Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 07. Apr. 2016 - L 17 U 154/15

bei uns veröffentlicht am07.04.2016
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 15 U 61/13, 12.02.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.02.2015 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Arthrose des rechten Ellenbogengelenks und des rechten Schultereckgelenks des Klägers als Berufskrankheit nach der Nr. 2103 (BK 2103) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) („Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen“) anzuerkennen sind.

Der 1957 geborene Kläger arbeitete von 1980 bis 1991 in Kroatien in einem Büro und anschließend von 1992 bis März 2011 in einer Werkstatt für Bremsbeläge. Anschließend wurde er auf einen Schonarbeitsplatz umgesetzt, auf dem er in Teilzeit beschäftigt war. Einwirkungen im Sinne der BK 2103 war er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ausgesetzt. Hauptaufgabe des Klägers war das Entfernen von alten Bremsbelägen von Bremsbacken und -scheiben entweder mit einem Druckluft-Meißelhammer oder auch mit Hammer und Meißel.

Mit Schreiben vom 02.05.2011 teilte die Arbeitgeberin des Klägers mit, wegen verschiedener Erkrankungen des rechten Armes und der Wirbelsäule könne der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Schlosser nicht mehr ausüben. Ab 01.04.2011 werde er wöchentlich 25 Stunden bei herabgesetztem Stundenlohn für leichtere betriebliche Arbeiten weiter beschäftigt. Die Beklagte leitete daraufhin Feststellungsverfahren zu den Berufskrankheiten BK 2103, BK 2108 und BK 4103 sowie zu der Frage, ob die verrichteten Arbeiten an Bremsbelägen zu einer Erkrankung der Schultergelenke geführt habe, die wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sei, ein. Hinsichtlich der BK 2103 kam der Präventionsdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit erfüllt seien. Der Kläger habe an 4198 Tagen durchschnittlich 4,5 Stunden unter relevanten Schwingungseinwirkungen mit einem Beschleunigungswert von 12,0 m/S² gearbeitet. Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Dipl.-Med. W. vom 26.06.2012 ein mit dem Ergebnis, dass auch die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2103 gegeben seien. Durch die berufliche Einwirkung sei es bei dem Kläger zu einer leichten Arthrose im körperfernen Drehgelenk zwischen der rechten Elle und Speiche und einer leichten Arthrose beider Ellenbogengelenke gekommen. Zudem sei von einer beruflich bedingten richtunggebenden Verstärkung der Schultereckgelenksarthrose, insbesondere rechts, auszugehen.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. H. vom 04.09.2012 ein. Sie führte aus, dass die vom Kläger geschilderten Beschwerden nicht im Zusammenhang mit den festgestellten körperlichen Veränderungen an Ellenbogen und Schulter stünden. Insbesondere der Ellenbogen sei klinisch nicht symptomatisch, es bestehe weder eine wesentliche Arthrose noch eine Bewegungseinschränkung. Da auch in den Handgelenken keine Beschwerden angegeben würden, werde die Feststellung einer BK nicht empfohlen. Der Gewerbearzt Dr. F. nahm am 25.09.2012 dahingehend Stellung, die medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 2103 seien gegeben. Die Beklagte holte eine ergänzende Stellungnahme des Dipl.-med. W. vom 18.11.2012 ein, der ausführte, er halte aufgrund der Veröffentlichung von Schröter in Orthopädie 2001, 30, die Arthrose im Ellenbogengelenk und im körperfernen Drehgelenk zwischen Elle und Speiche für berufsbedingt, da nach dieser Veröffentlichung mit knapp 70% das Ellenbogengelenk am häufigsten betroffen sei und in etwa 25% der Fälle eine Arthrose im körperfernen Drehgelenk zwischen Elle und Speiche bestehe, begleitend in etwa 5% auch am Schultereckgelenk. Die Kombination einer fast immer initial nachzuweisenden Arthrose des Ellenbogengelenks mit Beteiligung des körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche deute auf eine schwingungsbedingte Entstehung hin, insbesondere wenn zusätzlich eine Mitbeteiligung des Schultereckgelenkes nachzuweisen sei. Eine isolierte Schultereckgelenksarthrose reiche zur Anerkennung nicht aus. Andererseits müsse er der beratenden Ärztin darin zustimmen, dass die degenerativen Veränderungen im rechten Ellenbogengelenk und im körperfernen Drehgelenk eigentlich keine Beschwerden und keine Funktionseinschränkungen hervorgerufen hätten und die angegebenen Beschwerden insbesondere an der rechten Schulter und speichenseitig am rechten Ellenbogengelenk auf Erkrankungen zurückzuführen seien, die nicht durch die BK 2103 verursacht worden seien. Daher sei die zunächst mit 10 eingeschätzte MdE zu hoch angesetzt. Letztlich schließe er sich der Beratungsärztin an.

Mit Bescheid vom 27.02.2013 stellte die Beklagte fest, dass beim Kläger keine BK 2103 bestehe und daher auch keine Ansprüche auf Leistungen bestünden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2013 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (S 15 U 61/13).

Mit Bescheid vom 25.09.2012 lehnte die Beklagte es ab, das Impingement-Syndrom und die Schultergelenksarthrose des Klägers als Berufskrankheit oder wie eine Berufskrankheit anzuerkennen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2013 zurück. Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben (S 15 U 71/13).

Mit Beschluss vom 31.01.2014 hat das SG die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 15 U 61/13 fortgeführt.

Das SG hat ein Gutachten des Unfallchirurgen und Orthopäden Dr. M. vom 21.05.2014 eingeholt mit dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2103 der Anlage 1 zur BKV vorliege. Der Kläger leide an einer Schultereckgelenksarthrose rechts und einer Ellenbogengelenskarthrose rechts, welche wesentlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien.

Die Beklagte legte eine Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. H. vom 19.08.2014 vor, die darauf hinwies, eine altersvorauseilende Arthrose in den Ellenbogengelenken sei diskussionsfähig, beide Ellenbogengelenke seien aber komplett frei beweglich und beider Handgelenke seien komplett frei beweglich, so dass kein belastungskonformes Schadensbild vorliege. Die Hauptprädilektionsstelle, das rechte Schultereckgelenk, sei keine typische Stelle, bei der sich über Vibrationsbelastungen verdeutlichten. Allerdings ist die Beratungsärztin von einem beidhändig geführten Werkzeug ausgegangen, was ausweislich der Lichtbildaufnahmen in den Akten unzutreffend ist. Hierzu hat Dr. M. ergänzende Stellungnahmen vom 21.10.2014 und vom 17.11.2014 abgegeben. Er hat sich dahingehend geäußert, die MdE betrage 0. Insoweit stimme er mit der Beratungsärztin über ein. Der Literatur sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die Schädigung des Ellenbogengelenkes zuerst aufzutreten habe oder am stärksten ausgeprägt sein müsse. Nachdem die Beklagte ihrer Ansicht noch einschlägige Literatur benannt und ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20.05.1999 vorgelegt hat, ergänzte Dr. M., die Literatur werde von der Beklagten falsch zitiert. Dass das Ellenbogengelenk durch niederfrequente Schwingungen besonders belastet werde, bedeute nicht, dass es als einziges Gelenk betroffen sein könne. Er verbleibe bei seiner gutachterlichen Einschätzung.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2015 hat der Kläger seine Klage gegen den Bescheid vom 25.09.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 zurückgenommen.

Mit Urteil vom 12.02.2015 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 verurteilt, die bei dem Kläger vorliegende Schultereckgelenksarthrose rechts und die Ellenbogengelenksarthrose rechts als Berufskrankheit nach Nr. 2103 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die von der Beklagten geforderte pathophysiologische Leistungskette im Sinne einer Erkrankungsreihenfolge mit Ersterkrankung des rechten Ellenbogens, gefolgt vom rechten distalen Ellen-Speichengelenk, daraufhin rechtes Handgelenk, danach linker Ellenbogen, gefolgt vom linken distalen Ellen-Speichengelenk, gefolgt vom linken Handgelenk, dann rechtes AC-Gelenk und schließlich linkes AC-Gelenk könne das SG der unfallmedizinischen Literatur nicht entnehmen. In Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, werde auf Seite 1171 ausgeführt, dass in Fällen der Berufskrankheit Nr. 2103 am häufigsten das Ellenbogengelenk (70%), danach das Handgelenk (25%) und seltener das Schultereckgelenk (5%) betroffen seien. Von der Notwendigkeit, dass die Beschwerden nach einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten müssten, sei dort nicht die Rede. Auch im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2103 (Bundesarbeitsblatt 3/2005, S. 51) sei hierzu nichts zu finden.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Sachverständige verkenne die Sach- und die notwendige Beweislage. Sein Literaturverzeichnis enthalte lediglich Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Es sei auch nicht zu erkennen, dass sich der Sachverständige mit der epidemiologischen spezifischen Literatur oder mit patho physiologischen oder biomechanischen Erwägungen detailliert auseinandergesetzt habe. Die Beklagte hat auf mehrere Veröffentlichungen zu der BK 2103 hingewiesen. Es treffe nicht zu, dass isolierte AC-Gelenks-Arthrosen vorgekommen seien. Von daher hätte ein weiteres Gutachten eingeholt werden müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.02.2015 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2013 abzuweisen, hilfsweise ein radiologisches Sachverständigengutachten einzuholen zu der Frage, welche radiologischen Veränderungen an den oberen Extremitäten festzustellen sind und ob diese über den alterstypischen Befund hinaus gehen, ferner ein orthopädisches und biomechanisches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob die Schultereckgelenksarthrose auf die berufliche Einwirkung des vom Kläger verwendeten Meißelhammers mit dessen speziellen Wirkweisen zurückzuführen ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Berufskrankheitenakten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 27.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 (§ 95 SGG).

Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 verurteilt, die bei dem Kläger vorliegende Schultereckgelenskarthrose rechts und die Ellenbogengelenksarthrose rechts als BK 2103 anzuerkennen.

Nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R juris Rn 14; vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R juris Rn 26 jeweils mwN).

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK (vgl. u.a. Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R, B 2 U 33/07 R, B 2 U 7/08 R, B 2 U 9/08 R m.w.N.; BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R m.w.N.).

Hinsichtlich einer BK müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S.d. „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Tatbestandsmerkmalen, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R; Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 34/99 R m.w.N.). Für den Vollbeweis ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55, juris Rn. 16). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG, Urteil vom 27.04.1972 - 2 RU 147/71, juris Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rn. 3b m.w.N.). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, juris Rn. 4 m.w.N.; BSG, Urteil vom 02.02.1978 - 8 RU 66/77, juris Rn. 13). Die Beweisanforderungen bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind höher als bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. dazu BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5 und Orientierungssatz; vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06, juris Rn. 116; vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, juris Rn. 36; Keller, a.a.O., Rn. 3d m.w.N.; zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003 - IX ZB 37/03, juris Rn. 8; vom 15.06.1994 - IV ZB 6/94).

Der Verordnungsgeber hat als BK 2103 „Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen“ bezeichnet (Bekanntmachung des BMGS, BArbBl 2005 H.3 S. 51). Der Senat stellt auf der Grundlage der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 30.01.2012 fest, dass der Kläger durch Arbeit mit einem druckluftbetriebenen Meißelhammer im Umfang von 4,5 Stunden arbeitstäglich in der Zeit von Januar 1992 bis einschließlich März 2011 niederfrequenten Schwingungseinwirkungen mit einem Beschleunigungswert von 12,0 m/S² ausgesetzt gewesen ist. Diese Einwirkungen im Sinne der BK 2103 sind nach dem von den Sachverständigen vermittelten Stand der medizinischen Wissenschaft geeignet, Erkrankungen der Gelenke herbeizuführen. Ebenso ist im Vollbeweis zur Überzeugung des Senats aufgrund der übereinstimmenden Gutachten des Dipl.-Med. W. und des Dr. M. erwiesen, dass der Kläger an einer arthrotischen Veränderung des Ellenbogengelenks und des körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche sowie des rechten Schultereckgelenkes leidet. Im Merkblatt zur BK 2103 werden die Arthrose des Ellenbogengelenks und die Arthrose des Schultereckgelenkes als Erkrankungen im Sinne der BK 2103 benannt.

Zur Überzeugung des Senats sind die arthrotischen Veränderungen des Ellenbogengelenks und des körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche nach dem einschlägigen Beweismaß der hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch berufliche Einwirkungen von niederfrequenten Schwingungen im Sinne der BK 2103 rechtlich wesentlich verursacht worden. Hierfür spricht, dass der Kläger ausweislich der Bilddokumentation durch den Präventionsdienst der Beklagten das Druckluftwerkzeug mit der rechten Hand angedrückt hat und die Arthrose der betroffenen Gelenke rechts deutlich stärker als links entwickelt ist. Dies erscheint plausibel, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die linke Hand nur benutzt wurde, um den Meißel am Abrutschen zu hindern, so dass die größte Schwingungsenergie in den rechten Arm eingeleitet worden ist. Auch die lange Einwirkungsdauer von über 19 Jahren und die vom Präventionsdienst festgestellten Beschleunigungsenergie von mehr als 12 m/S² bei kraftschlüssig angedrücktem Werkzeug sprechen deutlich für einen ursächlichen Zusammenhang. Soweit das rechte Schultereckgelenk betroffen ist, stellt der Senat sachverständig beraten fest, dass die Seitendifferenz bei der Arthrose speziell des Schultereckgelenkes deutlich dafür spricht, dass die Einwirkungen im Sinne der BK - hinsichtlich des Schultereckgelenks im Sinne einer wesentlichen Teilursache - diese Gesundheitsschäden verursacht haben. Dies ist angesichts der Einwirkungsdauer und der Einwirkungsenergie ebenfalls hinreichend wahrscheinlich. Gegen einen Zusammenhang spricht, dass das rechte Handgelenk nicht betroffen ist. Insoweit stellt der Senat ärztlich beraten fest, dass dies kein Ausschlusskriterium ist, sondern lediglich ein im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigender Faktor. Insgesamt spricht deutlich mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang.

Soweit die Beklagte einwendet, Dr. M. habe nicht den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft berücksichtigt, kommt es hierauf nicht an. Denn der von der Beklagten beauftragte Dipl.-Med. W. hat dem Senat den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft (im Ergebnis übereinstimmend mit Dr. M.) anhand aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen erläutert und insbesondere unter Bezugnahme auf die Veröffentlichung von Schröter dargelegt, dass das Schadensbild beim Kläger dem der BK 2103 entspricht. Die Kombination einer fast immer initial nachzuweisenden Arthrose des Ellenbogengelenks mit Beteiligung des körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche deutet demnach auf eine schwingungsbedingte Entstehung hin, insbesondere wenn zusätzlich, wie vorliegend, eine Mitbeteiligung des Schultereckgelenkes nachzuweisen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die durch die BK bedingten Gesundheitsstörungen so gering sind, dass sie eine MdE von 0 begründen. Dementsprechend diskret ist auch der von beiden Gutachtern erhobene Befund. Im Zusammenhang mit der Seitenverteilung und den intensiven beruflichen Einwirkungen ist, wie oben ausgeführt, zur Überzeugung des Senats der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der für die haftungsausfüllende Kausalität zu fordern ist, erreicht.

Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist, wie oben ausgeführt, keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK.

Den von Beklagtenseite gestellten Hilfsbeweisanträgen war nicht Folge zu leisten, denn sie sind nicht entscheidungserheblich. Dem Antrag, ein radiologisches Sachverständigengutachten einzuholen zu der Frage, welche radiologischen Veränderungen an den oberen Extremitäten festzustellen sind und ob diese über den alterstypischen Befund hinaus gehen, ist nicht nachzugehen. Die Beklagte hat diesen Antrag unter anderem damit begründet, dem Gutachter Dr. M. hätten nicht alle Röntgenbilder vorgelegen. Damit hat sie keine methodischen Fehler des erstinstanzlich eingeholten Gerichtsgutachtens aufgezeigt, denn Dr. M. ist als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie selbst qualifiziert, Röntgenaufnahmen zu befunden. Er hat auch aufgrund der auf seine Anordnung hin gefertigten Röntgenaufnahmen der Schultergelenke, Ellenbogengelenke, Unterarme und Handgelenke die Diagnosen Schultereckgelenksarthrose rechts und Ellenbogengelenksarthrose rechts gestellt. Es ist in keiner Weise ersichtlich, weshalb zur Absicherung dieser Diagnosen ein radiologisches Gutachten erforderlich sein sollte, zumal der von der Beklagten selbst gehörte Dipl.-med. W. aufgrund der in der Praxis des Orthopäden Dr. S. gefertigten Röntgenaufnahmen der rechten Schulter vom 21.06.2006 und vom 26.11.2010 und der von ihm selbst gefertigten Röntgenaufnahmen beider Schultergelenke, bei der Ellenbogengelenke und beider Handgelenke zu identischen Diagnosen gekommen ist.

Auch dem Antrag, ein orthopädisches und biomechanisches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob die Schultereckgelenksarthrose auf die berufliche Einwirkung des vom Kläger verwendeten Meißelhammers mit dessen speziellen Wirkweisen zurückzuführen ist, war nicht zu folgen. Insoweit handelt es sich um eine bloße Beweisanregung. Der Senat ist, wie oben ausgeführt, aufgrund der bereits vorliegenden Gutachten im Sinne des einschlägigen Beweismaßstabes der hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass dies der Fall ist. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass nach den eigenen Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten die Tätigkeit mit dem Meißelhammer zu erheblichen Einwirkungen von niederfrequenten Schwingungen zwischen 8 und 50 Hz im Sinne der BK 2103 geführt und auch eine starke Ankoppelung durch Greif-, Andruck- und Haltekräfte vorgelegen hat. Angesichts dessen, dass nach dem Merkblatt zur BK 2103 (BArbBl 2005 H.3 S. 51) solche Einwirkungen geeignet sind, Veränderungen an den Gelenken und Knochen des Hand-Arm-Schulter-Systems zu verursachen, ist es in keiner Weise ersichtlich, weshalb es eines biomechanischen Gutachtens bedürfte. Gutachten von orthopädischer Seite sind sowohl von der Beklagten selbst als auch vom SG mit übereinstimmendem und überzeugendem Ergebnis eingeholt worden. Soweit Dipl.-med. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.11.2012 sich der Beurteilung durch Dr. H. angeschlossen hat, geschah dies aufgrund der irrigen Annahme, dass den Leistungsfall auslösende Folgen der berufsbedingten Erkrankung Voraussetzung für die Feststellung einer BK seien, was - wie oben ausgeführt - nicht der Fall ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 2 Versicherung kraft Gesetzes


(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 95


Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 3 Versicherung kraft Satzung


(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf1.Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,2.Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

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Bundessozialgericht Urteil, 29. Nov. 2011 - B 2 U 26/10 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. August 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialger

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(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. August 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Hinterbliebene ihres im Dezember 1999 an den Folgen eines Bronchialkarzinoms verstorbenen Ehemanns (des Versicherten).

2

Der im Jahre 1939 geborene Versicherte war von 1966 bis 1996 als Schlosser bei der Firma B. beschäftigt, die Schlosser- und Schmiedearbeiten für das Baunebengewerbe und kleine Stahlkonstruktionen fertigte. In etwa 30 % seiner Arbeitszeit verrichtete der Versicherte Schweißarbeiten. Bis Ende der 70er Jahre wurden meist unlegierte Baustähle überwiegend im Lichtbogenhandverfahren (LBH) mit Elektrode geschweißt, seit Anfang der 80er Jahre überwiegend im Schutzgasschweißverfahren (Metallaktivgasverfahren - MAG), wobei thoriumhaltige Schweißelektroden beim WIG (Wolfram-Inertgas-Verfahren) verwandt wurden. Ab Anfang der 80er Jahre wurde gelegentlich Edelstahl verschweißt. Dabei kamen basische Elektroden zum Einsatz. Beim Anschleifen der Elektroden fand eine Thorium-Belastung statt. In geringerem Umfang wurde öliges Material verschweißt. Der Versicherte führte auch Schweißarbeiten an verzinkten Teilen aus, wobei er Zinkrauchen ausgesetzt war. Für die Dauer von vier Wochen hatte der Versicherte Umgang mit Asbestzementplatten. Asbestkontakt bestand auch bei der Montage zugeschnittener Eternitplatten und bei einer dreimonatigen Tätigkeit im Klinikum M. Während seines gesamten Berufslebens rauchte der Versicherte zumindest 15 Zigaretten täglich. Die Gesamtnikotinbelastung belief sich von 1960 bis 1999 auf 29,25 Packungsjahre.

3

Der Versicherte verstarb am 18.12.1999 an den Folgen eines im April 1999 erstmals diagnostizierten Bronchialkarzinoms. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 5.12.2000 sinngemäß die Anerkennung und Entschädigung des Bronchialkarzinoms als Berufskrankheit (BK) ihres verstorbenen Ehemanns, sowie Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes. Die Beklagte führte Ermittlungen durch, ua durch Befragung des Arbeitgebers, die Beiziehung von Krankenakten, Ermittlungen des TAD und die Einholung ärztlicher Gutachten (Prof. Dr. R.). Im Bescheid vom 20.11.2001 lehnte die Beklagte sodann die Anerkennung des metastasierenden Bronchialkarzinoms des Versicherten als BK und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5.6.2002). Es liege weder eine BK nach Nr 1103, noch nach 4104 oder 4109, noch eine Wie-BK gemäß § 9 Abs 2 SGB VII vor.

4

Hiergegen hat die Klägerin am 3.7.2002 Klage zum SG Marburg erhoben, das ein internistisch-pneumologisches Gutachten des Prof. G. eingeholt und die Klage durch Urteil vom 31.5.2005 abgewiesen hat. Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Das LSG hat gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Arbeitsmediziners und Internisten Prof. W. und ergänzende Stellungnahmen des Prof. G. und wiederum von Prof. W. eingeholt.

5

Das LSG hat sodann durch Urteil vom 31.8.2010 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Versicherte sei 1999 an einem Bronchialkarzinom des linken Lungenunterlappens verstorben. Seiner Überzeugung nach sei der Versicherte von 1966 bis 1996 als Schlosser bei der Firma B. infolge seiner versicherten Tätigkeit der lungenschädigenden Einwirkung Chrom VI- und nickeloxidhaltiger Schweißrauche, zinkchromathaltiger Tröpfchenaerosole, von Asbestfaserstaub, ionisierenden Thorium-Verfallsprodukten sowie polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen mit der Leitsubstanz Benzo(a)pyren (BaP) ausgesetzt gewesen, so dass insoweit die Einwirkungskausalität zu bejahen sei. Ohne die Einwirkung dieser Berufsschadstoffe wäre es nicht zum Auftreten der Bronchialkrebserkrankung des Schweregrads und im Alter von 60 Jahren gekommen. Als weitere Ursache trete aus dem privaten Bereich der Nikotinkonsum des Versicherten hinzu. Alle diese Lungenschadstoffe beruflicher wie privater Herkunft stünden nach Überzeugung des Senats als naturwissenschaftliche Ursachen im Sinne der conditio sine qua non Formel fest.

6

BK Nr 4104 scheide aus, weil der Nachweis einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von 25 Faserjahren nicht erfüllt, BK Nr 4113, weil die dort geforderte Einwirkung von mindestens 100 BaP-Jahren nicht feststellbar sei. Ein Versicherungsfall der BK Nr 4114 (Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen Kohlenwasserstoffen …) liege schon deshalb nicht vor, weil nach § 6 Abs 1 BKV hiervon nur Versicherungsfälle ab 1.10.2002 erfasst würden.

7

Keine der übrigen Berufsnoxen habe nach der Theorie der wesentlichen Bedingung allein das Lungenkrebsleiden des Versicherten bewirkt, so dass für die weiteren BK-Ziffern 2402, 4109 und 1103 nicht von einer monokausalen, durch den jeweiligen Schadstoff hervorgerufenen Entstehungsursache auszugehen sei. Die Thorium-Belastung beim WIG-Schweißen habe zu keiner im Rahmen der BK-Ziffer 2402 wesentlichen, lungenschädigenden ionisierenden Strahlenbelastung geführt. Die haftungsbegründende Kausalität sei im Allgemeinen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit monokausal zu begründen, wenn Intensität und Dauer der Einwirkung des jeweiligen Listenstoffes zu einer Risikoverdoppelung geführt hätten. Die Verdoppelungsdosis liege für Lungentumore bei Erwachsenen bei 2 Millionen Mikro-Sievert. Dieser Wert werde nicht erreicht. Dasselbe gelte für die BK Nr 4109 (bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lunge durch Nickel). Der Senat gehe von 288 bzw 540 µg Nickel/m³ x Jahre aus. Damit werde der Wert von 5000 µg Nickel/m³ x Jahre (Verdoppelungsdosis) nicht erreicht. Dasselbe gelte für die Belastung des Versicherten mit Chrom und seinen Verbindungen im Rahmen der BK Nr 1103. Auch hier werde die Verdoppelungsdosis von 2000 µg/m³ x Jahre nicht erreicht.

8

Der Versicherungsfall einer BK Nr 1103 sei auch nicht im Wege einer synkanzerogenen Kombinationswirkung von zumindest fünf lungenschädlichen Berufsschadstoffen zugunsten des Versicherten festzustellen. Denn auch unter Berücksichtigung der allein quantifizierbaren Lungenschadstoffe Chrom VI, Nickel und Asbest sei eine Risikoverdoppelung bzw ein relatives Risiko (RR) von zwei entsprechend einer Verursachungswahrscheinlichkeit (VW) von 0,5 nicht zu begründen, so dass berufliche Kausalfaktoren als wesentliche (Mit-)Ursache der Bronchialkrebserkrankung des Versicherten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwiesen seien. Grundsätzlich sei von einer synkanzerogenen Wirkung der Stoffe auszugehen, wobei die Bewertung nach der führenden Schweißrauchkomponente, der Chrom VI-Belastung erfolge. Beim Versicherten sei jedoch keine BK Nr 1103 durch Chrom VI-haltige Schweißrauchbestandteile bei synkanzerogener Mitbeteiligung der übrigen Lungenschadstoffe festzustellen. Die Gerichte müssten hier die streitigen Kausalzusammenhänge auf der Grundlage freier Beweiswürdigung mit der geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen. Auszugehen sei von der sog Wichmann'schen Formel, nach der das RR und die resultierende VW ermittelt werden könnten. Beim Zusammenwirken mehrerer Noxen errechne sich bei Erreichen eines RR von mehr als zwei eine VW von mehr als 50 % entsprechend einer Risikoverdoppelung. Die den Versicherten treffenden Schadstoffe wirkten hier auf dasselbe Organ (Lunge) im Rahmen einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung nach einem additiven Modell ein, so dass die für jeden Stoff ermittelten Bruchteile der Verdoppelungsdosis zu addieren seien. Die Sachverständigen kämen jedoch zu RR-Werten von unter zwei und damit von VW-Werten von unter 0,50, so dass die für eine wesentliche berufliche Mitverursachung zu fordernde Risikoverdopplung hinsichtlich der quantifizierbaren Stoffe Chrom, Nickel und Asbest deutlich verfehlt werde. Eine Anknüpfung an niedrigere Werte, wie etwa das sog Krasney'sche Drittel werde in der herrschenden Literatur und Rechtsprechung zu Recht abgelehnt.

9

Der Versicherte sei darüber hinaus nicht quantifizierbaren Noxen ausgesetzt gewesen, die es allerdings nicht erlaubten, die fehlende Lücke zur Risikoverdopplung zu schließen. Um zur Risikoverdopplung zu gelangen, hätten die nicht quantifizierbaren Belastungen beim Schweißen von Baustahl, durch Zinkchromat, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und Thorium sowie für die Bystander-Belastung zusätzlich ein RR von 1,57 ergeben müssen, was nicht begründbar sei.

10

Beweiserleichterungen bzw eine Umkehr der Beweislast zugunsten der Klägerin kämen nicht in Betracht. Zwar seien dem Arbeitgeber schwere Versäumnisse anzulasten und die Arbeitsbedingungen nur noch schwer zu rekonstruieren. Eine Abkehr von dem in der UV generell zu fordernden Beweisgrad oder gar eine Umkehr der Beweislast lasse sich hieraus aber nicht ableiten. Dem Berufungsbegehren hätte nur dann entsprochen werden können, wenn der Senat infolge einer Beweiserleichterung die anspruchsbegründende (Mit-)Ursächlichkeit lungenbelastender Berufsschadstoffe für das Auftreten des todesursächlichen Bronchialkarzinoms als erwiesen hätte ansehen können, wovon er sich aus mehreren Gründen nicht habe überzeugen können. Zu den fünf bis sechs synkanzerogenen Lungenschadstoffen seien keine belastbaren Dosis-Wirkungs-Beziehungen veröffentlicht. Falls ein Gericht hier dennoch das Erreichen der Verdoppelungsdosis unterstellen würde, so käme dies einer Umkehr der Beweislast gleich. Aber auch diese würde nicht zum Erfolg führen, weil der private Zigarettenkonsum des Versicherten zu berücksichtigen sei. Es wäre dann immer noch die Frage zu entscheiden, welche Bedeutung der beruflichen Verdoppelung des Risikos im Verhältnis zum durch den privaten Zigarettenkonsum vielfach erhöhten Erkrankungsrisikos zukomme. Der Senat halte für die Zeit vom 21. Lebensjahr (1960) bis zum Todesjahr (1999) des Versicherten den Konsum von mindestens 15 Zigaretten täglich für erwiesen. Aufgrund dieser 29,25 Packungsjahre ergebe sich ein 11-fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko.

11

Die Bronchialkrebserkrankung habe schließlich auch nicht als Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII anerkannt werden können.

12

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII. Das LSG habe bei den BKen Nr 1103, 2402 und 4109 eine monokausale Verursachung des Bronchialkarzinoms abgelehnt. Es sei jedoch in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch bei fehlender Monokausalität eine oder mehrere dieser Listen-BKen vorliegen könnte (Hinweis auf BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17), wenn der Schadstoff eine wesentliche Teilursache gewesen sei. Es stelle sich die Rechtsfrage, welche Anforderungen an die Kombinationswirkung von lungenkrebsauslösenden Noxen zu stellen seien. Es seien hier keinesfalls nur quantifizierbare Lungenschadstoffe (wie Chrom VI, Nickel und Asbest) zu berücksichtigen. Zudem könne aus § 9 Abs 1 SGB VII das vom LSG geforderte Kriterium eines Verdoppelungsrisikos nicht abgeleitet werden. Für das Erfordernis eines solchen Verdoppelungsrisikos gebe der Gesetzeswortlaut keinerlei Anhalt. Im Übrigen hätten die Gutachter auch die nicht quantifizierbaren Risiken abgeschätzt. Das LSG habe gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verstoßen, indem es nur quantifizierbare Einwirkungen berücksichtigt habe. Es hätte zudem aufgeklärt werden müssen, ob der Synergismus auch nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen immer noch als additives Modell zu beschreiben sei. Mit Krasney sei davon auszugehen, dass eine berufliche Teilursache bei einer VW von 0,33 bestehe. Das LSG habe nicht alle zu berücksichtigenden Tatsachen für die Beweisermittlung berücksichtigt. Der vorliegende Fall werde durch eine Kumulation von Besonderheiten (Verschulden des Arbeitgebers; Versäumnisse der beklagten BG) geprägt. Es hätten hier Anknüpfungstatsachen für einen Beweisnotstand ermittelt werden müssen, was ein Vergleich zur zivilrechtlichen Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht zeige.

13

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 31.08.2010 und des Sozialgerichts Marburg vom 31.05.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Regelungen in dem Bescheid vom 20.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2002 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen aus Anlass des Todes des Versicherten K. zu gewähren.

14

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

15

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil. Das LSG habe allerdings, nachdem es die monokausale Verursachung aller BKen abgelehnt habe, die BK Nr 1103 zusätzlich unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob Chrom im Zusammenwirken mit anderen Schadstoffen eine wesentliche Teilursache der Lungenerkrankung des Versicherten darstellen könne. Das LSG habe dabei fälschlicherweise die sog Wichmann'sche Formel benutzt. Das Wichmann'sche Berechnungsmodell dürfe nur auf eine konkrete Stoffkombination angewandt werden, wenn sowohl für die gesundheitsschädigende kanzerogene Wirkung der einzelnen Stoffe als auch für das synergetische Zusammenwirken ausreichende und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen. Das BSG habe aber am 12.1.2010 (B 2 U 5/08 R - aaO) bereits klargestellt, dass es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die synkanzerogene Wirkung von Chromat, Nickeloxid, Asbest und ionisierenden Strahlen gebe.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

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Der Senat kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend darüber befinden, ob bei dem Verstorbenen die BKen Nr 1103, 4109 oder 2402 der Anlage 1 zur BKV vorlagen und die Klägerin deshalb einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat (im Einzelnen unter 4.). Das LSG ist bei der Prüfung, ob einer der in diesen BKen genannten Arbeitsstoffe wesentliche (Teil-)Ursache der Lungenkrebserkrankung des Versicherten war, von einem Erfahrungssatz (der sog Wichmann'schen Formel) ausgegangen, der für die Frage der (teil-)wesentlichen Verursachung der Erkrankung durch eine der Noxen (isoliert) schon wissenschaftlich/ denklogisch von seinem Ansatz her nicht einschlägig ist. Das LSG hat allerdings zu Recht das Vorliegen einer BK nach Nr 4104, 4113 und 4114 der Anlage 1 zur BKV abschließend verneint (vgl unter 2.). Ebenso hat es das Vorliegen einer sog Wie-BK gemäß § 9 Abs 2 SGB VII mit zutreffenden Erwägungen verneint (hierzu unter 3.).

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1. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Urteil vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 26 ff) umfasst der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen in ihren Bescheiden verneint. Nach § 63 Abs 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts(§§ 64 bis 71 SGB VII), dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, zB eine bestimmte BK oder Wie-BK habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall, Listen-BK, Wie-BK) vorgelegen, der dessen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht.

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Hingegen ist er schon mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Hier hat die Beklagte zwar mehrfach im Hinblick auf verschiedene Sachverhalte, aber jeweils einheitlich festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.

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2. Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente wegen des Todes des Versicherten infolge des Versicherungsfalls einer BK Nr 4104, 4113 oder 4114, weil die in den Tatbeständen dieser Normen der Anlage 1 zur BKV explizit benannten Voraussetzungen der jeweiligen BK nicht vorgelegen haben. Aus § 9 Abs 1 SGB VII lassen sich für eine Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben(haftungsbegründende Kausalität; vgl zuletzt BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R und B 2 U 25/10 R; BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 14; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14).

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Die BK Nr 4104 lautet: "Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs - in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder - in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder - bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren". Die BK Nr 4104 scheidet schon deswegen aus, weil bei dem Versicherten nach dem Gesamtzusammenhang der tatsächlichen Feststellungen des LSG weder das Bild einer Asbestose noch einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura noch eine Einwirkung von 25 Asbestfaserjahren vorgelegen hat (vgl auch BSG vom 4.12.2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 1).

22

Die BK Nr 4113: "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren [(µg/m³) x Jahre]" scheidet ebenfalls aus, weil der in der Norm selbst genannte Einwirkungswert von 100 BaP-Jahren nicht erreicht ist.

23

Schließlich scheidet auch BK Nr 4114 "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen" schon deshalb aus, weil der Versicherungsfall nicht gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 BKV nach dem 30.9.2002 eingetreten ist.

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3. Der Versicherte ist am 18.12.1999 auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK gemäß § 9 Abs 2 SGB VII verstorben.

25

Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK (Wie-BK) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des § 9 Abs 2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27). Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f).

26

Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt sind. Der Versicherungsfall der Wie-BK lässt sich zwar nachträglich feststellen, er ist aber objektiv zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII gegeben sind(vgl noch zu § 551 Abs 1 Satz 2 RVO: BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 23). Im vorliegenden Fall kam es also entscheidend darauf an, ob es spätestes am 18.12.1999 wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie durch die Einwirkungen von Chrom VI- und nickeloxidhaltigen Schweißrauchen, zinkchromathaltigen Tröpfchenaerosolen, Asbest und ionisierenden Thorium-Verfallsprodukten gemeinsam verursacht worden ist, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die BKV erfüllte. Dies hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 12.1.2010 (aaO, RdNr 32 mwN aus der wissenschaftlichen Literatur) für den dort maßgebenden Zeitpunkt des 8.8.2000 verneint. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass die hier angefochtene Entscheidung des LSG für den Todeszeitpunkt 18.12.1999 unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden ist.

27

4. Ob der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 1103, 2402 oder 4109 der Anlage 1 zur BKV eingetreten ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

28

Diesen BK-Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie selbst keine numerische Einwirkungsgröße der jeweiligen Noxe vorsehen. Erfüllen die Einwirkungen eines bestimmten Arbeitsstoffes bereits nicht die in einem BK-Tatbestand selbst genannten Einwirkungsvoraussetzungen, wie hier bei den BKen Nr 4104 und 4113 (soeben unter 2.), so können sie zwar eine Krankheit mitverursacht haben, eine Anerkennung der jeweiligen BK scheidet aber von vornherein aus, weil schon die Mindestanforderungen des jeweiligen BK-Tatbestands nach dessen expliziter Ausformulierung nicht gegeben sind (vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO , RdNr 37).

29

BK Nr 1103 lautet: "Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen". BK Nr 2402: "Erkrankungen durch ionisierende Strahlungen" und BK Nr 4109: "Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel". Nach den Feststellungen des LSG ist der Versicherte während seines Arbeitslebens berufsbedingt schädigenden Einwirkungen durch Chrom VI- und nickeloxidhaltige Schweißrauche sowie ionisierenden Thorium-Verfallsprodukten ausgesetzt gewesen. Allerdings hat das LSG für jeden der in den drei genannten Listen-BKen bezeichneten Arbeitsstoffe isoliert betrachtet die haftungsbegründende Kausalität verneint, weil die Einwirkungen nicht die Schwelle des sog Verdoppelungsrisikos überschritten. Hierzu hat die Revision zunächst zu Recht gerügt, dass das LSG mit dem Verdoppelungsrisiko ein nicht unmittelbar aus dem Gesetz abgeleitetes Kriterium zugrunde gelegt hat, ohne im Einzelnen die wissenschaftliche Basis dieses Kriteriums in den Prozess einzuführen (vgl hierzu auch Urteil des Senats vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - RdNr 31). Das LSG wird daher nach einer Zurückverweisung zunächst klarzustellen haben, auf welchem medizinischen Erfahrungssatz die Annahme der jeweiligen Verdoppelungsgrenzwerte für die hier betroffenen BKen beruht (kritisch zur Zugrundelegung des Verdoppelungsrisikos als notwendiges Kriterium für die Einführung einer BK, BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 37 = SozR 3-2200 § 551 Nr 12 S 42). Nur dann kann auch revisionsrechtlich die Aussage des LSG nachvollzogen werden, dass keiner der Stoffe allein die (ggf in der jeweiligen Listen-BK bezeichnete) Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht habe.

30

Der Senat hat allerdings in seinem Urteil vom 12.1.2010 (B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 34) zu erkennen gegeben, dass für die BK Nr 1103 eine Einwirkung in der Größenordnung von 2000 µg/m³ x Jahre erforderlich sein könnte, die bei dem Versicherten nach den Feststellungen des LSG bei weitem nicht erreicht wurde. Bei der Einwirkung durch ionisierende Strahlen (BK Nr 2402) wird anhand der Einwirkungsdosen die VW in Prozent ermittelt, die bei dem Versicherten nach den Feststellungen des LSG bei 1 vH lag. Bei der BK Nr 4109 könnte eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5000 µg/m³ x Jahre erforderlich sein (vgl BSG Urteil vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 34, wo allerdings die entsprechenden Feststellungen des LSG von der Revision nicht gerügt worden waren).

31

Der Senat hat zudem mehrfach klargestellt, dass eine der Listen-BKen (Nr 1103, 2402 und 4109) nicht nur dann vorliegen kann, wenn die in ihrem Tatbestand genannten Einwirkungen durch einen bestimmten Stoff auf die Gesundheit schon bei isolierter Betrachtungsweise nur je eines Stoffes die im Einzelnen zu definierenden Voraussetzungen erfüllen (grundlegend BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 35). Denn selbst wenn diese Einwirkungen bei isolierter Betrachtung - und ggf nicht zu beanstandender Zugrundelegung des sog Verdoppelungsrisikos oder eines anderen aufgrund wissenschaftlicher Erfahrungssätze begründbaren Kriteriums - die Voraussetzungen an die Einwirkungsdauer, -intensität, -häufigkeit oder -weise nicht erfüllen, können sie dennoch eine wesentliche Teilursache der als BK anerkannten Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sein (vgl zur Prüfung des Versicherungsfalls einer Listen-BK: BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5; zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - RdNr 28 ff; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 ff).

32

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier Einwirkungen durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zur konkreten Krankheitsentstehung zum Eintritt des Erfolgs wesentlich mitgewirkt haben. Bei der rein rechtlichen Zurechnungsprüfung der "Wesentlichkeit" einer Bedingung für die Entstehung (oder wesentliche Verschlimmerung) der Krankheit sind also nicht alle Bedingungen zu berücksichtigen, sondern nur jene, die nach den im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt anerkannten wissenschaftlichen Erfahrungssätzen notwendige oder hinreichende Bedingungen für den Eintritt einer Krankheit dieser Art sind. Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs wertend entschieden werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 f mwN; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 12).

33

Auch für die Arbeitsstoffe der hier in Betracht kommenden BKen Nr 1103, 2402, 4109, deren Bezeichnung keine Dosis enthält, ist daher zuerst festzustellen, ob die durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursachte konkret festgestellte Einwirkung des Stoffes auf den Versicherten nach den derzeit in der Wissenschaft anerkannten Erfahrungssätzen ihrer Art nach eine notwendige (oder hinreichende) Bedingung (unter Umständen neben anderen notwendigen oder hinreichenden Bedingungen) für die Entstehung einer Krankheit der beim Versicherten festgestellten Art ist. Nur dann ist im konkreten Einzelfall die Krankheit des Versicherten tatsächlich Folge (ggf auch) der durch die versicherte Tätigkeit verursachten Einwirkung. Mithin ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen BK-Tatbestands nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele.

34

Ist ein Listenstoff in diesem Sinne ursächlich geworden, ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Denn die Theorie der wesentlichen Bedingung verlangt bei der Prüfung, ob eine Einwirkung einen wesentlichen Kausalbeitrag gesetzt hat, nicht abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg. Vielmehr lässt sie es zu, ihre "Wesentlichkeit" für die festgestellte Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur BKV bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kann so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemischs wesentliche Bedeutung für den Erfolg im Sinne eines BK-Tatbestands zukommt (vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 38, 21; Becker in MedSach 2005).

35

Falls die Krankheit des Versicherten nach wissenschaftlichen Erfahrungssätzen allein deshalb entstanden ist (Tatsachenfrage), weil mehrere in verschiedenen Tatbeständen der BKV genannte Stoffe nebeneinander als notwendige (oder hinreichende) Bedingungen infolge der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit eingewirkt haben, kommt es für jeden einschlägigen BK-Tatbestand darauf an, ob die in ihm genannte und konkret festgestellte (Tatsachenfrage) Stoffeinwirkung im Einzelfall im oben genannten Sinn rechtlich "wesentlich" war.

36

Das LSG hat diesen Zusammenhang erkannt und unter Berufung auf das Urteil des erkennenden Senats vom 12.1.2010 (aaO) geprüft, ob bei dem Versicherten die BK Nr 1103 (Chrom) vorliegt. Im Ansatz richtig ist es davon ausgegangen, dass aufgrund des Zusammenwirkens von Stoffen keine außergesetzliche, neue Gesamt-BK gebildet werden kann. Vielmehr ist jeweils stoffbezogen zu prüfen, ob nicht die Einwirkungen nach jeder der in Betracht kommenden BKen eine rechtlich wesentliche Teilursache für die Lungenerkrankung bilden.

37

Das LSG hat auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung eine naturwissenschaftlich-philosophisch vorliegende Verursachungsbeziehung (ua) zwischen dem Lungenkrebs des Versicherten und den Noxen Chrom, Nickel und Thorium bejaht, ohne geklärt zu haben, welche Stoffeinwirkungen nach den wissenschaftlich anerkannten Erfahrungssätzen notwendige oder hinreichende Bedingungen der Krankheit des Versicherten waren. Es wendet sich sodann ausschließlich der Prüfung der BK Nr 1103 zu, weil Chrom die "führende Schweißrauchkomponente" gewesen sei. Sodann wird geprüft, ob eine BK Nr 1103 bei "synkanzerogener Mitbeteiligung der übrigen Lungenschadstoffe" festzustellen sei (Urteil S 27). In der Folge wird unter Anwendung der sog Wichmann'schen Formel versucht, den relativen Beitrag der einzelnen Noxen additiv zu ermitteln, um bei Vorliegen einer VW von 0,50 (aller Noxen zusammengenommen) dann ein Vorliegen der BK Nr 1103 (Chrom) in Erwägung zu ziehen.

38

Das LSG hat dabei verkannt, dass das von ihm mehrfach zustimmend zitierte Urteil des LSG Schleswig-Holstein (13.9.2007 - L 1 U 44/03 - Breithaupt 2008, 308) Gegenstand des Revisionsverfahrens B 2 U 5/08 R (Urteil vom 12.1.2010 - aaO) gewesen und von seinem rechtlichen Ansatz her vom BSG für nicht vertretbar erachtet worden ist. Das LSG Schleswig-Holstein hatte die sog Wichmann'sche Formel dazu benutzt, eine (neue) Gesamt-BK bestehend aus den Nr 1103, 4109 und 2402 der BKV zu bilden, die es deshalb für begründbar gehalten hat, weil alle Noxen additiv zusammengenommen die VW von 50 vH überschritten hätten (LSG Schleswig-Holstein, aaO, RdNr 50 ff).

39

Das LSG übernimmt nun für den vorliegenden Fall diesen Berechnungsansatz, um eine "führende" Einzel-BK (hier Nr 1103) für den Fall bejahen zu können, dass zu diesem "führenden" Schadstoff additiv weitere Stoffe hinzukämen, mit denen die VW insgesamt (durch alle einwirkenden Stoffe in additiver Gesamtschau) überschritten werde. Mit einem solchen Vorgehen wird aber in keiner Weise plausibel (aufgrund wissenschaftlicher Erfahrungssätze), wieso zunächst gerade Chrom eine notwendige oder hier sogar hinreichende wesentliche (Teil-)Ursache für den Lungenkrebs des Versicherten gesetzt haben soll und folglich ausschließlich die BK Nr 1103 in Betracht käme. Das LSG hat - ohne nachvollziehbare Begründung - Chrom als "Leitstoff" (wieso nicht Thorium oder Nickel?) gesetzt und ist sodann davon ausgegangen, die BK Nr 1103 bejahen zu können, wenn Chrom in Kombination mit allen anderen Stoffen insgesamt nach der Wichmann'schen Formel zu einer VW von über 50 vH führt. Nach dem Inhalt dieser Formel wäre aber allenfalls belegbar, dass die Summe der in die Formel eingestellten Noxen zu einer Erkrankung geführt haben könnte. Insbesondere hat das LSG nicht mitgeteilt, welcher in der Wissenschaft anerkannte Erfahrungssatz durch die Wichmann'sche Formel ausgedrückt wird. Ohne diese Feststellung der in seiner Folgerung zugrunde gelegten generellen Tatsache kann das Revisionsgericht nicht erkennen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der "wesentlichen Teilverursachung" zutreffend ausgelegt hat. Die Frage, welche(r) der drei in BK Nr 1103, 2402 und 4109 genannte(n) Schadstoff(e) (teil-)wesentlich die Erkrankung verursacht haben könnte(n), lässt sich aber mit der Wichmann'schen Formel gerade nicht beantworten.

40

Falls die weiteren Ermittlungen des LSG ergeben, dass alle in Betracht kommenden Noxen naturwissenschaftlich-philosophisch kausal für die Erkrankung waren, so wird es folglich weiter zu prüfen haben, ob die Einwirkungen nach den genannten BKen Nr 1103, 2402, 4109 - jede für sich und nicht alle zusammen im Sinne der Wichmann'schen Formel als Gesamt-BK betrachtet - eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt der Lungenerkrankung waren. Ist auch dies zu bejahen, ist entweder ein Versicherungsfall nach BK Nr 1103 oder BK Nr 2402 oder BK Nr 4109 oder aber mehrere Versicherungsfälle dieser Listen-BKen nebeneinander (nicht kumulativ) gegeben (vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - aaO, RdNr 39). Schließlich ist zu prüfen, ob der Tod des Versicherten infolge dieses Versicherungsfalls oder eines dieser Versicherungsfälle eingetreten ist.

41

Das LSG wird sodann bei Berücksichtigung dieser rechtlichen Maßstäbe auch den Verursachungsbeitrag des Rauchens des Versicherten zu bestimmen haben. Mit dem vom LSG bindend festgestellten Rauchen des Versicherten über einen Zeitraum von 29,25 Packungsjahren ist zunächst mehr als ein Anhaltspunkt für eine andere Verursachung für die Lungenkrebserkrankung des Versicherten gegeben (BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 26). Allerdings ist noch zu beurteilen, ob das Rauchen des Versicherten in wertender Betrachtung die rechtlich "allein wesentliche" Ursache der Erkrankung war. Dies wird insbesondere anzunehmen sein, wenn der Verursachungsbeitrag der Einwirkung Rauchen gegenüber den Verursachungsbeiträgen der anderen Noxen deutlich überwiegt. Bergen aber nach den festzustellenden wissenschaftlichen Erkenntnissen die beruflichen Einwirkungen für sich allein ein so hohes Gefährdungspotential, dass sich darauf eine hinreichende VW stützen lässt, so kann es auf das Vorhandensein weiterer belastender Einwirkungen nicht ankommen (BSG aaO, RdNr 27).

42

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.