Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 05. Juli 2017 - L 19 R 396/16

bei uns veröffentlicht am05.07.2017

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.05.2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der 1975 geborene Kläger stellte am 14.10.2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab hierbei an, es solle der Leistungsfall 03.11.1996 geprüft werden und eine vorzeitige Wartezeiterfüllung ebenfalls geprüft werden.

Die Beklagte kam bei Prüfung eines möglichen medizinischen Leistungsfalles vom 03.11.1996 zum Ergebnis, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt 26 Monate an Beitragszeiten aufzuweisen gehabt hätte. Damit fehle es an der erforderlichen Wartezeit und ebenso an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Eine vorzeitige Wartezeiterfüllung käme dagegen in Betracht. Der Kläger habe eine Lehre als Schreiner begonnen gehabt, die er am 11.11.1994 abgebrochen habe. Der 6-Jahres-Zeitraum laufe vom 12.11.1994 bis 13.11.2000. Der mögliche Leistungsfall liege in diesem Zeitraum. In den letzten zwei Jahren vor dem möglichen Leistungsfall, also in der Zeit vom 03.11.1994 bis 02.11.1996 habe der Kläger unter Einbezug einer Nachversicherung 23 Kalendermonate an Beitragszeiten aufzuweisen gehabt.

Zu den sozialen und gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers ermittelte die Beklagte Folgendes: Bis August 1994 durchlief der Kläger eine Schulausbildung. Nach dem Erwerb der Mittleren Reife nahm der Kläger eine Lehre als Schreiner auf, was durch Arbeitszeugnis vom 21.11.1994 belegt ist. Zuvor hatte er das Berufsgrundschuljahr Holztechnik besucht. Die Lehre ist nach Angaben des Klägers wegen Grundwehrdienst abgebrochen worden. Im Zeitraum vom 12.11.1994 bis 01.01.1995 besteht eine geklärte Lücke ohne rentenrechtliche Sachverhalte. Anschließend war der Kläger bei der Bundeswehr, bei der er ab 29.08.1995 als Zeitsoldat tätig war.

Am 03.11.1996 erlitt der Kläger einen schweren Motorradunfall im Privatbereich, der zu einer Akutversorgung im Zentralklinikum A-Stadt führte. Behandelt werden mussten ein Polytrauma, d.h. ein Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades mit Langzeitbeatmung, und multiple Frakturen. Als Bundeswehrangehöriger wurde der Kläger am 29.11.1996 an das Bundeswehrkrankenhaus B-Stadt verlegt und dort bis 28.01.1997 behandelt.

Vom 28.01.1997 bis 17.04.1997 schloss sich ein Rehabilitationsaufenthalt der Fachklinik für physikalische Medizin und Rehabilitation in C-Stadt an, was durch einen neuropsychologischen Bericht vom 21.04.1997 und den Entlassungsbericht vom 16.05.1997 dokumentiert ist. Danach seien Hinweise auf kognitive und psychoemotionale Veränderungen nicht angegeben worden. In der Testung hätten sich Minderleistungen bei zunehmender Anforderung an die visuelle Verarbeitungskapazität und Flexibilität gezeigt. Die Lern- und Merkfähigkeit sei nicht beeinträchtigt, auch das Planen und Problemlösen sei nicht beeinträchtigt. Ein 3-stündiger Belastungstest überwiegend zu den Funktionsbereichen Aufmerksamkeit und Gedächtnis hätte, nachdem das neuropsychologische Training während der Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden sei, keine auffälligen Befunde aufgewiesen. Der Kläger wäre in der Lage, den Anforderungen einer Ausbildung zu entsprechen. Eine Förderung insbesondere seiner aufmerksamkeitsbezogenen kognitiven Leistungsfähigkeit sollte zum Erhalt und weiteren Ausbau nicht vernachlässigt werden. In der sozialmedizinischen Beurteilung wurde weiter ausgeführt, dass der Kläger Übungen im Gelände als Bundeswehrsoldat nicht mehr ausüben könne. Hilfestellung erhalte der Kläger durch seinen Vater, der ebenfalls bei der Bundeswehr tätig sei. Der Kläger sei nach dem Schwerbehindertengesetz beraten und über das Verfahren beim Versorgungsamt informiert worden.

Am 23.04.1997 beantragte der Kläger die Feststellung einer Schwerbehinderung; daraufhin wurde ihm mit Bescheid des damaligen Amtes für Versorgung und Familienförderung A-Stadt vom 16.06.1997 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 zuerkannt wegen einer Teillähmung des Armnervengeflechtes links, Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks links und Lymphstauung des Armes links, ferner wegen einer Beeinträchtigung der Gehirnfunktion und wegen einer Teillähmung des Wadenbeinnerven rechts nach Oberschenkelbrüchen beidseits.

Im Verlauf des Jahres 1997 erfolgten weitere kürzere stationäre Nachbehandlungen, u.a. eine Neurolyse, an der Neurochirurgischen Klinik G-Stadt.

Im Januar 1998 wurde dem Kläger eröffnet, dass er dienstunfähig sei und aus der Bundeswehr zu entlassen sei. Unter Einbezug einer Schutzfrist wurde die Entlassung zum 31.12.1998 wirksam und der Kläger wurde bei der Beklagten in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert.

Am 21.08.1998 wurde vom Zentralklinikum A-Stadt ein fachchirurgisches Gutachten für eine private Unfallversicherung erstellt. Als Diagnosen wurden vom Gutachter, Oberarzt Dr. K., aufgeführt: 1. Polytrauma, Commotio cerebri. 2. Plexus brachialis-Läsion links. 3. Nervus medianus-Abriss links. 4. Nervus radialis-Abriss links. 5. Arteria brachialis-Abriss links. 6. Dislozierte zweitgradig offene 2-Etagen-Oberarmfraktur links. 7. Scaphoidfraktur rechts. 8. Handgelenksluxation rechts. 9. Os sacrum-Fraktur links. 10. Femurschaftfraktur links. 11. Femurmehrfragmentfraktur rechts. 12. Massivtransfusion. 13. Akutes Nierenversagen. 14. Legionellenpneumonie. 15. Hirnorganisches Psychosyndrom. Die relevanten Unfallfolgen ließen sich wie folgt beschreiben: - Am linken Arm traumatische obere und untere Armplexusparese mit Nervenabrissen und Sensibilitätsstörungen. - Am rechten Arm bei Zustand nach Fraktur des Os scaphoideum posttraumatische degenerative Veränderungen mit subjektiven Schmerzen unter Belastung. - Am rechten Bein Schädigung des Peronaeus-Anteils des Nervus ischiadicus rechts mit Parese des Fuß- und Zehenhebers. - Traumatisch bedingter Zwerchfellhochstand links mit Kurzatmigkeit unter Belastung. - Zustand nach Contusio cerebri mit leichten Konzentrationsstörungen und leichter Erregbarkeit. Folgende Einschränkungsgrade würden vorliegen: Am linken Arm 1/1, an der rechten Hand 1/5 und am rechten Bein 1/3; hinzu kämen Einschränkungen wegen der Minderung der Konzentrationsfähigkeit und der belastungsabhängigen Atemnot. Mit einer Besserung der Befunde sei nicht zu rechnen. Handschriftlich wurde eine Schädigung von 100% vermerkt.

Dem Kläger wurden aus einer privaten Versicherung Rentenzahlungen wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zuerkannt. Vom 15.09.1998 bis 30.09.2000 besuchte der Kläger zur Erlangung der Hochschulreife die Fachoberschule in D-Stadt und schloss diese erfolgreich ab.

Mit Begründung des Gesundheitszentrums R. vom 21.12.2000 stellte der Kläger einen Sonderantrag „Härtefall“ für die Zulassung an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Als Folge einer Plexus brachialis-Verletzung links liege beim Kläger ein Bewegungsausfall am linken Arm von Höhe der linken Schulter ab bis ins Handgelenk vor. Bezüglich der Konzentrationsfähigkeit bestehe noch vorübergehende Belastbarkeit von maximal bis zu zwei Stunden höchster Konzentration. Für Konzentrationsvoraussetzungen im Rahmen der Vorlesungs- und Seminareinheiten würden maximal sechs Stunden angesetzt. Es solle ein zügiger Übergang mit mentalem Training durch das Studium schnellstmöglich angestrebt werden. Die berufliche Rehabilitation könne nur durch eine sofortige Zulassung zum Studium sichergestellt werden. Wegen der Unbrauchbarkeit des linken Armes werde es langfristig wohl zu statischen Haltungsproblemen im Bereich der Wirbelsäule kommen, so dass eine Arbeit am PC wohl mittelfristig nicht mehr in dieser intensivierten Form möglich sein werde. Der Kläger sei aufgrund seiner körperlichen Behinderung auf ein enges Berufsfeld beschränkt. Er komme primär aus einem handwerklichen Beruf und habe den Lebensunterhalt als Berufssoldat angestrebt. Bei längerem Gehen und Stehen sei der alte Beruf nicht mehr durchführbar. Es habe eine Umstellung des Berufsbildes stattfinden müssen.

Ab 01.04.2001 studierte der Kläger an der A-S-Hochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in B-Stadt und legte in diesem Fach am 30.09.2002 die Diplom-Vorprüfung ab. Das Studium wurde nach Angaben des Klägers zum 30.06.2008 abgebrochen bzw. es erfolgte zum 30.09.2008 Exmatrikulation von Amts wegen.

Eine geringfügige Beschäftigung des Klägers ist in der Folgezeit erstmals ab 23.10.2009 vermerkt.

Vom 25.12.2009 bis 05.01.2010 befand sich der Kläger zur stationären Behandlung im Klinikum A-Stadt wegen eines kryptogenen Mediateilinsults links und nachfolgender Hemiparese rechts. Beobachtet worden waren eine Dysarthrie mit Wortfindungsstörungen und eine zentrale Facialisparese rechts sowie diskrete Koordinationsstörungen des rechten Armes. Ursächlich sei ein Verschluss der linken Arteria cerebri media abgangsnah gewesen. An Risikofaktoren sei ein Nikotinabusus von ca. einer Schachtel Zigaretten pro Tag vorhanden. Außerdem habe ein Residuum bei Zustand nach Verkehrsunfall vorgelegen. Zum Entlasszeitpunkt hätten noch eine Feinmotorikstörung der rechten Extremität sowie eine Facialismundastschwäche links bestanden. Eine nachfolgende Behandlung erfolgte in der Fachklinik Herzogenaurach vom 05.01.2010 bis 26.01.2010. Berichtet wurde ein unkomplizierter Verlauf bei noch bestehenden Einschränkungen.

Ab März 2014 wurde vom Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) Mittelfranken, Versorgungsamt, beim Kläger der GdB auf 90 angehoben. Dieser setzte sich zusammen aus: 1. Funktionsbeeinträchtigung des Armes links (Einzel-GdB 70). 2. Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, Hirnschädigung mit Sprachstörung, Störungen der Koordination (Einzel-GdB 50). 3. Teillähmung des Wadenbeinnerven rechts (Einzel-GdB 20).

Am 30.09.2014 schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag mit der Stadt A. über eine geringfügige Beschäftigung als Schulweghelfer. Der Kläger gab hierzu an, er sei an fünf Tagen in der Woche zwei Stunden täglich beschäftigt.

Am 15.12.2014 wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten durch die Fachärztin für Neurologie Dr. T. untersucht. Diese beschrieb in ihrem Gutachten folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger:

1. Zustand nach Media-Infarkt links mit Feinmotorikstörung der rechten Hand, Fußheberparese rechts und gesteigerten Reflexen rechts bei M 1-Verschluss links.

2. Hemiparese rechts.

3. Dysarthrie.

4. Zustand nach Polytrauma 1996 mit Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades und multiplen Frakturen sowie Gefäß- und Plexusverletzung im Bereich des linken Oberarms.

Bei der Untersuchung seien deutliche Hinweise für Auffassungs-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen festgestellt worden. Gedächtnisstörungen seien nicht zu beobachten gewesen. Erstmalig nach dem Unfall habe der Kläger nun - seit September 2014 - eine Tätigkeit aufgenommen und zwar zwei Stunden täglich als Schülerlotse; dies verursache nach seinen Angaben bei ihm massive Rückenschmerzen und Nackenschmerzen. Das Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei aufgrund der beiden schweren Erkrankungen mit Schädel-Hirn-Trauma und multiplen Verletzungen im Bereich der Knochen aber auch der Gefäße, die zu Paresen geführt hätten, sowie dem nun hinzugetretenen linksseitigen Media-Infarkt mit residueller Feinmotorikstörung rechts, einem gesteigerten Reflexstatus rechts und dadurch Gleichgewichtsstörung sowie ausgeprägter Empfindungsstörung und massiver Konzentrationsstörung auf unter drei Stunden täglich herabgesunken. Eine Besserung sei unwahrscheinlich.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14.01.2015 den Rentenantrag ab. Die Beklagte gehe davon aus, dass der Kläger seit dem 14.10.2014 (Antragstellung) dauerhaft voll erwerbsgemindert sei. Der Kläger habe aber die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt, da statt der erforderlichen 60 Kalendermonate nur 52 Kalendermonate mit Beitragszeiten für die Wartezeit vorliegen würden. Der Kläger habe auch nicht vorzeitig die Wartezeit erfüllt. Im beigefügten Versicherungsverlauf sind in der Zeit vom 01.09.1994 bis 11.11.1994 drei Monate Pflichtbeitragszeiten für berufliche Ausbildung ausgewiesen, vom 02.01.1995 bis 28.08.1995 sieben Monate Pflichtbeitragszeit für Wehrdienst, ab dem 29.08.1995 bis zum 31.12.1998 41 Monate Pflichtbeiträge aus Nachversicherung.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 26.01.2015 Widerspruch ein. Zur Prüfung des Rentenanspruches gab der Kläger im Weiteren an, dass er das am 16.05.2013 geborene Kind L. überwiegend erzogen habe. Die Beklagte veranlasste eine nochmalige Überprüfung des Eintritts des medizinischen Leistungsfalles. Dr. T. führte nun präzisierend aus: Der Eintritt des medizinischen Leistungsfalles müsse am 25.12.2009 angenommen werden, als der Kläger den Schlaganfall erlitten habe. Neben den schon schweren körperlichen Behinderungen nach dem Motorradunfall sei dann durch den Schlaganfall auch die Gegenseite betroffen worden, so dass das Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vorhanden gewesen sei. Die Beklagte prüfte daraufhin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung für einen Leistungsfall am 25.12.2009: Nachdem die Ausbildung des Klägers am 30.09.2008 geendet habe, sei der medizinische Leistungsfall in dem 6-Jahres-Zeitraum danach eingetreten. Jedoch habe der Kläger in den letzten zwei Jahren vor dem medizinischen Leistungsfall nicht mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gehabt. Auch unter Berücksichtigung der Verlängerung des maßgeblichen Zeitraumes durch Ausbildungszeiten führe dies zu keinem anderen Ergebnis, da die Verlängerung auf sieben Jahre begrenzt sei.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 den Widerspruch zurück. Ein medizinischer Leistungsfall sei für den 25.12.2009 nachgewiesen. Zu diesem seien jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere das Vorliegen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung, nicht erfüllt gewesen.

Mit Telefax-Schreiben vom 04.08.2015 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 05.08.2015 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Er hat geltend gemacht, dass er seit dem Verkehrsunfall im Jahr 1996 erwerbsgemindert sei. Er habe längere Zeit im Koma gelegen und danach immer wieder stationär in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Im Rahmen des Unfalls habe er eine Hirnschädigung erlitten und ein Arm sei nicht mehr beweglich und unbrauchbar. Wegen Dienstunfähigkeit sei er im Januar 1998 aus der Bundeswehr entlassen worden.

Das Sozialgericht hat zunächst die Schwerbehindertenakten des ZBFS Region Mittelfranken beigezogen und einen Befundbericht beim Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. eingeholt. Der Kläger ist dort seit Januar 2014 in Behandlung gewesen. Das Sozialgericht hat die Klägerseite sodann aufgefordert, Angaben zu machen, wo ärztliche Unterlagen über Behandlungen zwischen 1997 und 2009, die in der Schwerbehindertenakte nicht vorhanden seien, angefordert werden könnten. Die Klägerseite hat auf den Reha-Fachbericht der Klinik C-Stadt, das chirurgische und neurologische Gutachten des Zentralklinikums A-Stadt von 1998 sowie die Behandlung in der Reha-Fit-Einrichtung Gesundheitszentrum R. von 1997 bis 2000 verwiesen. Andere ärztliche Behandlungen seien nicht wahrgenommen worden.

Daraufhin hat das Sozialgericht den Arbeits- und Sozialmediziner Dr. M. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 08.02.2016 untersucht. In seinem Gutachten vom 22.02.2016 hat der ärztliche Sachverständige ausgeführt, dass der Kläger in der Zeit nach dem Unfallgeschehen bis Mitte April 1997 behandlungs- und rehabilitationsbedürftig gewesen sei. Hauptproblem des Klägers zum damaligen Zeitraum sei der weitgehend gebrauchsunfähige linke Arm gewesen. Weniger gravierend beeinträchtigt habe er sich durch die rechtsseitige Peronaeusparese gefühlt, die mit einer schienenden Orthese versorgt gewesen sei. Gelegentlich seien Schmerzen in der rechten Hand aufgetreten. Aktuell sei die Handfunktion der rechten Hand so zu beschreiben, dass die Beweglichkeit endgradig leicht eingeschränkt sei, aber alle Griffformen problemlos und kraftvoll auszuführen seien. Sensibilität und Durchblutung der rechten Hand seien nicht beeinträchtigt. Nach dem Unfall im Jahr 1996 hätte beim rechten Arm eine praktisch normale Gebrauchsfähigkeit vorgelegen. Die Einschätzung der Minderung der Funktionsfähigkeit der rechten Hand mit 1/5 nach den Bestimmungen der privaten Unfallversicherung sei aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar und lasse keinen Rückschluss auf die tatsächliche Funktionsfähigkeit der rechten oberen Extremität zu. Der Kläger habe auch starke Rückenschmerzen geltend gemacht; er könne seit dem Unfall nicht mehr lange Zeit sitzen. Die einseitige Zwerchfelllähmung hätte einer körperlich leichten Tätigkeit in der Zeit nach dem Unfall nicht entgegengestanden. Die Höhe des nach dem Schwerbehindertengesetz im Jahr 2000 zuerkannten Grades der Behinderung für die Beeinträchtigung der Gehirnfunktion lasse keinen Rückschluss auf eine hirnorganisch bedingte wesentliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens zu. Zu beachten sei auch, dass der Kläger nur zwei Monate später die Fachoberschule in der vorgesehenen Regelzeit mit durchaus durchschnittlichen Noten mit dem Erwerb der Fachhochschulreife beendet habe. Der Kläger habe auch die Diplom-Vorprüfung im September 2002 mit durchschnittlich guten Noten abgeschlossen. Auch das spätere Scheitern bzw. der Abbruch des Studiums durch den Kläger könne nicht als Beleg für das Vorliegen gravierender Einschränkung der Gehirnfunktion gewertet werden. Der Kläger habe zwar als Grund für den Abbruch des Studiums das Nachlassen seines geistigen Leistungsvermögens und Depressionen wegen des funktionslosen linken Armes angegeben, ohne dass deswegen von ihm aber ärztliche oder psychologische Hilfe aufgesucht worden sei. Aber selbst wenn im Falle des Klägers im Laufe der Jahre nach dem Studienbeginn eine gesundheitliche Entwicklung eingesetzt haben sollte, die mit einem merklichen Nachlassen des geistigen Leistungsvermögens und Depressionen einhergegangen sei, würde dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Kläger deswegen nicht doch zur Verrichtung in geistiger Hinsicht etwas weniger anspruchsvoller Tätigkeiten - ggf. nach ärztlicher Behandlung der gleichzeitig bestehenden Depression - im Stande gewesen wäre. Bei der Liste der aktuellen Gesundheitsstörungen sei zu berücksichtigen, dass Verschlimmerungen im Zusammenhang mit dem Schlaganfall im Dezember 2009 aufgetreten seien. Gegenüber dem Gutachten der Dr. T. vom 15.12.2014 liege keine Veränderung vor. Rückblickend sei beim Kläger von einer Wiedererlangung eines vollschichtigen Leistungsvermögens nach dem Abschluss der Akut- und Rehabilitationsbehandlung auszugehen. Dies sei nach den Unterlagen des Gesundheitszentrums R. am ehestens auf den 25.08.1997 zu datieren. An diesem Zustand des vollschichtigen Leistungsvermögens habe sich bis zum Eintritt des Schlaganfalls im Dezember 2009 nichts geändert. Wegen der funktionellen Einarmigkeit seien für den Kläger in der Zeit ab August 1997 lediglich Arbeiten in Betracht gekommen, die einarmig hätten ausgeübt werden können. Als von Kindheit gewohnter Rechtshänder habe der Kläger keine Umgewöhnungszeit für die Einübung flüssigen Schreibens, etwa für die Anfertigung von handschriftlichen Notizen, benötigt. Alternativ wäre auch die Möglichkeit einer Dateneingabe über eine Einhandtastatur gegeben gewesen. Die Angabe des Klägers, dass ihm eine längere Tätigkeit im Sitzen nicht möglich sei, könne aufgrund des selbst erhobenen Untersuchungsbefundes aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht nachvollzogen werden.

Der Kläger hat eingewandt, dass er bereits nach dem Unfall unter erheblichen Rückenbeschwerden gelitten habe. Er habe einen Arbeitsversuch in einem Call-Center - nach Angaben des Klägers allerdings erst im Jahr 2008 oder später - nach kurzer Zeit abbrechen müssen. Wegen der Schädigung des Armes blieben ohnehin nur Tätigkeiten theoretischer Art, die einarmig hätten ausgeübt werden können. Der Sachverständige habe ohne eigene Kenntnisse des Arbeitsmarktes die pauschale Behauptung gewagt, dass es solche Tätigkeiten in größerer Zahl gebe. Geeignete Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien in Wirklichkeit für den Kläger nicht zu finden gewesen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 04.05.2016 die Klage abgewiesen. Es ist dem Gutachten des Dr. M. gefolgt, wonach die Folgen des Motorradunfalles von 1996 nach Abschluss der Akut- und Rehabilitationsbehandlung beim Kläger einem vollschichtigen Einsatzvermögen nicht entgegengestanden hätten. Spätestens mit dem Besuch der Fachoberschule sei dem Kläger eine körperlich leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegend im Sitzen bzw. im Wechselrhythmus in geschlossenen Räumen ohne Zwangshaltungen und ohne Notwendigkeit der vollen Gebrauchsfähigkeit beider oberer Extremitäten vollschichtig zumutbar gewesen. Aufgrund der funktionellen Einarmigkeit sei zwar die Prüfung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich. Nach Überzeugung des Sozialgerichts hätte der Kläger jedenfalls zumutbar auf die Tätigkeit eines Pförtners verwiesen werden können. Das Bundessozialgericht habe in seiner ständigen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass sich in der Berufsbezeichnung Pförtner eine Vielzahl von konkreten Pförtnertätigkeiten verberge, die je nach Einsatz- und Aufgabenbereich unterschiedliche Anforderungen an Versicherte stellen würden (s. z.B. BSG, Urteil vom 20.06.2002, Az. B 13 RJ 13/02 R - nach juris). Die Tätigkeit des Pförtners sei mit dem Leistungsbild des Klägers zu verrichten gewesen. Selbst für faktisch Einarmige gebe es insoweit Tätigkeitsbereiche. Das Sozialgericht hege auch keinen Zweifel, dass der Kläger die notwendigen Schreibarbeiten hätte verrichten können, wenn er gleichzeitig in der Lage gewesen sei, die Fachoberschule zu besuchen und ein Studium zu absolvieren. Erst mit dem Schlaganfall im Dezember 2009 sei das Leistungsvermögen des Klägers auf täglich unter drei Stunden herabgesunken. Für diesen Zeitpunkt seien jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim Kläger nicht erfüllt gewesen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit Telefax vom 15.06.2016 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er hat auf die Entlassung aus der Bundeswehr wegen Dienstunfähigkeit verwiesen, ferner auf den Sonderantrag „Härtefall“ des Reha-Zentrums vom 21.12.2000, in dem eine Konzentrationsfähigkeit von höchstens sechs Stunden für Vorlesungen festgeschrieben sei. Auch sei im Mai 1999 ein Behinderungsgrad von 100% bestätigt worden. Unter den gegebenen Umständen könnten die Aussagen des Sachverständigen nicht nachvollzogen werden. Es sei auch unzutreffend, dass für den Kläger geeignete Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden gewesen seien. Ein Studium sei mit einer Erwerbstätigkeit bereits vom Ansatz her nicht vergleichbar. Dies ergebe sich schon daher, weil es einem Studenten möglich sei, sowohl die Körperhaltung ständig zu verändern und zu korrigieren, als auch beliebig Pausen einzulegen, als auch die Lerntätigkeit über den gesamten Tag zu verteilen. Wegen der beim Kläger bestehenden Konzentrationsschwäche und der Unmöglichkeit dauerhaft zu sitzen, falle die Tätigkeit eines Pförtners aus.

In einem Erörterungstermin vom 03.05.2017 hat der Kläger angegeben, dass ihm nach dem Unfall nicht bewusst gewesen sei, dass es überhaupt Leistungen der Rentenversicherung für so etwas gebe und dass er dies beantragen könne. Auch seine Mutter, die ihn damals unterstützt habe, habe dies nicht gewusst. Der Kläger hat auf Nachfrage angegeben, dass der Arbeitsversuch in einem Call-Center nur ca. 1 1/2 Wochen angedauert habe und dies nach Abbruch des Studiums erfolgt sei.

Der Klägerseite ist eine Frist bis zum 06.06.2017 zur Stellung eines eventuellen Antrages nach § 109 Sozialgesetzbuch (SGG) eingeräumt worden. Ein solcher Antrag ist im Folgenden nicht gestellt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.05.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 14.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 14.10.2014 hin Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.05.2016 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die hier unter Ziffer 2 und 3 genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) gelten, hat der Kläger bisher zu keinem Zeitpunkt erfüllt (gehabt). Die in § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI geforderte allgemeine Wartezeit, die nach§ 50 Abs. 1 SGB VI fünf Jahre, d.h. 60 Kalendermonate, beträgt, ist mit bisher 52 Kalendermonaten Beitragszeiten nicht erfüllt.

Somit hätte eine Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur durch eine vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 SGB VI in Betracht kommen können. Die vorzeitige Wartezeiterfüllung würde zugleich die Anforderung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aus § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI entfallen lassen (§ 43 Abs. 5 SGB VI).

Von den in § 53 SGB VI genannten Fallalternativen kommen die meisten beim Kläger offensichtlich nicht in Betracht. Lediglich § 53 Abs. 2 SGB VI ist näher zu prüfen; die dort genannten Voraussetzungen werden vom Kläger aber ebenfalls nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift ist die allgemeine Wartezeit auch dann vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert worden sind und zusätzlich in den letzten zwei Jahren vorher, d.h. vor dem Eintritt der vollen Erwerbsminderung, mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen haben. Dabei verlängert sich der maßgebliche Zeitraum um Zeiten einer schulischen Ausbildung - nach dem vollendeten 17. Lebensjahr - um bis zu sieben Jahre (§ 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Nachdem der Wortlaut von § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI auf das Beenden und nicht auf den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung abhebt (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2010, § 53 SGB VI, Rn. 20) kommen im Fall des Klägers zwei Zeitpunkte in Betracht, an denen eine Ausbildung beendet wurde.

Zum einen ist dies der 30.06.2008, als das Hochschulstudium nach Angaben des Klägers beendet wurde. Von diesem Datum ausgehend müsste der Kläger in der Folgezeit, aber vor dem 01.07.2014 voll erwerbsgemindert worden sein. Dies wäre etwa bei einem - später noch näher zu beleuchtenden - Eintritt der vollen Erwerbsminderung im Dezember 2009 erfüllt. Gleichzeitig wird aber nach § 53 Abs. 2 Satz 1 2. Hs. SGB VI verlangt, dass in den letzten zwei Jahren vor dem Eintritt der vollen Erwerbsminderung mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit bestanden hat, wobei dieser Zeitraum um bis zu sieben Jahre durch Zeiten einer schulischen Ausbildung nach dem 17. Lebensjahr verlängert werden würde (§ 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Da der Kläger die letzten 12 Beitragsmonate aus Pflichtbeiträgen im Jahr 1998 aufzuweisen hat, wären bei hypothetischer Berechnung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der vorzeitigen Wartezeiterfüllung letztmals bei einem im Januar 2007 eingetretenen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung erfüllt gewesen (9 Jahre maßgeblicher Zeitraum verteilt über 109 Kalendermonate, zusammengesetzt aus 12 Monaten Pflichtbeiträgen, 84 Monaten schulische Ausbildung und 13 Monate rentenrechtlich nicht relevanter Zeiten). Dieser Zeitpunkt liegt nicht nach dem Beenden der Hochschulausbildung. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man dieses Ende statt auf den 30.06.2008 auf den 30.09.2008 datieren würde.

Zum anderen liegt am 11.11.1994, dem Zeitpunkt als die Schreinerlehre abgebrochen wurde, ebenfalls ein Beenden einer Ausbildung vor. Bei dieser Alternative müsste eine volle Erwerbsminderung vor dem 12.11.2000 eingetreten sein (§ 53 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. SGB VI). Die weitere Bedingung sind mindestens 12 Monaten Pflichtbeiträgen in den letzten zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung; dies hätte erstmals mit dem Beitrag für den September 1995 vorgelegen, sodass die volle Erwerbsminderung frühestens ab diesem Monat hätte eingetreten sein dürfen, damit die vorzeitige Wartezeiterfüllung vorgelegen hätte. In der darauffolgenden Zeit bis zum Ende der 6-Jahresfrist aus § 53 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. SGB VI wären wegen der sich anschließenden Zeiten der schulischen Ausbildung die Voraussetzungen stets erfüllt. Aus Sicht des Senats ist es dabei unschädlich, dass die Beiträge erst durch eine Nachversicherung zustande gekommen sind und die Nachversicherung eventuell erst zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden war, als möglicherweise schon ein medizinischer Leistungsfall bestanden hatte. Die Nachversicherung soll ja den Versicherten so stellen, wie wenn für ihn schon die ganze Zeit der Beschäftigung regelmäßig Beiträge abgeführt worden wären.

Für die Frage der vorzeitigen Wartezeiterfüllung unschädlich ist - in beiden Alternativen - dass der Kläger den Rentenantrag erst sehr viel später, also nach den hier in Betracht kommenden Zeiträumen des Eintritts einer vollen Erwerbsminderung gestellt hat. Die Stellung eines Rentenantrags ist nur für den Leistungsbeginn nach § 99 SGB VI von Bedeutung, nicht aber unmittelbar für die Prüfung der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen - wobei von der mittelbaren Auswirkung, dass die rechtlichen Vorschriften zum Zeitpunkt der Antragstellung zur Anwendung zu bringen sind, abgesehen werden soll.

Der Senat hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass beim Kläger im Zeitraum von September 1995 bis November 2000 - und darüber hinaus noch nicht einmal bis Januar 2007 - der medizinische Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten gewesen wäre; nur ein Eintritt innerhalb dieses Zeitraums hätte die vorzeitige Erfüllung der Wartezeit ermöglicht.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Beim Kläger ist zur Überzeugung des Senats ab 25.12.2009 ein deutliches Herabsinken der Leistungsfähigkeit belegt. Ab diesem Zeitpunkt liegt ein unter 3-stündiges Einsatzvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor, was durch die Behandlungsunterlagen und die Gutachten der Dr. T. und des Dr. M. nachgewiesen ist. Ab dem 25.12.2009 trafen die vorliegenden erheblichen Vorschädigungen aufgrund des Motorradunfalls mit den Auswirkungen des neu eingetretenen Schlaganfalls zusammen und ließen ein verwertbares Restleistungsvermögen des Klägers über längere Zeit auf nur noch geringfügige Beschäftigungen - wie der Kläger aktuell eine ausübt - herabsinken. Ob zukünftig noch eine Besserung eintreten kann, kann dahingestellt bleiben, da für diesen Zeitpunkt des Eintritts des medizinischen Leistungsfalls weder eine vorzeitige Wartezeiterfüllung möglich ist, noch sonst die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären.

Zwar wäre eine vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 Satz 1 2. Hs. iVm Satz 2 SGB VI für den vom Kläger geltend gemachten Leistungsfall 03.11.1996 (Motorradunfall) möglich, wenn zu diesem Zeitpunkt - oder anschließend bis November 2000 - volle Erwerbsminderung nachgewiesen wäre. Ein solcher früherer medizinischer Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung ist aber nicht zu belegen. Dies betrifft sowohl die zeitliche Einschränkung an ansonsten geeigneten Arbeitsplätzen als auch die Prüfung der Ausnahmeregelungen.

Im Gutachten des Dr. M., dem der Senat folgt, ist detailliert dargelegt, dass nach dem Abschluss der akuten Behandlungsphase des Klägers etwa ein halbes Jahr nach dem Unfall wieder ein stabilisiertes Gesundheitsbild vorgelegen hatte, das zwar keine Weiterbeschäftigung als Bundeswehrsoldat mehr zuließ, aber ein mindestens 6-stündiges Restleistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes - unter Beachtung einiger Einschränkungen der Arbeitsbedingungen - zuließ. Die auch nach April 1997 durchgeführten temporären Nachbehandlungen sind jeweils als Arbeitsunfähigkeit einzuordnen. Die gesundheitliche Betroffenheit sistierte in der Folgezeit auf einem gleichbleibenden Niveau, was sich darin abbildet, dass die Behandlungskontakte nach Abschluss der ambulanten Rehabilitation sich erheblich reduzierten. Das vom Gutachter beschriebene Leistungsniveau korrespondierte mit den damals faktisch erfolgten Schul- und Hochschulausbildungen. Der Einwand der Klägerseite, dass im Studium ein Wechsel der Körperhaltung leichter möglich sei, trifft auf Zeiten des Vorlesungsbesuchs eher nicht zu. Im Berufsleben findet sich eine Vielzahl von Tätigkeiten, die nicht an eine bestimmte Arbeitshaltung gebunden sind und dem Arbeitnehmer einen selbstbestimmten Wechsel der Haltung ermöglichen, sog. Tätigkeiten im Wechselrhythmus. Soweit der Kläger damit argumentiert, dass er als Student Pausen selbstbestimmt einlegen könne und im Berufsleben dies so nicht möglich sei, ist darauf hinzuweisen, dass ein erhöhter Pausenbedarf ärztlicherseits nicht als erforderlich angesehen wird; die zeitliche Einschränkung des Gesundheitszentrums R. auf weniger als 6 Stunden (2 Stunden) bezieht sich nur auf Zeiträume höchster Konzentration. Ein dauerhaftes Herabsinken der Leistungsfähigkeit des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf weniger als 3 Stunden ist im Gefolge des Motorradunfalls vom 03.11.1996 nicht zu ersehen. Aber auch ein Herabsinken auf weniger als 6 Stunden lag bis zur Verschlechterung im Dezember 2009 nicht vor. Dabei war vor allem die Zeit bis November 2000 in den Blick zu nehmen. Bedeutsam ist, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei verschlossenem Teilzeitarbeitsmarkt eine festgestellte teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung umschlägt - also nicht nur eine Leistung wegen teilweiser Erwerbsminderung nach sich zieht (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand April 2010, § 43 SGB VI, Rn. 31 unter Bezugnahme auf den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 10.12.1976, BSGE 43, 75). Für den Senat ist das Restleistungsvermögen des Klägers in dieser Zeit bei mindestens 6 Stunden für geeignete leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes gewesen.

Grundsätzlich kann in bestimmten Ausnahmefällen eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung selbst dann erfolgen, wenn keine quantitative Einschränkung besteht; dazu müssten dann jedoch die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was aus Sicht des Senates nicht der Fall gewesen war. Für die Prüfung ist nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Solche ab-strakten Handlungsfelder ließen sich im Fall des Klägers wegen seiner funktionalen Einarmigkeit nur unzureichend beschreiben und das Vorliegen von ernsten Zweifeln an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen war durchaus zu bejahen. Die funktionale Einarmigkeit stellt auch eine sog. besondere spezifische Leistungsbehinderung dar, so dass im dritten Schritt zu prüfen war, ob Einsatzfähigkeit in einer von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeit vorlag (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn. 37 mwN).

Eine Einsatzfähigkeit des Klägers zumindest in der Tätigkeit des sog. einfachen Pförtners war zur Überzeugung des Senats zu bejahen. Dabei konnte eine Beurteilung an Hand der medizinischen Unterlagen nur rückwirkend vorgenommen werden. Maßstab waren die beruflichen Verhältnisse in diesem Segment des Arbeitsmarktes im Jahr 1996. Aus - teilweise bereits vom Sozialgericht zitierten - Gerichtsentscheidungen und dort beigezogenen berufskundlichen und arbeitsmarktbezogenen Unterlagen (vgl. weiter Thür. LSG, Urt. v. 15.12.2015, Az. L 6 R 1718/12; BayLSG, Urt. v. 13.09.2016, Az. L 13 R 937/14 - jeweils nach juris) ist zu ersehen, dass es derartige Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl gab. Der Kläger war nach den überzeugenden Darlegungen des Arbeitsmediziners Dr. M. auch zur Ausübung einer derartigen Tätigkeit - unter Berücksichtigung der erforderlichen Arbeitsbedingungen - ohne zeitliche Einschränkung einsetzbar. Insbesondere war es dem Kläger hinreichend möglich etwa notwendige Notizen für sich zu fertigen und einer Wiedergabe zuzuführen, wie sich aus dem Bewältigen eines Studiums bis zum Vordiplom, in dem dies regelhaft geleistet werden muss, eindeutig bestätigt.

Unbeachtlich für eine Rentengewährung im Rahmen des SGB VI bleiben nach den gesetzlichen Vorschriften die Zeiten, in denen der Kläger wegen akut zu behandelnder Unfallfolgen vorübergehend nicht arbeiten konnte und Arbeitsunfähigkeit vorlag. Eine solche stellt noch keine längerdauernde befristete oder dauerhafte Erwerbsminderung dar.

Ergänzend sei erwähnt, dass die vom Kläger nicht beantragten Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) und wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gescheitert wären.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.05.2016 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 05. Juli 2017 - L 19 R 396/16 zitiert 13 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 99 Beginn


(1) Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, i

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 50 Wartezeiten


(1) Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf 1. Regelaltersrente,2. Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und3. Rente wegen Todes.Die allgemeine Wartezeit gilt als erfüllt für einen Anspruch

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 53 Vorzeitige Wartezeiterfüllung


(1) Die allgemeine Wartezeit ist vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte 1. wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit,2. wegen einer Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz als Wehrdienstleistende oder Soldaten auf Zeit,3. w

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Sept. 2016 - L 13 R 937/14

bei uns veröffentlicht am 13.09.2016

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2014 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bundessozialgericht Urteil, 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detm

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf

1.
Regelaltersrente,
2.
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und
3.
Rente wegen Todes.
Die allgemeine Wartezeit gilt als erfüllt für einen Anspruch auf
1.
Regelaltersrente, wenn der Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente bezogen hat,
2.
Hinterbliebenenrente, wenn der verstorbene Versicherte bis zum Tod eine Rente bezogen hat.

(2) Die Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung an Versicherte, die die allgemeine Wartezeit vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung nicht erfüllt haben.

(3) Die Erfüllung der Wartezeit von 25 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf

1.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute und
2.
Rente für Bergleute vom 50. Lebensjahr an.

(4) Die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf

1.
Altersrente für langjährig Versicherte und
2.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

(5) Die Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

(1) Die allgemeine Wartezeit ist vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte

1.
wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit,
2.
wegen einer Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz als Wehrdienstleistende oder Soldaten auf Zeit,
3.
wegen einer Zivildienstbeschädigung nach dem Zivildienstgesetz als Zivildienstleistende oder
4.
wegen eines Gewahrsams (§ 1 Häftlingshilfegesetz)
vermindert erwerbsfähig geworden oder gestorben sind. Satz 1 Nr. 1 findet nur Anwendung für Versicherte, die bei Eintritt des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit versicherungspflichtig waren oder in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Die Sätze 1 und 2 finden für die Rente für Bergleute nur Anwendung, wenn der Versicherte vor Eintritt der im Bergbau verminderten Berufsfähigkeit zuletzt in der knappschaftlichen Rentenversicherung versichert war.

(2) Die allgemeine Wartezeit ist auch vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden oder gestorben sind und in den letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Der Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung oder des Todes verlängert sich um Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren.

(3) Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der Absätze 1 und 2 liegen auch vor, wenn

1.
freiwillige Beiträge gezahlt worden sind, die als Pflichtbeiträge gelten, oder
2.
Pflichtbeiträge aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten oder
3.
für Anrechnungszeiten Beiträge gezahlt worden sind, die ein Leistungsträger mitgetragen hat.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Die allgemeine Wartezeit ist vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte

1.
wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit,
2.
wegen einer Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz als Wehrdienstleistende oder Soldaten auf Zeit,
3.
wegen einer Zivildienstbeschädigung nach dem Zivildienstgesetz als Zivildienstleistende oder
4.
wegen eines Gewahrsams (§ 1 Häftlingshilfegesetz)
vermindert erwerbsfähig geworden oder gestorben sind. Satz 1 Nr. 1 findet nur Anwendung für Versicherte, die bei Eintritt des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit versicherungspflichtig waren oder in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Die Sätze 1 und 2 finden für die Rente für Bergleute nur Anwendung, wenn der Versicherte vor Eintritt der im Bergbau verminderten Berufsfähigkeit zuletzt in der knappschaftlichen Rentenversicherung versichert war.

(2) Die allgemeine Wartezeit ist auch vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden oder gestorben sind und in den letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Der Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung oder des Todes verlängert sich um Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren.

(3) Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der Absätze 1 und 2 liegen auch vor, wenn

1.
freiwillige Beiträge gezahlt worden sind, die als Pflichtbeiträge gelten, oder
2.
Pflichtbeiträge aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten oder
3.
für Anrechnungszeiten Beiträge gezahlt worden sind, die ein Leistungsträger mitgetragen hat.

(1) Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

(2) Eine Hinterbliebenenrente wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie wird bereits vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist. Eine Hinterbliebenenrente wird nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

24

5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

25

a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

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7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2014 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die im September 1962 geborene Klägerin hat von September 1979 bis Juli 1981 in der ehemaligen DDR den Beruf der Wirtschaftskauffrau erlernt. Sie war dann bis Dezember 1986 als Vorspinnerin in der Textilindustrie, von 1987 bis 1990 als Erziehungshelferin in einem Kindergarten, von 1991 bis 1997 als Mitarbeiterin bei der Kreiskasse in einem Landratsamt, von 1997 bis 2003 als Fördermittelsachbearbeiterin beim Jugendamt, dann über eine Zeitarbeitsfirma als Sachbearbeiterin in der Finanzbuchhaltung bei Banken und Versicherungen, dann als Sachbearbeiterin beim Bezirk Oberbayern und zuletzt von Juni 2011 bis Mai 2012 über eine Zeitarbeitsfirma als Aktenscannerin versicherungspflichtig beschäftigt. Der Versicherungsverlauf der Klägerin weist bis Mai 2013 Pflichtbeitragszeiten auf. Ab Juni 2013 sind - mit Ausnahme eines Monats Pflichtbeitragszeit im Januar 2014 - nur noch Zeiten der geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung verzeichnet.

Mit Antrag vom 28. August 2012 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten unter Hinweis auf eine aggressive Polyneuropathie. Nach Beiziehung diverser Befundberichte holte die Beklagte ein internistisches Gutachten von Dr. S. vom 17. Januar 2013 ein. Dieser stellte bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Diabetische Polyneuropathie mit Dysästhesien im Bereich der unteren Extremitäten beidseits, Feinmotorikstörung beider Hände, Störung der vegetativen Funktionen 2. Thorakale Intercostalneuralgie rechts, minimal eingeschränkte Schulterbeweglichkeit rechts 3. Urge-Harninkontinenz bei Zustand nach Descensus-Operation wegen Uterusprolaps 1993; anamnestisch auch etwas erhöhte Stuhlfrequenz 4. Somatisierungsstörung mit agitiert-depressiver Komponente 5. Kardiovaskuläre Risikofaktoren (unzureichend eingestellter tablettenpflichtiger Diabetes mellitus IIb, entgleiste arterielle Hypertonie, alimentäre Adipositas, unzureichend eingestellte Hyperlipoproteinämie) 6. Vorbeschriebene Peritendinitis/Tendosynovitis der Peronäussehnen sowie vorbeschriebene Ansatz-Tendinopathie der Achillessehnen, derzeit oligosymptomatisch 7. Vorbeschriebenes beidseitiges Karpaltunnel-Syndrom, derzeit oligosymptomatisch 8. Zustand nach Colezystektomie 1983 9. Zustand nach vorbeschriebenen kognitiven Nebenwirkungen bei Lyrica-Medikation (2/2011), zwischenzeitlich teilremittiert 10. Zustand nach nicht gemeldetem Wegeunfall 2005 mit Wirbelsäulen-Prellung (Auffahrunfall), ohne Residuen 11. Zustand nach Autounfall 2007, selbstverschuldet, Hämatom linke Schulter ohne spezifische Behandlung 12. Beidseits Hallux valgus 13. Leichtgradige T3-Hyperthyreose - klärungsbedürftig.

Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr leichte Arbeiten überwiegend sitzend vollschichtig zu verrichten. Nicht mehr zumutbar seien Arbeiten mit Anforderungen an die Feinmotorik beider Hände oder die grobe Kraft der oberen Extremitäten beidseits, wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen, Heben und Tragen von schweren Lasten, übermäßiger Zeitdruck, Akkordarbeit, ausschließliches Gehen und Stehen, Arbeiten mit Absturz- oder Verletzungsgefahr bzw. erhöhten Anforderungen an die Standsicherheit, Schicht- oder Nachtarbeit sowie Überkopfarbeiten. Erforderlich sei die Nähe einer Toilette am Arbeitsplatz mit jederzeitiger Unterbrechbarkeit der Tätigkeit.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 24. Januar 2013 den Antrag der Klägerin unter Hinweis auf ein Leistungsvermögen von mindestens 6 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab.

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs machte die Klägerin geltend, die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Der Schwerpunkt ihrer Erkrankungen liege auf internistischem Fachgebiet (Diabetes mellitus Typ II in Verbindung mit Polyneuropathie). Auch leide sie unter massiven orthopädischen Beschwerden insbesondere im Bereich der Schultern. Schließlich seien Erlebnis-, Gestaltungs-, Merk- und Konzentrationsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Ein Befundbericht des Klinikums R. wurde vorgelegt. Nachdem der medizinische Dienst der Beklagten keinen neuen medizinischen Sachverhalt feststellen konnte, wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2013 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und erneut auf ihre multiplen Beschwerden und Gesundheitsstörungen verwiesen. Das SG hat diverse Befundberichte sowie einen ärztlichen Entlassungsbericht über Maßnahmen der stationären Rehabilitation auf internistischer Grundlage der Klinik Bad S. vom 18. April 2011 beigezogen, an denen die Klägerin vom 7. März bis 11. April 2011 teilgenommen hatte und aus denen sie mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten entlassen worden war. Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens von Dr. B., eines orthopädischen Gutachtens von Dr. K. und eines neurologischen Gutachtens von Dr. S ...

Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 8. November 2013 bei der Klägerin ein metabolisches Syndrom mit Adipositas, Diabetes mellitus II, arterieller Hypertonie und Hyperlipidämie, eine Harn- und Stuhlinkontinenz sowie einen Zustand nach Cholezystektomie 1982 festgestellt. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig mit den üblichen Pausen zu verrichten. Nicht mehr möglich seien Arbeiten in Wechsel- und Nachtschicht, gefahrenträchtige Arbeiten, Arbeiten am Band und an rotierenden Maschinen. Eine Toilette sollte in Arbeitsnähe vorhanden sein. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht.

Dr. K. hat bei der Klägerin in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2013 einen HWS-Verschleiß (Spondyloosteochondrose C5/C6), einen deutlichen LWS-Verschleiß mit Gefügestörung (Pseudospondylolisthesis L2/3 Grad 1 nach Meyerding, Spondylarthrose L4-S1) sowie einen Senk-Spreizfuß beidseits mit Großzehenfehlstellung (Pes transversoplanus, Hallux valgus) diagnostiziert. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen 6 Stunden und mehr täglich mit den üblichen Pausen aus wechselnder oder überwiegend sitzender Ausgangslage zu verrichten. Unzumutbar seien Arbeiten in Zwangshaltungen (z. B. Überkopfarbeiten), das Hantieren mit Lasten ()7 kg) sowie Arbeiten in Rumpfbeugehaltung. Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei nicht eingeschränkt.

Dr. S. hat schließlich in seinem Gutachten vom 27. November 2013 bei der Klägerin eine Polyneuropathie bei Diabetes mellitus mit Karpaltunnel-Syndrom beidseits, ein LWS-Syndrom und ein HWS-Syndrom jeweils mit pseudoradikulärer Schmerzsymptomatik, eine dissoziative Störung der Motorik mit gering ausgeprägter Gangstörung, eine Somatisierungsstörung (vorwiegend somatoforme Schmerzen) sowie eine leichtere depressive Störung festgestellt und im Übrigen auf die von Dr. B. und Dr. K. diagnostizierten Gesundheitsstörungen verwiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, vorwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit, die Körperposition selbst zu bestimmen, nur noch in geschlossenen Räumen 6 Stunden täglich und mehr mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Es bestehe leicht vermehrter, im Rahmen der Verteilzeiten erbringbarer Hygienebedarf bei seltener und partieller Harn- und Stuhlinkontinenz. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen (auch Büromaschinen), wenn die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen damit verbunden sind. Arbeiten am Bildschirm könnten erbracht werden, wenn sie nicht ununterbrochen und ohne Bewegungswechsel sowie nahezu ausschließlich während des ganzen Tages erbracht werden müssen. Unzumutbar seien auch häufige Überkopfhaltungen der Arme, Arbeiten mit sehr hohen Geschicklichkeitsanforderungen und mit Nässe-Kältebelastung beider Hände, Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Nervenkraft (auch laufender Publikumsverkehr und besondere Verantwortung), Nachtschichtarbeiten oder Arbeiten mit erhöhten Gefährdungen sowie im Außendienst. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sei möglich.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu ausgeführt, es sei unklar, ob die Klägerin tatsächlich von Dr. S. körperlich untersucht worden sei. Auch sei ein nur vorläufiger Befund des Labors Dr. S. der Beurteilung zugrunde gelegt worden. Unklar sei auch, worauf die Vermutung gründe, die motorischen Ausfälle im Bereich der Unterschenkel und Füße seien psychogen bedingt. Auch könne die Harn- und Stuhlinkontinenz der Klägerin ein mögliches weiteres Symptom einer bestehenden Polyneuropathie sein. Dr. S. solle hierzu befragt werden. In einem vorgelegten Bericht der vom 17. Juni 2014 über eine akutstationäre Behandlung der Klägerin vom 10. Juni bis 17. Juni 2014 wird ein dringender Verdacht auf psychische Aggravierung bei fehlendem organischem Korrelat der motorischen Symptome mitgeteilt.

Mit Urteil vom 21. August 2014 hat das SG die Klage unter Berufung auf die Gutachten Dr. B., Dr. K. und Dr. S. abgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, Dr. S. habe keine ergänzende Stellungnahme zu den von der Klägerin aufgeworfenen Fragen abgegeben. Auch habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nachweislich weiter verschlechtert. Athropien der Muskulatur an Armen und Beinen seien fortgeschritten. Die Koordination der Hände und Beine sowie die Feinmotorik seien eingeschränkt. Die Zurücklegung längerer Strecken sei der Klägerin nicht möglich. Auch könne sie nicht länger sitzen und stehen aufgrund der Schmerzen in den Beinen bis zum Unterleib. Sie werde von Krämpfen geplagt und auch habe sie sich mehrmals in tagelanger Immobilität befunden.

Der Senat hat nach Beiziehung diverser Befundberichte ein nervenärztliches Gutachten von Dr. D. eingeholt. In seinem Gutachten vom 14. Juli 2015 hat der Sachverständige ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Polyneuropathie leichter Ausprägung bei bekanntem Diabetes mellitus, ein Karpaltunnel-Syndrom beidseits mit Linksbetonung, ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit Verdacht auf relativ bewusstseinsnahe dissoziative Störung der distalen Beinmotorik vor. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten im Gehen, Stehen und Sitzen im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig ausüben. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken, Tätigkeiten unter Zeitdruck, auf Leitern und Gerüsten sowie Nachtschichttätigkeiten. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Klägerin könne auch Tätigkeiten als Pförtnerin, Telefonistin oder Mitarbeiterin in einer Poststelle verrichten. Einschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat ein neurologisches Gutachten von Dr. C. vom 9. Februar 2016 eingeholt. Der Sachverständige hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Karpaltunnel-Syndrom motorisch und sensibel links 2. Karpaltunnel-Syndrom motorisch und sensibel rechts (weniger ausgeprägt als links) 3. Distale überwiegend sensible, zum Teil auch motorische Polyneuropathie 4. Sensibel ataktische Gangstörung 5. Rechtsseitige Fußheberparese (klinisch zu beobachten, elektrophysiologisch jedoch schlecht zu erhärten, evt. Konversionsstörung oder dystone Bewegungsstörung bei sensiblen Afferenzstörungen) 6. Einschränkungen der manuellen Geschicklichkeit durch bilaterales Karpaltunnel-Syndrom 7. Klopfschmerzhafte BWS in Höhe der Schulterblätter bei in der Vergangenheit wiederholt aufgetretener Intercostalneuralgie in diesem Bereich 8. Dranginkontinenz bei Zustand nach Uterus Descensus 9. Arterielle Hypertonie 10. Diabetes mellitus 11. Adipositas 12. Depressive Störung.

Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen im Wechsel der Ausgangspositionen im Freien und in geschlossenen Räumen 3 bis 6 Stunden, nach Exposition und Eingliederung eventuell auch 6 bis unter 8 Stunden verrichten. Das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken und Arbeiten unter Zeitdruck sollten vermieden werden. Mit einer Pausenzeit von etwa 10 Minuten pro 60 Minuten sollte eine Arbeit verrichtbar sein. Allerdings könnten durch die Dranginkontinenz zwischendurch nicht planbare kurze Pausen zum Austreten nötig werden. Tätigkeiten als Pförtnerin oder Telefonistin seien vorstellbar, wenn keine kleinen Tasten zu bedienen seien. Der Arbeitsplatz müsste entsprechend angepasst werden. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Öffentliche Verkehrsmittel könnten benutzt werden. Die Umstellungsfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Zusammenfassend hat Dr. C. ausgeführt, überwiegend sitzende und in einem geschützten Rahmen stehende Tätigkeiten von 6-8 Stunden mit einfachen Überwachungsaufgaben mit verbaler Steuerung seien denkbar. Gehen sollte auf kurze Strecken und kurze Zeiten begrenzt sein. Tätigkeiten über einen Zeitraum von 6-8 Stunden sollten im Rahmen einer Belastungserprobung mit stufenweise Steigerung angestrebt werden. Eine Anpassung des Arbeitsplatzes und ausreichende Pausen seien erforderlich. Zu vermeiden seien aufregende Tätigkeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck.

Die Klägerin hat erklärt, die Sachverständigen kämen zu dem Ergebnis, dass sie eingeschränkt erwerbstätig sein könne. Eine Erwerbstätigkeit von 6-8 Stunden werde nicht gesehen. Eine solche sei allenfalls nach Exposition und Eingliederung möglich. Damit stehe fest, dass eine Beschäftigung am Arbeitsmarkt nicht möglich sei. Entsprechende Arbeitsplätze seien nicht zu finden. Es seien auch unübliche Pausen erforderlich. Sie sei am 21. März 2016 in der eigenen Wohnung gestürzt und habe sich Verletzungen zugezogen. Daraus werde deutlich, dass die vom Sachverständigen gesehene Gefahr real sei. Der Sturz habe auch ein rechtsseitiges dumpfes Gefühl im Kopf zur Folge. Ein Drehen nach rechts sei derzeit nicht möglich. Es wurde eine Verordnung zur Krankenhausbehandlung mit der Diagnose Schädelprellung übersandt. Weitere Befundberichte sind vorgelegt worden (hypertone Krise, Blutzuckerentgleisung).

Die Beklagte hat mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals im Zeitpunkt eines fiktiven Eintritts einer Erwerbsminderung am 31. Juli 2015 erfüllt sind. Der Leistungsbeurteilung durch Dr. C. hat sich die Beklagte nicht angeschlossen. Ein aktueller Versicherungsverlauf ist vorgelegt worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21. August 2014 sowie des Bescheids der Beklagten vom 24. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2013 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 24. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) sind nur dann erfüllt, wenn volle bzw. teilweise Erwerbsminderung spätestens bis 31. Juli 2015 eingetreten ist. Für die Klägerin wurden durchgehend bis Mai 2013 Pflichtbeiträge entrichtet. In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung sind danach nur dann drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden, wenn der Leistungsfall noch im Juni 2015 eingetreten ist. Da im Januar 2014 noch ein weiterer Pflichtbeitragsmonat vorliegt, verschiebt sich der Zeitpunkt, zu dem letztmals die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, auf 31. Juli 2015.

Ein Tatbestand im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI, der zu einer Verlängerung des Zeitraums von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung führt, ist nicht gegeben. Bei der Klägerin liegt auch kein Tatbestand vor, durch den die Wartezeit vorzeitig erfüllt wäre (vgl. § 43 Abs. 5 SGB VI i. V. m. § 53 Abs. 1, 2 SGB VI), insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die geltend gemachte Erwerbsminderung durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten wäre. Der nicht gemeldete Wegeunfall 2005 hat - soweit es sich hierbei tatsächlich um einen Arbeitsunfall gehandelt haben sollte - nach dem vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten von Dr. S. nur zu einer Wirbelsäulen-Prellung geführt, ohne dass Residuen eingetreten wären.

Schließlich sind auch nicht die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI erfüllt, da die Klägerin vor dem 1. Januar 1984 nicht die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren mit Beitrags- bzw. Ersatzzeiten (vgl. § 50 Abs. 1, 51 Abs. 1, 4 SGB VI) erfüllt hat. Das Versicherungsleben der Klägerin beginnt erst am 1. September 1979.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den erkennenden Senat fest, dass die Klägerin bis 31. Juli 2015, aber auch darüber hinaus noch in der Lage ist, mindestens 6 Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und etwa als Pförtnerin oder Telefonistin zu verrichten.

Im Vordergrund stehen bei der Klägerin die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Bei der Untersuchung der Klägerin durch den erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. D. zeigte sich ein arterieller Hypertonus leichter Ausprägung. Die Prüfung der Hirnnerven erbrachte keinen eindeutigen pathologischen Befund. Die Beugefähigkeit der Wirbelsäule war leicht gemindert bei einem Finger-Boden-Abstand von 30 cm. Das Zeichen nach Laségue war allerdings negativ, Nervenwurzeldehnungszeichen konnten nicht provoziert werden. Das Reflexverhalten war niedrig bis mittellebhaft.

Muskeltonus, Muskeltrophik und grobe Kraft waren, soweit überprüfbar, nicht gestört. Allerdings demonstrierte die Klägerin eine komplette Fuß- und Zehenheberparalyse. Dr. D. hat jedoch dargelegt, dass bei seiner Untersuchung eine Fußheber- und senkerschwäche ausgeschlossen werden konnte. Dagegen sprächen ein relativ gut tastbar und auch unangepasst sichtbarer Muskelbauch des Musculus extensor digitorum brevis, das von der Klägerin demonstrierte Abrollen der Füße beim Gehen und insbesondere auch der Befund der elektrophysiologischen Untersuchung, der eine normale motorische Leitfähigkeit und normale motorische Latenzen des Nervus peronaeus links und des Nervus tibialis rechts ergeben hat. Bei der demonstrierten Fuß- und Zehenheber- und senkerschwäche ist also von einer mehr oder weniger bewusstseinsnahen dissotiativen Störung auszugehen. Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten.

Unstrittig liegt bei der Klägerin auch eine Polyneuropathie vor, der vermutlich der seit Jahren bekannte Diabetes mellitus zugrunde liegt. Insoweit zeigte sich bei Dr. D. jedoch nur eine leichte Minderung der distalen motorischen Latenz und der Leitgeschwindigkeit des Nervus tibialis links. In diesem Zusammenhang stehen auch die von der Klägerin geklagten Hypästhesien und Hypalgesien an beiden Füßen. Das Vibrationsempfinden an den Füßen war jedoch nicht sehr stark gemindert.

Von sozialmedizinischer Bedeutung ist noch ein relativ deutlich ausgeprägtes Karpaltunnel-Syndrom beidseits. Dieses führt zu Sensibilitätsstörungen an den Händen. Dr. D. hat eine leichte Minderung des Tast- und Berührungsempfindens festgestellt. Eine quantitative Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit lässt sich hieraus nicht ableiten.

In psychopathologischer Hinsicht fanden sich bei der Untersuchung durch Dr. D. keine gravierenden Auffälligkeiten. Ein Hinweis auf eine depressive Störung zeigte sich nicht. Die affektive Schwingungsfähigkeit war ungestört, die Klägerin konnte auch lachen, wobei dieses mitunter etwas situationsinadäquat war. Nennenswerte kognitive, mnestische oder rezeptive Defizite konnte Dr. D. nicht positivieren. In der Laboruntersuchung ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die verordneten Medikamente nicht einnimmt (Schmerzmittel Diclofenac, Opiat Tilidin).

Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin durchaus noch einen geregelten Tagesablauf mit einigen Aktivitäten hat. So erledigt sie in ihrem Zwei-Personen-Haushalt (Dreizimmerwohnung) alles, was anliegt. Nur das Staubsaugen ist ihr aufgrund Rückenschmerzen nicht möglich. Die Klägerin kocht, macht Marmelade, arbeitet im Garten (Unkrautjäten). Auch hat sie in den letzten 2 Jahren für 35 Familien deren Wohnung betreut, während diese im Urlaub gewesen sind. Hin und wieder geht sie mit ihrem Ehemann in die Berge, wobei sie allerdings mit der Gondel nach oben fährt und dann oben einen Spaziergang unternimmt.

Aus alledem hat Dr. D. nachvollziehbar geschlossen, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig ausüben kann.

Dr. D. steht damit in Übereinstimmung mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung durch die Vorgutachter. Auch Dr. S. hat erklärt, dass die Klägerin die Fuß- und Zehenheber auf Aufforderung nicht bewegt habe, sich aber intermittierend im Sinne einer Wackelinnervation ein leichter Widerstand tasten ließ. Auch er hat es als auffällig erachtet, dass keinerlei Muskelabbauerscheinungen und keine Seitendifferenzen der Muskelprofile vorliegen. Darüber hinaus war auch nicht der typische Steppergang bei der Klägerin zu beobachten, sondern vielmehr ein schiebend-schlurfendes Gangbild. Bei der Prüfung der Koordination konnte Dr. S. eine außerordentlich gute Geschicklichkeit der Hände feststellen. Die Klägerin konnte einen sehr kleinen Gegenstand (Büroklammer) außerordentlich geschickt in der Hand hin und her bewegen. Die Grob- und Feingriffformen waren der Klägerin beidseits möglich.

In psychischer Hinsicht war die Klägerin bei Dr. S. bewusstseinsklar, zu Ort, Zeit, Person, Situation und Vorgeschichte voll orientiert. Die Klägerin war zugewandt und kooperativ, Antrieb, Psychomotorik und Mimik waren situationsangemessen und ohne pathologische Auffälligkeiten. Im Verhalten wirkte die Klägerin weitgehend authent, allerdings konnte Dr. S. auch Demonstrationstendenzen erkennen. Eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen war nicht feststellbar. Das Altgedächtnis war intakt, die Aufmerksamkeit nicht beeinträchtigt, das Konzentrationsvermögen erhalten und die Informationsverarbeitung ungestört. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit erschien Dr. S. völlig normal bei etwas histrionischer Primärpersönlichkeit.

Die von der Klägerin geltend gemachten Schmerzen lassen sich zum Teil durch ihre orthopädischen Gesundheitsstörungen erklären. Nach den Feststellungen von Dr. K. liegt bei der Klägerin insbesondere eine Verschleißbildung an der LWS mit Instabilitätsgrad I vor. Eine verminderte Leistungsbreite der LWS ist gegeben. Die geschilderte Intensität der Rückenschmerzen lässt sich aber alleine mit den orthopädisch objektivierbaren Verschleißschäden nicht hinreichend erklären. Vielmehr besteht bei der Klägerin eine überlagernde somatoforme Störung der Schmerzempfindung. Die neurologische Untersuchung hat keinerlei Hinweise für eine Kompression der lumbalen Nervenwurzeln erbracht. Das Zeichen nach Laségue war bei Dr. S. nur endgradig positiv.

Aus alledem hat Dr. S. unter Mitberücksichtigung der Feststellungen von Dr. K. überzeugend geschlossen, dass aus der Schmerzstörung insbesondere im Bereich der Wirbelsäule nur qualitative Leistungseinschränkungen folgen. So sind insbesondere Arbeiten, die mit schweren Hebe- und Tragebelastungen verbunden sind, der Klägerin nicht mehr zumutbar.

Soweit Dr. S. ursprünglich entgegengehalten worden war, er habe die Klägerin nicht untersucht, so wurde diese Einlassung von der Klägerin ausweislich der Urteilsgründe des SG in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten. Soweit sich Dr. S. ergänzend unter Hinweis auf die fehlende Nachweisbarkeit von Tilidin im Blut der Klägerin darauf berufen hat, bei der Klägerin bestehe keine dringende Notwendigkeit, schmerzsupprimierende Präparate einzunehmen, so ist zwar der Klägerin einzuräumen, dass sich aus dem aktenkundigen Befundbericht ergibt, der Befund sei wegen der Eilbedürftigkeit elektronisch übermittelt worden. Endgültig und verbindlich sei nur der ärztlich unterschriebene Originalbefund, da sich bei der Endkontrolle noch Messwertüberprüfungen und ggf. auch Änderungen ergeben können. Insoweit ist aber darauf hinzuweisen, dass sich auch bei der Serumsuntersuchung bei Dr. D. kein Nachweis von Tilidin im Blut erbringen ließ. Darüber hinaus ist der Senat auch davon überzeugt, dass Dr. S. sein Gutachten ggf. ergänzt hätte, wenn sich im Rahmen der endgültigen Befundung tatsächlich ein wesentlich anderes Ergebnis gezeigt hätte.

Auch im Übrigen konnte weder Dr. D. noch Dr. S. aus den von der Klägerin geklagten Gesundheitsstörungen eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ableiten. In Bezug auf die Blasen-/Mastdarm-Störung mit Dranginkontinenz hat Dr. S. darauf hingewiesen, dass sich diese auch schon bei dem letzten bestehenden Arbeitsverhältnis funktionell nicht störend ausgewirkt hatte. Die Stuhlinkontinenz sei nur gelegentlich und im geringen Umfang vorhanden. Insoweit genügt es, wenn die Klägerin auf einem Arbeitsplatz eingesetzt ist, bei dem eine Toilette in der Nähe ist. In Bezug auf die Kopfschmerzen hat Dr. S. überzeugend angemerkt, dass Leistungsminderungen hierdurch nicht zu begründen sind. Die Kopfschmerzen können auch bedarfsweise bzw. prophylaktisch mit guten Erfolgsaussichten ambulant medikamentös behandelt werden.

Das Gutachten von Dr. C. vermag an dieser Leistungsbeurteilung nichts zu ändern. Insoweit ist zunächst anzumerken, dass dieses im Januar/Februar 2016 erstellt wurde und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Klägerin schon nicht mehr gegeben sind.

Davon abgesehen hält auch Dr. C. überwiegend sitzende und in einem geschützten Rahmen stehende Tätigkeiten von 6-8 Stunden mit einfachen Überwachungsaufgaben für zumutbar. Nicht überzeugend ist, dass dies erst nach „Exposition und Eingliederung“ möglich sein soll. Eine Begründung hierfür bleibt Dr. C. schuldig.

Darüber hinaus hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Exploration durch Dr. C. sehr beschwerdezentriert ist und keine Angaben zu einem üblichen Tagesablauf oder zu Alltagsaktivitäten enthält. Aus den einzigen Feststellungen zum psychischen Befund, nämlich dass die Klägerin im Gespräch affektiv leicht niedergestimmt ist, keine produktiven Symptome zeigt und auf Fragen adäquat antwortet, lassen sich auch nach Einschätzung des Senats keine gravierenden psychischen Störungen ableiten, die zu einer Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens führen könnten. Dr. C. hat ebenfalls ausgeführt, dass die von der Klägerin demonstrierte rechtsseitige Fußheberparese zwar klinisch zu beobachten, elektrophysiologisch jedoch „schlecht zu objektivieren“ gewesen sei. Soweit Dr. C. sich auf eine Einschränkung der bimanuellen Geschicklichkeit der Klägerin bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass hierzu eine detaillierte Feinmotorikprüfung durch Dr. C. fehlt. Dr. D. konnte insoweit noch keine gravierenden Einschränkungen erkennen.

Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls bis 31. Juli 2015, aber auch darüber hinaus noch in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig zu verrichten.

Dessen ungeachtet hätte die Klägerin dann einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und ihr keine Tätigkeit benannt werden könnten, die sie trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 64/02 R, in juris). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).

Bei der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis „körperlich leichte Arbeit“ erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen (Kassler Kommentar zum SGB, § 43 SGB VI Rn. 47).

Bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind an das Benennungsgebot nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hier genügt jedenfalls die Bezeichnung von Arbeitsfeldern wie Prüfer, Montierer oder Verpacker von Kleinteilen (KassKomm-Niesel § 240 SGB VI Rdn. 117, BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 57/96, in juris).

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass bei der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Zwar ist die Fingerbeweglichkeit aufgrund des doppelseitigen Karpaltunnelsyndroms sicherlich eingeschränkt. Daraus resultieren aber nach den Feststellungen von Dr. D. keine qualitativen Leistungseinschränkungen, nach der Einschätzung von Dr. S. nur der Ausschluss von Arbeiten mit sehr hohen Geschicklichkeitsanforderungen. Arbeiten, die insoweit nur normale Anforderungen stellen, können also von der Klägerin verrichtet werden. Dadurch wird auch bei Mitberücksichtigung der sonstigen qualitativen Leistungseinschränkungen das der Klägerin offen stehende Tätigkeitsfeld auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich eingeschränkt.

Davon abgesehen ist die Klägerin nach der überzeugenden Einschätzung von Dr. D. jedenfalls in der Lage, 6 Stunden täglich eine Tätigkeit etwa als Tagespförtnerin oder Telefonistin zu verrichten.

Dr. D. stand dabei eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 27. Juli 2014 zu diesen Tätigkeiten zur Verfügung. Bei der Tätigkeit als Tagespförtnerin handelt es sich um eine meist körperlich leichte Arbeit in geschlossenen temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Die Tätigkeit erfordert keine besonderen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen. Eine ständige nervliche Belastung oder dauernder Zeitdruck wie beispielsweise Akkordarbeit sind damit nicht verbunden, wobei Stresssituationen nicht ganz zu vermeiden sind. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Schichtdienst ist je nach Arbeitsort möglich.

Diesen Leistungsanforderungen wird die Klägerin trotz der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen gerecht. Schwere Tätigkeiten wie das schwere Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, häufiges Bücken fallen hierbei nicht an. Die nicht wesentlichen Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der Hände machen es der Klägerin nicht unmöglich, die im Rahmen von Pförtnertätigkeiten anfallenden Verrichtungen (Kontrolle von Werksausweisen, Ausstellen von Besucherkarten, Anmeldung bei der zuständigen Stelle, Aushändigen von Formularen, Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck und das Verwalten von Schlüsseln und Schließanlagen sowie ggf. einfache Bürotätigkeiten) zu erledigen.

Der Senat hält darüber hinaus in Übereinstimmung mit Dr. D. auch Tätigkeiten als Telefonistin für leidensgerecht. Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon- und Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Weiterleitung und Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telefonnotizen, Telefaxen, E-Mails usw. Hierbei handelt es sich um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Die Tätigkeit kann in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen ausgeübt werden. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Die Tätigkeit erfordert gute Sprech- und Hörfähigkeit. Insoweit bestehen bei der Klägerin jedoch keinerlei Einschränkungen. Der bei der Tätigkeit als Telefonistin auftretende gelegentliche Zeitdruck ist zumutbar.

Bei beiden Tätigkeiten handelt sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von bis zu 3 Monaten von der Klägerin verrichtet werden können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stehen insoweit hinreichend Arbeitsplätze, auch für Betriebsfremde, zur Verfügung.

Die Klägerin bedarf auch keiner unüblichen Pausen mit der Folge, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für sie verschlossen wäre. Ein solcher unüblicher Pausenbedarf resultiert insbesondere nicht daraus, dass die Klägerin bedingt durch ihre Stuhl- und Harninkontinenz ggf. öfters die Toilette aufsuchen muss.

Nach § 4 Arbeitszeitgesetz steht vollschichtig tätigen Arbeitnehmern eine Ruhepause von 30 Minuten zu. Die Ruhepause kann nach Satz 2 dieser Bestimmung in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Diese Pausen kann die Klägerin somit für Toilettengänge nutzen. Über die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pausen hinaus werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch sogenannte Verteilzeiten zugestanden (Zeiten z. B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw.; vgl. z. B. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. April 2001, Az.: L 5 RJ 641/98). Die Klägerin kann damit diese Verteilzeiten ebenfalls für Toilettengänge nutzen, so dass ein unüblicher Pausenbedarf nicht vorliegt. Dies wurde von Dr. S. auch ausdrücklich so bestätigt. Soweit Dr. C. ausführt, die Klägerin bedürfe innerhalb 1 Stunde einer 10-minütigen Pause, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Eine Begründung hierfür ist nicht ersichtlich.

Schließlich besteht bei der Klägerin auch keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hält dabei eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, für eine derart schwere Leistungseinschränkung, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 unter Hinweis auf Großer Senat in BSGE 80, 24, 35).

Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin wurde von keinem Sachverständigen angenommen. Der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmittel steht nichts im Wege, so dass dahinstehen kann, ob die Klägerin noch in der Lage ist, ein Kfz zu führen.

Die Berufung war damit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§§ 183,193 SGG) berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.