Bundesfinanzhof Beschluss, 21. Sept. 2015 - X B 58/15
Gericht
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 12. Februar 2015 4 K 1034/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2006 bis 2010 aus einer Bäckerei Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Rahmen einer Fahndungsprüfung wurde am 20. September 2011 seine Wohnung durchsucht. Dabei wurden zwei Tafelkalender für das Jahr 2011 aufgefunden. Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen, dass in einem dieser Tafelkalender ("dreispaltiger Tafelkalender") die tatsächlich erzielten Bruttoerlöse aufgeführt sind und der Kläger in seinen Steuererklärungen und Umsatzsteuer-Voranmeldungen geringere Beträge angegeben hat.
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Am 22. September 2011 kam es in den Räumen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) zu einer tatsächlichen Verständigung zwischen den Beteiligten, bei der der Kläger nicht durch einen rechtlichen oder steuerlichen Berater begleitet wurde. Auf dem ersten Blatt dieser tatsächlichen Verständigung heißt es u.a.: "Im Rahmen der Durchsuchung am 20.09.11 wurden bei dem Steuerpflichtigen zwei Tafelkalender 2011 sichergestellt, aus denen die tatsächlichen Einnahmen im laufenden Jahr ersichtlich sind. Im ersten Halbjahr 2011 wurden demnach die Betriebseinnahmen um 78.779,71 zu niedrig verbucht, somit um 24 % der tatsächlichen Umsatzerlöse; Dies entspricht 32 % der erklärten Beträge." Weitere Angaben zu den Verhältnissen des Jahres 2011 enthält die Niederschrift über die tatsächliche Verständigung nicht.
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Der genannte Betrag von 78.779,71 € ist vom FA wie folgt ermittelt worden:
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Bruttoerlöse Januar bis Juli 2011 lt. Aufzeichnungen im Tafelkalender
327.104,50 €
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abzüglich Bruttoerlöse Januar bis Juni 2011 lt. Umsatzsteuer-Voranmeldungen
./. 248.324,79 €
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Differenz (hinterzogener Betrag)
78.779,71 €
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hinterzogener Betrag in Prozent der erklärten Erlöse
31,72 %
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Hätte das FA hingegen auf beiden Seiten der Rechnung einheitlich die auf den Zeitraum Januar bis Juni 2011 entfallenden Beträge angesetzt, hätte sich nach dem dreispaltigen Tafelkalender ein tatsächlicher Erlös von 276.119,50 €, ein hinterzogener Differenzbetrag von 27.794,71 € und ein Prozentsatz von 11,19 % ergeben.
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Auf dem zweiten Blatt der tatsächlichen Verständigung hat das FA dann für die Streitjahre 2006 bis 2010 die "veranlagten" Erlöse mit den Erlösen "lt. FP" verglichen. Wie die Erlöse "lt. FP" ermittelt worden sind, geht aus der Niederschrift nicht hervor. Das FA hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) vorgetragen, die erklärten Erlöse seien um 30,53 % erhöht worden.
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Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Steuer sei nicht korrekt berechnet worden. Ferner bat er um Herausgabe der beschlagnahmten Unterlagen, um deren Nachprüfung "durch einen Fachmann" zu ermöglichen. Das FA wies den Einspruch unter Verweis auf die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung zurück. Eine Herausgabe von Unterlagen komme bis zum Abschluss des --parallel betriebenen-- Strafverfahrens nicht in Betracht.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem FG machte der --weiterhin nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene-- Kläger geltend, er habe für die Monate Januar bis Juni 2011 "ungefähr 248.000 €" Umsätze erklärt, sein "richtiger" Umsatz habe sich auf "ungefähr 276.000 €" belaufen. Das FA sei aber von einem Betrag in Höhe von 327.000 € ausgegangen.
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Das FG wies die Klage ab. Die tatsächliche Verständigung sei bindend; insbesondere führe sie nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Der Vergleich der im "dreispaltigen Kalender" aufgezeichneten Erlöse mit denen aus dem "zweispaltigen Kalender" sei sachgerecht.
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Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel.
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Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet.
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Die vom Kläger gerügten Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und die Pflicht, die Entscheidung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen (§ 96 Abs. 1 FGO) verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.
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1. Der Kläger rügt sinngemäß, das FG hätte sich mit dem Rechenwerk des FA sowie den vom Kläger aufgezeigten --tatsächlich bestehenden-- Widersprüchen in diesem Rechenwerk befassen müssen. Hätte es dies getan, hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die tatsächliche Verständigung zwar binde, aber in der Weise anzuwenden sei, dass von einem hinterzogenen Betrag in Höhe von 11 % der erklärten Erlöse auszugehen sei.
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Mit diesem Begehren kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Das FG ist in rechtlicher Hinsicht --insoweit zutreffend-- von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgegangen, wonach eine tatsächliche Verständigung nicht bindend ist, wenn sie zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354, unter 3.c). Hätte das FG die erheblichen Unstimmigkeiten in den vom FA angenommenen Grundlagen der tatsächlichen Verständigung erkannt, hätten dem FG auf der Basis seiner eigenen Rechtsauffassung daher nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung gestanden: Entweder hätte es die Unstimmigkeiten dahingehend gewürdigt, dass sie sich noch nicht im Bereich "offensichtlich unzutreffender Ergebnisse" bewegen; dann wäre es bei der Bindungswirkung der vom Kläger unterzeichneten tatsächlichen Verständigung geblieben. Oder das FG hätte ein "offensichtlich unzutreffendes Ergebnis" bejaht; dann wäre die tatsächliche Verständigung nicht etwa mit einem anderen als dem vereinbarten Inhalt bindend und wirksam, sondern insgesamt unwirksam. In der Folge hätte das FG in Ausübung seiner eigenen Schätzungsbefugnis den Hinzuschätzungsbetrag ermitteln müssen. Das vom Kläger begehrte Ergebnis, die tatsächliche Verständigung einerseits als bindend anzusehen, ihr andererseits aber einen anderen Inhalt als den schriftlich niedergelegten zu geben, ist rechtlich nicht möglich.
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2. Soweit der Kläger rügt, das FG hätte die Höhe der von ihm in seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen erklärten Beträge aufklären müssen, war dies auf der Grundlage des Verständnisses, das das FG vom Inhalt der tatsächlichen Verständigung vertrat, nicht entscheidungserheblich. Eine Aufklärungsrüge kann aber nur dann zum Erfolg führen, wenn die unterbliebene Sachaufklärung auch auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Senatsbeschlüsse vom 18. Mai 2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, unter II.2.d, und vom 22. August 2012 X B 155/11, BFH/NV 2012, 2015, unter II.1.a).
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Das FG hat die tatsächliche Verständigung dahingehend interpretiert, dass zur Ermittlung des "Hinterziehungs-Prozentsatzes" die im dreispaltigen Tafelkalender enthaltenen Aufzeichnungen mit denen des zweispaltigen Tafelkalenders zu vergleichen seien und tatsächlich auch verglichen worden sind. Auf dieser Grundlage war es für das FG nicht von Bedeutung, welche Beträge der Kläger in seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen tatsächlich erklärt hatte.
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Dieses Verständnis des FG war zwar insofern fehlerhaft, als ungeachtet der Frage, welchen Vergleichsmaßstab die Beteiligten mit der tatsächlichen Verständigung haben wählen wollen, das FA jedenfalls tatsächlich die Zahlen des dreispaltigen Tafelkalenders mit den wirklich vorangemeldeten Zahlen verglichen hat, diese zudem für divergierende Zeiträume. Der darin liegende materiell-rechtliche Fehler des FG kann aber mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerügt werden; gleichwohl ist für die Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, das --wenn auch fehlerhafte-- materiell-rechtliche Verständnis des FG zugrunde zu legen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Annotations
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären. § 90 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Satz 2, § 97, §§ 99, 100 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(3) Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, kann das Gericht zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. § 79b Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts (§§ 88, 89 Abs. 1 der Abgabenordnung) wird durch das finanzgerichtliche Verfahren nicht berührt.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.