ausführungen in einem psychologischen Zusatzgutachten handelt es sich bei dem Verurteilten allerdings um eine dissoziale, haltschwache Persönlichkeit, die keine soziale Bindungsfähigkeit aufweise und Affekte nur mangelhaft steuern könne. Die Sachverständige kam weiterhin zu dem Ergebnis, "dass die der Straftat zugrundeliegende Entwicklung (…) und die sich daraus ableitenden Probleme in der Lebensbewältigung auch nach einer Haftstrafe weiter bestehen werden (…). Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit gleichen Straftaten auch nach verbüßter Haftstrafe zu rechnen, insbesondere auch sexuellen Straftaten, falls keine entsprechenden psychotherapeutischen bzw. soziotherapeutischen Maßnahmen erfolgen."
7
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hatte die Staatsanwaltschaft nicht beantragt. Die Urteilsgründe verhalten sich zu dieser Frage nicht. Grund hierfür ist - wie das Landgericht nunmehr feststellt -, dass die gegen den Verurteilten in der ehemaligen DDR verhängten Vorstrafen, die bei Anwendung von § 66 Abs. 1 StGB aF heranzuziehen gewesen wären, seitens der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts als ungerechtfertigt hoch eingeschätzt wurden.
8
3. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Er bemühte sich erfolglos um die Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt mit einer sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualtäter, um sich einer entsprechenden Therapie zu unterziehen. Seine Gesuche an verschiedene Justizvollzugsanstalten wurden zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass eine Sozialtherapie wegen der langen Strafzeit verfrüht, später damit, dass es für sie wegen des nahen Strafendes zu spät sei. Während des laufenden Strafvollzuges nahm der Verurteilte an Gruppentherapien für Sexualstraftäter teil; zu einer hinreichenden Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit und seinen Delikten kam es dabei nach Einschätzung der behandelnden Psychologen allerdings nicht. Im Vollzugsalltag ist der Verurteilte wegen Disziplinarverstößen in insgesamt neun Fäl- len geahndet worden. Wegen aggressiven Verhaltens ist er während des gesamten Strafvollzuges nicht aufgefallen.
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4. Das Landgericht geht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB aus. Es hat zwei psychiatrische Gutachten eingeholt, die beide zu dem Ergebnis kommen, dass bei dem Verurteilten eine Minderbegabung in Verbindung mit einer verfestigten dissozialen Persönlichkeitsstörung vorliege und von ihm unverändert weitere Straftaten zu erwarten seien. Umstände seit der Anlassverurteilung, die zu einer weiteren Verschlechterung der Prognose oder dazu geführt hätten, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten in einem neuen Licht erschiene, vermochten die Sachverständigen nicht zu erkennen.
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Als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB hat das Landgericht gewertet , - dass der Verurteilte während des Strafvollzuges 1,3 Gramm Haschisch an einen anderen Strafgefangenen übergeben hat; - dass er seine Verlobte nur darüber informiert hat, dass er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, er sie über seine sonstige kriminelle Vergangenheit, insbesondere die gegen Frauen gerichteten früheren Gewalttaten dagegen nicht aufgeklärt hat; - dass es während des Strafvollzuges zu einvernehmlichen homosexuellen Kontakten zu einem Mithäftling gekommen ist; das Landgericht schließt hieraus, dass die Beziehungsfähigkeit des Verurteilten zu Frauen über sein bekanntes Persönlichkeitsbild hinaus gestört sei.

II.

11
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar zu Recht bejaht. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann jedoch keinen Bestand haben, weil den vom Landgericht herangezogenen Umständen nicht die Qualität "neuer Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB zukommt.
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1. Wie der Bundesgerichtshof wiederholt betont hat, kommt der Vorschrift des § 66b StGB nur ein eng umgrenzter Anwendungsbereich zu (BGHSt 50, 121, 125; BGH NJW 2006, 1442, 1443 f. m.w.N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung besonderen Ausnahmefällen vorbehalten und auf wenige extrem gefährliche Verurteilte beschränkt bleiben (BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12 f.). Auch von Verfassungs wegen ist die Verhängung der Maßregel in Anbetracht der Schwere des damit verbundenen Eingriffs äußerst restriktiv zu handhaben (BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06). Hiernach bestimmen sich zugleich die Anforderungen, die an die von § 66b StGB vorausgesetzte Tatsachengrundlage zu stellen sind.
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2. "Neue" Tatsachen der von § 66b Abs. 1 StGB umschriebenen Art sind zunächst nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind, und die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen können und erforderlichenfalls aufklären müssen, scheiden als "neue" Tatsachen aus (BGHSt 50, 121, 125 f.; 180, 187; 275, 278; BGH NJW 2006, 1442, 1444; zuletzt BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 125/06).
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a) Danach reicht es nicht aus, wenn bereits im Ausgangsverfahren bekannte oder erkennbare Tatsachen im Verfahren nach § 66b StGB lediglich eine Neu- oder Umbewertung erfahren (BGHSt 50, 275, 279; BGH NStZ 2006, 276, 278; NJW 2006, 1442, 1445; BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Ebenso wenig können Tatsachen, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter Zustand aber lediglich bestätigt, als "neu" im Sinne des § 66b StGB gelten (BGHSt 50, 275, 279; BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 125/06). Dies gilt insbesondere für persönlichkeits- oder krankheitsbedingte Auffälligkeiten bei dem Verurteilten, die sich in seinem Verhalten nach der Anlassverurteilung lediglich fortsetzen. "Neu" und damit prognoserelevant im Rahmen von § 66b StGB wären derartige Tatsachen nur dann, wenn sie belegen, dass sich eine bekannte Störung des Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert hat, und sie seine Gefährlichkeit daher in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06).
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Um einen solchen Fall nur fortgesetzter Auffälligkeiten auf Grundlage eines bekannten Störungsbildes handelt es sichhier. Dem früheren Tatrichter war bekannt, dass die Persönlichkeit des Verurteilten von ausgeprägten dissozialen Zügen gekennzeichnet war. Nach Einschätzung der im jetzigen Verfahren gehörten Sachverständigen, der sich das Landgericht angeschlossen hat, ist das Verhalten des Verurteilten im Vollzug nur Ausdruck dieser Persönlichkeitsdefizite. Danach steht die Beteiligung an einem Rauschgiftgeschäft innerhalb der Justizvollzugsanstalt mit der Dissozialität des Verurteilten im Einklang; auch die fehlende Offenheit gegenüber seiner Verlobten und die homosexuellen Kontakte im Vollzug belegen allenfalls eine mangelnde Beziehungsfähigkeit des Verurteilten als typisches Symptom seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung.
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Dass der bereits im Ursprungsverfahren bekannte Zustand des Verurteilten und sein darauf beruhendes Gefährlichkeitspotential aufgrund seines Vollzugsverhaltens grundsätzlich neu einzuschätzen ist, hat das Landgericht nicht dargetan. Eine solche Bewertung stünde auch im Widerspruch zu der Einschät- zung der Sachverständigen, wonach das Verhalten des Verurteilten zu keiner weiteren Verschlechterung der Prognose geführt oder seine Gefährlichkeit auch nur entscheidend neu belegt hätte.
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b) Das Landgericht bewertet unter Berufung auf eine in der Literatur vertretene Auffassung (Veh NStZ 2005, 310) die angeführten Tatsachen auch deshalb als "neu" im Sinne des § 66b StGB, weil sie für den ursprünglichen Tatrichter nicht "rechtlich erkennbar" gewesen seien; denn dieser sei in einen die Frage der Sicherungsverwahrung betreffenden Erkenntnisprozess überhaupt nicht eingetreten und habe für den Verurteilten daher auch keinen schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Senat vermag dem nicht zu folgen.
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Ob Sicherungsverwahrung bei Aburteilung der Anlasstat bereits obligatorisch nach § 66 Abs. 1 StGB aF hätte verhängt werden müssen oder Anhaltspunkte bestanden, dass die Strafverurteilungen aus der ehemaligen DDR als unangemessen hart anzusehen waren und daher nicht hätten berücksichtigt werden können (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 10), kann auf sich beruhen. Jedenfalls lagen - wie auch das Landgericht nicht verkennt - bei der Anlassverurteilung die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gem. § 66 Abs. 2 StGB aF vor. Angesichts der Vorstrafen des Verurteilten und der Ausführungen der damaligen Sachverständigen hätte die Anordnung der Maßregel auch nahe gelegen.
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Das Verfahren nach § 66b StGB dient jedoch nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind (BGHSt 50, 121, 126; 180, 188). Dies gilt erst recht, wenn eine Prüfung der Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren rechtsfehlerhaft gänzlich unterblieben ist. Selbst wenn ein Verurteilter sich unter solchen Umständen am Ende der Strafhaft unverändert als hochgefährlich erweist, scheidet eine Abhilfe mit dem Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung aus zwingenden rechtlichen Gründen aus.
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3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin voraus, dass die nachträglich erkennbaren Tatsachen jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen (vgl. BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12). Ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung müssen sie bereits für sich Gewicht haben und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten schließen lassen (BGHSt 50, 284, 296 f. m.w.N.). Vorfälle im Vollzug können die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung daher nur rechtfertigen, wenn sie auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit , die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen. Verhaltensweisen , die sich auf die Vollzugssituation zurückführen lassen und sich für Strafgefangene als typisch oder doch weit verbreitet darstellen, fallen nicht darunter (BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06; BGHSt 50, 284, 297; BGH NJW 1446, 1447 f.).
21
Auch dieser Anforderung werden die von dem Landgericht herangezogenen Umstände nicht gerecht. Sie sind nicht derart bedeutsam, dass ihnen eine tragfähige Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten zukommt. Die Weitergabe einer geringen Menge Haschisch stellt eine Straftat im unteren Bereich dar, aus der sich eine Gewaltbereitschaft des Verurteilten ebenso wenig ablesen lässt wie aus der vom Landgericht vermissten Offenlegung seines gesamten kriminellen Lebenslaufes gegenüber seiner Verlobten, zumal diese Kenntnis von den Anlasstaten hatte. Die einvernehmlichen homosexuellen Handlungen lassen für sich genommen gleichfalls keinen Rückschluss auf aggressive Tendenzen des Verurteilten zu. Auch in ihrer Zusammenschau gewinnen die einzelnen Umstände keine erhebliche Bedeutung. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten fällt insgesamt nicht aus dem für Langzeitstrafgefangene typischen Rahmen, wie das Landgericht im Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen selbst feststellt.

III.

22
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Er vermag nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass sich in einer erneuten Hauptverhandlung Gesichtspunkte ergeben, die die Annahme hinreichender neuer Tatsachen im Sinne des § 66b StGB und eine darauf gestützte Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen können.
23
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Richter wird alsbald darüber zu befinden haben, ob die Fortdauer der vorläufigen Unterbringung des Verurteilten aus dringenden Gründen weiterhin gerechtfertigt ist (§ 275a Abs. 5, § 126a Abs. 3 StPO). Sollte eine Aufhebung des Unterbringungsbefehles - auch im Falle der Ablehnung des staatsanwaltschaftlichen Antrages auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - in Betracht kommen, werden organisatorische Maßnahmen angezeigt sein, die bei Entlassung des Verurteilten greifen und geeignet sind, das Rückfallrisiko zu mindern (vgl. näher BGH NJW 2006, 1442, 1445 f.). Im Einzelfall können solche Maßnahmen nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch als milderes Mittel an die Stelle der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung treten (BVerfG, Kammer , Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 26/06). Neben der Entlassenenhilfe (§§ 74 f., 126 StVollzG) bietet sich insbesondere eine engmaschige Leitung des Verurteilten durch Ausschöpfung der Möglichkeiten der hier gem. § 68f Abs. 1 StGB kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht an (§§ 68 ff. StGB).
Hierdurch wird zu vermeiden sein, dass der noch immer als hochgefährlich eingeschätzte Verurteilte nach langjähriger Haft ohne Unterkunft, soziale Anbindung - das Verlöbnis ist zwischenzeitlich aufgelöst - und weitere therapeutische Unterstützung unvermittelt in Freiheit entlassen wird und sich dort selbst überlassen bleibt. Wahl Schluckebier Kolz Hebenstreit Elf