Tenor

In der Zwangsvollstreckungssache

wird die Vollziehung der Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Zeitz vom 19.07.2016 bis zum Ende der Abtretungslaufzeit (02.08.2023) mit der Maßgabe ausgesetzt, dass die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners am 02.08.2017 sowie die innerhalb von 3 Monaten vor dem Eingang des Insolvenzantrages beim Insolvenzgericht (Eingang bei Gericht am 27.07.2017) auf dem Konto des Schuldners gutgeschriebenen und gepfändeten Beträge weder dem materiell-rechtlichen Pfändungspfandrecht des Gläubigers noch der öffentlich-rechtlichen Verstrickung unterliegen.

Gründe

1

Durch Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) - Insolvenzgericht - vom 02.08.2017 (Geschäftsnummer: ...) wurde gemäß §§ 2, 3, 11, 16 ff. InsO das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners unter gleichzeitiger Ankündigung der Restschuldbefreiung eröffnet.

2

Durch Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) - Insolvenzgericht - vom 25.07.2018 (Geschäftsnummer: ...) wurde gemäß § 200 InsO das Insolvenzverfahren aufgehoben und die Abtretungsfrist auf 6 Jahre, beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bestimmt.

3

Somit sind kraft Gesetzes sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Insolvenzgläubiger für die Zeit des Insolvenzverfahrens gem. § 89 InsO und für die Zeit zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist ("Wohlverhaltensphase") gem. § 294 InsO unzulässig.

4

Der Schuldner beantragte am 08.11.2018 die Aufhebung der auf seinem Pfändungsschutzkonto bei der Drittschuldnerin liegenden Pfändungen sämtlicher Insolvenzgläubiger aufgrund des Vollstreckungsverbotes während der Wohlverhaltensphase und benannte neben anderen Verfahren auch das vorliegende Zwangsvollstreckungsverfahren.

5

Für die Entscheidung über den Antrag des Schuldners ist das Vollstreckungsgericht am Wohnsitz des Schuldners zuständig (§ 828 ZPO), nachdem das Insolvenzverfahren aufgehoben und in die Wohlverhaltensphase übergegangen ist, da es eine Sonderzuständigkeit des Insolvenzgerichts für Vollstreckungsschutzanträge nur während der Dauer des Insolvenzverfahrens gibt (§ 89 Abs. 3 ZPO).

6

Dem Gläubiger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Einwendungen gegen die vom Gericht mit Schriftsatz vom 12.11.2018 in Aussicht gestellte Aufhebung der Pfändung während der Wohlverhaltensphase wurden seitens des Gläubigers nicht erhoben.

7

Die vollstreckbaren Ansprüche des Gläubigers stellen Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO dar, so dass der Gläubiger grundsätzlich dem Vollstreckungsverbot der §§ 89 und 294 InsO unterliegt. Dieses Vollstreckungsverbot ist insoweit begrenzt, soweit der Gläubiger ein dingliches Absonderungsrecht gemäß §§ 49 ff. InsO erworben hat.

8

Durch den vorliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hat der Gläubiger grundsätzlich ein Pfandrecht i.S.v. § 50 Abs. 1 InsO an dem Kontoguthaben des Schuldners erworben, da die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner vor der Insolvenzeröffnung (und auch vor der Zeit der Rückschlagsperre nach § 88 InsO) bewirkt wurde. Soweit der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss jedoch Beträge erfasst, die nach Insolvenzeröffnung auf dem Konto des Schuldners eingegangen sind, ist die Zwangsvollstreckung nach §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO unzulässig. Insoweit liegt eine Pfändung künftiger Forderungen vor, die erst mit Entstehung der Forderungen wirksam wird (vgl. Schmidt/Keller, InsO, 19. Aufl., § 88 Rn. 22). Dies führt dazu, dass kein materiell-rechtliches Verwertungsrecht des Gläubigers wohl aber die öffentlich-rechtliche Verstrickung entsteht (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2017 - IX ZR 40/17 -, juris). Zur Beseitigung der Verstrickung kann das zuständige Vollstreckungsorgan die gegen das Vollstreckungsverbot verstoßenden Vollstreckungsmaßnahmen von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten uneingeschränkt aufheben (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 284/09 -, juris). Die Verstrickung wird auch beseitigt, sofern das Vollstreckungsorgan die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben (vgl. BGH vom 21.09.2017, Rn.14). Nach Sinn und Zweck müssen diese für die Zeit des Insolvenzverfahrens entwickelten Grundsätze auch für die Zeit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens bis zum Ende der Abtretungsfrist gelten, um das dem Vollstreckungsverbot des § 89 InsO entsprechende Vollstreckungsverbot des § 294 InsO umzusetzen.

9

Daher war die Vollziehung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme bis zum Ende der "Wohlverhaltensphase" gemäß § 294 InsO auszusetzen.


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Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).

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(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. (2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezü

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(1) Sobald die Schlußverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. (2) Der Beschluß und der Grund der Aufhebung sind öffentlich bekanntzumachen. Die §§ 31 bis 33 gelten entsprechend.

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(1) Die gerichtlichen Handlungen, welche die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte zum Gegenstand haben, erfolgen durch das Vollstreckungsgericht. (2) Als Vollstreckungsgericht ist das Amtsgericht, bei dem der Schuldner im

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(1) Sobald die Schlußverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens.

(2) Der Beschluß und der Grund der Aufhebung sind öffentlich bekanntzumachen. Die §§ 31 bis 33 gelten entsprechend.

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

(2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge sind während der Dauer des Verfahrens auch für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. Dies gilt nicht für die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist.

(3) Über Einwendungen, die auf Grund des Absatzes 1 oder 2 gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet das Insolvenzgericht. Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen sei.

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners sind in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist nicht zulässig.

(2) Jedes Abkommen des Schuldners oder anderer Personen mit einzelnen Insolvenzgläubigern, durch das diesen ein Sondervorteil verschafft wird, ist nichtig.

(3) Eine Aufrechnung gegen die Forderung auf die Bezüge, die von der Abtretungserklärung erfasst werden, ist nicht zulässig.

(1) Die gerichtlichen Handlungen, welche die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte zum Gegenstand haben, erfolgen durch das Vollstreckungsgericht.

(2) Als Vollstreckungsgericht ist das Amtsgericht, bei dem der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, und sonst das Amtsgericht zuständig, bei dem nach § 23 gegen den Schuldner Klage erhoben werden kann.

(3) Ist das angegangene Gericht nicht zuständig, gibt es die Sache auf Antrag des Gläubigers an das zuständige Gericht ab. Die Abgabe ist nicht bindend.

(1) Handelt jemand für eine Partei als Geschäftsführer ohne Auftrag oder als Bevollmächtigter ohne Beibringung einer Vollmacht, so kann er gegen oder ohne Sicherheitsleistung für Kosten und Schäden zur Prozessführung einstweilen zugelassen werden. Das Endurteil darf erst erlassen werden, nachdem die für die Beibringung der Genehmigung zu bestimmende Frist abgelaufen ist. Ist zu der Zeit, zu der das Endurteil erlassen wird, die Genehmigung nicht beigebracht, so ist der einstweilen zur Prozessführung Zugelassene zum Ersatz der dem Gegner infolge der Zulassung erwachsenen Kosten zu verurteilen; auch hat er dem Gegner die infolge der Zulassung entstandenen Schäden zu ersetzen.

(2) Die Partei muss die Prozessführung gegen sich gelten lassen, wenn sie auch nur mündlich Vollmacht erteilt oder wenn sie die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.

Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

(2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge sind während der Dauer des Verfahrens auch für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. Dies gilt nicht für die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist.

(3) Über Einwendungen, die auf Grund des Absatzes 1 oder 2 gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet das Insolvenzgericht. Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen sei.

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners sind in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist nicht zulässig.

(2) Jedes Abkommen des Schuldners oder anderer Personen mit einzelnen Insolvenzgläubigern, durch das diesen ein Sondervorteil verschafft wird, ist nichtig.

(3) Eine Aufrechnung gegen die Forderung auf die Bezüge, die von der Abtretungserklärung erfasst werden, ist nicht zulässig.

(1) Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht, ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht oder ein gesetzliches Pfandrecht haben, sind nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung aus dem Pfandgegenstand berechtigt.

(2) Das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters oder Verpächters kann im Insolvenzverfahren wegen der Miete oder Pacht für eine frühere Zeit als die letzten zwölf Monate vor der Eröffnung des Verfahrens sowie wegen der Entschädigung, die infolge einer Kündigung des Insolvenzverwalters zu zahlen ist, nicht geltend gemacht werden. Das Pfandrecht des Verpächters eines landwirtschaftlichen Grundstücks unterliegt wegen der Pacht nicht dieser Beschränkung.

(1) Hat ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt, so wird diese Sicherung mit der Eröffnung des Verfahrens unwirksam.

(2) Die in Absatz 1 genannte Frist beträgt drei Monate, wenn ein Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 eröffnet wird.

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

(2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge sind während der Dauer des Verfahrens auch für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. Dies gilt nicht für die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist.

(3) Über Einwendungen, die auf Grund des Absatzes 1 oder 2 gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet das Insolvenzgericht. Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen sei.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 40/17
Verkündet am:
21. September 2017
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Eine durch Zwangsvollstreckung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag erlangte Sicherung führt zur öffentlich
-rechtlichen Verstrickung des Vermögensgegenstandes. Verstrickung tritt
auch ein bei einer während der Dauer des Insolvenzverfahrens durchgeführten
Zwangsvollstreckung.

b) Die Wirkungen der Verstrickung dauern im Insolvenzverfahren fort, bis sie auf einem
dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden sind.

c) Der Drittschuldner kann sich gegenüber dem Auszahlungsverlangen des Insolvenzverwalters
damit verteidigen, dass die Verstrickung der Vermögenswerte fortbesteht.
BGH, Urteil vom 21. September 2017 - IX ZR 40/17 - LG Mainz
AG Worms
ECLI:DE:BGH:2017:210917UIXZR40.17.0

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, die Richterin Möhring und den Richter Dr. Schoppmeyer

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 17. Januar 2017 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Worms vom 6. Mai 2016 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
C. (fortan: Schuldner) eröffnete bei der beklagten Bank im August 2011 ein Pfändungsschutzkonto. Zwischen dem 8. Juli 2011 und dem 28. November 2011 ließen verschiedene Gläubiger des Schuldners der Beklagten insgesamt sieben Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse bezüglich der Ansprüche des Schuldners zustellen. Ein weiterer Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Beklagten am 3. Juli 2012 zugestellt. Am 28. August 2012 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
2
Die Beklagte führte das Pfändungsschutzkonto auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiter. Soweit die Zahlungseingänge auf dem Pfändungsschutzkonto nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Pfändungsfreigrenze überstiegen, übertrug die Beklagte diese Beträge auf ein von ihr geführtes Separierungskonto. Dieses Konto wies zum 17. Oktober 2013 einen Stand von 1.791,87 € auf. Der Kläger forderte die Beklagte auf, die auf diesem Konto angesammelten Beträge an ihn zu überweisen. Die Beklagte teilte mit, dass aufgrund der vorliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse über dieses Kontoguthaben nicht verfügt werden könne und sie das Guthaben deshalb nicht auszahlen könne.
3
Das Amtsgericht hat die vom Kläger erhobene Zahlungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision ist zulässig und begründet; sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I.


5
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Herausgabe aus § 700 Abs. 1 Satz 3 BGB in Verbindung mit § 695 BGB zu. Der Schuldner habe einen Girovertrag mit der Beklagten abgeschlossen. Die Ansprüche aus diesem Vertrag seien auf den Kläger als Insolvenzverwalter übergegangen.
6
Bei den streitgegenständlichen Beträgen handele es sich um Neuerwerb des Schuldners, der zur Insolvenzmasse gehöre. Die Beträge seien pfändbares Vermögen, weil sie über dem Freibetrag nach § 850k ZPO gelegen hätten. Ansprüche Dritter aus den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen stünden einer Auszahlung nicht entgegen. Die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse seien zwar wirksam und hätten zu einer Verstrickung der Forderungen geführt. Sie seien in ihrer Wirksamkeit jedoch eingeschränkt und nicht durchsetzbar. Nach Insolvenzeröffnung seien Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 89 InsO nicht mehr zulässig und könnten gemäß § 91 InsO keine Rechte für Insolvenzgläubiger mehr begründet werden. Daher stünden pfändbare Beträge auf dem Pfändungsschutzkonto allein dem Insolvenzverwalter zu.
7
Die §§ 88, 89 InsO seien auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Eine Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch das Insolvenzgericht hätte für den Pfändungsgläubiger den Nachteil, dass ihm nach Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht die Rangfolge verbleibe. Daher komme nur in Betracht, die Verstrickung bis zum Ende des Insolvenzverfahrens als ruhend anzusehen. Mithin seien die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse nicht durchsetzbar und stünden einer Auszahlung des separierten Guthabens nicht entgegen.

II.


8
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

9
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger den Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Guthabens auf dem separierten Konto geltend machen kann. Dies folgt aus § 80 Abs. 1 InsO.
10
2. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dass die aufgrund der Pfändungs - und Überweisungsbeschlüsse erfolgte Beschlagnahme des Guthabens und die damit eingetretene öffentlich-rechtliche Verstrickung dem Zahlungsanspruch nicht entgegenstehe. Vielmehr kann der Drittschuldner sich gegenüber dem Auszahlungsverlangen des Insolvenzverwalters damit verteidigen, dass die Verstrickung der Vermögenswerte fortbesteht (vgl. § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies gilt auch dann, wenn die Zwangsvollstreckung nach § 89 InsO unzulässig oder die vom Insolvenzgläubiger durch Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung nach § 88 InsO unwirksam sein sollte.
11
a) Das Guthaben aus den von der Beklagten auf dem Sonderkonto separierten Beträgen wird von den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen erfasst. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich um Pfändungen des Guthabens eines Kontos bei einem Kreditinstitut. Diese umfassen auch zukünftige Guthaben (§ 833a ZPO). Die von der Beklagten auf dem Konto separierten Beträge unterliegen daher der Verstrickung, die grundsätzlich durch die Beschlagnahme mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner der zu pfändenden Geldforderung bewirkt wird (Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl., Rn. 614). Sie begründet ein staatliches Herrschaftsverhältnis, das zu einer Sicherstellung der Forderung im Interesse des Vollstreckungsgläubigers führt (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 804 Rn. 4; Brox/Walker, aaO).
12
b) Das Insolvenzverfahren hat für sich genommen keinen Einfluss auf die Verstrickung. Ein Zugriff auf die von Pfändungsmaßnahmen eines Gläubigers erfassten Gegenstände ist auch im Insolvenzverfahren erst möglich, wenn die Wirkungen der Verstrickung beseitigt sind. Wird die Vollstreckungsmaßnahme nicht von Amts wegen aufgehoben, muss der Insolvenzverwalter die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung bei dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Vollstreckungsorgan, gegebenenfalls im Wege der Erinnerung geltend machen.
13
aa) Dies gilt für die Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO wie das Vollstreckungsverbot gemäß 89 InsO gleichermaßen.
14
(1) Nach § 88 InsO sind innerhalb des letzten Monats vor Verfahrenseröffnung gegen den Schuldner bewirkte Vollstreckungsmaßnahmen unwirksam. Hierbei handelt es sich um eine absolute (schwebende) Unwirksamkeit (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 15). Dies betrifft jedoch die vom Vollstreckungsgläubiger erlangte Sicherung, nicht das Vollstreckungsverfahren. Daher führt auch eine nach § 88 InsO unwirksame Vollstreckung zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung. Diese bleibt trotz Unwirksamkeit der Zwangssicherung bestehen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 284/09, WM 2011, 1378 Rn. 11; MünchKomm-InsO/Breuer, 3. Aufl., § 88 Rn. 32; HK-InsO/Kayser, 8. Aufl., § 88 Rn. 34; Jaeger/Eckardt, InsO, § 88 Rn. 49, 61; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1994; Grote, KTS 2001, 205, 233). Eine Auszahlung ist dem Drittschuldner nicht ohne Verstrickungsbruch möglich, so dass eine förmliche Beseitigung dieser Beschlagnahmewirkungen erforderlich ist (Fink, ZInsO 2000, 353, 354). Hierzu kann das Vollstreckungsorgan die Vollstreckungsmaßnahme von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten uneingeschränkt aufheben und damit die Verstrickung beseitigen (BGH, Be- schluss vom 19. Mai 2011, aaO Rn. 11; Jaeger/Eckardt, aaO Rn. 61, 70; MünchKomm-InsO/Breuer, aaO Rn. 37, 39). Die Verstrickung wird auch beseitigt , sofern das Vollstreckungsorgan die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben (vgl. BGH, aaO Rn. 10).
15
(2) Für § 89 InsO gilt insoweit nichts anderes. Soweit die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse auch solche Beträge erfassen, die nach Insolvenzeröffnung auf dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners eingegangen sind, ist die Zwangsvollstreckung allerdings nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig. Insoweit liegt eine Pfändung künftiger Forderungen vor, die erst mit Entstehung der Forderungen wirksam wird (Schmidt/Keller, InsO, 19. Aufl., § 88 Rn. 22 mwN). Dies führt dazu, dass kein materiell-rechtliches Verwertungsrecht des Gläubigers entsteht. Ein Verstoß gegen § 89 InsO hindert jedoch nach allgemeiner Meinung nicht die öffentlich-rechtliche Verstrickung (MünchKomm-InsO/Breuer, aaO § 89 Rn. 63; Jaeger/Eckardt, aaO § 89 Rn. 73; HK-InsO/Kayser, aaO § 89 Rn. 33; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 89 Rn. 21; Uhlenbruck/ Mock, InsO, 14. Aufl., § 89 Rn. 40 f; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1998; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 - IX ZR 137/94, BGHZ 130, 76, 81 zu § 2 Abs. 4 GesO). Diese dauert bei einer unter Verstoß gegen das Vollstreckungsverbot vorgenommenen Vollstreckungshandlung solange an, bis ihre förmliche Aufhebung erfolgt (MünchKomm-InsO/Breuer, aaO § 89 Rn. 63; vgl. Vallender, aaO S. 1994; Fink, ZInsO 2000, 353, 354 f).
16
bb) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dass die Verstrickung bis zum Ende des Insolvenzverfahrens ruht. Vielmehr bedarf es stets einer entsprechenden Entscheidung des Vollstreckungsorgans.
17
(1) Da der Drittschuldner ein berechtigtes Interesse an Rechtssicherheit hat, ist es nicht gerechtfertigt, dass die Wirkungen der §§ 88, 89 InsO auch die Verstrickung erfassen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 836 Abs. 2 ZPO (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 284/09, WM 2011, 1378 Rn. 11; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1994). Gemäß § 836 Abs. 2 ZPO gilt der Überweisungsbeschluss, auch wenn er mit Unrecht erlassen ist, zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber solange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Dies ist zum Schutz des Drittschuldners auch im Insolvenzverfahren erforderlich , weil die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Vollstreckungsmaßnahme eines einzelnen Insolvenzgläubigers und eine Vollstreckung in die Insolvenzmasse handelt, im Einzelfall Streitfragen aufwerfen kann. Die Antwort ist für den Drittschuldner nicht stets erkennbar. Gleiches gilt für den Zeitpunkt, zu dem die Vollstreckungsmaßnahme durchgeführt worden ist (vgl. hierzu Jaeger/Eckardt, InsO, § 89 Rn. 50; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2014, § 88 Rn. 16). Da §§ 88, 89 InsO nur bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen verbieten, ist es für den an der Vollstreckung nicht beteiligten Drittschuldner erforderlich, auf rechtssichere Weise Gewissheit zu erhalten, ob die gepfändeten Forderungen noch der Verstrickung unterliegen oder nicht.
18
(2) Weiter ist zum Schutz des pfändenden Gläubigers vor unzumutbaren Eingriffen erforderlich, die durch die Pfändung bewirkte öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht weiter als erforderlich zu begrenzen. Der Gesetzgeber darf den durch Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Rechtsschutzanspruch des Vollstreckungsgläubigers und seine durch die Zwangsvollstreckung erlangte Rechtsposition nur beschränken, so weit und so lange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern (BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 217/08, WM 2011, 841 Rn. 13 mwN). Daher wird die öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht bereits durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam. Dies bedarf vielmehr einer entsprechenden Handlung, damit einerseits geklärt ist, ob der entsprechende Vermögenswert tatsächlich für die Zwecke des Insolvenzverfahrens benötigt wird und andererseits für den pfändenden Gläubiger Klarheit herrscht, ob ein Wiederaufleben des Pfändungspfandrechts nach Beendigung des Insolvenzverfahrens noch möglich ist oder es hierzu weiterer Handlungen bedarf.
19
Dies gilt umso mehr, als die Rückschlagsperre unabhängig von der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses eintritt (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 9). Zum Schutz des Gläubigers erfasst dies nicht die öffentlich-rechtliche Verstrickung. Diese muss durch einen gesonderten Akt beseitigt werden, weil andernfalls die Sicherheit auch bereits bei einem auf Rechtsmittel aufgehobenen Eröffnungsbeschluss unwiederbringlich mit Rangverlust verloren wäre.
20
Solange die öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht gerichtlich aufgehoben worden ist, kann das Pfändungspfandrecht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens wieder wirksam werden (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 284/09, WM 2011, 1378 Rn. 11 mwN; Jaeger/Eckardt, InsO, § 88 Rn. 68; Kreft in Festschrift Fischer, 2008, S. 297, 308). Erst wenn und soweit die Pfändung zwischenzeitlich aufgehoben worden ist und damit die öffentlichrechtliche Verstrickung beseitigt wurde, bedarf es einer erneuten Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006, aaO Rn. 21; Jaeger/Eckardt, aaO).
21
(3) Letztlich spricht auch die Regelung des § 89 Abs. 3 InsO dafür, dass bei einer trotz Verbots durchgeführten Zwangsvollstreckung die öffentlichrechtliche Verstrickung solange andauert, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden ist. Der Gesetzgeber hat die Norm gerade für die Fälle geschaffen, dass Vollstreckungsverbote im Einzelfall nicht beachtet werden (BT-Drucks. 12/2443, S. 138 zu § 100 des Entwurfs). Hätte die Vollstreckung von vornherein keine Verstrickungswirkung, bedürfte es keines gesonderten Rechtsbehelfs über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung.
22
(4) Dass die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse selbst außerhalb des von §§ 88, 89 InsO erfassten Zeitraums zugestellt und damit wirksam geworden sind, ändert nichts. Das Guthaben ist im Streitfall erst nach Insolvenzeröffnung entstanden. Insoweit handelt es sich um die Pfändung künftiger Forderungen (vgl. § 833a ZPO). In diesem Fall entsteht das Pfändungspfandrecht erst mit Entstehung der Forderung (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 355 f; Jaeger/Eckardt, InsO, § 88 Rn. 43). Die Wirkungen der Vollstreckung unterfallen damit § 89 InsO. Gleichwohl liegt eine wirksame Verstrickung des Guthabens vor.
23
cc) In vergleichbarer Weise gilt dies für eine Zwangssicherungshypothek. Unterfällt sie § 88 InsO, so erlischt sie (BGH, Urteil vom 3. August 1995 - IX ZR 34/95, BGHZ 130, 347, 353 zu § 7 Abs. 3 Satz 1 GesO; vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 16). Hierdurch wird das Grundbuch unrichtig. Es wird jedoch nicht von Amts wegen berichtigt, sondern dies ist im Ausgangspunkt dem Insolvenzverwalter überlassen (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 - V ZB 219/11, BGHZ 194, 60 Rn. 12 ff).
24
dd) Dem steht nicht entgegen, dass in bestimmten Fällen das Prozessgericht darüber zu entscheiden hat, in welchem Umfang pfändbare Ansprüche in die Insolvenzmasse fallen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - IX ZR 189/08, WM 2010, 271 Rn. 13 ff zu § 850b ZPO; vom 20. Juli 2010 - IX ZR 37/09, BGHZ 186, 242 Rn. 16 zu § 850k ZPO). In diesen Fällen geht es nicht um die Frage, welche Wirkungen die tatsächlich erfolgte Pfändung zugunsten eines Einzelgläubigers hat, sondern um den Umfang der sich aus den gesetzlichen Bestimmungen ergebenden Pfändbarkeit oder Unpfändbarkeit bestimmter Ansprüche. Dies ist mit dem Streitfall nicht vergleichbar.
25
3. Nachdem die Verstrickung der streitigen Forderungen bislang fortbesteht , ist die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen. Es bleibt dem Kläger überlassen, die Verstrickung zu beseitigen.
Kayser Gehrlein Grupp
Möhring Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Worms, Entscheidung vom 06.05.2016 - 9 C 352/15 -
LG Mainz, Entscheidung vom 17.01.2017 - 6 S 64/16 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 284/09
vom
19. Mai 2011
in der Zwangsvollstreckungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO §§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3
Die Rückschlagsperre wird auch durch einen zunächst aus verfahrensrechtlichen
Gründen unzulässigen Eröffnungsantrag ausgelöst, sofern dieser zur Verfahrenseröffnung
führt.
BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 284/09 - LG Potsam
AG Potsdam
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
Richterin Möhring
am 19. Mai 2011

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. November 2009 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 17.459,07 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Mit Beschluss vom 19. Mai 2009 pfändete das Amtsgericht auf Antrag des Gläubigers M. die Ansprüche des G. W. (fortan: Schuldner) aus einer Lebensversicherung bei der R. AG und überwies sie dem Gläubiger zur Einziehung. Der Beschluss wurde der Drittschuldnerin am 12. Juni 2009 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2009, beim Insolvenzgericht eingegangen am 13. Juli 2009, beantragte der Schuldner die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen. Er führte aus, das nach § 305 InsO vorgeschriebene außergerichtliche Schulden- bereinigungsverfahren werde nunmehr durchgeführt, und bat darum, das Eröffnungsverfahren einstweilen auszusetzen. Hintergrund des Eröffnungsantrags sei, dass die Pfändung der Lebensversicherung der Rückschlagsperre des § 88 InsO unterfallen solle. Am 15. September 2009 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und Rechtsanwältin R. zur Treuhänderin bestellt. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht seinen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss "klarstellend" aufgehoben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Gläubiger gegen die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.

II.


2
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
3
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Amtsgericht habe den Antrag der Treuhänderin als Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO ansehen und bei seiner Prüfung die Vorschrift des § 88 InsO berücksichtigen dürfen. Die Pfändung und Überweisung sei nach dieser Bestimmung unwirksam, weil sie im letzten Monat vor dem Antrag des Schuldners vom 13. Juli 2009 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Dieser Antrag habe zur Eröffnung des Verfahrens geführt. Ob er zulässig gewesen sei, sei ohne Bedeutung.
4
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

5
a) Ob über den Antrag der Treuhänderin auf Aufhebung des Pfändungsund Überweisungsbeschlusses das Insolvenzgericht anstelle des Vollstreckungsgerichts hätte entscheiden müssen, kann dahinstehen. Denn die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§ 576 Abs. 2 ZPO). Dies gilt auch für die funktionelle Zuständigkeit (BGH, Beschluss vom 27. September 2007 - IX ZB 16/06, ZIP 2007, 2330 Rn. 4 mwN).
6
b) Die vom Gläubiger mit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner am 12. Juni 2009 erlangte Sicherung wurde mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 15. September 2009 nach §§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3 InsO unwirksam.
7
aa) Die in § 88 InsO normierte so genannte Rückschlagsperre erfasst Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Zwangsvollstreckung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt hat. Handelt es sich wie hier um ein Verbraucherinsolvenzverfahren, das auf einen Antrag des Schuldners eröffnet wird, beträgt die in § 88 InsO genannte Frist drei Monate (§ 312 Abs. 1 Satz 3 InsO). In diese Frist fällt das am 12. Juni 2009 vom Gläubiger erlangte Pfandrecht, denn der Eröffnungsantrag des Schuldners ging am 13. Juli 2009 bei Gericht ein.
8
bb) Der Umstand, dass der Schuldner den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens gestellt hat, ohne zuvor das nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgeschriebene außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren durchzuführen, ändert an dieser Beurteilung nichts.

9
(1) Für die Berechnung der in § 88 InsO genannten Frist und folglich auch für die nach § 312 Abs. 1 Satz 3 InsO verlängerte Frist gilt § 139 InsO. Nach dessen Absatz 2 ist bei mehreren Eröffnungsanträgen der erste zulässige und begründete Eröffnungsantrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren aufgrund eines späteren Antrags eröffnet worden ist. Die Zulässigkeit eines als Anknüpfungspunkt für die Rückschlagsperre in Betracht kommenden Eröffnungsantrags ist danach nur dann gesondert zu prüfen, wenn das Insolvenzverfahren aufgrund eines anderen Antrags eröffnet wird. Soll die Rückschlagsperre hingegen an den Antrag geknüpft werden, welcher zur Eröffnung des Verfahrens geführt hat, erübrigt sich eine solche Prüfung, weil das Verfahren nur auf einen zulässigen Antrag eröffnet werden darf. Die Rückschlagsperre wird daher durch jeden Antrag ausgelöst, der letztlich zur Verfahrenseröffnung geführt hat, auch wenn er zunächst mangelhaft war, weil er den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen hat (BayObLG NZI 2000, 371 und 427; Kirchhof ZInsO 2001, 1, 6; FK-InsO/App, 6. Aufl., § 88 Rn. 18; HmbKommInsO /Kuleisa, 3. Aufl., § 88 Rn. 9). Ob dies auch gilt, wenn der Eröffnungsgrund erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
10
(2) Dies gilt auch im Falle eines ohne vorheriges außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren beantragten Verbraucherinsolvenzverfahrens. Die Verlängerung der Frist für die Rückschlagsperre auf drei Monate in § 312 Abs. 1 Satz 3 InsO beruht zwar auf der Überlegung, dass der vor einem Eröffnungsantrag des Schuldners durchzuführende außergerichtliche Einigungsversuch von Störungen durch Vollstreckungszugriffe einzelner Gläubiger frei gehalten werden soll (BT-Drucks. 14/5680, S. 15 und 33). Beantragt der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne eine außergerichtliche Eini- gung versucht zu haben, besteht ein solches Schutzbedürfnis nicht. Nach dem Gesetz setzt die Verlängerung der Frist jedoch lediglich einen Eröffnungsantrag des Schuldners voraus. Eine nicht hinnehmbare Missbrauchsmöglichkeit ergibt sich daraus nicht. Beantragt der Schuldner die Verfahrenseröffnung, ohne die nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgeschriebene Bescheinigung über den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung vorzulegen, muss er damit rechnen, dass er vom Insolvenzgericht aufgefordert wird, diese Bescheinigung unverzüglich nachzureichen; kommt er dieser Aufforderung nicht binnen eines Monats nach, gilt sein Eröffnungsantrag als zurückgenommen (§ 305 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO). Geht dem Eröffnungsantrag des Schuldners ein Gläubigerantrag voraus, beträgt die Frist drei Monate (§ 306 Abs. 3 Satz 3, § 305 Abs. 3 Satz 3 InsO). Im Falle der Fristversäumung führt der Eröffnungsantrag wegen der Rücknahmefiktion somit nicht zur Verfahrenseröffnung und kann die Rückschlagsperre nicht auslösen. Weist der Schuldner andererseits innerhalb der Frist die Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs nach und wird auf seinen Antrag das Verfahren eröffnet, besteht kein Grund, wegen des ursprünglichen, später behobenen Zulässigkeitsmangels die Rückschlagsperre nicht eingreifen zu lassen.
11
c) Das Beschwerdegericht hat auch nicht die Rechtsfolgen der Rückschlagsperre nach §§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3 InsO verkannt. Sicherungen, die unter die Rückschlagsperre des § 88 InsO fallen, werden mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes unwirksam. Die Unwirksamkeit erfasst die materiell-rechtliche Wirkung der Pfändung, mithin das Pfändungspfandrecht, nicht die Verstrickung. Besteht die Verstrickung noch fort, kommt ein Wiederaufleben der Sicherung des Gläubigers in Betracht, wenn der betroffene Gegenstand vom Insolvenzverwalter frei gegeben oder das Insolvenzverfahren ohne Verwertung des Gegenstands aufgehoben wird (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 20-23; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 88 Rn. 36-40). Die Unwirksamkeit nach § 88 InsO ist insofern eine schwebende. Dies hindert das Vollstreckungsorgan jedoch nicht, die von ihm angeordnete Vollstreckungsmaßnahme im Falle des § 88 InsO von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten uneingeschränkt aufzuheben und damit die Verstrickung zu beseitigen (Jaeger/Eckardt, InsO, § 88 Rn. 61 und 70; MünchKomm-InsO/Breuer, 2. Aufl. § 88 Rn. 23; HK-InsO/Kayser, aaO Rn. 45; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. § 88 Rn. 24 und 27). Ein solches Vorgehen kann schon deshalb angezeigt sein, um zu verhindern, dass der Drittschuldner weiterhin mit befreiender Wirkung an den Gläubiger leisten kann (vgl. § 836 Abs. 2 ZPO).
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring
Vorinstanzen:

AG Potsdam, Entscheidung vom 02.10.2009 - 49 M 1446/09 -
LG Potsdam, Entscheidung vom 23.11.2009 - 5 T 750/09 -

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

(2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge sind während der Dauer des Verfahrens auch für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. Dies gilt nicht für die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist.

(3) Über Einwendungen, die auf Grund des Absatzes 1 oder 2 gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet das Insolvenzgericht. Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen sei.

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners sind in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist nicht zulässig.

(2) Jedes Abkommen des Schuldners oder anderer Personen mit einzelnen Insolvenzgläubigern, durch das diesen ein Sondervorteil verschafft wird, ist nichtig.

(3) Eine Aufrechnung gegen die Forderung auf die Bezüge, die von der Abtretungserklärung erfasst werden, ist nicht zulässig.