Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 04. Juni 2019 - L 16 AS 858/18

bei uns veröffentlicht am04.06.2019
vorgehend
Sozialgericht München, S 52 AS 1319/17, 30.07.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Das vom Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30.07.2018 eingelegte Rechtsmittel wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig war der vollständige Wegfall der Leistungen des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Mai bis Juli 2016.

Der 1971 geborene und seit dem Auszug seiner Frau und seiner Tochter allein lebende Kläger bezieht vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Leistungen wurden wiederholt sanktionsbedingt gemindert oder gänzlich in Wegfall gebracht. Hintergrund war, dass der Kläger die Mitwirkung an den Eingliederungsversuchen des Beklagten verweigerte und auch dessen Schreiben zumeist ungeöffnet zurücksandte.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.03.2016 bis zum 31.08.2016 Arbeitslosengeld II, und zwar auf der Grundlage des Sanktionsbescheids vom 25.01.2016 für die Monate März und April in Höhe von 0 Euro und für die Zeit ab Mai in Höhe von 1194,97 € (Bescheid vom 25.02.2016, Änderungsbescheid vom 21.03.2016).

Mit Bescheid vom 15.10.2015 ersetzte der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt, in der geregelt war, dass das Jobcenter die Unterstützung durch die Bezirkssozialarbeit oder durch das Fallmanagement anbiete, Vermittlungsvorschläge hinsichtlich geeigneter Stellenangebote unterbreite und die Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen Bewerbungskosten unterstütze. Der Kläger habe bis zum 29.10.2015 einen tabellarischen Lebenslauf und Nachweise über fünf aktuelle Bewerbungsbemühungen einzusenden. Ab dem 01.11.2015 habe er während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung monatlich jeweils mindestens zehn Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nachzuweisen. Die Eigenbemühungen seien auf realistische Stellen außerhalb der bisherigen beruflichen Tätigkeiten/ Erfahrungen auszuweiten. Vermittlungsvorschläge habe er sofort nach Erhalt zu bearbeiten und die Ergebnisse bei der Arbeitsvermittlung vorzulegen.

Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 07.04.2016 mit der Maßgabe, dass er bis zum 24.04.2016 Stellung nehmen könne, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2016 den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengelds II für die Zeit vom 01.05.2016 bis zum 31.07.2016 fest. Er sei trotz schriftlicher Rechtsfolgenbelehrung seinen Pflichten aus dem Bescheid vom 15.10.2015 nicht nachgekommen, da er weder einen Lebenslauf noch die fünf bzw. ab 01.11.2015 zehn Bewerbungen monatlich vorgelegt habe. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe er nicht mitgeteilt. Das Arbeitslosengeld II entfalle vollständig, da er seinen Pflichten mehrfach nicht nachgekommen sei; vorangegangen seien die Pflichtverletzungen am 01.04.2015 und am 25.01.2016. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2017 zurückgewiesen (Az. W-84308-02410/16).

Die am 06.06.2017 gegen diesen Widerspruchsbescheid - und zeitgleich gegen sechs weitere Widerspruchsbescheide - erhobene Klage zum Sozialgericht München hat der Kläger damit begründet, dass alle darin enthaltenen Vorwürfe und Beschuldigungen an den Haaren herbeigezogen und vorsätzliche Verleumdungen gegen seine Person seien, die alle zurückgewiesen werden müssten. Gegebenenfalls müsste gegen das Jobcenter und diese Personen wegen vorsätzlicher Verleumdung Strafantrag gestellt werden. Er beantrage wegen Dringlichkeit eine schnelle Bearbeitung.

Das Sozialgericht hat über diese Klage nach Anhörung der Beteiligten am 30.07.2018 mit Gerichtsbescheid entschieden und den Bescheid vom 24.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2017 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil die bis zum 24.04.2016 eingeräumte Anhörungsfrist nicht abgewartet worden sei. Der Bescheid sei bereits am letzten Tag der Frist erlassen worden. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 11.08.2018 zugestellt worden.

Mit einem an das Bayerische Landessozialgericht adressierten Schreiben vom 03.09.2018, eingegangen am 07.09.2018, hat der Kläger „Widerspruch“ u.a. gegen den Gerichtsbescheid im Verfahren S 52 AS 1319/17 erhoben. Eine Stellungnahme zu seinem Widerspruch ist trotz der entsprechenden Ankündigung nicht erfolgt.

Der Beklagte hat beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Sie sei nicht zulässig, weil der Kläger nicht beschwert sei, nachdem das Sozialgericht München der Klage gegen den Sanktionsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid stattgegeben habe. Die aufgrund der Sanktion zu Unrecht nicht ausgezahlten Beträge seien inzwischen an den Kläger ausgezahlt worden. Ausweislich des als Anlage beigefügten Schreibens des Beklagten vom 09.10.2018 sind die Leistungen für die Monate Mai bis Juli 2016 in Höhe von jeweils 1194,97 € an den Kläger nachgezahlt worden.

Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 02.11.2018 darauf hingewiesen, dass mit „Widerspruch“ wohl das Rechtsmittel der Berufung gemeint gewesen sei, die Berufung aber unzulässig sei, weil er durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert sei. Das Sozialgericht habe nämlich seinem Begehren in vollem Umfang stattgegeben. Die für ihn günstige Entscheidung sei bereits umgesetzt worden. Es sei eine Entscheidung durch Beschluss beabsichtigt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Rechtsmittel des Klägers wird gemäß § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig verworfen.

Die Entscheidung des Senats kann gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen, d.h. ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter. Dem steht in der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation nicht das Gebot eines fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung entgegen (vgl. dazu ausführlich BSG, Beschluss vom 08.11.2005, B 1 KR 76/05 B, Juris Rn. 7 ff.). Die Beteiligten sind gehört worden.

Zwar gebietet es das Recht auf eine mündliche Verhandlung auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Grundsatz, von einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG abzusehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet. Anders verhält es sich aber, wenn der Kläger als Rechtsmittelführer gar nicht mehr beschwert ist, weil seinem Klagebegehren im erstinstanzlichen Verfahren vollständig entsprochen worden ist. Wenn das Ziel der Klage bereits erreicht ist, macht eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren von vornherein keinen Sinn mehr (zu einer gleichartigen Ausnahme vgl. BSG, Beschluss vom 08.04.2014, B 8 SO 22/14 B).

Der vom Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30.07.2018 eingelegte Widerspruch ist nicht das vom Gesetz vorgesehene Rechtsmittel gegen einen Gerichtsbescheid. Vielmehr wäre gegen den Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 3 i.V.m. § 143 SGG Berufung einzulegen gewesen, worauf der Kläger in der dem Gerichtsbescheid angefügten Rechtsmittelbelehrungauch hingewiesen worden ist. Der Senat kann allerdings offen lassen, ob der Widerspruch als nicht gesetzmäßiges Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid bereits aus diesem Grund unzulässig ist.

Das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel ist nämlich jedenfalls wegen fehlender Beschwer nicht zulässig. Mit dem Begriff Beschwer wird das Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz bezeichnet. Eine Beschwer des Klägers würde vorliegen, wenn ihm mit der angefochtenen Entscheidung etwas versagt worden wäre, das er im Klageverfahren beantragt hatte (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG 12. Auflage 2017, Vor § 143 Rn. 5 und 6). Das ist nicht der Fall. Seinem Klagebegehren auf Beseitigung des Sanktionsbescheids vom 24.04.2016 ist im erstinstanzlichen Verfahren vollständig entsprochen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und das Urteil nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 158


Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entsc

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Bundessozialgericht Beschluss, 08. Apr. 2014 - B 8 SO 22/14 B

bei uns veröffentlicht am 08.04.2014

Tenor Die Beschwerden der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. September 2013 - L 8 SO 304/13, L 8 SO 310/13 und L

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Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

Tenor

Die Beschwerden der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. September 2013 - L 8 SO 304/13, L 8 SO 310/13 und L 8 SO 312/13 - und vom 1. Oktober 2013 - L 8 SO 300/13, L 8 SO 301/13, L 8 SO 302/13, L 8 SO 303/13, L 8 SO 305/13, L 8 SO 306/13, L 8 SO 307/13, L 8 SO 308/13, L 8 SO 309/13, L 8 SO 311/13, L 8 SO 313/13 und L 8 SO 314/13 - werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten mit insgesamt zwölf Anträgen für die Zeit von Oktober 2011 bis November 2012 Leistungen für Unterkunft und Heizung für jeweils einen Monat (mit Ausnahme für Januar und Mai 2012) und mit drei weiteren Anträgen ergänzende Leistungen der Sozialhilfe. Die Beklagte leitete diese Anträge an das Jobcenter Osnabrück weiter, weil sie der Auffassung war, die Klägerin lebe in eheähnlicher Gemeinschaft mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und sei deshalb von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ausgeschlossen. Wegen der Nichtbescheidung durch die Beklagte hat die Klägerin in den Monaten Oktober 2012 bis Mai 2013 insgesamt 15 Untätigkeitsklagen beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben; im Laufe dieser Verfahren hat die Beklagte alle 15 Anträge abgelehnt (Bescheide vom 26.6.2013).

2

Auf Anfragen des SG, "ob das Anerkenntnis angenommen werde und der Rechtsstreit damit seine Erledigung gefunden habe", teilte die Klägerin mit, sie nehme "ein Anerkenntnis" nicht an, weil nicht erkennbar sei, dass die Beklagte etwas anerkannt habe. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klagen abgewiesen, weil Untätigkeit nicht mehr vorliege und ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht mehr bestehe; die Kosten habe die Beklagte jeweils zur Hälfte zu erstatten (Gerichtsbescheide vom 22.7.2013). Gegen diese Gerichtsbescheide hat die Klägerin (mit einem Schriftsatz vom 28.7.2013) jeweils Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie hat dabei jeweils beantragt, den Gerichtsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die für das Verfahren entstandenen Kosten in voller Höhe zu erstatten, weil sie vollständig obsiegt habe und die Beklagte zur Erstellung des von ihr beantragten Bescheides verurteilt worden sei. Das LSG hat nach Anhörung die jeweilige Berufung mit Beschluss als unzulässig verworfen; der Entscheidung durch Beschluss stehe nicht entgegen, dass erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden sei, weil die Klägerin sich lediglich gegen die Kostenentscheidung des SG wende (Beschlüsse vom 3.9.2013 und vom 1.10.2013).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen wendet sich die Klägerin mit ihren Beschwerden zum Bundessozialgericht (BSG), die der Senat zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. Sie rügt Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz). Eine verständige Würdigung ihres Vorbringens ergebe, dass sie nicht lediglich die Kostenentscheidungen des SG habe angreifen wollen, sondern sich gegen die klageabweisenden Entscheidungen des SG gewandt habe. Das LSG habe aus diesem Grund auch unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Beschlüsse ohne mündliche Verhandlung entschieden und §§ 158, 62 SGG verletzt. Damit sei das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen; hierin liege ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung).

4

II. Die Beschwerden der Klägerin sind zulässig, aber unbegründet. Sie sind nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe fristgerecht erhoben und genügen hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die Klägerin macht mit den Beschwerden geltend, um ihr Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein, indem schon das SG durch Gerichtsbescheide ohne mündliche Verhandlung entschieden und das LSG die Berufungen nach § 158 Satz 2 SGG verworfen habe. Grundsätzlich bedarf es keines weiteren Vortrags zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Beschwerdeführer behauptet, sein Recht auf mündliche Verhandlung sei verletzt worden (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62); die gerügten Verfahrensmängel liegen aber nicht vor. Es ist nicht zu beanstanden, dass das LSG ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter in allen 15 Verfahren die Berufungen durch Beschluss als unzulässig verworfen hat.

5

Zutreffend hat es den Berufungsschriftsatz der Klägerin dahin ausgelegt, dass diese sich mit ihren Berufungen ausschließlich gegen die Kostenentscheidung des SG gewandt hat. Damit ist eine Berufung wegen § 144 Abs 4 SGG in allen 15 Verfahren ausgeschlossen, unabhängig davon, ob in den einzelnen Verfahren wegen der vor dem SG in der Hauptsache geltend gemachten Untätigkeit der Beklagten der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro überschritten hat(zum Wert des Beschwerdegegenstandes bei Untätigkeitsklagen BSG SozR 4-1500 § 144 Nr 7). Die Anträge im Schriftsatz vom 28.7.2013 und die kurze Begründung zu den Berufungen sind ausdrücklich und allein gegen die jeweilige Kostenentscheidung des SG gerichtet. Einziges Ziel der Berufung ist die Korrektur der Kostenentscheidung; die Klägerin hat weder geltend gemacht, ihr Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sei dahin auszulegen gewesen, dass anstelle der Untätigkeit der Beklagten nunmehr eine für sie günstige Entscheidung in der Sache begehrt werde, noch hat sie in Zweifel gezogen, dass Untätigkeit der Beklagten nach Erlass der Bescheide vom 26.6.2013 nicht mehr vorlag. Soweit der Schriftsatz Sachvortrag enthält, bezieht sich dieser ausschließlich auf zugleich geführte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Auch der Hinweis im Schriftsatz vom 12.9.2013, sie - die Klägerin - habe "voll-umfänglich gewonnen", ist als Begründung für die aus Sicht der Klägerin fehlerhafte Kostenentscheidung des SG anzusehen.

6

Das LSG durfte durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG entscheiden. Nach § 158 Satz 2 SGG "kann" die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ergehen. Damit ist dem Berufungsgericht - insoweit vergleichbar der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG - Ermessen eingeräumt, ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, dh etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde gelegt hat (vgl zu § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nur BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 35, 38 mwN). Nicht grundlegend anders als im Rahmen von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG(vgl dazu: BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 1 RdNr 6 ff; BSG, Urteil vom 31.7.2002 - B 4 RA 28/02 R) ist die Möglichkeit, nach § 158 Satz 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, grundsätzlich eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Eine Einschränkung, über eine unzulässige - weil schon nicht statthafte - Berufung nicht nach § 158 Satz 2 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, ist aber jedenfalls in solchen Fällen nicht geboten, in denen erstinstanzlich ein Gerichtsbescheid ergangen ist, der nur wegen der Kostenentscheidung angegriffen wird.

7

Das Gebot des fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung gebieten es zwar im Grundsatz, von einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG abzusehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet(vgl BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2), und auch die Ausgestaltung des vereinfachten Berufungsverfahrens im SGG (Fälle des § 153 Abs 4 SGG und des § 158 SGG) ist nach dem Willen des Gesetzgebers allgemein an Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) orientiert, wonach jede Person das Recht hat, dass ua über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist mündlich verhandelt wird; dabei werden (entgegen dem innerstaatlichen Rechtsverständnis) vom Begriff "zivilrechtliche Ansprüche" in diesem Sinne auch sozialrechtliche Ansprüche erfasst (vgl nur Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 6 RdNr 14 und 17 mwN). Ob eine Verletzung von Art 6 Abs 1 EMRK vorliegt, beurteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jedoch anhand einer Würdigung im Hinblick auf die Besonderheiten des Verfahrens in seiner Gesamtheit. Es ist notwendig, das gesamte innerstaatliche Verfahren, wie es in der innerstaatlichen Rechtsordnung geregelt ist, und die Rolle des Berufungsgerichts in seiner Gesamtheit zu betrachten (vgl EGMR vom 29.10.1991 - 22/1990/213/275 -, EuGRZ 1991, 415, 416 mwN).

8

Wegen einer Angelegenheit, die ausschließlich noch die Frage der Kosten des gerichtlichen Verfahrens betrifft, besteht unter dieser Prämisse einerseits nach der Konzeption des Gesetzgebers nie ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung und ist andererseits eine inhaltliche Befassung des Rechtsmittelgerichts allein mit der Kostenentscheidung in jedem Fall ausgeschlossen. Erledigt sich vor dem SG ein Rechtsstreit in der Hauptsache auf andere Weise als durch Urteil (oder einen dem Urteil gleichstehenden Gerichtsbescheid) und ist nur noch die Erstattung der Kosten für das gerichtliche Verfahren zwischen den Beteiligten in Streit, hat der Gesetzgeber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung allein wegen dieser Kosten nicht vorgeschrieben. Das Gericht hat über die Kosten des Verfahrens in diesen Fällen nur durch Beschluss zu entscheiden; eine mündliche Verhandlung muss nicht stattfinden (§ 193 Abs 1 Satz 3 SGG und ausdrücklich für die Klagerücknahme § 102 Abs 3 Satz 1 SGG iVm § 124 Abs 3 SGG). Da seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) am 1.4.2008 nicht nur die Beschwerde zum LSG gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG ausgeschlossen ist(§ 172 Abs 3 Nr 3 SGG wie § 102 Abs 3 Satz 2 SGG), sondern im Fall des Berufungsausschlusses wegen § 144 Abs 4 SGG auch eine Nichtzulassungsbeschwerde dem Betroffenen nicht zur Eröffnung der Rechtsmittelinstanz verhelfen kann(vgl zuletzt BSG, Beschluss vom 5.8.2008 - B 13 R 153/08 B -, juris RdNr 13 mwN), ist kein Grund ersichtlich, dass ein entsprechendes Anliegen vom Rechtsmittelgericht in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müsste. Denn der Weg zu einer Entscheidung durch Urteil, das im Regelfall aufgrund mündlicher Verhandlung gefällt wird (§ 124 Abs 1 SGG), ist von vornherein verschlossen; gesetzlich vorgesehen ist vielmehr nur ein Beschluss (§ 145 Abs 4 Satz 1 SGG), der eine mündliche Verhandlung gerade nicht voraussetzt (§ 124 Abs 3 SGG).

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.