Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Juni 2017 - L 19 R 284/16

bei uns veröffentlicht am13.06.2017
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 9 R 784/14, 30.03.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.03.2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der 1961 geborene Kläger hat vom 16.08.1977 bis 23.02.1981 den Beruf eines Radio- und Fernsehtechnikers erlernt und in der Folgezeit ausgeübt.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die in der Zeit vom 06.06.2013 bis 27.06.2013 in den J. Reha-Kliniken in Bad F. durchgeführt wurden. Im dortigen Entlassungsbericht vom 19.07.2013 wurden als Diagnosen benannt: 1. Cervicobrachialsyndrom bei degenerativen Veränderungen der HWS. 2. Tinnitus aurium seit 2005, verstärkt nach Autounfall 2007 mit HWS-Distorsion und ausgeprägter Schwindelsymptomatik. 3. Chronisch rezidivierendes LWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen, rechts betont. 4. Initiale Coxarthrose rechts mehr als links. 5. Psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, rezidivierende Depression, Schlafstörung. Der Kläger könne im Beruf des Radio- und Fernsehtechnikers nur noch unter drei Stunden arbeiten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er für leichte Tätigkeiten in wechselnder Arbeitsposition vollschichtig einsatzfähig. Zu vermeiden seien dabei häufiges Bücken, länger dauernde Zwangshaltungen des Achsenorgans, Arbeiten in Armvorhalte bzw. Überkopf, häufiges Treppen- und Leiternsteigen, längeres Gehen auf unebenem Boden, kniebelastende Tätigkeiten in gehockter bzw. kniender Position, Kälte-, Nässe- und Zuglufteinwirkungen sowie Tätigkeiten mit Absturzgefahr. Zusätzlich seien Funktionseinschränkungen am rechten Handgelenk zu berücksichtigen. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig entlassen. Seitens der Berufsgenossenschaft wurden im Gefolge des beim Sozialgericht Nürnberg anhängig gewesenen Rechtsstreits S 2 U 41/09 beim Kläger die Einschränkungen durch Tinnitus als dauerhaft anerkannt.

Am 07.08.2013 stellte der Kläger zunächst fernmündlich einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente und reichte die Antragsformulare am 12.09.2013 nach. Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 19.11.2013 durch die Fachärztin für Orthopädie Dr. W. untersucht, die ein nervenärztliches Zusatzgutachten für erforderlich ansah. Auf ihrem Fachgebiet stellte sie folgende Diagnosen: 1. Chronifiziertes Halswirbelsäulensyndrom mit gering- bis mittelgradiger Bewegungseinschränkung. 2. Chronifiziertes Lumbalsyndrom mit mittelgradiger Bewegungseinschränkung. 3. Impingement-Syndrom beider Schultergelenke, rechts gesicherte Schultereckgelenksarthrose ohne Anhalt für Rotatorenmanschettenruptur. 4. Initiale degenerative Veränderung beider Hüftgelenke. 5. Arthralgie der Kniegelenke ohne Bewegungseinschränkung und ohne Reizzustand. 6. Vorbeschriebenes Sulcus-ulnaris- und CTS-Syndrom beidseits.

Am 17.03.2014 wurde der Kläger durch die Fachärztin für Psychiatrie Dr. H. untersucht. Hierbei gab er an, derzeit keine nervenärztliche Behandlung zu haben; eine einmalige nervenärztliche Vorstellung bei Frau Dr. B. sei im November 2013 erfolgt. Im nervenärztlichen Gutachten wurden folgende Gesundheitsstörungen zusätzlich zu den orthopädischen Diagnosen aufgeführt: 1. Dysthymie. 2. Somatisierungsstörung. 3. Tinnitus aurium. Zusammengefasst wurde folgendes sozialmedizinisches Leistungsbild beschrieben: Der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über sechs Stunden einsetzbar für leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus, ohne Schichtarbeit und ohne Zeitdruck. Vermieden werden müssten häufige wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen, häufiges Bücken, monotone Dauerbelastungen im Bereich des Schultergürtels beidseits, Überkopftätigkeiten, häufiges Gehen auf unebenem und schrägem Untergrund, häufiges Treppensteigen, häufiges Knien und Hocken sowie Lärmbelastung.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26.03.2014 den Rentenantrag ab und führte aus, dass der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Mit Schreiben vom 07.04.2014 erhob der Kläger am 08.04.2014 Widerspruch gegen diesen Bescheid und machte geltend, dass zusätzlich ein dauerhafter Tinnitus, starke Kopfschmerzen und Schwindel zu berücksichtigen seien. Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten sah am 26.06.2014 in diesem Vorbringen keine Änderung der erfassten medizinischen Situation.

Die Beklage wies mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2014 den Widerspruch zurück, da sich nach nochmaliger Überprüfung keine Änderung der Sachlage ergeben habe. Im Nachgang äußerte der Kläger noch, er habe rechtlich abgeklärt, dass er keine Schmerztherapie antreten dürfe, weil er davor seinen Rentenantrag zurückziehen müsse.

Am 11.08.2014 hat der Kläger per Telefax Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Zur Begründung hat er auf ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit verwiesen, wonach bei ihm von einer mehr als 6 Monate andauernden Leistungsminderung auszugehen sei, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich nicht zulasse. Weiter hat er ein Attest der Allgemeinarztpraxis Dr. B. vom 17.06.2014 sowie umfangreiche ärztliche Unterlagen - auch älteren Datums - und eine Zusammenstellung seiner verschiedenen Beschwerden vorgelegt.

In einem Versicherungsverlauf vom 04.09.2014 sind Pflichtbeitragszeiten aus abhängiger Beschäftigung bis 26.07.2012 enthalten, im Anschluss daran Krankengeldbezug und Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bis 13.08.2014.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte P. C. vom 01.12.2014 und Dr. B. vom 11.01.2015 beigezogen. In den beigefügten Unterlagen befindet sich u.a. ein Arztbrief der Nervenärztin Dr. L. vom 09.01.2014, wonach der Kläger einer medikamentösen Therapie nicht zugänglich gewesen sei.

Vor einem Erörterungstermin am 26.01.2015 ist ein Gutachten durch den Internisten und Sozialmediziner Dr. W. erstellt worden, der die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben hat: 1. Chronisches Halswirbelsäulensyndrom und Lendenwirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen mit Bandscheibenschäden. 2. Beidseitige initiale Coxarthrose und Gonarthrose. 3. Impingementsyndrom der rechten Schulter, Sulcus ulnaris- und Karpaltunnelsyndrom beidseits. 4. Chronisches Schmerzsyndrom, Depression, Tinnitus nach Hörsturz. 5. Arterielle Hypertonie mit beginnender hypertensiver Herzerkrankung. 6. Adipositas. 7. Chronische Gastritis und Refluxpanösophagitis. Der Kläger könne körperlich leichte Tätigkeiten im Umfang von täglich mindestens sechs Stunden ausüben. Schweres Heben und Tragen sowie Bewegen von schweren Gegenständen ohne technische Hilfsmittel, Zwangshaltungen, ständiges Bücken oder Knien, Überkopf- oder Überschulterarbeiten seien ausgeschlossen. Außerdem dürften keine übermäßigen nervlichen Belastungen und keine unfallgefährdeten Tätigkeiten abverlangt werden. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt; der Kläger verfüge zudem über einen Führerschein und entsprechende Fahrpraxis. Die beschriebenen Defizite würden eine drohende Minderung der Erwerbsfähigkeit bedingen, so dass eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme - auch vorgezogen - sinnvoll erscheine.

Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass Frau Dr. B. ihn in ihrem neuerlichen umfangreichen Attest vom 11.01.2015 wiederum nur für leichte Tätigkeiten in wechselnder Arbeitsposition im Umfang von weniger als drei Stunden pro Tag arbeitsfähig angesehen habe.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Folgenden ein Gutachten durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Dipl.-Psych. J. erstellt worden, der den Kläger am 26.08.2015 untersucht hat. Der Kläger hat zur Untersuchung eine hausärztliche Stellungnahme des P. C. vom 18.08.2015 mitgebracht. Darin hat dieser mitgeteilt, dass der Kläger aktuell wieder in seiner Behandlung stehe. Auch habe der Kläger angegeben, wieder seiner Arbeit nachzugehen, wobei die Arbeitsaufnahme aber aus rein wirtschaftlichen Gründen erfolgt sei, da die Erwerbsunfähigkeit abgelehnt worden sei. Aus gesundheitlicher Sicht könne der Kläger dagegen nicht mehr vollschichtig erwerbstätig sein. Infolge bestehender Taubheits- und Pelzigkeitsgefühle der Arme und Hände könne er die erforderlichen diffizilen Arbeiten kaum bewerkstelligen. Durch die Halsrotation bei der Anforderung am Arbeitsplatz würden vermehrt sehr starke Kopfschmerzen mit Schwindelattacken und Sehstörungen auftreten. In seinem Gutachten vom 26.10.2015 hat Dr. med. Dipl.-Psych. J. eine intrinsisch-motivationale Ausrichtung des Klägers auf einen Versagenszustand und damit verbundene Versorgungswünsche beschrieben. Der Kläger habe die zur Verfügung stehenden Therapiemaßnahmen nicht in ausreichendem Umfang wahrgenommen: Eine stationäre Schmerztherapie, eine ambulante psychotherapeutische Behandlung und gegebenenfalls ein stationäres psychosomatisches Heilverfahren seien angezeigt. Als Diagnosen seien zu benennen: 1. Anhaltende depressive Störung (Dysthymie). 2. Chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren mit undifferenzierter Somatisierungsstörung bei chronifiziertem HWS-Syndrom, chronischem Lumbalsyndrom, Schmerzen in beiden Schultergelenken und Veränderungen an Hüft- und Kniegelenken. 3. Karpaltunnelsyndrom beidseits. 4. Ausschluss Sulcus-ulnaris-Syndrom beidseits. 5. Tinnitus aurium beidseits und Zustand nach Hörsturz. 6. Psychophysische Insomnie. 7. Hypertonie. 8. Leichtgradige cervikale Spinalkanalstenose. 9. Refluxösophagitis I. Grades und rezidivierende Gastritis. 10. Rezidivierende Schwindelzustände. 11. Hyperurikämie. 12. Hypertensive leichtgradige Kardiomyopathie. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten in wechselnden Arbeitshaltungen überwiegend im Sitzen verrichten. Zwangshaltungen, Tätigkeiten außerhalb geschlossener Räume, besonderer Zeitdruck, besondere Witterungseinflüsse wie Nässe, Zugluft oder Kälte seien dem Kläger nicht möglich. Der zeitliche Arbeitsumfang betrage noch mindestens sechs Stunden täglich.

Das Sozialgericht hat die für das Gutachten verwendeten Fragebögen vom Gutachter beigezogen. Der Kläger hat auf die vorliegende hausärztliche Stellungnahme verwiesen und moniert, dass die umfangreichen testpsychologischen Untersuchungen nicht ausreichend in das Gutachten eingeflossen seien.

In einem Erörterungstermin vom 14.03.2016 hat das Sozialgericht die Beteiligten dazu angehört, dass es beabsichtige durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Der Kläger hat den Sachverhalt noch nicht für hinreichend geklärt angesehen.

Das Sozialgericht hat gleichwohl mit Gerichtsbescheid vom 30.03.2016 die Klage abgewiesen. Aufgrund der gutachterlichen Feststellungen ergebe sich keine volle oder teilweise Erwerbsminderung beim Kläger. Außerdem seien die psychischen Störungen noch nicht austherapiert. Der Kläger habe den geltend gemachten Rentenanspruch nicht nachgewiesen und die Klage sei abzuweisen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Telefax vom 29.04.2016 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Es sei unverständlich, wieso eine nicht näher definierte Untersuchungssituation höher bewertet werde, als die umfangreichen testpsychologischen Fragebögen; im Ergebnis müsse festgestellt werden, dass durch die Ausführungen der behandelnden Hausärzte belegt sei, dass der Kläger keineswegs in der Lage sei, überhaupt noch drei Stunden täglich zu arbeiten. Der Kläger hat weiter u.a. auf ärztliche Unterlagen des Dr. Z. vom 04.03.2016 und der Dr. P. vom 02.09.2016 verwiesen.

Der Senat hat bei P. C. am 27.12.2016 einen neuerlichen Befundbericht eingeholt, wobei dieser angegeben hat, dass seit seinem letzten Befundbericht beim Kläger keine stationären Aufenthalte stattgefunden hätten. Es seien beim Kläger zusätzliche Beschwerden zu beobachten wie etwa epigastrische Beschwerden, eine Partialruptur der Supraspinatussehne und Ruptur der langen Bizepssehne. Die Taubheitsgefühle in den Händen würden zunehmen. Eine ambulante Operation wegen Supraspinatussehnenruptur links sei in Überlegung. Arbeitsunfähigkeit habe vom 22.08.2016 bis 26.08.2016 und dann erneut vom 31.08.2016 bis 07.10.2016 vorgelegen. Mitvorgelegt worden sind zugehörige fachärztliche Unterlagen.

Zu den eingeholten medizinischen Unterlagen hat der Ärztliche Dienst der Beklagten durch Dr. H. am 09.01.2017 Stellung genommen: Eine gravierende Verschlechterung bereits bekannter Gesundheitsstörungen könne ausgeschlossen werden. Neuerkrankungen mit Auswirkung auf die sozialmedizinische Beurteilung seien nicht dokumentiert. Behandlungen hinsichtlich der psychischen Störungen insbesondere der vorbekannten Dysthymie und des Schmerzsyndroms seien nicht ersichtlich.

Der Kläger hat vorgetragen, dass bei ihm weitere Erkrankungen hinzugekommen seien und er eine neuerliche Begutachtung für erforderlich halte. Vorgelegt hat der Kläger u.a. noch einen Arztbrief der Neurologischen Gemeinschaftspraxis Dr. H. vom 06.05.2014, wonach bei ihm eine Fülle von somatoformen psychovegetativen, vor allem depressiven Symptomen vorliege.

Der Senat hat mit Beschluss vom 09.05.2017 die Berufung dem Berichterstatter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass seit den Arbeitsunfähigkeitszeiten im vergangenen Herbst bei ihm ein Bizepssehnenabriss vorliege. Er wäre von seinem Hausarzt weiter krankgeschrieben worden, sei aber trotzdem in die Arbeit gegangen, um seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Er habe nur ein befristetes Arbeitsverhältnis bis zum Jahresende gehabt. Der Kläger hat geschildert, dass das von ihm ausgeübte Arbeitsverhältnis ihn gesundheitlich überlaste. Es habe sich bisher stets um befristete Arbeitsverträge gehandelt und aktuell laufe eine derartige Befristung bis November 2017. Nachdem sein Arbeitgeber bei ihm eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit gesehen habe, sei er zeitweilig auch in der Fertigung eingesetzt worden und es sei ihm zunächst ein weiterer befristeter Arbeitsvertrag mit erheblich geringeren Bezügen angeboten worden.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.03.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 26.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß Antrag vom 07.08.2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.03.2016 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch eine Rente wegen Erwerbsminderung hat, und auch in der Folgezeit ist ein derartiger Anspruch nicht nachgewiesen.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten, hat der Kläger unproblematisch erfüllt, nachdem er im Anschluss an die Gewährung von Sozialleistungen erneut einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist und nachgeht.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist.

Sämtliche vorliegenden gutachterlichen Beurteilungen sind einhellig der Auffassung, dass der Kläger - unter Berücksichtigung eingeschränkter Arbeitsbedingungen - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig ist. Die gegenläufigen Äußerungen der behandelnden Hausärzte P. C. und Dr. B., die in mehreren Attesten über einen längeren Zeitraum nahezu gleichlautend eine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf weniger als 3 Stunden täglich annehmen, sind angesichts der eindeutigen gutachterlichen Darlegungen nicht nachvollziehbar; eine derartige zeitliche Einschränkung ist zur Überzeugung des Senats auch durch die tatsächlich zu beobachtenden Fakten, nämlich die Betätigung des Klägers im Erwerbsleben, widerlegt. Die momentan tendenziell zu beobachtende Überforderung würde an Arbeitsplätzen, die den ärztlicherseits geforderten Arbeitsbedingungen entsprechen, nicht bestehen.

Für den Senat ergibt sich aus den Gutachten der Dr. W., der Dr. H. und des Dr. W., dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen im Wechselrhythmus verrichten kann, solange dies nicht mit Schichtarbeit, Zeitdruck, sonstigen übermäßigen nervlichen Belastungen, besonderer Unfallgefährdung, besonderen Wirbelsäulenbelastungen etwa durch häufige Zwangshaltungen, Bücken oder Überkopftätigkeiten verbunden ist. Auch monotone Dauerbelastungen des Schultergürtels, häufiges Knien und Hocken, häufiges Gehen außerhalb eines ebenen Untergrunds, häufiges Treppensteigen sowie Lärmbelastung sind zu vermeiden. Diese Einschränkungen der Arbeitsbedingungen werden in ähnlicher Weise auch von Dr. J. beschrieben.

Zusätzlich ist zu beachten, dass die vom Kläger geschilderten Erkrankungen auf nervenärztlichem und algesiologischem Fachgebiet bisher nur ganz vereinzelte fachärztliche Kontakte ausgelöst haben und eine leitliniengerechte Behandlung in keiner Weise ersichtlich ist. Aus den zugehörigen Arztbriefen wird erkennbar, dass der Kläger weitergehende Medikation und Behandlung abgelehnt hat. Soweit der Kläger vorträgt, eine Schmerztherapie sei während des laufenden Rentenverfahrens ärztlicherseits nicht befürwortet worden, mag dies durchaus zutreffen, ändert aber nichts daran, dass diese Gesundheitsstörung noch behandelbar ist und Chancen vorliegen, sie zu überwinden. Psychische Erkrankungen werden nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 24.05.2017 - L 19 R 1047/14 - zitiert nach juris). Beim Kläger sind dagegen die Behandlungsmöglichkeiten auf psychiatrischem, psychotherapeutischem und schmerztherapeutischem Fachgebiet bisher nur ansatzweise ergriffen und bei weitem nicht ausgeschöpft. Im Rahmen der sozialmedizinischen Beurteilung sind sie daher als noch behandelbare Erkrankungen anzusehen und können eine dauerhaft vorliegende Leistungseinschränkung nicht belegen.

Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf weniger als 3 Stunden täglich - also volle Erwerbsminderung - oder weniger als 6 Stunden - also teilweise Erwerbsminderung - bestand daher zur Überzeugung des Senats weder bei Antragstellung, noch besteht sie derzeit.

Weitere Ermittlungen des Senats waren nicht veranlasst. Soweit vom behandelnden Hausarzt P. C. Veränderungen ab Jahresbeginn 2016 angesprochen werden, sind die benannten Erkrankungen in dem vor der letzten gutachterlichen Untersuchung im August 2015 von P. C. erstellten Attest weit überwiegend ebenfalls schon in gleicher Weise benannt gewesen, also gutachterlich gewürdigt worden. Arbeitsunfähigkeit hat im Sommer/Herbst 2016 offensichtlich im Zusammenhang mit einer Verschlechterung der Schulterbeschwerden bzw. den damit zusammenhängenden Sehnenschädigungen vorgelegen; hierfür ist weitere Behandlung vorgesehen. Eine dauerhaft verschlechterte gesundheitliche Situation ist derzeit nicht daraus nicht zu ersehen. Auch der ärztliche Dienst der Beklagten konnte aktuell in den vorgelegten medizinischen Unterlagen keine richtungsweisende Verschlechterung erkennen.

Der Senat musste sich auch nicht damit auseinandersetzen, ob die vom Kläger wieder ausgeübte Tätigkeit als Elektrotechniker mit seinem gesundheitlichen Leistungsbild vereinbar ist. Seitens der Ärzte der Beklagten und seitens der Gutachter ist nämlich bereits bei Beginn des Rentenverfahrens davon ausgegangen worden, dass dies nicht der Fall sei. Daran hat sich erkennbar nichts geändert, so dass viel dafür spricht, dass die vom Kläger derzeit ausgeübte Beschäftigung zumindest längerfristig zu Lasten seiner Restgesundheit ausgeübt wird. Gleichwohl zeigt sich in der Tatsache, dass der Kläger nun schon über zwei Jahre dieser - ihn jedenfalls perspektivisch überfordernden - Beschäftigung vollschichtig nachgeht und nur zeitweilig über einen kürzeren Zeitraum Arbeitsunfähigkeit bescheinigt ist, dass von einem vollständig aufgehobenen Leistungsvermögen beim Kläger nicht die Rede sein kann. Daran ändert auch der Einwand des Klägers nichts, dass er eine weitere vom Arzt befürwortete Krankschreibung aus Sorge um seinen Arbeitsplatz abgelehnt habe; Maßstab für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wäre hier nämlich die Tätigkeit als Elektrotechniker, während für die Frage der Rentengewährung wegen Erwerbsminderung der Einsatz an Arbeitsplätzen zu prüfen ist, bei denen die beim Kläger bestehenden Einschränkungen der Arbeitsbedingungen beachtet werden können. Die Frage der Arbeitsmarktlage bleibt nach § 43 Abs. 3 SGB VI dabei unberücksichtigt, solange es überhaupt auf dem Arbeitsmarkt geeignete Arbeitsplätze gibt.

Ein Anspruch des Klägers auf eine volle Erwerbsminderungsrente kann auch nicht anderweitig begründet werden. Zwar könnte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusätzlich auch dann in Betracht kommen, wenn zwar keine quantitative Einschränkung besteht, jedoch die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Ausnahmefall (sog. Katalogfall) vorliegen würden. Dies ist jedoch nicht der Fall, da der Kläger zur Überzeugung des Senats praktisch in allen im Urteil des BSG vom 09.05.2012 (Az. B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) genannten Tätigkeitsfeldern des allgemeinen Arbeitsmarktes im Rahmen seines Restleistungsvermögens eingesetzt werden könnte. Ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen bestehen daher nicht. Auch ist die sogenannte Wegefähigkeit, d.h. die Möglichkeit zu einem Arbeitsplatz zu gelangen, beim Kläger zu bejahen.

Dementsprechend lässt sich beim Kläger insgesamt weder das Vorliegen von voller, noch von teilweiser Erwerbsminderung - wie hilfsweise geltend gemacht - überzeugend belegen und es besteht kein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI.

Ein Antrag auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI ist nicht gestellt worden. Der Kläger hätte auch keinen Anspruch darauf, da er auf Grund seines Geburtsjahrganges nicht zu dem von der Übergangsvorschrift des § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis gehört.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit nicht zu beanstanden und die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Juni 2017 - L 19 R 284/16 zitiert 8 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der 1969 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und im März 1990 aus Polen nach Deutschland zugezogen. Er hat in Polen von September 1985 bis Juni 1987 eine Schlosser- und Schweißerausbildung besucht, jedoch nicht abgeschlossen. In Deutschland war er in verschiedenen Berufsfeldern tätig, zuletzt in den Jahren 2008 und 2009 als Busfahrer. In der Folgezeit war der Kläger überwiegend arbeitslos oder arbeitsunfähig erkrankt.

Weiter befand sich der Kläger vom 17.02.2010 bis 24.03.2010 zur stationären medizinischen Rehabilitation in der Klinik H. in B-Stadt. Im dortigen Entlassungsbericht vom 23.03.2010 sind als Diagnosen aufgeführt:

1. Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie.

2. Kompression von Nervenwurzeln und Nervenplexus bei Bandscheibenschäden.

3. Sonstige näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung.

4. Zervikobrachial-Syndrom.

5. Lumboischialgie.

Der Kläger sei für die Tätigkeit als Busfahrer nur noch zeitlich eingeschränkt einsatzfähig; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in Tagschicht im Wechselrhythmus mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Vermeiden sollte er besondere Belastungen der Wirbelsäule wie schweres Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten, ständiges Stehen, Gehen und Sitzen, sowie besondere Belastungen beider Ellenbogengelenke. Berufsförderungsmaßnahmen wurden im Anschluss vorgesehen und von Oktober 2010 bis Mai 2011 durchgeführt, ohne dass eine dauerhafte Integration an einen Arbeitsplatz gelungen wäre. Im Juli und August 2011 liegen jedoch noch einmal Pflichtbeiträge aus einer Beschäftigung vor.

Beim Kläger wurde vom D. (ZBFS), Versorgungsamt ab Oktober 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt, wobei dies auf einen Einzel-GdB von 30 wegen Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Bandscheibenschäden sowie einen Einzel-GdB von 10 wegen depressiver Verstimmung zurückzuführen ist. Später wurde noch ein Carpaltunnelsyndrom beidseits mit Einzel-GdB 10 anerkannt, ohne dass sich der Gesamt-GdB geändert hätte (Bescheid 14.12.2011, Widerspruchsbescheid 27.06.2012).

Am 03.05.2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 18.09.2012 durch den Orthopäden Dr. N. untersucht. Dieser beschrieb beim Kläger - rezidivierende Lumbalgien bei geringgradig degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen ohne radikuläre Symptomatik, - rezidivierende Cervicalgien ohne Nachweis höhergradiger degenerativer Veränderungen, ohne radikuläre Symptomatik und - Adipositas. Der Kläger habe im Jahr 2009 die Tätigkeit als Busfahrer wegen Rückenbeschwerden nicht mehr weiter verrichten können. Im Anschluss an eine Rehabilitationsmaßnahme sei eine mögliche Sitzdauer von zwei bis vier Stunden angegeben worden. Der Kläger berichte über eine deutlich eingeschränkte Gehstrecke auf ca. 200 Meter. Eine regelmäßige Schmerzmedikation werde nicht eingenommen. Der ärztliche Sachverständige kam zum Ergebnis, dass der Kläger aktuell sowohl die Tätigkeit als Busfahrer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend sitzend, stehend und gehend, sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne. Wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen müssten dabei vermieden werden.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2012 den Rentenantrag ab und verwies den Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, auf dem er ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig sei.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 30.10.2012 Widerspruch ein. Er berief sich im Weiteren auf ein Attest seines Hausarztes Dr. E. vom 07.11.2012, wonach er wegen massiven Wirbelsäulenleidens und ausgeprägter Polyarthrosis nicht einmal drei Stunden täglich arbeiten könne, was auch für körperlich leichte Tätigkeiten gelte. Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten sah darin keine neuen sozialmedizinisch bedeutsamen Erkenntnisse. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2013 zurück: Der Kläger sei mit seinem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im erforderlichen zeitlichen Umfang einsatzfähig.

Mit Schreiben vom 23.01.2013 hat der Kläger am 24.01.2013 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. E. vom 11.03.2013, Dr. H. vom 18.03.2013 sowie Dr. H. vom 21.03.2013 eingeholt. Weiter hat es den Orthopäden Dr. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens vor dem Verhandlungstermin am 25.09.2013 beauftragt. Dr. S. hat in seinem Gutachten die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:

1. Fehlhaltungen und Verbiegungen der Wirbelsäule, leichtgradige Funktionsstörungen mit Schmerzausstrahlung auch in den linken Kopf hinein; fehlende radikuläre Symptomatik.

2. Radiale Epicondylopathie am linken Ellenbogengelenk.

3. Belastungsbedingte Beschwerden in beiden Kniegelenken, Fußfehlform beidseits; leicht- bis mäßiggradige Bewegungsstörungen im rechten Fußgelenk ohne sichtbare Beeinträchtigung des Gangbildes.

4. Seelische Störung, derzeit nicht behandlungsbedürftig.

5. Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom.

Der Kläger könne leichte, gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen und teilweise im Gehen und Stehen verrichten. Das Leistungsvermögen betrage mindestens sechs Stunden täglich. Vermieden werden müssten schwere und mittelschwere Hebe- und Tragebelastungen, Zwangshaltungen, häufige bückende Arbeiten, häufige kniende Arbeiten, besondere nervliche Belastungen und Tätigkeiten mit Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft. Die Wegefähigkeit sei zu bejahen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist weiter ein Gutachten durch den Neurologen und Nervenarzt Dr. R. erstellt worden, der den Kläger am 22.01.2014 untersucht hat. In seinem Gutachten vom 07.02.2014 hat er die Gesundheitsstörungen des Klägers in seinem Fachgebiet folgendermaßen beschrieben:

1. Sensibles Wurzelkompressionssyndrom und Wurzelreizsyndrom S1 links.

2. Somatoforme Schmerzstörung.

3. Leichte depressive Episode.

4. Insomnie.

Dem Kläger seien leichte, kurzzeitig mittelschwere Arbeiten vorwiegend im Sitzen, aber auch im Stehen und Gehen in geschlossenen Räumen ohne schweres Heben und Tragen von Lasten täglich mindestens sechs Stunden zumutbar. Sehr hohe Anforderungen an die Konzentration, Daueraufmerksamkeit, Verantwortung und Umsicht dürften nicht gestellt werden.

Der Kläger hat ergänzend noch eine Stellungnahme der Dipl.-Psychologin T. vom Klinikum C-Stadt vom 14.05.2014 vorgelegt, wonach die testpsychologische Diagnostik vom 04.02.2014 Hinweise auf das Vorliegen einer hohen Symptombelastung ergeben habe. Es werde somit von einer schweren depressiven Symptomatik, einer Panikstörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer dekompensierten Insomnie ausgegangen.

Nach Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen durch den Kläger u.a. über eine kurze stationäre Behandlung hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. R. eingeholt, die dieser am 04.08.2014 erstellt hat: Der jetzt neu beschriebene psychopathologische Befund sei nicht nachvollziehbar; in der eigenen Untersuchung sei keine Antriebsstörung fassbar gewesen. Auch seien die Behandlungen nicht hinreichend beschrieben und es sei nicht klar, ob eine adäquate Umsetzung der Medikation erfolge.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.11.2014 abgewiesen. Der Kläger sei nach den übereinstimmenden ärztlichen Feststellungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig und die Voraussetzungen medizinischer Art für das Vorliegen von teilweiser oder voller Erwerbsminderung seien nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 26.11.2014 hat der Kläger beim Sozialgericht Nürnberg schriftlich erklärt, mit dem Urteil nicht einverstanden zu sein. Das Sozialgericht hat dieses Schreiben dem Bayer. Landessozialgericht als Berufung vorgelegt. Der Kläger hat zudem umfangreiche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht.

Der Senat hat einen Befundbericht beim behandelnden Arzt Dr. E. vom 28.07.2015 eingeholt. Hierzu sowie zu den mitübersandten ärztlichen Unterlagen hat am 21.08.2015 Dr. S. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten Stellung genommen und angegeben, dass keine neuen medizinischen Gesichtspunkte vorliegen würden.

Vom 16.06.2015 bis 16.07.2015 befand sich der Kläger zur stationären psychotherapeutischen Behandlung in der K-Klinik Bad M … Im Entlassungsbericht vom 25.08.2015 sind als Diagnosen genannt:

1. Somatoforme Schmerzstörung.

2. Rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode.

3. Panikstörung.

4. Insomnie.

5. Schädlicher Analgetikagebrauch.

Der Kläger wurde als teilweise stabilisiert, aber noch arbeitsunfähig entlassen. Eine ambulante Psychotherapie solle sich anschließen.

Eine dem Kläger von der Beklagten mit Bescheid vom 30.06.2015 zunächst bewilligte stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der psychosomatischen Abteilung des Klinikums Bad B. ist im Folgenden nicht durchgeführt worden, weil die Voraussetzungen für eine vorfristige Rehabilitationsmaßnahme nicht erfüllt seien.

Im Versicherungsverlauf vom 24.09.2015 hat die Beklagte weitere Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Gesundheitsmaßnahmen berücksichtigt und zwar über einen Zeitraum von knapp vier Jahren.

Nachdem der Kläger Unterlagen über eine weitere Behandlung im Klinikum C-Stadt vorgelegt hatte, hat Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten am 18.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben: Beim Kläger erfolge bisher weder eine ausreichend dosierte und langfristig angelegte Psychopharmaka-Therapie, noch eine leitliniengerechte längerfristige Psychotherapie. Auch eine konsequente Schmerztherapie finde nicht statt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien die zumutbaren Therapieoptionen sicher nicht ausgeschöpft.

Der Senat hat ein Gutachten beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. eingeholt, der den Kläger am 29.04.2016 untersucht hat. In seinem Gutachten vom 06.05.2016 hat er die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:

1. Rezidivierende Depression verschiedener Ausprägung.

2. Verdacht auf komplexe Traumafolgestörung mit dissoziativer Identitätsstörung.

3. Restless-Legs-Syndrom.

4. Ein- und Durchschlafstörungen und obstruktives Schlafapnoe-Syndrom sowie Somniloquie.

5. Gastroösophageale Refluxkrankheit ohne Ösophagitis.

6. Sonstige zervikale Bandscheibenverlagerung.

7. Chronisch unbeeinflussbare Schmerzen.

8. Zustand nach Fraktur des Außenknöchels.

Beim Kläger bestehe derzeit eine Arbeitsunfähigkeit, die bis zu einem Jahr andauern könne, um die vorgeschlagenen stationären Therapien durchzuführen. Prognostisch sei der Kläger in der Lage, täglich sechs Stunden erwerbstätig zu sein, wobei es sich um mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Stellung handeln könne. Nachtschicht und Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems seien zu vermeiden.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist im Anschluss ein Gutachten durch die Fachärztin für Psychiatrie M. G. erstellt worden, die den Kläger am 11.08.2016 und 01.09.2016 untersucht hat. Im Gutachten vom 14.11.2016 hat sie die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:

1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome.

2. Posttraumatische Belastungsstörung PTBS mit dissoziativen Zuständen.

3. Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst).

4. Syndrom der unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom).

5. Obstruktives Schlafapnoesyndrom.

6. Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, narzisstischen und abhängigen Anteilen.

Sie komme aufgrund der ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmale, anders als die Vorgutachter, zu dem Schluss, dass diese Gesundheitsstörungen von erwerbsmindernder Bedeutung seien. Nach ihrer Einschätzung sei nicht davon auszugehen, dass die Symptome durch eine erneute stationäre Therapie und nachfolgende ambulante Psychotherapie hinreichend gebessert werden könnten. Es sei von einer Erwerbsunfähigkeit seit der letzten Begutachtung im Mai 2016 auszugehen. Dies habe sich auch in den eigenen Untersuchungen gezeigt, in denen deutliche Beschränkungen hinsichtlich der Leistungsmotivation des Klägers festzustellen gewesen seien. Der Kläger sei nur noch unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig. Die psychischen Fehlhaltungen seien durch jahrelange Kränkungen so verfestigt, dass nicht von einer Besserung ausgegangen werden könnte. Die im Befundbericht der Klinik H-Stadt beschriebenen deutlichen Verbesserungen hätten nicht dauerhaft stabilisiert werden können. Auch seien diese subjektiv völlig anders erlebt worden. Die Wegefähigkeit sei gegeben.

Zu dem Gutachten hat am 05.12.2016 die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. von der sozialmedizinischen Begutachtungsstelle der Beklagten Stellung genommen:

Die in den Gutachten gestellte Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sei durchaus schlüssig und nachvollziehbar; dies gelte jedoch nicht für die Einschätzung, dass die Störung durch Therapie nicht beeinflussbar sei. Eine längerfristige adäquate Therapie sei bisher nicht durchgeführt worden und der Kläger wehre sich seit Jahren hiergegen. Eine leitliniengerechte Psychotherapie sei beim Kläger bisher nicht erfolgt. Die beim Kläger noch vorhandenen Ressourcen würden nicht hinreichend eingeschätzt werden und die Angaben des Klägers würden übernommen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Die Klägerseite hat vorgebracht, dass das Gutachten der M. G. durch Frau Dr. K. nicht zutreffend beurteilt worden sei. Im Gutachten hätten sich keine Hinweise auf Aggravationsneigung des Klägers gefunden und es sei ausführlich dargelegt, dass spätestens seit 29.04.2016 die Anspruchsvoraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt seien. Der Kläger sei auch für geringfügige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr belastbar.

Auf weiteren Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist eine ergänzende Stellungnahme durch Frau G. eingeholt worden, die diese am 10.04.2017 erstellt hat. Gerade die zwischen den Gutachtern jetzt nicht mehr strittige Feststellung einer kombinierten Persönlichkeitsstörung lasse es für den Kläger unmöglich werden, sich einer konsequenten Psychotherapie zu unterziehen. Die Verbitterungstendenz habe im Laufe der Jahre so zugenommen, dass ein therapeutischer Ansatz langfristig aufgebaut werden müsste, soweit er überhaupt möglich sei. Inwieweit der Kläger sich aufgrund seines Störungsbildes auf eine ambulante psychotherapeutische Behandlung einlassen könne, sei fraglich. Um überhaupt eine Veränderung oder Korrektur erreichen zu können, bedürfe es wahrscheinlich jahrelanger therapeutischer Behandlung und die Fähigkeit des Klägers, daran mitzuarbeiten, werde von ihr kritisch gesehen. Im momentanen Zeitpunkt sei der Kläger nicht mehr in der Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden einer Beschäftigung nachzugehen und dies sei aufgrund der Schwere der Erkrankung zunächst für drei Jahre als gegeben anzusehen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 03.05.2012 hin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, hilfsweise auf Zeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2014 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des ZBFS Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch eine Rente wegen Erwerbsminderung hat, und auch in der Folgezeit ist ein derartiger Anspruch nicht nachgewiesen.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten, hat der Kläger bei Rentenantragstellung im Mai 2012 unproblematisch erfüllt gehabt. Ausgehend vom Versicherungsverlauf vom September 2015, wären die besonderen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI allerdings letztmals bei einem medizinischen Leistungsfall im Februar 2017 erfüllt gewesen. Ob sie tatsächlich bis zu diesem Zeitpunkt bestanden haben, schon früher weggefallen sind oder aktuell noch vorliegen, konnte dahingestellt bleiben, da die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen nicht nachgewiesen sind und somit ein medizinischer Leistungsfall als Ausgangspunkt für die Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht existiert. Es kam somit weder darauf an, ob der Kläger noch weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hätte vorlegen können, noch ob eine zeitliche Beschränkung des Umfangs für die Berücksichtigung derartiger Zeiten zu beachten wäre.

Hinsichtlich der medizinischen Anspruchsgrundlagen führt § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aus, dass Versicherte voll erwerbsgemindert sind, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Sämtliche gutachterliche Äußerungen bis zum Berufungsverfahren sind einhellig der Auffassung gewesen, dass der Kläger - unter Berücksichtigung eingeschränkter Arbeitsbedingungen - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig war. Die gegenläufige Äußerung des behandelnden Arztes Dr. E. in seinem Attest von November 2012, der eine zeitliche Einschränkung auf weniger als 3 Stunden täglich aus dem Wirbelsäulenleiden, der Polyarthrosis und Unfallfolgen herleiten will, ist nicht näher ausdifferenziert und vermag in keiner Weise zu überzeugen. Eine Herleitung der Einschränkung aus den Befunden erfolgt nicht bzw. ist nicht nachvollziehbar. Damit ergibt sich für den Senat, dass die angefochtenen Bescheide und die erstinstanzliche Entscheidung für den zurückliegenden Zeitraum vor 2016 nicht zu beanstanden sind und weder volle, noch teilweise Erwerbsminderung vorgelegen hatte.

Der Senat ist weiter zur Überzeugung gelangt, dass auch nicht durch eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers oder durch neue diagnostische Erkenntnisse in der Folgezeit die Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nachgewiesen ist. Die beiden im Jahr 2016 erstellten Gutachten des Dr. J. und der M. G. legen den Schwerpunkt auf die psychischen Störungen beim Kläger und deren Auswirkungen auf den Einsatz im Erwerbsleben. Aktuell seit der Untersuchung bei Dr. J. im April 2016 werden verstärkte Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers im Zusammenhang mit einer Persönlichkeitsstörung beschrieben. Die ebenfalls angeführten Traumafolgestörungen sind dagegen nur schwer fassbar, weil weder eine oder mehrere typische Traumasituationen herausgearbeitet worden sind, noch entsprechende Folgen wie systematische Flashbacks belegt sind. Die zunächst von Dr. J. angesprochene komplexe Traumafolgestörung im Zusammenhang mit Belastungen als Kind aber auch im Erwerbsleben bis hin zum Mobbing bleibt somit nur schlecht greifbar. Für den Senat entscheidend ist aber, dass trotz der Annahme einer komplexen Traumafolgestörung Dr. J. in sozialmedizinischer Hinsicht ein hinreichendes Leistungsvermögen des Klägers jedenfalls für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bejaht, auch wenn er zunächst eine - längerfristige - Behandlung des Klägers für erforderlich ansieht.

Den Ausführungen der M. G. vermag der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen, wobei er insbesondere die Einwände der Dr. K. für bedeutsam und auch durch die ergänzende Stellungnahme der M. G. nicht als widerlegt ansieht. Insbesondere bestehen im Gutachten der M. G. an einer ganzen Reihe von Punkten Widersprüchlichkeiten und Ungenauigkeiten: So sieht sie in ihrem Gutachten die Chancen einer Behandlung des Klägers zunächst nicht für realistisch gegeben, wobei sie zwar an sich ebenfalls offene Behandlungsoptionen beschreibt, aber meint, dass der Kläger wegen seiner Persönlichkeitsstörung diese nicht nutzen könne. In ihrer ergänzenden Stellungnahme geht sie dann aber von zunächst auf 3 Jahre befristeten Einschränkungen aus, was aber doch einen möglichen Behandlungserfolg einbezieht. Ebenso spricht sie zunächst von einem auf unter 3 Stunden herabgesunkenen Einsatzvermögen, später davon, dass der Kläger nicht mehr als 3 Stunden dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Weiter werden bei der Auseinandersetzung mit Vorgutachten und Stellungnahme des ärztlichen Dienstes Behandlungsdatum und Datum der Gutachtenerstellung vermischt und Namen falsch wiedergegeben.

Von zentraler Bedeutung für die Frage der Rentengewährung ist für den Senat in diesem Zusammenhang, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant werden, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89, BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils juris, BayLSG Urteil vom 18.01.2017 - L 19 R 755/11 mwN - juris, LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.09.2016 - L 7 R 2329/15, 25.05.2016 - L 5 R 4194/13 und 27.04.2016 - L 5 R 459/15 - jeweils juris). Beim Kläger sind die Behandlungsmöglichkeiten auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Fachgebiet bei weitem nicht ausgeschöpft. Insofern besteht noch nicht einmal eine Diskrepanz zwischen den Ärzten. Insbesondere Dr. K., aber auch Dr. J. beschreiben nachvollziehbar offene Behandlungsoptionen - wie im Übrigen früher auch schon Dr. R … Eine psychiatrische Behandlung des Klägers ist bisher zwar punktuell erfolgt, aber nicht leitliniengerecht längerfristig durchgeführt worden. Dass die Einschätzung des Bestehens von Erfolgschancen für weitere Behandlungen zutreffend ist, ergibt sich für den Senat auch daraus, dass die jeweiligen - stationären - Akutbehandlungen eine gesundheitliche Besserung einleiten. Dass es nicht zur dauerhaften Besserung gekommen ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass - wie ärztlich dargestellt - dann aber bisher keine konsequente, umfassende und leitliniengerechte ambulante Behandlungsfortführung erfolgt war.

Selbst die Gutachterin M. G. stellt die benannten Behandlungsoptionen nicht Abrede, sieht jedoch den Kläger wegen seiner Persönlichkeitsstörung trotz evtl. ärztlicher Unterstützung nicht dazu in der Lage, derartige Behandlungen wahrzunehmen. Letzteres vermag den Senat nicht zu überzeugen, zumal die Aussage in der ergänzenden Stellungnahme nicht in der Absolutheit aufrecht erhalten geblieben war. Der Senat sieht daher durch die Ausführungen der M. G. die Feststellungen und sozialmedizinischen Aussagen des Dr. J. und der Dr. K. nicht als widerlegt an.

Somit gewinnt der Senat aus den ärztlichen Feststellungen die Überzeugung, dass der Kläger nach wie vor leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von täglich 6 Stunden oder mehr verrichten kann. Eine dauerhaft vorliegende zeitliche Leistungsminderung ist derzeit nicht hinreichend nachgewiesen.

Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen kann der Kläger eine Tätigkeit in geschlossenen Räumen vorwiegend im Sitzen, aber auch im Stehen und Gehen ohne besondere nervliche Belastungen wie Nachtschicht, hohe Anforderungen an Konzentration, Daueraufmerksamkeit, Verantwortung oder Umsicht und ohne besondere Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie schwere und mittelschwere Hebe- und Tragebelastungen, Zwangshaltungen, häufige bückende Arbeiten, häufige kniende Arbeiten verrichten. Die Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft sollte vermieden werden.

Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf weniger als 3 Stunden täglich - also volle Erwerbsminderung - oder weniger als 6 Stunden - also teilweise Erwerbsminderung - ist daher zur Überzeugung des Senats nicht gegeben; allenfalls lag und liegt - zeitweilig bzw. protrahiert - Arbeitsunfähigkeit bei bestehender Behandlungsbedürftigkeit vor.

Ein Anspruch des Klägers auf eine volle Erwerbsminderungsrente kann auch nicht anderweitig begründet werden. Zwar könnte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusätzlich auch dann in Betracht kommen, wenn zwar keine quantitative Einschränkung besteht, jedoch die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Ausnahmefall (sog. Katalogfall) vorliegen würden. Für die Ermittlung, ob ein solcher Ausnahmefall besteht, ist nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - nach juris) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären. Für den Senat ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da sein Restleistungsvermögen etwa das Sortieren, Zureichen oder Verpacken leichter Gegenstände aber auch Kleben und Zusammensetzen von Teilen und Maschinenbedienung grundsätzlich zulässt. Beim Kläger ist zur Überzeugung des Senats auch die sogenannte Wegefähigkeit, d.h. die Möglichkeit zu einem Arbeitsplatz zu gelangen, zu bejahen, da er öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann und die Wege zu und von den Haltestellen innerhalb üblicher Zeit zu Fuß zurücklegen kann. Die diesbezüglich vom Kläger anfänglich vorgebrachten Einwände haben sich fachärztlicherseits nicht bestätigen lassen und im weiteren Verlauf des Verfahrens keine Rolle mehr gespielt.

Dementsprechend lässt sich beim Kläger weder das Vorliegen von voller, noch von teilweiser Erwerbsminderung - wie hilfsweise geltend gemacht - überzeugend belegen und es besteht kein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI.

Ein Antrag auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist nicht gestellt worden. Der Kläger hätte auch keinen Anspruch darauf, da er auf Grund seines Geburtsjahrganges nicht zu dem von § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis gehört.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit nicht zu beanstanden und die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

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c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

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5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

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a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

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b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

29

7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.