Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 1 StR 33/11

bei uns veröffentlicht am15.03.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 33/11
vom
15. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (bezogen auf Heroingemische mit einem Wirkstoffgehalt von in einem Fall 27 %, in den anderen Fällen von mindestens jeweils 30 %, in einem Fall etwas höher, im Gewicht zwischen etwa 300 g und 550 g) und einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (bezogen auf ein Kokaingemisch von 300 g mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 %) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
2
Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Für die - nach forensischer Erfahrung ohnehin ziemlich fern liegende - Behauptung, entgegen § 226 StPO sei am zweiten Verhandlungstag kein Protokollführer anwesend gewesen (§ 338 Nr. 5 StPO), gibt es keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte. Das Hauptverhandlungsprotokoll beweist das Gegenteil. Danach wurde die unterbrochene Hauptverhandlung „in gleicher Besetzung wie Bl. 2 des Protokolls fortgesetzt“. Bl. 2 ergibt, dass am ersten Hauptverhandlungstag Justizangestellte M. als Protokollführerin mitgewirkt hat. Die Revision, die diesen Hinweis für nicht „ausreichend“ hält, verkennt offenbar, dass bei Fortset- zungsterminen die Namen der gemäß § 272 Nr. 2 StPO im Protokoll zu nennenden Verfahrensbeteiligten nicht wiederholt werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 3 StR 462/00, BGHR StPO § 274 Beweiskraft 24; KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 272 Rn. 2). Ebenso wenig wie der genannte Hinweis spricht der von der Revision für auch nicht ausreichend gehaltene, nach ihrer Bewertung „unleserliche Namenszug“ am Ende des Protokolls von diesem Verhandlungstag dafür, dass ihre Behauptung der Wahrheit entspräche. Abgesehen davon, dass die allein behauptete bloße Unleserlichkeit einer Unterschrift rechtlich ohnehin bedeutungslos ist (vgl. zur Unterschrift eines Richters unter einem Urteil BGH, Beschluss vom 30. August 1988 - 1 StR 377/88, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 1; zur Unterschrift eines Verteidigers unter einer Revisionsbegründung BGH, Urteil vom 7. Januar 1959 - 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317, 319), spräche eine solche Unterschrift unter einem Protokoll offensichtlich nicht dafür, dass der Eindruck erweckt werden soll, es sei eine in Wirklichkeit abwesende Person bei der Protokollierung anwesend gewesen. Darauf, dass, so der Generalbundesanwalt, die Unterschrift von Frau M. durchaus lesbar ist, kommt es daher nicht mehr an.
4
2. Am 22. März 2010 wies die Strafkammer durch ein Vorsitzendenschreiben an die Verteidiger auf ihre Auffassung hin, dass die Angaben des Angeklagten „keine Einlassung im Sinne einer Verständigung“ seien; deshalb sei die Strafkammer „nicht an (…) Zusagen über bestimmte Freiheitsstrafen gebunden“. Im nächsten Hauptverhandlungstermin wurde der Angeklagte befragt, „ob die bisherigen Aussagen aufrechterhalten (blieben) oder nicht“. Im Falle der Bestätigung „ohne den Hintergrund einer möglichen Verständigung“ stehe § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ihrer Verwertung nicht entgegen. In der Hauptverhandlung vom 30. März 2010 wurde dieser Brief verlesen und der Angeklagte wie angekündigt befragt. Er erklärte, so auch die Revision, „dass es bei seinen bisherigen Angaben verbleibe und er diese weiterhin zum Inhalt seiner Einlassung macht“.
5
a) Hierauf gestützt meint die Revision zunächst, eine Loslösung von einer früheren Zusage müsse in Form eines Beschlusses geschehen (so auch Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren , § 257c StPO Rn. 113). Ob dies zwingend oder nur zweckmäßig ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c StPO Rn. 29 „am besten in Form eines Beschlusses“), mag dahinstehen, da die Verlesung des Briefes der Sache nach die Verkündung eines Beschlusses ist. Der Umstand, dass dies schon zuvor den Verteidigern - letztlich um aus Gründen der Fürsorgepflicht eine Vorbereitung auf das für den nächsten Hauptverhandlungstag vorgesehene Geschehen zu ermöglichen - in Form eines Briefs angekündigt wurde und dieser Brief dann nicht umformuliert und ausdrücklich als Beschluss bezeichnet wurde, ändert daran nichts. An der in einer derartigen Verfahrenslage entscheidenden Rechtsklarheit für die Beteiligten (Niemöller aaO) können hier keine Zweifel bestehen.
6
b) Insbesondere ergibt sich aus diesem Beschluss (Brief) mit gebotener Klarheit, dass die Strafkammer frühere Aussagen für unverwertbar hielt und sie nur im Falle einer bestätigenden Wiederholung berücksichtigen würde, die in Kenntnis des Umstandes, dass eine Vereinbarung nicht mehr im Raum steht, erklärt worden ist. Im Blick auf diese vorangegangene eingehende und präzise Belehrung bestehen auch unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Revisionsvorbringens gegen die Verwertung der Aussagen vom 30. März 2010 keine rechtlichen Bedenken. Die vorangegangenen Aussagen hat die Strafkammer entsprechend ihrer Ankündigung nicht verwertet, anderes behauptet auch die Revision nicht. Daher kann auf sich beruhen, dass, so die Revision, der Angeklagte vor Abgabe dieser dann nicht verwerteten Aussagen nicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war. Es ist im Blick auf das nachfolgende Verfahrensgeschehen nicht erkennbar, wie sich ein solcher Verfahrensverstoß noch ausgewirkt haben könnte.
7
3. Insbesondere hinsichtlich der festgestellten Bandenabrede haben Erkenntnisse aus im Lauf des Ermittlungsverfahrens angefallenen Überwachungsprotokollen Bedeutung. Über einen Teil dieser Protokolle wurde in der Hauptverhandlung Beweis erhoben, hinsichtlich eines anderen näher gekennzeichneten Teils wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung stellte der Vorsitzende nach dessen Abschluss fest, dass die Schöffen Gelegenheit zur Kenntnisnahme der genannten Urkunden hatten. Hierauf gestützt macht die Revision geltend, die in Rede stehenden Urkunden, die, wie sie behauptet, aber nicht näher ausführt, in das Urteil eingeflossen seien, seien nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden.
8
a) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen nicht.
9
(1) Allerdings wurde die genannte Feststellung in der Hauptverhandlung vom 20. Juli 2010 getroffen, nicht, so aber die Revision, im Termin vom 13. Juli 2010. Dies ist unschädlich, da es auf den exakten Zeitpunkt in der Hauptverhandlung hier nicht ankommt. Da zur Glaubhaftmachung einer geltend gemachten Verfahrensrüge Beweismittel, wie etwa Aktenstellen, überhaupt nicht angegeben werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, BGH StV 2007, 569), führt auch die Angabe einer falschen Aktenstelle als Beleg für einen tatsächlich geschehenen, aus einer anderen Stelle der Akten ersichtlichen Vorgang nicht dazu, dass die entsprechende Rüge nicht zulässig erhoben wäre. Gleichwohl bemerkt der Senat, dass der entsprechende Hinweis in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft sachgerecht ist, da er die Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen des Revisionsvorbringens erleichtert hat.
10
(2) Der Generalbundesanwalt hat erwogen, ob die in Rede stehende Feststellung Teil der Durchführung des Selbstleseverfahrens sei. Dann sei, so folgert er aus dem Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2010 (1 StR 422/10), die Rüge unzulässig, da der Angeklagte nach der genannten Feststellung durch den Vorsitzenden keine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers herbeigeführt hätte. Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass die Feststellungen, die nach Abschluss der Durchführung des Selbstleseverfahrens hierüber zu treffen sind, Teil der Durchführung dieses Verfahrens sind. Im Übrigen lag jener Entscheidung zu Grunde, dass erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht wurde, aus in der Person des Angeklagten liegenden Gründen hätte kein Selbstleseverfahren angeordnet und/oder so, wie geschehen, durchgeführt werden dürfen. Mit dem hier vorliegenden Fall, dass sich der Angeklagte gegen die für ihn nur aus dem Protokoll ersichtliche Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens durch die Richter wendet, ist jener Fall auch und gerade im Blick auf eine Notwendigkeit, schon in der Hauptverhandlung vorgesehene Möglichkeiten zu nutzen, auf die Beseitigung von dann im Revisionsverfahren geltend gemachter Fehler hinzuwirken, nicht vergleichbar.
11
(3) Der Generalbundesanwalt hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge auch deshalb geltend gemacht, weil die Revision nicht vorträgt, dass für zahlreiche Überwachungsprotokolle nicht das Selbstleseverfahren angeordnet wurde, sondern hierüber in der Hauptverhandlung Beweis erhoben wurde. Daher könne der Senat den Einfluss der Verlesung der nicht mitgeteilten Protokolle auf die Überzeugungsbildung der Kammer nicht prüfen.
12
Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Aus den nicht vorgetragenen Beweiserhebungen können sich möglicherweise Gesichtspunkte dafür ergeben, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Fehler nicht beruhen kann. Sowenig ein Revisionsführer in der Regel zum Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler vortragen muss - mag auch solcher Vortrag je nach Fallgestaltung zweckmäßig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; BGH bei Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1, 3 Nr. 4 jew. mwN) -, so wenig ist eine Rüge deshalb nicht zulässig erhoben, weil Tatsachen, die gegen ein Beruhen sprechen könnten, nicht vorgetragen sind. Der unterbliebene Vortrag hierzu ist nicht mit dem je nach den Umständen des Falles erforderlichen Vortrag zu „rügevernichtenden Umständen“ (z.B. der Wiederholung eines Teils der Hauptverhandlung, in dem ein früherer, der Rüge zu Grunde liegender Verfahrensvorgang wiederholt wurde) oder „Negativtatsachen“ (wenn eine dem geltend gemachten Verfahrensfehler entgegenstehende Verfahrenslage ernsthaft in Frage kommt) zu vergleichen (vgl. Sander/Cirener aaO Nr. 3c, d; Mosbacher NStZ 2008, 263 jew. mwN).
13
b) Der geltend gemachte Rechtsfehler liegt vor.
14
Der Generalbundesanwalt hat in diesem Zusammenhang zutreffend folgendes ausgeführt:
15
„Die Durchführung eines Selbstleseverfahrens kann als wesentliche Verfahrensförmlichkeit nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden (§ 274 StPO). Die Feststellung, dass die Schöffen Gelegenheit hatten, von den im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden Kenntnis zu nehmen (Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung …), belegt im Umkehrschluss, dass die Berufsrichter diese Gelegenheit nicht hatten (vgl. BGH wistra 2010, 31). Außerdem genügt, wie die Revision zutreffend bemerkt, die Gelegenheit zur Kenntnisnahme nur für weitere Verfahrensbeteiligte, für Berufsrichter und Schöffen muss [unterschiedslos] die erfolgte Kenntnisnahme festgestellt werden (§ 249 Abs. 2 Satz 1 StPO)“.
16
Die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, wonach „sowohl die Berufsrichter als auch die Schöffen (…) hinsichtlich der Urkunden (…) nicht nur Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatten, sondern auch Kenntnis von den Urkunden genommen haben“, ist im Ansatz nicht geeignet, die alleinige Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) in Frage zu stellen. Anhaltspunkte für die Grundlage eines - zu Recht nicht durchgeführten - Protokollberichtigungsverfahrens (BGH - Großer Senat für Strafsachen -, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298), also etwa dafür, dass die gebotenen Feststellungen in der Hauptverhandlung getroffen, aber versehentlich nicht protokolliert wurden, liegen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 2 StR 54/09; BGHSt 54, 37; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09 mwN).
17
c) Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf dem genannten Fehler beruht. In den Urteilsgründen wird in den unterschiedlichsten Zusammenhängen , insbesondere aber hinsichtlich der strukturellen Verbindung des Angeklagten mit weiteren Tätern, häufig auf die Aussagen von (etlichen) Polizeibeamten verwiesen, die jeweils im Einzelnen über ebenfalls geschilderte Einzelerkenntnisse hinaus die Gesamtergebnisse der von ihnen ausgewerteten Überwachungserkenntnisse dargelegt haben. All dies hat der Generalbundesanwalt zutreffend im Einzelnen dargelegt. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Revision mitgeteilten Überwachungsergebnisse spezielle konkrete Erkenntnisse enthielten, die, ohne von den insbesondere durch die Polizeibeamten eingeführten Gesamtergebnissen umfasst zu sein, in irgendeinem Zusammenhang auf die Urteilsfeststellungen Einfluss gewonnen hätten, sind nicht ersichtlich. Auch die Revision äußert sich hierzu nicht konkret. Dies ist, wie dargelegt, rechtlich nicht geboten. Das Vorbringen ist aber auch nicht geeignet, das dargelegte Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Beruhensprüfung in Frage zu stellen.
18
4. Die Sachrüge ist unbegründet.
19
Zum Schuldspruch ist lediglich anzumerken, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Bemühungen, auch noch mit Kokain zu handeln, bereits konkrete Erwerbsvereinbarungen getroffen hatte. Zweifel an vollendetem Handeltreiben bestehen daher nicht. Der Wirkstoffgehalt, von dem die Strafkammer bei dem nicht sichergestellten Kokaingemisch von 300 g ausgegangen ist, erscheint sehr gering (vgl. demgegenüber Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn.116 ff. mwN). Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist nicht erkennbar. Für eine Anwendung von § 64 StGB, deren Unterlassung den Angeklagten ohnehin nicht beschwert , fehlen, wie die Strafkammer rechtsfehlerfrei darlegt, die Grundlagen, weil der Angeklagte „bewusst einen weit überhöhten Drogenkonsum behauptet, um (…) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (...) zu erreichen“.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Hauptverhandlung erfolgt in ununterbrochener Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen sowie der Staatsanwaltschaft und eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.

(2) Der Strafrichter kann in der Hauptverhandlung von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle absehen. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Das Protokoll über die Hauptverhandlung enthält

1.
den Ort und den Tag der Verhandlung;
2.
die Namen der Richter und Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des zugezogenen Dolmetschers;
3.
die Bezeichnung der Straftat nach der Anklage;
4.
die Namen der Angeklagten, ihrer Verteidiger, der Privatkläger, der Nebenkläger, der Anspruchsteller nach § 403, der sonstigen Nebenbeteiligten, der gesetzlichen Vertreter, der Bevollmächtigten und der Beistände;
5.
die Angabe, daß öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.

(2) Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der Schöffen bedarf es nicht.

(3) Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen.

(4) (weggefallen)

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 298/06
vom
22. September 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. September 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 3. Februar 2006 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat er 1997 in Brasilien seine ehemalige Lebensgefährtin gewaltsam getötet, da sie seinen Plänen, bei seinem Umzug nach Deutschland die gemeinsame Tochter und sein ungeschmälertes Vermögen mit sich zu nehmen, im Wege stand.
2
Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Der näheren Ausführung bedarf nur Folgendes:
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte nach der Tat die Leiche zerstückelt und Teile davon im Wald entsorgt, wo Knochen von ihr in einem Plastiksack gefunden wurden. Zuvor hatte er von den Knochen das Muskelfleisch entfernt, um aus von der Strafkammer im Einzelnen näher dargelegten Gründen die Identifizierung der Leiche zu erschweren. Dass das Muskelfleisch entfernt worden war, hat ein Sachverständiger ausweislich der Urteilsgründe im Rahmen seines Gutachtens „anhand der Lichtbilder, aber auch anhand des verlesenen brasilianischen rechtsmedizinischen Gutachtens“ dargelegt.
5
2. Hierauf gestützt, trägt die Revision vor, das Gutachten sei nicht verlesen worden. Sie verweist dabei auch darauf, dass sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung nichts anderes ergebe.
6
3. Dieses Vorbringen genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Senat teilt nicht die Auffassung, die Rüge scheitere an unzureichendem Vortrag, da das Protokoll der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt sei.
7
Grundsätzlich genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass die den Mangel begründenden Tatsachen vollständig vorgetragen werden. Dagegen ist ihre Glaubhaftmachung, etwa durch die Angabe von Beweismitteln und Aktenstellen, aus denen sich diese Tatsachen ergeben, nicht erforderlich (BGH NStZ-RR 2003, 334 ; in vergleichbarem Sinne BGH bei Pfeiffer NStZ 1982, 191; vgl. auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41). Der Vortrag, eine Urkunde sei nicht verlesen worden, ist vollständig. Zur Prüfung seiner Schlüssigkeit - nicht: seiner Richtigkeit - bedarf es des Rückgriffs auf das Protokoll nicht. Besondere Umstände, die in diesem Zusammenhang gleichwohl weitergehende Ausführungen unerlässlich machen könnten, sind nicht erkennbar. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderte daher nicht die Beifügung (von Ablichtungen ) des Protokolls, das sich hier, ohne seine zahlreichen Anlagen, über beinahe 40 Seiten erstreckt.
8
4. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt erwogen, ob das Gutachten auf anderem Wege, etwa durch Verlesung im Rahmen eines Vorhalts, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38a m. w. N.). Jedoch hat die Strafkammer - obwohl verfahrensrechtliche Ausführungen wie etwa zum Rechtsgrund einer Beweiserhebung in den Urteilsgründen nicht geboten sind - ausdrücklich auf das „verlesene“ Gutachten abgestellt. Der Senat kann offen lassen , ob gleichwohl der vorliegenden Rüge mit dem Hinweis der Boden entzogen werden kann, über das Gutachten könne statt durch Verlesung auch durch die Antwort auf einen Vorhalt Beweis erhoben worden sein (verneinend in einem etwas anders gelagerten Fall BGH, Beschluss vom 11. Mai 1983 - 2 StR 66/83; vgl. auch Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 24).
9
5. Selbst für den Fall, dass der Inhalt des brasilianischen Gutachtens nicht prozessordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein sollte, wäre nämlich ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler zu verneinen.
10
a) Wie die Urteilsgründe ergeben, hat der Sachverständige in der Hauptverhandlung den Inhalt des brasilianischen Gutachtens behandelt und erläutert. Ist aber der Inhalt eines Schriftstücks in der Hauptverhandlung erörtert und ist auch nicht bestritten worden, dass das Schriftstück diesen Inhalt hat - hierfür ist nichts ersichtlich - so kann schon deshalb das Urteil regelmäßig nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1957 - 4 StR 165/57; OLG Düsseldorf StV 1995, 120, 121 m. w. N.; Diemer in KK 5. Aufl. § 249 Rdn. 52).
11
b) Im Übrigen hatte der Angeklagte die Tat zeitnah seinem Sohn gestanden , sonst aber behauptet, die Getötete habe ihn mit einem anderen Mann ver- lassen. Erst im Lauf der Hauptverhandlung hat er dann angesichts einer im Einzelnen im Urteil dargelegten „erdrückend gewordenen Beweislage“ immerhin eingeräumt, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen sei. Sie habe nämlich versucht , ihn, den Angeklagten zu ermorden, sein Leibwächter habe ihn gerettet und sie getötet. Anschließend sei die Leiche zerstückelt und im Wald entsorgt worden. Er sei dabei gewesen. Unter den gegebenen Umständen ergibt eine Gesamtschau der Urteilsgründe ohne weiteres, dass die Ausführungen zu der Entfernung des Muskelfleischs und den Gründen hierfür nur ein zusätzliches bestätigendes Indiz aufzeigen, von dem die Überzeugungsbildung der Strafkammer hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten nicht abhing (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 1 StR 407/05; Beschluss vom 13. September 2001 - 1 StR 378/01; Urteil vom 16. Juli 1981 - 4 StR 336/81; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 38 m. w. N.).

II.

12
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts, die auch durch die Erwiderungen der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet sind. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 422/10
vom
14. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer einer nominell von seiner früheren Ehefrau geführten Firma, die im Zusammenhang mit dem Handel mit gebrauchten Baumaschinen und Lastkraftwagen in ein näher beschriebenes, über Jahre bundesweit praktiziertes Steuerhinterziehungssystem einbezogen war. Insgesamt wurde allein Umsatzsteuer - ebenfalls hinterzogene Einkommenund Gewerbesteuer sind nicht mehr Verfahrensgegenstand - in Höhe von mehr als 1,5 Millionen € sowohl durch die Verschleierung von Umsätzen als auch durch unberechtigten Vorsteuerabzug auf der Grundlage fingierter Rechnungen hinterzogen.
2
Auf dieser Grundlage wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision erhebt eine Verfahrensrüge in Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Zur Verfahrensrüge:
4
Auf Anordnung des Vorsitzenden wurde ein Selbstleseverfahren durchgeführt , das sich auf eine zwei Seiten umfassende Tabelle bezog, die von der Überschrift: „Vorsteuerbeträge aus Rechnungseingängen der Firmen G. GmbH + T. GmbH / 2000 bis 2004“ abgesehen, weitgehend aus Zahlen besteht.
5
Hieran knüpft die Revision an:
6
Der aus Syrien stammende Angeklagte verfügt ausweislich der Urteilsgründe „über keine Schulbildung, kann nicht Lesen und Schreiben“. Ergänzend heißt es an anderer Stelle der Urteilsgründe, nach Angaben der früheren Ehefrau könne er „nur ein paar Worte und im übrigen nur Zahlen lesen“. Ergänzend trägt die Revision näher vor, dass und warum die (mit dem die Revision begründenden Verteidiger nicht identische) Verteidigerin im damaligen Hauptverhandlungstermin der Auffassung war, nähere Erläuterungen gegenüber dem Angeklagten zu diesem Selbstleseverfahren seien nicht erforderlich. Insgesamt, so die Revision , komme „ein Selbstleseverfahren mit einem leseunkundigen Angeklagten … nicht in Betracht“. Nachdem der Generalbundesanwalt die Zulässigkeit der Rüge bezweifelt hat, weil ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erhoben worden sei, hat die Revision erwidert (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), nicht die Anordnung des Selbstleseverfahrens sei fehlerhaft gewesen, sondern dessen Durchführung.
7
a) Der Vorsitzende bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Selbstleseverfahren durchzuführen ist (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Dabei sind auch - hier, wie die Revision zutreffend vorträgt , schon im Ermittlungsverfahren aktenkundig gewordene - Anhaltspunkte für Analphabetismus in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 85). Einen Rechtssatz, dass in derartigen - nach forensischer Erfahrung nicht häufigen - Fällen ein Selbstleseverfahren keinesfalls zulässig sei, gibt es nicht. Wird ein solches - hier zwei Aktenseiten betreffendes - Verfahren für zweckmäßig gehalten, so ist die Situation damit vergleichbar, dass der Angeklagte Urkunden zwar lesen, aber mangels Sprachkenntnissen nicht verstehen kann. Auch dann ist ein Selbstleseverfahren möglich, jedoch muss das Gericht ermöglichen, dass ihm der Inhalt der Urkunde zur Kenntnis gebracht wird (vgl. Mosbacher aaO Rn. 80). Jedoch kann, von den hier nicht in Rede stehenden Richtern abgesehen , jeder Verfahrensbeteiligte, also auch der Angeklagte, auch darauf verzichten , vom Inhalt der Urkunden Kenntnis zu nehmen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 82). Verzichtet er nicht, kann der Inhalt gegebenenfalls durch einen hierzu bereiten Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden, sonst auf andere Weise. Es ist dem Strafprozessrecht auch sonst nicht fremd, dass erforderlichenfalls Urkunden vorgelesen werden (vgl. § 35 Abs. 3 StPO; zur Notwendigkeit des Vorlesens auch unter anderen als den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen vgl. Graalmann-Scheerer aaO § 35 Rn. 27).
8
b) Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden , wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Hinsichtlich der Anordnung ist eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen, bei der das Ermessen des Spruchkörpers an die Stelle des Ermessens des Vorsitzenden tritt (Mosbacher aaO Rn. 76). Geht es nicht um die Anordnung, sondern die ebenfalls zunächst vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens (Mosbacher aaO Rn. 81), ist eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen, wobei dann nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu überprüfen ist (Mosbacher aaO Rn. 103). Hier ist weder das eine noch das andere geschehen. Daher ist für eine Verfahrensrüge im Zusammen- hang mit dem Selbstleseverfahren kein Raum (Mosbacher aaO Rn. 110; Kindhäuser NStZ 1987, 529, 531< § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO>; Mosbacher aaO Rn. 114 <§ 238 Abs. 2 StPO>). Soweit keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen: Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob eine Rüge auch dann daran scheitert, dass keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, wenn die behauptete Rechtsverletzung durch den Vorsitzenden nicht mehr mit der Einhaltung „der unumstößlichen, eindeutigen Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung“ vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, JR 2007, 381, 384). Der Senat braucht dieser Frage hier ebenfalls nicht näher nachzugehen, da es hier um die Wahrung eines Rechts geht, auf das der Angeklagte, wie dargelegt, nach seinem Belieben verzichten kann, ohne dass mit einem solchen Verzicht Prozessrecht verletzt wäre. Wird die Verletzung eines derartigen Rechts gerügt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine solche Rüge nur Erfolg haben kann, wenn eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde.
9
2. Mit der Sachrüge macht die Revision geltend, es bleibe unklar, auf welcher Feststellungsgrundlage die mitgeteilten Umsatzsteuerverkürzungen der Höhe nach berechnet seien. Insoweit ist der Revision zuzugestehen, dass die Urteilsgründe nicht ausdrücklich ergeben, wie hoch die Umsätze waren, die den vom Angeklagten begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen zu Grunde lagen. Dies gefährdet hier allerdings den Bestand des Urteils nicht.
10
Es ist zu differenzieren:
11
a) Soweit unberechtigter Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) auf der Grundlage von Scheinrechnungen erfolgte, reichte es für die Sachdarstellung in den Urteilsgründen aus, dass dessen Höhe beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 420/10). Aus dem Umstand, dass vorliegend den Scheinrechnungen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen, folgt, dass der gesamte aus diesen Scheinrechnungen geltende gemachte Vorsteuerabzug zu Unrecht erfolgte. Besonderheiten des Einzelfalls, die vorliegend weitere Darlegungen erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.
12
b) Soweit Umsatzsteuer dadurch verkürzt wurde, dass in den Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen des Unternehmens steuerbare Umsätze verschwiegen wurden, wären demgegenüber - nicht mit erkennbarem Mehraufwand verbundene - Feststellungen zur Höhe der verschwiegenen Umsätze sachgerecht gewesen, um den Senat auch ohne aufwändige eigene Bemühungen die von ihm auf ihre rechtliche Tragfähigkeit zu überprüfenden tatsächlichen Grundlagen des Urteils erkennen zu lassen. Unter den gegebenen Umständen gefährdet dieser Mangel hier den Bestand des Urteils jedoch nicht:
13
Die Überzeugung von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten Besteuerungsgrundlagen kann das Tatgericht auch anhand eines Geständnisses des Angeklagten, das das Tatgericht überprüft hat, oder anhand von verlässlichen Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung, die diese in der Hauptverhandlung als Zeuge berichten, gewinnen. Angaben von Beamten der Finanzverwaltung zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatgerichts sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546 Rn. 18 f.).
14
Erweist sich - wie hier - die Berechnung der verkürzten Steuern auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen als einfacher Rechenschritt (die festgestellte Hinterziehungssumme stellt nach dem zur Tatzeit geltenden Umsatzsteuersatz 16 % des zu Grunde liegenden Umsatzes dar), kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend sein. Anhaltspunkte da- für, dass der Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer (vgl. UA S. 16) bei der gegebenen Sachlage Rechtsanwendungsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen sind, bestehen nicht, zumal der verteidigte Angeklagte die Richtigkeit des Zahlenwerks auch selbst anerkannt hat.
15
3. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 587/09
vom
14. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 12. August 2009 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde im Rahmen einer Verfahrensabsprache wegen einer Reihe in der ersten Jahreshälfte 2008 begangener Verstöße gegen das BtMG unter Einbeziehung der Einzelstrafen eines Urteils des Amtsgerichts Ravensburg vom 24. November 2008, dessen Feststellungen im Einzelnen mitgeteilt sind, zu einer (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt , wie dies auch die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend beantragt hatten.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
3
Näher ist ausgeführt, wie dies auch schon wiederholt gegenüber der Strafkammer geltend gemacht worden war, dass im Blick auf den in dem einbezogenen Urteil abgeurteilten Sachverhalt ein Verfahrenshindernis wegen Strafklageverbrauchs bestehe. Sie macht weiter geltend, wegen unzulänglicher Hinweise gemäß § 265 StPO seien Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt worden, und ist nunmehr der Auffassung, die Strafkammer hätte die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anordnen müssen.
4
Die Revision bleibt erfolglos.
5
1. Gegenstand der hier abgeurteilten Taten waren insgesamt (jeweils mindestens ) 55 g Kokaingemisch, 1,2 kg Amphetamin und 1.200 Ecstasy-Tabletten. Das Rauschgift stammte - an einer Stelle der Urteilsgründe heißt es „überwiegend“ , an einer anderen Stelle, die sich allerdings nur auf Kokain und Amphetamin bezieht, ist diese Einschränkung nicht gemacht - von R. .
6
Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs bezieht sich der Kern des Vorbringens auf die im Urteil des Amtsgerichts getroffene Feststellung, dass der Angeklagte in der Diskothek "D. " in Ra. am 11. Mai 2008 61 EcstasyTabletten und 1,7 g Amphetamin gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Während das Amtsgericht hinsichtlich sämtlicher sonstiger von ihm abgeurteilter Taten R. als (möglichen) Lieferanten nennt, ist dies hinsichtlich des am 11. Mai 2008 sichergestellten Rauschgifts nicht der Fall.
7
Die Strafkammer erörtert im Anschluss an die Prüfung der Konkurrenzverhältnisse auch die Frage, ob die hier abgeurteilten Taten mit den vom Amtsgericht abgeurteilten Taten eine Bewertungseinheit mit der Folge des Strafklageverbrauchs (vgl. hierzu zusammenfassend Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 887 m.w.N.) bilden könnten. Die Strafkammer verneint dies. Der Angeklagte sei in vollem Umfang geständig, habe jedoch keine Angaben zur Herkunft des am 11. Mai 2008 im "D. " bei ihm sichergestellten Rauschgifts gemacht. Der Angeklagte habe nach seiner eigenen Einlassung im Tatzeitraum Rauschgift nicht allein von R. bezogen. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er sogar noch ausgesagt, er habe sein Rauschgift meist nicht direkt von R. , sondern von irgendwelchen anderen Leuten bekommen. Abschließend führt die Strafkammer aus und belegt, dass auch der Zweifelssatz nicht gebiete, ohne hinreichende konkrete Anhaltspunkte dafür, dass mehrere Fälle des unerlaubten Er- werbs, Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dieselbe Rauschgiftmenge betreffen, eine Bewertungseinheit anzunehmen.
8
Die Revision meint, die Strafkammer habe die polizeiliche Aussage des Angeklagten falsch ausgelegt. Er habe lediglich darauf hingewiesen, dass das Rauschgift, das Gegenstand der vom Amtsgericht abgeurteilten Tat gewesen sei, direkt von R. stamme, in anderen Fällen habe er nicht direkt von R. bezogen, sondern von Dritten, die als Boten bzw. Überbringer für R. tätig geworden seien. Auch im Übrigen sei die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe nicht sein ganzes Rauschgift von R. bezogen, wie die Revision im Einzelnen darlegt, rechtsfehlerhaft. Daher hätte die Strafkammer von einer Bewertungseinheit ausgehen müssen.
9
Dies ist nicht der Fall.
10
Bei wiederholtem Rauschgifterwerb sind die Handlungen des Käufers selbst dann nicht als eine Tat im Sinne einer Bewertungseinheit anzusehen, wenn das gesamte eingekaufte Rauschgift aus demselben Vorrat stammt (vgl. BGH NStZ 1997, 243; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. vor § 52 Rdn. 43 jew. m.w.N.). Mehrere Rauschgiftgeschäfte sind dann im Sinne von Tateinheit in einer Bewertungseinheit verbunden, wenn sie in ein und demselben Güterumsatz in einem Handlungsteil, etwa beim Erwerb, bei der Lieferung oder bei der Bezahlung des Kaufpreises in einer Gesamtmenge oder in einem Geldbetrag zusammentreffen (Körner aaO Rdn. 846 f. m.w.N.). Selbst wenn, etwa im Blick auf einen einheitlichen Vorgang des Erwerbs durch den Verkäufer zum Zwecke gewinnbringenden Weiterverkaufs, die von diesem aus dem Vorrat vorgenommenen späteren Verkaufshandlungen in Bewertungseinheit verbunden sind, führte dies nicht dazu, dass diese Vorgänge auch auf Seiten des - immer identischen - Käufers als in Bewertungseinheit verbunden anzusehen wären.
11
Ein (jedenfalls teilweiser) Strafklageverbrauch hinsichtlich des Angeklagten käme allenfalls in Betracht, wenn davon auszugehen wäre, dass er im Rahmen desselben Erwerbsvorgangs - eine nach und nach erfolgte Aufstockung eines Vorrats würde nicht ausreichen ("Silotheorie"; vgl. hierzu Körner aaO Rdn. 857 m.w.N.) - sowohl die am 11. Mai 2008 sichergestellten und dem entsprechend vom Amtsgericht abgeurteilten Mengen als auch eine hier abgeurteilte Menge erworben hätte.
12
Der Senat hat dies nicht im Wege des Freibeweises zu überprüfen, also etwa durch Rekonstruktion des Ergebnisses der Beweisaufnahme und (oder) durch Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt, sondern nach revisionsrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGHSt 46, 349, 352, 353; BGH, Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00; in vergleichbarem Sinne BGHSt 22, 307, 309; BGH NStZ 2000, 388). Insoweit sind hier nur die Urteilsgründe maßgebend, da eine zulässige Verfahrensrüge in diesem Zusammenhang nicht erhoben ist.
13
Es ist nicht ersichtlich, dass der Strafkammer ein Rechtsfehler unterlaufen wäre.
14
Aus den dargelegten Gründen kommt es schon nicht darauf an, ob der Angeklagte sein Rauschgift ausschließlich von R. bezogen hat (hiergegen können die in den Urteilsgründen dokumentierten Angaben des Angeklagten sprechen) oder gar aus einem einheitlichen Vorrat von R. (hiervon ist bei einer Mehrzahl festgestellter Einzelverkäufe nicht ohne Weiteres auszugehen, vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 12). Jedenfalls sind keine konkreten Anhaltspunkte für die dargelegte Möglichkeit eines einheitlichen Kaufs des am 11. Mai 2008 sichergestellten Rauschgifts und hier verfahrensgegenständlichen Rauschgifts ersichtlich. Der Angeklagte hat offenbar häufig Rauschgift bezogen, wobei ihm dies von unterschiedlichen Personen ausgehändigt wurde. Unter die- sen Umständen könnte, wenn überhaupt, allenfalls der Zweifelssatz zu der Annahme führen, dass mehrere unterschiedliche Mengen Teile einer einheitlichen Gesamtmenge waren. Wie auch die Strafkammer jedoch zutreffend dargelegt hat, ist der Zweifelssatz aber keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer Bewertungseinheit (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Körner aaO Rdn. 855 m.w.N.).
15
2. Die Strafkammer gab im Laufe der Hauptverhandlung zwei rechtliche Hinweise gemäß § 265 StPO. Soweit hier von Interesse, lautete der erste Hinweis :
16
"Es wird darauf hingewiesen, dass bei den Taten 1, 13 u. 14 auch unerlaubter Besitz von Btm in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vors. unerlaubtem Handeltreiben mit Btm in Betracht kommt (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, 52 StGB)".
17
Es folgen in demselben Hinweis Ausführungen zu weiteren Taten. Diesem Teil des Hinweises braucht der Senat nicht weiter nachzugehen, weil er von der Revision nicht angegriffen ist.
18
Der zweite Hinweis lautete:
19
"Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Tat Ziff. 1 auch unerl. Besitz von Btm in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerl. Handeltreiben von Btm in nicht geringer Menge in Betracht kommt".
20
Die Revision führt aus, dass "dieser Hinweis" in zweifacher Hinsicht fehlerhaft sei, wobei sie zur Begründung sowohl auf Elemente des ersten Hinweises als auch auf Elemente des zweiten Hinweises verweist. Der erste Hinweis verdeutliche nicht, welche neuen Tatsachen der veränderten rechtlichen Würdigung zu Grunde lägen. Darüber hinaus lasse der zweite Hinweis im Gegensatz zum ersten Hinweis die Schuldform des Handeltreibens "nach der nunmehr veränderten Sachlage" offen. Während zunächst noch von "vorsätzlichem" Handeltreiben die Rede gewesen sei, sei dies in dem zweiten Hinweis nicht mehr der Fall gewesen. Auch fehlte in dem zweiten Hinweis die Angabe der einschlägigen Paragraphen , sodass auch insoweit nicht zu erkennen gewesen wäre, ob die Strafkammer von vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeltreiben ausgegangen sei.
21
a) Die Rüge, es werde die veränderte Tatsachengrundlage des Hinweises nicht deutlich, geht schon im Ansatz fehl. Die Annahme, ein Hinweis gemäß § 265 StPO müsse aus Rechtsgründen stets auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, trifft so nicht zu. Freilich ist dies nach forensischer Erfahrung vielfach der Fall, jedoch ist ein Hinweis gemäß § 265 StPO auch dann geboten, wenn sich der Sachverhalt zwar nicht geändert hat, er aber nach Auffassung des Gerichts dennoch rechtlich anders als noch in der zugelassenen Anklage zu bewerten ist (vgl. Engelhardt in KK 6. Aufl. § 265 Rdn. 17). Allein mit der Behauptung , die geänderten tatsächlichen Grundlagen eines Hinweises gemäß § 265 StPO seien nicht mitgeteilt, ist daher ein Verfahrensverstoß nicht schlüssig dargetan.
22
Im Übrigen könnte eine auf unzulängliche tatsächliche Erläuterung eines Hinweises gemäß § 265 StPO gestützte Rüge schon im Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil und zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden. Derartige Differenzen sind von der Revision nicht einmal abstrakt behauptet (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Verfahrensrüge vgl. BGH NStZ 2008, 229, 230; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. m.w.N.), erst recht nicht konkret ausgeführt (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 265 Rdn. 47 m.w.N.).
23
b) Dem Angeklagten lag im Fall 1 der Urteilsgründe vorsätzliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last, und er wurde wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Die für Fahrlässigkeit maßgebliche Bestimmung, § 29 Abs. 4 BtMG, ist weder in der Anklage oder in den Hinweisen noch im Urteil genannt.
24
Auch wenn es im Übrigen grundsätzlich untunlich ist, identisches Geschehen in unterschiedlichen formalen Prozessvorgängen unterschiedlich (im ersten Hinweis als vorsätzliches Handeltreiben, im zweiten Hinweis als Handeltreiben) zu bezeichnen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06), kommt schon deshalb ein Verstoß gegen § 265 StPO nicht in Betracht.
25
Das Vorbringen der Revision, das Unterbleiben des von ihr vermissten Hinweises habe (auch) deshalb besonders Gewicht, weil die Strafkammer von einer geänderten Sachlage ausgegangen sei, kann, wie dargelegt, schon im Ansatz der Prüfung des Revisionsvorbringens nicht zu Grunde gelegt werden.
26
Im Übrigen liegt es nahe, mehrere rechtliche Hinweise, die sich auf die nämliche Tat beziehen, nicht isoliert, sondern in einer Gesamtschau zu bewerten ; selbst die Revision spricht (teilweise) nur von einem Hinweis. Dann aber wird im Abgleich der beiden Teile dieses Hinweises mit noch hinlänglicher Klarheit deutlich, dass mit dem zweiten Hinweis lediglich die Unzulänglichkeit des ersten Hinweises insoweit beseitigt werden sollte, als dort hinsichtlich des Besitzes nicht auf die geringe Menge hingewiesen war, im Übrigen dessen Inhalt aber fortgelten sollte.
27
c) Ohne dass es darauf ankäme, dass hier eine Verfahrensabsprache vorliegt , könnte der Senat aber auch keine, nicht einmal eine entfernte, Möglichkeit erkennen, dass das gesamte in Rede stehende Verfahrensgeschehen irgend einen nachteiligen Einfluss auf Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten ge- habt haben könnte. Auch die Revision legt in ihren Ausführungen zum Beruhen des Urteils auf den geltend gemachten Mängeln nur - zutreffend, aber nur abstrakt - dar, dass eine andere Verteidigungsmöglichkeit nicht notwendigerweise nahe liegen muss.
28
In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat: Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen die Möglichkeit eines Beruhens nicht leicht zu erkennen ist, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und daher auch nicht in seine Erwägungen einbezieht (BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof gerade auch im Zusammenhang mit Rügen der Verletzung von § 265 StPO wiederholt darauf hingewiesen, dass auch dem Revisionsvorbringen nichts zu entnehmen ist, was das (negative) Ergebnis seiner Beruhensprüfung in Frage stellen könne (vgl. z.B. BGHR StPO § 265 Abs.1 Hinweispflicht 9, 12; BGH, Beschl. vom 19. Oktober 1994 - 2 StR 336/94; Beschl. vom 13. Juni 2007 - 2 StR 127/07).
29
3. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat, auch über die im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Verfahrenshindernis vorgenommene Überprüfung hinaus, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ebenso wenig stellt es den Bestand des Urteils in Frage, dass die Strafkammer davon abgesehen hat, den Angeklagten gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschwert es den Angeklagten grundsätzlich nicht, wenn keine Maßregel gemäß § 64 StGB gegen ihn verhängt wird (vgl. BGH NStZ 2009, 261 m.w.N.). Eine Fallgestaltung, bei der trotz fehlender Beschwer des Angeklagten auf seine Revision eine Aufhebung des Urteils wegen einer zu Unrecht unterlassenen Unterbringung gemäß § 64 StGB in Betracht kommen kann (BGHSt 37, 5, 9 f.), liegt nicht vor. Ebenso wie schon der hierzu gehörte Sachverständige hat auch die Strafkammer bei der Prüfung und Verneinung der Notwendigkeit einer Unterbringung keine unzutreffenden Maßstäbe zu Grunde gelegt , wie dies auch der Generalbundesanwalt im Einzelnen näher ausgeführt hat, ohne dass dies von der Erwiderung der Revision entkräftet wäre. Nack Wahl Graf Jäger Sander

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 1/06
vom
23. April 2007
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil
des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge
die Tatsachengrundlage entzogen werden.
2. Die Urkundspersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten
Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht
er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls
weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen
trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung
hierüber mit Gründen zu versehen.
3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen
Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im
Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.
BGH, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06 - Landgericht München I
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, die Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof
Nack und Basdorf sowie die Richter am Bundesgerichtshof Häger,
Maatz, Dr. Wahl, Dr. Bode, Prof. Dr. Kuckein, Pfister und Becker am 23. April
2007 beschlossen:
1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden. 2. Die Urkundspersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. 3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.

Gründe:

I.

1
Die Vorlage des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs an den Großen Senat für Strafsachen betrifft die Frage, ob die Beweiskraft eines berichtigten Hauptverhandlungsprotokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich ist, wenn aufgrund der Protokollberichtigung einer bereits zulässig erhobenen Verfahrensrüge zum Nachteil des Beschwerdeführers die Tatsachengrundlage entzogen wird.
2
1. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Strafsache gegen F. (1 StR 466/05) über eine Revision des Angeklagten zu entscheiden, die sich zum Beweis eines formal ordnungsgemäß gerügten Verfahrensfehlers auf eine Sitzungsniederschrift beruft, die nach Erhebung der Verfahrensrüge in dem Sinne berichtigt wurde, dass der behauptete Verfahrensfehler in Wirklichkeit nicht geschehen sei.
3
a) Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB) zu Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte dem Geschädigten in einem Oktoberfestzelt mit einem 1,3 kg schweren gläsernen Krug zweimal wuchtig auf den Hinterkopf und einmal in den Nackenbereich geschlagen. Der Geschädigte wurde erheblich verletzt.
4
b) Der Beschwerdeführer erhebt - neben der Sachbeschwerde - eine Verfahrensrüge. Er beanstandet mit der am 7. Juli 2005 beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung, der Anklagesatz sei in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden (Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO). Er beruft sich insoweit auf die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift, in der die Verlesung des Anklagesatzes - zunächst - nicht beurkundet war. Hier hatte es lediglich geheißen: "Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die Staatsanwaltschaft München I gegen den Angeklagten am 20.01.05 Anklage zum Schwurgericht des Landgericht München I erhoben hat, die mit Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 18.02.05 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde."
5
Am 18. August 2005 ergänzten der Strafkammervorsitzende und die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle das Protokoll hinsichtlich des ersten Hauptverhandlungstages dahingehend, dass an der genannten Stelle des Protokolls der Satz angefügt wird: "Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz".
6
Auch in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerungen von Verfahrensbeteiligten vorgetragen, dass der Anklagesatz in Wirklichkeit verlesen wurde. Zum Beleg erklärte etwa der Berichterstatter der Strafkammer, die Verlesung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als versuchter Totschlag habe Unmutsäußerungen im Publikum ausgelöst. Die Urkundsbeamtin verwies auf einen ihr bei der Fertigung der Protokollreinschrift unterlaufenen Übertragungsfehler aus den teilweise stenographischen Aufzeichnungen während der Hauptverhandlung, in denen der Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes noch enthalten war. Das entsprechende Blatt der vorläufigen Aufzeichnungen ist ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt.
7
Die Verteidiger des Angeklagten wurden vor der Protokollberichtigung angehört. Der Verteidiger in der tatrichterlichen Hauptverhandlung, der die Revision nicht selbst begründet hat, äußerte sich dabei wie folgt: "An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann ich mich nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute ich, dass ich mich hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten Erinnerung. Aufgrund dieses Rückschlusses erscheint es mir aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der Urkundspersonen zutreffend ist."
8
2. Der 1. Strafsenat möchte die Revision des Angeklagten verwerfen. Die Verfahrensrüge hält er für unbegründet, da er unter Aufgabe seiner Rechtsprechung zum Verbot der "Rügeverkümmerung" (vgl. BGHSt 34, 11, 12; NStZ 1984, 521; 1986, 374; 1995, 200, 201) die berichtigte Sitzungsniederschrift als im Sinne von § 274 StPO beachtlich erachtet, auch wenn durch die Berichtigung der Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird. Da sich der 1. Strafsenat an der beabsichtigten Entscheidung durch entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Strafsenate gehindert sieht, hat er mit Beschluss vom 12. Januar 2006 (NStZ-RR 2006, 112, m. Anm. Fezer StV 2006, 290, Jahn/Widmaier JR 2006, 166 und Lampe NStZ 2006, 366) bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 GVG angefragt, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten wird.
9
Der 2. Strafsenat (Beschl. vom 31. Mai 2006 i.V.m. Beschl. vom 3. Juli 2006 - 2 ARs 53/06 = NStZ-RR 2006, 275) und der 3. Strafsenat (Beschl. vom 22. Februar 2006 - 3 ARs 1/06) haben der vom 1. Strafsenat vertretenen Rechtsansicht zugestimmt und entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgegeben. Der 4. Strafsenat (Beschl. vom 3. Mai 2006 - 4 ARs 3/06 = NStZ-RR 2006, 273) und der 5. Strafsenat (Beschl. vom 9. Mai 2006 - 5 ARs 13/06) haben an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten.
10
3. Daraufhin hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 23. August 2006 (NJW 2006, 3582 m. Anm. Widmaier) dem Großen Senat gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Ist die Beweiskraft (§ 274 StPO) des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgrund einer Protokollberichtigung hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Angeklagten die maßgebliche Tatsachengrundlage entfällt?
11
4. Der Generalbundesanwalt hält die Vorlegungsfrage für zu eng gefasst; sie sei auf alle Revisionen, insbesondere auch auf diejenigen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers, zu erstrecken.
12
In der Sache selbst tritt der Generalbundesanwalt im Grundsatz der Rechtsansicht des 1. Strafsenats bei, dass die Beweisregel des § 274 StPO auch hinsichtlich eines nachträglich berichtigten Protokolls gelte. Die Vorschrift schaffe keine vom wirklichen Verfahrensgeschehen abweichende formelle bzw. prozessuale Wahrheit; § 274 StPO bezwecke vielmehr nur eine klare Kompetenzverteilung zwischen der Tatsachen- und der Revisionsinstanz in Form des grundsätzlichen Verbots, im Revisionsverfahren die tatrichterliche Hauptverhandlung zu rekonstruieren. Im Interesse einer fairen Verfahrensgestaltung und der Effektivität des Rechtsmittels müsse der Beschwerdeführer jedoch vor der Gefahr fehlerhafter Protokollberichtigungen geschützt werden. Vor der Berichtigung seien daher dienstliche Erklärungen und Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten einzuholen und dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör zu gewähren. Verblieben bei der freibeweislichen Überprüfung aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Zweifel an der Korrektheit der Berichtigung, könne es ihr die Beachtung im Sinne von § 274 StPO verwehren.
13
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
a) Die nach Erhebung einer Verfahrensrüge erfolgte Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls ist für das Revisionsgericht grundsätzlich auch dann im Sinne von § 274 StPO beachtlich, wenn dadurch der Verfahrensrüge zu Ungunsten des Revidenten die Tatsachengrundlage entzogen wird.
b) Bestehen aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Anhaltspunkte für eine inhaltliche Unrichtigkeit der Protokollberichtigung , so kann das Revisionsgericht die entscheidungserheblichen Verfahrenstatsachen freibeweislich aufklären.

II.

14
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG sind gegeben. Den Bedenken, die der 4. Strafsenat im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage im konkreten Fall geäußert hatte (vgl. NStZ-RR 2006, 273), ist der 1. Strafsenat mit ausführlicher Begründung entgegengetreten (vgl. NJW 2006, 3582, 3583, 3586 f.). Dessen Beurteilung ist jedenfalls vertretbar und folglich für den Großen Senat bindend (vgl. BGHSt 41, 187, 194; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 132 GVG Rdn. 42).
15
2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist allerdings auf alle Revisionen - namentlich auf diejenigen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers - zu erweitern. Wenngleich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Entscheidungen über eine Revision anderer Beschwerdeführer als des Angeklagten ersichtlich sind, in denen es auf die relative Unbeachtlichkeit einer Protokollberichtigung angekommen wäre, so sind doch die tragenden Erwägungen in den Entscheidungsgründen davon unabhängig, wer Beschwerdeführer ist (vgl. nur grundlegend BGHSt 2, 125; ebenso schon RGSt 43, 1; OGHSt 1, 277).

III.

16
Im Strafprozessrecht sind Zulässigkeit und Beachtlichkeit einer Protokollberichtigung nicht ausdrücklich geregelt. Auch die Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung enthalten insoweit keine eindeutigen Hinweise.
17
1. Nach § 274 Satz 1 StPO kann die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 273 Abs. 1 StPO) nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese wesentlichen Förmlichkeiten betreffenden Inhalt lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu (§ 274 Satz 2 StPO). Bei § 274 StPO handelt es sich um eine Beweisregel (BGH NJW 2006, 3579, 3581, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 88 bestimmt; Dahs AnwBl. 1950/51, 90 f.; Dallinger NJW 1951, 256, 257; Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 687 f.), die nach der Fertigstellung des ordnungsgemäß errichteten und von beiden Urkundspersonen unterzeichneten Protokolls (§§ 271, 273 Abs. 4 StPO) gilt. Dies wurde zunächst dahin verstanden, dass den Urkundspersonen - außerhalb des Nachweises der Fälschung - Protokollberichtigungen , soweit es um die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens geht, von vorneherein versagt sind, und zwar solche zugunsten wie zu Lasten des Beschwerdeführers (in diesem Sinne noch RGSt 8, 141, 143 f.; 17, 346, 348). Die Frage nach der Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen würde sich danach nicht stellen.
18
Den Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung im Zusammenhang mit einer Protokollberichtigung (vgl. Hahn, Materialien zur StPO 2. Aufl. S. 40, 256 ff., 1039, 1394) entnimmt der Große Senat nicht, dass der Gesetzgeber selbst dann jeden Zweifel an der Richtigkeit des - ursprünglichen - Protokollinhalts für unberechtigt hielt, sollte eine Protokollberichtigung aufgrund sicherer Erinnerung der Urkundspersonen erfolgen.
19
2. In die Zivilprozessordnung, die eine der Vorschrift des § 274 StPO vergleichbare Bestimmung (§ 165 ZPO) enthält, ist durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974 (ProtVereinfG, BGBl I 3651) mit § 164 ZPO eine Vorschrift eingefügt worden, nach der - unter Anhörung der Beteiligten - Protokollberichtigungen vorgenommen werden dürfen. Anders als für das Verwaltungs -, Finanz- und Sozialgerichtsverfahren (Art. 3 Nr. 1, Art. 4 Nr. 1, Art. 5 Nr. 2 des ProtVereinfG: jeweils Verweisung auf die §§ 159 bis 165 ZPO) hat der Gesetzgeber, der mit dem Protokollvereinfachungsgesetz von 1974 die Praxis der Zivilgerichte zur Protokollberichtigung (vgl. Zöller, ZPO 10. Aufl. S. 263) auf eine gesetzliche Grundlage gestellt hat (BRDrucks. 551/74 S. 63; BTDrucks. 7/2769 S. 10), diese Vorschrift nicht für den Strafprozess für anwendbar erklärt.

IV.

20
Die Rechtsprechung hat nach anfänglichem Schwanken Protokollberichtigungen im Strafverfahren zugelassen und dies im Wesentlichen damit begründet , dass insoweit eine auslegungsbedürftige Gesetzeslücke bestehe. Umfang und Folgen zulässiger Berichtigungen wurden allerdings nicht einheitlich bestimmt:
21
1. Eine Protokollberichtigung ist jederzeit zulässig und geboten, falls die Urkundspersonen Mängel erkennen (vgl. BGHSt 1, 259, 261; BGH JZ 1952, 281; NStZ 2005, 281, 282; RGSt 19, 367, 370; OGHSt 1, 277, 278; anders noch RGSt 8, 141, 143 f.; 17, 346, 348). Sie ist auch stets beachtlich, wenn sie zugunsten des Beschwerdeführers wirkt (BGHSt 1, 259, 261 f.; RGSt 19, 367, 369 f.; 21, 200, 201; OLG Köln NJW 1952, 758) oder wenn sie - bei einem einheitlichen Vorgang - teilweise zu seinen Gunsten, teilweise zu seinen Ungunsten vorgenommen worden ist (BGHSt aaO; RGSt 56, 29; RG GA 57 [1910], 396; JW 1932, 3109).
22
Nach bisheriger Rechtsprechung ist eine Protokollberichtigung - ebenso wie eine Distanzierung der Urkundspersonen vom Protokollinhalt (vgl. hierzu BGHSt 4, 364; BGH NStZ 1988, 85) - jedoch unbeachtlich, wenn sie einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzieht (Verbot der Rügeverkümmerung). Dieser Rechtssatz hat eine lange Tradition: Er findet sich - aufbauend auf der Rechtsprechung der preußischen Obergerichte (vgl. RGSt 43, 1, 10) - schon zu Beginn der Reichsgerichtsrechtsprechung (RGSt 2, 76, 77 f.). Er blieb ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts (grundlegend RGSt 43, 1 m.w.N.; ferner RGSt 56, 29; 59, 429, 431; 63, 408, 409 f.) bis zu dem - die umfassende Beachtlichkeit einer Berichtigung bejahenden - Beschluss des Großen Strafsenats für Strafsachen vom 11. Juli 1936 (RGSt 70, 241). Diese Entscheidung darf indessen im Hinblick auf im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut stehende Formulierungen keine Beachtung finden.
23
Der ursprünglichen Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung folgten nach 1945 verschiedene Obergerichte, unter anderem der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGHSt 1, 277 [m.w.N. 279]; 3, 83, 84), und schließlich der Bundesgerichtshof. Grundlegend war das Urteil des 3. Strafsenats vom 19. Dezember 1951 (BGHSt 2, 125), das sich im Wesentlichen den in RGSt 43, 1 und OGHSt 1, 277 dargelegten Argumenten anschloss (nachfolgend BGHSt 7, 218, 219; 10, 145, 147; 10, 342, 343; 12, 270, 271; 22, 278, 280; 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11; 13; 27; 28; BGH NStE StPO § 344 Nr. 7; NStZ 1984, 521; 1995, 200, 201; 2002, 219; StV 2002, 183; JZ 1952, 281; wistra 1985, 154; Urt. vom 21. Dezember 1966 - 4 StR 404/66). Diese Rechtsprechung steht in Übereinstimmung mit der heute herrschenden Meinung in der strafprozessualen Literatur (vgl. nur Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 55 ff. m. zahlr. w. N.).
24
Soweit danach eine Protokollberichtigung für das Revisionsgericht nicht beachtlich ist, führt dies dazu, dass Sachverhalte, die aufgrund der formellen Beweiskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermutet werden , der Verfahrenswirklichkeit nicht zu entsprechen brauchen (BGHSt 26, 281, 283; 36, 354, 358; RGSt 43, 1, 6).
25
2. Folgende Argumente werden für den Rechtssatz, wonach eine Protokollberichtigung einer Rüge nicht die Tatsachengrundlage entziehen darf, vorgebracht :
26
Mit dem Eingang der Revisionsbegründungsschrift erwerbe der Beschwerdeführer eine prozessuale Befugnis bzw. ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen (BGHSt 2, 125, 126; RGSt 43, 1, 9; 59, 429, 431). Da er zur Begründung seiner Verfahrensrüge nur das Protokoll in der ihm vorliegenden Form verwerten dürfe, müsse ihm das Recht zustehen, sich nachträglichen Änderungen zu seinen Lasten zu widersetzen (OGHSt 1, 277, 280); er müsse auch gegen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein (BGHSt 2, 125, 127).
27
Der Gesetzgeber habe mit § 274 StPO eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten Wahrheit einräume (BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283); das Hauptverhandlungsprotokoll erzeuge gewissermaßen einen Sachverhalt, der kraft gesetzlicher Vorschrift als Tatsache zu behandeln sei ohne Rücksicht darauf, wie der wirkliche Sachverhalt liegen möge (RGSt 43, 1, 6). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer prozessrechtlich zulässigen Befugnis zu wahrheitswidrigen Zwecken gesehen und in Kauf genommen (RG aaO; OGHSt 1, 277, 282). Die Neugestaltung des § 274 StPO sei Sache des Gesetzgebers (BGH, Beschl. vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01; OGHSt 1, 277, 280).
28
Mit zunehmender Zeit lasse das Erinnerungsvermögen der Urkundspersonen nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen sei nicht auszuschließen (BGHSt 2, 125, 128; RGSt 43, 1, 5; OGHSt 1, 277, 281).
29
Die zeitlich unbeschränkte Berücksichtigung nachträglicher Berichtigungen wäre mit der nach Sinn und Zweck des § 274 StPO zu erhebenden Forderung nach genauester Abfassung der Sitzungsniederschrift nicht vereinbar. Denn die Möglichkeit ihrer jederzeitigen Änderung könne dazu führen, dass ihrer Herstellung weniger Sorgfalt zugewendet werde (BGHSt 2, 125, 127; OGHSt 1, 277, 281).
30
Auch wenn eine Revision nur deshalb erfolgreich sei, weil sie einen Sachverhalt vortrage, der der Verfahrenswirklichkeit nicht entspreche, sei nicht zu besorgen, dass die Gerechtigkeit letztlich Schaden nehme. Denn selbst bei missbräuchlicher Ausübung der durch § 274 StPO gewährten prozessualen Befugnis erreiche der Beschwerdeführer nur, dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert und gerecht entschieden werde (OGHSt 1, 277, 282).
31
3. Das Verbot der Rügeverkümmerung war jedoch in der Rechtsprechung nie unbestritten:
32
Anders als zunächst das Reichsgericht judizierte das Reichsmilitärgericht (RMG 9, 35; 15, 281, 282). Wenngleich es auf der Grundlage einer anderen Prozessordnung - diese ließ gegen das Protokoll auch den Nachweis der Unrichtigkeit zu (§ 335 Satz 2 MStGO) - zu entscheiden hatte, trat es auch auf der Grundlage der Strafprozessordnung den Argumenten des Reichsgerichts entgegen (vgl. RMG 9, 35, 41 ff.). Dessen II. Strafsenat wollte sich der Auffassung des Reichsmilitärgerichts anschließen. In dem von ihm herbeigeführten Beschluss der Vereinigten Strafsenate wurde die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts jedoch bestätigt (RGSt 43, 1). Nach 1945 hielt zunächst das OLG Braunschweig (HESt 1, 192) eine nachträgliche Protokollberichtigung zum Nachteil des Beschwerdeführers für beachtlich.
33
Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finden sich gegen das Verbot der Rügeverkümmerung Vorbehalte: Ob eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge die Grundlage entziehen darf, wurde vom 1. Strafsenat offen gelassen in NJW 1982, 1057 sowie vom 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22 (vgl. auch BGH [3. Strafsenat] NStZ-RR 1997, 73). Zweifel äußerte der 2. Strafsenat in NJW 2001, 3794, 3796 (kritisch derselbe Senat in diesem Zusammenhang auch in BGHSt 36, 354, 358 f.). Zuletzt sprachen sich definitiv - in obiter dicta - der 2. Strafsenat (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29 m. Anm. Mosbacher JuS 2006, 39, 42 und Park StV 2005, 257) und der 1. Strafsenat (NStZ 2006, 181) für eine Änderung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung trotz Rügeverlust aus.
34
4. Dieser Kritik am Verbot der Rügeverkümmerung liegen folgende Erwägungen zugrunde:
35
Das Strafverfahrensrecht kenne keine Rechtsnorm, wonach für das Revisionsgericht die Sitzungsniederschrift in ihrer ursprünglichen Fassung, nicht nach ihrer Berichtigung im Sinne von § 274 StPO beachtlich sei. "Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurkundet oder etwas Geschehenes nicht beurkundet wird, gibt es nicht" (RMG 9, 35, 41 f.).
36
Grundsätzlich sei auch für die Revisionsgerichte die wahre Sachlage maßgeblich, wenn prozessual erhebliche Tatsachen der Klärung bedürften (BGHSt 36, 354, 358 f.). Wenn tatsächlich kein Verfahrensfehler gegeben sei, dürften bloße Mängel des Protokolls, welche die Urkundspersonen erkannt und beseitigt hätten, kein Revisionsgrund sein (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29; BGH NJW 2001, 3794, 3796; RMG 9, 35, 43; OLG Braunschweig HESt 1, 192, 193). Ein Misstrauen in die Redlichkeit der Urkundspersonen sei hingegen nicht gerechtfertigt (BGH NStZ 2006, 181). Eine von der Verfahrenswirklichkeit abweichende prozessuale Wahrheit sei nicht anzuerkennen, da § 274 StPO nicht die Tatsachen verändere, es sich bei der Vorschrift vielmehr nur um eine Beweisregel handele (BGH NJW 2006, 3579, 3581).
37
Bei Berücksichtigung der Protokollberichtigung könnten durch Protokollmängel veranlasste Verfahrensverzögerungen vermieden werden (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29; BGH NStZ 2006, 181). Die Ausweitung der Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls könnte begrenzt werden; die Problematik rechtsmissbräuchlicher Verfahrensrügen würde sich erübrigen (BGHR aaO).

V.

38
Der Große Senat beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich und gibt dabei den für eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung sprechenden Argumenten den Vorzug:
39
1. Der Grundsatz, wonach einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nicht die Tatsachengrundlage zum Nachteil des Beschwerdeführers entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung und kann durch Rechtsprechung geändert werden; eines Gesetzes bedarf es nicht:
40
a) Die grundsätzlich umfassende Berücksichtigung der nachträglichen Protokollberichtigung widerspricht dem Gesetz nämlich nicht. Zwar lässt § 274 Satz 2 StPO als Gegenbeweis gegen die Beurkundungen des Protokolls nur den Nachweis der Fälschung zu. Eine Berichtigung durch Erklärungen der Urkundspersonen enthält jedoch einen Widerruf der früheren Beurkundung und entzieht ihr, soweit die Berichtigung reicht, die absolute Beweiskraft, so dass es eines Gegenbeweises nicht mehr bedarf (ebenso bereits RGSt 19, 367, 370). Insbesondere auch deswegen hat die Rechtsprechung schon bisher nachträgliche Protokollberichtigungen, die einer Verfahrensrüge erst zum Erfolg verhelfen , für beachtlich gehalten (RG aaO; ähnlich für sich zugunsten des Beschwerdeführers vom Protokollinhalt distanzierende Erklärungen der Urkundspersonen BGHSt 4, 364, 365; BGH NJW 2001, 3794, 3796; NStZ 1988, 85; RGSt 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758).
41
b) Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Beibehaltung der Tatsachengrundlage für eine Rüge begründet, findet im Gesetz keine Stütze. Der Revisionsführer hat keinen Anspruch darauf, aus tatsächlich nicht gegebenen Umständen Verfahrensvorteile abzuleiten (vgl. BGH NJW 2006, 3579, 3580; Gollwitzer in FS für Gössel S. 543, 558; Lampe NStZ 2006, 366, 367; Lohse in Anwaltskommentar, StPO § 344 Rdn. 18). Ein etwaiges Vertrauen des Beschwerdeführers dahingehend , dass ein - inhaltlich unrichtiges - Protokoll für die Revisionsinstanz allein beachtlich bleibe, ist nicht schützenswert und kann auch nicht auf das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gestützt werden (a.A. Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 169; Krawczyk HRRS 2006, 344, 353). Verfahrensrechte können nur durch den tatsächlichen Verfahrensverlauf verletzt worden sein. Dementsprechend ist nur ein auf dessen Überprüfung bezogener effektiver Rechtsschutz erforderlich. Einen weitergehenden , aus rechtsstaatlichen Prinzipien abzuleitenden Anspruch des Beschwerdeführers , dass zu seinen Gunsten Unwahres unter allen Umständen als wahr fingiert bleiben muss, gibt es nicht. Da ein Recht auf Beibehaltung der Grundlage für eine Rüge weder einfachgesetzlich geregelt noch gar verfas- http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NJW&B=1950&S=930 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NJW&B=1951&S=259 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=MDR&B=1951&S=193 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=100&G=StPO&P=274 - 17 - sungsrechtlich verankert ist, gilt für die Zulässigkeit und Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen auch kein Gesetzesvorbehalt.
42
2. Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet; wenn prozessual erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss grundsätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zugetragen hat, maßgeblich sein (vgl. BGHSt 36, 354, 358 f.). Dies spricht entscheidend dafür, die Regelung des § 274 StPO in einer Weise auszulegen, welche die inhaltliche Richtigkeit der Sitzungsniederschrift gewährleistet.
43
a) Allerdings wird dem entgegengehalten, dass § 274 StPO nach dem Willen des Gesetzgebers der Zweckmäßigkeit Vorrang vor der Wahrheit einräume (so BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283). Dieser Vorrang gilt aber schon jetzt nicht uneingeschränkt. Denn damit wäre der unstreitige Grundsatz nicht vereinbar, dass - wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt (IV 1 und V 1a) - Protokollberichtigungen und distanzierende Erklärungen der Urkundspersonen beachtlich sind, wenn sie das Revisionsvorbringen bestätigen (vgl. BGHSt 4, 364; BGH NStZ 1988, 85; RGSt 19, 367, 369 f.; 21, 323, 324 f.; 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758).
44
b) Der Wahrheitspflicht würde nicht dadurch Genüge getan, dass die Wahrheit in eine "materielle" und eine "formelle" bzw. "prozessuale Wahrheit" aufzuspalten wäre. Die Beweisregel des § 274 StPO schafft keinen von der (objektiven ) Wahrheit abweichenden Wahrheitsbegriff (so aber Cüppers NJW 1950, 930, 931 ff.; 1951, 259; Dahs, StraFo 2000, 181, 185; Jahn JuS 2007, 91 Fn. 3; Park StraFo 2004, 335, 337; Schneidewin MDR 1951, 193; vgl. auch RGSt 43, 1, 6). Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht nicht aus Unwahrheit Wahrheit (vgl. Detter StraFo 2004, 329, 334; ebenso Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren 1980 S. 157, der aber "in diesem Ausnahmefall eine Lüge (für) prozessual zulässig" hält).
45
3. Die Verpflichtung zur Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts erhält inzwischen durch das Beschleunigungsgebot und den Gesichtspunkt des Opferschutzes zusätzliches Gewicht.
46
a) Das Bundesverfassungsgericht hat in jüngerer Zeit - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger gegen Deutschland - Rdn. 41 = NJW 2002, 2856, 2857) - mehrfach betont, die durch eine Revisionsentscheidung bedingte zusätzliche Verfahrensdauer sei bei der Berechnung der Überlänge eines Verfahrens zwar nicht stets, aber immer dann zu berücksichtigen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat (BVerfG NJW 2003, 2897, 2898; 2006, 672, 673; vgl. auch BVerfGK 2, 239, 251 [jeweils 3. Kammer des Zweiten Senats ]). Bei erfolgreichen Verfahrensrügen wäre nach dieser Auffassung wohl regelmäßig eine kompensationspflichtige rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben; denn Verfahrensfehler kann nur das Gericht begehen (vgl. BGH NJW 2006, 1529, 1533). Gerade auch die nach bisheriger Rechtsprechung zur Urteilsaufhebung führende Fiktion eines Verfahrensfehlers, die allein darauf beruht, dass die Urkundspersonen durch eine unrichtige Sitzungsniederschrift den Anschein eines in Wahrheit nicht vorgefallenen Verfahrensfehlers erweckt haben, fällt in den Verantwortungsbereich der Justiz. Vor diesem Hintergrund ist das Gewicht des für das Verbot der Rügeverkümmerung früher vorgebrachten Arguments, der Beschwerdeführer könne nicht mehr erreichen, als dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert und gerecht entschieden werde (OGHSt 1, 277, 282), stark relativiert.
47
b) Neben der Wahrheitspflicht und dem Beschleunigungsgebot kann auch der Opferschutz gebieten, ein Urteil nicht allein wegen eines fiktiven - unwahren - Sachverhalts aufzuheben. Liegt tatsächlich kein Verfahrensfehler vor und ist das Urteil auch sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, so ist es nicht gerechtfertigt, Opferzeugen nach der "Feuerprobe" (Sowada NStZ 2005, 1, 7) in der ersten Hauptverhandlung nochmals einer konfrontativen Vernehmung zu unterziehen. In diesem Sinne verpflichtet auch der Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (ABlEG Nr. L 82 vom 22. März 2001) in Art. 3 Abs. 2 die Mitgliedstaaten, "die gebotenen Maßnahmen (zu ergreifen), damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren erforderlichen Umfang befragen" (hierzu BGH NJW 2005, 1519, 1520 f.; vgl. auch BTDrucks. 15/1976 S. 8, 19 zu § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG n.F.).
48
4. Ebenso sind mit der Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer Verfahrensrügen Grenzen gesetzt.
49
a) Eine veränderte Einstellung der Strafverteidiger zu der Praxis, auf unwahres Vorbringen Verfahrensrügen zu stützen, spricht dafür, die Zurückhaltung bei der Berücksichtigung der Protokollberichtigung aufzugeben, auch wenn mit der Berichtigung einer zulässig erhobenen Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird.
50
aa) Die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Verbot der Rügeverkümmerung (BGHSt 2, 125) erging in einer Zeit, in der die vom Verteidiger bewusst wahrheitswidrig erhobene Verfahrensrüge nach verbreiteter Ansicht als standeswidrige Verfehlung galt (vgl. Dahs AnwBl. 1950/51, 90: "Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge ist eine standesrechtliche Verfehlung" [S. 90]; "… der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Grundsätze nicht anerkennt, [muß] mit der Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens seitens des Generalstaatsanwalts rechnen" [S. 92]; ferner d. Nachw. b. Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 598 f.).
51
Heute wird es hingegen schon als "anwaltlicher Kunstfehler" bezeichnet, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen, dass ein anderer Verteidiger die Revision begründet (vgl. hierzu G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 726 f. m.w.N.; ders., Die Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1814; ferner - gestützt auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - Dahs, Handbuch des Strafverteidigers von der 1. Auflage 1969, Rdn. 754, bis zur neuesten 7. Aufl. [ab 4. Auflage Dahs jun.] 2005, Rdn. 918: "… braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll 'geschaffenen' unverrückbaren Tatbestand als 'Wahrheit' auszugehen"). In der Literatur wird sogar postuliert, dass das "Recht der Verteidigung zur 'unwahren Verfahrensrüge' … sakrosankt" sei (Docke/v. Döllen/Momsen StV 1999, 583, 585), sogar die "Pflicht zur Lüge" bestehe (vgl. Dahs StraFo 2000, 181, 185; Leipold NJW-Spezial 2006, 521, 522; in vergleichbarem Sinne auch Sarstedt /Hamm, Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 292 ff.).
52
bb) All dies widerstreitet diametral den Vorstellungen, von denen der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge (BGHSt 7, 162) ausgegangen ist. Hier ist ausgeführt, das Erfordernis der bestimmten Behauptung eines Verfahrensfehlers führe dazu, dass der Verteidiger - unbeschadet der Frage der Standeswidrigkeit seines Verhaltens - jedenfalls "vor seinem Gewissen und nach außen hin die Verantwortung für die Geltendmachung eines jeden Verfahrensmangels übernehmen" muss, "indem er ihn ernstlich behauptet und nicht etwa nur darauf hinweist, daß er sich aus der Niederschrift ergebe"; dieses Erfordernis solle "einem Mißbrauch rein formaler Möglichkeiten entgegenwirken" (BGH aaO 164; hierzu Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 665 f.; Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 599).
53
Die veränderte Einstellung auf Seiten der Strafverteidiger hat verdeutlicht , dass sich die mit der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge verknüpfte Hoffnung nicht erfüllt hat, auf diese Weise - insbesondere durch den Appell an das Gewissen des die Revision begründenden Verteidigers - bewusst unwahre Verfahrensrügen zu verhindern. Vielmehr hat diese Rechtsprechung den Rat nach sich gezogen, Unwahres ohne weiteres als tatsächlich geschehen zu behaupten; denn die Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO schließe "jeden Formulierungs- oder Formelkompromiß in der Revisionsbegründung aus, zu dem zart besaitete Strafverteidiger - falls es solche gibt - sich durch ihr Gewissen gedrängt sehen könnten. Die Revisionsgerichte ahnden derartige Relikte von Wahrheitsliebe (gemeint: angedeutete Distanzierung vom Protokollinhalt) mit unnachsichtiger Strenge" (Dahs StraFo 2000, 181, 185).
54
Die Änderung des anwaltlichen Ethos ist ein weiteres Argument für die Änderung der Rechtsprechung.
55
b) Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfahrensrüge wurde von der Rechtsprechung trotz erkennbaren Unbehagens und geäußerter Zweifel bis vor kurzem nie verneint (vgl. BGHSt 7, 162, 164; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21; 22; 24; 27; BGH NJW 2001, 3794, 3796; RGSt 43, 1; OGHSt 1, 277, 282; Detter StraFo 2004, 329, 334; Park StraFo 2004, 335, 337; Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 585). Erst in neuerer Zeit hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die nachgewiesenermaßen wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers unter Berufung auf das insoweit fehlerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der Beschwerdeführer - im Fall der Angeklagtenrevision (auch) der Verteidiger in der Revisionsinstanz - sicher weiß, dass sich der Fehler nicht ereignet hat, und zwar auch dann, wenn er Kenntnis erst im Laufe des Revisionsverfahrens erhält (BGHSt 51, 88 = NJW 2006, 3579 m. Anm. Benthin NJ 2007, 36, Fahl JR 2007, 34, Hollaender JR 2007, 6, Jahn JuS 2007, 91, Lindemann/Reichling StV 2007, 152 und Widmaier NJW 2006, 3587). Der solchermaßen rügevernichtende Missbrauch prozessualer Rechte ist allerdings regelmäßig nicht leicht nachweisbar (BGH NJW 2006, 3579, 3582).
56
5. Eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung begegnet zudem der Tendenz zur Ausweitung der Rechtsprechung zu offensichtlichen Mängeln des Protokolls (ebenso BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29). Diese Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2001, 3794; NStZ 2000, 546) geht mittlerweile sehr weit; ihr fehlen - jedenfalls in Grenzfällen - hinreichend klare und verlässliche Konturen. Diese Tendenz ist gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Folgen der relativen Unbeachtlichkeit der Protokollberichtigung als nicht mehr tragbar empfunden werden. In der Literatur wird hierzu vorgebracht , die Senate suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten der Durchbrechung der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (Detter StraFo 2004, 329, 330; Park StraFo 2004, 335, 338, 340; krit. auch Docke/v. Döllen/Momsen StV 1999, 583 f.; Kuhn NJW-Spezial 2006, 567; Ventzke StV 2004, 300 f.).
57
6. Eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt geboten, dass auf diese Weise die Tatgerichte zum Einhalten der Vorschriften über die Protokollführung anzuhalten wären (so aber BGHSt 2, 125, 127; OGHSt 1, 277, 281; Jahn/Widmaier JR 2006, 166 f.; MeyerGoßner DRiZ 1997, 471, 474; Park StraFo 2004, 335, 342; ders. StV 2005, 257, 259). Die Tragfähigkeit einer solchen Argumentation ist schon bislang zweifelhaft ; denn gerade ein Protokoll, das offensichtlich unsorgfältig geführt ist, verliert von vorneherein jede Beweiswirkung und die Revisionsgerichte klären im Freibeweisverfahren, ob ein Verfahrensfehler vorliegt. Im Ergebnis wird bislang gerade derjenige "Tatrichter, der das Hauptverhandlungsprotokoll nachlässig führt, … prämiert" (Ventzke StV 2004, 300, 301).
58
7. Die Berichtigung setzt bei den Urkundspersonen sichere Erinnerung voraus (vgl. nur Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 47 ff. m.w.N.). Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht (mehr) berichtigt werden. Ein Argument gegen die umfassende Berücksichtigung einer Berichtigung durch das Revisionsgericht ist die Erfahrung nachlassender Erinnerung grundsätzlich nicht. Dass die Urkundspersonen unbewusst Erinnerungsdefizite mit "Erfahrungswissen" ausfüllen (Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 167; vgl. auch BGHSt 2, 125, 128 f.; OGHSt 1, 277, 281; Park StV 2005, 257, 259), liegt gerade bei den in der Literatur für problematisch erachteten Fällen, in denen es um den sachlichen Inhalt nicht regelmäßiger Prozesshandlungen (etwa bei Hinweisen nach § 265 StPO) geht (vgl. Jahn/Widmaier aaO 167 ff.), fern. Häufig kann eine Urkundsperson auch auf andere Unterlagen als Erinnerungsstütze zurückgreifen, wie in dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall die Urkundsbeamtin auf die unmittelbar während der Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die Grundlage der Sitzungsniederschrift waren; oftmals beruhen Protokollmängel auf derartigen Übertragungsfehlern. Schließlich stammt der Hinweis auf das nachlassende Erinnerungsvermögen aus einer Zeit, als es die Vorschrift über die Urteilsabsetzungsfristen (§ 275 Abs. 1 StPO), die insgesamt regelmäßig zu einer zeitlichen Straffung des Verfahrens nach der Hauptverhandlung geführt haben, noch nicht gab.
59
Das Argument, dass dem berichtigten Protokoll schon deshalb ein tatsächlich geringerer Beweiswert zukomme, weil sich die Urkundspersonen zuvor übereinstimmend geirrt haben müssten (vgl. Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 605), hält der Große Senat nicht für durchgreifend. Dass beide Urkundspersonen bei der Anfertigung des ursprünglichen Protokolls nicht gewissenhaft genug waren, wird nämlich dadurch ausgeglichen, dass besonders hohe Anforderungen an die Sorgfalt bei der Berichtigung gestellt werden. Ein übereinstimmender Irrtum im Sinne einer gemeinsamen Fehlvorstellung der Ur- kundspersonen liegt nach aller forensischer Erfahrung ohnehin nicht vor. Dies würde voraussetzen, dass die Urkundspersonen über die Einzelheiten des Prozessgeschehens und dessen - fehlende - Beurkundung gleich reflektiert hätten. So spricht etwa in dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall nichts dafür, dass der Vorsitzende und die Protokollführerin zunächst bei der Protokollerstellung noch übereinstimmend davon überzeugt waren, der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe den Anklagesatz nicht verlesen.

VI.

60
Zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift bietet eine rechtlich verbindliche Form der Protokollberichtigung , die zu einer im Revisionsverfahren überprüfbaren Entscheidungsgrundlage führt. Dies sichert die Effektivität des Rechtsmittels der Revision (vgl. Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 169) und trägt im Fall der Angeklagtenrevision dessen verfassungsrechtlich verbürgtem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Rechnung. Lässt sich jedoch zuverlässig ausschließen, dass sich die Urkundspersonen an ein der Verfahrenswirklichkeit nicht entsprechendes Prozessgeschehen irrtümlich vermeintlich sicher erinnern, so haben die Argumente, welche das Verbot der Rügeverkümmerung mit dem Schutz des Beschwerdeführers bzw. der prozessualen Waffengleichheit begründen (vgl. Fezer StV 2006, 290, 291; Tepperwien aaO 604), kein Gewicht.
61
1. In Fällen der vorliegenden Art ist zur Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels bei der Protokollberichtigung folgendes Verfahren einzuhalten:
62
Wie bereits dargelegt (V 7), setzt die Berichtigung sichere Erinnerung bei den Urkundspersonen voraus. Die Absicht der Berichtigung ist dem Beschwerdeführer - im Fall einer Angeklagtenrevision zumindest dem Revisionsverteidiger - zusammen mit dienstlichen Erklärungen der Urkundspersonen mitzuteilen. Diese Erklärungen haben die für die Berichtigung tragenden Erwägungen zu enthalten, etwa indem sie auf markante Besonderheiten des Falls eingehen, wie hier etwa darauf, dass die Verlesung der rechtlichen Würdigung des Tatgeschehens zu Unmutsäußerungen der Zuhörer führte. Daneben sollten gegebenenfalls während der Hauptverhandlung getätigte Aufzeichnungen, welche den Protokollfehler belegen, in Abschrift übermittelt werden. Dem Beschwerdeführer ist innerhalb angemessener Frist rechtliches Gehör zu gewähren.
63
Widerspricht der Beschwerdeführer daraufhin der beabsichtigten Protokollberichtigung substantiiert, indem er im Einzelnen darlegt, aus welchen Gründen er im Gegensatz zu den Urkundspersonen sicher ist, dass das zunächst gefertigte Protokoll richtig ist, so sind erforderlichenfalls weitere dienstliche Erklärungen und Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzuholen. Auch hierzu ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu gewähren. Halten die Urkundspersonen die Niederschrift weiterhin für inhaltlich unrichtig, so haben sie diese gleichwohl zu berichtigen. In diesem Fall ist ihre Entscheidung über die Protokollberichtigung - dies ergibt sich bereits aus allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. § 34 StPO) - mit Gründen zu versehen. Darin sind die Tatsachen anzugeben, welche die Erinnerung der Urkundspersonen belegen. Ferner ist auf das Vorbringen des Beschwerdeführers und gegebenenfalls abweichende Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzugehen.
64
2. Eine erneute Zustellung des Urteils nach Berichtigung der Sitzungsniederschrift ist nicht erforderlich. Nach § 273 Abs. 4 StPO setzt eine wirksame Zustellung einzig voraus, dass die Niederschrift fertig gestellt ist. Die Fertigstellung erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der beiden erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (§ 271 Abs. 1 StPO), selbst wenn die Niederschrift sachlich oder formell fehlerhaft ist oder Lücken aufweist (vgl. Engelhardt in KK-StPO 5. Aufl. § 271 Rdn. 8; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 31, § 273 Rdn. 56). Spätere Berichtigungen derartiger Mängel be- rühren den Zeitpunkt der Fertigstellung nicht mehr (vgl. Gollwitzer aaO). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. In seinem Vertrauen, eine bestimmte Verfahrensrüge werde erfolgreich sein, wird der Beschwerdeführer auch sonst nicht geschützt.
65
3. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Tragen sie die Berichtigung, so ist das berichtigte Protokoll zugrunde zu legen. Allerdings kommt dem berichtigten Teil des Protokolls nicht die formelle Beweiskraft des § 274 StPO zu. Nur so ist das Revisionsgericht in der Lage, zum Schutz der Beschwerdeführer die rügevernichtende Protokollberichtigung zu überprüfen. Verbleiben dem Revisionsgericht Zweifel, ob die Berichtigung zu Recht erfolgt ist, kann es den Sachverhalt im Freibeweisverfahren weiter aufklären. Insoweit gelten die Grundsätze, die schon bisher für eine ursprünglich offensichtlich mangelhafte Sitzungsniederschrift zur Anwendung kamen. Verbleiben dem Revisionsgericht auch nach seiner Überprüfung Zweifel an der Richtigkeit des berichtigten Protokolls, hat es seiner Entscheidung das Protokoll in der ursprünglichen Fassung zugrunde zu legen. Hirsch Rissing-van Saan Nack Basdorf Häger Maatz Wahl Bode Kuckein Pfister Becker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 620/09
vom
14. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Baden-Baden vom 7. August 2009 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen (eines minder schweren Falles des) schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
2
Seine auf zwei Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Das Verfahren richtete sich ursprünglich auch gegen B. und war vor dem Amtsgericht Achern anhängig, das die Sache nach Hauptverhandlung an die Strafkammer verwies. Zum ersten Hauptverhandlungstermin vor der Strafkammer erschienen die Angeklagten nicht. Gegen beide erging Haftbefehl. Während der Haftbefehl gegen den Angeklagten alsbald vollstreckt werden konnte , konnte B. in der Folgezeit nicht ergriffen werden. Wiederholte gezielte Bemühungen der örtlich zuständigen Polizeireviere ihn aufzufinden, blieben erfolglos. Das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt, er wurde zur Festnahme ausgeschrieben. Ob und wann er ergriffen werden kann, ist nicht absehbar. Nachdem die Hauptverhandlung schon mehrere Wochen gedauert hatte, beantragte der Angeklagte, B. als Zeugen zu vernehmen. Als Anschrift wurde lediglich die aktenkundige frühere Anschrift genannt, wo er sich, wie der geschil- derte Verfahrensgang ergibt, nicht mehr aufhielt. Die Strafkammer lehnte den Antrag unter Schilderung des dargelegten Verfahrensgangs ab, weil der Zeuge unerreichbar sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Hiergegen wendet sich die Revision. Sie legt die inhaltliche Bedeutung einer Aussage B. s für das Verfahren näher dar. Zur Frage, auf welche Weise sein aktueller Aufenthaltsort hätte festgestellt werden können, äußert sie sich nicht.
4
Die Rüge versagt.
5
a) Es liegt schon kein ordnungsgemäßer Beweisantrag vor. Hierfür ist neben der Benennung eines Beweisthemas nicht nur die Benennung eines Beweismittels erforderlich, sondern es ist regelmäßig auch anzugeben, auf welchem Wege das Beweismittel (der Zeuge) erreicht werden kann (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006 - 2 StR 65/06; StV 1996, 581; Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR 685/92 m.w.N.). Hier war verfahrenskundig, dass B. unter seiner letzten bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar war, und dass intensive, schon vor der Stellung des Beweisantrags vom Gericht über mehrere Wochen hin entfaltete Bemühungen, seiner habhaft zu werden, erfolglos geblieben waren. Unter diesen Umständen ist allein die Angabe der früheren Anschrift nicht ausreichend. Erforderlich gewesen wäre in dem Antrag zumindest substantiierter Vortrag dazu, warum entgegen den bisher angefallenen Erkenntnissen doch Aussicht bestehen soll, B. unter dieser Anschrift zu finden, oder mit welchen vom Gericht bisher nicht ergriffenen Mitteln realistische Aussichten bestehen, den Aufenthaltsort zu ermitteln.
6
Daher fehlte es schon an einem zulässigen Beweisantrag.
7
b) Die Zurückweisung eines Antrags, den das Tatgericht zu Unrecht als Beweisantrag behandelt hat, kann die Revision nur dann begründen, wenn eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorliegt (vgl. BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 13; BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR 685/92 m.w.N.). Dies kann grundsätzlich der Fall sein, wenn bei der Suche nach einem der Sache nach nicht unbedeutenden Zeugen erkennbar sinnvolle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden (BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR 685/92). Allerdings wäre, zumal das Gericht nach der Beweisperson schon einige Zeit vergeblich mit Haftbefehl fahndete, auch unter dem Blickwinkel einer Aufklärungsrüge vorzutragen gewesen, welche konkreten, vom Gericht bisher nicht ergriffenen Möglichkeiten dies gewesen wären (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006 - 2 StR 65/06). Daran fehlt es.
8
c) Darauf, dass wegen des aufgezeigten Mangels auch die auf die Unerreichbarkeit eines Zeugen gestützte Ablehnung eines Beweisantrags nicht i.S.d. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß gerügt wäre (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 228; Temming in HK StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 20; Frister in SK-StPO 64. Lfg. § 244 Rdn. 256), kommt es hier daher nicht mehr an.
9
d) Abgesehen davon, dass hier unter keinem Aspekt eine zulässig erhobene Verfahrensrüge vorliegt, ist es aber auch der Sache nach offensichtlich nicht zu beanstanden, wenn ein ehemaliger Mitangeklagter nicht als Zeuge vernommen wird, weil er flüchtig ist und ohne konkrete Aussicht auf Erfolg mit Haftbefehl nach ihm gefahndet wird.
10
2. Die Strafkammer fasste ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung folgenden Beschluss: “Gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO wird die Niederschrift der Angaben des … B. in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Achern … verlesen.“
11
Der Beschluss wurde ausgeführt.
12
An dieses Verfahrensgeschehen knüpft die Revision an. Eine Verlesung gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, so trägt sie vor, setze das Einverständnis der Beteiligten mit der Verlesung voraus. Hier sei, wie auch das Protokoll der Hauptverhandlung belege, ein Einverständnis mit der Verlesung tatsächlich nicht eingeholt worden. Nach Eingang der Revisionsbegründung gab der Vorsitzende der Strafkammer eine - auch dem Beschwerdeführer bekannt gemachte - dienstliche Erklärung ab. Danach habe die Strafkammer - für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar - beschlossen, die Entscheidung über die Verlesung der Aussage B. s auf dessen Unerreichbarkeit (vgl. hierzu näher oben Ziffer 1) zu stützen. Ob er beim Diktieren der Beschlussbegründung in das Hauptverhandlungsprotokoll versehentlich nicht "§ 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO", sondern stattdessen "§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO" diktiert habe, oder ob er zwar "§ 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO" diktiert habe, später aber nicht bemerkt habe, dass sein Diktat falsch niedergeschrieben worden sei, wisse er nicht mehr.
13
Die Rüge bleibt im Ergebnis erfolglos.
14
a) Im Ergebnis zutreffend hat der Vorsitzende davon abgesehen, ein Verfahren zur Protokollberichtigung (vgl. BGHSt 51, 298 ff.) einzuleiten, da dies eine sichere Erinnerung der Urkundspersonen voraussetzt (BGHSt aaO 314, 316). Hier hält es der Vorsitzende für möglich, dass das Protokoll seinem Diktat entspricht. In diesem Fall gibt es aber keinen Widerspruch zwischen dem, was geschehen ist, und dem, was im Protokoll als geschehen festgehalten ist, sondern das Protokoll gibt den Geschehensablauf richtig wieder. Dies ist aber auch dann keine Grundlage für eine Berichtigung des Protokolls, wenn dem tatsächlich Geschehenen ein Versehen des Richters zu Grunde liegt.
15
Darauf, dass das Protokoll auch unbeschadet der dienstlichen Äußerung schon für sich genommen fehlerhaft und unklar erscheint - bei einer auf das Ein- verständnis der Beteiligten gestützten Verlesung einer richterlichen Vernehmung wäre nicht § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, sondern § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO die maßgebliche Norm - kommt es unter den gegebenen Umständen ebenfalls nicht an.
16
b) Die Verlesung einer Aussage gemäß § 251 StPO ist durch einen mit Gründen versehenen Beschluss anzuordnen (§ 251 Abs. 4 StPO). Die bloße Angabe der einschlägigen Gesetzesbestimmung gilt hierfür nicht als ausreichend (vgl. zusammenfassend Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 251 Rdn. 97; Diemer in KK 6. Aufl. § 251 Rdn. 31 jew. m.w.N.). Hier fehlt es schon an einer über die Angabe der Gesetzesbestimmung hinausgehenden Begründung des Beschlusses; dem braucht der Senat hier jedoch nicht näher nachzugehen, weil dieser Aspekt im Rahmen der Revisionsbegründung nicht geltend gemacht wird (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Verfahrensrüge vgl. BGH NStZ 2008, 229, 230; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. m.w.N.) Jedoch liegen (außerdem) die tatsächlichen Voraussetzungen der nach dem maßgeblichen Protokoll zur Begründung herangezogenen Bestimmung nicht vor.
17
c) Jedoch kann das Beruhen des Urteils auf (dem Fehlen eines näher ausgeführten Beschlusses und) der Angabe eines unzutreffenden Verlesungsgrundes ausgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen für die Verlesung tatsächlich gegeben waren und die Verfahrensbeteiligten durch den Mangel nicht in ihrem Prozessverhalten beeinflusst worden sein können (vgl. Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 251 Rdn. 81, 97 m.w.N.).
18
So verhält es sich hier.
19
(1) Die Voraussetzungen einer Verlesung der Aussage B. s vor dem Amtsgericht gemäß § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO lagen vor; dass B. dort als Angeklagter und nicht als Zeuge vernommen worden war, steht nicht entgegen (Sander/Cirener aaO Rdn. 43). Der Vernehmung stand, wie im Zusammenhang mit der Unauffindbarkeit B. s näher dargelegt, für ungewisse Zeit ein nicht zu beseitigendes Hindernis entgegen (vgl. Sander/Cirener aaO Rdn. 65, 28). Es spricht, selbst wenn die dienstliche Äußerung außer Betracht bliebe, nichts dafür, dass die Strafkammer die Verlesung etwa nicht beschlossen hätte, wenn sie erkannt hätte, dass nicht das (tatsächlich nicht eingeholte) Einverständnis der Beteiligten rechtliche Grundlage der Verlesung ist, sondern hierfür die Unauffindbarkeit B. s heranzuziehen ist.
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(2) Bei der Prüfung der Frage, ob die Angabe von § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO Einfluss auf den Prozessverlauf gehabt haben kann, ist zu unterstellen, dass die Verteidigung deshalb geglaubt hätte, die Strafkammer (hielte die richterliche Vernehmung für eine nichtrichterliche Vernehmung und) verlese die Aussage, weil sie - irrig - vom Einverständnis der Beteiligten ausgehe, während die Verlesung in keinem Zusammenhang mit der Unauffindbarkeit B. s stünde. Selbst auf dieser (nicht sehr nahe liegenden) Grundlage kann der Senat nicht die Möglichkeit erkennen, dass wegen dieser Fehlvorstellung Erfolg versprechendes Prozessverhalten unterblieben sein könnte, zu dem es aber gekommen wäre, wenn § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannt worden wäre.
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(3) Freilich heißt es in der Revisionsbegründung, das Urteil beruhe auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß. Näher ausgeführt ist dies jedoch nicht. Der Senat bemerkt in diesem Zusammenhang: Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen ein Beruhen nicht ohne weiteres nahe liegt, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen , dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und dementsprechend nicht in seine Erwägungen einbezieht.
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3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Sander

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.