Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juni 2013 - 1 StR 193/13

bei uns veröffentlicht am04.06.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 193/13
vom
4. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juni 2013 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 13. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte „unter Einbeziehung des Urteils“ des Landgerichts Konstanz in anderer Sache zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge, mit der er einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO geltend macht, Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
a) Nach dem - den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden - Revisionsvortrag hatte der Angeklagte nach Beendigung der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen das letzte Wort erhalten. Anschließend unterbrach das Gericht die Hauptverhandlung und trat danach nochmals in die Beweisaufnahme ein; die Vorsitzende gab den Hinweis, dass „bezüglich des Anklagepunktes 1 auch eine Verurteilung wegen Eindringens mit einem ande- ren Körperteil oder mit einem Gegenstand in Betracht kommt“. Ausweislich der Sitzungsniederschrift blieben die „Verfahrensbeteiligten bei ihren Anträgen. So- dann“ wurde die Beweisaufnahme wieder geschlossen. Nach Beratung verkündete das Gericht das Urteil. Der Sitzungsniederschrift lässt sich nicht entnehmen , dass dem Angeklagten nochmals das letzte Wort gewährt wurde.
3
b) Diese Verfahrensweise entsprach nicht dem Gesetz. Denn nach der Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals - wie hier - in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (Senat, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152 mwN).
4
c) Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist auch bewiesen. Der für den Nachweis der in Rede stehenden wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 Abs. 1 StPO) allein maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. Senat, aaO; BGH,Urteil vom 15. November 1968 - 4 StR 190/68, BGHSt 22, 278, 280) lässt sich nach Ansicht des Senats nicht entnehmen, dass dem Angeklagten nach dem erneuten Schluss der Beweisaufnahme (nochmals) das letzte Wort gewährt worden ist; dieses gilt unbeschadet dessen, dass die Vorgänge in falscher Reihenfolge protokolliert worden sind.
5
d) Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet zwar nicht ausnahmslos die Revision , sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil darauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 - 4 StR 51/09, StraFo 2009, 333, 334 mwN). Der Angeklagte hat indes die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte zu den Schuldvor- würfen erneut Stellung genommen und möglicherweise weitere für die Beweiswürdigung maßgebliche, ihn entlastende Umstände vorgetragen hätte.
6
2. Für den Fall erneuter Verurteilung des Angeklagten wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter eingehender als bisher die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB darzulegen haben. Jedenfalls das in das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 19. März 2012 "einbezogene" Urteil des Amtsgerichts Radolfzell vom 23. November 2010 könnte nach den bisherigen Feststellungen Zäsurwirkung entfalten. Wahl Rothfuß Graf Radtke Zeng

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

Strafprozeßordnung - StPO | § 274 Beweiskraft des Protokolls


Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Strafprozeßordnung - StPO | § 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes


(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. (2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort. (3) Der A

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(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 3/10
vom
4. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18. August 2009, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht München I hat den umfassend geständigen Angeklagten wegen insgesamt 61 Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet , soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Sie führt jedoch aufgrund einer Verfahrensrüge zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
2
2. Mit dieser macht die Revision einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO geltend, weil dem Angeklagten das letzte Wort nicht gewährt worden sei. Nach ihrem - den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden - Vortrag war die Beweisaufnahme geschlossen und die Gelegenheit zum Schluss- vortrag des Verteidigers sowie zum letzten Wort des Angeklagten gegeben worden. Hieran anschließend wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und die Frage der Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel und weiterer Gegenstände erörtert. Diesbezüglich erklärten sich der Angeklagte und sein Verteidiger mit deren formloser Einziehung einverstanden. Nach der erneuten Schließung der Beweisaufnahme wiederholten lediglich die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre zuvor gestellten Anträge, während dem Angeklagten keine Gelegenheit gegeben wurde, sich zu äußern.
3
3. a) Diese Verfahrensweise entsprach nicht dem Gesetz. Denn nach der Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (BGHSt 22, 278, 279/280; BGH NStZ-RR 1998,

15).


4
Wann von einem Wiedereintritt auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert werden (BGH NStZ 2004, 505, 507 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen wird im Protokoll selbst das prozessuale Geschehen dahingehend bewertet, dass „nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten“ und diese „erneut geschlossen“ wurde. Zum anderen kam der Erklärung des Angeklagten, er sei mit der formlosen Einzie- hung sichergestellter Gegenstände einverstanden, potentielle Bedeutung für die tatgerichtliche Sachentscheidung zu.
5
b) Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist auch bewiesen. Der für den Nachweis der in Rede stehenden wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 Abs. 1 StPO) allein maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. BGHSt 22, 278, 280) lässt sich nach Ansicht des Senats nicht entnehmen, dass dem Angeklagten nach dem erneuten Schluss der Beweisaufnahme (nochmals) das letzte Wort gewährt worden ist. Es kommt daher nicht darauf an, dass die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter, der staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter und die Protokollführerin in ihren jeweiligen dienstlichen Stellungnahmen erklärt haben, sich an den konkreten Verfahrensgang nicht mehr zu erinnern.
6
4. a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass der Angeklagte in einem - erneuten - letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können. Denn er war zuvor umfassend und für das Tatgericht, das seine Überzeugung zudem auf weitere Beweismittel gestützt hat, glaubhaft geständig gewesen.
7
b) Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Dies gilt umso mehr, als sein nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erklärtes Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände jedenfalls unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue als mildernder Umstand hätte gewertet werden dürfen.
8
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Verfahrensbeteiligten ausweislich der Urteilsgründe bereits am ersten der beiden Hauptverhandlungstage hinsichtlich der Gesamtstrafe verständigt hatten. Denn der am 4. August 2009 und damit sechs Tage vor Beginn der Hauptverhandlung in Kraft getretene § 257c StPO sieht in seinem Absatz 3 Satz 2 die Benennung einer Ober- und einer Untergrenze und in seinem Absatz 4 Satz 1 ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung vor, wenn der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist.
Nack Wahl Elf Jäger Sander

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 51/09
vom
28. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. Mai 2009 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Oktober 2008, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 34 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge zu § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO Erfolg.
2
2. Die Revision beanstandet zu Recht, dass dem Angeklagten vor Verkündung des Urteils am 8. Oktober 2008 nicht nochmals das letzte Wort erteilt worden ist.
3
a) Nach den Schlussvorträgen in der Hauptverhandlung vom 1. Oktober 2008, in welchem die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von acht Jahren und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls beantragt hatte, wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Er schloss sich den Ausführungen seiner Verteidiger an, die in ihren Schlussvorträgen die Verhängung einer Bewährungsstrafe beantragt hatten. Im Anschluss beantragte die Verteidigung, den Haftbefehl gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Daraufhin verkündete die Strafkammer nach Beratung einen Beschluss, mit dem die Fortdauer der Untersuchungshaft „aus den Gründen des Haftbefehls des Amtsgerichts Saarbrücken vom 17.01.2008 und der Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 18.08.2008“ angeordnet wurde. Sodann wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Am nächsten Verhandlungstag, dem 8. Oktober 2008, verkündete das Landgericht das Urteil.
4
b) Diese Verfahrensweise verstieß gegen § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO. Das Gericht hatte mit seiner Haftentscheidung vom 1. Oktober 2008 zu erkennen gegeben, dass es sich der Bewertung des Beweisergebnisses durch die Staatsanwaltschaft anschloss. Damit war es wieder in die Beweisaufnahme eingetreten. Das nahm der vorausgegangenen Schlusserklärung des Angeklagten die Bedeutung des letzten Wortes und machte dessen nochmalige Gewährung erforderlich (vgl. BGH NStZ 1984, 376; NStZ-RR 1997, 107 m.w.N.).
5
c) Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet zwar nicht ausnahmslos die Revision, sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil darauf beruht (vgl. BGH aaO). Dies kann hier nicht ausgeschlossen werden. Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten und lediglich den Erwerb geringer Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch eingeräumt. Durch die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft im Termin vom 1. Oktober 2008 war für ihn eine neue Verfahrenssituation eingetreten. Der in der Haftentscheidung des Landgerichts in Bezug genommene Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 17. Januar 2008 gründet sich ausschließlich auf die Angaben des Hauptbelastungszeugen S. , auf dessen Glaubwürdigkeit es in diesem Verfahren entscheidend ankommt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, der nunmehr davon ausgehen musste, dass das Landgericht den Angaben dieses Zeugen folgt, zu den Schuldvorwürfen erneut Stellung genommen und möglicherweise weitere für die Beweiswürdigung maßgebliche, ihn entlastende Umstände vorgetragen hätte.
Tepperwien Athing Ernemann
Franke Mutzbauer

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.