Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 23. Apr. 2014 - L 11 AS 512/13
Gericht
Principles
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 17.05.2013 und der Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2013 aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Minderung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen der Verhinderung der Anbahnung einer Tätigkeit.
Der 1983 geborene Kläger bezog nach einer Umschulung zum Reiseverkehrskaufmann zuletzt aufgrund des Bescheides vom 28.01.2013 wegen der fehlenden Nebenkostenabrechnung und schwankenden Einkommens aus einer geringfügigen Tätigkeit vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.07.2013. Dabei war für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.03.2013 eine Sanktion in Höhe von 224,40 € aufgrund des Minderungsbescheides vom 30.11.2012 (60 v. H. des Regelbedarfes wegen einer ersten wiederholten Pflichtverletzung) berücksichtigt. Vorangegangen war eine Minderung wegen einer ersten Pflichtverletzung mit Bescheid vom 21.03.2012 für den Zeitraum vom 01.04.2012 bis 30.06.2012.
Am 07.12.2012 unterbreitete der Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag (VV). Der Kläger solle sich bei der Firma S.-R. als Reiseverkehrskaufmann per Email bewerben und Zeugnisse vorlegen. Bei Weigerung, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, sehe das Gesetz Leistungsminderungen vor. Das Alg II des Klägers sei zuletzt aufgrund eines ersten wiederholten Pflichtverstoßes um einen Betrag in Höhe von 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs gemindert worden (vgl. Bescheid vom 30.11.2012). Weigere er sich, die ihm mit dem VV angebotene Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen, entfalle das ihm zustehende Alg II vollständig. Ein weiterer wiederholter Pflichtverstoß liege auch vor, wenn er die Aufnahme der angebotenen Arbeit durch negatives Bewerbungsverhalten vereitele. In seiner Email vom 20.12.2012 an die Firma S.-R. bewarb sich der Kläger mit dem Hinweis, dass er die Umschulung zum Reiseverkehrskaufmann im Dezember 2011 beendet habe und sich seither ehrenamtlich in sozialen und wirtschaftlichen Bereichen (z. B. O.-B.) als auch bei der sozialen und wirtschaftlichen Integration von Hilfebedürftigen sowie im Dauerprotest der Flüchtlinge und bei der Integration der Flüchtlinge engagiere. Eine Tätigkeit im Reisebüro lasse sich wunderbar mit seinen privaten und politischen Interessen verbinden, da interessante Gespräche über die jeweiligen Situationen in Problemgebieten an der Tagesordnung seien und so auch unter den Reisenden ein Bewusstsein für deren Einfluss auf die entsprechenden Ziele gebildet werden könne. Die Firma S.-R. teilte der Beklagten daraufhin mit, der Kläger habe keine Zeugnisse übersandt. Auf Anhörung zum Inhalt der Bewerbung und zur Nichtvorlage von Zeugnissen erklärte der Kläger, er habe seine Zeugnisse aufgrund eines Umzuges nicht finden können, habe dies aber in seiner Bewerbung nicht erwähnt, um nicht unorganisiert zu erscheinen. In seiner Bewerbung müsse er sich auch nicht besser darstellen als er sei. Im Übrigen habe er in seinem Lebenslauf ausführliche Angaben zu seinem persönlichen und beruflichen Werdegang gemacht. Mit Bescheid vom 21.02.2013 stellte der Beklagte den Eintritt einer Minderung des Alg II in Höhe von 229,20 € monatlich für die Zeit vom 01.03.2013 bis 31.05.2013 fest. Die Bewerbung per Email habe nicht dem entsprochen, was man nach herrschender Meinung unter einer Bewerbung verstehe. Er sei allein auf sein ehrenamtliches Engagement und auf seine Privatinteressen eingegangen und habe auch keine Zeugnisse vorgelegt. Dies habe zur Verhinderung der Arbeitsaufnahme geführt. Wichtige Gründe für sein Verhalten seien nicht dargelegt worden. Seit dem Umzug im Juli 2012 habe er sich um den Ersatz von Zeugnissen kümmern können. Nachdem er wiederholt seinen Pflichten nicht nachgekommen sei ("vorangegangene Pflichtverletzung siehe laut Bescheid vom 21.03.2012"), werde für die Zeit vom 01.03.2013 bis 31.05.2013 eine Minderung des Alg II um 60 v. H. des maßgebenden Regelbedarfs festgestellt.
Den Minderungsbescheid vom 30.11.2012 hob der Beklagte mit Bescheid vom 25.02.2013 auf. Mit Bescheid vom 21.03.2013 hob der Beklagte zudem den Bewilligungsbescheid vom 28.01.2013 für die Zeit vom 01.04.2013 bis 30.04.2013 teilweise auf. Eine vom Kläger zu zahlende Nebenkostennachzahlung in Höhe von 165,57 € werde übernommen. Abzuziehen sei ein Minderungsbetrag aufgrund der festgestellten Sanktion in Höhe von 229,20 €. Die Leistungsbewilligung erfolge weiterhin wegen der ungeklärten monatlichen Lohnhöhe vorläufig.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.02.2013 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2013 zurück. Der Kläger habe die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses durch die Nichtvorlage der Zeugnisse verhindert. Die Rechtsfolgenbelehrung im Vermittlungsvorschlag sei ordnungsgemäß gewesen. Die Minderung des Alg II um lediglich 60 v. H. stelle gegenüber dem in der erteilten Rechtsfolgenbelehrung genannten vollständigen Wegfall einen Vorteil für den Kläger dar.
Gegen den Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und in der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2013 allein den Antrag gestellt, diese Bescheide aufzuheben. Mit Urteil vom 17.05.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe sich geweigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder deren Anbahnung durch sein Verhalten verhindert. Es handle sich um eine erste wiederholte Pflichtverletzung nach der mit Bescheid vom 21.03.2012 sanktionierten ersten Pflichtverletzung. Trotz ordnungsgemäßer Rechtsfolgenbelehrung im Vermittlungsvorschlag habe der Kläger keine Zeugnisse vorgelegt. Unerheblich sei daher die Form und der Inhalt des Bewerbungsschreibens. Ein wichtiger Grund für die Nichtvorlage der Zeugnisse habe nicht vorgelegen. Diese in der Sphäre des Klägers liegende Nachlässigkeit des Verlegens seiner Zeugnisse sei ihm zuzurechnen und könne nicht als Entschuldigung dienen. Der Umstand, dass es nicht zu einem Wegfall des Alg II sondern lediglich zu einer Kürzung um 60 v. H. gekommen sei, stelle einen Vorteil für den Kläger dar. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung hat der Kläger auf sein bisheriges Vorbringen hingewiesen. Seine Zeugnisse habe er zwischenzeitlich in einem Umzugskarton gefunden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 17.05.2013 sowie den Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2013 aufzuheben,
hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, Alg II ohne Berücksichtigung einer Minderung wegen Nichtbewerbung aufgrund des Vermittlungsvorschlages vom 07.12.2012 aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 28.01.2013 in der Fassung des Bescheides vom 21.03.2013 für Mai 2013 auszuzahlen. Hilfsweise beantragt er die Vorlage des Verfahrens gemäß Artikel 100 GG an das Bundesverfassungsgericht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Bezugnahme auf den später aufgehobenen Sanktionsbescheid vom 30.11.2012 im VV sei unschädlich und im Zeitpunkt der Unterbreitung des VV zutreffend gewesen. Die Rechtsfolgenbelehrung zu einem vollständigen Wegfall des Alg II im Vermittlungsvorschlag stelle eine unschädliche Überbelehrung dar. Mit einer Klageänderung i. S. einer Klageerweiterung sei er nicht einverstanden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Gründe
Die vom Senat zugelassene Berufung (§§ 143, 144, 145, 153 Sozialgerichtsgesetz
-SGG-) ist begründet. Das Urteil des SG vom 17.05.2013 ist aufzuheben. Der Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen [6] für die Feststellung des Eintritts einer Minderung des Anspruchs auf Alg II in Höhe von 60 v. H. des maßgebenden Regelbedarfs liegen nicht vor.
Gegenstand des Verfahrens ist dabei allein der Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 04.04.2013. Hiergegen hat der Kläger eine reine Anfechtungsklage erhoben, wie dem Protokoll des SG über die mündliche Verhandlung vom 17.05.2013 zu entnehmen ist. Die im Berufungsverfahren zudem hilfsweise erhobene reine Leistungsklage auf Auszahlung der mit - trotz der Sanktion zumindest für Mai 2013 nicht teilweise aufgehobenen - Bescheid vom 28.01.2013 in der Fassung des Bescheides vom 21.03.2013 bewilligten Leistungen stellt eine Klageänderung i. S. einer Klageerweiterung dar (§ 99 Abs. 1 und 2 SGG), der Anspruch stützt sich auf einen anderen Lebenssachverhalt (vgl. dazu: § 99 Abs. 3 SGG). Der Klageänderung hat der Beklagte nicht zugestimmt und der Senat hält sie auch nicht für sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG), denn der Rechtsstreit würde auf eine völlig neue Grundlage gestellt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Aufl., § 99 Rdnr.10a). Gründe der Prozessökonomie sprechen vorliegend nicht für eine Sachdienlichkeit.
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in der seit 01.04.2012 geltenden Fassung verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16 d oder ein nach § 16 e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen oder nachweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Weder die Form noch der Inhalt des Bewerbungsschreibens per Email selbst hat die Anbahnung einer Tätigkeit verhindert. Die Firma S.-R. hat nämlich allein mitgeteilt, der Kläger habe keine Zeugnisse vorgelegt. Sonstige Gründe für ein Nichtzustandekommen des Arbeitsverhältnisses hat der mögliche Arbeitgeber nicht genannt. Somit ist davon auszugehen, dass für diesen Arbeitgeber der Inhalt der Bewerbung nicht ausschlaggebend war, den Kläger nicht einzustellen. Im Übrigen war das Schreiben des Klägers weder provokant noch abschreckend und die Firma S.-R. hat das Bewerbungsschreiben offensichtlich auch nicht so verstanden. Hinsichtlich der Form und des Inhaltes des Bewerbungsschreibens fehlt es somit an einem vorwerfbaren Verhalten des Klägers. Der Beklagte stellt hierauf letztendlich im Widerspruchsbescheid vom 04.04.2013 auch nicht mehr ab. Allerdings hat der Kläger, obwohl im VV gefordert, keine Zeugnisse vorgelegt und dadurch die Anbahnung einer Tätigkeit verhindert. Ob hierfür ein wichtiger Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorliegt, wenn der Kläger die Zeugnisse infolge eines Umzuges zunächst nicht finden kann, kann dahingestellt bleiben.
Für den Eintritt einer Minderung fehlt es nämlich bereits an einer ordnungsgemäß erteilten, hinreichenden Rechtsfolgenbelehrung. § 31 Abs.1 SGB II setzt in allen dort geregelten Alternativen voraus, dass der Hilfebedürftige die von ihm geforderte Handlung "trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis" unterlassen hat. Die Wirksamkeit einer solchen Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist, zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweiligen Angebot einer Arbeit(sgelegenheit) erfolgt, sowie den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung, die angebotene Arbeit(sgelegenheit) anzutreten, für ihn ergeben, wenn für diese Weigerung kein wichtiger Grund vorliegt. Diese strengen Anforderungen ergeben sich aus der Funktion der Rechtsfolgenbelehrung, den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen hinreichend über die gravierenden Folgen des § 31 Abs. 1 SGB II zu informieren und ihn in allgemeiner Form vorzuwarnen. Nur eine verständliche Rechtsfolgenbelehrung kann die mit den Sanktionen verfolgte Zweckbestimmung, das Verhalten des Hilfebedürftigen zu steuern, verwirklichen (vgl. zum Ganzen: BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - veröffentlicht in Juris). Dabei kommt es auf den objektiven Erklärungswert der Belehrung an. Sämtliche in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Sanktionstatbestände setzen voraus, dass der Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung belehrt worden ist. Diese in der Rechtssprechung der Landessozialgerichte und in der sozialrechtlichen Literatur weitgehend geteilte Auffassung ist insbesondere im Hinblick auf die gravierenden Folgen des § 31 Abs. 1 SGB II im Bereich der existenzsichernden Leistungen aufrecht zu erhalten. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung orientieren sich dabei an den vom BSG zum Arbeitsförderungsrecht entwickelten Grundsätzen. Schon die Gesetzesbegründung knüpft hieran an, indem sie darauf verweist, dass die Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 Abs. 1 SGB II die Funktion haben soll, dem Hilfebedürftigen in verständlicher Form zu erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch die in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Pflichtverletzungen haben werden. Dabei hat das BSG auch den zwingenden formalen Charakter der Rechtsfolgenbelehrung betont und dies aus dem übergeordneten sozialen Schutzzweck abgeleitet, den Arbeitslosen vor den Folgen bei der Pflichtverletzung zu warnen. Der Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung kommt im Bereich des SGB II noch eine größere Bedeutung zu als im Bereich der Arbeitsförderung. Dies leitet das BSG nicht zuletzt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) ab, in der das Bundesverfassungsgericht betont hat, dass das SGB II insgesamt der Realisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) diene (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - veröffentlicht in Juris m. w. N.).
Diesen Anforderungen entspricht die vom Beklagten erteilte Rechtsfolgenbelehrung im VV vom 07.12.2012 nicht. Sie ist nicht verständlich. Zunächst wird im Rahmen einer Rechtsfolgenbelehrung auf eine erste wiederholte Pflichtverletzung mit Hinweis auf eine Minderung um 60 v. H. eingegangen (Bescheid vom 30.11.2012), so dass es bei einer Weigerung, die mit Vermittlungsvorschlag vom 07.12.2012 angebotene Arbeit aufzunehmen, zu einem Wegfall des Anspruches auf Alg II komme. Danach führt der Beklagten aus, eine "weitere wiederholte Pflichtverletzung" liege auch vor, wenn der Kläger die Aufnahme der angebotenen Arbeit durch "negatives Bewerbungsverhalten" vereitele. Aus dieser Formulierung wird bereits nicht klar, ob lediglich die Aufnahme der Arbeit nicht verhindert werden dürfe oder ob auch die Verhinderung der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses zu einem Wegfall führe. Nachdem der Gesetzgeber die letztgenannte Variante ausdrücklich zur Klarstellung seit 01.04.2011 im Gesetz erwähnt (vgl. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 31 Rn. 46), ist es erforderlich, die Rechtsfolgenbelehrung auch auf diese zusätzliche Alternative zutreffend und inhaltlich richtig auszudehnen. Die vom Beklagten gewählte Formulierung vermischt allerdings den Oberbegriff der Weigerung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit mit dem Begriff der Vereitelung der Anbahnung einer Tätigkeit.
Die erteilte Rechtsfolgenbelehrung leidet zudem an weiteren Unrichtigkeiten. Sie verweist zunächst als erste wiederholte Pflichtverletzung auf den Bescheid vom 30.11.2012, folgend auf eine erste Pflichtverletzung, die mit Bescheid vom 21.03.2012 festgestellt worden war. Der Bescheid vom 30.11.2012 ist jedoch nach Anfechtung durch den Kläger mit Bescheid vom 25.02.2013 aufgehoben worden, so dass die vorliegend zu prüfende Pflichtverletzung allenfalls eine erste wiederholte, nicht aber eine weitere wiederholte Pflichtverletzung darstellen kann. Die Rechtsfolgenbelehrung ist auch insofern unrichtig, als der Kläger dabei über die Folgen aufgrund des weiteren wiederholten Pflichtverstoßes (Wegfall des Alg II) aufgeklärt worden ist, nicht jedoch über die Folgen einer ersten wiederholten Pflichtverletzung (Minderung um 60 v. H.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ankündigung eines Wegfalles des Alg II die Leistungsbezieher ggf. zu einem anderen Verhalten veranlasst als die Androhung einer (bloßen) Minderung. Die Betroffenen müssen vorher wissen, welche Folgen auf sie konkret zukommen, um entscheiden zu können, ob sie einer Pflicht bzw. Obliegenheit Folge leisten oder nicht. Somit ist auch eine "Überbelehrung" eine unrichtige Belehrung. Auch wenn der Kläger über die Rechtsfolge der bloßen Minderung bereits durch die vor Erlass des Bescheides vom 30.11.2012 erteilte Rechtsfolgenbelehrung eventuell informiert worden sein sollte, so ist von ihm nicht zu erwarten, dass er nach Erhalt des VV vom 07.12.2012 hinsichtlich der Verhinderung der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses bei der Firma S.-R. aktuell die Kenntnis davon hatte, dass (nach später erfolgter Aufhebung des Bescheides vom 30.11.2012) nur eine Minderung um 60 v. H. in Betracht komme. Dazu müsste ihm auch aktuell der vorangegangene Pflichtverstoß, der mit Bescheid vom 21.03.2012 sanktioniert wurde, und auch die daraus resultierende Jahresfrist (vgl. § 31 a Abs. 1 Satz 5 SGB II) bekannt sein (vgl. dazu Knickrehm/Hahn a. a. O. § 31 Rn. 61/62). Erforderlich ist jedoch eine zeitnahe Rechtsfolgenbelehrung (vgl. BSG Urteil vom 17.12.2009 a. a. O.). Den Nachweis der Kenntnis zu führen, gelingt dem Beklagten vorliegend nicht, zumal auch nicht erkennbar ist, dass der Mitarbeiter des Beklagten eventuell bei der Übergabe des Vermittlungsvorschlages am 07.12.2012 Anlass gehabt hätte, hierauf in einer mündlichen Belehrung einzugehen. Somit ist der Hinweis auf die erste wiederholte Pflichtverletzung, die auch für die Berechnung der Jahresfrist gemäß § 31 a Abs. 1 Satz 5 SGB II von entscheidender Bedeutung ist, und der Hinweis, welches Verhalten sanktioniert werden kann, falsch bzw. in ihrem objektiven Erklärungswert zumindest unverständlich. Eine Kenntnis der Rechtsfolgen bei einem ersten wiederholten Pflichtverstoß ist dem Kläger nach Erhalt des VV vom 07.12.2012 nicht nachzuweisen.
Nach alledem war auf die Berufung des Klägers hin das Urteil des SG vom 17.05.2013 und der Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2013 aufgrund der erhobenen reinen Anfechtungsklage aufzuheben. Dahingestellt bleiben kann daher, dass der Bescheid vom 21.02.2013 bereits von einer Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 30.11.2012 ausging, obwohl dieser erst mit Bescheid vom 25.02.2013 aufgehoben wurde. Auf die hilfsweise gestellten Anträge des Klägers ist wegen des Erfolges in der Hauptsache nicht mehr einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Die Frage, ob zusätzlich zur Feststellung des Eintritts einer Sanktion die entsprechende (teilweise) Aufhebung eines von der Sanktion betroffenen Bewilligungsbescheides erfolgen muss, war vorliegend nicht zu klären.
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(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.
(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds
- 1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, - 2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, - 3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.
(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.
(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis
- 1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen, - 2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern, - 3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn
- 1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen, - 2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen, - 3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder - 4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.