Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Aug. 2019 - 1 StR 184/19

bei uns veröffentlicht am20.08.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 184/19
vom
20. August 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:200819B1STR184.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 20. August 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. Dezember 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und angeordnet, dass von der Strafe drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.
2
Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte ab dem Jahr 2008 als Geschäftsführer der H. GmbH (imFolgenden : H. ) im Bereich des Großhandels mit Altmetallen und Reststoffen tätig. Im Jahr 2010 wurde die H. von Geschäftspartnern als sogenannter „Buffer“ in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem eingebunden. Das Hinterziehungssystem funktionierte dergestalt, dass unbekannte Lieferanten Waren aus dem Ausland in das Steuergebiet einführten und unmittelbar an die T. GmbH & Co. KG und andere Abnehmer lieferten, wobei über die Scheinlieferkette , deren Zwischenglied die H. war, eine Scheinrechnungslage geschaffen wurde, um die tatsächlichen Lieferbeziehungen zu verschleiern und den Abnehmern die Möglichkeit zu geben, die in den ihnen gestellten Rechnungen ausgewiesene – entweder nicht beim Finanzamt angemeldete oder jedenfalls nicht abgeführte – Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend zu machen. Die der H. gestellten Rechnungen über tatsächlich nicht ausgeführte Leistungen wurden jeweils von der P. GmbH und später den Firmen Altmetallhandel L. , M. Facility Service und K. +N. KG unter Ausweis von Umsatzsteuer erstellt und vom Angeklagten zur Grundlage der von ihm beim Finanzamt eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht.
4
In der Zeit zwischen dem 9. August 2010 und dem 1. August 2011 übermittelte der Angeklagte dem zuständigen Finanzamt in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der H. Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juni, Juli, August, Oktober, November und Dezember 2010 sowie für die Monate Februar, März, Mai und Juni 2011 und machte hierbei die in den im jeweiligen Voranmeldezeitraum an die H. gestellten Rechnungen und in Gutschriften ausgewiesenen Umsatzsteuern als Vorsteuern geltend. Dabei hatte er „spätestens ab Juli 2010“ (UA S. 7, ähnlich UA S. 2) Kenntnis davon, dass den Rechnungen keine realen Geschäftsvorgänge zugrunde lagen, sondern es sich um Scheinrechnungen ohne Leistungsbezug handelte. Infolge der vom Angeklagten eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen wurden die Umsatzsteuern für die Monate Juni (Vorsteuer: 179.340,09 €), Juli (Vorsteuer: 251.519,72 €), August (Vorsteuer: 152.407,52 €), Oktober (Vorsteuer: 76.354,34 €), November (Vorsteuer: 171.872,62 €) und Dezember (Vorsteuer: 373.958,65 €) 2010 sowie Februar (Vorsteuer: 24.542,85 €) und Mai (Vorsteuer: 79.450,13 €) 2011 jeweils in Höhe des zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbetrags (insgesamt 1.309.445,92 €) zu niedrig festgesetzt. In den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März und Juni 2011 machte der Angeklagte unberechtigt Vorsteuern in Höhe von 28.192,46 € (März 2011) bzw. 23.579 € (Juni 2011) geltend; diese Erklärungen führten aber nicht zu entsprechenden Festsetzungen.
5
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2010 und 2011 reichte der Angeklagte für die H. , bei der ab August 2010 Umsatzsteuersonderprüfungen durchgeführt wurden, nicht mehr ein.

II.

6
1. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und bleibt daher ohne Erfolg.
7
2. Die Sachrüge führt dagegen zur Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe.
8
Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) hält in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht die Angaben des Angeklagten in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juni 2010 (Fall II. 2. b) (1) der Urteilsgründe) und Juli 2010 (Fall II. 2. b) (2) der Urteilsgründe) zu den Vorsteuerabzügen als unrichtig erachtet, es die fehlende Berechtigung der H. zum Vorsteuerabzug in diesen Voranmeldezeiträumen aber nicht tragfähig begründet hat.
9
a) Nach § 15 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, in Abzug bringen. Für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, kommt es dabei nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorlagen (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 1 StR 239/15 Rn. 12 f.; vom 19. November 2014 – 1 StR 219/14 Rn. 9 f. und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13, BGHR UStG § 15 Vorsteuerabzug 5 Rn. 13). Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nur dann, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Umsatz beteiligt ist, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, und er deshalb als Beteiligter dieser Hinter- ziehung anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling", DStR 2006 Rn. 53, 55 f. und vom 18. Dezember 2014, Rechtssache C-131/13 u.a. „Italmoda“, DStR 2015, 573 Rn. 50, 62; siehe auch BGH, Beschlüsse vom2. September 2015 – 1 StR 239/15 Rn. 12; vom 19. November 2014 – 1 StR 219/14 Rn. 9 f. und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13 aaO). Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nicht deshalb nachträglich wieder, weil der Unternehmer nach dem Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen oder sonstigen Leistungen von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren bzw. Abwicklung des Geschäfts gekannt hätte (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 1 StR 239/15 Rn. 12 f.; vom 19. November 2014 – 1 StR 219/14 Rn. 9 f. und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13 aaO).
10
b) Die Annahme des Landgerichts, der H. habe es an der Berechtigung zum Vorsteuerabzug in den Voranmeldezeiträumen Juni 2010 und Juli 2010 gefehlt, weshalb die vom Angeklagten für diese Voranmeldezeiträume erklärten Steueranmeldungen unrichtig gewesen seien, begegnet danach durchgreifenden Bedenken.
11
aa) Der Angeklagte hätte im Fall II. 2. b) (1) der Urteilsgründe mit der Geltendmachung der in den im Juni 2010 an die H. gestellten Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern als Vorsteuern bereits deshalb keine unrichtigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht, weil dessen Kenntnis von der Einbindung der H. in das Steuerhinterziehungssystem erst für die Zeit „spätestens ab Juli 2010“ festgestellt ist und nicht bereits für die Zeit der Leistungsausführung beziehungsweise Rechnungstellung im Juni 2010. Eine Kenntnis des Angeklagten von der Einbindung der H. in das Hinterziehungssystem ab Juli 2010 hätte die Berechtigung der H. zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs in der Steueranmeldung für den Monat Juni 2010 nicht beseitigt.
12
Im Übrigen ist die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe „spätestens ab Juli 2010“ Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei den an die H. gestellten Rechnungen um Scheinrechnungen ohne Leistungserbringung handelte, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten, auch nicht tragfähig beweiswürdigend belegt. Das Landgericht stützt diese Feststellung allein auf die Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, er habe „ab Mitte 2010“ erkannt, dass etwas mit den Lieferungen nicht stimme. Diese vage zeitliche Einordnung des Angeklagten vermag jedoch die Feststellung, dass entspre- chende Kenntnis beim Angeklagten „spätestens ab Juli 2010“ vorlag, nicht zu tragen. Denn die zeitliche Einordnung „Mitte 2010“ bezeichnet nach dem für das Verständnis der Einlassung des Angeklagten maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch eine Zeitspanne, die nicht mit Beginn des Monats Juli endet, sondern zumindest noch einen Großteil des Monats Juli umfasst.
13
bb) Auch der Schuldspruch im Fall II. 2. b) (2) der Urteilsgründe hat danach keinen Bestand, weil die Feststellung, der Angeklagte habe „spätestens ab Juli 2010“ – also in dem hier gegenständlichen Rechnungsstellungs- und Voranmeldezeitraum – Kenntnis davon gehabt, dass die Rechnungen, die er dem in der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2010 geltend gemachten Vorsteuerabzug zugrunde legte, keine realen Geschäfts- und Liefervorgänge betrafen, sondern es sich vielmehr um Scheingeschäfte zur Hinterziehung von Umsatzsteuer handelte, nicht tragfähig belegt ist.
14
c) Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die jeweiligen Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen sind von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern betroffen und daher ebenfalls aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).
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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,2.die Finanzbehörden pflichtwidrig über steu

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(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

(1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

1.
die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist;
2.
die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 eingeführt worden sind;
3.
die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen für sein Unternehmen, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb nach § 3d Satz 1 im Inland bewirkt wird;
4.
die Steuer für Leistungen im Sinne des § 13b Absatz 1 und 2, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Soweit die Steuer auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Leistungen entfällt, ist sie abziehbar, wenn die Zahlung geleistet worden ist;
5.
die nach § 13a Abs. 1 Nr. 6 geschuldete Steuer für Umsätze, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt.

(1a) Nicht abziehbar sind Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen, für die das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 7 oder des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gilt, entfallen. Dies gilt nicht für Bewirtungsaufwendungen, soweit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes einen Abzug angemessener und nachgewiesener Aufwendungen ausschließt.

(1b) Verwendet der Unternehmer ein Grundstück sowohl für Zwecke seines Unternehmens als auch für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb sowie für die sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit diesem Grundstück vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit sie nicht auf die Verwendung des Grundstücks für Zwecke des Unternehmens entfällt. Bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden ist Satz 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:

1.
steuerfreie Umsätze;
2.
Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden.
Gegenstände oder sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung einer Einfuhr oder eines innergemeinschaftlichen Erwerbs verwendet, sind den Umsätzen zuzurechnen, für die der eingeführte oder innergemeinschaftlich erworbene Gegenstand verwendet wird.

(3) Der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach Absatz 2 tritt nicht ein, wenn die Umsätze

1.
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1
a)
nach § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 oder nach den in § 26 Abs. 5 bezeichneten Vorschriften steuerfrei sind oder
b)
nach § 4 Nummer 8 Buchstabe a bis g, Nummer 10 oder Nummer 11 steuerfrei sind und sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden;
2.
in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2
a)
nach § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 oder nach den in § 26 Abs. 5 bezeichneten Vorschriften steuerfrei wären oder
b)
nach § 4 Nummer 8 Buchstabe a bis g, Nummer 10 oder Nummer 11 steuerfrei wären und der Leistungsempfänger im Drittlandsgebiet ansässig ist oder diese Umsätze sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden.

(4) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten, eingeführten oder innergemeinschaftlich erworbenen Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. In den Fällen des Absatzes 1b gelten die Sätze 1 bis 3 entsprechend.

(4a) Für Fahrzeuglieferer (§ 2a) gelten folgende Einschränkungen des Vorsteuerabzugs:

1.
Abziehbar ist nur die auf die Lieferung, die Einfuhr oder den innergemeinschaftlichen Erwerb des neuen Fahrzeugs entfallende Steuer.
2.
Die Steuer kann nur bis zu dem Betrag abgezogen werden, der für die Lieferung des neuen Fahrzeugs geschuldet würde, wenn die Lieferung nicht steuerfrei wäre.
3.
Die Steuer kann erst in dem Zeitpunkt abgezogen werden, in dem der Fahrzeuglieferer die innergemeinschaftliche Lieferung des neuen Fahrzeugs ausführt.

(4b) Für Unternehmer, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind und die nur Steuer nach § 13b Absatz 5, nur Steuer nach § 13b Absatz 5 und § 13a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 14c Absatz 1 oder nur Steuer nach § 13b Absatz 5 und § 13a Absatz 1 Nummer 4 schulden, gelten die Einschränkungen des § 18 Absatz 9 Satz 5 und 6 entsprechend.

(5) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen darüber treffen,

1.
in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für den Vorsteuerabzug auf eine Rechnung im Sinne des § 14 oder auf einzelne Angaben in der Rechnung verzichtet werden kann,
2.
unter welchen Voraussetzungen, für welchen Besteuerungszeitraum und in welchem Umfang zur Vereinfachung oder zur Vermeidung von Härten in den Fällen, in denen ein anderer als der Leistungsempfänger ein Entgelt gewährt (§ 10 Abs. 1 Satz 3), der andere den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann, und
3.
wann in Fällen von geringer steuerlicher Bedeutung zur Vereinfachung oder zur Vermeidung von Härten bei der Aufteilung der Vorsteuerbeträge (Absatz 4) Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, unberücksichtigt bleiben können oder von der Zurechnung von Vorsteuerbeträgen zu diesen Umsätzen abgesehen werden kann.

12
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling", Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f. und vom 18. Dezember 2014, Rechtssache C-131/13 u.a., Italmoda , DStR 2015, 573; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 19. November 2014 - 1 StR 219/14, wistra 2015, 147 und vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, NStZ 2014, 331 ff.).
9
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling“, Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f.; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, NStZ 2014, 331 ff. mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 312/13
vom
1. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Oktober 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Februar 2013 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zum Umfang der Lieferungen der Firma Me. im Jahr 2009 aufrechterhalten.

b) im Strafausspruch auch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe und hinsichtlich der Gesamtstrafe; von den zugehörigen Feststellungen werden lediglich diejenigen zu den Lieferungen der Firma Me. im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
a) Seit Oktober 2008 betätigte sich der Angeklagte zusammen mit dem gesondert verfolgten T. im Online-Handel mit Elektronikgeräten (vorwiegend mit Flachbildschirmfernsehern). Die Geschäfte betrieben sie zunächst über die von ihnen gemeinsam geführte Gesellschaft M. I. OHG (im Folgenden: M. OHG). Am 30. September 2010 gründeten sie dann die M. B. GmbH (im Folgenden : M. GmbH) mit identischem Geschäftszweck.
4
b) Beide Firmen waren seit Ende 2009 als sog. buffer in „Umsatzsteuer- hinterziehungssysteme“ eingebunden, die von verschiedenen Gruppierungen aus dem Großraum B. organisiert worden waren. Den Systemen zur Hinterziehung von Umsatzsteuer lag folgendes Muster zugrunde:
5
Unter Einbindung von Strohleuten gegründete Gesellschaften sollten gegen Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer Flachbildschirmfernseher an gewerbliche Abnehmer verkaufen und den vereinbarten Kaufpreis bei der Lieferung in bar entgegennehmen. Die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer sollte von diesen Gesellschaften entweder schon nicht angemeldet, zumindest aber nicht abgeführt werden. Bereits nach kurzer Zeit, möglichst vor Aufdeckung des Systems, sollten diese Firmen (sog. missing trader) ihre „ver- meintliche Gewerbetätigkeit“ wieder einstellen. Ziel war es, die Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer nicht auf einen einmaligen Liefervorgang zu beschränken, sondern die nachfolgenden Warenbewegungen des Abnehmers weiter zu kontrollieren und zu steuern, um wieder über die verkauften Geräte verfügen und diese erneut dem „Wirtschaftskreislauf“ zuführen zu können. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass der gewonnene Abnehmer (sog. buffer) durch lukrative Angebote von Scheinfirmen veranlasst werden sollte, die Fernseher im Rahmen vermeintlicher innergemeinschaftlicher Lieferungen umsatzsteuerfrei zu veräußern. Tatsächlich sollten die Geräte aber nicht ins innergemeinschaftliche Ausland verbracht werden, sondern in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben. Durch den hierdurch ermöglichten umsatzsteuerfreien Ankauf sollte es den die Warenbewegungen beherrschenden Personen ermög- licht werden, die Geräte sehr günstig erneut anzubieten. Für den „buffer“ brach- te die Teilnahme an diesem System den wirtschaftlichen Vorteil, dass er - aufgrund des umsatzsteuerfreien Ankaufs sowie der Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer durch den Lieferanten - Zugang zu konkurrenzlos günstigen Waren erhielt und trotzdem die von ihm gezahlte Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden als Vorsteuer geltend machen konnte.
6
c) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die von dem Angeklagten geleiteten Gesellschaften M. OHG und M. GmbH in mehreren derartigen Umsatzsteuerkarussellen, die nahtlos ineinander übergin- gen, jeweils die Funktion eines „buffers“. Gleichwohl machte der Angeklagte hinsichtlich solcher Geschäfte die in den an diese Gesellschaften gerichteten Rechnungen gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge in Steueranmeldungen gegenüber den Finanzbehörden als Vorsteuern geltend. In der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2009 betreffend die M. OHG führte dies zu einer Verminderung der Zahllast um 460.979,48 Euro (Fall IX. der Urteilsgründe ); aufgrund unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Juli 2010 und September 2010, Oktober 2010 für die M. OHGsowie betreffend die M. GmbH für Januar 2011 (Fälle VIII. 1. bis 10. der Urteilsgründe) kam es jeweils zur Verkürzung von Umsatzsteuer mit Erstattung geltend gemachter Vorsteuer bei einem Verkürzungsumfang von insgesamt 2.642.114 Euro. Das Finanzamt erteilte in den Fällen eines Vorsteuerüberhanges jeweils die erforderliche Zustimmung zur Auszahlung (vgl. § 168 S. 2 AO).
7
d) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte erst am 18. März 2010 die Einbindung der von ihm geleiteten Firmen in Umsatzsteuerkarusselle. Er beendete gleichwohl die Geschäftsbeziehung zu den Betreibern der Karussellsysteme nicht und nahm trotz seiner Erkenntnis, dass die Warenbewegungen innerhalb von Umsatzsteuerkarussellgeschäften stattfanden , in Umsatzsteuervoranmeldungen für die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer einen Vorsteuerabzug vor. Eine Berichtigung der für Januar 2010 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO nahm der Angeklagte nicht vor.
8
2. Das Landgericht hat die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung in den Fällen VIII. 2. bis 10. sowie IX.
der Urteilsgründe jeweils als Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gewertet. Zu den Zeitpunkten der Einreichung dieser Steueranmeldungen habe der Angeklagte gewusst, dass die von ihm geleiteten Firmen in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden gewesen seien und er deshalb mangels vorgenommener Lieferung keinen Vorsteuerabzug hätte geltend machen dürfen. Auf eine „Gutgläubigkeit“ des Angeklagten zum Zeitpunkt der Ausführung der Liefe- rungen für die Anmeldungszeiträume bis März 2010 komme es dabei nicht an, sie liege im Übrigen auch nicht vor, weil der Angeklagte hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt habe.
9
Zum Zeitpunkt der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für den Voranmeldungszeitraum Januar 2010 am 4. März 2010 (Fall VIII. 1. der Urteilsgründe ) sei der Angeklagte, anders als bei Abgabe der übrigen Erklärungen, zwar noch „gutgläubig“ gewesen. Weil er aber nachträglich die Einbindung in eine „Umsatzsteuerkette“ erkannt habe, habe für ihn die Verpflichtung bestan- den, eine berichtigende Erklärung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO abzugeben. Da er dieser Verpflichtung vorsätzlich nicht nachgekommen sei, habe er sich insoweit einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar gemacht.

II.


10
Die Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Rechtsfehlerfrei ist die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe (nachfolgend 1.). Demgegenüber wird der Schuldspruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe von den Feststellungen nicht getragen; das Landgericht ist insoweit hin- sichtlich der Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG von falschen Maßstäben ausgegangen (nachfolgend 2.). Ein Teilfreispruch kommt nicht in Betracht, weil möglich ist, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die auch in diesen Fällen einen Schuldspruch rechtfertigen können (nachfolgend 3.). Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand (nachfolgend 4.). Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nur insoweit, als diese von der fehlerhaften Rechtsanwendung betroffen sind, im Übrigen zur Ermöglichung widerspruchsfreier Feststellungen (nachfolgend 5.).
11
1. Der Schuldspruch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Denn die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen, dass der Angeklagte in diesen Fällen in den Steueranmeldungen für die M. OHG bzw. die M. GmbH zu Unrecht aus Eingangsrechnungen für die Lieferung von elektronischen Geräten einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, obwohl er bereits bei Bezug der Geräte wusste, dass die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG nicht vorlagen. Damit hat er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht, die zu einer Steuerverkürzung geführt haben (vgl. § 168 AO).
12
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.
13
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorgelegen haben. Insbesondere fällt eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht deshalb nachträglich weg, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren gekannt hätte. Auch wird er durch diese nachträgliche Kenntnis nicht rückwirkend zum Nichtunternehmer.
14
aa) Im Rahmen der Auslegung des § 15 UStG sind die dieser Vorschrift zugrunde liegende Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EU Nr. L 347 S. 1; im Folgenden : Mehrwertsteuersystemrichtlinie) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu beachten (sog. richtlinienkonforme Auslegung). Danach gilt Folgendes:
15
Bei dem in Art. 167 ff. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorgesehenen Recht zum Vorsteuerabzug handelt es sich um einem integralen Bestandteil des Mehrwertsteuersystems; es kann sofort ausgeübt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 in der Rechtssache C-285/11 „Bonik“, DStRE 2013, 803). Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterscheidet dabei zwischen der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug (Art. 167 i.V.m. Art. 63 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ) und der Ausübung dieses Rechts (Art. 178 f. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie). Nach Art. 167 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die ab- ziehbare Steuer entsteht. Dies ist nach Art. 63 der Richtlinie bereits dann der Fall, wenn die Lieferung oder die Dienstleistung bewirkt ist; lediglich die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts setzt zusätzlich den Besitz einer den Anforderungen des Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsprechenden Rechnung voraus (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-152/02 „Terra Baubedarf“ zu Art. 17, 18 der von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie abgelösten „Sechste(n) Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/EWG“, im Folgenden: Sechste Richtlinie 77/388/EWG).
16
bb) Aus der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts, zu dem die Lieferung oder sonstige Leistung bewirkt wird, für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug folgt, dass für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug die Verhältnisse bei Bezug der Leistung maßgebend sind (vgl. BFH, Urteil vom 13. Mai 2009 - XI R 84/07, BStBl II 2009, 868 unter Hinweis auf Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG; vgl. auch BFH, Urteile vom 18. April 2013 - V R 19/12, BFH/NV 2013, 1515 und vom 8. September 2011 - V R 43/10, BFHE 235, 501).
17
cc) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling“, Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f.; vgl. auch EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2012 in der Rechtssache C-285/11 „Bonik“, DStRE 2013, 803, Rn. 37 ff. und vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“, DStRE 2012, 1336 Rn. 42, 45). Demgegenüber wäre es nach der Rechtsprechung des EuGH mit den Regelungen über den Vorsteuerabzug in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Leistenden begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausging oder nachfolgte, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts mit einer Sanktion zu belegen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“,DStRE 2012, 1336 Rn. 47 mwN). Denn Wirtschaftsteilnehmer , die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, dürfen auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Mai 2006 in der Rechtssache C-384/04 „Federation of Technological Industries u.a.“, Slg. 2006 I-4191 Rn. 33).
18
c) Gemessen an diesen sich aus dem Unionsrecht ergebenden Maßstäben hat es für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug keine Bedeutung, ob der Leistungsempfänger, der eine Lieferung noch „in gutem Glauben“ erhalten hat, nachträglich erkennt, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine anderweit begangene „Mehrwertsteuerhinterziehung“ einbezogen war. Es verstieße auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94 „Inzo“, Slg. 1996 I-857 Rn. 21), wenn einem Unternehmer, der von solchen Umständen zum Zeitpunkt des Leistungsbezuges weder wusste noch hätte wissen müssen, wegen nachträglich eingetretener „Bösgläubigkeit“ rückwirkend das Recht auf den Vorsteuerabzug entzogen werden könnte.
19
d) Trotz des unrichtigen rechtlichen Ansatzes des Landgerichts tragen die Feststellungen in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe den Schuldspruch der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Denn die Urteilsfeststellungen belegen, dass dem Angeklagten bereits seit dem 18. März 2010 und damit in diesen Fällen auch schon beim Warenbezug bekannt war, dass die von ihm geleitete Firma M. OHG (und später auch die M. GmbH) in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen war und die Waren von „missing tradern“ bzw. einem „buffer“ erhalten hatte. Damit fehlte es in diesen Fällen an einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Lieferung an diese Unternehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10, wistra 2011, 264). Indem der Angeklagte in diesen Fällen gleichwohl in den Steueranmeldungen einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, hat er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben gemacht.
20
e) Soweit der Angeklagte für September 2010 (Fall VIII. 8. der Urteilsgründe ) einen Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma Me. in Höhe von 11.337,68 Euro vorgenommen hat, ist den Feststellungen jedoch nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob die Voraussetzungen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs vorgelegen haben. Denn das Landgericht hat festgestellt, dass die Lieferbeziehung zu dieser Firma bereits im Februar 2010 (UA S. 13) und damit zu einem Zeitpunkt beendet wurde, als der Angeklagte nach den Feststellungen noch keine Kenntnis von der Einbindung der M. OHG in ein „Umsatzsteuerhinterziehungssystem“ hatte. Es ist daher nicht auszu- schließen, dass sich der Vorsteuerabzug insoweit auf Geschäftsvorfälle vor dem 18. März 2010 bezieht. Dies lässt den Schuldspruch jedoch unberührt, weil die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte in der Umsatzsteuervoranmeldung für September 2010 einen unberechtigten Vorsteuerabzug in Höhe von 12.112,50 Euro aus einer Rechnung der Firma H. über eine Lieferung im Juni 2010 vorgenommen hat (UA S. 19).
21
2. Der Schuldspruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Auch in den Fällen VIII. 2. und 3. sowie IX. der Urteilsgründe hat das Landgericht bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorgelegen haben, zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Einreichung der jeweiligen Steueranmeldung abgestellt, in welcher der Angeklagte den entsprechenden Vorsteuerabzug vorgenommen hat. Maßgeblich für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug war auch hier allein der jeweilige Zeitpunkt des Warenbezugs. Dieser lag aber in diesen Fällen jeweils vor dem 18. März 2010, dem Tag, an dem der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die Einbindung der M. OHG in Hinterziehungsstrukturen erkannte.
23
Tragfähige Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten beim jeweiligen Warenbezug, die in diesen Fällen die Versagung des Vorsteuerabzugs zweifelsfrei rechtfertigen würden, enthalten die Urteilsgründe nicht. Allein der Umstand, dass sich die M. OHG beim Erwerb der Fernseher objektiv an Umsätzen beteiligte, die in Umsatzsteuerhinterziehungen von „missing tradern“ einbezogen waren, rechtfertigt die Versagung des Vor- steuerabzugs nicht. Vielmehr kommt - wie dargelegt - nach der Rechtsprechung des EuGH in solchen Fällen die Versagung des Vorsteuerabzugs nur dann in Betracht, wenn der Leistungsempfänger weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogenen Umsatz beteiligt. Ob dies der Fall ist, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“, DStRE 2012, 1336), die vom Tatgericht in einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu würdigen sind. Daran fehlt es hier.
24
Das Landgericht hat zwar hilfsweise ausgeführt, dass der Angeklagte auch jeweils zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht „gutgläubig“ gewesen sei, weil er „die Unrichtigkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung“ zu diesem Zeit- punkt bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können. Dies wird jedoch nicht näher belegt. Der Senat kann die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände nicht nachholen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 1999 - 1 StR 390/99, NStZ 1999, 607). Eine Fallgestaltung, in der bereits auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ohnehin lediglich ein rechtlich vertretbares Ergebnis möglich ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657), liegt nicht vor.
25
b) Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Fall VIII. 1. der Urteilsgründe kann gleichfalls keinen Bestand haben.
26
aa) Das Landgericht hat den die Strafbarkeit begründenden Pflichtverstoß darin gesehen, dass der Angeklagte die für Januar 2010 abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung nicht gemäß § 153 Abs. 1 AO berichtigt habe, obwohl er nachträglich erkannt habe, dass der dort geltend gemachte Vorsteuerabzug unberechtigt gewesen sei.
27
bb) Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hat der Steuerpflichtige, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.
28
cc) Das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Anzeige- und Berichtigungspflicht wird hier jedoch durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt. Denn die für Januar 2010 von dem Angeklagten eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung wäre nur dann unrichtig, wenn die Voraussetzungen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs schon beim Warenbezug gegeben waren. Dies belegen die Urteilsfeststellungen indes nicht, zumal da das Landgericht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Versagung des Vorsteuerabzugs zu Unrecht nicht auf das Vorstellungsbild des Angeklagten beim Warenbezug, sondern auf dasjenige bei Einreichung der Steueranmeldungen abgestellt hat.
29
3. Ein Teilfreispruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. und IX. der Urteilsgründe kommt nicht in Betracht, da es noch möglich erscheint, dass Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten beim Warenbezug getroffen werden können, die auch insoweit eine Verurteilung rechtfertigen (vgl. auch BGH, Urteile vom 26. Juli 2012 - 1 StR 492/11, wistra 2012, 477 und vom 7. März 1995 - 1 StR 523/94, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 1). Das Landgericht hat - wie dargelegt - selbst darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte dafür bestehen , dass der Angeklagte schon vor dem 18. März 2010 die „Unrichtigkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung hätte erkennen können“. Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) kommt dabei nur in Betracht, wenn mindestens bedingter Hinterziehungsvorsatz vorliegt; für den Ordnungswidrig- keitentatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) genügt Leichtfertigkeit.
30
4. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
31
a) Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen VIII.1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen und zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
32
b) Der Einzelstrafausspruch im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe ist schon deswegen aufzuheben, weil es zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma Me. an Feststellungen zum zugrunde liegenden Leistungszeitpunkt fehlt. Vom Vorstellungsbild des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt kann aber aus den genannten Gründen die Berechtigung zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG abhängen. Damit ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht in diesem Fall den Schuldumfang unrichtig bestimmt hat.
33
c) Der Senat hebt auch die übrigen Einzelstrafen auf, da nicht auszuschließen ist, dass diese in ihrer Höhe durch die aufgehobenen Einzelstrafen im Ergebnis beeinflusst sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, wistra 2012, 236 und vom 16. Mai 1995 - 1 StR 117/95). Bei den dem Angeklagten zur Last liegenden Taten handelt es sich um eine Serie gleichartiger Taten, die in einem inneren Zusammenhang stehen.
34
Im Übrigen bestehen gegen die Strafzumessung auch deshalb Bedenken , weil das Landgerichtzum Nachteil des Angeklagten gewertet hat, dass er - außer hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2010 - mit direk- tem Vorsatz gehandelt habe, wobei er sich im Wissen um die Zusammenhänge gezielt aus eigenem Gewinnstreben dem Umsatzsteuerkarussellsystem angeschlossen habe. Aus den Ausführungen des Landgerichts wird nicht hinreichend deutlich, ob es insoweit allein auf die Vorsatzform abgehoben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1990 - 3 StR 313/90, BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4) oder - was erforderlich wäre - eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 - 1 StR 708/91, BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5; vgl. auch Schäfer/ Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618).
35
5. Zwar beruht die Teilaufhebung des Urteils allein auf Wertungsfehlern des Landgerichts. Da das Landgericht aber ausgehend von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz zum Vorstellungsbild des Angeklagten Feststellungen bezogen auf die falschen Zeitpunkte getroffen hat, bedarf es weiterer Feststellungen zu den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs in den Fällen VIII. 1. bis 3. und IX. der Urteilsgründe. Um dem neuen Tatgericht eine bruchlose und widerspruchsfreie Würdigung des Beweisergebnisses auf der Grundlage der für die maßgeblichen Zeitpunkte zu treffenden neuen Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat in den Fällen, in denen der Schuldspruch keinen Bestand hat, auch die zugrunde liegenden Feststellungen auf.
36
Aufzuheben sind daher die Feststellungen zu den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe einschließlich derjenigen zur Strafzumessung. Im Hinblick darauf, dass die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen vom fehlerhaften rechtlichen Ansatz der Strafkammer nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), bleiben diese jedoch aufrechterhalten. Ausgenommen sind die Feststellungen zur Höhe der Umsätze mit der Firma Me. im Jahr 2009, weil diese im Hinblick auf den Anteil der in den Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern im Verhältnis zu den Gesamtrechnungsbeträgen nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind (UA S. 12).
37
Soweit der Strafausspruch auch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe , in denen der Schuldspruch Bestand hat, und betreffend die Gesamtstrafe aufgehoben wird, bedarf es im Hinblick auf die allein vorliegenden Wertungsfehler keiner Aufhebungen von Feststellungen. Ausgenommen sind die bislang lückenhaften Feststellungen zu den Lieferungen der Firma Me. im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe.
38
Auch soweit die Feststellungen Bestand haben, darf das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen, die zu bisherigen nicht im Widerspruch stehen.
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher

(1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

1.
die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist;
2.
die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 eingeführt worden sind;
3.
die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen für sein Unternehmen, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb nach § 3d Satz 1 im Inland bewirkt wird;
4.
die Steuer für Leistungen im Sinne des § 13b Absatz 1 und 2, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Soweit die Steuer auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Leistungen entfällt, ist sie abziehbar, wenn die Zahlung geleistet worden ist;
5.
die nach § 13a Abs. 1 Nr. 6 geschuldete Steuer für Umsätze, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt.

(1a) Nicht abziehbar sind Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen, für die das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 7 oder des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gilt, entfallen. Dies gilt nicht für Bewirtungsaufwendungen, soweit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes einen Abzug angemessener und nachgewiesener Aufwendungen ausschließt.

(1b) Verwendet der Unternehmer ein Grundstück sowohl für Zwecke seines Unternehmens als auch für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb sowie für die sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit diesem Grundstück vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit sie nicht auf die Verwendung des Grundstücks für Zwecke des Unternehmens entfällt. Bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden ist Satz 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:

1.
steuerfreie Umsätze;
2.
Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden.
Gegenstände oder sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung einer Einfuhr oder eines innergemeinschaftlichen Erwerbs verwendet, sind den Umsätzen zuzurechnen, für die der eingeführte oder innergemeinschaftlich erworbene Gegenstand verwendet wird.

(3) Der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach Absatz 2 tritt nicht ein, wenn die Umsätze

1.
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1
a)
nach § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 oder nach den in § 26 Abs. 5 bezeichneten Vorschriften steuerfrei sind oder
b)
nach § 4 Nummer 8 Buchstabe a bis g, Nummer 10 oder Nummer 11 steuerfrei sind und sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden;
2.
in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2
a)
nach § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 oder nach den in § 26 Abs. 5 bezeichneten Vorschriften steuerfrei wären oder
b)
nach § 4 Nummer 8 Buchstabe a bis g, Nummer 10 oder Nummer 11 steuerfrei wären und der Leistungsempfänger im Drittlandsgebiet ansässig ist oder diese Umsätze sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden.

(4) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten, eingeführten oder innergemeinschaftlich erworbenen Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. In den Fällen des Absatzes 1b gelten die Sätze 1 bis 3 entsprechend.

(4a) Für Fahrzeuglieferer (§ 2a) gelten folgende Einschränkungen des Vorsteuerabzugs:

1.
Abziehbar ist nur die auf die Lieferung, die Einfuhr oder den innergemeinschaftlichen Erwerb des neuen Fahrzeugs entfallende Steuer.
2.
Die Steuer kann nur bis zu dem Betrag abgezogen werden, der für die Lieferung des neuen Fahrzeugs geschuldet würde, wenn die Lieferung nicht steuerfrei wäre.
3.
Die Steuer kann erst in dem Zeitpunkt abgezogen werden, in dem der Fahrzeuglieferer die innergemeinschaftliche Lieferung des neuen Fahrzeugs ausführt.

(4b) Für Unternehmer, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind und die nur Steuer nach § 13b Absatz 5, nur Steuer nach § 13b Absatz 5 und § 13a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 14c Absatz 1 oder nur Steuer nach § 13b Absatz 5 und § 13a Absatz 1 Nummer 4 schulden, gelten die Einschränkungen des § 18 Absatz 9 Satz 5 und 6 entsprechend.

(5) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen darüber treffen,

1.
in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für den Vorsteuerabzug auf eine Rechnung im Sinne des § 14 oder auf einzelne Angaben in der Rechnung verzichtet werden kann,
2.
unter welchen Voraussetzungen, für welchen Besteuerungszeitraum und in welchem Umfang zur Vereinfachung oder zur Vermeidung von Härten in den Fällen, in denen ein anderer als der Leistungsempfänger ein Entgelt gewährt (§ 10 Abs. 1 Satz 3), der andere den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann, und
3.
wann in Fällen von geringer steuerlicher Bedeutung zur Vereinfachung oder zur Vermeidung von Härten bei der Aufteilung der Vorsteuerbeträge (Absatz 4) Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, unberücksichtigt bleiben können oder von der Zurechnung von Vorsteuerbeträgen zu diesen Umsätzen abgesehen werden kann.

12
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling", Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f. und vom 18. Dezember 2014, Rechtssache C-131/13 u.a., Italmoda , DStR 2015, 573; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 19. November 2014 - 1 StR 219/14, wistra 2015, 147 und vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, NStZ 2014, 331 ff.).
9
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling“, Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f.; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, NStZ 2014, 331 ff. mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 312/13
vom
1. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Oktober 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Februar 2013 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zum Umfang der Lieferungen der Firma Me. im Jahr 2009 aufrechterhalten.

b) im Strafausspruch auch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe und hinsichtlich der Gesamtstrafe; von den zugehörigen Feststellungen werden lediglich diejenigen zu den Lieferungen der Firma Me. im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
a) Seit Oktober 2008 betätigte sich der Angeklagte zusammen mit dem gesondert verfolgten T. im Online-Handel mit Elektronikgeräten (vorwiegend mit Flachbildschirmfernsehern). Die Geschäfte betrieben sie zunächst über die von ihnen gemeinsam geführte Gesellschaft M. I. OHG (im Folgenden: M. OHG). Am 30. September 2010 gründeten sie dann die M. B. GmbH (im Folgenden : M. GmbH) mit identischem Geschäftszweck.
4
b) Beide Firmen waren seit Ende 2009 als sog. buffer in „Umsatzsteuer- hinterziehungssysteme“ eingebunden, die von verschiedenen Gruppierungen aus dem Großraum B. organisiert worden waren. Den Systemen zur Hinterziehung von Umsatzsteuer lag folgendes Muster zugrunde:
5
Unter Einbindung von Strohleuten gegründete Gesellschaften sollten gegen Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer Flachbildschirmfernseher an gewerbliche Abnehmer verkaufen und den vereinbarten Kaufpreis bei der Lieferung in bar entgegennehmen. Die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer sollte von diesen Gesellschaften entweder schon nicht angemeldet, zumindest aber nicht abgeführt werden. Bereits nach kurzer Zeit, möglichst vor Aufdeckung des Systems, sollten diese Firmen (sog. missing trader) ihre „ver- meintliche Gewerbetätigkeit“ wieder einstellen. Ziel war es, die Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer nicht auf einen einmaligen Liefervorgang zu beschränken, sondern die nachfolgenden Warenbewegungen des Abnehmers weiter zu kontrollieren und zu steuern, um wieder über die verkauften Geräte verfügen und diese erneut dem „Wirtschaftskreislauf“ zuführen zu können. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass der gewonnene Abnehmer (sog. buffer) durch lukrative Angebote von Scheinfirmen veranlasst werden sollte, die Fernseher im Rahmen vermeintlicher innergemeinschaftlicher Lieferungen umsatzsteuerfrei zu veräußern. Tatsächlich sollten die Geräte aber nicht ins innergemeinschaftliche Ausland verbracht werden, sondern in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben. Durch den hierdurch ermöglichten umsatzsteuerfreien Ankauf sollte es den die Warenbewegungen beherrschenden Personen ermög- licht werden, die Geräte sehr günstig erneut anzubieten. Für den „buffer“ brach- te die Teilnahme an diesem System den wirtschaftlichen Vorteil, dass er - aufgrund des umsatzsteuerfreien Ankaufs sowie der Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer durch den Lieferanten - Zugang zu konkurrenzlos günstigen Waren erhielt und trotzdem die von ihm gezahlte Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden als Vorsteuer geltend machen konnte.
6
c) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die von dem Angeklagten geleiteten Gesellschaften M. OHG und M. GmbH in mehreren derartigen Umsatzsteuerkarussellen, die nahtlos ineinander übergin- gen, jeweils die Funktion eines „buffers“. Gleichwohl machte der Angeklagte hinsichtlich solcher Geschäfte die in den an diese Gesellschaften gerichteten Rechnungen gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge in Steueranmeldungen gegenüber den Finanzbehörden als Vorsteuern geltend. In der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2009 betreffend die M. OHG führte dies zu einer Verminderung der Zahllast um 460.979,48 Euro (Fall IX. der Urteilsgründe ); aufgrund unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Juli 2010 und September 2010, Oktober 2010 für die M. OHGsowie betreffend die M. GmbH für Januar 2011 (Fälle VIII. 1. bis 10. der Urteilsgründe) kam es jeweils zur Verkürzung von Umsatzsteuer mit Erstattung geltend gemachter Vorsteuer bei einem Verkürzungsumfang von insgesamt 2.642.114 Euro. Das Finanzamt erteilte in den Fällen eines Vorsteuerüberhanges jeweils die erforderliche Zustimmung zur Auszahlung (vgl. § 168 S. 2 AO).
7
d) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte erst am 18. März 2010 die Einbindung der von ihm geleiteten Firmen in Umsatzsteuerkarusselle. Er beendete gleichwohl die Geschäftsbeziehung zu den Betreibern der Karussellsysteme nicht und nahm trotz seiner Erkenntnis, dass die Warenbewegungen innerhalb von Umsatzsteuerkarussellgeschäften stattfanden , in Umsatzsteuervoranmeldungen für die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer einen Vorsteuerabzug vor. Eine Berichtigung der für Januar 2010 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO nahm der Angeklagte nicht vor.
8
2. Das Landgericht hat die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung in den Fällen VIII. 2. bis 10. sowie IX.
der Urteilsgründe jeweils als Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gewertet. Zu den Zeitpunkten der Einreichung dieser Steueranmeldungen habe der Angeklagte gewusst, dass die von ihm geleiteten Firmen in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden gewesen seien und er deshalb mangels vorgenommener Lieferung keinen Vorsteuerabzug hätte geltend machen dürfen. Auf eine „Gutgläubigkeit“ des Angeklagten zum Zeitpunkt der Ausführung der Liefe- rungen für die Anmeldungszeiträume bis März 2010 komme es dabei nicht an, sie liege im Übrigen auch nicht vor, weil der Angeklagte hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt habe.
9
Zum Zeitpunkt der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für den Voranmeldungszeitraum Januar 2010 am 4. März 2010 (Fall VIII. 1. der Urteilsgründe ) sei der Angeklagte, anders als bei Abgabe der übrigen Erklärungen, zwar noch „gutgläubig“ gewesen. Weil er aber nachträglich die Einbindung in eine „Umsatzsteuerkette“ erkannt habe, habe für ihn die Verpflichtung bestan- den, eine berichtigende Erklärung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO abzugeben. Da er dieser Verpflichtung vorsätzlich nicht nachgekommen sei, habe er sich insoweit einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar gemacht.

II.


10
Die Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Rechtsfehlerfrei ist die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe (nachfolgend 1.). Demgegenüber wird der Schuldspruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe von den Feststellungen nicht getragen; das Landgericht ist insoweit hin- sichtlich der Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG von falschen Maßstäben ausgegangen (nachfolgend 2.). Ein Teilfreispruch kommt nicht in Betracht, weil möglich ist, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die auch in diesen Fällen einen Schuldspruch rechtfertigen können (nachfolgend 3.). Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand (nachfolgend 4.). Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nur insoweit, als diese von der fehlerhaften Rechtsanwendung betroffen sind, im Übrigen zur Ermöglichung widerspruchsfreier Feststellungen (nachfolgend 5.).
11
1. Der Schuldspruch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Denn die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen, dass der Angeklagte in diesen Fällen in den Steueranmeldungen für die M. OHG bzw. die M. GmbH zu Unrecht aus Eingangsrechnungen für die Lieferung von elektronischen Geräten einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, obwohl er bereits bei Bezug der Geräte wusste, dass die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG nicht vorlagen. Damit hat er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht, die zu einer Steuerverkürzung geführt haben (vgl. § 168 AO).
12
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.
13
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorgelegen haben. Insbesondere fällt eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht deshalb nachträglich weg, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren gekannt hätte. Auch wird er durch diese nachträgliche Kenntnis nicht rückwirkend zum Nichtunternehmer.
14
aa) Im Rahmen der Auslegung des § 15 UStG sind die dieser Vorschrift zugrunde liegende Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EU Nr. L 347 S. 1; im Folgenden : Mehrwertsteuersystemrichtlinie) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu beachten (sog. richtlinienkonforme Auslegung). Danach gilt Folgendes:
15
Bei dem in Art. 167 ff. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorgesehenen Recht zum Vorsteuerabzug handelt es sich um einem integralen Bestandteil des Mehrwertsteuersystems; es kann sofort ausgeübt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 in der Rechtssache C-285/11 „Bonik“, DStRE 2013, 803). Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterscheidet dabei zwischen der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug (Art. 167 i.V.m. Art. 63 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ) und der Ausübung dieses Rechts (Art. 178 f. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie). Nach Art. 167 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die ab- ziehbare Steuer entsteht. Dies ist nach Art. 63 der Richtlinie bereits dann der Fall, wenn die Lieferung oder die Dienstleistung bewirkt ist; lediglich die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts setzt zusätzlich den Besitz einer den Anforderungen des Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsprechenden Rechnung voraus (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-152/02 „Terra Baubedarf“ zu Art. 17, 18 der von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie abgelösten „Sechste(n) Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/EWG“, im Folgenden: Sechste Richtlinie 77/388/EWG).
16
bb) Aus der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts, zu dem die Lieferung oder sonstige Leistung bewirkt wird, für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug folgt, dass für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug die Verhältnisse bei Bezug der Leistung maßgebend sind (vgl. BFH, Urteil vom 13. Mai 2009 - XI R 84/07, BStBl II 2009, 868 unter Hinweis auf Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG; vgl. auch BFH, Urteile vom 18. April 2013 - V R 19/12, BFH/NV 2013, 1515 und vom 8. September 2011 - V R 43/10, BFHE 235, 501).
17
cc) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling“, Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f.; vgl. auch EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2012 in der Rechtssache C-285/11 „Bonik“, DStRE 2013, 803, Rn. 37 ff. und vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“, DStRE 2012, 1336 Rn. 42, 45). Demgegenüber wäre es nach der Rechtsprechung des EuGH mit den Regelungen über den Vorsteuerabzug in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Leistenden begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausging oder nachfolgte, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts mit einer Sanktion zu belegen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“,DStRE 2012, 1336 Rn. 47 mwN). Denn Wirtschaftsteilnehmer , die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, dürfen auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Mai 2006 in der Rechtssache C-384/04 „Federation of Technological Industries u.a.“, Slg. 2006 I-4191 Rn. 33).
18
c) Gemessen an diesen sich aus dem Unionsrecht ergebenden Maßstäben hat es für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug keine Bedeutung, ob der Leistungsempfänger, der eine Lieferung noch „in gutem Glauben“ erhalten hat, nachträglich erkennt, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine anderweit begangene „Mehrwertsteuerhinterziehung“ einbezogen war. Es verstieße auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94 „Inzo“, Slg. 1996 I-857 Rn. 21), wenn einem Unternehmer, der von solchen Umständen zum Zeitpunkt des Leistungsbezuges weder wusste noch hätte wissen müssen, wegen nachträglich eingetretener „Bösgläubigkeit“ rückwirkend das Recht auf den Vorsteuerabzug entzogen werden könnte.
19
d) Trotz des unrichtigen rechtlichen Ansatzes des Landgerichts tragen die Feststellungen in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe den Schuldspruch der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Denn die Urteilsfeststellungen belegen, dass dem Angeklagten bereits seit dem 18. März 2010 und damit in diesen Fällen auch schon beim Warenbezug bekannt war, dass die von ihm geleitete Firma M. OHG (und später auch die M. GmbH) in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen war und die Waren von „missing tradern“ bzw. einem „buffer“ erhalten hatte. Damit fehlte es in diesen Fällen an einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Lieferung an diese Unternehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10, wistra 2011, 264). Indem der Angeklagte in diesen Fällen gleichwohl in den Steueranmeldungen einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, hat er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben gemacht.
20
e) Soweit der Angeklagte für September 2010 (Fall VIII. 8. der Urteilsgründe ) einen Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma Me. in Höhe von 11.337,68 Euro vorgenommen hat, ist den Feststellungen jedoch nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob die Voraussetzungen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs vorgelegen haben. Denn das Landgericht hat festgestellt, dass die Lieferbeziehung zu dieser Firma bereits im Februar 2010 (UA S. 13) und damit zu einem Zeitpunkt beendet wurde, als der Angeklagte nach den Feststellungen noch keine Kenntnis von der Einbindung der M. OHG in ein „Umsatzsteuerhinterziehungssystem“ hatte. Es ist daher nicht auszu- schließen, dass sich der Vorsteuerabzug insoweit auf Geschäftsvorfälle vor dem 18. März 2010 bezieht. Dies lässt den Schuldspruch jedoch unberührt, weil die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte in der Umsatzsteuervoranmeldung für September 2010 einen unberechtigten Vorsteuerabzug in Höhe von 12.112,50 Euro aus einer Rechnung der Firma H. über eine Lieferung im Juni 2010 vorgenommen hat (UA S. 19).
21
2. Der Schuldspruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Auch in den Fällen VIII. 2. und 3. sowie IX. der Urteilsgründe hat das Landgericht bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorgelegen haben, zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Einreichung der jeweiligen Steueranmeldung abgestellt, in welcher der Angeklagte den entsprechenden Vorsteuerabzug vorgenommen hat. Maßgeblich für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug war auch hier allein der jeweilige Zeitpunkt des Warenbezugs. Dieser lag aber in diesen Fällen jeweils vor dem 18. März 2010, dem Tag, an dem der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die Einbindung der M. OHG in Hinterziehungsstrukturen erkannte.
23
Tragfähige Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten beim jeweiligen Warenbezug, die in diesen Fällen die Versagung des Vorsteuerabzugs zweifelsfrei rechtfertigen würden, enthalten die Urteilsgründe nicht. Allein der Umstand, dass sich die M. OHG beim Erwerb der Fernseher objektiv an Umsätzen beteiligte, die in Umsatzsteuerhinterziehungen von „missing tradern“ einbezogen waren, rechtfertigt die Versagung des Vor- steuerabzugs nicht. Vielmehr kommt - wie dargelegt - nach der Rechtsprechung des EuGH in solchen Fällen die Versagung des Vorsteuerabzugs nur dann in Betracht, wenn der Leistungsempfänger weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogenen Umsatz beteiligt. Ob dies der Fall ist, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“, DStRE 2012, 1336), die vom Tatgericht in einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu würdigen sind. Daran fehlt es hier.
24
Das Landgericht hat zwar hilfsweise ausgeführt, dass der Angeklagte auch jeweils zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht „gutgläubig“ gewesen sei, weil er „die Unrichtigkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung“ zu diesem Zeit- punkt bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können. Dies wird jedoch nicht näher belegt. Der Senat kann die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände nicht nachholen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 1999 - 1 StR 390/99, NStZ 1999, 607). Eine Fallgestaltung, in der bereits auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ohnehin lediglich ein rechtlich vertretbares Ergebnis möglich ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657), liegt nicht vor.
25
b) Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Fall VIII. 1. der Urteilsgründe kann gleichfalls keinen Bestand haben.
26
aa) Das Landgericht hat den die Strafbarkeit begründenden Pflichtverstoß darin gesehen, dass der Angeklagte die für Januar 2010 abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung nicht gemäß § 153 Abs. 1 AO berichtigt habe, obwohl er nachträglich erkannt habe, dass der dort geltend gemachte Vorsteuerabzug unberechtigt gewesen sei.
27
bb) Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hat der Steuerpflichtige, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.
28
cc) Das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Anzeige- und Berichtigungspflicht wird hier jedoch durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt. Denn die für Januar 2010 von dem Angeklagten eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung wäre nur dann unrichtig, wenn die Voraussetzungen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs schon beim Warenbezug gegeben waren. Dies belegen die Urteilsfeststellungen indes nicht, zumal da das Landgericht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Versagung des Vorsteuerabzugs zu Unrecht nicht auf das Vorstellungsbild des Angeklagten beim Warenbezug, sondern auf dasjenige bei Einreichung der Steueranmeldungen abgestellt hat.
29
3. Ein Teilfreispruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. und IX. der Urteilsgründe kommt nicht in Betracht, da es noch möglich erscheint, dass Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten beim Warenbezug getroffen werden können, die auch insoweit eine Verurteilung rechtfertigen (vgl. auch BGH, Urteile vom 26. Juli 2012 - 1 StR 492/11, wistra 2012, 477 und vom 7. März 1995 - 1 StR 523/94, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 1). Das Landgericht hat - wie dargelegt - selbst darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte dafür bestehen , dass der Angeklagte schon vor dem 18. März 2010 die „Unrichtigkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung hätte erkennen können“. Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) kommt dabei nur in Betracht, wenn mindestens bedingter Hinterziehungsvorsatz vorliegt; für den Ordnungswidrig- keitentatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) genügt Leichtfertigkeit.
30
4. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
31
a) Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen VIII.1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen und zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
32
b) Der Einzelstrafausspruch im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe ist schon deswegen aufzuheben, weil es zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma Me. an Feststellungen zum zugrunde liegenden Leistungszeitpunkt fehlt. Vom Vorstellungsbild des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt kann aber aus den genannten Gründen die Berechtigung zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG abhängen. Damit ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht in diesem Fall den Schuldumfang unrichtig bestimmt hat.
33
c) Der Senat hebt auch die übrigen Einzelstrafen auf, da nicht auszuschließen ist, dass diese in ihrer Höhe durch die aufgehobenen Einzelstrafen im Ergebnis beeinflusst sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, wistra 2012, 236 und vom 16. Mai 1995 - 1 StR 117/95). Bei den dem Angeklagten zur Last liegenden Taten handelt es sich um eine Serie gleichartiger Taten, die in einem inneren Zusammenhang stehen.
34
Im Übrigen bestehen gegen die Strafzumessung auch deshalb Bedenken , weil das Landgerichtzum Nachteil des Angeklagten gewertet hat, dass er - außer hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2010 - mit direk- tem Vorsatz gehandelt habe, wobei er sich im Wissen um die Zusammenhänge gezielt aus eigenem Gewinnstreben dem Umsatzsteuerkarussellsystem angeschlossen habe. Aus den Ausführungen des Landgerichts wird nicht hinreichend deutlich, ob es insoweit allein auf die Vorsatzform abgehoben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1990 - 3 StR 313/90, BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4) oder - was erforderlich wäre - eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 - 1 StR 708/91, BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5; vgl. auch Schäfer/ Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618).
35
5. Zwar beruht die Teilaufhebung des Urteils allein auf Wertungsfehlern des Landgerichts. Da das Landgericht aber ausgehend von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz zum Vorstellungsbild des Angeklagten Feststellungen bezogen auf die falschen Zeitpunkte getroffen hat, bedarf es weiterer Feststellungen zu den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs in den Fällen VIII. 1. bis 3. und IX. der Urteilsgründe. Um dem neuen Tatgericht eine bruchlose und widerspruchsfreie Würdigung des Beweisergebnisses auf der Grundlage der für die maßgeblichen Zeitpunkte zu treffenden neuen Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat in den Fällen, in denen der Schuldspruch keinen Bestand hat, auch die zugrunde liegenden Feststellungen auf.
36
Aufzuheben sind daher die Feststellungen zu den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe einschließlich derjenigen zur Strafzumessung. Im Hinblick darauf, dass die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen vom fehlerhaften rechtlichen Ansatz der Strafkammer nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), bleiben diese jedoch aufrechterhalten. Ausgenommen sind die Feststellungen zur Höhe der Umsätze mit der Firma Me. im Jahr 2009, weil diese im Hinblick auf den Anteil der in den Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern im Verhältnis zu den Gesamtrechnungsbeträgen nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind (UA S. 12).
37
Soweit der Strafausspruch auch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe , in denen der Schuldspruch Bestand hat, und betreffend die Gesamtstrafe aufgehoben wird, bedarf es im Hinblick auf die allein vorliegenden Wertungsfehler keiner Aufhebungen von Feststellungen. Ausgenommen sind die bislang lückenhaften Feststellungen zu den Lieferungen der Firma Me. im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe.
38
Auch soweit die Feststellungen Bestand haben, darf das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen, die zu bisherigen nicht im Widerspruch stehen.
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher
12
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling", Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f. und vom 18. Dezember 2014, Rechtssache C-131/13 u.a., Italmoda , DStR 2015, 573; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 19. November 2014 - 1 StR 219/14, wistra 2015, 147 und vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, NStZ 2014, 331 ff.).
9
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling“, Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f.; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, NStZ 2014, 331 ff. mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 312/13
vom
1. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Oktober 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Februar 2013 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zum Umfang der Lieferungen der Firma Me. im Jahr 2009 aufrechterhalten.

b) im Strafausspruch auch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe und hinsichtlich der Gesamtstrafe; von den zugehörigen Feststellungen werden lediglich diejenigen zu den Lieferungen der Firma Me. im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
a) Seit Oktober 2008 betätigte sich der Angeklagte zusammen mit dem gesondert verfolgten T. im Online-Handel mit Elektronikgeräten (vorwiegend mit Flachbildschirmfernsehern). Die Geschäfte betrieben sie zunächst über die von ihnen gemeinsam geführte Gesellschaft M. I. OHG (im Folgenden: M. OHG). Am 30. September 2010 gründeten sie dann die M. B. GmbH (im Folgenden : M. GmbH) mit identischem Geschäftszweck.
4
b) Beide Firmen waren seit Ende 2009 als sog. buffer in „Umsatzsteuer- hinterziehungssysteme“ eingebunden, die von verschiedenen Gruppierungen aus dem Großraum B. organisiert worden waren. Den Systemen zur Hinterziehung von Umsatzsteuer lag folgendes Muster zugrunde:
5
Unter Einbindung von Strohleuten gegründete Gesellschaften sollten gegen Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer Flachbildschirmfernseher an gewerbliche Abnehmer verkaufen und den vereinbarten Kaufpreis bei der Lieferung in bar entgegennehmen. Die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer sollte von diesen Gesellschaften entweder schon nicht angemeldet, zumindest aber nicht abgeführt werden. Bereits nach kurzer Zeit, möglichst vor Aufdeckung des Systems, sollten diese Firmen (sog. missing trader) ihre „ver- meintliche Gewerbetätigkeit“ wieder einstellen. Ziel war es, die Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer nicht auf einen einmaligen Liefervorgang zu beschränken, sondern die nachfolgenden Warenbewegungen des Abnehmers weiter zu kontrollieren und zu steuern, um wieder über die verkauften Geräte verfügen und diese erneut dem „Wirtschaftskreislauf“ zuführen zu können. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass der gewonnene Abnehmer (sog. buffer) durch lukrative Angebote von Scheinfirmen veranlasst werden sollte, die Fernseher im Rahmen vermeintlicher innergemeinschaftlicher Lieferungen umsatzsteuerfrei zu veräußern. Tatsächlich sollten die Geräte aber nicht ins innergemeinschaftliche Ausland verbracht werden, sondern in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben. Durch den hierdurch ermöglichten umsatzsteuerfreien Ankauf sollte es den die Warenbewegungen beherrschenden Personen ermög- licht werden, die Geräte sehr günstig erneut anzubieten. Für den „buffer“ brach- te die Teilnahme an diesem System den wirtschaftlichen Vorteil, dass er - aufgrund des umsatzsteuerfreien Ankaufs sowie der Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer durch den Lieferanten - Zugang zu konkurrenzlos günstigen Waren erhielt und trotzdem die von ihm gezahlte Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden als Vorsteuer geltend machen konnte.
6
c) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die von dem Angeklagten geleiteten Gesellschaften M. OHG und M. GmbH in mehreren derartigen Umsatzsteuerkarussellen, die nahtlos ineinander übergin- gen, jeweils die Funktion eines „buffers“. Gleichwohl machte der Angeklagte hinsichtlich solcher Geschäfte die in den an diese Gesellschaften gerichteten Rechnungen gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge in Steueranmeldungen gegenüber den Finanzbehörden als Vorsteuern geltend. In der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2009 betreffend die M. OHG führte dies zu einer Verminderung der Zahllast um 460.979,48 Euro (Fall IX. der Urteilsgründe ); aufgrund unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Juli 2010 und September 2010, Oktober 2010 für die M. OHGsowie betreffend die M. GmbH für Januar 2011 (Fälle VIII. 1. bis 10. der Urteilsgründe) kam es jeweils zur Verkürzung von Umsatzsteuer mit Erstattung geltend gemachter Vorsteuer bei einem Verkürzungsumfang von insgesamt 2.642.114 Euro. Das Finanzamt erteilte in den Fällen eines Vorsteuerüberhanges jeweils die erforderliche Zustimmung zur Auszahlung (vgl. § 168 S. 2 AO).
7
d) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte erst am 18. März 2010 die Einbindung der von ihm geleiteten Firmen in Umsatzsteuerkarusselle. Er beendete gleichwohl die Geschäftsbeziehung zu den Betreibern der Karussellsysteme nicht und nahm trotz seiner Erkenntnis, dass die Warenbewegungen innerhalb von Umsatzsteuerkarussellgeschäften stattfanden , in Umsatzsteuervoranmeldungen für die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer einen Vorsteuerabzug vor. Eine Berichtigung der für Januar 2010 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO nahm der Angeklagte nicht vor.
8
2. Das Landgericht hat die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung in den Fällen VIII. 2. bis 10. sowie IX.
der Urteilsgründe jeweils als Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gewertet. Zu den Zeitpunkten der Einreichung dieser Steueranmeldungen habe der Angeklagte gewusst, dass die von ihm geleiteten Firmen in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden gewesen seien und er deshalb mangels vorgenommener Lieferung keinen Vorsteuerabzug hätte geltend machen dürfen. Auf eine „Gutgläubigkeit“ des Angeklagten zum Zeitpunkt der Ausführung der Liefe- rungen für die Anmeldungszeiträume bis März 2010 komme es dabei nicht an, sie liege im Übrigen auch nicht vor, weil der Angeklagte hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt habe.
9
Zum Zeitpunkt der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für den Voranmeldungszeitraum Januar 2010 am 4. März 2010 (Fall VIII. 1. der Urteilsgründe ) sei der Angeklagte, anders als bei Abgabe der übrigen Erklärungen, zwar noch „gutgläubig“ gewesen. Weil er aber nachträglich die Einbindung in eine „Umsatzsteuerkette“ erkannt habe, habe für ihn die Verpflichtung bestan- den, eine berichtigende Erklärung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO abzugeben. Da er dieser Verpflichtung vorsätzlich nicht nachgekommen sei, habe er sich insoweit einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar gemacht.

II.


10
Die Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Rechtsfehlerfrei ist die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe (nachfolgend 1.). Demgegenüber wird der Schuldspruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe von den Feststellungen nicht getragen; das Landgericht ist insoweit hin- sichtlich der Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG von falschen Maßstäben ausgegangen (nachfolgend 2.). Ein Teilfreispruch kommt nicht in Betracht, weil möglich ist, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die auch in diesen Fällen einen Schuldspruch rechtfertigen können (nachfolgend 3.). Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand (nachfolgend 4.). Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nur insoweit, als diese von der fehlerhaften Rechtsanwendung betroffen sind, im Übrigen zur Ermöglichung widerspruchsfreier Feststellungen (nachfolgend 5.).
11
1. Der Schuldspruch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Denn die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen, dass der Angeklagte in diesen Fällen in den Steueranmeldungen für die M. OHG bzw. die M. GmbH zu Unrecht aus Eingangsrechnungen für die Lieferung von elektronischen Geräten einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, obwohl er bereits bei Bezug der Geräte wusste, dass die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG nicht vorlagen. Damit hat er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht, die zu einer Steuerverkürzung geführt haben (vgl. § 168 AO).
12
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.
13
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorgelegen haben. Insbesondere fällt eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht deshalb nachträglich weg, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren gekannt hätte. Auch wird er durch diese nachträgliche Kenntnis nicht rückwirkend zum Nichtunternehmer.
14
aa) Im Rahmen der Auslegung des § 15 UStG sind die dieser Vorschrift zugrunde liegende Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EU Nr. L 347 S. 1; im Folgenden : Mehrwertsteuersystemrichtlinie) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu beachten (sog. richtlinienkonforme Auslegung). Danach gilt Folgendes:
15
Bei dem in Art. 167 ff. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorgesehenen Recht zum Vorsteuerabzug handelt es sich um einem integralen Bestandteil des Mehrwertsteuersystems; es kann sofort ausgeübt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 in der Rechtssache C-285/11 „Bonik“, DStRE 2013, 803). Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterscheidet dabei zwischen der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug (Art. 167 i.V.m. Art. 63 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ) und der Ausübung dieses Rechts (Art. 178 f. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie). Nach Art. 167 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die ab- ziehbare Steuer entsteht. Dies ist nach Art. 63 der Richtlinie bereits dann der Fall, wenn die Lieferung oder die Dienstleistung bewirkt ist; lediglich die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts setzt zusätzlich den Besitz einer den Anforderungen des Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsprechenden Rechnung voraus (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-152/02 „Terra Baubedarf“ zu Art. 17, 18 der von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie abgelösten „Sechste(n) Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/EWG“, im Folgenden: Sechste Richtlinie 77/388/EWG).
16
bb) Aus der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts, zu dem die Lieferung oder sonstige Leistung bewirkt wird, für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug folgt, dass für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug die Verhältnisse bei Bezug der Leistung maßgebend sind (vgl. BFH, Urteil vom 13. Mai 2009 - XI R 84/07, BStBl II 2009, 868 unter Hinweis auf Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG; vgl. auch BFH, Urteile vom 18. April 2013 - V R 19/12, BFH/NV 2013, 1515 und vom 8. September 2011 - V R 43/10, BFHE 235, 501).
17
cc) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige - im unionsrechtlichen Sinne - selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling“, Slg. 2006, I-6161, Rn. 53, 55 f.; vgl. auch EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2012 in der Rechtssache C-285/11 „Bonik“, DStRE 2013, 803, Rn. 37 ff. und vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“, DStRE 2012, 1336 Rn. 42, 45). Demgegenüber wäre es nach der Rechtsprechung des EuGH mit den Regelungen über den Vorsteuerabzug in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Leistenden begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausging oder nachfolgte, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts mit einer Sanktion zu belegen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“,DStRE 2012, 1336 Rn. 47 mwN). Denn Wirtschaftsteilnehmer , die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, dürfen auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Mai 2006 in der Rechtssache C-384/04 „Federation of Technological Industries u.a.“, Slg. 2006 I-4191 Rn. 33).
18
c) Gemessen an diesen sich aus dem Unionsrecht ergebenden Maßstäben hat es für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug keine Bedeutung, ob der Leistungsempfänger, der eine Lieferung noch „in gutem Glauben“ erhalten hat, nachträglich erkennt, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine anderweit begangene „Mehrwertsteuerhinterziehung“ einbezogen war. Es verstieße auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94 „Inzo“, Slg. 1996 I-857 Rn. 21), wenn einem Unternehmer, der von solchen Umständen zum Zeitpunkt des Leistungsbezuges weder wusste noch hätte wissen müssen, wegen nachträglich eingetretener „Bösgläubigkeit“ rückwirkend das Recht auf den Vorsteuerabzug entzogen werden könnte.
19
d) Trotz des unrichtigen rechtlichen Ansatzes des Landgerichts tragen die Feststellungen in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe den Schuldspruch der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Denn die Urteilsfeststellungen belegen, dass dem Angeklagten bereits seit dem 18. März 2010 und damit in diesen Fällen auch schon beim Warenbezug bekannt war, dass die von ihm geleitete Firma M. OHG (und später auch die M. GmbH) in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen war und die Waren von „missing tradern“ bzw. einem „buffer“ erhalten hatte. Damit fehlte es in diesen Fällen an einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Lieferung an diese Unternehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10, wistra 2011, 264). Indem der Angeklagte in diesen Fällen gleichwohl in den Steueranmeldungen einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, hat er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben gemacht.
20
e) Soweit der Angeklagte für September 2010 (Fall VIII. 8. der Urteilsgründe ) einen Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma Me. in Höhe von 11.337,68 Euro vorgenommen hat, ist den Feststellungen jedoch nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob die Voraussetzungen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs vorgelegen haben. Denn das Landgericht hat festgestellt, dass die Lieferbeziehung zu dieser Firma bereits im Februar 2010 (UA S. 13) und damit zu einem Zeitpunkt beendet wurde, als der Angeklagte nach den Feststellungen noch keine Kenntnis von der Einbindung der M. OHG in ein „Umsatzsteuerhinterziehungssystem“ hatte. Es ist daher nicht auszu- schließen, dass sich der Vorsteuerabzug insoweit auf Geschäftsvorfälle vor dem 18. März 2010 bezieht. Dies lässt den Schuldspruch jedoch unberührt, weil die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte in der Umsatzsteuervoranmeldung für September 2010 einen unberechtigten Vorsteuerabzug in Höhe von 12.112,50 Euro aus einer Rechnung der Firma H. über eine Lieferung im Juni 2010 vorgenommen hat (UA S. 19).
21
2. Der Schuldspruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Auch in den Fällen VIII. 2. und 3. sowie IX. der Urteilsgründe hat das Landgericht bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorgelegen haben, zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Einreichung der jeweiligen Steueranmeldung abgestellt, in welcher der Angeklagte den entsprechenden Vorsteuerabzug vorgenommen hat. Maßgeblich für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug war auch hier allein der jeweilige Zeitpunkt des Warenbezugs. Dieser lag aber in diesen Fällen jeweils vor dem 18. März 2010, dem Tag, an dem der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die Einbindung der M. OHG in Hinterziehungsstrukturen erkannte.
23
Tragfähige Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten beim jeweiligen Warenbezug, die in diesen Fällen die Versagung des Vorsteuerabzugs zweifelsfrei rechtfertigen würden, enthalten die Urteilsgründe nicht. Allein der Umstand, dass sich die M. OHG beim Erwerb der Fernseher objektiv an Umsätzen beteiligte, die in Umsatzsteuerhinterziehungen von „missing tradern“ einbezogen waren, rechtfertigt die Versagung des Vor- steuerabzugs nicht. Vielmehr kommt - wie dargelegt - nach der Rechtsprechung des EuGH in solchen Fällen die Versagung des Vorsteuerabzugs nur dann in Betracht, wenn der Leistungsempfänger weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogenen Umsatz beteiligt. Ob dies der Fall ist, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 in den Rechtssachen C-80/11 und C-142/11 „Mahagében und Dávid“, DStRE 2012, 1336), die vom Tatgericht in einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu würdigen sind. Daran fehlt es hier.
24
Das Landgericht hat zwar hilfsweise ausgeführt, dass der Angeklagte auch jeweils zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht „gutgläubig“ gewesen sei, weil er „die Unrichtigkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung“ zu diesem Zeit- punkt bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können. Dies wird jedoch nicht näher belegt. Der Senat kann die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände nicht nachholen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 1999 - 1 StR 390/99, NStZ 1999, 607). Eine Fallgestaltung, in der bereits auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ohnehin lediglich ein rechtlich vertretbares Ergebnis möglich ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657), liegt nicht vor.
25
b) Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Fall VIII. 1. der Urteilsgründe kann gleichfalls keinen Bestand haben.
26
aa) Das Landgericht hat den die Strafbarkeit begründenden Pflichtverstoß darin gesehen, dass der Angeklagte die für Januar 2010 abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung nicht gemäß § 153 Abs. 1 AO berichtigt habe, obwohl er nachträglich erkannt habe, dass der dort geltend gemachte Vorsteuerabzug unberechtigt gewesen sei.
27
bb) Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hat der Steuerpflichtige, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.
28
cc) Das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Anzeige- und Berichtigungspflicht wird hier jedoch durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt. Denn die für Januar 2010 von dem Angeklagten eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung wäre nur dann unrichtig, wenn die Voraussetzungen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs schon beim Warenbezug gegeben waren. Dies belegen die Urteilsfeststellungen indes nicht, zumal da das Landgericht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Versagung des Vorsteuerabzugs zu Unrecht nicht auf das Vorstellungsbild des Angeklagten beim Warenbezug, sondern auf dasjenige bei Einreichung der Steueranmeldungen abgestellt hat.
29
3. Ein Teilfreispruch in den Fällen VIII. 1. bis 3. und IX. der Urteilsgründe kommt nicht in Betracht, da es noch möglich erscheint, dass Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten beim Warenbezug getroffen werden können, die auch insoweit eine Verurteilung rechtfertigen (vgl. auch BGH, Urteile vom 26. Juli 2012 - 1 StR 492/11, wistra 2012, 477 und vom 7. März 1995 - 1 StR 523/94, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 1). Das Landgericht hat - wie dargelegt - selbst darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte dafür bestehen , dass der Angeklagte schon vor dem 18. März 2010 die „Unrichtigkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung hätte erkennen können“. Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) kommt dabei nur in Betracht, wenn mindestens bedingter Hinterziehungsvorsatz vorliegt; für den Ordnungswidrig- keitentatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) genügt Leichtfertigkeit.
30
4. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
31
a) Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen VIII.1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen und zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
32
b) Der Einzelstrafausspruch im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe ist schon deswegen aufzuheben, weil es zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma Me. an Feststellungen zum zugrunde liegenden Leistungszeitpunkt fehlt. Vom Vorstellungsbild des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt kann aber aus den genannten Gründen die Berechtigung zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG abhängen. Damit ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht in diesem Fall den Schuldumfang unrichtig bestimmt hat.
33
c) Der Senat hebt auch die übrigen Einzelstrafen auf, da nicht auszuschließen ist, dass diese in ihrer Höhe durch die aufgehobenen Einzelstrafen im Ergebnis beeinflusst sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, wistra 2012, 236 und vom 16. Mai 1995 - 1 StR 117/95). Bei den dem Angeklagten zur Last liegenden Taten handelt es sich um eine Serie gleichartiger Taten, die in einem inneren Zusammenhang stehen.
34
Im Übrigen bestehen gegen die Strafzumessung auch deshalb Bedenken , weil das Landgerichtzum Nachteil des Angeklagten gewertet hat, dass er - außer hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2010 - mit direk- tem Vorsatz gehandelt habe, wobei er sich im Wissen um die Zusammenhänge gezielt aus eigenem Gewinnstreben dem Umsatzsteuerkarussellsystem angeschlossen habe. Aus den Ausführungen des Landgerichts wird nicht hinreichend deutlich, ob es insoweit allein auf die Vorsatzform abgehoben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1990 - 3 StR 313/90, BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4) oder - was erforderlich wäre - eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 - 1 StR 708/91, BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5; vgl. auch Schäfer/ Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618).
35
5. Zwar beruht die Teilaufhebung des Urteils allein auf Wertungsfehlern des Landgerichts. Da das Landgericht aber ausgehend von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz zum Vorstellungsbild des Angeklagten Feststellungen bezogen auf die falschen Zeitpunkte getroffen hat, bedarf es weiterer Feststellungen zu den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs in den Fällen VIII. 1. bis 3. und IX. der Urteilsgründe. Um dem neuen Tatgericht eine bruchlose und widerspruchsfreie Würdigung des Beweisergebnisses auf der Grundlage der für die maßgeblichen Zeitpunkte zu treffenden neuen Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat in den Fällen, in denen der Schuldspruch keinen Bestand hat, auch die zugrunde liegenden Feststellungen auf.
36
Aufzuheben sind daher die Feststellungen zu den Fällen VIII. 1. bis 3. sowie IX. der Urteilsgründe einschließlich derjenigen zur Strafzumessung. Im Hinblick darauf, dass die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen vom fehlerhaften rechtlichen Ansatz der Strafkammer nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), bleiben diese jedoch aufrechterhalten. Ausgenommen sind die Feststellungen zur Höhe der Umsätze mit der Firma Me. im Jahr 2009, weil diese im Hinblick auf den Anteil der in den Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern im Verhältnis zu den Gesamtrechnungsbeträgen nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind (UA S. 12).
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Soweit der Strafausspruch auch in den Fällen VIII. 4. bis 10. der Urteilsgründe , in denen der Schuldspruch Bestand hat, und betreffend die Gesamtstrafe aufgehoben wird, bedarf es im Hinblick auf die allein vorliegenden Wertungsfehler keiner Aufhebungen von Feststellungen. Ausgenommen sind die bislang lückenhaften Feststellungen zu den Lieferungen der Firma Me. im Fall VIII. 8. der Urteilsgründe.
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Auch soweit die Feststellungen Bestand haben, darf das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen, die zu bisherigen nicht im Widerspruch stehen.
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.