Amtsgericht Ratingen Urteil, 02. März 2016 - 8 C 294/15
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des insgesamt zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Sicherheitsleistungen können auch durch unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft einer auf dem Gebiet der Europäischen Union geschäftsansässigen Bank, Genossenschaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.
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T a t b e s t a n d:
2Der Beklagte ist Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft der Klägerin. Ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer errichtete er einen Anbau/Wintergarten auf seine zur Wohnung Nr. XX der Teilungserklärung gehörenden Terrasse. Die Hausverwalterin forderte den Beklagten zur Entfernung des Wintergartens auf. Diesem Begehren kam der Beklagte nicht nach. Auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2015 fasste die Wohnungseigentümergemeinschaft unter TOP 5 folgenden Beschluss:
3„Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt die individuellen Ansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer gegenüber dem Miteigentümer M auf Entfernung seines Wintergartens auf die Wohnungseigentümergemeinschaft zu übertragen. Die Verwaltung wird ermächtigt, die Anwaltskanzlei L zu beauftragen, den Anspruch der Gemeinschaft auf Entfernung des Wintergartens gegen den Miteigentümer M gerichtlich und auch außergerichtlich durchzusetzen.“
4Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie aktivlegitimiert sei. Mit dem vorgenannten Beschluss wären die individuellen Ansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer auf Entfernung des Wintergartens zulässigerweise auf die Klägerin übertragen worden. Die Formulierung des Beschlusses beinhalte die Übertragung der Befugnis zur Ausübung der Individualrechte im eigenen Namen durch den rechtsfähigen Verband.
5Die Klägerin beantragt,
61.
7den Beklagten zu verurteilen, den zu seiner Wohnung laut Teilungserklärung Nr. XX, ohne Zustimmung der Klägerin erstellten und an der Außenmauer angebrachten Anbau/Wintergarten zu entfernen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen;
82.
9den Beklagten zu verurteilen, die vorgerichtlichen Kosten der Inanspruchnahme der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Höhe von 492,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins hieraus seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin nicht klagebefugt sei. Er ist der Auffassung, dass der Beschluss zu TOP 5 der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2015 nichtig wäre mangels Beschlusskompetenz. Vorliegend sei eine Vollrechtsabtretung beschlossen worden, indem beschlossen worden wäre, die Individualansprüche der einzelnen Eigentümer auf den rechtsfähigen Verband der Wohnungseigentümergemeinschaft zu übertragen. Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Beschluss betreffend die Ermächtigung der Verwaltung, die als Prozessbevollmächtigte der Klägerin auftretenden Rechtsanwälte zu beauftragen, den Anspruch der Gemeinschaft auf Entfernung gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen, ebenfalls nichtig sei. Des Weiteren erhebt der Beklagte die Einrede der Verjährung. Darüber hinaus behauptet er, dass die Rechte der Wohnungseigentümer nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt würden. Die anderen Wohnungseigentümer könnten den Wintergarten nicht sehen mit Ausnahme des Eigentümers U, welcher sich nicht gestört fühle. Außerdem sei der Wintergarten nur „angelehnt“ mit einer Schiene. Eine störende bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 WEG wäre nicht gegeben.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Unterlagen Bezug genommen.
14Die Akte des Amtsgerichts Ratingen mit dem Aktenzeichen 8 C 296/14 ist zu Beweiszwecken beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
16Die Klage ist unbegründet.
17Die Klägerin als Verband ist nicht Inhaberin der Ansprüche, welche sie im Klagewege geltend macht.
18Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Ansprüche auf Entfernung von Störungen nur den einzelnen Wohnungseigentümern zustehen, die Gemeinschaft aber nach § 10 Abs. 6 Satz 3, 2. Halbsatz WEG die Ausübung des Anspruchs durch Beschluss an sich ziehen kann (gekorene Ausübungsbefugnis).
19An einem solchen Beschluss fehlt es vorliegend. Der unter TOP 5 der Wohnungseigentümerversammlung der Eigentümergemeinschaft vom 21.05.2015 gefasste Beschluss ist nichtig. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat unter TOP 5 den Beschluss gefasst, „die individuellen Ansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer gegenüber dem Miteigentümer M auf Entfernung seines Wintergartens auf die Wohnungseigentümergemeinschaft zu übertragen. Die Verwaltung wird ermächtigt, die Anwaltskanzlei L zu beauftragen, den Anspruch der Gemeinschaft auf Entfernung des Wintergartens gegen den Miteigentümer M gerichtlich und auch außergerichtlich durchzusetzen.“ Mit diesem Beschluss haben die Wohnungseigentümer gerade nicht die Befugnis zur Ausübung der Individualrechte im eigenen Namen auf den rechtsfähigen Verband der Wohnungseigentümer im Sinne einer bloß gesetzlichen Prozessstandschaft übertragen. Vielmehr wurde beschlossen, die Individualansprüche der einzelnen Eigentümer auf den rechtsfähigen Verband der Wohnungseigentümergemeinschaft zu übertragen. Die Beschlusskompetenz aus § 10 Abs. 6 Satz 3, Halbsatz 2 WEG ermöglicht indessen keine Verfügung über das Individualrecht selbst, sondern lediglich die Übertragung der Befugnis zur Ausübung der Individualrechte (BGH, Urteil vom 17.12.2010 – V ZR 125/10 - , juris, OLG München, Beschluss vom 22.01.2010 – 34 Wx 125/09 - , juris).
20Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, die Formulierung der Beschlussfassung unter TOP 5 der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2015 beinhalte auch die Übertragung der Befugnis zur Ausübung der Individualrechte im eigenen Namen durch den rechtsfähigen Verband. Ausweislich des Wortlautes wurden die individuellen Ansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer im Sinne einer (Vollrechts-) Abtretung beschlossen, das heißt, es wurde über das Individualrecht selbst verfügt.
21Der unter TOP 5 der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2015 gefasste Mehrheitsbeschluss ist auch nicht dahingehend auslegungsfähig, dass hiermit die Übertragung der Befugnis zur Ausübung der Individualrechte der einzelnen Wohnungseigentümer auf Entfernung des Wintergartens im eigenen Namen durch den rechtsfähigen Verband übertragen werden sollte. Denn es hätte insoweit einer ausdrücklichen Beschlussfassung betreffend die Vergemeinschaftung der Befugnis zur Ausübung der Individualrechte im eigenen Namen auf den rechtsfähigen Verband der Wohnungseigentümer im Sinne einer bloß gesetzlichen Prozessstandschaft bedurft; eine solche Beschlussfassung ist einer Auslegung nicht zugänglich. Beschlüsse von Wohnungseigentümern sind wegen ihrer Wirkung gegenüber Sonderrechtsnachfolgern wie im Grundbuch eingetragene Erklärungen aus sich heraus objektiv und normativ auszulegen (LG Hamburg, Urteil vom 02. Mai 2012 – 318 S 79/17 - , juris).
22Weil eine Verfügung über das Individualrecht selbst – hier des Beseitigungsanspruchs der einzelnen Wohnungseigentümer – von der Beschlusskompetenz des § 10 Abs. 6 Satz 3, Halbsatz 2 WEG nicht gedeckt wird, ist der unter TOP 5 der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2015 gefasste Beschluss nichtig. Die absolute Beschlussunzuständigkeit macht einen Beschluss nicht nur anfechtbar, sondern nichtig (BGH, Beschluss vom 20. Septentember 2000 – V ZB 58/99 - , WuM 2000, 620-623).
23Mangels einer wirksamen Beschlussfassung betreffend die Übertragung der Ausübung des Anspruchs der einzelnen Wohnungseigentümer gegen den Beklagten auf Entfernung des Wintergartens auf die Klägerin ist die Klägerin nicht aktivlegitimiert bzw. nicht prozessführungsbefugt.
24Mangels Bestehen einer Hauptforderung steht der Klägerin gegen den Beklagten auch kein Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.
25Zudem ist der Beschluss unter TOP 5 der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.05.2015 insgesamt nichtig, da aus den vorgenannten Gründen auch derjenige Teil der Beschlussfassung nichtig ist, welcher sich darauf bezieht, die Verwaltung zu ermächtigen, die Anwaltskanzlei L zu beauftragen, den Anspruch der Gemeinschaft auf Entfernung des Wintergartens gegen den Miteigentümer M gerichtlich und auch außergerichtlich durchzusetzen. Im Hinblick darauf sind die Rechtsanwaltskosten, welche durch die Abfassung des Schreibens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 05.08.2015 angefallen sind, nicht erstattungsfähig.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
27Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
28Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
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(1) Jeder Wohnungseigentümer ist gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verpflichtet,
- 1.
die gesetzlichen Regelungen, Vereinbarungen und Beschlüsse einzuhalten und - 2.
das Betreten seines Sondereigentums und andere Einwirkungen auf dieses und das gemeinschaftliche Eigentum zu dulden, die den Vereinbarungen oder Beschlüssen entsprechen oder, wenn keine entsprechenden Vereinbarungen oder Beschlüsse bestehen, aus denen ihm über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus kein Nachteil erwächst.
(2) Jeder Wohnungseigentümer ist gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern verpflichtet,
- 1.
deren Sondereigentum nicht über das in Absatz 1 Nummer 2 bestimmte Maß hinaus zu beeinträchtigen und - 2.
Einwirkungen nach Maßgabe des Absatzes 1 Nummer 2 zu dulden.
(3) Hat der Wohnungseigentümer eine Einwirkung zu dulden, die über das zumutbare Maß hinausgeht, kann er einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen.
Ist das Gebäude zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstört und ist der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt, so kann der Wiederaufbau nicht beschlossen oder verlangt werden.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.