Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Okt. 2015 - 1 StR 416/15

published on 13/10/2015 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Okt. 2015 - 1 StR 416/15
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 416/15
vom
13. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. April 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe hat es nicht zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Daneben hat es als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat Erfolg, soweit das Landgericht die Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung versagt hat (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtferti- gung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Anwendung von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen und zudem die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung lückenhaft ist.
3
a) Besteht – wie hier – beim Angeklagten eine günstige Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB, kann das Tatgericht unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen. Erforderlich ist, dass nach einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.
4
b) Besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt , als nicht unangebracht und als den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1980 – 3 StR 376/80, BGHSt 29, 370; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 56 Rn. 20 mwN). Aus der Anforderung, dass Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB besondere sein müssen, ergibt sich, dass einzelne durchschnittliche Gründe eine Aussetzung nicht rechtfertigten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es, dass Umstände, die bei ihrer Einzelbewertung nur durchschnittliche oder einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1988 – 4 StR 25/88, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 2; BGH, Beschluss vom 1. September 1989 – 2 StR 387/89, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 7; BGH, Beschluss vom 18. August 2009 – 5 StR 257/09, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9).
5
Das Landgericht hat hier zwar berücksichtigt, dass die gegen den nicht vorbestraften Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten der Schwelle von einem Jahr (§ 56 Abs. 1 StGB) angenähert ist. Es konnte allerdings keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB erkennen. Hierbei hat das Landgericht die Anforderungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB zu hoch angesetzt. Das Landgericht hält es für erforderlich, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, wobei es nicht erforderlich sei, dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verliehen. Ob Milderungsgründe gegeben sind, die durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen, hat das Landgericht jedoch nicht erörtert. Es hat zwar das „Zusammenspiel“ der Milderungsgründe in den Blick genommen, dabei aber weiterhin auf das Gewicht der einzelnen Umstände und nicht auf das Gesamtgewicht aller Milderungsgründe abgestellt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
c) Auch die bei der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, vorzunehmende Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten ist hier lückenhaft.
7
Zwar hat das Landgericht berücksichtigt, dass der Angeklagte „seitder Begehung der Taten, die bereits einige Jahre zurückliegen, nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten“ ist (UA S. 17). Den hier ebenfalls erörterungsbedürftigen Umstand der den Angeklagten belastenden (UA S. 19) langen Verfahrensdauer hat das Landgericht hingegen rechtsfehlerhaft nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieses Umstands eine Strafaussetzung zur Bewährung vorgenommen hätte.
8
2. Die Frage, ob die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, bedarf daher neuer tatrichterlicher Prüfung.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au
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published on 18/08/2009 00:00

5 StR 257/09 (alt: 5 StR 197/08) BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 18. August 2009 in der Strafsache gegen wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. August 2009 beschlossen: A
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.