Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11

bei uns veröffentlicht am21.09.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 367/11
vom
21. September 2011
BGHSt: ja zu I + II
BGHR: ja [bis 2b]
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
Die Vernehmung eines Arztes kann auch dann durch die Verlesung eines ärztlichen
Attests ersetzt werden, wenn die ärztliche Sicht zu Schlüssen aus der
attestierten Körperverletzung auf ein anderes Delikt nichts beitragen kann. Dies
ist regelmäßig der Fall, wenn die Körperverletzung bei einer nachfolgenden Sexualstraftat
allein als Drohung fortgewirkt haben kann.
BGH, Beschluss vom 21. September 2011 - 1 StR 367/11 - LG Schweinfurt
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. September 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Schweinfurt vom 28. März 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.


1
Die Strafkammer hat festgestellt:
2
Der Angeklagte fragte am 25. September 2009 gegen 3.45 Uhr eine ihm unbekannte junge Frau, die aus einer Diskothek kam, vergeblich nach ihrem Namen. Er folgte ihr zu einem nahen Parkplatz, wo ihr Fahrrad stand und bot ihr seine Begleitung an. Als sie nicht reagierte, packte er sie an den Oberarmen. Als sie sich dies verbat, stieß er sie in ein Dornengebüsch. Im weiteren Verlauf entriss er ihr das Handy, mit dem sie um Hilfe rufen wollte. Nach einem „Gerangel“ packte er sie und zerrte sie zu einem etwa 20 m entfernten, schlecht beleuchteten Teil des Parkplatzes, wo er sie auf den Mund küsste und versuchte , ihr Zungenküsse zu geben. Aus Angst vor weiterer Misshandlung manipulierte sie mehrere Minuten an seinem entblößten Geschlechtsteil, bis sie schließlich fliehen konnte.

II.


3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
4
Seine auf eine Verfahrensrüge und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
1. Der Verfahrensrüge liegt Folgendes zu Grunde:
6
a) Die Geschädigte hatte sich durch den Stoß in das Dornengebüsch unter anderem Einstichverletzungen an den Händen und Armen zugezogen; abgebrochene Dornenstücke blieben in den Händen und im Unterarm stecken und konnten erst nach einigen Tagen entfernt werden. Die Strafkammer stellt fest, dass die Behauptungen der Geschädigten über ihre Verletzungen mit den sonstigen Feststellungen übereinstimmten („sie passen“) und dass konkret die Verletzungen durch die Dornen von einem in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Attest über die Verletzungen der Geschädigten „bestätigt“ würden.
7
b) Die Revision meint, der Arzt hätte als Zeuge gehört werden müssen; die Voraussetzungen von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO hätten nicht vorgelegen, weil der Inhalt des Attests auch hinsichtlich der Feststellungen zu dem tateinheitlich mit der Körperverletzung verwirklichten Sexualdelikt Bedeutung gehabt hätte.
8
2. Die Rüge greift nicht durch.
9
a) § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO erlaubt aus letztlich pragmatischen Gründen (vgl. LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 256 Rn. 1 und 3 mwN), ärztliche Atteste zu, wie hier, nicht schweren Körperverletzungen (i.S.d. § 226 StGB) zu verlesen , nicht aber zu Erkenntnissen, die der Arzt nur bei Gelegenheit der Feststellung einer Verletzung gewonnen hat, z.B. über Angaben zur Ursache der Verletzungen , wenn diese ebenfalls in dem Attest dokumentiert sind (BGH, Urteil vom 23. April 1953 - 4 StR 667/52, BGHSt 4, 155, 156; BGH bei Dallinger, MDR 1955, 397; BGH, Beschluss vom 30. November 1983 - 3 StR 370/83, StV 1984, 142, 143; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 256 Rn. 19 mwN).
10
Dieser Gesichtspunkt ist hier nicht einschlägig. Der Arzt hat hinsichtlich der Dornen nicht etwa eine für ihn ohne Angaben der Geschädigten nicht erkennbare Ursache der Verletzung in seinem Attest festgehalten, sondern er hat attestiert, dass die Geschädigte auch - für ihn sichtbar - dadurch verletzt war, dass sich in ihrem Körper noch abgebrochene Dornenstücke befanden.
11
b) Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass - über den Wortlaut von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO hinaus (BGH, Urteil vom 27. November 1985 - 3 StR 438/85, BGHSt 33, 389, 391) - eine Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) durch Verlesung eines Attestes nicht zulässig ist, wenn sich die Bedeutung der aus dem Attest ersichtlichen Verletzungen nicht in der Feststellung ihres Vorliegens erschöpft (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1988 - 1 StR 569/88, BGHR, StPO, § 256 Abs. 1 Körperverletzung 2).
12
aa) Dies wird regelmäßig angenommen, wenn Gewalt nicht nur zu einer Körperverletzung geführt hat, sondern zugleich auch ein Tatbestandsmerkmal für ein anderes Delikt darstellt, etwa bei einem räuberischen Diebstahl (BGH, Beschluss vom 11. Juli 1996 - 1 StR 392/96, StV 1996, 649), oder, in der forensischen Praxis nicht selten, bei Sexualdelikten (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. November 1979 - 3 StR 16/79, NJW 1980, 651; BGH, Beschluss vom 24. Juli 1984 - 5 StR 478/84, bei Pfeiffer NStZ 1985, 204, 206 ; BGH, Beschluss vom 4. März 2008 - 3 StR 559/07, NStZ 2008, 474). Regelmäßig liegt dann neben Tateinheit auch eine Indizwirkung der Körperverletzung für das andere Delikt vor.
13
bb) Tateinheit zwischen der Körperverletzung und dem anderen Delikt schließt die Anwendung von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht zwingend aus, wie der Bundesgerichtshof im Blick auf „generelle Umschreibungen der Unzuläs- sigkeit einer Verlesung nach § 256 StPO, (die) über die jeweils zugrunde lie- genden Fallgestaltungen hinaus (gehen)“ präzisierend klargestellt hat (BGH, Urteil vom 27. November 1985 - 3 StR 438/85, BGHSt 33, 389, 392). Erforderlich ist vielmehr ein „überzeugender Grund“ (BGHSt, aaO, 393) für die Annahme , nach Sinn und Zweck des Gesetzes (BGHSt, aaO, 391, 393) reiche eine Verlesung des Attests nicht aus.
14
Dies gilt nach Auffassung des Senats auch dann, wenn es um die Vernehmung des Arztes im Blick auf Schlussfolgerungen geht, die aus den Verletzungen hinsichtlich des anderen Delikts gezogen werden können. Eine Vernehmung ist nur dann erforderlich, wenn der unmittelbare Eindruck eine zuverlässigere Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann als die Verlesung des Attestes (BGH, Urteil vom 9. April 1953 - 5 StR 824/52, BGHSt 4, 155, 156; BGH bei Pfeiffer, NStZ 1984, 209, 211 ; BGH, Beschluss vom 4. März 2008 - 3 StR 559/07, NStZ 2008, 474), etwa dazu, ob Verletzungen im Bereich des Unterleibs auf ein gewaltsam begangenes Sexualdelikt hindeuten. Kann ärztliche Sicht zu Schlussfolgerungen dieser Art über die bloße Feststellung der attestierten Verletzung hinaus dagegen nichts beitragen, so besteht regelmäßig auch kein überzeugender Grund für eine Vernehmung des Arztes. Im Kern kommt es also darauf an, ob eine solche Vernehmung Gebot der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) ist, die (auch sonst) von § 256 StPO unberührt bleibt (vgl. schon BGH, Urteil vom 4. April 1951 - 1 StR 54/51, BGHSt 1, 94, 96; BGH, Urteil vom 16. März 1993 - 1 StR 829/92, BGHR, StPO § 256 Abs. 1 Aufklärungspflicht 1; BGH, Beschluss vom 24. April 1979 - 5 StR 513/78, bei Pfeiffer NStZ 1981, 93, 95 § 244 Abs. 2 StPO>; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 256 Rn. 2 mit Hinweis auf Nr. 111 Abs. 3 Satz 2 RiStBV).
15
cc) Im vorliegenden Fall kann die ärztliche Sicht zur Beantwortung der Frage, ob die attestierten Verletzungen durch die Dornen die Verletzte nachfolgend aus Furcht vor erneuter Misshandlung zu Manipulationen am Geschlechtsteil des Verletzers veranlasst haben könnten, offensichtlich nichts beitragen. Anderes ist auch dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen. Die Verlesung des Attestes überschreitet daher die Grenzen der Anwendbarkeit von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht.
16
c) Von alledem abgesehen, beruhte das Urteil ohnehin nicht auf der Verlesung des Attestes. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Angaben des Angeklagten , der bestritten hat, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein, und auf die Möglichkeit verwiesen hat, dass ihn die Geschädigte mit einer anderen Person verwechselt. Die Urteilsgründe verweisen jedoch über die Angaben der Geschädigten hinaus auf eine Reihe gewichtiger, von dem Attest unabhängiger Indizien, wie etwa im Gesicht der Geschädigten gesicherter DNA-Abrieb, der dem Angeklagten zuzuordnen ist. Unter diesen Umständen besteht, so im Ergebnis auch der Generalbundesanwalt, kein Anhaltspunkt für die Annahme, die Strafkammer wäre entgegen ihrer ausdrücklichen Feststellung, wonach das Attest (nur) ihre (ohnehin getroffenen) Feststellungen „bestätigt“ (vgl. BGH, Ur- teil vom 21. August 2002 - 2 StR 111/02; BGH, Beschluss vom 13. September 2001 - 1 StR 378/01 mwN), ohne das Attest möglicherweise zu anderen Feststellungen gelangt.
17
3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.


18
Die Art der Abfassung der Urteilsgründe veranlasst den Senat zu dem Hinweis, dass diese nicht sämtliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung in allen Details dokumentieren, sondern nur belegen sollen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände, so wie geschehen, festgestellt sind. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Angaben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen. Urteilsgründe , die demgegenüber die Ergebnisse der Beweisaufnahme in der Art eines Protokolls referieren und sich mit einer Vielzahl wenig bedeutsamer Details befassen , können - von dem damit verbundenen, sachlich nicht gebotenen Aufwand abgesehen - den Blick für das Wesentliche verstellen und damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - 1 StR 556/10 mwN). Auch Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind rechtlich nicht geboten, sondern führen nur zu einer (weiteren) Überfrachtung der Urteilsgründe (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11; BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN). Frau RiinBGH Elf ist urlaubsbedingt abwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Graf Jäger

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafgesetzbuch - StGB | § 226 Schwere Körperverletzung


(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nic

Strafprozeßordnung - StPO | § 250 Grundsatz der persönlichen Vernehmung


Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt wer

Strafprozeßordnung - StPO | § 256 Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen


(1) Verlesen werden können 1. die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen a) öffentlicher Behörden,b) der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowiec) der Ärzte eines ge

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2011 - 1 StR 153/11

bei uns veröffentlicht am 23.08.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 153/11 vom 23. August 2011 BGHSt: ja zu A II. 3. a BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34 Nach Übernahme eines Ermittlungsver

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. März 2008 - 3 StR 559/07

bei uns veröffentlicht am 04.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 559/07 vom 4. März 2008 in der Strafsache gegen wegen schwerer Vergewaltigung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09

bei uns veröffentlicht am 27.05.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 99/09 vom 27. Mai 2009 Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja _______________________ StPO § 161 Abs. 1 Satz 2, GVG § 152 Abs. 1 Zur Leitungs- und Kontrollbefugnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungs

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2001 - 1 StR 378/01

bei uns veröffentlicht am 13.09.2001

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 378/01 vom 13. September 2001 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2001 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landg

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2010 - 1 StR 556/10

bei uns veröffentlicht am 15.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 556/10 vom 15. Dezember 2010 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen zu 1. und 2.: erpresserischen Menschenraubs zu 3.: Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2011 - 1 StR 367/11.

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Aug. 2019 - 1 StR 57/19

bei uns veröffentlicht am 07.08.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 57/19 vom 7. August 2019 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen besonders schweren Raubes u.a. ECLI:DE:BGH:2019:070819B1STR57.19.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Okt. 2019 - 2 StR 251/19

bei uns veröffentlicht am 01.10.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 251/19 vom 1. Oktober 2019 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2019:011019B2STR251.19.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhöru

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. März 2012 - 5 StR 28/12

bei uns veröffentlicht am 14.03.2012

5 StR 28/12 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 14. März 2012 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. März 2012 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird d

Referenzen

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 559/07
vom
4. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 4. März
2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 17. Oktober 2007
a) im Fall II. 2. der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge teilweise Erfolg.
2
1. Hinsichtlich der Verurteilung wegen schwerer Vergewaltigung zu einer Einzelstrafe von drei Jahren hat die Überprüfung aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dass das Landgericht die Tat, bei der der Angeklagte einen 20 bis 30 Zentimeter langen Schraubendreher auf das Opfer richtete, "um seiner nachfolgenden Drohung gegebenenfalls mehr Gewicht verleihen zu können", und auch während des erzwungenen Oralverkehrs das Werkzeug nicht aus der Hand legte, nicht als besonders schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) beurteilt hat, beschwert den Angeklagten nicht.
3
2. Soweit der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist, rügt die Revision mit Erfolg, dass das Landgericht durch die Verlesung des privatärztlichen Attestes über die an und in der Scheide des Opfers festgestellten Verletzungen gegen § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verstoßen hat. Sie diente dem Nachweis eines Sexualdelikts. Die Voraussetzungen , unter denen § 256 StPO in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Urkundenbeweis zulässt, waren damit nicht gegeben. Der Senat kann ein Beruhen der Verurteilung auf diesem Fehler nicht ausschließen. Der Angeklagte hat eine Tatbegehung bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte mit dem Finger in die Scheide des knapp vier Jahre alten Mädchens eingedrungen ist, erkennbar durch die Art der festgestellten Verletzung gewonnen. Dass es die Kenntnis davon allein durch die zeugenschaftlichen Bekundungen der Kindesmutter über den Ablauf und die Ergebnisse der Untersuchung gewonnen haben könnte, liegt fern; vielmehr wird in den Urteilsgründen die ärztliche Diagnose wörtlich und unter Angabe der Aktenfundstelle wiedergegeben.
4
Auf die übrigen, durchweg unbehelflichen Revisionsrügen kommt es nicht an.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 559/07
vom
4. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 4. März
2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 17. Oktober 2007
a) im Fall II. 2. der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge teilweise Erfolg.
2
1. Hinsichtlich der Verurteilung wegen schwerer Vergewaltigung zu einer Einzelstrafe von drei Jahren hat die Überprüfung aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dass das Landgericht die Tat, bei der der Angeklagte einen 20 bis 30 Zentimeter langen Schraubendreher auf das Opfer richtete, "um seiner nachfolgenden Drohung gegebenenfalls mehr Gewicht verleihen zu können", und auch während des erzwungenen Oralverkehrs das Werkzeug nicht aus der Hand legte, nicht als besonders schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) beurteilt hat, beschwert den Angeklagten nicht.
3
2. Soweit der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist, rügt die Revision mit Erfolg, dass das Landgericht durch die Verlesung des privatärztlichen Attestes über die an und in der Scheide des Opfers festgestellten Verletzungen gegen § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verstoßen hat. Sie diente dem Nachweis eines Sexualdelikts. Die Voraussetzungen , unter denen § 256 StPO in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Urkundenbeweis zulässt, waren damit nicht gegeben. Der Senat kann ein Beruhen der Verurteilung auf diesem Fehler nicht ausschließen. Der Angeklagte hat eine Tatbegehung bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte mit dem Finger in die Scheide des knapp vier Jahre alten Mädchens eingedrungen ist, erkennbar durch die Art der festgestellten Verletzung gewonnen. Dass es die Kenntnis davon allein durch die zeugenschaftlichen Bekundungen der Kindesmutter über den Ablauf und die Ergebnisse der Untersuchung gewonnen haben könnte, liegt fern; vielmehr wird in den Urteilsgründen die ärztliche Diagnose wörtlich und unter Angabe der Aktenfundstelle wiedergegeben.
4
Auf die übrigen, durchweg unbehelflichen Revisionsrügen kommt es nicht an.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 378/01
vom
13. September 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2001 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Karlsruhe vom 9. März 2001 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Soweit der Beschwerdeführer als Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet
, das Landgericht habe den Zeugen H. betreffende Krankenakten des
Zentrums für Psychiatrie Nordbaden Wiesloch für seine Überzeugungsbildung
verwertet, ohne diese in zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt
zu haben, ist die Verfahrensrüge zulässig. Sie bleibt jedoch im Ergebnis erfolglos.
Die Sitzungsniederschrift weist zwar entgegen der Darstellung im Urteil
nicht aus, daß die Krankenakten Gegenstand der Hauptverhandlung waren.
Auf einem daraus sich ergebenden Verstoß gegen § 261 StPO kann das Urteil
jedoch nicht beruhen. Die Strafkammer hat sich in einer umfangreichen Beweiswürdigung
von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt und dabei insbesondere
zu Grunde gelegt, daß der Angeklagte bereits vor der Tat deren
Planung im Freundeskreis offengelegt hatte, zur Tatzeit am Tatort war und sich
später gegenüber zwei Zeugen der Tat berühmt hat. Die von der Kammer zum
Ausschluß der - eher fernliegenden - Täterschaft des Zeugen H. aus den
Krankenakten des Psychiatrischen Krankenhauses entnommene Erkenntnis,
daß der Zeuge bereits über mehrere Jahre psychisch auffällig war und bereits
einen fehlgeschlagenen Selbstmordversuch hinter sich hatte, diente ihr allein
als weitere Bestätigung dafür, daß der inzwischen vollzogene Selbstmord des
Zeugen auf psychische Ursachen - und nicht auf Verzweiflung über eine begangene
Straftat - zurückzuführen ist. Diese Erwägung der Strafkammer zeigt
nur ein zusätzliches, bestätigendes Indiz auf, von dem die Überzeugungsbildung
hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten nicht abhing, wie der Zusammenhang
der Urteilsgründe deutlich ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli
1981 - 4 StR 336/81 -; Kuckein in KK 4. Aufl., § 337 Rdn. 38).
Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier hat nach Beschlußfassung
Urlaub angetreten und ist
daher an der Unterschriftsleistung
verhindert.
Wahl Boetticher Wahl
Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 556/10
vom
15. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: erpresserischen Menschenraubs
zu 3.: Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 30. April 2010 werden als unbegründet
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die schriftlichen Urteilsgründe sollen dem Leser ermöglichen, die die
Entscheidung tragenden Feststellungen ohne aufwändige eigene Bemühungen
zu erkennen. Dementsprechend ist es nicht angebracht, eine Vielzahl von Details
aneinander zu reihen, deren Bedeutung für den Schuld- oder Strafausspruch
nicht erkennbar ist.
Auch die Ausführungen zur Beweiswürdigung sollen an deren Funktion
orientiert sein und nur belegen, warum b e d e u t s a m e tatsächliche Umstände
, so wie geschehen, festgestellt sind. Nur soweit hierfür erforderlich, sind
Angaben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse
heranzuziehen.
Urteilsgründe, die demgegenüber die Ergebnisse der Beweisaufnahme in
der Art eines Protokolls referieren und sich mit einer Vielzahl wenig bedeutsamer
Details befassen, können - von dem damit verbundenen, sachlich nicht gebotenen
Aufwand abgesehen - den Blick für das Wesentliche verstellen und
damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden (st. Rspr., vgl. zuletzt
BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 423/10 mwN).
Nack Wahl Rothfuß
Elf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 153/11
vom
23. August 2011
BGHSt: ja zu A II. 3. a
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34
Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik
Deutsch-land ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits eingetretene
rechts- staatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren.
BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 - LG Ravensburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: gefährlicher Körperverletzung
zu 3.: vorsätzlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2011 beschlossen
:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 10. November 2010 werden als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
2. Die Revisionen des Nebenklägers gegen das vorbezeichnete
Urteil werden
hinsichtlich des Angeklagten C. als unzulässig (§ 349
Abs. 1 StPO),
hinsichtlich der Angeklagten A. und T. als unbegründet
verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die
den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.

Gründe:


1
Die Jugendkammer hat festgestellt:
2
Die Angeklagten waren mit Freunden und Bekannten am Karsamstag 2008 in einer Diskothek in Hard (Österreich), ebenso der Nebenkläger M. . Dieser wollte eine schon abflauende Auseinandersetzung, an der der Angeklagte C. beteiligt war, schlichten. C. schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, es entstand eine aggressive Stimmung. Nunmehr wollten die Angeklagten A. und T. , die zuvor mit C. zusammen am Tisch gewesen waren, C. helfen, der allerdings bald die Diskothek verließ. M. erhielt, auch von A. und T. , Schläge und Tritte, ging zu Boden, konnte sich zunächst aber wieder aufrichten. Es gab weitere, namentlich nicht ermittelte Beteiligte an der Auseinandersetzung. Es flogen Flaschen, eine davon traf auch A. , der seinerseits eine Flasche nahm und sie „in Bauchhöhe“ gegen M. warf. Eine Flasche traf M. so heftig am Kopf, dass er „k.o. ging und völlig hilflos zu Boden sackte“. Dass A. d i e s e Flasche geworfen hatte, steht nicht fest. Er trat aber gemeinsam mit anderen - darunter auch T. - auf den bewusstlos am Boden liegenden M. ein. M. wurde dabei auch gegen den Kopf getreten, ohne dass einem der Beteiligten einzelne Tritte genau zugeordnet werden konnten. M. zog sich sehr schwere Verletzungen zu, z.B. Brüche im Bereich des Jochbeins, der Augenhöhle und des Kiefers. Wegen der Gefahr, Blut einzuatmen, hätte er ohne fremde Hilfe ersticken können. Durch das Gesamtgeschehen wurde er auf einem Auge blind und kann, zu 40% erwerbsgemindert , seinen Beruf nicht mehr ausüben. Auch muss er lebenslang eine Platte im Gesicht tragen.
3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde C. wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hinsichtlich der beiden anderen, heranwachsenden Angeklagten konnte sich die Jugendkammer nicht von den in der Anklage noch enthaltenen Vorwürfen des versuchten Totschlags, hinsichtlich A. auch der schweren Körperverletzung (Verlust eines Auges) überzeugen, und verurteilte sie wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, A. zu zehn Monaten, T. zu einem Jahr.
4
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und des Nebenklägers. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.

A.

5
Die Revisionen der Angeklagten
6
Sämtliche Revisionen erheben die Sachrüge, die der Angeklagten A. und T. führen sie näher aus. Die Revision des Angeklagten A. ist zusätzlich noch auf Verfahrensrügen gestützt.

I.

7
Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. wenden sich gegen die Verwertung der Angaben, die er am 24. März 2009 gegenüber KHK H. gemacht hatte; dieser hatte ihn als Beschuldigten vernommen, nachdem die österreichischen Behörden das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Ravensburg abgegeben hatten. Schon in der Hauptverhandlung war ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung von KHK H. , gestützt auf die Vernehmungsniederschrift , (u.a.) damit begründet worden, er habe ihn nur über sein Schweigerecht, aber nicht über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt und seinen Wunsch nach Unterrichtung des von ihm benannten Verteidigers abgelehnt.
8
Außerdem habe er ihn durch die in der Vernehmungsniederschrift dokumentierten Vorhalte
9
„Du weißt doch genau, dass der M. durch diese [von A. gewor- fene] Flasche das Auge verloren hat“ und später
10
„Laut bisherigen Ermittlungen ist klar, dass durch deinen Flaschenwurf die schweren Verletzungen am linken Auge des M. entstanden sind“ i.S.d. § 136a StPO über den bisherigen Stand der Ermittlungen getäuscht, da er, wie näher dargelegt, gewusst habe, dass es keine den Angeklagten konkret belastenden Erkenntnisse über das Zustandekommen der Augenverletzung gäbe.
11
Zu alledem befragt, erinnerte sich KHK H. genau, A. auch über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt zu haben, was er aber versehentlich nicht protokolliert habe. A. habe erklärt, seine Rechte aus einem früheren Verfahren - ein 2006 gemäß § 45 Abs. 1 JGG behandeltes Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs - zu kennen, jedoch nicht den Wunsch nach Kontakt mit (s)einem Rechtsanwalt geäußert. Außerdem erläuterte KHK H. seine damaligen Kenntnisse vom Ermittlungsstand. Die Jugendkammer hielt sei- ne Angaben für „uneingeschränkt überzeugend“, wies den Widerspruch mit nä- her begründetem Beschluss zurück und vernahm ihn zur Sache.
12
Hieran knüpft die Revision an. Sie hält sowohl § 136 StPO als auch § 136a StPO für verletzt.
13
1. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO liege vor, weil der Angeklagte keinen Kontakt mit seinem Verteidiger aufnehmen durfte; das Urteil begründe die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret. Seine Angaben seien wegen der entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht dokumentierten Belehrung unglaubhaft, zumal er - so die Revision - erklärt habe, er dokumentiere die Beschuldigtenbelehrung nie in einem gesonderten Formular. Daher ergebe die Prüfung des Vernehmungsablaufs hier „ausschließlich“ das Ergebnis, „dass die Belehrung … nicht stattgefunden hat“. Die Behauptung von KHK H. , der Angeklagte habe geäußert, seine Rechte aus einem früheren Verfahren zu kennen, werde den Gegebenheiten nicht gerecht. Da insgesamt genügende Hinweise auf eine Belehrung fehlten, seien die Angaben des Angeklagten unverwertbar.
14
a) Im Urteil ist die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret begründet. Ob dies als eigenständiger Rechtsfehler gerügt sein soll, mag dahinstehen. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln im Urteil sind rechtlich nicht geboten und würden es nur überfrachten (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
15
b) Im Übrigen sprechen die genannten ineinander übergehend beide Gesichtspunkte ansprechenden Ausführungen der Revision dafür, dass Grundlage eines Beweisverwertungsverbots offenbar sowohl die unterbliebene Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 173 f.), als auch die Verhinderung der ausdrücklich gewünschten Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK; hierzu Schädler in KK-StPO 6. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 50 mwN) sein soll. Unbeschadet der Frage nach der gebotenen Klarheit der „Angriffsrichtung“ dieser Rüge (vgl. BGH,Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09, NStZ 2010, 403, 404 mwN) in tatsächlicher Hinsicht, erscheint zweifelhaft, ob, wie für eine zulässige Verfahrensrüge stets erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 157/10, StV 2011, 399; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN), der Vortrag widerspruchsfrei ist. Einerseits sei der Hinweis von KHK H. auf die bei der Vernehmung aktuelle Kenntnis des Angeklagten von seinem Recht auf Verteidigerkonsultation - sie stünde trotz unterbliebener Belehrung einem Verwertungsverbot entgegen (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174) - unzutreffend, andererseits habe der Angeklagte Kontakt mit seinem Verteidiger verlangt. Wie es miteinander vereinbar ist, dass ein Recht unbekannt ist, aber dennoch geltend gemacht wird, liegt nicht auf der Hand.
16
c) Letztlich kann dies aber auf sich beruhen, da der Senat das tatsächliche Vorbringen der Revision, hinsichtlich der unterbliebenen Belehrung ebenso wie hinsichtlich der verwehrten Kontaktaufnahme, nicht für bewiesen hält (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, StV 1999, 354). Er hat keinen Grund, die Angaben von KHK H. hierzu anders zu bewerten als die Jugendkammer. Er teilt nicht die Auffassung, dass wegen einer entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV teilweise unterbliebenen Protokollierung einer Belehrung bei Gericht „ausschließlich“ oder nahe liegend Lügen des hierfür verantwortli- chen Polizeibeamten zum Vernehmungsablauf zu erwarten seien. Auch konkret spricht hier für diese Möglichkeit nichts.
17
d) Die Belastung des Verfahrens durch unsorgfältige Protokollierung wäre leicht bei Verwendung eines entsprechenden Formulars vermieden worden.
18
Macht im Übrigen, wie hier, ein Angeklagter in der Hauptverhandlung keine Angaben, oder sagt er - erfahrungsgemäß ebenfalls nicht ungewöhnlich - dort anders aus als im Ermittlungsverfahren, können seine früheren Angaben sehr bedeutsam werden. Da hinsichtlich dieser Angaben hier keine ordnungsgemäße Belehrung aktenkundig war, stand das Verbot ihrer Verwertung dann im Raum, wenn die Belehrung und nicht nur deren Dokumentation unzulänglich war. Diese anhand der Akten nicht klärbare Frage hätte bereits vor der Hauptverhandlung überprüft werden können, auch schon von der Staatsanwaltschaft. Deren Gesamtverantwortung für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren - auch soweit von der Polizei geführt - verlangt auch hinsichtlich etwaiger Beweisverwertungsverbote effektiv ausgeübte Leitungs- und Kontrollbefugnisse, damit gegebenenfalls gebotene Maßnahmen ergriffen werden können, wo nötig in Form allgemeiner Weisungen. Dies gilt in allen Verfahren, hat aber in Kapitalsachen (versuchter Totschlag) besonderes Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
19
2. Eine Täuschung des Angeklagten über den Ermittlungsstand (§ 136a StPO) liegt nicht vor. Als der Angeklagte, der auch schon zuvor erklärt hatte, er wisse nicht, wo die von ihm geworfene Flasche getroffen habe, erneut auch auf den ersten als Beleg für eine Täuschung genannten Vorhalt „Du weißt doch genau …“ (oben A. I. vor 1.)nicht bestätigte, M. am Auge getroffen zu haben , hielt ihm KHK H. als nächstes vor: „Aber es ist in der Gruppe bekannt, dass deine Flasche den M. am Auge getroffen hat“, worauf der Angeklagte erwiderte: „Man sagt das deswegen, weil man gesehen hat, dass ich die eine Flasche geworfen habe“. Es gab also - vom Angeklagten sogar als richtig bestä- tigte - polizeiliche Erkenntnisse, dass mehrere bei dem Vorfall anwesende Personen (die „Gruppe“) - unabhängig von Angaben bei der Polizei - geäußert hatten , der Angeklagte habe M. mit der Flasche am Auge verletzt. Schon deshalb hat die Annahme einer Täuschung durch KHK H. keine Grundlage. Außerdem hat die Jugendkammer lediglich festgestellt, dass der Angeklagte - wie von vielen Anwesenden gesehen und auch von ihm schon vor der angeblichen Täuschung eingeräumt - eine Flasche geworfen, aber nicht, dass sie M. am Auge getroffen hat. Selbst wenn, was nicht so ist, eine Täuschung vorläge, hätte sie sich schon nicht auf die Aussagen des Angeklagten bei der Polizei und erst Recht nicht auf das Urteil ausgewirkt.

II.

20
Die auf Grund der von allen Angeklagten erhobenen Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil eines Angeklagten ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat:
21
1. Zum Schuldspruch:
22
a) Vorbringen für den Angeklagten A. :
23
(1) Die Behauptung, die Jugendkammer habe nur Feststellungen zum Flaschenwurf getroffen und nichts festgestellt, was die Beteiligung des Angeklagten an den vorangegangenen Gewalttätigkeiten belege, widerspricht den Urteilsgründen. Danach hatte sich C. unmittelbar vor Beginn seiner Auseinandersetzung mit M. „an den Nachbartisch zu … A. und T. begeben“. M. hat bekundet, nachdem ihn C. geschlagen hatte, seien dessen „Begleiter oder Freunde … aufgestanden und hätten auf ihn eingeschlagen“. Zweifel an der Glaubwürdigkeit M. s hatte die Jugendkammer nicht, Gründe , warum sie sie hätte haben müssen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
24
(2) Weite Teile des sonstigen Vorbringens gegen die Feststellungen zum Tatgeschehen erschöpfen sich in Überlegungen zu alternativen Geschehensabläufen (der Angeklagte könne nach dem Flaschenwurf den Tatort alsbald verlassen oder dort nur zur Beobachtung des weiteren Geschehens „verweilt“ haben), die in den Urteilsgründen keine Anknüpfungspunkte finden. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN). Dementsprechend braucht das Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11). Eine auf den Beleg der Richtigkeit ihrer Vermutungen gerichtete Aufklärungsrüge hat die Revision nicht erhoben.
25
(3) Nach den Feststellungen der Jugendkammer traten „umstehende Per- sonen“ aufden am Boden liegenden M. „mit Füßen … ein. ... Hieran waren auch die Angeklagten A. und T. beteiligt“. Angesichts dessen ist die Annahme der Revision, zur Art der Beteiligung des Angeklagten sei nichts festgestellt, nicht nachvollziehbar.
26
b) Vorbringen für den Angeklagten T. :
27
Die Revision verkennt, dass weder die Sach- noch eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt gestützt werden kann (st. Rspr.; zuletzt BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11; vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 2002, 73 mwN). Deshalb ist auch für die von ihr angeregte Anhörung eines Zeugen durch den Senat kein Raum. Sollte ein Zeuge im weiteren Verlauf wegen eines Aussagedelikts rechtskräftig verurteilt werden, könnte dies Grundlage einer Wiederaufnahme des Verfahrens sein (§ 359 Nr. 2 StPO). Soweit die Revision darüber hinaus im Rahmen der Begrün- dung der Sachrüge wegen der Ablehnung des „Beweisantrag(s) Anlage 8“ eine Verletzung der Aufklärungspflicht sieht, kommt eine Umdeutung in eine Verfahrensrüge nicht in Betracht, da das Vorbringen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 StPO nicht genügt. Weder der Antrag noch der Beschluss sind mitgeteilt.
28
2. Zum Strafausspruch:
29
a) Ausführungen zum Strafausspruch enthält nur die Revisionsbegründung für den Angeklagten A. . Soweit sich fehlende Feststellungen zur Art der Tatbeteiligung auf den Strafausspruch ausgewirkt haben sollen, gilt nichts anderes als hinsichtlich des Schuldspruchs (vgl. A. II. 1. a (3)). Das übrige Vorbringen erschöpft sich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, Bewertungen, die die dem Tatrichter hierbei gezogenen Grenzen an keiner Stelle zum Nachteil des Angeklagten überschreiten, durch eigene zu ersetzen. Zu Unrecht ist die Jugendkammer allerdings davon ausgegangen, der Angeklagte sei „nicht strafrechtlich vorbelastet“ gewesen. Tatsächlich ist er schon 2006 wegen Landfriedensbruchs in Erscheinung getreten (vgl. A. I. vor 1.). Auch wenn nähere Feststellungen hierzu fehlen, handelt es sich dabei jedenfalls um ein Delikt, bei dem es, ähnlich wie hier, um Gewalttätigkeiten aus einer wegen etlicher Beteiligter unübersichtlichen Situation heraus geht. Die unterbliebene Erörterung dieses Gesichtspunkts hat sich jedoch nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.
30
b) Auch sonst sind bei der Strafzumessung Rechtsfehler weder zum Nachteil des Angeklagten A. noch zum Nachteil der übrigen Angeklagten ersichtlich.
31
3. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensdauer:
32
Die Jugendkammer hat die Verfahrensdauer nicht nur als bedeutsamen Strafmilderungsgrund angesehen, sondern insoweit auch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, weil - bis zur Abgabe des zunächst in Österreich anhängigen Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft Ravensburg „in erster Linie durch die zögerliche Behandlung bzw. Nichtbehandlung der Ermittlungen seitens der österreichischen Ermittlungsbehörden schon neun Monate ins Land gegangen“ sind; und - wegen vieler vorrangiger Haftsachen zwischen Eingang der Anklage und Urteil zwölf Monate gelegen haben.
33
In beiden Abschnitten sei das Verfahren in einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zuwiderlaufenden Weise für die Dauer von je neun Monaten verzögert worden, was mit je drei Monaten zu kompensieren sei.
34
Dementsprechend wurden von der gegen den Angeklagten C. verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate (im Urteilstenor) für vollstreckt erklärt.
35
Anders sei, so die Jugendkammer in den Urteilsgründen, demgegenüber hinsichtlich der Angeklagten A. und T. zu verfahren. Da gegen sie Jugendstrafe verhängt sei, sei nicht ein Teil der Strafe für vollstreckt zu erklären, sondern ein Abschlag von der an sich für angemessen gehaltenen Strafe vorzunehmen. Dementsprechend wurde eine Jugendstrafe von einem Jahr statt von einem Jahr und sechs Monaten gegen T. und von zehn Monaten statt von einem Jahr und vier Monaten gegen A. verhängt.
36
Der Senat bemerkt:
37
a) Die Dauer eines Strafverfahrens kann unabhängig von ihren Gründen für die Strafzumessung bedeutsam sein (BGH, Urteil vom 21. Februar 2002 - 1 StR 538/01, StV 2002, 598 mwN). Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine (von der Jugendkammer nur knapp geschilderte, nach ihrer Auffassung ) mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unvereinbare Verfahrensverzögerung durch österreichische Behörden hier darüber hinaus auch als konventionswidrig zu kompensieren ist. Eine solche Kompensation ist Wiedergutmachung. Sie soll die „Opferstellung“ eines Betroffenen (Art. 34 MRK) beenden und so den jeweiligen Vertragsstaat (hier die Bundesrepublik Deutschland) vor einer möglichen Verurteilung durch den EGMR auf Grund einer Individualbeschwerde wegen Verletzung der MRK bewahren (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 137). Letztlich wird durch eine solche Kompensation eine „im Verantwortungsbereich des Staates“ (BGH aaO 129; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 5 StR 253/09, NStZ 2010, 230 mwN) entstandene „Art Staatshaftungsanspruch“ erfüllt (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138). Dem entspricht, dass Individualbeschwerden gemäß Art. 35 Abs. 3 MRK zurückgewiesen werden, wenn die gerügten Handlungen oder Unterlassungen dem beklagten Staat nicht zuzurechnen wären (vgl. EGMR, Entscheidung vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; EKMR, Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92). Dies spricht dagegen, dass ein (etwa) konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der MRK einem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, gleichwohl zuzurechnen und von ihm zu kompensieren ist, wenn seine Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren erst nach Eintritt der Verzögerung übernommen haben (so in vergleichbarem Sinne, wenn auch anderen prozessualen Zusammenhängen, BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 77 f. [mögliche Verletzung des Konfrontationsrechts durch einen anderen Staat im Rahmen von Rechtshilfe] und OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 340 [mögliche konventionswidrige Verfahrensverzögerung durch einen anderen Staat bei einer hier zur Vollstreckung übernommenen Verurteilung] jew. mwN).
38
b) Der Senat kann auf der Grundlage der hierzu ebenfalls knappen Feststellungen nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls wie lange das Verfahren durch die Jugendkammer konventionswidrig verzögert wurde (vgl. zu hierfür we- sentlichen Punkten BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2453 f.). Jedenfalls handelt es sich hier um eine „Jugendschwurgerichtssache“ (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG) gegen (ursprünglich) fünf nicht inhaftierte Angeklagte. Diesen lagen, hinsichtlich der einzelnen Angeklagten differenziert, unterschiedliche Delikte teilweise sehr erheblichen Gewichts (gefährliche Körperverletzung , schwere Körperverletzung, versuchter Totschlag) zum Nachteil des am Verfahren als Nebenkläger beteiligten Geschädigten zur Last. Sämtliche Taten sollten die nicht geständigen Angeklagten im Rahmen eines tumultartigen und daher schwer klärbaren Geschehens begangen haben, wobei einige Zeugen der im Ausland begangenen Tat(en) im Ausland wohnten. Der Senat hält es danach jedenfalls nicht für menschenrechtswidrig, dass hier nicht schon etwa drei Monate nach Eingang der Anklage ein Urteil erging.
39
c) Außerdem ist bei der Prüfung einer etwaigen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung stets die Dauer des gesamten Verfahrens in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra 2009, 147, 148 mwN). Es ist daher kein zutreffender Ansatz, nach jeweils nur isolierter Bewertung für mehrere Verfahrensabschnitte jeweils gesonderte Kompensationen zu bestimmen und diese dann zu addieren.
40
d) Eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung kann gegebenenfalls schon durch ihre Feststellung genügend kompensiert sein (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57 mwN). Jedenfalls hätte die Jugendkammer, die diese hier nahe liegende Möglichkeit nicht geprüft hat, bei der Bemessung der Kompensation aber erkennbar zu erwägen gehabt, dass sie, wie dargelegt, schon bei der Strafzumessung die Verfahrensdauer strafmildernd bewertet hat, sodass darüber hinaus nur noch deren konventionswidrige Verursachung auszugleichen ist. Dies wird, von hier nicht erkennbaren besonderen Fallgestaltungen abgesehen, vielfach dazu führen, dass sich eine Kompensation nur noch auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken hat (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146, 147; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra aaO mwN). Die Jugendkammer hat demgegenüber zwischen einem Drittel und der Hälfte der von ihr für angemessen gehaltenen Strafen für vollstreckt erklärt bzw. nicht ausgesprochen. Bei der Bemessung der Höhe einer Kompensation ist jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine überzogene Berücksichtigung des Zeitfaktors als Ausgleich für Justiz und Ermittlungsbehörden anzulastenden Mängeln den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung zuwider läuft (BGH, Beschluss vom 17. November 2010 - 1 StR 145/10, wistra 2011, 115, 116 mwN).
41
e) Einer abschließenden Entscheidung der aufgezeigten Gesichtspunkte hinsichtlich der Verfahrensverzögerung bedarf es hier aber nicht, da sie sich ersichtlich nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt haben.
42
f) Im Übrigen ist die Umsetzung der von der Jugendkammer für erforderlich gehaltenen Kompensation nur hinsichtlich des Angeklagten C. („Voll- streckungsmodell“) rechtsfehlerfrei.
43
Die Annahme, bei Verhängung von Jugendstrafe sei demgegenüber nicht das Vollstreckungsmodell anzuwenden, sondern ein Strafabschlag vorzunehmen , entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, jedenfalls, wenn die Jugendstrafe, wie jeweils hier, allein auf eine Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) gestützt ist (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57; Urteil vom 9. Mai 2010 - 2 StR 278/09 jew. mwN). Die Angeklagten sind dadurch jedoch nicht beschwert. Ein Angeklagter kann schon generell ohnehin allenfalls unter sehr ungewöhnlichen Umständen beschwert sein, wenn eine niedrigere statt einer höheren - sei es auch teilweise als vollstreckt geltenden - Strafe ausgesprochen wird (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2454; vgl. auch Pohlit in FS Rissing-van Saan, 453, 457). Hier kommt hinzu, dass der Strafabschlag dazu führte, dass die Jugendstrafen schon nach Maßgabe von § 21 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden konnten und nicht wie die von der Jugendkammer an sich für angemessen gehaltenen Strafen nur unter den demgegenüber (schon ausweislich des Gesetzeswortlauts) engeren Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 JGG (vgl. hierzu Brunner/Dölling JGG 11. Aufl., § 21 Rn. 11, 11a; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 54/08, StV 2008, 400 zum strukturell identischen Fall, dass der Strafabschlag § 56 Abs. 1 StGB anwendbar macht, während bei dem Vollstreckungsmodell nur § 56 Abs. 2 StGB anwendbar wäre).

B.

44
Die Revisionen des Nebenklägers

I.

45
Revision zum Nachteil des Angeklagten C. :
46
1. Die Revision wurde uneingeschränkt in der „Strafsache gegen A. u.a.“ eingelegt. Ebenso uneingeschränkt ist im Rahmen der Revisionsbegründung beantragt (§ 344 Abs.1 StPO), das Urteil aufzuheben. Die auf die Sachrüge gestützte Begründung erwähnt den Angeklagten C. nicht, sondern legt ausschließlich dar, warum das Urteil hinsichtlich der Angeklagten A. und T. rechtsfehlerhaft ist. Zur Begründung herangezogen sind ausschließlich Feststellungen zum Geschehen, das sich ereignete, nachdem C. die Diskothek verlassen hatte.
47
2. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob das Urteil auch zum Nachteil des Angeklagten C. angefochten ist. Die Revisionseinlegungsschrift spricht eher dafür, da sich die Nebenklage auch gegen den auch wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilten Angeklagten C. richtete. Gleiches gilt im Ergebnis für den Revisionsantrag. Gegen eine Revision zum Nachteil des Angeklagten C. spricht die Revisionsbegründung, die ihn weder erwähnt, noch sich auf die ihm zur Last gelegte Tat bezieht. Der Senat hat erwogen, ob hier, wie auch sonst bei Zweifeln über den Umfang einer Revision, deren Begründung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; BGH, Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118 mwN). Dies hat er verneint. Wird, sei es auch in nur einem Schriftsatz, ein gegen mehrere Angeklagte ergangenes Urteil uneingeschränkt angefochten, gilt dies regelmäßig hinsichtlich jedes Angeklagten. Es liegen der Sache nach mehrere, voneinander unabhängige Rechtsmittel vor. Dann kann aber nicht allein der späteren Begründung des Rechtsmittels zum Nachteil eines Angeklagten inzident entnommen werden, dass zum Nachteil eines anderen Angeklagten doch kein Rechtsmittel eingelegt sein soll. Die Frage nach dem Umfang eines Rechtsmittels ist von anderer Art als die Frage, ob überhaupt ein Rechtsmittel eingelegt ist. Insoweit kommt es allein auf die Einlegungsschrift an.
48
3. Die danach (auch) zum Nachteil des Angeklagten C. eingelegte Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), da mangels konkreter Begründung nicht erkennbar ist, dass sie ein von einer Nebenklägerrevision erreichbares Ziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgte.

II.

49
Revisionen zum Nachteil der Angeklagten A. und T. :
50
Insoweit hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung(en) gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, der diesen Revisionen des Nebenklägers zum Erfolg verhelfen könnte.
51
1. Die Annahme, dass insbesondere bei Tritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Menschen ein Tötungsvorsatz in Betracht kommen kann, liegt im Grundsatz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2005 - 1 StR 288/05, NStZ-RR 2006, 10, 11; Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 178/05). Die insoweit freilich sehr knappen Ausführungen der Jugendkammer ergeben im Kontext mit den sonstigen Urteilsgründen, dass der Jugendkammer auch im Blick auf ein eher spontanes, sich rasch intensivierendes Geschehen Zweifel an einem solchen Vorsatz verblieben. Dies gilt auch, soweit die Jugendkammer angesichts des in seiner ständigen Bewegung schnell wechselnden und nur begrenzt zuverlässig zu rekonstruierenden tumultartigen Geschehens keine Handlungen der Angeklagten festzustellen vermochte, die die Annahme eines Tötungsvorsatzes aufdrängten. Vergleichbares gilt hinsichtlich des beim Nebenkläger eingetretenen Verlusts des Auges und der sonstigen schweren Verletzungen , von deren Verursachung durch die Angeklagten sich die Jugendkammer ebenfalls nicht zweifelsfrei überzeugen konnte. All dies liegt auch unter Berücksichtigung des hiergegen gerichteten Revisionsvorbringens noch im Rahmen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung, sodass es nicht darauf ankommt, ob auch eine andere Würdigung vertretbar erschiene.
52
2. Näher noch als die Annahme eines versuchten Totschlags und/oder einer schweren Körperverletzung hätte die Annahme einer Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB, zweite Alternative) gelegen, da die Angeklagten sich gemeinsam mit anderen an einem u.a. auch durch Flaschenwürfe begangenen Angriff auf M. beteiligten, durch den dieser ein Auge verlor, ohne dass es darauf ankäme, welche konkrete Handlungen ihnen im Blick auf die hier, wie in solchen Fällen typisch, vorliegende Beweisnot zugerechnet werden können (vgl. zusammenfassend Fischer StGB 58. Aufl., § 231 Rn. 1, 2, 4 ff. mwN). Näher nachzugehen braucht der Senat dem aber nicht, weil § 231 StGB kein zur Nebenklage berechtigendes Delikt ist; ein nur hierauf bezogener etwaiger Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten kann einer hinsichtlich der Anwendung von Nebenklagedelikten erfolglosen Nebenklägerrevision nicht zum Erfolg verhelfen (BGH, Urteil vom 21. August 2008 - 3 StR 236/08, NStZ-RR 2009, 24, 25; BGH, Urteil vom 12. März 1997 - 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403 jew. mwN). Gleiches gilt im Ergebnis insoweit, als die Jugendkammer nicht geprüft hat, ob eine nur nach ihrer einzelfallbezogen abstrakten Gefährlichkeit, nicht nach ihren konkreten Folgen zu beurteilende lebensgefährdende Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Fischer aaO § 224 Rn. 12 mwN) vorliegt, oder ob im Blick auf bei den Tritten nahe liegend von den Angeklagten getragene Schuhe gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009 - 4 StR 347/09, NStZ 2010, 151 mwN) verwendet wurden. Das Hinzutreten weiterer Tatbestandsalternativen eines ohnehin abgeurteilten Delikts betrifft den Schuldumfang und daher den Strafausspruch (BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, NJW 1999, 2449; BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 4 StR 266/97, NStZ-RR 1997, 371 jew. mwN) und kann daher einer Nebenklägerrevision ebenso wenig zum Erfolg verhelfen wie sonstige nur den Strafausspruch betreffende Rechtsfehler (§ 400 StPO). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 99/09
vom
27. Mai 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_______________________
Zur Leitungs- und Kontrollbefugnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren
- insbesondere bei Tötungsdelikten.
BGH, Beschl. vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Mai 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Oktober 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tatmehrheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Mordes hat es folgende Feststellungen getroffen:
2
In der Nacht vom 10. auf den 11. November 2007 befand sich die einjährige L. , das Kind der Lebensgefährtin des Angeklagten, in ihrem Kinderbett, das sich im Schlafzimmer der Wohnung befand. Auch der Angeklagte schlief in diesem Schlafzimmer, während L. s Mutter, die Zeugin S. , die Nacht im Wohnzimmer verbrachte. Gegen 2.30 Uhr begann L. zu schreien, wodurch der Angeklagte geweckt wurde. Er fühlte sich durch das Schreien des in dem Kinderbett stehenden, weinenden Kindes „genervt“ und wollte die störende Geräuschquelle um jeden Preis abstellen. Der Angeklagte ging zu dem Kinder- bett und schlug L. mit der Hand zweimal kräftig ins Gesicht, wodurch diese stürzte, im Bett auf dem Rücken zum Liegen kam und weiter weinte. Der Angeklagte würgte sie daraufhin so lange mit der rechten Hand am Hals, bis sie kein Lebenszeichen mehr von sich gab, insbesondere nicht mehr atmete und er sich dachte „jetzt ist sie endlich still“. Sodann nahm er L. aus dem Bettchen und vergewisserte sich, dass sie tot war. Anschließend legte er die Kinderleiche in Bauchlage zurück ins Bett und deckte sie zu, da er der Meinung war, so deute nichts auf eine gewaltsame Todesursache hin.
3
Danach schlief der Angeklagte in seinem Bett bis 8.30 Uhr. Auf Bitten der Zeugin S. sah der Angeklagte nach L. und erklärte, dass sie sich nicht mehr bewege. Der verständigte Notarzt stellte gegen 9.09 Uhr den Tod des Kindes fest.
4
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge wegen eines Belehrungsverstoßes (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Näher auszuführen ist nur Folgendes:
5
2. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde:
6
Noch am Tattag, dem 11. November 2007, wurde der Angeklagte von der Polizei als Zeuge vernommen. Am 13. November 2007 wurde er zunächst erneut als Zeuge vernommen. Nachdem ihm eröffnet worden war, dass bei der am Vortag erfolgten, von der Staatsanwaltschaft angeordneten Obduktion Verletzungen des getöteten Kindes festgestellt worden waren, wurde er gemäß § 55 StPO belehrt. Anschließend wurde ihm ausdrücklich mitgeteilt, dass aufgrund des Verletzungsmusters der Verdacht bestehe, dass er etwas mit der Beibringung dieser Verletzungen zu tun habe.
7
Nachdem dem Angeklagten auf seinen Wunsch hin eine fünfminütige Zigarettenpause gewährt worden war, erklärte er, er habe L. am 11. November 2007 einen Schlag ins Gesicht gegeben und diese gewürgt, bis sie ruhig gewesen sei. Im Anschluss hieran wurde er nach § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt, allerdings ohne dass auf die Nichtverwertbarkeit seiner früheren Aussagen hingewiesen wurde („qualifizierte Belehrung“ - vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281 f.), woraufhin er den äußeren Tathergang - auch zu den Vorwürfen der Misshandlung von Schutzbefohlenen und der gefährlichen Körperverletzung - detailliert, so wie vom Landgericht festgestellt, schilderte.
8
Nach erneuter - wiederum nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung am Morgen des 14. November 2007 bestätigte der Angeklagte seine am Vortag gemachten Angaben als vollumfänglich richtig. Bei der Haftbefehlseröffnung durch den Ermittlungsrichter am Nachmittag dieses Tages machte er zur Sache keine Angaben mehr. Zu Beginn der Hauptverhandlung ließ der Angeklagte über seinen Verteidiger erklären, dass er das am 13. November 2007 abgelegte Geständnis widerrufe und im Übrigen von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache. Im Rahmen der Beweisaufnahme widersprach die Verteidigung rechtzeitig der Zeugenvernehmung der beiden polizeilichen Vernehmungsbeamten hinsichtlich der Vernehmungen des Angeklagten am 13. und 14. November 2007.
9
3. Das Revisionsvorbringen genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls deshalb, weil aufgrund der zulässig erhobenen Sachrüge ergänzend auf den Inhalt des Urteils zurückgegriffen werden kann (vgl. Senat , Beschl. vom 18. Juli 2007 - 1 StR 296/07 [insoweit nicht abgedruckt in BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verzicht 1]; BGHSt 46, 189, 190 f.; 45, 203, 204 f. m.w.N.), das den Kern der Aussagen des Angeklagten wiedergibt. Die Rüge ist jedoch aus den vom Generalbundesanwalt näher dargelegten Gründen unbegründet, weil das Landgericht aufgrund der vorgenommenen Einzelfallabwägung (vgl. BGH NStZ 2009, 281, 282) die vom Angeklagten im Rahmen seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung nach Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO gemachten Angaben - trotz unterbliebener qualifizierter Belehrung - zu Recht als verwertbar angesehen hat. Auch die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
10
Die Urteilsgründe veranlassen jedoch zu dem Hinweis, dass Verfahrensvorgänge im Urteil grundsätzlich nicht zu erörtern sind. Insbesondere sind Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln von Rechts wegen nicht geboten. Zur Vermeidung der Überfrachtung der schriftlichen Urteilsgründe sind sie regelmäßig sogar tunlichst zu unterlassen (vgl. Senat, NStZ-RR 2007, 244 m.w.N.).
11
4. Im Übrigen gibt der vorliegende Fall Anlass, auf Folgendes hinzuweisen :
12
a) Es ist nicht erst Sache der Hauptverhandlung und des Revisionsverfahrens , der immer größer werdenden praktischen Bedeutung der Beweisverwertungsverbote gerecht zu werden. Diese Aufgabe beginnt vielmehr bereits bei Einleitung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (vgl. Schlothauer in FS Lüderssen S. 761, 772).
13
Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und trägt die Gesamtverantwortung für eine rechtsstaatliche, faire und ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens, auch soweit es durch die Polizei geführt wird (vgl. Nr. 1 RiStBV; Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 21; Meyer- Goßner, StPO 51. Aufl. Einl. Rdn. 41, § 160 Rdn. 1, § 163 Rdn. 3; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 160 Rdn. 4, § 163 Rdn. 2 jew. m.w.N.). Aufgrund dieser umfassenden Verantwortung steht der Staatsanwaltschaft gegenüber ihren Ermittlungspersonen ein uneingeschränktes Weisungsrecht in Bezug auf ihre auf die Sachverhaltserforschung gerichtete strafverfolgende Tätigkeit zu, vgl. § 161 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 152 Abs. 1 GVG (siehe dazu Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 33, § 161 Rdn. 46, § 163 Rdn. 7; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 163 Rdn. 2 f.). Dabei kann sie konkrete Einzelweisungen zu Art und Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilen, Nr. 3 Abs. 2, Nr. 11 RiStBV, oder ihre Leitungsbefugnis im Rahmen der Aufklärung von Straftaten unabhängig vom Einzelfall durch allgemeine Weisungen im Voraus in Anspruch nehmen (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 163 Rdn. 9; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 163 Rdn. 3 f.; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 163 Rdn. 2 f. m.w.N.).
14
b) Bereits mit Blick auf mögliche Beweisverwertungsverbote wegen fehlender oder nicht rechtzeitiger Belehrung als Beschuldigter nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO (vgl. dazu BGHSt 51, 367 ff.) oder mangels „qualifizierter“ Belehrung nach zunächst zu Unrecht erfolgter Vernehmung als Zeuge (vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281 f.) erfordert die der Staatsanwaltschaft zugewiesene Verantwortlichkeit, dass sie die ihr zustehenden Leitungs- und Kontrollbefugnisse auch effektiv ausübt. Dazu genügt es nicht, wenn sie lediglich Richtung und Umfang der von der Polizei vorzunehmenden Ermittlungen ganz allgemein vorgibt (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 39 m.w.N.).
15
Jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, bei denen es um die Aufklärung und Verfolgung von Tötungsdelikten geht, hat daher die Staatsanwaltschaft, der derartige Fälle sofort anzuzeigen sind (vgl. § 159 Abs. 1 StPO), insbesondere den Status des zu Vernehmenden als Zeuge oder Beschuldigter klarzustellen und durch allgemeine Weisungen im Voraus oder durch konkrete Einzelweisungen eine ordnungsgemäße, rechtzeitige Beschuldigtenbelehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO sicherzustellen. Wird ein Tatverdächtiger dennoch zu Unrecht als Zeuge vernommen, so hat sie wegen des Belehrungsverstoßes darauf hin zu wirken, dass dieser bei Beginn der nachfolgenden Vernehmung als Beschuldigter auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben hingewiesen wird („qualifizierte Belehrung“ - vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281 f.).
Nack Wahl Elf Jäger Sander