Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2017 - 1 StR 506/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 21. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
a) mit den zugrundeliegenden Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in 30 Fällen verurteilt worden ist (Taten zu B.4.b. der Urteilsgründe),
b) im Gesamtstrafenausspruch und soweit die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in der Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und der den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 207 Fällen, wegen Vergewaltigung in 31 Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen und wegen Bedrohung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Diese hat allein in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und erweist sich im Übrigen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen als unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 30 Fällen verurteilt hat, weil er in den Jahren 2004 bis 2013 jeweils dreimal jährlich von der Nebenklägerin S. Oralverkehr erzwungen hat, hat der Schuldspruch keinen Bestand.
- 3
- a) Hierzu hat das Landgericht festgestellt, die Nebenklägerin habe sich zunächst geweigert, den Angeklagten oral zu befriedigen. Er habe sie dann geschlagen , getreten oder mit Schlägen gedroht. Um weitere Schläge zu vermeiden , habe die Nebenklägerin schließlich den Oralverkehr vollzogen.
- 4
- Diese Feststellungen gründet das Landgericht auf die Angaben der Nebenklägerin. Deren - in Bezug auf andere Tatvorwürfe detaillierte - Angaben in der Hauptverhandlung, aber auch bei polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen stellt das Landgericht ausführlich dar. Während sich die dargestellten Angaben in der Hauptverhandlung und bei den beiden polizeilichen Vernehmungen in der Beschreibung erschöpfen, der Angeklagte habe den Oralverkehr „erzwungen“ bzw. er habe sie dazu „genötigt“ oder ihn von ihr „gefordert“ , enthält allein die Schilderung bei der ermittlungsrichterlichenVerneh- mung Details zum Ablauf. Danach gibt die Nebenklägerin an, ihr Mann habe „auf Mundverkehr gestanden“ und sie habe auch des Öfteren mitgemacht, obwohl sie es nicht gewollt habe. Es sei „öfters“ so gewesen, dass ihr Mann Oral- verkehr eingefordert habe, als sie sich dann geweigert habe, habe er zugeschlagen oder getreten. Nachdem sie einige Male Schläge erhalten habe, habe sie „immer mitgemacht, wenn Ihr Mann dies wollte“. Dies habe sich drei- bis viermal im Jahr wiederholt.
- 5
- b) Vor diesem Hintergrund entbehrt die Feststellung, es habe in den Jahren 2004 bis 2013 jährlich jeweils drei Fälle gegeben, in denen der Oralverkehr durch Schläge oder Tritte bzw. der Drohung damit erzwungen worden sei, einer tragfähigen Grundlage.
- 6
- Zwar belegen die aufgrund einer im Übrigen äußerst sorgfältigen Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei als glaubhaft bewerteten Angaben der Nebenklägerin ausreichend, dass es als Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 StGB aF zu qualifizierende Taten zu ihren Lasten gegeben hat. Es bleibt aber danach unklar, wie viele Male der Oralverkehr tatsächlich durch den Einsatz der Nötigungsmittel des § 177 Abs. 1 StGB aF abgenötigt worden ist. Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 StGB aF müssen auch bei einer länger dauernden Serie von Tathandlungen grundsätzlich für jede Tat konkret und individualisiert festgestellt werden (BGH, Beschlüsse vom 27. März 1996 - 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107, 111 und vom 13. Juni 2006 - 4 StR 178/06, NStZ-RR 2006, 269, 270 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466 mwN zu geringeren Anforderungen , wenn sich der Tatrichter im Einzelfall die Überzeugung eines von dem Täter erzeugten und bewusst eingesetzten „Klima[s] der Angst und Einschüchterung“ verschafft).
- 7
- Nach diesen Maßgaben sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 StGB aF nicht in allen 30 Fällen durch die Angaben der Nebenklägerin belegt. Dass sich der Einsatz von Gewalt oder Drohung - sei es auch durch schlüssigen Hinweis auf früheren Gewalteinsatz oder konkludente Be- kräftigung früherer Drohungen - über den gesamten Zeitraum von zehn Jahren wiederholt hat, um die Nebenklägerin zu der begehrten sexuellen Handlung zu veranlassen, steht in einem auch nicht durch weitere Erwägungen aufgelösten Spannungsverhältnis zu deren Angaben, sie habe nach „einigen“ Malen mit Gewalt „immer mitgemacht“.
- 8
- Die Besorgnis, dass ein beweiswürdigender Beleg des Erfordernisses einer finalen Verknüpfung des Nötigungsmittels mit dem - wie das Landgericht annimmt - jeweils erzwungenen Oralverkehr aus dem Blick geraten sein könnte, wird auch durch Ausführungen zur intellektuellen Leistungsfähigkeit der Nebenklägerin untermauert. Danach weist die Nebenklägerin eine geringe Intelligenz im Grenzbereich zur Minderbegabung auf, was zur Überzeugung des Landge- richts dazu führt, dass „genau nachgefragt“ werden müsse, welche Definition sie dem Wort Vergewaltigung zugrunde lege. Diese „Unschärfe in der Definition“ von rechtlichen Begriffen bei der Nebenklägerin berücksichtigt das Landge- richt aber nur im Hinblick auf die - rechtsfehlerfrei festgestellte - einmalige Vergewaltigung 2006 durch Vaginalverkehr. Hierbei führt es an, dass die Neben- klägerin für den „erzwungenen Oralverkehr“ nicht von Vergewaltigung, sondern davon gesprochen habe, dass sie dies „gegen ihren Willen“ habe durchführen müssen. Eine genauere Erörterung, welcher konkrete Tathergang sich hinter diesen Begriffen verbirgt und ob im Hinblick auf die Umschreibung als „erzwungen“ unscharfe Begriffe verwandt worden sind, lässt das Urteil vermissen.
- 9
- c) Da der Senat nicht feststellen konnte, in wie vielen Fällen in welchem Tatzeitraum die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 und 2 StGB aF belegt sind, hat er die gesamten Feststellungen zu diesem Tatkomplex aufgehoben. Dies führt zum Wegfall des Schuldspruchs in 30 Fällen der Vergewaltigung und der zugehörigen Einzelstrafen. Hinsichtlich der übrigen Einzelstrafen, kann der Se- nat ausschließen, dass diese von dem rechtsfehlerhaften Schuldspruch wegen der 30 Vergewaltigungen beeinflusst sind.
- 10
- 2. Der Wegfall der Einzelstrafen wegen dieser 30 Taten - jeweils mit drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet - zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
- 11
- 3. Soweit das Landgericht die Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgelehnt hat, hat das Urteil auch keinen Bestand.
- 12
- a) Das Landgericht hat festgestellt, dass bei dem Angeklagten ein langjähriger Alkoholabusus vorliege und er vom Alkohol abhängig sei; derzeit konsumiere er vier bis zehn Flaschen Bier am Tag und zusätzlich Schnaps. Bei den Taten zu Lasten seiner Ehefrau (Tatzeitraum 2004 bis 2014) ist es vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB im Hinblick auf Alkoholintoxikationen ausgegangen. Eine Versagung der Strafrahmenverschiebung hat es im Hinblick auf die langjährige Alkoholabhängigkeit abgelehnt. Dies beruht auf den Angaben der Nebenklägerin S. , die eine massive Alkoholisierung des Angeklagten bei allen Taten zu ihren Lasten beschrieben hat und auf den Angaben zahlreicher weiterer Zeugen, die den erheblichen Alkoholkonsum des Angeklagten bestätigten. Dennoch hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht geprüft, sondern eine Unterbringung im Hinblick darauf abgelehnt, dass der Angeklagte die Untersuchung durch einen Sachverständigen verweigert habe. Zu weiteren Maßnahmen, um die Untersuchung zu ermöglichen , hat sich das Landgericht nicht gehalten gesehen, da nach einem Gutachten in einem anderen Strafverfahren aus dem Januar 2012 die medizinischen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel des § 64 StGB nicht angenommen worden sind.
- 13
- b) Das Vorgehen des Landgerichts erweist sich als rechtsfehlerhaft, da es eine eigenständige Prüfung der Voraussetzung des § 64 StGB unterlassen hat, obwohl hierfür Anlass bestanden hätte. Denn nach den Feststellungen der langjährigen Alkoholabhängigkeit ergibt sich der Hang im Sinne des § 64 StGB ohne Weiteres; auch der symptomatische Zusammenhang ist belegt. Der Verweis auf das Gutachten kann diesen Mangel nicht heilen. Denn die Voraussetzungen des § 64 StGB sind zum Zeitpunkt des Urteils zu prüfen. Zudem ist zu dem Gutachten inhaltlich - freilich in anderem Zusammenhang - nur mitgeteilt, dass darin eine langjährige Alkoholabhängigkeit angenommen wird.
- 14
- Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB scheidet auch nicht aus anderen Gründen von vornherein aus. Dass der Angeklagte zu einer Exploration nicht bereit war, führt nicht zum Ausschluss der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (vgl. zum Erfordernis einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände für eine Therapieunwilligkeit : BGH, Beschluss vom 19. April 2016 - 3 StR 48/16, NStZ-RR 2016, 246). Angesichts des Zeitablaufs kann der Senat auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte nach einer Entgiftung im Jahr 2001 ohne anschließende Entwöhnungsbehandlung keine weiteren Entzugsversuche unternommen hat, nicht auf das Fehlen der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht schließen.
- 15
- c) Das neue Tatgericht wird die Vorgaben des § 246a StPO auch bei Verweigerung der Mitwirkung an einer Untersuchung (vgl. hierzu Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 246a Rn. 12 mwN; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Oktober 2001 - 2 BvR 1523/01, NStZ 2002, 98) zu beachten haben.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
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a) im Schuldspruch zu a) (Tatzeitraum Januar 1996 bis 18. März 1998) dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen entfällt,
b) im Schuldspruch zu b) aufgehoben, soweit er die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 54 Fällen (Tatzeitraum 19. März 1998 bis 31. März 1999) betrifft. In diesem Umfang wird das Verfahren eingestellt und werden die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt;
c) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Taten im Tatzeitraum 19. März 2000 bis 24. April 2005 (Schuldspruch zu c und d) verurteilt worden ist, sowie im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung zu Nr. 1 Buchstabe c) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten
- 2
- a) des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes in 22 Fällen (Tatzeitraum 1. Januar 1996 bis 18. März 1998),
- 3
- b) des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 104 weiteren Fällen (Tatzeitraum 19. März 1998 bis 18. März 2000),
- 4
- c) des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Vergewaltigung in 104 weiteren Fällen (Tatzeitraum 19. März 2000 bis 18. März 2002) sowie
- 5
- d) der Vergewaltigung in 45 weiteren Fällen (Tatzeitraum Anfang Juli 2004 bis 24. April 2005) für schuldig befunden und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 6
- 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der insgesamt zum Nachteil seiner am 19. März 1984 geborenen Stieftochter begangenen Taten hinsichtlich der sexuellen Übergriffe im Tatzeitraum bis zum 31. März 1999 wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB) für schuldig befunden hat, ist mit Blick auf die erst am 1. April 2004 in Kraft getretene Änderung der Ruhensvorschrift des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 (Gesetz vom 27. Dezember 2003, BGBl I 3007/3011) Verfolgungsverjährung eingetreten (vgl. BGHR StGB § 78 b Abs. 1 Ruhen 12). Dies hat zur Folge, dass der Schuldspruch zu a) wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes in 22 Fällen (Taten bis 18. März 1998) dahin zu ändern ist, dass der Angeklagte in diesen Fällen allein des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 a.F. StGB) schuldig ist. Die insoweit ausgeworfenen Einzelfreiheitsstrafen können gleichwohl bestehen bleiben, weil sich der Schuldgehalt der Taten durch den Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach § 174 StGB nicht rechtserheblich ändert. Des weiteren führt die eingetretene Verfolgungsverjährung dazu, dass das Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen ist, soweit der Angeklagte wegen der weiteren, bis zum 31. März 1999 begangenen sexuellen Übergriffe verurteilt worden ist. Davon betroffen sind, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11. Mai 2006 zutreffend ausgeführt hat, 54 der vom Schuldspruch zu b) erfassten insgesamt 104 Fälle, so dass der Angeklagte insoweit des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in lediglich 50 Fällen, begangen im Zeitraum vom 1. April 1999 bis 18. März 2000, schuldig ist. Der Wegfall der Verurteilung wegen 54fachen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zieht den Wegfall der insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten nach sich, was schon für sich zur Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs führen würde.
- 7
- 2. Im Übrigen hat das Urteil insgesamt keinen Bestand, soweit der Angeklagte des weiteren der Vergewaltigung zum Nachteil seiner Stieftochter in insgesamt 149 Fällen, davon hinsichtlich des Tatzeitraums vom 19. März 2000 bis zum 18. März 2002 in 104 Fällen tateinheitlich begangen mit sexuellem Miss- brauch einer Schutzbefohlenen, für schuldig befunden worden ist (Schuldspruch zu c und d). Wie die Revision zu Recht geltend macht, ist nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte den Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter in allen Fällen durch tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB erzwungen hat.
- 8
- a) Die Jugendkammer hat zu Gunsten des Angeklagten angenommen, dass der erste Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit seiner Stieftochter nach deren 16. Geburtstag stattgefunden hat. Nach den dazu getroffenen Feststellungen fing der Angeklagte zunächst an, sich vor seiner Stieftochter zu befriedigen , bevor er sich plötzlich auf sie legte, ihren Slip herunterzog und sein Glied in ihre Scheide einführte. Sie versuchte vergeblich, den Angeklagten wegzudrücken, was ihr auf Grund seiner körperlichen Überlegenheit nicht gelang. In der Folgezeit nahm der Angeklagte jede Gelegenheit wahr, mit ihr den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchzuführen. Weiter heißt es im angefochtenen Urteil: "Hierbei nutzte der Angeklagte zum einen die Angst der Nebenklägerin aus, wenn sie nicht mitmache, dann verlasse er ihre Mutter. Außerdem drohte er ihr, sie kaputt zu schlagen, wenn sie nicht mitmache und etwas erzähle. Diese Drohung nahm die Nebenklägerin auch ernst. Sie hatte Angst vor dem Angeklagten" (UA 9).
- 9
- b) Diese Feststellungen belegen weder das Tatbestandsmerkmal der qualifizierten Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) noch die erforderliche finale Verknüpfung des Nötigungsmittels mit dem - wie das Landgericht annimmt - jeweils erzwungenen Geschlechtsverkehr in allen sich insgesamt über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckenden Fällen. Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einmal angewandte Gewalt als Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB fortwirken und dazu führen, dass das Opfer nur aus Furcht vor weiterer Gewalt keinen nennenswerten Widerstand mehr leistet; es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass bei lang andauernden Missbrauchsverhältnissen immer Gewalt angewendet oder ein Nötigungsmittel im Sinne des § 177 StGB eingesetzt wird (BGHSt 42, 107, 111). Deshalb müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 StGB auch bei einer länger dauernden Serie von Tathandlungen grundsätzlich für jede Tat konkret und individualisiert festgestellt werden (BGHSt aaO). Geringere Anforderungen an den Nachweis sind nur hinzunehmen, wenn sich der Tatrichter im Einzelfall die Überzeugung eines von dem Täter erzeugten und bewusst eingesetzten "Klimas ständiger Gewalt" verschafft (vgl. BGHR StGB § 177 Serienstraftaten 4 und § 177 Abs. 1 Drohung 11 a.E.).
- 10
- An diesen Voraussetzungen scheitert es vorliegend schon deshalb, weil der Angeklagte ausweislich der Feststellungen gegen seine Stieftochter mit Ausnahme eines Vorkommnisses, welches sich zudem erst ganz zum Schluss des Tatzeitraums und ohne jeglichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen ereignete (UA 11), nicht gewalttätig geworden ist. Soweit der Angeklagte damit gedroht hat, im Weigerungsfalle die Mutter zu verlassen, sowie hinsichtlich der 15 Fälle des Tatgeschehens in der eigenen Wohnung der Stieftochter im April 2005 angedroht hat, er würde im Weigerungsfalle "mit seinem Auto in ihr Wohnzimmerfenster reinfahren und die Wohnung kurz und klein schlagen" (UA 11), erfüllt dies von vornherein nicht die Voraussetzungen einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Anders verhält es sich allerdings mit der festgestellten Drohung des Angeklagten, "sie kaputt zu schlagen", wenn sie nicht mitmache und etwas erzähle" (UA 9). Doch fehlt es insoweit bereits an der konkreten Feststellung, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Tatserie der Angeklagte diese Drohung aussprach (vgl. UA 37). Darauf kommt es aber schon mit Blick auf den Nachweis des finalen und kausalen Zusammenhangs zwischen der Drohung und den sexuellen Handlungen an, und zwar unabhängig von der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob der Angeklagte mit der Drohung allein erreichen wollte, dass seine Stieftochter über das Tatgeschehen nichts Dritten erzähle. Angesichts dieser Mängel in den Feststellungen genügt auch die das Tatgeschehen in der Dusche betreffende Äußerung des Angeklagten , sie „wisse, was passiere, wenn sie nicht mitmache“ (UA 10, 38), nicht, um eine fortwirkende konkludente qualifizierte Drohung anzunehmen, zumal sich dieser Fall erst ereignete, nachdem die Stieftochter im Juli 2004 nach mehr als zweijähriger Unterbrechung wieder zu Hause bei dem Angeklagten eingezogen war. Schließlich ist mit der Annahme eines von dem Angeklagten erzeugten "Klimas ständiger Angst" auch nicht ohne weiteres vereinbar, dass der Angeklagte und seine Stieftochter zu Hause immer einen sehr engen körperlichen Kontakt suchten (UA 19; vgl. auch UA 27).
- 11
- c) Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils in den Fällen der Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung (Schuldspruch zu c und d) insgesamt, auch wenn die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 104 Fällen (Tatzeitraum 19. März 2000 bis 18. März 2002) für sich genommen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
- 12
- Der Senat kann auch nicht die Verurteilung wegen Vergewaltigung (in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen) hinsichtlich des ersten Falls des - nach Auffassung des Landgerichts erzwungenen - Geschlechtsverkehrs bestehen lassen. Zwar können die dazu getroffenen Feststellungen , denen zufolge - wie oben ausgeführt - die Stieftochter den Angeklagten vergeblich wegzudrücken versuchte (UA 8 a.E.), dahin verstanden werden, dass sich die Nebenklägerin hierbei gegen den sexuellen Übergriff zur Wehr setzte und der Angeklagte ihren Widerstand durch Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB überwunden hat. Das Landgericht hat diese Tatbestandsalternative indes, wie die rechtliche Würdigung (UA 36 f.) ergibt, nicht angenommen , sondern mit der unverändert zugelassenen Anklage lediglich die Drohungsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB als verwirklicht angesehen. Angesichts dessen stünde einer Bestätigung des Schuldspruchs auf veränderter rechtlicher Grundlage bereits § 265 StPO entgegen.
- 13
- 3. Die Aufhebung des Urteils in den 149 Fällen der Vergewaltigung (Schuldspruch zu c und d) entzieht auch den insoweit verhängten Einzelstrafen die Grundlage und hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge.
- 14
- Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der neue Tatrichter, falls er sich nicht vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht zu überzeugen vermag, mit Blick auf die von dem Angeklagten gegenüber seiner Stieftochter geäußerten Drohungen insoweit auch eine Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) in Betracht zu ziehen haben wird.
Solin-Stojanović Ernemann
BUNDESGERICHTSHOF
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
- 4
- a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
- 5
- Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
- 6
- b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
- 7
- 2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
- 8
- a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
- 9
- b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
- 10
- So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
- 11
- Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
- 12
- Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
- 13
- 3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
- 14
- Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).
II.
- 15
- Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 16
- 1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
- 17
- (1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
- 18
- (2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
- 19
- (3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
- 20
- (4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe
).
- 21
- (5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
- 22
- (6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
- 23
- (7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
- 24
- (8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
- 25
- Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
- 26
- 2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
- 27
- a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
- 28
- b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
- 29
- Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
- 30
- Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
- 31
- c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
- 32
- Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
- 33
- Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Mutzbauer Quentin
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 19. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig
beschlossen:
a) dahin ergänzt, dass aa) die Angeklagten im Übrigen freigesprochen werden; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last, bb) die vom Angeklagten B. in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen verurteilt, den Angeklagten K. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten, den Angeklagten B. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die dagegen gerichteten, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Das Landgericht hat jeweils rechtsfehlerhaft von einem Teilfreispruch abgesehen, soweit es sich in acht der den Angeklagten zur Last gelegten Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (Fälle 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 der Anklageschrift) nicht von deren Täterschaft zu überzeugen vermocht hat (UA S. 39 f.). Den Angeklagten waren mit der Anklage jeweils 685 tatmehrheitlich begangene Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Dem ist die Strafkammer im Eröffnungsbeschluss gefolgt. Insoweit ist den Angeklagten unter den Ziffern 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 jeweils zur Last gelegt worden, am 19. September 2013 sowie am 2., 7., 11., 12., 15., 20. und 21. Oktober 2013 im Zusammenwirken mit den zwei Mitangeklagten jeweils 1 bis 10 Gramm der unter den Bezeichnungen "Göttin Astarte" und "CM 21" vertriebenen Substanzen, die den in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoff AKB-48F enthielten, an verschiedene Abnehmer veräußert zu haben. Diese Vorwürfe hat das Landgericht nach der Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen. Es hätte die Angeklagten deshalb, um den Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ohne Rücksicht auf die dem Urteil unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit zugrunde gelegte konkurrenzrechtliche Beurteilung der Verkaufsfälle als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen teilweise freisprechen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338 mwN; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 3 StR 321/14, juris Rn. 2).
- 3
- 2. Im Hinblick auf den Angeklagten B. hat die Strafkammer entgegen der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die von dem Angeklagten in den Niederlanden erlittene Freiheitsentziehung auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364). Da nach der Sachlage nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des Anrechnungsmaßstabs nachgeholt und die Urteilsformel entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ergänzt (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364; vom 13. August 2009 - 3 StR 255/09, NStZ-RR 2009, 370).
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- 3. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 5
- a) Die Strafkammer hat ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen damit begründet, dass bei den Angeklagten ein Hang, psychotrop wirkende Substanzen im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei. Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 Satz 1 StGB sei, dass die berufliche, soziale und gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch seinen Betäubungsmittelkonsum nachhaltig beeinträchtigt werde. Die "täglichen Aktivitäten bei der Abwicklung der eingehenden Bestel- lungen", die der Angeklagte B. "ohne Beeinträchtigung durch seinen Betäubungsmittelkonsum" ausgeführt habe, ließen die erforderliche nachhaltige Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit indes ausgeschlossen erscheinen. Eine nachhaltige Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten K. könne "im Hinblick auf die Komplexität des Tatgeschehens" und die "Position", die er "in der Gruppierung eingenommen" habe, ebenfalls ausgeschlossen werden. Bei ihm sei im Übrigen mangels jeglicher Motivation, eine Therapie zu durchlaufen, nicht davon auszugehen, dass eine Entziehungsbehandlung innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden könne.
- 6
- b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein Hang im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4). Insoweit sind die vom Landgericht getroffenen Feststellungen unzureichend.
- 7
- Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten hat die Strafkammer ausgeführt, dass der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) leidende Angeklagte B. sich dahin eingelassen habe, seit seinem 16. Lebensjahr regelmäßig Amphetamin konsumiert und seinen Konsum während der Tatzeit auf bis zu 3 Gramm täglich gesteigert zu haben, an den Wochenenden auch auf bis zu 5 Gramm täglich. Außerdem habe er gelegentlich Kokain, LSD sowie zweimal im Monat Ecstasy und auch Pilze probiert. Hinsichtlich des Angeklagten K. hat sie ausgeführt, dass er an einer "Persönlichkeitsstörung aus dem dissozialen Formenkreis" leide, die aber im Hinblick auf die §§ 20, 21 StGB ebenso wenig bedeutsam sei wie sein "etwaiger Betäubungsmittelkonsum". Das lässt darauf schließen, dass die Strafkammer das Ausmaß des Betäubungsmittelkonsums der Angeklagten im Hinblick auf § 64 Satz 1 StGB nicht weiter hinterfragt und aufgeklärt hat, weil sie ihm in Anbetracht des weitgehend intakten Leistungsverhaltens der Angeklagten rechtsfehlerhaft von vornherein keine Relevanz für diese Vorschrift beigemessen hat. Sie hat dabei verkannt, dass einer Neigung der Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht ohne Weiteres entgegensteht , dass sie gleichwohl in der Lage waren, die abgeurteilten Straftaten zu begehen. Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum indiziert zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 StR 646/15, juris Rn. 11).
- 8
- c) Darüber hinaus steht auch die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten K. seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Mangelnde Therapiebereitschaft kann zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB) sprechen. Liegt sie vor, so ist es jedoch geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine Therapiewilligkeit für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl.
- 9
- d) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Angeklagten nicht von vornherein ausscheidet, muss über ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107; vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08, StV 2008, 405, 406). Sie haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. dazu BGHSt 38, 362 f.).
- 10
- 4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
- 11
- Die Einwände der Beschwerdeführer, dass die - auch insoweit sachverständig beratene - Strafkammer sich bei der Feststellung der Wirkstoffkonzentration der von den Angeklagten vertriebenen Betäubungsmittel in Widerspruch zu dem von ihr als erwiesen angesehenen Erfahrungssatz gesetzt habe, wonach eine valide Hochrechnung aus einer Teilmenge eines Betäubungsmittels auf die Zusammensetzung und den Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge nur vorgenommen werden könne, wenn mindestens 10 bis 30% der gesamten Menge untersucht worden seien, geht fehl. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieser Erfahrungssatz dem Gutachten des Sachverständigen zufolge der von der Strafkammer vorgenommenen Hochrechnung nicht entgegen stand, weil die Angeklagten und ihre Mittäter die von ihnen bezogenen Substanzen zunächst vermischt und aus der auf diese Weise gewonnenen Gesamtmenge die von ihnen vertriebenen 1- bis 3-Gramm-Päckchen befüllt hatten (UA S. 58).
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.