Bundesgerichtshof Urteil, 11. März 2010 - 4 StR 473/09

bei uns veröffentlicht am11.03.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 473/09
vom
11. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Richter am Amtsgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht Recklinghausen vom 27. Mai 2009 wird verworfen. 2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Verurteilten gemäß § 66 b StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

2
1. Der heute 51jährige Verurteilte ist bereits vielfach wegen Körperverletzungs -, Eigentums- und Straßenverkehrsdelikten vorgeahndet. Er wurde unter anderem durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 1990 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Verurteilte nach einer Geburtstagsfeier in alkoholisiertem Zustand einem anderen Gast aus Verärgerung zwei Messerstiche versetzt hatte, weil dieser unbefugt sein Kraftfahrzeug benutzt und dieses dabei beschädigt hatte. Weiterhin wurde er durch (Berufungs-) Urteil des Landgerichts Freiburg vom 9. September 1997 wegen Betäubungsmittelstraftaten zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegenstand dieser Verurteilung war, dass der Verurteilte bei vier Beschaffungsfahrten zwischen Juli und Oktober 1996 in den Niederlanden insgesamt 246 g Heroin erworben und nach Deutschland eingeführt hatte. Das Heroin überließ er zum Teil seiner damaligen heroinabhängigen Lebensgefährtin, teilweise verkaufte er es weiter.
3
2. Am 20. Juni 2000 verurteilte das Landgericht Bochum den Verurteilten im Anlassverfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung, Entziehung einer Minderjährigen und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Gleichzeitig ordnete es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Nach den Feststellungen fuhr der Verurteilte - nicht ausschließbar unter Wirkung eines nicht ermittelten Stoffes, den ihm unbekannt gebliebene Personen zuvor eingeflößt hatten - am 17. September 1998 mit seinem Kraftfahrzeug von F. nach C. . Dort sprach er auf der Straße ein 8jähriges Mädchen an und zog es in sein Fahrzeug. Anschließend fuhr er mit dem Kind in ein Waldgelände und erzwang sexuelle Handlungen, in deren Verlauf er sich von dem Kind oral befriedigen ließ.
4
Während der Tatausführung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund einer psychischen Störung, möglicherweise gesteigert durch den ihm zuvor eingeflößten Stoff, erheblich vermindert. Hierzu hat das Landgericht ausgeführt: Der Angeklagte hat eine Persönlichkeitsstörung vom sogenannten Borderline-Typ, sie zeigt sich schwerpunktmäßig in dissozialem Verhalten. Ihm gelingt es nicht, soziale Regeln zu internalisieren und nach ihnen zu handeln. Bei ihm besteht daneben, insoweit auch für das Syndrom typisch, eine sexuelle Präferenz für heterosexuell pädophile Betätigung mit ent- sprechenden Triebinspirationen. Sexuelle und destruktive Impulse können sein Kontrollvermögen im Einzelfall so stark belasten , dass er bei entsprechenden Reizen und einem sexuellen Drang nur vermindert in der Lage ist, nach seiner gewonnenen Einsicht zu handeln.
5
Zur Unterbringung nach § 63 StGB führte das Landgericht aus, es sei auf Grund des festgestellten psychopathologischen Befundes zu erwarten, dass der Verurteilte bei Hinzutreten weiterer Umstände, wie sexueller Reize, auch in Zukunft erhebliche Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begehen werde.
6
3. Der Verurteilte verbüßte zunächst einen Strafrest aus der Verurteilung des Landgerichts Freiburg vom 9. September 1997. Ab dem 2. Juli 2001 befand er sich im Maßregelvollzug, zuletzt in der Klinik N. in W. . Mit Beschluss vom 24. Januar 2007 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz die durch das Urteil des Landgerichts Bochum vom 20. Juni 2000 angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt. Das Landgericht Koblenz war dem Gutachten des gehörten Sachverständigen folgend zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Verurteilten zwar (weiterhin) eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, narzisstischen, emotional instabilen und schizoiden Elementen vorliege sowie eine Störung der Sexualpräferenz vom Prägnanztyp der Pädophilie als heterosexuell pädophile Nebenströmung. Zum Tatzeitpunkt sei jedoch weder Schuldunfähigkeit noch eine (erheblich) verminderte Schuldfähigkeit gegeben gewesen, so dass eine Fehleinweisung vorliege. Zudem sei zu beachten, dass es sich um eine erstmalige Straftat des Verurteilten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehandelt habe, so dass zum Urteilszeitpunkt zwar die Möglichkeit, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bestanden habe. Gleichzeitig entschied die Strafvollstreckungskammer, dass die Vollstreckung des Strafrestes nicht gemäß § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Es seien zwar keine Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu erwarten, wohl aber Straftaten gegen das Eigentum, die Gesundheit und das Leben. Vor der Entlassung des Verurteilten in die Freiheit sei zunächst noch ein Aufenthalt in einem strukturierten , gesicherten Lebensbereich wie dem Strafvollzug erforderlich.
7
Seit dem 1. März 2007 befand sich der Verurteilte zur Verbüßung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Bochum vom 20. Juni 2000 in Strafhaft. Am 19. Juli 2008 hatte er die Strafe voll verbüßt. Im Anschluss befand er sich auf Grund des Unterbringungsbefehls des Landgerichts Bochum vom 27. Juni 2008 in Sicherungshaft.

II.

8
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
9
1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 7. Oktober 2008 (BGHSt 52, 379 ff.) nicht in Betracht kommt, da der Verurteilte nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war.
10
2. Die danach allein in Betracht kommende Anordnung der Maßregel nach § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB hat es ebenfalls rechtsfehlerfrei verneint.
11
a) Nach den vom Landgericht als nachvollziehbar und überzeugend gewerteten Ausführungen der drei angehörten Sachverständigen liegt bei dem Verurteilten (weiterhin) eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, emotional instabilen borderline-typischen, narzisstischen und schizoiden Antei- len vor, die sich unter anderem in einer Kontrollschwäche von Impulsen und Affekten sowie der Unfähigkeit zu konstanter sozialer Integration manifestiert. Zudem besteht bei ihm eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer pädophilen Nebenströmung. Als zusätzliche (neue) Diagnose wurde eine organische wahnhafte schizoide Störung im Sinne des ICD 10 F 06.2 (so die Sachverständigen Dr. T. und B. ) bzw. eine subkortikale vaskuläre Demenz gemäß ICD 10 F 01.2 (so die Sachverständige Dr. L. ) festgestellt, die sich im Laufe der Jahre schleichend entwickelt hat und die als Auslöser dafür in Betracht kommt, dass der Verurteilte nunmehr auf Grund wahnhafter Störungen im Sinne eines Größenwahns der Auffassung ist, er habe die mathematische „Weltformel“ erfunden.
12
Die Sachverständigen sind übereinstimmend zu der Einschätzung gelangt , dass bei dem Verurteilten auf Grund der bisher diagnostizierten Störungen - ungeachtet des zusätzlich festgestellten Befundes - weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit gleiche oder ähnliche Taten wie bisher von ihm begangen zu erwarten seien. Zu der neu diagnostizierten Störung haben die Sachverständigen Dr. T. und B. ausgeführt, dass aus ihr nicht notwendig der Schluss auf eine erhöhte Gefährlichkeit zu ziehen sei. Jedoch sei die Prognose auf Grund des Wahns durch das Hinzutreten einer weiteren Diagnose als ungünstiger einzuschätzen. Die Sachverständige Dr. L. hat hierzu die Auffassung vertreten , die neu hinzugetretene Diagnose berge nicht per se die Gefahr einer erhöhten Bereitschaft zu Gewaltdelikten, vielmehr sei die kriminelle Relevanz eher als insgesamt gering einzuschätzen.
13
b) Das Landgericht hat jedoch - ungeachtet der danach fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten - die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mangels Vorliegens „neuer“ Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB abgelehnt.
14
In diesem Zusammenhang hat es ausdrücklich bedacht, dass es nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 7. Oktober 2008 in den Fällen, in denen eine Anordnung nach § 66 b Abs. 3 StGB wegen eines noch zu vollstreckenden Strafrestes aus der Anlassverurteilung nicht in Betracht kommt, für die Annahme neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB genügt, dass die fortbestehende (qualifizierte ) Gefährlichkeit aus anderen Tatsachen hergeleitet werden kann als aus denjenigen , die im Anlassurteil zur Begründung des länger andauernden Zustands herangezogen wurden, der zur positiven Feststellung erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei Tatbegehung (§ 21 StGB) und zur Anordnung nach § 63 StGB führte (BGHSt 52, 379, 390 f.). Ebenfalls hat es hervorgehoben, dass es danach ohne Bedeutung ist, ob diese Tatsachen dem damaligen Tatrichter bekannt waren oder bekannt sein mussten.
15
Derartige prognoserelevante Tatsachen hat das Landgericht indes nicht festzustellen vermocht.
16
Es ist hierbei - nach Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme - zu dem Ergebnis gelangt, dass sich aus den dem Verurteilten in einem früheren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahren zur Last gelegten Taten keine Tatsachen ergeben, die den Schluss auf eine Gefährlichkeit des Verurteilten rechtfertigen könnten. Auch dem Verhalten des Verurteilten im Maßregelvollzug hat es nach sorgfältiger Prüfung, insbesondere unter Berücksichtigung der Vollzugssituation (vgl. hierzu Senat, Beschl. vom 12. Januar 2006 - 4 StR 485/05; Urt. vom 19. Januar 2006 - 4 StR 393/05) und des Erfordernisses , dass die „neuen“ Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten müssen (vgl. Senat aaO sowie BGH, Beschl. vom 22. 1. 2009 - 1 StR 618/08), weder für sich gesehen noch im Rahmen einer Gesamtschau das für eine Anordnung nach § 66 b Abs. 1 StGB erforderliche Gewicht zugemessen. Schließlich hat das Landgericht auch geprüft , ob die nunmehr festgestellte, sich seit mehreren Jahren entwickelnde organische wahnhafte Störung bzw. Demenzerkrankung des Verurteilten die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen kann. Es hat dies unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. vom 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06) mit der Begründung verneint, dass eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des Verurteilten für sich genommen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB regelmäßig nicht begründen kann. Die abstrakte Eignung der Diagnose für eine erhöhte Gefährlichkeit genüge nicht. Erforderlich sei vielmehr, dass sich die Erkrankung während der Strafhaft in einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des Verurteilten ausgedrückt hat (vgl. BGH aaO). Dies sei hier nicht der Fall. Der Verurteilte sei von den als Zeugen vernommenen Vollzugsbediensteten der Justizvollzugsanstalt B. , in der er seit mehr als zwei Jahren inhaftiert war, als ruhig, zugänglich, freundlich und offen charakterisiert worden. Während der gesamten Haftzeit sei es nicht zu Gewalttätigkeiten, Aggressionen oder erheblichen Auseinandersetzungen zwischen dem Verurteilten und Mitarbeitern oder Mitgefangenen gekommen. Auch auf Bemerkungen zu der von ihm entwickelten „Urformel“ bzw. „Weltformel“ habe er ruhig und sachlich reagiert.
17
c) All dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Solche deckt auch die Beschwerdeführerin nicht auf.
18
Entgegen der Auffassung der Revision sind die Urteilsfeststellungen zu der von den Sachverständigen zusätzlich festgestellten organischen wahnhaften Störung bzw. Demenzerkrankung weder lückenhaft noch widersprüchlich. Soweit die Beschwerdeführerin weitergehende Feststellungen zu deren Auswirkungen und Relevanz für die zu treffende Prognoseentscheidung vermisst, kann sie mit der Sachrüge nicht gehört werden. Hierzu hätte es gegebenenfalls der Erhebung einer Verfahrensrüge in Form einer Aufklärungsrüge bedurft.
19
Die Urteilausführungen lassen auch nicht besorgen, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Frage, ob Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB vorliegen, einen von den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 7. Oktober 2008 abweichenden Maßstab angelegt hat. Das Landgericht hat ausdrücklich klargestellt , dass es bei der hier zu beurteilenden Konstellation ohne Bedeutung ist, ob die in Betracht kommenden Umstände dem ursprünglichen Tatrichter bekannt waren oder bei pflichtgemäßer Beachtung der Aufklärungspflicht hätten bekannt sein müssen. Es hat im Weiteren entsprechend den Vorgaben des Großen Senats für Strafsachen geprüft, ob die Gefährlichkeit des Verurteilten aus anderen Tatsachen herzuleiten ist als denjenigen, die im Ausgangsurteil zur Begründung der erheblich verminderten Schuldfähigkeit und Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB geführt haben. Dies hat es mit rechtsfehlerfreier Begründung verneint. Dass das Landgericht dabei – wie die Revision meint – die zuvor im Rahmen der Feststellungen zur Person im Urteil ausführlich dargestellte bisherige Lebensführung des Verurteilten und seine Straffälligkeit aus dem Blick verloren hat, kann ausgeschlossen werden.
20
3. Da sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als unbegründet erweist , bestand für den Senat mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 in der Rechtssache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) kein Anlass, von einer Entscheidung solange abzusehen, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Frage des Strafcharakters von Sicherungsverwahrung endgültig im Sinne des Art. 44 MRK entschieden hat (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 11. Februar 2010 – 4 StR 577/09).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović Ernemann Mutzbauer

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 57 Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe


(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 485/05
vom
12. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Januar 2006 gemäß § 349 Abs.
4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 2. Juni 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Verurteilte war am 20. Dezember 1995 vom Landgericht Magdeburg wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden. Diese Freiheitsstrafe hatte er am 22. November 2004 vollständig verbüßt. Als Entlasstermin war der 5. November 2004 vorgesehen. Am 5. Oktober 2004 beantragte die Staatsanwaltschaft, die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB anzuordnen. Am 29. Oktober 2004 erging gegen den Verurteilten Unterbringungsbefehl nach § 275 a Abs. 5 StPO.
3
Gegenstand der Verurteilung war ein Tatgeschehen vom 17. Juni 1995, in dessen Verlauf der Verurteilte in alkoholisiertem Zustand (BAK zur Tatzeit 2,28 o/oo) seinem Nachbarn im Rahmen eines Streits mit erheblicher Kraft einen Messerstich in den Brustbereich versetzte, an dessen Folgen das Tatopfer wenig später verstarb. Das Landgericht ging davon aus, dass der Verurteilte bei Begehung der Anlasstat infolge des genossenen Alkohols in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt war. Einen psychiatrischen Sachverständigen hatte das Landgericht in diesem Verfahren nicht hinzugezogen.
4
Vor Begehung dieser Tat war der Verurteilte bereits viermal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Erscheinung getreten und deswegen in der ehemaligen DDR zwischen 1973 und 1987 - die letzte Tat ereignete sich am 5. September 1986 - dreimal zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Ein weiteres gegen den Verurteilten geführtes Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Tatzeit: 24. Mai 1992) wurde nach Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens im Hinblick auf das der Anlassverurteilung zugrunde liegende Strafverfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
5
2. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu Recht nicht auf § 66 b Abs. 1 StGB gestützt. Eine nachträgliche Unterbringungsanordnung nach § 66 b Abs. 1 StGB scheidet hier schon deshalb aus, weil die Voraussetzungen des § 66 StGB, auf die § 66 b Abs. 1 StGB Bezug nimmt, nicht erfüllt sind. Die der Anlasstat vorausgegangenen Taten unterfallen der Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB und können deshalb zur Begründung der hier allein in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 StGB nicht herangezogen werden.
6
3. Das Landgericht hat jedoch die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB bejaht.
7
Als "neue Tatsachen" hat es, beraten durch zwei psychiatrische Sachverständige , gewertet, dass der Verurteilte eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Merkmalen aufweise. Auf der Grundlage dieser Persönlichkeitsstörung habe sich bei ihm eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer "Kernpädophilie" sowie ein Alkoholabusus entwickelt. Soweit der Verurteilte während des Strafvollzugs Auffälligkeiten gezeigt habe, sei diesen Umständen eine eigenständige Bedeutung als "neue Tatsachen" nicht beizumessen, da diese lediglich Ausdruck der Persönlichkeitsstörung des Verurteilten seien.
8
Das Landgericht ist sodann im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu der Einschätzung gelangt, der Verurteilte werde in Freiheit aufgrund der festgestellten Persönlichkeitsstörung und der Störung der Sexualpräferenz und aufgrund eines bei ihm bereits "eingeschliffenen Verhaltensmusters" mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig erhebliche Straftaten begehen, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
9
4. Diese Beurteilung begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
10
a) Das Landgericht ist bei seiner Prüfung zwar im Ansatz zutreffend von den Anordnungsvoraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB ausgegangen. Die Anlassverurteilung erfüllt die Eingangsvoraussetzungen dieser Vorschrift, da der Verurteilte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden ist.
11
b) Auch bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 66 b Abs. 2 StGB weder im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 109, 133, 167) noch unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebots aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG Bedenken. Angesichts des berechtigten Interesses der Allgemeinheit, potentielle Opfer vor schwersten Verletzungen durch Straftäter zu schützen, ist die gesetzgeberische Entscheidung, in besonderen Ausnahmefällen, bei denen die formellen Voraussetzungen etwaiger früherer Verurteilungen fehlen, die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen, nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
12
Dieser Beurteilung steht hier nicht entgegen, dass gegen den Verurteilten , selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 StGB, im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat Sicherungsverwahrung nicht hätte angeordnet werden dürfen. Der Verurteilte hatte die Anlasstat vor dem 1. August 1995 im Beitrittsgebiet begangen und unterfiel deshalb der Regelung des Art. 1 a EGStGB in der zurzeit des Strafurteils geltenden Fassung des SichVG vom 16. Juni 1995 (BGBl. I S. 818). Diese Vorschrift schloss - für einen Fall wie den vorliegenden - die Anwendbarkeit der Vorschriften der Sicherungsverwahrung generell aus.
13
Dieser Umstand mag - was der Senat nicht zu entscheiden braucht - unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung und insbesondere des Vertrauensschutzes bei Altfällen im Rahmen der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB von Bedeutung sein, weil diese Vorschrift auf § 66 StGB Bezug nimmt (zu dem vergleichbaren Fall des § 66 Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 1 a EGStGB i.d.F. des Gesetzes vom 26. Januar 1998 - BGBl. I S. 160 - vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). Anders verhält es sich jedoch bei der hier allein in Betracht kommenden Anordnungsgrundlage des § 66 b Abs. 2 StGB, da diese Vorschrift gerade unabhängig vom Vorliegen der formellen Voraussetzungen des § 66 StGB Anwendung findet.
14
c) Den Anforderungen, die an das Vorliegen "neuer Tatsachen" zu stellen sind, wird das angefochtene Urteil indes nicht gerecht. An diese Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen. Im Einzelnen:
15
aa) "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b StGB sind zunächst nur solche , die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562). Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren, scheiden daher in jedem Fall aus. Aber auch Tatsachen, die ein sorgfältiger Tatrichter mit Blick auf § 244 Abs. 2 StPO hätte aufklären müssen, um entscheiden zu können, ob eine Maßregel nach §§ 63, 64, 66, 66 a StGB anzuordnen ist, waren erkennbar und sind nicht neu im Sinne des § 66 b StGB. Rechtsfehler, die durch Nichtberücksichtigung solcher Tatsachen entstanden sind, können nicht durch die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung korrigiert werden (BGH aaO). Eine Bewertung bereits bei der Anlassverurteilung bekannter oder erkennbarer Tatsachen stellt ebenfalls keine neue Tatsache dar (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
16
bb) Darüber hinaus müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine "gewisse Erheblichkeitsschwelle" überschreiten (BTDrucks. 15/ 2887 S. 12; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66 b Rdn. 4). Die Frage der Erheblichkeit der "neuen Tatsache" für die Gefährlichkeitsprognose ist eine Rechtsfrage , die vom Gericht in eigener Verantwortung ohne Bindung an die Auffassung der gehörten Sachverständigen zu beantworten ist. Aus der Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als einer zum Strafrecht im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehörenden Maßnahme, die an eine Straftat anknüpft und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat bezieht (vgl. BVerfGE 109, 190, Leitsatz Ziff. 1 Buchst. a) folgt, dass die Erheblichkeit der berücksichtigungsfähigen "neuen Tatsache" vor dem Hintergrund der bei der Anlassverurteilung bereits hervorgetretenen Gefährlichkeit beurteilt werden muss. Die "nova" müssen daher in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (vgl. Senatsbeschluss aaO).
17
d) Diesen Grundsätzen tragen die Ausführungen des Landgerichts nicht hinreichend Rechnung.
18
aa) Die Auffassung des Landgerichts, die kombinierte (dissoziale) Persönlichkeitsstörung des Verurteilten stelle in Verbindung mit der Störung der Sexualpräferenz eine "neue Tatsache" dar, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, die Persönlichkeitsstörung sei beim Verurteilten zwar bereits im jungen Erwachsenenalter - etwa seit 1975 - vorhanden gewesen. Auch habe die Störung der Sexualpräferenz bereits im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat vorgelegen. Jedoch seien der erkennenden Strafkammer, diese Störungen weder bekannt noch erkennbar gewesen , da sie erstmals, jedenfalls in "ihrem vollen Ausmaß", durch die im vorliegenden Verfahren tätigen psychiatrischen Sachverständigen diagnostiziert worden seien.
19
Dieser Begründung des Landgerichts liegt bereits ein falscher Ansatz zugrunde, weil es rechtsfehlerhaft allein auf die Bewertung der Persönlichkeitsauffälligkeiten des Verurteilten abgestellt hat. Dabei hat das Landgericht verkannt , dass für die Beurteilung der Frage, ob "neue Tatsachen" gegeben sind, nicht die neue oder möglicherweise sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen maßgeblich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat bereits vorlagen und ob diese dem damaligen Tatrichter bekannt oder für ihn erkennbar waren. Es ist dabei - jedenfalls bei der Diagnose "Persönlichkeitsstörung" - nicht von Bedeutung, ob diese (Anknüpfungs-)Tatsachen bereits im Ausgangsverfahren oder in einem früheren Verfahren Grundlage einer sachverständigen Bewertung waren.
20
Dass maßgebliche, den diagnostizierten Störungen zugrunde liegende (Anknüpfungs-)Tatsachen bereits im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat gegeben waren, steht hier nach den getroffenen Feststellungen außer Frage. Diese Anknüpfungstatsachen - etwa Erkenntnisse zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten, insbesondere zu seinem Werdegang, der frühe Deliquenzbeginn , seine Alkoholproblematik und seine Vorstrafen, vor allem die mehrfachen Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, auf die die Diagnose "Störung der Sexualpräferenz" ausschließlich gestützt wird - waren im Ausgangsverfahren auch schon bekannt. Hinzu kommt, dass sich in jenem Verfahren in Anbetracht der erheblichen, auf eine Gewöhnung hindeutenden Alkoholisierung des Verurteilten bei der Anlasstat und zumindest bei einigen Vortaten einem sorgfältigen Tatrichter die Prüfung der Voraussetzungen einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB aufdrängen musste. Erkenntnisse, die er insoweit - etwa anhand der Vorstrafenakten - unter Aufklärungsgesichtspunkten hätte gewinnen können und müssen, waren für ihn, wie oben dargelegt , jedenfalls erkennbar und können als "neue Tatsachen" im vorliegenden Verfahren nicht mehr herangezogen werden.
21
Soweit das Landgericht darauf abstellt, die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten, sowie seine "Kernpädophilie" seien jedenfalls "in ihrem vollen Ausmaß" zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung nicht bekannt gewesen, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob diese Feststellung auf konkreten "neuen" Anknüpfungstatsachen gründet oder ob sie, was nicht ausreichend wäre, lediglich auf der jetzigen Bewertung schon im Ausgangsverfahren bekannter oder erkennbarer Tatsachen durch die Sachverständigen beruht.
22
bb) Soweit das Landgericht die "Kernpädophilie" des Verurteilten als "novum" heranzieht, kommt unabhängig davon, dass es sich dabei nicht um eine Tatsache, sondern um eine Wertung handelt, hinzu, dass nach den bisherigen Feststellungen nicht zu erkennen ist, ob dieser Umstand in einem für die Erheblichkeitsbeurteilung der "nova" erforderlichen prognoserelevanten, symptomatischen Zusammenhang mit der Anlasstat steht. Die Erheblichkeit einer berücksichtigungsfähigen "neuen Tatsache" darf, wie oben dargelegt, nicht losgelöst von der bei der Anlasstat hervorgetretenen spezifischen Gefährlichkeit beurteilt werden, sondern muss eine innere Beziehung zu dieser Gefährlichkeit aufweisen. In Bezug auf die "Kernpädophilie" des Verurteilten ergeben dies die Urteilsgründe nicht. Bei der Anlasstat handelte es sich um ein aus einem Konflikt heraus begangenes, spontanes Gewaltdelikt. Inwieweit die auf die Kernpädophilie zurückzuführenden Sexualdelikte des Verurteilten, bei denen es zu keiner unmittelbaren Gewaltanwendung gegenüber den Tatopfern kam, eine wie auch immer geartete innere Verknüpfung zu der bei dem Tötungsdelikt zutage getretenen Gefährlichkeit aufweisen, ist nicht zu erkennen.
23
5. Der Senat kann nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das Vollzugsverhalten, das bislang unter diesem Gesichtspunkt nicht Gegenstand tatrichterlicher Beurteilung war, die Annahme "neuer Tatsachen" im Sinne des § 66 b StGB rechtfertigen kann. Bei der dem neuen Tatrichter insoweit obliegenden Prüfung wird dieser allerdings zu beachten haben, dass nicht schon jeder während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam als "novum" im Sinne des § 66 b StGB herangezogen werden kann. Vielmehr ist bei Vollzugsauffällig- keiten - neben den oben dargelegten Grundsätzen - bei Beurteilung der Erheblichkeit in besonderem Maße zu prüfen, ob sie für sich genommen oder jedenfalls in ihrer Gesamtheit Gewicht haben im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Bedingungen des Vollzugs zu beurteilen. Haben Auffälligkeiten oder während der Haft begangene Straftaten ihre Ursache überwiegend in den besonderen Bedingungen des Vollzugs, wird ihnen in der Regel die erforderliche erhebliche Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten nicht zukommen (vgl. BGH, aaO; zum vergleichbaren Fall der Bewertung von Straftaten während der Unterbringung nach § 63 StGB: vgl. BGH NStZ 1998, 405; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26; Senatsbeschluss vom 25. August 1998 - 4 StR 385/98). Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanović Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

URTEIL
4 StR 393/05
vom
19. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Januar
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 6. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Der Verurteilte wurde am 15. Februar 2001 vom Landgericht Hagen wegen Vergewaltigung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Aus beiden Einzelstrafen bildete das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Nach den Feststellungen jenes Urteils traf der Verurteilte an einem Abend im April 2000 die Geschädigte Michaela K. in einer Gaststätte und ging mit ihr, um gemeinsam einen "Joint" zu rauchen, nach draußen, wo es auch zum Austausch von Zärtlichkeiten kam. Als sie sich in einer nahegelegenen Unterführung zum Urinieren hinhockte, fühlte sich der deutlich alkoholisierte Verurteilte durch das distanzlose Verhalten der Frau „animiert“. Er zwang sie daraufhin unter Ausnutzung ihrer schutzlosen Lage , u.a. den Oralverkehr des Verurteilten an ihr zu dulden und an ihm auszuführen. In dem weiteren Fall lernte der Verurteilte am Tatabend im Mai 2000 die Geschädigte Angelika F. auf dem Bahnhofsvorplatz in Hagen kennen, von wo aus sie die Wohnung eines Bekannten aufsuchten. Dort und später auch auf dem Weg in die Hagener Innenstadt kam es zum einvernehmlichen Austausch von Zärtlichkeiten. Als die Geschädigte sich plötzlich weiteren Küssen des wiederum alkoholisierten Verurteilten widersetzte, akzeptierte dieser den Sinneswandel nicht. Vielmehr schubste er sie zu Boden, legte sich auf sie und faßte ihr, um ihre Hilferufe zu unterbinden, fest an den Hals, ließ dann aber auf ihre Bitte, sie nicht zu vergewaltigen, mit der Bemerkung von ihr ab: „Ich werde Dir nicht wehtun“.
3
2. Vor Begehung dieser Taten war der vielfach vorbestrafte Verurteilte bereits dreimal wegen sexueller Gewaltdelikte in Erscheinung getreten. Er wurde deshalb im November 1986 wegen einer im März jenes Jahres begangenen Vergewaltigung (der leicht alkoholisierte Verurteilte hatte eine Frau, die er zuvor in einer Discothek kennengelernt hatte, zu sich zum Frühstück eingeladen. Auf dem Weg zu seiner Wohnung führte er sie über einen Friedhof, wo er sie auf den Boden drückte und u.a. den Oralverkehr erzwang) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nur knapp vier Monate nach vollständiger Verbüßung überfiel der nicht ausschließbar alkoholbedingt erheblich vermindert steuerungsfähige Verurteilte Ende Juli 1990 auf offener Straße eine Frau, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren, und zerrte sie in ein Gebüsch; sie konnte ihm aber entkommen. Er wurde deshalb im Februar 1991 wegen versuchter Vergewaltigung zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Noch bevor diese Strafe vollstreckt wurde, kam es Ende Juli 1991 zu einer neuerlichen sexuel- len Gewalttat. Der wiederum nicht ausschließbar alkoholbedingt erheblich vermindert steuerungsfähige Verurteilte hatte sich mit einer Gruppe mehrerer sämtlich alkoholisierter Männer und Frauen, darunter auch die später Geschädigte , getroffen. Er veranlaßte sie, sich mit ihm von der Gruppe zu entfernen, wobei sie sich von ihm auch küssen ließ. Als sie aber weitere sexuelle Handlungen ablehnte, brachte der Verurteilte sie zu Fall und erzwang durch Schläge ins Gesicht und unter der Drohung, ihr mit einem Stein auf den Kopf zu schlagen , dass der Verurteilte den Oralverkehr an ihr ausüben und mit den Fingern in ihre Scheide eindringen konnte. Er wurde deshalb im Juni 1992 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Vergewaltigung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die er bis Juni 1995 verbüßte.
4
3. Obwohl nach den Feststellungen des Ursprungsurteils sowohl die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB als auch – worauf das Landgericht allein abgestellt hat – die des Absatzes 3 der Vorschrift vorlagen, sah das Landgericht seinerzeit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung ab, da der Gefährlichkeit des Verurteilten aus aktueller Sicht erfolgreich dadurch entgegengewirkt werden könne, dass er in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB untergebracht werde (UA 18). Im Vollzug dieser durch das Landgericht angeordneten Maßregel verweigerte der Verurteilte jedoch eine therapeutische Zusammenarbeit zunehmend, worauf die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 12. August 2002 gemäß § 67 d Abs. 5 StGB bestimmte, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen sei. Nach Abbruch des Maßregelvollzugs lehnte der Verurteilte sämtliche Behandlungsangebote der Justizvollzugsanstalt, auch in Bezug auf seine Sexual- und Gewaltproblematik , als für sich „völlig unangemessen“ (UA 24) ab. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Strafe vollständig bis zum 2. September 2004, verblieb aber weiterhin in Haft, nachdem das Landgericht am 1. September 2004 gemäß § 275 a Abs. 5 StPO seine einstweilige Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung angeordnet hatte.
5
Zum Verhalten des Verurteilten im Vollzug hat das Landgericht im angefochtenen Urteil im Übrigen folgende Feststellungen getroffen:
6
Ende Mai 2001 wurde der Verurteilte zur Vollstreckung der nach § 64 StGB angeordneten Maßregel in die Klinik verlegt. Dort suchte er alsbald den Kontakt und die Nähe zu Frau A., die erst seit kurzer Zeit als jüngste Pflegekraft auf seiner Station beschäftigt war. Der Verurteilte kam häufig zu ihr ins Dienstzimmer, machte ihr Komplimente und kochte sogar für sie, wenn sie Nachtdienst hatte. Da sie noch jung und unerfahren im Umgang mit Patienten war, den Verurteilten sympathisch und attraktiv fand und sich von seinen Komplimenten geschmeichelt fühlte (UA 19), unterhielt sie sich viel mit ihm und erzählte dabei auch von sehr persönlichen Umständen und durchaus auch sexualbetonten Gefühlen, so dass – auch wenn sie dabei keine Hintergedanken hegte – möglicherweise eine "knisternde Atmosphäre“ oder „erotische Spannung“ entstand (UA 20).
7
Spätestens Ende April 2002 beendete Frau A. diese "flirtive Situation" (UA 56) und ging auf Distanz zu dem Verurteilten. Dieser konnte mit ihrem Rückzug jedoch nicht umgehen. Seine bisherige Zuneigung schlug jetzt in Hass und Aggression um (UA 21). Dies zeigte sich in Drohungen und massiven Beleidigungen. So äußerte er noch Ende April 2002 zu dem Stationspsychologen, "wenn er enttäuscht werde, überlege er nur, wie er dem anderen schaden könne ; er habe sich für jeden aus dem Team eine Strafe überlegt". Als der Verurteilte wegen wiederholter Beleidigungen in den Kriseninterventionsraum verlegt wurde, fand man bei ihm ein Teppichmesser, welches er sich eigenmächtig be- schafft hatte und das er dazu benutzen wollte, sich selbst oder gegebenenfalls andere Personen zu verletzen (UA 22). Zudem fanden sich bei seiner persönlichen Habe die Adresse und Telefonnummer von Frau A. sowie "Briefe und Postkarten, in denen ein einseitiges, sehnsüchtiges Verliebtsein in Frau A. zum Ausdruck kam" (UA 22). Während eines Freigangs Anfang Juni 2002 traf er auf seinen früheren Bezugspfleger, dem gegenüber er äußerte, er werde "das Team von der Station 7 D in zwei Jahren, wenn er rauskomme, 'niedermetzeln'; ganz besonders … Frau A. und … Frau N. werde er übel mitspielen" (UA 23).

II.


8
Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings hat das Landgericht zutreffend die formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Jedoch sind die materiellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB nicht ausreichend dargetan.
9
1. Das Landgericht hat zur Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten die ärztliche Direktorin am Zentrum für forensische Psychiatrie ( ) in , Dr. med. S. , sowie den ärztlichen Direktor der Klinik in H. und Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin, Prof. Dr. T. , als Sachverständige gehört. Beide Sachverständigen sind in ihren Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Verurteilten liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, die aufgrund ihrer typischen Merkmale maßgeblich für das Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB spreche. Beide Sachverständigen sind ferner übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, es bestehe nicht nur eine bestimmte, sondern eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte wieder sexuelle Gewalttaten begehen werde. Für ein solches hohes Risiko künftiger Sexualde- likte spreche auch, dass der Verurteilte zur Sexualisierung von Alltagssituationen und -beziehungen neige, erotische Signale nicht relativieren könne und Situationen sexuell übersteigert interpretiere (UA 56). Dies habe sich insbesondere in dem Verhalten des Verurteilten in der Klinik in Bezug auf Frau A. gezeigt. Dadurch sei auch die auf das seinerzeit erstattete Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Sch. gestützte Einschätzung des Landgerichts Hagen in seinem Urteil vom 15. Februar 2001 widerlegt, wonach die Straftaten des Verurteilten "maßgeblich" auf seinen jahrelangen Missbrauch von Alkohol und den jeweils aktuell genossenen Alkohol zurückzuführen seien. Vielmehr sei nunmehr deutlich geworden, dass der Verurteilte auch unabhängig von einer tatzeitbezogenen Alkoholintoxikation zu gleichen Verhaltensweisen wie bei seinen Sexualstraftaten neige und er somit unabhängig von einer akuten Alkoholisierung allein aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur gefährlich sei (UA 42).
10
Davon ausgehend, hat das Landgericht die für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erforderlichen „neuen Tatsachen“ in dem „Verhalten des Verurteilten in der Klinik in in Bezug auf die Zeugin A.“ gesehen; „denn dadurch (habe) sich gezeigt, dass er unabhängig von dem konstellativen Faktor einer tatzeitbezogenen Alkoholintoxikation gefährlich ist“ (UA 42). Dies begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
2. Allerdings ergeben sich vorliegend aus dem Vollzugsverhalten des Verurteilten in der Unterbringung nach § 64 StGB gegenüber dem Ausgangsurteil „neue Tatsachen" (vgl. zu diesem Begriff BGH, Urteile vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05 -, NJW 2005, 3078, und vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 -, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; Senatsbeschlüsse vom 9. November 2005 – 4 StR 483/05 – und vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05), die im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen nach § 66 b Abs. 1 StGB Bedeutung erlangen können. Doch kommt den hierzu festgestellten Umständen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit das Gewicht erheblicher neuer Tatsachen zu, das erst den Weg zu der in § 66 b StGB geforderten Gesamtwürdigung des Verurteilten eröffnet (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 9. November 2005 – 4 StR 483/05).
12
Das Landgericht hat nicht ausreichend dargetan, dass das Verhalten des Verurteilten in der Klinik auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweist, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen, wie sie die Annahme erheblicher neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB voraussetzt (BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05). Insbesondere begegnet die auf die Gutachten der beiden gehörten Sachverständigen gestützte Wertung des Landgerichts, das Verhalten des Verurteilten gegenüber Frau A. sei eine "Reinszenierung" seiner bisherigen, recht stereotyp verlaufenden Sexualstraftaten (UA 43), durchgreifenden Bedenken. Zwar war das Verhalten des Verurteilten von Hass und Aggression geprägt, nachdem Frau A. Ende April 2002 zu ihm auf Distanz gegangen war. Auch können die von dem Verurteilten angedeuteten oder ausdrücklich ausgesprochenen Drohungen unter Einbeziehung des bei ihm vorgefundenen Teppichmessers „neue Tatsachen“ von Gewicht im Sinne des § 66 b StGB sein. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers sollen auch "wiederholte verbal-aggressive Angriffe" ebenso "wie die Drohung des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen", als Anknüpfungspunkt für eine weitere Prüfung in Betracht kommen (BTDrucks. 15/2887 S. 12). Doch ist bei der Frage der Erheblichkeit immer in Rechnung zu stellen, ob und inwieweit diese Umstände ihre Ursache nicht nur in der Vollzugssituation haben (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05).
Insoweit hätte das Landgericht hier berücksichtigen müssen, dass das Verhalten des Verurteilten eine nicht völlig unverständliche Reaktion auf die Zurückweisung durch Frau A. darstellte, nachdem sie die "notwendige professionelle Distanz" außer acht gelassen und durch diese "beruflichen Fehler" (UA 29) maßgeblich die "erotische Spannung" und die "Wunschfantasien" des Verurteilten (UA 20) mit verursacht hatte. Gegen die Wertung des Verhaltens des Verurteilten als „Reinszenierung“ seiner früheren Sexualstraftaten spricht schließlich, dass diesen nach den dazu im Urteil mitgeteilten Sachverhalten jeweils ein spontaner Entschluss des Verurteilten zur alsbaldigen Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zugrunde lag. Davon unterscheidet sich das monatelange „werbende“, von gegenseitiger Sympathie getragene Verhalten des Verurteilten gegenüber Frau A. grundlegend.
13
Zudem hat das Landgericht nicht ausreichend dargetan, dass die Drohungen auch naheliegend Ausdruck der konkreten Gefahr sind, der Verurteilte werde seine im Vollzug geäußerten Drohungen auch in die Tat umsetzen (zur Bedeutung des Vollzugsverhaltens einschließlich des Auffindens verbotener Gegenstände (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05). Auch vor dem Hintergrund der Anlasstaten ergeben die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht, dass der Verurteilte etwa nur wegen der Situation im Vollzug an gewalttätigen Übergriffen gegenüber Frau A. oder anderen Personen gehindert gewesen wäre. Die Feststellungen legen vielmehr nahe, schließen es jedenfalls aber nicht aus, dass der Verurteilte sehr wohl des öfteren insbesondere auch mit Frau A. allein war, ohne dass jeweils andere Personen zu ihrem Schutz unmittelbar hätten eingreifen können. Die Annahme des Landgerichts, zu einer tatsächlichen Anwendung von Gewalt durch den Verurteilten – wie bei seinen früheren Straftaten – sei es nur deshalb nicht gekommen, weil sich das Geschehen diesmal im Maßregelvollzug und damit in einem „geschützten Raum“ abspielte (UA 43), stellt deshalb eine bloße Vermutung zu Lasten des Verurteilten dar.
14
Die Sache bedarf schon deshalb insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.

III.


15
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
16
1. Soweit das Landgericht mit den beiden gehörten Sachverständigen die Gefährlichkeit des Verurteilten als "allein aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur" und "unabhängig von einer akuten Alkoholisierung" bestehend angesehen hat (UA 42), liegt in diesen Umständen hier für sich noch keine für die Prüfung der Voraussetzungen des § 66 b StGB erforderliche „neue Tatsache“. Zwar weicht die jetzige Beurteilung der Sachverständigen, der sich das Landgericht im angefochtenen Urteil angeschlossen hat, von derjenigen im Ausgangsverfahren insoweit ab, als danach das den Sexualdelikten des Verurteilten zu Grunde liegende Verhaltensmuster "primär" auf seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung beruhe, während eine akute Alkoholintoxikation nur ein zusätzlich enthemmender, nicht aber per se der tatauslösende Faktor sei (UA 44). Die Abweichung betrifft aber lediglich die Bewertung prognoserelevanter Ursachen der Sexualdelinquenz des Verurteilten, ohne dass damit neue Ursachen selbst zu Tage getreten wären (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2005 – 4 StR 483/05). Die vom psychiatrisch-psychologischen Sachverständigen zu verantwortende Diagnose einer Persönlichkeitsstörung als solche stellt auch dann, wenn sie von einem der international gebräuchlichen Klassifikationen (ICD oder DSM) erfasst wird, keine Tatsache dar; "nova" können sich immer nur auf die eine solche Diagnose begründenden Anknüpfungstatsachen beziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05). Zudem weist das angefochtene Urteil selbst aus, dass auch die jetzige psychiatrisch-psychologische Beurteilung des Verurteilten nicht "neu" ist. Denn bereits der psychiatrische Gutachter im Ausgangsverfahren hatte bei dem Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer psychischen und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen diagnostiziert (UA 17). Auch hatte der psychologische Sachverständige F. in dem Strafverfahren beim Landgericht Arnsberg schon 1992 die Sexualdelinquenz des Verurteilten "maßgeblich" auf seine "dissozialen Interaktionsmuster" (UA 44) zurückgeführt, was der jetzigen Beurteilung der Sachverständigen entspricht.
17
2. Eine berücksichtigungsfähige „neue Tatsache“ kann hier allerdings die Therapieverweigerung des Verurteilten sein, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung davon ausgehen konnte, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer Erfolg versprechenden Therapie unterziehen (Senatsbeschluss vom 9. November 2005 aaO). Im Rahmen der dadurch eröffneten Gesamtwürdigung (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 1 StR 482/05) darf der Tatrichter jedoch nicht allein auf eine derartige Verweigerungshaltung abstellen (BVerfGE 109, 190 = NJW 2004, 750, 758; BGH NJW 2005, 2022). Vielmehr hat er dazu die Persönlichkeit des Verurteilten, seine bisherigen Straftaten und seine Entwicklung bis zur letzten tatrichterlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 618/08
vom
22. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2009 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17. Juni 2008 aufgehoben. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last. Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.
2
2. Nach den landgerichtlichen Feststellungen wurde gegen den bis dahin unbestraften Verurteilten durch das Landgericht Augsburg mit rechtskräftigem Urteil vom 20. März 2003 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung (Fall 1), wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (Fall 2), vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung (Fall 3) sowie wegen Beleidigung in drei Fällen (Fälle 4 bis
6) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verhängt.
3
Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte am 16. Juli 2002 eine ihm unbekannte Frau in einem Gebüsch mit Gewalt zu analem, oralem und vaginalem Geschlechtsverkehr gezwungen hatte (Fall 1; Einzelstrafe: fünf Jahre Freiheitsstrafe ). Zuvor hatte er in einem Zeitraum von etwa zwei Monaten in Telefonaten mit Frauen, die sich bei ihm gemeldet hatten, nachdem er jeweils seine Telefonnummer an ihrem Auto hinterlassen hatte, sexualbezogene Reden geführt und dadurch vier von ihnen beleidigt (Fälle 3 bis 6), eine davon hierdurch zudem körperlich beeinträchtigt (Fall 3). Eine Frau hatte mit dem Verurteilten ein Treffen vereinbart, bei dem ihn jedoch ihr Freund zur Rede stellen wollte. Als der Freund sich deshalb dem Fahrzeug des Verurteilten näherte, fuhr dieser mit quietschenden Reifen davon, wobei der Freund der Frau von der noch offenen Beifahrertür gestreift und durch das Fahrmanöver gefährdet wurde (Fall 2).
4
3. Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Urteil das Vorliegen von vor dem Ende des Strafvollzugs erkennbaren Tatsachen, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hindeuten, bejaht (§ 66 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StGB). Als derartige „Nova“ hat es festgestellt :
5
a) Am 26. März 2006 beschimpfte der Verurteilte einen Mithäftling mit „Du Türkensau“. Auf dessen Erwiderung holte er zum Schlag aus, konnte jedoch durch Vollzugsbedienstete zurückgedrängt werden.
6
b) Am 1. Juli 2006 trat der Verurteilte im Rahmen eines Fußballspiels einem Mitgefangenen „mit voller Wucht den Fuß in die Beine“. Als er daraufhin von einem Vollzugsbediensteten des Feldes verwiesen wurde, „baute er sich vor diesem auf“, so dass dieser befürchtete, er werde „augenblicklich zum Schlag gegen ihn ausholen“; jedoch wurde er von Mitgefangenen abgedrängt. Nach dem Ende der Sportveranstaltung drohte er noch verbal dem Bediensteten sowie dem von ihm getretenen Mitgefangenen.
7
Der Verurteilte war auf die beiden Mitgefangenen eifersüchtig, weil diese seiner Ansicht nach mehr Zeit als er bei der Therapeutin, in die er sich „verschaut“ hatte, verbringen durften.
8
c) Am 21. Juli 2006 äußerte er gegenüber dem Leiter der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualtäter lautstark, dass „es gleich krachen würde“.
9
d) Am 27. September 2005 schrieb er einen Brief an eine Strafgefangene , in dem er sexuelle Vorstellungen darlegte und entsprechende Fragen stellte.
10
e) Am 14. Dezember 2005 wünschte er sich brieflich von einer anderen Frau „ein paar schöne Fotos, wenn möglich bitte oben ohne“. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Zudem thematisierte er sexuelle Vorstellungen.
11
f) Am 30. Juli 2006 bat er seine Schwester, ihm „ein sommerbezogenes aktuelles Foto“ von sich zu schicken.
12
g) Ende 2005 wurde im Rahmen der Exploration durch einen psychiatrischen Sachverständigen festgestellt, dass der Verurteilte „sexuelle Wünsche und Phantasien gegenüber seiner ehrenamtlichen Betreuerin“ hegte.
13
h) Anlässlich einer in anderer Sache am 27. April 2006 durchgeführten Vernehmung äußerte der Verurteilte gegenüber einem Polizeibeamten auf dessen entsprechende Frage, dass „es … auch anders hätte kommen können, bis zur Tötung des Opfers“, wenn dieses bei der verurteilten Vergewaltigung (Fall
1) geschrien oder sich gewehrt hätte.
14
4. Diese Tatsachen haben - auch in der Gesamtschau - entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht das für die Anwendung des § 66b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB erforderliche Gewicht. Denn nach der gesetzlichen Konzeption soll die zeitlich unbefristete, außerordentlich beschwerende nachträgliche Sicherungsverwahrung (BGHSt 51, 191, 196) nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht kommen, bei denen der Verurteilte zum Entlassungszeitpunkt als hochgefährlich einzustufen ist. Deshalb muss es sich bei den „Nova“ um Tatsachen jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle handeln (vgl. BGHSt 50, 121, 124 f.; 51, 191, 195; BTDrucks. 15/2887 S. 10, 12), d.h. sie müssen ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung bereits für sich Gewicht haben, weil sie nur dann auf eine relevante Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen können (vgl. BGH StV 2007, 29).
15
Vorfälle im Vollzug können die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung daher nur rechtfertigen, wenn sie auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit , die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen. Verhaltensweisen, die sich auf die Vollzugssituation zurückführen lassen und sich für Strafgefangene als typisch oder doch weit verbreitet darstellen, fallen nicht darunter (BVerfG, Kammer, Beschl. vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06; BGHSt 50, 284, 297 f.).
16
Daran gemessen überschreiten die vom Landgericht festgestellten, teilweise auf dem Gefühl der Eifersucht beruhenden Verhaltensweisen des Verurteilten gegenüber Mitgefangenen und Vollzugsbediensteten die Erheblichkeitsschwelle nicht. Dasselbe gilt für die vom Verurteilten geführte Korrespondenz, in der er sexuelle Wünsche und Phantasien äußerte, auf die zumindest eine Frau durch Übersendung der erbetenen Fotos einging. Es ist auch nicht erkennbar , inwiefern es auf eine zukünftige gravierende Gefährlichkeit des Verurteilten hindeuten können soll, dass dieser gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen sich über sexuelle Wünsche und Phantasien hinsichtlich seiner Betreuerin geäußert hat. Ungeachtet der Frage, ob diese Angaben verwertbar sind, ergibt sich auch nichts anderes aus der Einschätzung des Verurteilten gegenüber dem Polizeibeamten über den möglichen Verlauf der sechs Jahre zurückliegenden, ohnehin bereits ausgesprochen schwerwiegenden Vergewaltigungstat , da sich ihr für die vorzunehmende Einschätzung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger gewichtiger Straftaten nichts entnehmen lässt. Es bedarf danach keiner Entscheidung mehr, ob das Landgericht den Umstand, dass der Verurteilte seit dem letzten als relevant bewerteten Geschehen am 30. Juli 2006 (Brief an seine Schwester) nicht mehr aufgefallen ist, zutreffend gewichtet hat.
17
5. Der Senat schließt aus, dass bei einer neuen Hauptverhandlung weitere Tatsachen festgestellt werden könnten, die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten und hat deshalb auf den Wegfall der Anordnung erkannt.
18
6. Die Entscheidung über eine Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen muss dem Landgericht überlassen bleiben (vgl. BGH NStZ 2006, 156, 159 m.w.N.).
Nack Wahl Graf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 605/06
vom
9. Januar 2007
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des
Verurteilten kann für sich genommen die nachträgliche Anordnung
der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB regelmäßig
nicht begründen. Maßgebliches Kriterium ist, dass
sich die Erkrankung während der Strafhaft in einer für die
Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des
Verurteilten ausgedrückt hat.
BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06 - Landgericht
Passau
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 9. Oktober 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
3
1. Gegen den Verurteilten wurde vom Landgericht Passau am 9. Oktober 1997 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf einen Kraftfahrer und mit versuchtem schwerem Raub eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt (Anlassverurteilung). Der Verurteilte und dessen mitverurteilter Bruder hatten versucht, einen Taxifahrer während der Fahrt mit mitgeführten Tapezier- und Küchenmessern zu erstechen, um in den Besitz seiner Einnahmen zu gelangen und die Kosten für die Fahrt zu sparen. Dem Tatopfer gelang mit erheblichen Verletzungen die Flucht.
4
Der Verurteilte war wegen Delikten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität , darunter Körperverletzungen, bereits mehrfach vorgeahndet. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Ausgangsgerichts liegt bei ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung vor, die mit erheblicher Impulsivität und mit auto- und fremdaggressivem Verhalten einhergeht. Wegen dieser Persönlichkeitsstruktur und einer aktuellen Alkoholintoxikation ist das Ausgangsgericht von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Tatzeitpunkt ausgegangen. Von einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen, „weil der Angeklagte jede Therapie ablehnt, insbesondere auch eine Therapie nach der Strafe und er deswegen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht therapiefähig ist, eine Unterbringung von Vornherein also aussichtslos wäre.“
5
2. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Wie die nunmehr befasste Strafkammer feststellt, erkrankte er im Verlaufe des Strafvollzuges an einer paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Die Krankheit äußert sich in Denkstörungen und paranoiden Wahnvorstellungen. Der Verurteilte zeigt weder Krankheitseinsicht noch Behandlungsbereitschaft ; eine Medikation muss daher im Rahmen einer Betreuung zwangsweise durchgeführt werden. Darüber hinausgehende Feststellungen zu den Auswirkungen der Erkrankung, insbesondere zu den bei dem Verurteilten konkret aufgetretenen Krankheitssymptomen und deren Einfluss auf sein Vollzugsverhalten trifft das Landgericht nicht.
6
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB bejaht. Als neue Tatsache im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB hat es die psychiatrische Erkrankung des Verurteilten gewertet. Im Anschluss an die eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten führt es aus, dass der Verurteilte ohne die von ihm abgelehnte medikamentöse Behandlung einem wahnhaftem Beeinträchtigungsund Beeinflussungserleben unterliegen werde. Seine bereits persönlichkeitsbedingt angelegte Neigung zu Aggressivität und Impulsivität, auf die sich die Anlasstat gegründet habe, werde hierdurch deutlich erhöht. Das Landgericht sieht aus diesem Grunde auch einen prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung.
7
Als neue Tatsache wertet das Landgericht auch die Therapieunwilligkeit des Verurteilten, misst ihr allerdings keine eigene entscheidungserhebliche Bedeutung bei. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten, auf das der im vorbereitenden Antragsverfahren von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige noch seine Gefährlichkeitsprognose gestützt hatte (UA S. 12), hält es für insgesamt „nicht relevant“. Nach Auffassung des Landgerichts bedurften daher Umstände wie „beispielsweise das Auffinden der beiden selbstgefertigten Schneidewerkzeuge in der Zelle des Betroffenen“ oder die Frage, „ob der Betroffene tatsächlich einem Mitgefangenen gegenüber geäußert hatte, er werde /wolle mit den selbstgefertigten Schneidwerkzeugen Anstaltspersonal aufschlitzen“ (UA S. 19), keiner näheren Aufklärung und Feststellung.

II.


8
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar zu Recht bejaht. Auch ist der vom Landgericht herangezogene Umstand der psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten „neu“ im Sinne des § 66b StGB. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann gleichwohl keinen Bestand haben, weil der festgestellte Zustand des Verurteilten für sich genommen keine hinreichende Tatsachengrundlage bietet, um hieraus eine den Anforderungen von § 66b StGB genügende qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten abzuleiten.
9
1. Nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, dass es sich bei der im Verlaufe des Strafvollzugs hervorgetretenen Erkrankung des Verurteilten um eine „neue“, im Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung grundsätzlich berücksichtigungsfähige Tatsache handelt.
10
a) Neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind. Demgegenüber können Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und erforderlichenfalls näher aufklären müssen, im Verfahren nach § 66b StGB keine Berücksichtigung finden (BGHSt 50, 180, 187; 373, 378 f.). Im Falle psychischer Auffälligkeiten des Verurteilten kommt es nicht darauf an, wann diese Auffälligkeiten erstmals zur Diagnose einer psychischen Störung oder psychiatrischen Krank- heit geführt haben; maßgeblich ist vielmehr, ob die der psychologischen oder medizinischen Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits vorlagen und bekannt oder zumindest erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 275, 278 f.; 373, 379, 383; BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine erstmalige oder neue Bewertung derartiger Tatsachen stellt selbst keine neue Tatsache im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB dar (BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06).
11
Um den Fall einer solch nachträglichen Diagnose auf der Grundlage bereits früher bekannter oder erkennbarer Tatsachen handelt es sich hier nicht. Zwar sind bereits im Ausgangsverfahren bei dem Verurteilten Verhaltensweisen und Auffälligkeiten festgestellt worden, die der hinzugezogene Sachverständige als Persönlichkeitsstörung in der Ausprägung einer dissozialen Entwicklung mit emotionaler Instabilität bewertet hatte. Die Urteilsgründe belegen jedoch hinreichend , dass es sich bei diesen Symptomen um andere handelt als jene, auf die sich die jetzige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gründet. Soweit der nunmehr angehörte Sachverständige es für möglich hält, dass der aktuellen Erkrankung ein unspezifisches Vorstadium vorangegangen ist, das bereits vor der Anlassverurteilung aufgetreten sein könnte, war dies für den damaligen Tatrichter jedenfalls nicht erkennbar. Wie das Landgericht feststellt, hatte der im damaligen Verfahren gehörte Sachverständige keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer schizophrenen Erkrankung oder eines möglichen Vorstadiums wahrgenommen. Dass der Sachverständige einen entsprechenden Befund hätte gewinnen können, ist nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund bestand auch für den damaligen Tatrichter kein Anhaltspunkt für einen über die diagnostizierte Störung hinausgehenden psychischen Defekt und daher auch kein Anlass, Aufklärungsbemühungen in diese Richtung zu entfalten.

12
b) Keinen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht die fehlende Krankheitseinsicht und die Therapieunwilligkeit des Verurteilten als „neu“ bewertet. Der Verurteilte hatte zwar bereits vor der Ausgangsverurteilung keine Therapiebereitschaft gezeigt. Sofern sich seine jetzige Verweigerung nur als Fortsetzung dieses Verhaltens darstellt, wäre sie kein Umstand, auf den die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gestützt werden könnte (vgl. BGHSt 50, 121, 130; 275, 280 f.). So liegt es hier jedoch nicht. Das Landgericht hat nicht die bekannte Therapieverweigerung des Verurteilten im Hinblick auf dessen Persönlichkeitsstörung herangezogen, sondern allein die Uneinsichtigkeit , die sich auf das Vorliegen und die Behandlungsbedürftigkeit seiner neu hervorgetretenen Erkrankung bezieht. Nach den Feststellungen stellt sich diese Haltung als spezifischer Ausdruck der - sich auch im Übrigen in einer umfassenden Wirklichkeitsverkennung manifestierenden – paranoiden Schizophrenie dar. Das Landgericht durfte sie daher neben anderen Symptomen der Krankheit berücksichtigen und bei Bewertung der von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr auf seinen unbehandelten Zustand abstellen. Ob die fehlende Krankheitseinsicht trotz ihrer offensichtlichen Verknüpfung mit der psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten darüber hinaus – wie das Landgericht annimmt - Geltung als eigenständige neue Tatsache im Sinne des § 66b StGB beanspruchen kann, kann offen bleiben, da das Landgericht dieser Einordnung ausdrücklich keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat.
13
2. Allerdings ist hier die Feststellung der schizophrenen Erkrankung des Verurteilten für sich nicht hinreichend, um die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung zu tragen. Das Landgericht hätte über die Diagnose der Krankheit und die abstrakte Beschreibung der durch sie bewirkten Veränderun- gen in der Person des Verurteilten hinaus konkret feststellen müssen, auf welche Weise die Erkrankung sich auf das Verhalten des Verurteilten ausgewirkt hat. Es hätte belegen müssen, dass derartige Entäußerungen der Krankheit eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 66b StGB indizieren und in einen symptomatischen Zusammenhang mit der Anlasstat gebracht werden können.
14
a) Das Landgericht geht von dem zutreffenden rechtlichen Ansatz aus, dass auch innere Tatsachen wie Veränderungen in der Persönlichkeit und Psyche des Verurteilten neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB sein können (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06). Dies gilt auch für psychiatrische Befundtatsachen (BGHSt 50, 275, 279 f.; BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06; Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Wie alle sonstigen „nova“ müssen auch solche Umstände eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 276, 278; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Diesen Anforderungen hat das Landgericht Rechnung getragen, indem es die Erkrankung des Verurteilten im Anschluss an die Ausführungen der angehörten Sachverständigen dahingehend charakterisiert hat, dass sie die bereits durch die Persönlichkeitsstörung reduzierte Impulskontrolle des Verurteilten weiter verringern und damit zu einer Erhöhung der Gefahr impulshafter Aggressionshandlungen, die sich bereits in der Anlasstat realisiert hat, führen wird. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
15
b) Im Falle einer psychischen Erkrankung des Verurteilten ist allerdings darüber hinaus zu verlangen, dass sich die Krankheit während der Strafhaft nach außen manifestiert und in einer prognoserelevanten Weise ausgedrückt hat (BGH, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Nur so ist gewährleistet, dass sich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützt und damit ihren vom Gesetzgeber zugedachten (BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12f.) und von Verfassungs wegen gebotenen (vgl. BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484) Charakter einer auf seltene Ausnahmefälle beschränkten Maßnahme bewahrt.
16
aa) Die zeitlich unbefristete Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach voller Verbüßung der verhängten Schuldstrafe bildet eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten ist ihre Anordnung nur dann verhältnismäßig, wenn die Gefahrenprognose auf einer umfassenden Gesamtwürdigung beruht, die sich an die Feststellung der neuen erheblichen Tatsachen anschließt, und in die sämtliche weitere prognoserelevante Umstände einfließen (BGHSt 50, 121, 125; 275, 277 f.). Bereits die Gesetzesmaterialien betonen, dass monokausale Erklärungsmuster bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten fehl am Platze sind, die Qualität der Prognose vielmehr entscheidend von der Breite der Prognosegrundlage abhängt (BT Drucks. 15/2887 S.12 f.; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3485).
17
Hierzu stünde in Widerspruch, wenn psychologisch oder medizinisch begründeten inneren Tatsachen bereits eine ausreichende Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten zukäme. Eine solche Betrachtungsweise verengt den Blick, der im Rahmen des § 66b StGB auf alle den Verurteilten betreffenden kriminogenen Faktoren gerichtet sein muss, in unzulässiger Weise auf den Innenbereich des Verurteilten. So kann eine dort festgestellte psychiatrische Erkrankung zwar abstrakt geeignet sein, eine von dem Verurteilten ausgehende Gefahr zu begründen oder eine an sich bereits gegebene Gefährlichkeit zu erhöhen. In Ermangelung nach außen getretener Hinweise würde sich eine derartige Gefährlichkeitsprognose aber allein auf medizinische Erfahrungswerte und statistische Wahrscheinlichkeiten stützen. Dies wäre angesichts der Schwere des Eingriffes in die Freiheitsrechte des Verurteilten nicht ausreichend (BGHSt 50, 121, 130 f.; vgl. zu § 66 StGB BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06).
18
Erst konkrete Auswirkungen der Krankheit verbreitern daher die Entscheidungsgrundlage in der von § 66b StGB geforderten Weise und verleihen der Erkrankung ein die Gefährlichkeitsprognose tragendes Gewicht. Solche Auswirkungen werden regelmäßig im Vollzugsverhalten des Verurteilten zu suchen sein. Sie müssen nicht bereits für sich genommen geeignet sein, die Anordnung der Maßregel zu tragen; sie dürfen sich andererseits aber auch nicht in prognoseneutralen Symptomen der psychiatrischen Krankheit erschöpfen, sondern müssen einen Rückschluss auf die krankheitsbedingt erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten zulassen. So wird im Falle eines psychotisch erkrankten Verurteilten selbst Auffälligkeiten, die eine hochgradige Wirklichkeitsverkennung belegen (z.B. Wahnerleben durch Stimmenhören), keine prognostische Bedeutung beizumessen sein, solange sie ohne bedrohlichen Charakter bleiben. Anders verhält es sich, wenn etwa aus wahnhaften Äußerungen die Bereitschaft erkennbar wird, nach Entlassung aus dem Strafvollzug erhebliche Straftaten zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06), oder wenn die Krankheit sich bereits im Vollzug in einem aggressiven Verhalten ausgedrückt hat, das nicht allein auf die Besonderheiten der Vollzugssituation zurück- zuführen ist, sondern konkrete Rückschlüsse auf das Verhalten im Fall der Entlassung zulässt (vgl. hierzu BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 284, 297; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).
19
bb) Die Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als eine zum Strafrecht gehörende Maßnahme (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) verlangt, dass ihre Anordnung an eine Straftat anknüpft und ihre sachliche Rechtfertigung aus ihr beziehen kann (BVerfGE 109, 190; BGHSt 50, 275, 278 f.). Der Bundesgerichtshof hat dieses Erfordernis in inzwischen ständiger Rechtsprechung (BGH a.a.O.; NStZ 2006, 276) dahingehend konkretisiert, dass sich in den neuen Tatsachen die bei der Anlasstat hervorgetretene spezifische Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln muss, die „nova“ mithin in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen müssen. Auch aus diesem Grundsatz folgt für die Fallgruppe psychisch erkrankter Verurteilter , dass die Krankheit ihren Ausdruck in Auffälligkeiten gefunden haben muss, die sich als Fortsetzung oder Verstärkung der Gefahrenlage bei der Anlasstat darstellen. Dagegen kämen allenfalls präventive polizeirechtliche Maßnahmen in Betracht, wenn allein aufgrund der aufgetretenen Krankheit ein deliktisches Verhalten des Verurteilten zu erwarten wäre, ein konkreter Zusammenhang mit der zurückliegenden Straftat sich jedoch nicht herstellen ließe. Eine auf solcher Grundlage gleichwohl angeordnete Maßregel würde nur gelegentlich des laufenden Strafvollzuges verhängt, wäre aus der Anlasstat jedoch nicht mehr zu rechtfertigen.
20
cc) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Feststellungen allein den von den hinzugezogenen Sachverständigen ermittelten und bewerteten klinischen Zustand des Verurteilten in einem hohen Abstraktionsgrad beschrieben. Es kommt dann im Anschluss an die Sachverständigen zu der Einschätzung, dass es, „wie die Erfahrung lehrt“ (UA S. 17), ohne konsequente Behandlung erneut zu einem psychotischen Krankheitserleben bei dem Verurteilten kommen werde, und leitet hieraus ein dem Verurteilten innewohnendes erhebliches Gefährdungspotential ab. Aufgrund welcher konkreten Befundtatsachen die Sachverständigen zu ihrer Einschätzung gelangt sind, teilt das Landgericht nicht mit. Auch das Krankheitsbild schildert es pauschal („wahnhaftes Denken“; „Situationsverkennung“ ), ohne konkrete Ausprägungen der Symptomatik zu benennen und im Zusammenhang mit der Anlassverurteilung zu bewerten. Der Vollzugsverlauf bleibt - auch im Rahmen der abschließenden Gesamtwürdigung - insgesamt ausgeblendet, obwohl sich Anhaltspunkte für Verhaltensweisen des Verurteilten bieten, die in augenfälliger Übereinstimmung mit der Situation vor Begehung der Anlasstat stehen.
21
3. Der Senat hält - wie bereits für § 66b Abs. 1 StGB ausgesprochen (BGHSt 50, 121, 132) - auch im vorliegenden Fall, in welchem die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sich auf § 66b Abs. 2 StGB stützt, Feststellungen zum Vorliegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB für erforderlich (so auch BGHSt 50, 373, 381; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 20; a.A. BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66b Rdn. 8). Zwar nimmt § 66b Abs. 2 StGB im Unterschied zu § 66b Abs. 1 StGB nicht auf die Voraussetzungen des § 66 StGB Bezug, zu denen auch das Hangerfordernis gem. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zählt. Die Gesetzesbegründung legt allerdings nahe, dass die unterschiedliche Anknüpfung sich in erster Linie auf die formellen Eingangsvoraussetzungen der Maßregel beziehen soll (BTDrucks. 15/2887 S. 13). Demgegenüber setzt der Wortlaut von § 67d Abs. 3 StGB, § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO für alle Fallgestaltungen der Sicherungsverwahrung unterschiedslos das Vorliegen eines Hanges voraus. Ein Auseinanderfallen der Anordnungsvoraussetzungen bei § 66b Abs. 1 StGB und § 66b Abs. 2 StGB wäre auch im Hinblick auf die identische Eingriffstiefe und die angesprochene Tätergruppe wenig plausibel (vgl. näher BGHSt 50, 373, 381).
22
Die hangbedingte Gefährlichkeit des Verurteilten erweist sich zudem als notwendiges Merkmal, um die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von jener in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB abzugrenzen und einer Umgehung der Grenzen des § 63 StGB durch Anwendung von § 66b StGB - gleich welcher Variante - in den Fällen psychiatrischer Erkrankungen als „nova“ vorzubeugen.
23
Anknüpfungspunkt für eine Unterbringung nach § 63 StGB bildet eine andauernde psychische Störung des Betroffenen („Zustand“), die ihren Ausdruck in der Anlasstat gefunden hat. Demgegenüber dient die - auch nachträgliche - Sicherungsverwahrung in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor hochgefährlichen nicht-kranken Rechtsbrechern, deren Lebens- und Kriminalgeschichte die Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten erwarten lässt („bad or mad“, vgl. Kröber, Behavioral Sciences and the Law 18, 679 [2000]; zum Verhältnis der Maßregeln vgl. auch Stree in: Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn. 76). Dieser Unterscheidung entspricht die in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB enthaltene Voraussetzung eines „Hanges“ als einer anlagebedingten oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung zu Rechtsbrüchen (BGH NStZ 2005, 265; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 18), der mit dem von § 63 StGB vorausgesetzten krankhaften oder krankheitsgleichen Zustand nicht gleichgesetzt werden kann.
24
Führt das Auftreten einer psychiatrischen Erkrankung zur Einleitung eines auf die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung gerichteten Verfahrens, so darf ihre Einordnung als neue Tatsache daher nicht den Blick darauf verstellen, dass die Erkrankung in erster Linie einen Zustand begründet, der - unter den weiteren Voraussetzungen des § 63 StGB - nur eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen könnte. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB kann hierauf allein nicht gestützt werden. Denn anderenfalls würden die Voraussetzungen des § 63 StGB faktisch umgangen, indem psychisch Erkrankte zunächst in Sicherungsverwahrung genommen und sodann in den Vollzug der Maßregel des § 63 StGB überwiesen werden könnten (§ 67a Abs. 2 StGB), ohne dass ihre Krankheit für die Anlasstat oder eine sonstige erhebliche Straftat ursächlich gewesen ist. Eine derartige „nachträgliche“ Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist dem Gesetz jedoch fremd (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06; Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05). Sie scheidet auch dann aus, wenn die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB - wie vorliegend - im Ausgangsverfahren mit einer nicht tragfähigen Begründung abgelehnt wurde; auch insoweit gilt, dass das Verfahren nach § 66b StGB nicht der Korrektur früherer Entscheidungen dient, in denen eine Prüfung geeigneter Maßregeln rechtsfehlerhaft vorgenommen wurde oder gänzlich unterblieben ist.
25
Der Senat ist an der vorgenommenen Auslegung von § 66b Abs. 2 StGB nicht durch die Entscheidung einer Kammer des Bundesverfassungsgerichtes gehindert, wonach eine gesetzgeberische Entscheidung, auf die Feststellung eines Hanges zu verzichten, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist (BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; hierzu kritisch Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 20a). Die Auslegung der neugestalteten Vorschrift des § 66b StGB, die hier zum Erfordernis eines Hanges geführt hat, obliegt den Fachgerichten. Zudem berührt die Bewertung, dass die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung ohne Feststellung einer hangbedingten Gefährlichkeit nicht in verfassungswidriger Weise in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten eingreift, nicht die vorgenommene Auslegung, die dem Grundrecht des Verurteilten in noch weitgehender Weise Rechnung trägt. Im Übrigen führt die Kammer des Bundesverfassungsgerichts selbst aus, dass die Feststellung eines Hanges auch im Rahmen des § 66b Abs. 2 StGB im Einzelfall geboten sein kann (BVerfG a.a.O.).

III.


26
1. Die Sache war demzufolge zu neuer Prüfung an das Landgericht zurückzuverweisen. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer wird insbesondere aufzuklären haben, in welchem äußerlichen Verhalten die Erkrankung des Verurteilten ihren Niederschlag gefunden hat. Hierbei wird es sich aufdrängen , zunächst dem im angefochtenen Urteil angesprochenen Vollzugsverhalten (UA S. 19) nachzugehen, das sich auf von dem Verurteilten selbstgefertigte Schneidewerkzeuge und deren beabsichtigte Verwendung bezieht. Das Landgericht wird sich zudem damit auseinanderzusetzen haben, ob die bisherige Kriminalitätsentwicklung, die Anlasstat und die Entwicklung im Strafvollzug geeignet sind, ein kriminelles Verhaltensmuster des Verurteilten im Sinne eines Hanges offen zu legen. Dabei können auch seine Persönlichkeit und die psy- chiatrische Erkrankung eine Rolle spielen, ohne dass dem gegenwärtigen krankheitsbedingten Zustand allerdings ein Übergewicht für die Beurteilung zukommen darf.
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2. Der Senat bemerkt, dass es sich in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die besondere Gefährlichkeit des Verurteilten sich in einer psychiatrischen Erkrankung gründet, empfehlen wird, parallel zu dem auf die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gerichteten strafrechtlichen Verfahren ein polizeirechtliches Verfahren nach dem landesrechtlichen Unterbringungsgesetz einzuleiten. Sollte sich im Verfahren nach § 66b StGB erweisen, dass von dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, eine Anordnung der Maßregel - etwa mangels tragfähiger neuer Tatsachen oder mangels eines Hanges - aber gleichwohl nicht in Betracht kommt, könnte der erkannten Gefahrenlage durch Ausschöpfung der auf polizeirechtlicher Grundlage zulässigen Maßnahmen (vgl. §§ 9 f. BayUntbrG) begegnet werden. Da solche Maßnahmen , sollen sie einen effektiven Schutz der Allgemeinheit vor den vom Verurteilten ausgehenden Gefahren bewirken, bereits bei Entlassung des Verurteilten eingreifen müssten, erscheint es unzweckmäßig, wenn die Verwaltungsbehörde - wie dem landgerichtlichen Urteil zu entnehmen ist - ein Verfahren unter Hinweis auf den Vorrang der Unterbringung nach § 66b StGB (vgl. § 1 Abs. 2 BayUntbrG) zunächst nicht betreibt. Es wird sich vielmehr als notwendig erweisen , dass die Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen bereits im Antragsverfahren die Verwaltungsbehörde von der Einleitung des Verfahrens unterrichtet (§§ 481 f. StPO), damit diese Gelegenheit erhält, die Voraussetzungen einer Unterbringung in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Sollte auch eine Unterbringung auf landesrechtlicher Grundlage nicht in Betracht kommen, verweist der Senat auf die Möglichkeit, mithilfe geeigneter organisatorischer Maßnahmen, insbesondere solcher der Führungsaufsicht gem. §§ 68 ff. StGB, das Rückfallrisiko des in Freiheit entlassenen Verurteilten zu mindern (vgl. näher BGHSt 50, 373, 384 f.; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).
Nack Wahl Boetticher
Elf Graf

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.